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»Das Buch Le Grand« ist Kritik an den politischen und sozialen Zuständen seiner Zeit und ein Bekenntnis Heines zu Napoleon und den Errungenschaften der Französischen Revolution. Es hat aber auch autobiographische Züge, beispielsweise der Bericht über den Besuch Napoleons in Düsseldorf.
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Seitenzahl: 104
Heinrich Heine
Das Buch Le Grand
Impressum
Cover: Gemälde "Heinrich Heine" (1831) von Moritz Daniel Oppenheim (1800-1882)
Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015
ISBN/EAN: 9783958705364
Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.
www.nexx-verlag.de
Evelina
empfange diese Blätter
als ein Zeichen der Freundschaft und Liebe
Sie war liebenswürdig
und Er liebte Sie;
Er aber war nicht liebenswürdig
und Sie liebte Ihn nicht.
(Altes Stück)
Madame, kennen Sie das alte Stück? Es ist ein ganz außerordentliches Stück, nur etwas zu sehr melancholisch. Ich hab mal die Hauptrolle darin gespielt, und da weinten alle Damen, nur eine Einzige weinte nicht, nicht eine einzige Träne weinte sie, und das war eben die Pointe des Stücks, die eigentliche Katastrophe …
Oh diese einzige Träne! sie quält mich noch immer in Gedanken; der Satan, wenn er meine Seele verderben will, flüstert mir ins Ohr ein Lied von dieser ungeweinten Träne, ein fatales Lied mit einer noch fataleren Melodie – ach, nur in der Hölle hört man diese Melodie! …
Wie man im Himmel lebt, Madame, können Sie sich wohl vorstellen, umso eher, da Sie verheiratet sind. Dort amüsiert man sich ganz süperbe, man hat alle mögliche Vergnügungen, man lebt in lauter Lust und Pläsir, so recht wie Gott in Frankreich. Man speist von Morgen bis Abend, und die Küche ist so gut wie die Jagorsche, die gebratenen Gänse fliegen herum mit den Sauce-Schüsselchen im Schnabel, und fühlen sich geschmeichelt, wenn man sie verzehrt, butterglänzende Torten wachsen wild wie Sonnenblumen, überall Bäche mit Bouillon und Champagner, überall Bäume, woran Servietten flattern, und man speist und wischt sich den Mund, und speist wieder, ohne sich den Magen zu verderben, man singt Psalmen, oder man tändelt und schäkert mit den lieben, zärtlichen Engelein, oder man geht spazieren auf der grünen Halleluja-Wiese, und die weißwallenden Kleider sitzen sehr bequem, und nichts stört da das Gefühl der Seligkeit, kein Schmerz, kein Missbehagen, ja sogar, wenn einer dem andern zufällig auf die Hühneraugen tritt und excusez! ausruft, so lächelt dieser wie verklärt und versichert: Dein Tritt, Bruder, schmerzt nicht, sondern au contraire, mein Herz fühlt dadurch nur desto süßere Himmelswonne.
Aber von der Hölle, Madame, haben Sie gar keine Idee. Von allen Teufeln kennen Sie vielleicht nur den kleinsten, das Beelzebübchen Amor, den artigen Croupier der Hölle, und diese selbst kennen Sie nur aus dem »Don Juan«, und für diesen Weiberbetrüger, der ein böses Beispiel gibt, dünkt sie Ihnen niemals heiß genug, obgleich unsere hochlöblichen Theaterdirektionen so viel Flammenspektakel, Feuerregen, Pulver und Kolophonium dabei aufgehen lassen, wie es nur irgend ein guter Christ in der Hölle verlangen kann.
