Das Fossil 2 - Joshua Tree - E-Book

Das Fossil 2 E-Book

Joshua Tree

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Beschreibung

Für Filio Amorosa gibt es weiterhin nur ein Ziel: Ihre Rückkehr zum Mars. Sie muss herausfinden, was dort vor vielen Jahren geschehen ist und weshalb sie sich an nichts erinnern kann. Als sie die Wahrheit erfährt, stellt diese ihre gesamte Welt auf den Kopf. Auf der Erde werden Agatha Devenworth und Pano Hofer aus der geheimen Ausgrabungsstätte der Human Foundation nach New York geschickt, um die Machenschaften des Feindes aufzudecken. Können Sie der Menschheit inmitten eines Kampfes fremder Mächte eine Zukunft ermöglichen?

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Das Fossil 2

 

Joshua Tree

 

 

 

 

Das Fossil 2

 

Joshua Tree

 

Lektorat: Philip Mehlhop

Korrektorat: Gabriele Rögner

Cover: Ivan Raki

Besonderer Dank: Viktoria M. Keller

 

 

1. Auflage, 2018

© Alle Rechte vorbehalten.

Joshua Tree Limited

Kronou 70, App. 202

Kaimakli, 1026 Nicosia,

Zypern

 

[email protected]

www.weltenblume.de

Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort5

2. Filio Amorosa, 20427

3. Mars, 2039, gestohlene Aufzeichnungen der Human Foundation23

4. Pano Hofer, 204238

5. Agatha Devenworth, 204257

6. Filio Amorosa, 204271

7. Mars, 203989

8. Agatha Devenworth, 2042104

9. Filio Amorosa, 2042124

10. Mars, 2039140

11. Agatha Devenworth, 2042156

12. Filio Amorosa, 2042174

13. Mars, 2039191

14. Agatha Devenworth, 2042207

15. Filio Amorosa, 2042232

16. Mars, 2039249

17. Agatha Devenworth, 2042265

18. Filio Amorosa, 2042282

19. Mars, 2039297

20. Agatha Devenworth, 2042313

21. Filio Amorosa, 2042329

22. Mars, 2039345

23. Agatha Devenworth, 2042361

24. Filio Amorosa, 2042374

25. Mars, 2039390

26. Agatha Devenworth, 2042422

27. Filio Amorosa, 2042439

28. Agatha Devenworth, 2042456

29. Filio Amorosa, 2042472

30. Hortat, 66.120.377 v. Chr.477

31. Filio Amorosa, 2042498

32. Agatha Devenworth, 2042506

33. Filio Amorosa, 2042529

34. Epilog: Filio, 2043534

35. Epilog: Agatha, 2050550

36. Nachwort557

37. Personenverzeichnis559

38. Glossar564

38.1 Erbauer:572

 

1. Vorwort

Kein Buch entsteht ohne Hilfe. Mein besonderer Dank gilt dieses Mal dem Kollegen Ralph Edenhofer, der mir als Teilchenphysiker und Ingenieur (ja, das gibt es wirklich) bei der einen oder anderen wissenschaftlichen Fragestellung geholfen hat und nicht müde wurde meine teils wirren Ideen zu kommentieren. Danke auch an den Kollegen Drew Sparks, der mir bei einer kurzen Story-Krise mit seinem Input weitergeholfen hat. Danke (mal wieder) an Viktoria M. Keller, meine unermüdliche Testleserin, die sich jedes Mal tapfer durch meinen Rohtext kämpft und fleißig nach Logiklücken und Langweilern sucht – und das innerhalb weniger Tage, in denen sie alles andere stehen und liegen lässt. Ich kann mich glücklich schätzen, sie an meiner Seite zu haben.

Der vorliegende Band »Das Fossil 2« führt die Geschichte aus »Das Fossil« nahtlos weiter und schließt sie endgültig ab.

 

 

Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Ihr

 

Joshua Tree, Kuala Lumpur, November 2018

2. Filio Amorosa, 2042

Filio stand in der verwüsteten Kammer und war allein. Die Sanitäter und Ärzte waren durch den einzigen Zugang verschwunden und hatten sie mit dem halbzerstörten Glaskasten, den Leichen von Gould und dem Mann im schwarzen Anzug zurückgelassen.

