Das Buch der Chemie - Hans Dominik - E-Book

Das Buch der Chemie E-Book

Hans Dominik

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Beschreibung

Hans (Joachim) Dominik (geboren 15. November 1872 in Zwickau; gestorben 9. Dezember 1945 in Berlin) war ein deutscher Science-Fiction- und Sachbuchautor, Wissenschaftsjournalist und Ingenieur (Elektrotechnik, Maschinenbau).

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Arbeitsgebiet der Chemie

Von Molekülen und Atomen

Das System der Elemente

Das periodische System

Der Stickstoff und das Stickstoffproblem

Etwas Kohlenstoffchemie

Aluminothermie

Metallurgie

Elektrochemie

Zellulosechemie

Von Seifen und anderen Waschmitteln

Etwas Gärungschemie

Chemie des täglichen Lebens

Worterklärungen

Hans Dominik

Das Buch der Chemie: Errungenschaften der Naturerkenntnis

Mit 150 Abbildungen nach Originalzeichnungen, zahlreichen Tabellen und Photographien

Bongs Jugendbücherei

Verlag von Richard Bong in Berlin

1926

Vorwort

Der gewaltige Fortschritt unserer Naturerkenntnis im ersten Viertel unseres Jahrhunderts betrifft nicht zum wenigsten die Chemie. Der Fernerstehende wird in der Hauptsache nur die praktischen Errungenschaften wahrnehmen. Er hört täglich von der Schaffung neuer Arzneistoffe, die, in der Retorte mit Kunst und Wissenschaft gefügt, ganz spezifische Heilwirkungen gegen einzelne bisher fast unheilbare Krankheiten entfalten. Er erfährt, daß ständig neue und vollkommen lichtechte Farbstoffe geschaffen werden, deren Herstellung das Ausland uns neidet. Er vernimmt, daß unsere chemische Industrie uns von der Salpetereinfuhr unabhängig gemacht hat, daß wir alle für die Landwirtschaft und Industrie unentbehrlichen Stickstoffverbindungen unmittelbar aus dem Luftstickstoff herstellen. Man erzählt ihm von einer künstlichen Darstellung der wichtigsten Rohstoffe, wie Kautschuk, Gespinstfasern, Kampfer und dergleichen mehr. Die Hoffnung, noch viel weiterzukommen und vielleicht auch eines Tages Nahrungsmittel, wie Stärke und Eiweiß, in der Retorte zu erstellen, nimmt immer greifbarere Gestalt an.

Alle diese praktischen Errungenschaften haben zweifellos die größte Bedeutung für unsere Volkswirtschaft. Sie machen uns von einem von der Natur mehr begünstigten Ausland wirtschaftlich unabhängig und schaffen Lebensmöglichkeiten, die uns sonst fehlen würden.

Aber wir dürfen nicht vergessen, daß die reiche Ernte, welche die chemische Industrie heute in ihre Scheuern bringt, die Frucht einer Saat ist, die in Form der Strukturtheorie schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ausgestreut wurde. Damals schuf besonders Kekulé die Grundlagen für unsere Erkenntnis vom Aufbau und von der Struktur der Moleküle, was damals zunächst reine Wissenschaft und im günstigsten Falle Laboratoriumspraxis war, ist heute die treibende Kraft einer gewaltigen Industrie, die Hunderttausenden Brot gibt und jährlich Milliardenwerte schafft. Nebenher aber laufen neue Entdeckungen von unerhörter Tragweite, die uns einen Blick bis in das Innerste der Natur gestatten. Kekulé nahm die Atome als die letzten, einer weiteren Erkenntnis und Ergründung nicht mehr zugänglichen Dinge der Natur und baute aus ihnen die Moleküle auf. Heute aber sind wir dabei, auch die Atome zu ergründen. Schon sind sie nach der genialen Theorie des Dänen Niels Bohr als winzige Weltsysteme erkannt, in denen die Atome der negativen Elektrizität, die Elektronen, als Planeten auf Keplerschen Ellipsen um positive elektrische Ladungen wie um eine Zentralsonne kreisen. Schon hat man auf Grund dieser Theorie den Atombau der einfachsten Elemente, des Wasserstoffes und des Heliums, erkannt, hat die Erscheinungen der radioaktiven Substanzen in wunderbarer Weise mit dieser Theorie in Einklang gebracht.