Indessen, in der Hölle sieht es viel schlimmer aus, als unsere Theaterdirektoren wissen – sie würden auch sonst nicht so viele schlechte Stücke aufführen lassen – in der Hölle ist es ganz höllisch heiß, und als ich mal in den Hundstagen dort war, fand ich es nicht zum Aushalten. Sie haben keine Idee von der Hölle, Madame. Wir erlangen dorther wenig offizielle Nachrichten. Dass die armen Seelen da drunten den ganzen Tag all die schlechten Predigten lesen müssen, die hier oben gedruckt werden – das ist Verleumdung. So schlimm ist es nicht in der Hölle, so raffinierte Qualen wird Satan niemals ersinnen. Hingegen Dantes Schilderung ist etwas zu mäßig, im Ganzen allzu poetisch. Mir erschien die Hölle wie eine große bürgerliche Küche, mit einem unendlich langen Ofen, worauf drei Reihen eiserne Töpfe standen, und in diesen saßen die Verdammten und wurden gebraten. In der einen Reihe saßen die christlichen Sünder, und sollte man es wohl glauben! ihre Anzahl war nicht allzu klein, und die Teufel schürten unter ihnen das Feuer mit besonderer Geschäftigkeit. In der anderen Reihe saßen die Juden, die beständig schrien und von den Teufeln zuweilen geneckt wurden, wie es sich denn gar possierlich ausnahm, als ein dicker, pustender Pfänderverleiher über allzu große Hitze klagte, und ein Teufelchen ihm einige Eimer kaltes Wasser über den Kopf goss, damit er sähe, dass die Taufe eine wahre erfrischende Wohltat sei.
In der dritten Reihe saßen die Heiden, die, ebenso wie die Juden, der Seligkeit nicht teilhaftig werden können, und ewig brennen müssen. Ich hörte, wie einer derselben, dem ein vierschrötiger Teufel neue Kohlen unterlegte, gar unwillig aus dem Topfe hervorrief: »Schone meiner, ich war Sokrates, der Weiseste der Sterblichen, ich habe Wahrheit und Gerechtigkeit gelehrt und mein Leben geopfert für die Tugend.« Aber der vierschrötige, dumme Teufel ließ sich in seinem Geschäfte nicht stören und brummte: »Ei was! alle Heiden müssen brennen, und wegen eines einzigen Menschen dürfen wir keine Ausnahme machen.«
Ich versichere Sie, Madame, es war eine fürchterliche Hitze, und ein Schreien, Seufzen, Stöhnen, Quäken, Greinen, Quirilieren – und durch all diese entsetzlichen Töne drang vernehmbar jene fatale Melodie des Liedes von der ungeweinten Träne.
Sie war liebenswürdig
und Er liebte Sie;
Er aber war nicht liebenswürdig
und Sie liebte Ihn nicht.
(Altes Stück)
Madame! das alte Stück ist eine Tragödie, obschon der Held darin weder ermordet wird, noch sich selbst ermordet. Die Augen der Heldin sind schön, sehr schön – Madame, riechen Sie nicht Veilchenduft? – sehr schön, und doch so scharfgeschliffen, dass sie mir wie gläserne Dolche durch das Herz drangen, und gewiss aus meinem Rücken wieder herausguckten – aber ich starb doch nicht an diesen meuchelmörderischen Augen. Die Stimme der Heldin ist auch schön – Madame, hörten Sie nicht eben eine Nachtigall schlagen? – eine schöne, seidene Stimme, ein süßes Gespinst der sonnigsten Töne, und meine Seele ward darin verstrickt und würgte sich und quälte sich. Ich selbst – es ist der Graf vom Ganges, der jetzt spricht, und die Geschichte spielt in Venedig – ich selbst hatte mal dergleichen Quälereien satt, und dachte schon im ersten Akte dem Spiel ein Ende zu machen, und die Schellenkappe mitsamt dem Kopf herunterzuschießen, und ich ging nach einem Galanterieladen auf der Via Burstah, wo ich ein paar schöne Pistolen in einem Kasten ausgestellt fand – ich erinnere mich dessen noch sehr gut, es standen daneben viel freudige Spielsachen von Perlmutt und