In ihrer Hand hielt sie die winzige Kugel, die sie aus dem Raum unterhalb dieser Glaskammer geborgen hatte. Sie hatte einfach so in der Luft geschwebt, als hätte sie ausschließlich darauf gewartet, dass Filio durch ein Loch im Boden fiel, das sie nicht einmal gesehen hatte. Sie verschwendete keine Zeit damit, sich auszumalen, weshalb das geschehen war oder wie das überhaupt möglich sein konnte. Es kam ihr vor, als durchlebe sie einen Traum – wirr, auf seltsame Art kongruent und doch mit dem leisen Wissen im Hintergrund, dass sich in Kürze alles als eben das herausstellen würde: einen Traum.

In der Ferne hörte sie Geschrei, aufgebrachte Rufe und Lärm, den sie nicht zuordnen konnte. Aber sie hörte keine Schüsse mehr.

Neben sich sah sie die zerbeulte Panzertür, die links von dem Loch im Glaskasten lag. Sie drehte sich zur Seite und sah auf den Mann im schwarzen Anzug hinab, aus dessen linkem Auge der Griff des Messers ragte, mit dem Pano ihn getötet hatte. Abgesehen davon und dem geronnenen Blut, das seine linke Gesichtshälfte bedeckte, wirkte der Fremde seltsam unberührt. Seine Gesichtszüge schienen geradezu entspannt und sein Anzug kaum in Mitleidenschaft gezogen.

Ein kalter Schauer lief über ihren Rücken, als sie den Blick abwandte und zu Peter Gould sah, der verdreht und mit gebrochenem Blick an der Wand lehnte. Es wurde still in ihrem Kopf, als hätte sie, ohne es zu wollen, einfach alles ausgeblendet, was um sie geschah. Wie unter einer Käseglocke, in der die Zeit still stand, starrte sie nacheinander die beiden Leichen und die der getöteten Sicherheitsleute an, bis ihre Augen an dem dunklen Blut im Glaskasten haften blieben. Wie magisch angezogen, beäugte sie die Blutlache und begann, immer schwerer zu atmen.

Das Wissen, dass eine der unglaublichsten Entdeckungen der Menschheit – ein Wesen von solcher Macht und solchem Wissen, das Jahrmillionen überdauert hatte –, erschossen worden sein könnte, machte sie fassungslos. Wenn sie die Zusammenhänge richtig erkannt hatte, hatten Karlhammer und seine Human Foundation ihre immer neuen Wunder im Kampf gegen Armut, Krankheit und Klimawandel Xinth zu verdanken, der sein Wissen mit ihnen geteilt hatte. Wenn sie auch nicht viel wusste, aber eines mit Sicherheit, nämlich dass die Menschheit noch immer auf die Hilfe dieses Wesens angewiesen war.

Mit einem Fluch auf den Lippen zersprang die Glocke, unter der sie sich befunden hatte und sämtliche Geräusche drangen wieder auf sie ein wie ein tosender Sturm. Inmitten dieses Sturms richtete sie sich auf, als sie daran denken musste, was Karlhammer ihr versprochen und Xinth ihr gezeigt hatte: Sie musste zum Mars, daran hatte sich nichts geändert – und die Human Foundation hatte eine Möglichkeit gefunden, sie in den nächsten Wochen dorthin zu bringen. Das würde aber nur gelingen, wenn diese Anlage nicht infiltriert oder zerstört wurde, also hatte sie ein klares Ziel, das es zu erreichen galt.

»Ich bin Filio Amorosa«, knurrte sie, während sie ihre blutbesudelten Ärmel hochkrempelte und in den schmalen Flur stapfte. »Ich habe schon schlimmere Probleme gelöst.«

Wieder in der Kaverne mit den vielen Arbeitsbereichen angekommen, verschaffte sie sich einen kurzen Überblick: Einige Trennwände waren zerstört und in den Trümmern lagen die Leichen von Rotuniformierten. In manchen Parzellen stritten Männer und Frauen miteinander, andere hatten sich unter ihre Tische verkrochen und schluchzten, während vier Sicherheitsleute nahe dem Zentrum hockten und sich gegenseitig mit Bandagen versorgten. Aus allen Ecken und Richtungen hörte sie Wehklagen und Schmerzenslaute.

