Das dritte Griechenlandrettungspaket. Eine politökonomische Analyse einer weiteren Eurorettungsmaßnahme - Christian Schwießelmann - E-Book

Das dritte Griechenlandrettungspaket. Eine politökonomische Analyse einer weiteren Eurorettungsmaßnahme E-Book

Christian Schwießelmann

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich BWL - Wirtschaftspolitik, Note: 1,3, Hochschule Wismar (Fakultät für Wirtschaftswissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: Das 3. Hilfspaket für Griechenland stellt das bislang letzte Glied einer langen Kette staatlicher Maßnahmen zur Rettung der europäischen Gemeinschaftswährung dar. Über ihre bloße Anzahl dürften auch Experten den Überblick verloren haben, der interessierte Zeitungsleser kapituliert angesichts ihrer Komplexität. Längst haben die Regierungen der Euroländer mit den verschiedenen Rettungsschirmen wie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ein Kriseninstrumentarium institutionalisiert, das die nationalen Parlamente weitgehend zu Akklamationsorganen von Exekutiventscheidungen degradiert hat. Neben den EU-Institutionen, den Rettungsmechanismen und den Regierungen treten zudem internationale Akteure wie der IWF auf den Plan, um als Agenten einer internationalen Finanzordnung Interessen ihrer Prinzipale (USA als Mehrheitseigner) zu artikulieren und durchzusetzen. Wie kompliziert die Dinge im europäischen Mehrebenensystem mittlerweile liegen, zeigt ein Blick in die Abstimmungsunterlagen des Deutschen Bundestags. Während die Presse vereinfachend vom 3. Griechenlandhilfs- oder -rettungspaket berichtete, bat der Bundesfinanzminister das deutsche Parlament am 19. August 2015, „der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren“ sowie einer „Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabiliätsmechanismus (ESM)“ zuzustimmen. Das Parlament ermächtigte damit die deutschen Regierungsvertreter im Gouverneursrat und Direktorium des ESM, 26 Milliarden Euro von bis 2018 geplanten 86 Milliarden Euro nach Griechenland zu transferieren. Im Gegenzug hatte sich das monatelang kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehende Land verpflichtet, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren, das Rentensystem zu reformieren, eine funktionierende Steuerverwaltung zu etablieren, Schwarzarbeit und Korruption zu bekämpfen sowie Staatsbetriebe zu privatisieren. Der 140seitige Antrag des Finanzministeriums diente vor allem der Legitimation eines Exekutivhandelns, das weitab von den Haftungssubjekten stattfindet: den Nationalstaaten und ihren Steuerzahlern. [...]

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Inhalt

 

I. Abbildungsverzeichnis

II. Tabellenverzeichnis

III. Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Fragestellung

1.2 Methode

1.3 Forschungsstand

2. Ursachen der Währungskrise

2.1 Verträge und Vertragsuntreue

2.2 Nichtoptimaler Währungsraum

2.3 Das verstopfte Wechselkursventil

2.4 Institutionelle Konstruktionsfehler

3. Griechenland als Härtefall der Eurozone

3.1 Ansteckungsgefahr unter den PIGS

3.2 Der Euro nährt den Staatshunger

3.3 Korruption und Schattenwirtschaft

3.4 Griechenlandhilfen seit 2010

3.4.1 Erstes Griechenlandrettungspaket

3.4.2 Zweites Griechenlandrettungspaket

4. Das dritte Griechenlandrettungspaket

4.1 Vorleistung, Leistung und Gegenleistung

4.2 Politische Akteure und Interessen

4.2.1 Vereinigte Staaten und IWF

4.2.2 Euroländer und EZB

4.2.3 Griechenland

4.3 Ökonomische Wirkungen

4.3.1 Haircut: Der dritte Schuldenschnitt

4.3.2 Moral Hazard: Falsche Anreizsetzung

4.3.3 Free Lunch: Vollendung der Transferunion

5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

6. Quellenverzeichnis

7. Anhang

 

I. Abbildungsverzeichnis

 

Abb. 1: Schuldenrisiko: Teufelskreis zwischen Staaten und Banken

Abb. 2: Europäische Verträge

Abb. 3: Überschreitung der Konvergenzkriterien bei Euro-Einführung

Abb. 4: Realzinsen im Euroraum 1999-2011

Abb. 5: Rating-Entwicklungen in ausgewählten EU-Staaten seit 2010

Abb. 6: Entwicklung der Lohnstückkosten in der Eurozone 1999 bis 2013

Abb. 7.: Schuldenentwicklung in der Eurozone seit 2008

Abb. 8: Ausschöpfung der EFSF in Mrd. Euro

Abb. 9 ESM-Prüfverfahren zur Gewährung von Finanzhilfen

Abb. 10: Ausschöpfung des ESM-Ausleihvolumens in Mrd. Euro

Abb. 11: Realitätsabgleich der IWF-Prognosen zum griechischen BIP

Abb. 12: Griechischer Schuldenschnitt 2012 in historischer Perspektive

Abb. 13: Öffentliche Kredite Griechenlands bis Juni 2015

 