Die Ultrastrukturchemie wird uns eines Tages die Verwirklichung des alten Alchimistentraumes bringen, die Umwandlung irgendeines Elementes in ein anderes. Und dabei werden die Entdeckungen der physikalischen Chemie dazu helfen, daß hier nicht nur begehrte Stoffe aus weniger begehrten in beliebigen Mengen erstellt werden. Es wird vielmehr dabei auch noch eine Energiequelle erschlossen werden, deren theoretische Größe wir heute bereits genau kennen, und die millionenfach, ja billionenfach größer ist als die Energie der Brennstoffe, auf der unsere ganze heutige Technik und Zivilisation beruhen. An die Stelle der molekularen Energie, die wir heute in unseren Wärmekraftmaschinen auf dem Umwege über Verbrennungsvorgänge nutzbar machen, wird die unendlich viel größere Atomenergie treten, die uns die Ultrastrukturchemie erschließen soll.

Heute sind wir hier noch beim Säen. Noch sind die reinen Wissenschaftler an der Arbeit, der Natur die letzten Geheimnisse zu entreißen. Doch schon heute können wir uns ein ungefähres Bild von den praktischen Folgen machen, die diese theoretische Erkenntnis einmal haben muß. Hier aber eröffnen sich Zukunftsaussichten von einer märchenhaften Schönheit. Ein Zeitalter scheint uns zu winken, welches sich zu unserer heutigen Zeit der Technik und Zivilisation ungefähr verhalten dürfte, wie sich unsere Zeit zu der Epoche der Steinkultur oder der Bronzetechnik verhält. Schon heute haben wir die sichere Gewißheit, daß es bestimmt keinen Stillstand in unserer Entwicklung geben wird, daß vielmehr auf Neues und Großes immer noch Neueres und Größeres folgen muß und wird.

Neben den wirtschaftlichen und praktischen Leistungen der chemischen Industrie unserer Tage behandelt das vorliegende Buch daher auch diese theoretischen Arbeiten, die heute in der Hauptsache nur wissenschaftliches Interesse haben, die sich aber zweifellos im Leben unserer Kinder und Kindeskinder auch in gewaltigster Weise praktisch auswirken werden. Das Buch will dem, der sich für diese Dinge interessiert, die Kenntnis davon möglichst leicht und angenehm übermitteln. Wer tiefer in die eigentliche chemische Wissenschaft eindringen will, wird daneben die Lektüre anderer chemischer Werke und zum mindesten diejenige eines guten Schulbuches für Chemie nicht missen können. Diesen Werken will das vorliegende Buch keine Konkurrenz machen. Wollte es bringen, was diese Bücher bringen und bringen müssen, so wäre kein Raum für die Ausführungen geblieben, die hier gemacht werden. Aber der Leser, der den Ausführungen des vorliegenden Buches gefolgt ist, wird vielleicht danach aus freiem Entschlusse zu umfangreicheren Werken greifen, um sich noch genauer über die Dinge zu informieren, die hier vorgetragen wurden.

Berlin-Zehlendorf.

Der Herausgeber.