Kurzentschlossen bog sie in den ersten Arbeitsbereich, ein abgetrenntes Karree, in dem sich vier lange Werkbänke befanden, auf denen offenbar mit Hilfe von Roboterarmen irgendwelche Platinen hergestellt wurden. Unter der ganz linken Werkbank hockten vier Gestalten in roten Overalls, die ihre Knie umschlungen hatten und sie ängstlich ansahen.

»Aufstehen«, sagte sie. Als sich niemand rührte, wiederholte sie lauter: »AUFSTEHEN!«

Nach kurzem Zögern sahen sie sich an und kamen unter dem Tisch hervorgekrochen. Ohne dass sie etwas hätte sagen müssen, reihten sie sich vor ihr auf und sahen sie erwartungsvoll an, auch wenn sie große Augen machten, als sie ihre blutverschmierte Kleidung musterten.

Vielleicht mache ich ihnen Angst? Gut so, dachte Filio.

»Haben Sie Funkgeräte?«, fragte sie laut.

»Äh ... ja, die haben wir alle«, meinte einer, ein junger Kerl mit krausen Locken und deutete auf ein kleines Armband an seinem Handgelenk.

»Gut. Funken Sie durch, dass die akute Gefahr gebannt ist und ... gibt es eine Art Kontrollzentrum oder so etwas?«

»Eine Zentrale, ja!«, warf eine junge Frau ein, der verschwitze blonde Locken in ihrem faltigen Gesicht klebten. Sie deutete vage nach Osten.

»Gut. Funken Sie auch durch, dass die Zentrale sofort wieder besetzt werden soll, falls das noch nicht der Fall ist. Die Evakuierung muss abgebrochen werden«, befahl Filio und deutete auf die Frau, die gehorsam nickte und in ihr Handgelenk zu sprechen begann. An den Mann gewandt fuhr sie fort: »Sie sammeln sämtliche Waffen ein, die herumliegen, auch in Xinths Kammer. Ich will nicht, dass sich jemand selbst verletzt oder in Panik gerät und auf dumme Gedanken kommt. Bringen Sie alle hierher auf eine der Werkbänke, vielleicht brauchen wir sie später noch. Verstanden?«

Der Mann nickte und sie scheuchte ihn und die beiden anderen fort. »Also los, macht schon!«

Als sie den Arbeitsbereich im Dauerlauf verlassen hatten, nickte auch die Blondine und Filio lief ebenfalls wieder in den Hauptgang zwischen den einzelnen Bereichen. Eilig schritt sie zu den vier Söldnern, die gerade ein Erste-Hilfe-Set plünderten und räusperte sich.

»Wie ist sein Status?«, fragte sie zackig und deutete auf den, der ausgestreckt auf dem Boden lag und von den anderen versorgt wurde. Offenbar wussten sie nicht genau, was sie anstellen sollten.

Ein anderer mit grauen Schläfen und knotigen Muskeln, die sich unter seinem Shirt spannten, sah mit gerunzelter Stirn zu ihr auf.

»Und wer sind Sie?«

»Die, die hier gerade das Sagen hat«, sagte sie knapp und brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen, als er etwas erwidern wollte. »Außerdem bin ich Ärztin und dieser Mann da«, sie deutete auf den Verletzten, »hat einen Schulterdurchschuss abseits der Herzarterien erlitten, wie ich das von hier sehen kann. Er ist also transportabel. Zwei von Ihnen sollten ihn schleunigst zur Krankenstation bringen.«

Die beiden anderen sahen zuerst den Grauhaarigen an, der jedoch Filio fixiert hatte, also gab sie ihnen einen Wink. »Machen Sie schon, oder wollen Sie, dass Ihr Kamerad verblutet?«

Nach einem letzten kurzen Zögern packten die beiden den Verletzten und liefen mit ihm fort, während der Verbliebene sich vor ihr aufrichtete. »Wer sind Sie?«

»Doktor Amorosa«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Aber das Kennenlernspiel verschieben wir auf später. Wir haben dringlichere Probleme.«

»Ich kenne Sie nicht.«

»Ist mir egal. Wie Sie sicherlich mitbekommen haben, haben wir ein Sicherheitsproblem, das wir schleunigst beheben müssen und wie es der Zufall will, weiß ich, wie wir das tun können. Ich weiß außerdem, dass wir Ordnung in das Chaos bringen müssen und wie ich gerade gesehen habe, ist das bei Ihnen nicht der Fall. Wenn Sie anderer Meinung sind: bitteschön. Falls Sie wissen, was Sie tun, wird Karlhammer Sie nach seiner Genesung sicherlich befördern. Falls nicht ...«

Der Söldner schien etwas Wütendes erwidern zu wollen, doch sein Mund klappte nur kurz auf und wieder zu. Zurück blieb ein grimmiger Gesichtsausdruck. Freunde würden sie wohl nicht werden, aber das hatte Filio auch gar nicht vor.