Gold, eiserne Herzen an goldenen Kettlein, Porzellantassen mit zärtlichen Devisen, Schnupftabaksdosen mit hübschen Bildern, z. B. die göttliche Geschichte von der Susanna, der Schwanengesang der Leda, der Raub der Sabinerinnen, die Lucrezia, das dicke Tugendmensch mit dem entblößten Busen, in den sie sich den Dolch nachträglich hineinstößt, die selige Bethmann, la belle ferroniere, lauter lockende Gesichter – aber ich kaufte doch die Pistolen, ohne viel zu dingen, und dann kauft ich Kugeln, dann Pulver, und dann ging ich in den Keller des Signor Unbescheiden, und ließ mir Austern und ein Glas Rheinwein vorstellen
Essen konnt' ich nicht und trinken noch viel weniger. Die heißen Tropfen fielen ins Glas, und im Glas sah ich die liebe Heimat, den blauen, heiligen Ganges, den ewigstrahlenden Himalaja, die riesigen Bananenwälder, in deren weiten Laubgängen die klugen Elefanten und die weißen Pilger ruhig wandelten, seltsam träumerische Blumen sahen mich an, heimlich mahnend, goldene Wundervögel jubelten wild, flimmernde Sonnenstrahlen und süßnärrische Laute von lachenden Affen neckten mich lieblich, aus fernen Pagoden ertönten die frommen Priestergebete, und dazwischen klang die schmelzend klagende Stimme der Sultanin von Delhi – in ihrem Teppichgemache rannte sie stürmisch auf und nieder, sie zerriss ihren silbernen Schleier, sie stieß zu Boden die schwarze Sklavin mit dem Pfauenwedel, sie weinte, sie tobte, sie schrie – Ich konnte sie aber nicht verstehen, der Keller des Signor Unbescheiden ist 3.000 Meilen entfernt vom Harem zu Delhi, und dazu war die schöne Sultanin schon tot seit 3.000 Jahren – und ich trank hastig den Wein, den hellen, freudigen Wein, und doch wurde es in meiner Seele immer dunkler und trauriger – Ich war zum Tode verurteilt …
Als ich die Kellertreppe wieder hinaufstieg, hörte ich das Armesünderglöckchen läuten, die Menschenmenge wogte vorüber; ich aber stellte mich an die Ecke der Strada San Giovanni und hielt folgenden Monolog:
In alten Märchen gibt es goldene Schlösser,
Wo Harfen klingen, schöne Jungfraun tanzen,
Und schmucke Diener blitzen, und Jasmin
Und Myrt und Rosen ihren Duft verbreiten
Und doch ein einziges Entzaubrungswort
Macht all die Herrlichkeit im Nu zerstieben,
Und übrig bleibt nur alter Trümmerschutt
Und krächzend Nachtgevögel und Morast.
So hab auch ich, mit einem einzgen Worte,
Die ganze blühende Natur entzaubert.
Da liegt sie nun, leblos und kalt und fahl,
Wie eine aufgeputzte Königsleiche,
Der man die Backenknochen rot gefärbt
Und in die Hand ein Zepter hat gelegt.
Die Lippen aber schauen gelb und welk,
Weil man vergaß sie gleichfalls rot zu schminken,
Und Mäuse springen um die Königsnase,
Und spotten frech des großen, goldnen Zepters.
Es ist allgemein rezipiert, Madame, dass man einen Monolog hält, ehe man sich totschießt. Die meisten Menschen benutzen bei solcher Gelegenheit das hamletische »Sein oder Nichtsein«. Es ist eine gute Stelle, und ich hätte sie hier auch gern zitiert – aber, jeder ist sich selbst der Nächste, und hat man, wie ich, ebenfalls Tragödien geschrieben, worin solche Lebensabiturienten- Reden enthalten sind, z. B. den unsterblichen »Almansor«, so ist es sehr natürlich, dass man seinen eignen Worten, sogar vor den shakespeareschen, den Vorzug gibt. Auf jeden Fall sind solche Reden ein sehr nützlicher Brauch; man gewinnt dadurch wenigstens Zeit – Und so geschah es, dass ich an der Ecke der Strada San Giovanni etwas lange stehenblieb – und als ich da stand, ein Verurteilter, der dem Tod geweiht war, da erblickte ich plötzlich sie!