Das Arbeitsgebiet der Chemie

Die Chemie beschäftigt sich mit den wesentlichen Veränderungen der Materie, d.h. mit solchen Veränderungen, die in das Wesen des Stoffes selbst eingreifen. Ein einfaches Beispiel mag dies erklären. Wenn man feine Eisenfeilspäne und Schwefelblüte gut durcheinandermischt, so erhält man eine physikalische Mischung dieser beiden Stoffe, aber keine wesentliche Veränderung derselben (Fig. 1). Mit einem Magneten kann man ohne Schwierigkeit die Eisenfeilspäne wieder aus dem Gemenge unverändert herausholen (Fig. 2). Auch mit Hilfe des Wassers lassen sich die Bestandteile gut trennen, da die schwereren Eisenspäne darin zu Boden sinken, die leichte Schwefelblüte dagegen auf der Oberfläche schwimmt. Nun führen wir den Versuch aber weiter, indem wir an eine trockene Mischung von Schwefelblüte und Eisenfeilspänen ein brennendes Streichholz halten (Fig. 3). Die ganze Masse beginnt dann plötzlich zu erglühen, und nachdem die Glut verschwunden ist, haben wir anstatt des früheren lockeren Gemenges, in dem man wenigstens mit der Lupe noch deutlich die Eisen- und Schwefelteilchen unterscheiden konnte, einen schwarzen, in allen seinen Teilen vollkommen gleichartigen Körper, der weder mit dem Schwefel noch mit dem Eisen irgendwelche Ähnlichkeit besitzt.

Was hier vorging, war eine chemische Reaktion. Das Eisen hat sich mit dem Schwefel zu einem neuen Stoff, dem Schwefeleisen, verbunden. Durch keines der bekannten physikalischen Mittel, wie Wärme, Druck, Magnetismus oder dergleichen, können wir diesen neuen Stoff wieder in seine Bestandteile zurückverwandeln, aus denen er sich vor unseren Augen bildete. Die Aufgabe der Chemie ist es nun, alle solche Vorgänge, bei denen die Materie wesentliche Veränderungen erfährt, zu verfolgen, zu ergründen und zu erklären. Da uns die Natur nicht Tausende, sondern hunderttausende verschiedener Stoffarten oder Substanzen darbietet, so erscheint das Arbeitsgebiet der Chemie auf den ersten Blick unübersehbar groß. Aber es gelingt verhältnismäßig schnell, Übersicht und System in die Flut der Erscheinungen zu bringen.

Die erste Aufgabe des Chemikers gegenüber irgendeinem ihm dargebotenen unbekannten Stoffe wird immer darin bestehen müssen, diesen Stoff in seine Bestandteile zu zerlegen, die Zusammensetzung des Stoffes zu analysieren. Diese Aufgabe fällt in das Gebiet der auflösenden oder analytischen Chemie. Die Analyse kann entweder nur qualitativ oder auch quantitativ sein. Im ersteren Falle würde ein Chemiker, dem der bei unserem ersten Versuche entstandene Stoff zur Untersuchung gegeben wird, nur anzugeben haben, daß der Stoff aus Eisen und aus Schwefel besteht. Im zweiten Falle der quantitativen Analyse hätte er auch die Quantitäten anzugeben, hätte zu sagen, daß je 88 Gramm des untersuchten Stoffes aus 56 Gramm Eisen und 32 Gramm Schwefel bestehen. In dem vorliegenden Falle des Schwefeleisens ist durch eine solche quantitative Analyse die Aufgabe vollkommen gelöst, der zu untersuchende Stoff vollkommen genau bestimmt. Wir werden aber im weiteren Verlaufe unserer Betrachtungen sehen, daß dies nicht immer der Fall ist. Bei sehr vielen komplizierter zusammengesetzten Körpern kommt es nicht nur auf die Mengen der einzelnen Stoffe an, sondern auch aus die Art und Weise, in welcher diese sich zusammengruppieren. Wir treten damit bereits in ein Sondergebiet der Chemie ein, in die Strukturchemie, welche nicht nur die quantitativen Mengen der Einzelstoffe ermittelt, sondern auch deren Zusammenbau, die chemische Struktur des betreffenden Körpers ergründet.

Fig. 1. Genau abgewogen werden je 56 Gramm feines Eisenpulver (in der Apotheke erhältlich) und 32 Gramm Schwefelblüte vermischt. Es entsteht ein physikalisches Gemenge.

Die Chemie ist nun zwar an sich ebenso wie die Physik eine reine exakte Naturwissenschaft. Aber wie die angewandte Physik zur Entstehung gewaltiger Industrien geführt hat, von denen beispielsweise die Elektrotechnik genannt sei, so hat auch die angewandte Chemie eine bedeutende Zahl chemischer Industrien ins Leben gerufen. Als eine von vielen sei nur die Farbstoffindustrie erwähnt.