»Das hätten wir also geklärt. Dann tun wir jetzt, was getan werden muss. Sind Sie mit dem Störsendersystem vertraut?«

»Ich weiß von seiner Existenz.«

»Gut. Wissen Sie, wo sich die Ingenieure und Wartungsleute befinden, die dafür zuständig sind?«, fragte sie und der Söldner deutete auf einen der vielen Arbeitsbereiche, über dem ein Kran schwebte.

»Sagen Sie Ihnen, dass einer der Störsender ausgegraben und zerstört wurde. Es müsste derjenige sein, der sich in direkter Linie zwischen dem Eingang, durch den die beiden Agenten und der Soldat hereingebracht wurden, und McMurdo befindet. Die Lücke im Störfeld muss als allererstes geschlossen werden, verstanden?«

»Verstanden«, erwiderte der Söldner, rückte seine Panzerweste zurecht, die hauteng über seinem Muskelshirt saß und schnappte sich sein Gewehr vom Boden, bevor er in Richtung des abgetrennten Ingenieursbereichs lief, auf den er zuvor gedeutet hatte.

»Hey, Soldat«, rief sie ihm hinterher und er hielt inne, um sich ihr zuzuwenden.

»Hm?«

»Ihr Name?«

»Treuwald.«

»Danke, Treuwald.« Sie nickte ihm ein letztes Mal zu und lief in den östlichen Korridor, wo sie beinahe mit einer dunkelhaarigen Frau zusammenstieß, die gerade aus einer angrenzenden Tür gestolpert kam.

»Huch«, machte sie, als sie sich im letzten Moment mit ausgestreckten Armen aneinander abfedern konnten.

»Wo geht es zur Zentrale?«, fragte Filio und die Frau runzelte kurz die Stirn, bevor sie den Korridor hinab deutete.

»Die dritte Tür links.«

»Danke.« Ohne ein weiteres Wort lief sie unter dem warmen Licht der Deckenleuchten durch den Gang und zählte die Türen. Bei der dritten klopfte sie an das kalte Panzermetall.

Nichts geschah.

»Ist da jemand drin?«, rief sie laut, doch niemand antwortete ihr.

»Suchen Sie jemanden?«, fragte eine Stimme von rechts und Filio sah in das Gesicht eines jungen Mannes in schwarzem Overall, der ein wenig gehetzt dreinblickte und eine Keycard durch den Schlitz neben der Tür zog.

»Ja. Diesen Raum«, erwiderte sie und zog die Tür auf, um hineinzugehen, noch bevor sein Protest erfolgte.

»Warten Sie!«, rief er, doch sie stand bereits in dem rechteckigen, schmucklosen Raum mit den mit Displayfolie ausgekleideten Wänden und den vielen Schreibtischen. Es gab ein Dutzend Feedbackstühle, über die sich AR-Elemente bedienen ließen und auf sechs von ihnen saßen Männer und Frauen in schwarzen Overalls und gestikulierten hektisch.

»Sie dürfen nicht hier drin sein«, protestierte der Mann, der ihr unfreiwillig die Tür geöffnet hatte.

»Doch, das darf ich. Ich leite die Marsmission und Karlhammer ist auf dem Weg zur Krankenstation.«

»Was?«

»Karlhammer wird so schnell keine Durchsagen mehr machen, aber ihre Kollegen dort«, sie deutete auf die besetzten Feedbackstühle, »dürften das bereits wissen. Es gibt einiges zu tun, wenn wir nicht wollen, dass der Feind weitere Agenten einschleusen kann. Das wollen wir doch nicht, oder?«

»Der Feind?«, fragte der junge Mann und riss die Augen auf, als habe er den Teufel selbst gesehen. »Er war hier?«

»Ja. Er hat versucht, Xinth zu töten, und vielleicht hatte er damit auch Erfolg.«

»Xinth? Oh mein Gott.« Vor den Augen ihres Gegenübers schien die ganze Welt zusammenzustürzen und sie durfte es jetzt nicht übertreiben, sonst würde er noch schreiend davonlaufen.