Sie trug ihr blauseidenes Kleid, und den rosaroten Hut, und ihr Auge sah mich an so mild, so todbesiegend, so lebenschenkend – Madame, Sie wissen wohl aus der römischen Geschichte, dass, wenn die Vestalinnen im alten Rom auf ihrem Weg einem Verbrecher begegneten, der zur Hinrichtung geführt wurde so hatten sie das Recht, ihn zu begnadigen, und der arme Schelm blieb am Leben. – Mit einem einzigen Blick hat sie mich vom Tod gerettet, und ich stand vor ihr wie neubelebt, wie geblendet vom Sonnenglanze ihrer Schönheit, und sie ging weiter – und ließ mich am Leben.
Und sie ließ mich am Leben, und ich lebe, und das ist die Hauptsache.
Mögen andre das Glück genießen, dass die Geliebte ihr Grabmal mit Blumenkränzen schmückt und mit Tränen der Treue benetzt – Oh, Weiber! hasst mich, verlacht mich, bekorbt mich! aber lasst mich leben! Das Leben ist gar zu spaßhaft süß; und die Welt ist so lieblich verworren; sie ist der Traum eines weinberauschten Gottes, der sich aus der zechenden Götterversammlung á la française fortgeschlichen, und auf einem einsamen Stern sich schlafen gelegt, und selbst nicht weiß, dass er alles das auch erschafft, was er träumt – und die Traumgebilde gestalten sich oft buntscheckig toll, oft auch harmonisch vernünftig – die Ilias, Plato, die Schlacht bei Marathon, Moses, die Mediceische Venus, der Straßburger Münster, die Französische Revolution, Hegel, die Dampfschiffe usw. sind einzelne gute Gedanken in diesem schaffenden Gottestraum – aber es wird nicht lange dauern, und der Gott erwacht, und reibt sich die verschlafenen Augen, und lächelt – und unsre Welt ist zerronnen in Nichts, ja, sie hat nie existiert.
Gleichviel! ich lebe. Bin ich auch nur das Schattenbild in einem Traum, so ist auch dieses besser als das kalte, schwarze, leere Nichtsein des Todes. Das Leben ist der Güter höchstes, und das schlimmste Übel ist der Tod. Mögen berlinische Gardeleutnants immerhin spötteln und es Feigheit nennen, dass der Prinz von Homburg zurückschaudert, wenn er sein offenes Grab erblickt – Heinrich Kleist hatte dennoch ebenso viel Courage wie seine hochbrüstigen, wohlgeschnürten Kollegen, und er hat es leider bewiesen. Aber alle kräftige Menschen lieben das Leben. Goethes Egmont scheidet nicht gern »von der freundlichen Gewohnheit des Daseins und Wirkens«. Immermanns Edwin hängt am Leben »wie 'n Kindlein an der Mutter Brüsten« und obgleich es ihm hart ankommt, durch fremde Gnade zu leben, so fleht er dennoch um Gnade: »Weil Leben, Atmen doch das Höchste ist.«
Wenn Odysseus in der Unterwelt den Achilleas als Führer toter Helden sieht, und ihn preist wegen seines Ruhmes bei den Lebendigen und seines Ansehens sogar bei den Toten, antwortet dieser:
»Nicht mir rede vom Tod ein Trostwort, edler Odysseus!
Lieber ja wollt ich das Feld als Tagelöhner bestellen
Mann, ohn' Erbe und eigenen Wohlstand,
Als die sämtliche Schar der geschwundenen Toten beherrschen.«