Fig. 2. Mit physikalischen Mitteln, beispielsweise mit Hilfe eines Magneten, kann man das physikalische Gemenge (Schwefel und Eisen) wieder in seine Bestandteile zerlegen.

Die Industrie aber will mit bestimmten, vom Markte besonders gewünschten Produkten Geld verdienen. Ihr kommt es vor allem darauf an, derartige Produkte in genügender Menge möglichst wirtschaftlich herzustellen, und ihre Arbeit wird daher nicht so sehr die Auflösung oder Analyse irgendwelcher gegebenen Körper als vielmehr die Zusammensetzung oder Synthese der vom Markt gewünschten Stoffe aus einfacheren Grundstoffen sein. Hier treffen wir daher besonders auf das zweite große Arbeitsgebiet der Chemie, wir kommen zur synthetischen Chemie. Als bekanntestes Beispiel kann hierfür die Farbstoffchemie herangezogen werden. Sie geht in der Hauptsache von einigen wenigen im Steinkohlenteer vorhandenen Kohlenwasserstoffverbindungen aus und baut aus diesen durch Anfügung bestimmter Atomgruppen die ganze lange, leuchtende Skala der Teerfarbstoffe auf.

Fig. 3. Das physikalische Gemenge (Schwefel und Eisen) wird angezündet. Es setzt eine chemische Reaktion ein, und es entsteht aus dem physikalischen Gemenge eine chemische Verbindung (Schwefeleisen), die durch keine physikalischen Mittel mehr zu zerlegen ist.

Für unsere Erkenntnis vom Wesen der Dinge ist die analytische Chemie einschließlich der Strukturchemie die erste und unumgängliche Voraussetzung. Sind aber mit Hilfe der chemischen Analyse alle Grundfragen geklärt, dann beginnt die neue schöpferische Arbeit der Synthese. Sie beschränkt sich nicht darauf, aus den einfacheren Stoffen nun die komplizierteren in der Natur vorkommenden Verbindungen wieder zusammenzusetzen, sondern sie geht weit darüber hinaus. Sie schafft ganz neue, bisher noch nicht existierende Körper, deren Struktur und Zusammensetzung sie auf Grund der vorangehenden analytischen Forschung voraussagen konnte. So entstanden beispielsweise jene Tausende von Teerfarbstoffen. So entstanden die künstlichen Arzneistoffe wie Antipyrin, Migränin, Salvarsan und dergleichen. So entstanden die künstlichen Duftstoffe, die den Duft tropischer Blumenpracht übertäuben. So entstanden schließlich Kautschukarten, die wesentlich andere Zusammensetzungen und Eigenschaften besitzen, als der in der Natur vorkommende Paragummi. In der analytischen Chemie ist der Chemiker ein suchender Forscher, in der synthetischen Chemie wird er zum aufbauenden Schöpfer und schafft vielfach über die Grenzen der Natur hinaus völlig Neues.

Die Chemie, die heute wie ein mächtiger Baum mit blühender Krone dasteht, ist aus vielen Wurzeln entsprossen, von der Heilkunde her, von der Hüttenkunde, von der Keramik oder Töpferei floß allerlei Wissen über das mannigfaltige Verhalten der verschiedenen Stoffe zusammen, sammelte sich im Mittelalter bei denen, die den größten Fragen und Aufgaben der Menschheit, der ewigen Jugend und dem unerschöpflichen Reichtum, nachgingen. Die Alchimisten waren es, die die wenigen chemischen Kenntnisse früherer Jahrhunderte durch das ganze Mittelalter hindurch retteten und nach dem Maße ihrer Kräfte zu vermehren suchten. Die Vorsilbe »Al« verrät bereits, daß die Bezeichnung Alchimist aus dem Arabischen kommt, und in der Tat war viel morgenländisches Wissen in dem etwas verworrenen Vorrat der chemischen Kenntnisse jener mittelalterlichen Goldmacher und Elixiersucher vorhanden (Fig. 4). Wie die fortschreitende Entwicklung aber von der Astrologie des Mittelalters zur Astronomie der Neuzeit führte, so entsproß auch aus jener Alchimie im Laufe des 18. Jahrhunderts die Chemie und entwickelte sich nun schnell zur exakten Naturwissenschaft.