»Wir kriegen das hin, hören Sie ...« Filio sah auf sein Namensschild, das ihn als Jonathan Bateman auswies. »Bateman. Wir müssen jetzt schnell und entschlossen handeln und das bekommen wir hin, wenn wir zusammenarbeiten. Kriegen wir das hin?«

Der junge Operator nickte mit bebenden Lippen. Seine Augen waren noch immer geweitet, doch er schien sich langsam wieder zu beruhigen.

»Also gut, Bateman«, sagte sie und deutete auf einen der freien Stühle. »Legen Sie los. Können Sie mich hören, wenn Sie eingestöpselt sind?«

»Mhm.« Bateman nickte eifrig und warf sich auf einen der freien Plätze, bevor er eine Datenbrille aus einer Halterung davor riss und sie sich auf den Kopf schob.

»Was haben Sie von hier aus alles unter Kontrolle?«, fragte sie und betrachtete die Displayfolien, die sämtliche Wände verdeckten und auf denen allerlei Kamerabilder, Diagramme und Zahlenfolgen hin und her flogen, so schnell, dass man es nur mit Datenbrillen erfassen konnte.

»So gut wie alles«, antwortete Bateman und schien viel fokussierter, seit er die Brille auf dem Kopf hatte. »Kameras, Klima- und Atmosphäresteuerung, sämtliche elektronischen Geräte der Belegschaft – suchen Sie sich etwas aus.«

»Wie viel Personal gibt es?«

»Achthundert.«

»Achthundert?«, fragte sie überrascht. »Wie groß ist die Anlage?«

»Hundertvierzigtausend Quadratmeter mit sämtlichen Räumen auf allen Ebenen.«

»Meine Güte«, hauchte sie und versuchte, sich diese unglaublichen Zahlen in konkreten Räumen vorzustellen. Es wollte ihr einfach nicht gelingen. Filio schüttelte sich und legte Bateman eine Hand auf die Schulter. »Wie viele Eingänge gibt es zur Pyramide?«

»Zwei, von denen wir wissen.«

»Von denen Sie wissen?«

Bateman zuckte mit den Schultern. »Karlhammer war sich nie sicher, ob Xinth uns wirklich alles verrät. Er hat uns von Anfang an nur Stück für Stück ins Vertrauen gezogen.«

»Also gut, funken Sie das Sicherheitspersonal an. Die werden ja einen Vorgesetzten haben, der noch lebt, oder?«

»Ja, Captain Brown. Ihm unterstehen zweihundert Mann.«

»Gut. Sagen Sie ihm, dass er jeweils ein Drittel seiner Leute an einem der Eingänge postieren soll. Das letzte Drittel wird aufgeteilt an den sensibelsten Punkten: Krankenstation und Zentrale.«

»Und Ebene Null«, schlug Bateman vor.

»Ebene Null?«

»Wo sich das Marsprojekt befindet.«

Das Marsprojekt, dachte Filio und konnte ihrem Drang, ihn über diese Ebene auszuquetschen, nur mit Mühe widerstehen. Sie musste sich daran erinnern, dass es jetzt und hier wichtigere Dinge gab.

»Also gut, schließen Sie Ebene Null mit ein.«

Bateman begann zu gestikulieren und ziehende und wischende Bewegungen mit seinen schlanken Fingern zu vollführen.

»Schicken Sie außerdem ein Team als Begleitschutz für Treuwald, einen von Captain Browns Männern mit. Er ist mit Technikern auf dem Weg nach draußen, um einen defekten Störsender zu reparieren. Da es sich um einen Störsender handelt, schätze ich nicht, dass Sie von hier sehen können, welcher davon defekt ist?«

Bateman schüttelte den Kopf.

»Also gut. Als Nächstes brauchen wir ein Team, das die Toten identifiziert und durchgibt. Sie sollen an einem zentralen Platz gesammelt werden. Sie wissen besser als ich, wo das sein sollte. Sämtliches medizinisches Personal, das noch nicht auf der Krankenstation ist, soll sich dorthin begeben. Es gibt doch sicher Mitarbeiter, die für Katastrophen wie einen Brandfall besonders geschult wurden, oder? Gut. Funken Sie die an, sie sollen dafür sorgen, dass alle Verletzten zur Krankenstation gebracht werden. Mitarbeiter mit Ersthelferausbildung sollen ebenfalls mitkommen.«

»Verstanden«, sagte Bateman und wurde in seinen Gesten noch ein wenig eifriger.