II. Tabellenverzeichnis

 

Tab. 1: Dimensionen des Politikbegriffs

Tab. 2: Finanzhilfen des 1. Griechenlandrettungspakets 2010-2011 in Mrd. Euro

Tab. 3: Wichtige private Gläubiger und der Wert ihrer Anleihen im Juni 2011

Tab. 4: Finanzhilfen des 2. Griechenlandrettungspakets 2012-2015 in Mrd. Euro

Tab. 5: Öffentliche Kredite an Griechenland bis Juni 2015 in Mrd. Euro

Tab. 6: Ansätze zur weiteren Vergemeinschaftung von Politikfeldern

Tab. 7: Synopse zu den drei Griechenlandrettungspaketen 2010-2018

Tab. 8: Meilensteine des 3. Griechenlandrettungspakets 2015-2018

 

III. Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

 

1.1 Fragestellung

 

Das 3. Hilfspaket für Griechenland stellt das bislang letzte Glied einer langen Kette staatlicher Maßnahmen zur Rettung der europäischen Gemeinschaftswährung dar. Über ihre bloße Anzahl dürften auch Experten den Überblick verloren haben, der interessierte Zeitungsleser kapituliert angesichts ihrer Komplexität. Längst haben die Regierungen der Euroländer mit den verschiedenen Rettungsschirmen wie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ein Kriseninstrumentarium institutionalisiert, das die nationalen Parlamente weitgehend zu Akklamationsorganen von Exekutiventscheidungen degradiert hat. Neben den EU-Institutionen, den Rettungsmechanismen und den Regierungen treten zudem internationale Akteure wie der IWF auf den Plan, um als Agenten einer internationalen Finanzordnung Interessen ihrer Prinzipale (USA als Mehrheitseigner) zu artikulieren und durchzusetzen. Wie kompliziert die Dinge im europäischen Mehrebenensystem mittlerweile liegen, zeigt ein Blick in den Abstimmungsunterlagen des Deutschen Bundestags.

 

Während die Presse vereinfachend vom 3. Griechenlandhilfs- oder -rettungspaket berichtete,[1] bat der Bundesfinanzminister das deutsche Parlament am 19. August 2015,„der Hellenischen Republik Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität zu gewähren“ sowie einer „Vereinbarung über ein Memorandum of Understanding zwischen der Hellenischen Republik und dem Europäischen Stabiliätsmechanismus (ESM)“[2]zuzustimmen. Das Parlament ermächtigte damit die deutschen Regierungsvertreter im Gouverneursrat und Direktorium des ESM, 26 Milliarden Euro von bis 2018 geplanten 86 Milliarden Euro nach Griechenland zu transferieren. Im Gegenzug hatte sich das monatelang kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehende Land verpflichtet, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren, das Rentensystem zu reformieren, eine funktionierende Steuerverwaltung zu etablieren, Schwarzarbeit und Korruption zu bekämpfen sowie Staatsbetriebe zu privatisieren.[3]Der 140seitige Antrag des Finanzministeriums diente vor allem der Legitimation eines Exekutivhandelns, das weitab von den Haftungssubjekten stattfindet: den Nationalstaaten und ihren Steuerzahlern.

 

Auch die Abstimmung im Deutschen Bundestag machte deutlich, wie umstritten zudem die wiederholten Transfers an Griechenland sind. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wies in einer Regierungserklärung selbst darauf hin, dass die Einheit von Handlung und Haftung auf der Akteursebene nicht mehr gegeben sei. Die Probleme resultierten aus der „unvollständigen Konstruktion der Währungsunion, der eben eine gemeinsame Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik fehlt. So konnten einzelne Euro-Länder Entscheidungen auf Kosten der Gemeinschaft treffen, weil Verantwortung und Haftung immer wieder auseinanderzufallen drohten“.[4]Insgesamt stimmten 67 Abgeordnete aus der Regierungsfraktionen CDU/CSU (63) und SPD (4) mit Nein, 3 enthielten sich. Bei keinem der Rettungspakete zuvor war die Zahl der Abweichler im Regierungslager höher.