Das ganze 18. und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts waren der reinen Forschung, der Entwicklung der analytischen Chemie gewidmet. Dann begann der Baum, der bisher nur kräftig gewachsen war, auch zu blühen und Früchte zu tragen. Durch Justus von Liebig profitierte die Landwirtschaft von der gewonnenen chemischen Erkenntnis. Namen wie Bessemer und Thomas zeigen chemische Errungenschaften auf dem Gebiete des Hüttenwesens. Daneben geht die analytische Forschungsarbeit weiter. Kekulé fördert die Strukturchemie und findet die Strukturformel des Benzolringes. Hofmann baut auf den Forschungen Kekulés weiter, und das Zeitalter der Teerfarben bricht an. 150 Jahre hindurch hatte man die Wünsche und Träume der alten Alchimisten als unwissenschaftlich, phantastisch und unmöglich verdammt und verworfen. Jetzt, in der Fülle neuer Erfolge, faßte man den Mut, auch diese Ideen zu überprüfen, und fand, daß sie vielleicht doch nicht so unmöglich seien. Zwar suchte man nicht mehr den Stein der Weisen, der ewige Jugend und ewiges Leben verleihen sollte, aber hunderte von neuen und wirksamen Arzneistoffen gingen unter den Händen der Synthetiker aus der Retorte hervor.

Die reiche Gegenwart bot eine solche Fülle von Aufgaben, daß man es um die Jahrhundertwende noch kaum wagte, an das alte alchimistische Problem von der Verwandlung der Metalle zu denken. Man zwang den Luftstickstoff in nutzbare Verbindungen und machte Europa von der Einfuhr des chilenischen Salpeters unabhängig. Man baute den Kautschuk aus seinen Grundstoffen, dem Kohlenstoff und Wasserstoff, auf. Man stellte die Gewürze Indiens in der Retorte her. Kaum eine Aufgabe der Synthese schien noch unlösbar zu sein. Es war in der Hauptsache nur eine wirtschaftliche Frage, eine Frage, ob die Lösung sich auch lohnte. Bei den Farb- und Duftstoffen war dies außer allem Zweifel. Beim künstlichen Salpeter und beim Kautschuk kam es oft auf Bruchteile eines Pfennigs an, ob das künstliche Erzeugnis das Naturprodukt vom Markte verdrängen würde.

Die Synthese einfacher Nahrungsmittel, wie der Stärke, des Zuckers, schien vorläufig bei dem niedrigen Preise der natürlichen Erzeugnisse wirtschaftlich nicht zu lohnen.

Fig. 4. Bei den Alchimisten des Mittelalters. Die Vorgänger der heutigen Chemiker waren die mittelalterlichen Alchimisten, die der Natur mit primitiven Mitteln ihre Geheimnisse abzulisten versuchten. Sie suchten den Stein der Weisen, wollten unedle Metalle in Gold verwandeln und machten dabei auch manche nützliche Entdeckung.

Wissenschaftlich und theoretisch hätte ihr kaum etwas im Wege gestanden. So lagen die Dinge, als der Weltkrieg ausbrach und die Zeit der Ersatzstoffe begann. Daß Deutschland, von der Welt abgeschnitten, der Übermacht so lange widerstehen konnte, war nicht zum mindesten seiner chemischen Industrie zu danken. Der Krieg zwang dazu, für die Bedürfnisse des Augenblicks zu arbeiten, und hielt die reine Forschung auf. Erst nach dem Kriegsende kam sie wieder zu ihrem Rechte und hat in den wenigen seitdem verflossenen Jahren Gewaltiges geleistet. Der alte Alchimistentraum von der Verwandlung der Metalle und überhaupt der Grundstoffe ist heute kein Traum mehr. Schon hat der Engländer Rutherford den Stickstoff in Helium und Wasserstoff zerlegt, hat der Deutsche Miethe Quecksilber in Gold verwandelt.