»Haben wir Kontakt nach draußen?«

»Ja, über Satellit.«

»Wurde bereits Verstärkung angefordert?«, fragte sie.

»Ja, durch den Evakuierungsbefehl wurde automatisch das Hauptquartier informiert.«

»Gut, sagen Sie denen, dass wir so viel Feuerkraft wie möglich brauchen. Ich schätze, dass Sie noch mehr von diesen Söldnern auf der Gehaltsliste haben, oder?«

»Das ist korrekt. Es wird aber dauern. Die größten Kontingente befinden sich in Südafrika und Indonesien.«

»Wie lange?«

»Schwer zu sagen. Die mobilen Eingreiftruppen mindestens fünfzehn Stunden.«

»Das ist lange«, meinte sie und rieb sich mit einer kalten Hand über die Stirn. »Aber es wird gehen müssen. Die Ingenieure sollen einen Weg finden, die Zugänge zu verbarrikadieren, sobald das Team von dem Störsender zurück ist. Als Nächstes müssen wir sicherstellen, dass die Versorgung mit Trinkwasser und Nahrungsmitteln weiterläuft. Captain Brown soll für die Verteilung sorgen.«

Filio betrachtete den jungen Mann und seufzte. »Können Sie mich über ein Lautsprechersystem mit der gesamten Basis verbinden, damit man mich überall hört?«

»Ja, das ist kein Problem«, sagte Bateman abwesend, ohne in seinen Gesten innezuhalten. »Sie können sprechen.«

»Hier spricht Filio Amorosa. Ich befinde mich aktuell in der Zentrale. Der Evakuierungsbefehl wurde rückgängig gemacht. Es gab einen Eindringling, der versucht hat, den Erbauer zu ermorden. Der Eindringling wurde ausgeschaltet, doch Luther Karlhammer und der Erbauer befinden sich in der Krankenstation und die Ärzte kämpfen aktuell um beider Leben. Es besteht aktuell keine akute Gefahr mehr für Ihre Sicherheit. Halten Sie sich in Sicherheitsfragen an die Ansagen von Captain Brown und seinem Personal und leisten Sie ihnen Folge. Um Ihre medizinische Versorgung wird sich bemüht. Bleiben Sie ruhig und professionell.« Filio überlegte. Was sie als Nächstes sagen würde, war ein Risiko, aber sie musste improvisieren. »Sie sind die Besten der Besten, darum sind Sie für dieses Projekt ausgewählt worden. Mr. Karlhammer erwartet von Ihnen, dass Sie diese Professionalität auch jetzt unter Beweis stellen. Unsere Mission hier unten ist noch nicht beendet und wir lassen uns von dem Feind nicht an unseren Zielen und Idealen hindern. Sie erhalten Ihre Befehle aus der Zentrale. Halten sie zu jeder Zeit Kontakt mit mindestens einer anderen Person und leisten Sie sämtlichen Durchsagen zügig Folge. Amorosa Ende.«

Sie tippte Bateman an, der daraufhin die Verbindung trennte.

»Was denken Sie?«, fragte sie den Operator nachdenklich.

»Ich denke, dass es ein Glücksfall ist, dass Sie hier sind. Wer auch immer Goulds Ersatz ist, hat entweder gerade eine Panikattacke oder ist dem Feind zum Opfer gefallen«, gab Bateman zurück, ohne in seinen Gesten innezuhalten. Es kam ihr beinahe vor, als rede sie mit einem Roboter.

»Sie wissen nicht, wer hier die Nummer Zwei ist?«

»Nein. Es ist nicht so, als wären beim Dienstantritt Organigramme verschickt worden. Die ganze Sache ist so geheim, dass wir tausende Unterschriften leisten mussten und jedes Ferngespräch mit der Familie überwacht wird. Außerdem: Mr. Karlhammer ist nicht gerade dafür bekannt, dass er überhaupt jemandem Befugnisse erteilt, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.«

»Wo wir gerade über Karlhammer sprechen ... er sagte mir, dass ich mir einige Aufzeichnungen anschauen solle, die er von der Mars One Mission abgefangen haben will?«

Batemans Kopf wandte sich ganz langsam zu ihr herum und er hob mit einer Hand die Brille so weit an, dass er zu ihr aufsehen konnte. Ihr entging nicht, dass seine Finger leicht zitterten. Als sich ihre Blicke trafen, zuckte der junge Mann zusammen.