 

Die vorliegende Arbeit will Licht in das Dunkel dieses umstrittenen Hilfspakets bringen. Zentrales Erkenntnisinteresse ist es, die politischen Akteure, ihre Kalküle und die ökonomischen Wirkungen ihrer Entscheidungen transparent zu machen. Zu fragen ist auch nach den Ursachen der Krise, die sich – so eine Hypothese des Verfassers – aus der fatalen Logik des europäischen Integrationsprozesses ergibt. Die Entscheidung zur europäischen Währungsunion Anfang der 1990er Jahren war eine bewusste Abkehr von der sogenannten Krönungstheorie, wonach der Gemeinschaftswährung zunächst eine politische Union im Sinne einer Staatswerdung vorauszugehen habe. Stattdessen präferierte die Kohl-Regierung unter starkem Einfluss Frankreichs, das sich aus der Dominanz der DM befreien wollte, die Theorie von der Gemeinschaftswährung als Integrationsmotor.[5] Die Daueraufgabe der Griechenlandrettung hat hier ihre Wurzeln, insofern muss der Gang der Untersuchung auf die strukturellen Ursachen der Währungskrise eingehen.

 

Der Fokus liegt freilich auf Griechenland als Präzedenzfall für den institutionalisierten Regelbruch, den gerade die aufgeweichte Nichtbeistandsklausel des Art. 125 AEU-Vertrag verhindert sollte. In diesem Zusammenhang sind vor allem die politischen Ausgangsbedingungen und ökonomischen Anreizwirkungen der Griechenlandhilfen zu eruieren. Zuvor müssen die speziellen griechischen Verhältnisse beleuchtet werden. Der Euro beendete nämlich die südeuropäische Finanzierungsvariante wohlfahrtsstaatlicher Leistungen mittels Inflationierung der eigenen Währung. Es gilt daher auch, die gefährliche Mischung aus Staatsverschuldung, Korruption, Wettbewerbsunfähigkeit, Leistungsbilanzdefiziten, geringer Spar- und hoher Konsumorientierung nachzuzeichnen. Erst dann kann ein angemessenes Verständnis des 3. Griechenlandrettungspakets entwickelt werden.

 

1.2 Methode

 

Die vorliegende Arbeit ist als politökonomische Analyse konzipiert. Sie analysiert das dritte Griechenlandhilfspaket vor der Hintergrundfolie der in der Politikwissenschaft gängigen drei Dimensionen des Politischen, die mit den englischen Termini polity, policy und politics bezeichnet werden und damit das Politische formal, materiell bzw. inhaltlich und prozessual zu erfassen suchen.

 

Tab. 1: Dimensionen des Politikbegriffs

 

 

Quelle: Böhret 1988, S. 7.

 

Diese drei politischen Dimensionen und ihre Merkmale bilden den Ausgangspunkt politikwissenschaftlicher Analysen. Im klassischen Untersuchungsaufbau soll die institutionelle Form von politischen Organisationen aus den politischen Inhalten und Prozessen erklärt werden. Polity stellt damit die abhängige Variable (explandum) dar, Policy und Politics die unabhängige Variable (explanans). In der moderneren Politikfeldanalyse rückt dagegen die Policy-Dimension in den Forschungsfokus, daher ist auch von der Policy Analysis die Rede. Unter Policy wird dabei das konkrete Regierungs- und Verwaltungshandeln verstanden, das sich letztlich immer als eine Auswahlentscheidung zwischen Handlungsalternativen charakterisieren lässt: „public policy is whatever governments choose to do or not to do“.[6]

 

In der vorliegenden Untersuchung tritt nun neben die drei politischen Dimensionen eine ökonomische, die nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül politischer Entscheidungen fragt. Die Leitfragen der Policy-Forschung

 

  Wie handeln politische Akteure?

 

  Warum handeln sie so?

 

  Und was bewirken sie dadurch?

 

sind damit um die Frage zu ergänzen, welche Kosten-Nutzen-Abwägung ihren Entscheidungen zugrunde liegt: Welchen Nutzen haben sie davon? Das Analyseinstrument der drei Politikdimensionen hat freilich auch Schwächen, die an dieser Stelle zu thematisieren sind. So lassen Form, Inhalt und Prozess des Politischen zwar für Analysezwecke isolieren, der Forscher läuft aber Gefahr, den Realzusammenhang zu zergliedern und aus den Augen zu verlieren, dass es sich um ein Bedingungsgefüge handelt. Zu Recht haben Kritiker ins Feld geführt, die Dimensionen seien trotz der Prozessdimension statisch und spiegelten nur wie eine Fotografie den Augenblick während der Analyse wider.[7] Für das Analysevorhaben heißt dies, dass historische Kontexte, wo es notwendig erscheint, in die Darstellung einfließen müssen.