Die angewandte Chemie, die chemische Industrie, macht in ihren Erzeugnissen heute alles das nutzbar, was die Forscherarbeit etwa bis zum Ausbruch des Weltkrieges gefunden und festgelegt hatte. Die chemische Forschung aber schreitet unabhängig davon stetig weiter und hat bereits ein völlig neues Gebiet betreten, für welches der Name Ultrastrukturchemie geprägt wurde. Vom Bau der Moleküle, welchen die Strukturchemie ergründete, ist sie fortgeschritten zur Erforschung der kleinsten Teile der Materie, der Atome, die bis in unser Jahrhundert hinein für die letzten Bausteine der Natur galten. Sie hat damit ein Grenzgebiet betreten, auf dem Chemie und Physik sich begegnen. Es ist ein Gebiet, von dem Alfred Stock sagt, daß in ihm schon viele Blüten und Früchte, aber noch mehr verheißungsvolle Knospen prangen. Ein Wundergarten, dessen Besuch Anregung und Genuß überreichlich bieten kann. Freilich ein Garten, der auch Dornen hat, physikalisch-mathematische Theorien, die dem Chemiker ferner liegen als dein Physiker.

Die Arbeit auf diesem neuen Gebiete muß zunächst in der Hauptsache analytischer, forschender Art sein. Es handelt sich ja darum, die wirkliche Struktur der in der Schöpfung vorkommenden 92 chemischen Grundstoffe oder Elemente zu ermitteln. Eine Riesenaufgabe, wenn man bedenkt, daß wir heute erst die Atomstruktur von etwa drei bis vier Elementen einigermaßen kennen. Ist sie aber einmal in zäher Arbeit gelöst, dann dürfte für die Chemie und für die Menschheit ein Zeitalter anbrechen, schöner und glücklicher als das goldene Zeitalter der Dichtung. Dann würden wir in der atomistischen Energie über eine Energiequelle verfügen, die uns schlechterdings alles ermöglicht, und wären, durch wirtschaftliche Rücksichten nicht mehr behindert, in der Lage, alle gewünschten Verbindungen, also auch Lebensmittel aller Art, in unbegrenzten Mengen herzustellen. Der Blick, den die Zukunft hier bietet, ist so überraschend schön, daß alle bisherigen Leistungen der chemischen Wissenschaft daneben verblassen müssen.

Von Molekülen und Atomen

Die moderne Chemie beruht auf der atomistischen Anschauung der Materie. Das Wesen dieser Anschauung wird sich am leichtesten an einem Beispiel erläutern lassen. Wenn man irgendeinen zusammengesetzten Stoff, etwa das bereits erwähnte Schwefeleisen, vornimmt und beginnt, ihn zu teilen, so wird man dabei mit fortschreitender Teilung zu immer kleineren Teilchen gelangen. Immer aber werden sich diese Teilchen als derselbe schwärzliche, ziemlich harte Stoff erweisen, den wir als Schwefeleisen kennen. In der Wirklichkeit werden wir bei unseren Teilversuchen an eine praktische Grenze kommen, wo uns eine weitere Teilung nicht mehr gelingt. Wir können beispielsweise das Schwefeleisen in einer Quarzschale mit einem Quarzstempel zu einem so feinen Pulver zerreiben, daß die Teilchen nicht mehr zwischen den Zähnen knirschen und nicht mehr auf der Lippe gefühlt werden. Aber immer noch wird ein Stäubchen dieses Pulvers unter dem Mikroskop als Schwefeleisen erkannt werden. Doch wenn auch unsere wirklichen Teilungsmittel versagen, so können wir den Versuch doch in Gedanken weiterführen. Im Geiste teilen wir solch ein winziges Pulverstäubchen weiter und immer weiter. Aber plötzlich kommen wir dabei an eine Grenze. Wir kommen an ein Schwefeleisenteilchen, welches allen unseren Versuchen, es mit mechanischen Mitteln weiter zu teilen, einen unüberwindlichen Widerstand entgegensetzt, so daß es physikalisch nicht weiter teilbar ist.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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