»Ich weiß nicht ...«

»Schon klar, Sie wissen von nichts«, fuhr Filio ihn ungehalten an. »Können wir uns diese Scharade bitte sparen? Ich muss wissen, was dort vor sich gegangen ist. Außerdem würde ich wohl kaum von der Existenz des Materials wissen, wenn Karlhammer mir nicht davon erzählt hätte, oder? Denken Sie nach!«

Als Bateman wieder den Mund öffnen wollte, hob sie mahnend einen Zeigefinger in seine Richtung. »Ich habe mit Xinth ... gesprochen, kurz bevor er ohnmächtig geworden ist und was er mir gezeigt hat, muss mit den Daten abgeglichen werden, die wir von der Mars One haben. Also, zeigen Sie sie mir!«

Es klopfte an der Tür, bevor der Operator etwas erwidern konnte und sie sah ihn fragend an. Er machte eine Geste und auf einem rechteckigen Bereich der Displaywand zeigte ein gestochen scharfes Kamerabild einen müden Pano Hofer, der vor der Tür stand und ungeduldig in die Kamera starrte.

»Das ist Capitano Hofer«, sagte sie. »Lassen Sie ihn herein und zeigen Sie mir die verdammten Daten.«

Ich muss es wissen, dachte sie immer wieder und dieser eine Satz verfestigte sich in ihrem Inneren wie ein Mantra.

 

 

 

 

 

3. Mars, 2039, gestohlene Aufzeichnungen der Human Foundation

»Hey Javier«, rief Filio ihrem Kameraden zu, der sich gerade mit dem Wartungspanel abmühte, das sich rot gefärbt von dem weißen Zylinder des Kilopower-Kernreaktors abhob. Der ragte vor dem spanischen Astronauten auf wie eine kleine Litfaßsäule, die bereits von ersten Sandschwaden bedeckt war.

»Hm?«

»Wie lange brauchst du noch?« Filio sah zu ihrem Rover hinüber, dessen Dach aus Solarzellen in der Sonne glänzte und den falschen Eindruck vermittelte, es könnte tatsächlich warm sein außerhalb ihrer Anzüge.

»Du willst mich doch nicht drängen, während ich gerade an einem Kernreaktor herumhantiere, oder?«, fragte Javier über Funk, nahm die Platte ab und begann Eingaben auf dem kleinen Display vorzunehmen, das sich dahinter befand.

»Das ist doch eher ein kleines Reaktorchen«, erwiderte sie gut gelaunt, als sie von einer zweiten Verbindung unterbrochen wurde.

»Hey, hier ist Timothy. Der Sandsturm im Osten hat sich deutlich schneller gelegt als erwartet und wir sollten in der nächsten Stunde wieder halbwegs gutes Wetter bekommen.«

»Verstanden, Command«, antwortete Filio dem Protokoll entsprechend und sah zu, wie Javier die Klappe gerade wieder verschloss.

»Auch der hier läuft nach Plan. Ich denke, wir können die Überprüfungsintervalle ruhig ein wenig verringern.«

»Nein, wir machen das nach Protokoll«, beharrte sie. »Sobald wir eine Sache schleifen lassen, lassen wir auch eine zweite Sache schleifen und das endet nie gut.«

»Meinetwegen. Fahren wir zurück?«

Statt zu antworten winkte Filio ihn Richtung Rover, den sie bereits erreicht hatte, und zog die Tür zur Fahrerkabine auf. Als sie beide Platz genommen und das Heulen des kalten Windes ausgesperrt hatten, fuhren sie in westliche Richtung davon.

»Check mal EDIs Navigationsdaten. Nicht, dass der Sturm noch immer für Interferenzen im Netzwerk sorgt«, schlug Javier vor. Er saß am Steuer und lenkte über die steinige Marsoberfläche hinweg Richtung Basislager, das sich zwei Meilen entfernt in einer Basalthöhle befand. Ab und zu versperrten größere Felsbrocken, die sie umfahren mussten, ihren Weg, was dafür sorgte, dass sie nur langsam vorankamen.

»Hm, EDI empfängt offenbar ein Signal aus dem Osten.«

»Einer von uns?«, fragte der Spanier.

»Ich glaube nicht. Es ist vierzig Kilometer entfernt«, erwiderte sie. »Command, hier ist Rover Eins. Seht ihr dieses Signal, auf das EDI hinweist?«

»Hier Timothy, ja, wir sehen es auch und haben schon bei Mission Control angefragt, bekommen aber keine Verbindung. Offenbar sind die atmosphärischen Interferenzen aufgrund des Sturms noch zu stark.«

»Kann das jemand von uns sein?«

»Negativ. Ihr seid die Letzten, die draußen sind, der Rest ist bereits in der Basis angekommen.«

»Vielleicht ein abgestürzter Satellit?«, schlug Javier vor. »Oder eine unserer Aufklärungsdrohnen, die runtergefallen ist?«

»Das Signal entspricht nicht den Transpondercodes unserer Drohnen, aber ausschließen kann ich es auch nicht«, antwortete Timothy und seine Stimme schwankte kurz in einem Anfall statischen Rauschens.

»Sollen wir nachsehen? Unsere Akkus sind voll aufgeladen und das Bordsystem schätzt unsere Fahrzeit auf etwa zwei Stunden. Da sich die Signalquelle direkt unter einer hohen Felsklippe befindet, halten wir uns genau auf der richtigen Seite auf, um sie ohne Umwege erreichen zu können«, schlug Filio vor.

»Ich sehe mir gerade die letzten Satellitenbilder an. Das Signal ist von uns aus zwar nicht auf den Meter genau lokalisierbar, da wir noch immer keinen Livekontakt mit dem Orbit herstellen können, aber wenn mich nicht alles täuscht, ist es in der Nähe des Monolithen.«

»Du meinst den rechteckigen Felsbrocken, der von der Klippe gestürzt ist?«

»So die Theorie. Da die letzte Aufnahme vom Mars Reconnaissance Orbiter aus dem Jahr 2005 stammt, ist das schwer zu sagen«, gab Timothy über Funk zurück. »Wie dem auch sei: Wenn ihr die Signalquelle gefunden habt, könnt ihr von dem Monolith-Ding auch gleich ein paar schicke Fotos machen, damit wir den Eierköpfen daheim eine Freude machen.«

»Verstanden«, erwiderte sie und beendete die Verbindung.

Javier drehte den Rover um einen großen braunen Hinkelstein und sie fuhren mit hoher Geschwindigkeit zurück Richtung Osten. Der Staubsturm war am östlichen Horizont als eine Art dunkle Wand zu sehen – Schwarz, körnig und wegen der ständigen Blitze flackernd. Glücklicherweise hatte es sich nicht um einen der gefürchteten globalen Superstürme gehandelt, die bisweilen die halbe Marsoberfläche bedeckten. Der feine Staub des roten Planeten schmirgelte alles glatt und setzte sich selbst in die bestgeschlossensten Ritzen der Geräte – dadurch wurden Außeneinsätze so gut wie unmöglich. Unmöglich wurden auch die Sichtverhältnisse, da man Objekte nur noch in wenigen Metern erkennen konnte.

Anders als auf der Erde gab es auch deutlich heftigere Blitze. In dem vorbeigezogenen Sturm, dessen hintere Ausläufer sie jetzt betrachteten, konnte man aus dem Orbit mehrere hundert Blitzschläge gleichzeitig messen.

Die Fahrt führte sie an einer langen Hügelkette vorbei, hinter der sie in den Rückspiegeln noch die Spitze der Mars One sehen konnten, die hoch aufgerichtet wie bei ihrem Start halbverlassen dastand. Seit sie in die Modulbasis in den Vulkanhöhlen umgezogen waren, um sich besser vor der heftigen Strahlung des Mars zu schützen, wurde sie nur noch als Arbeits- und Forschungsbereich genutzt.

Sämtliche Missionsmitglieder beteiligten sich akribisch an der Pflege ihres Raumfahrzeugs, weil es ihr einziger Weg zurück zur Erde war, die von hier aus nicht viel mehr als ein weiterer der vielen Sterne am Himmel war. Sie strahlte ein wenig heller als die anderen, aber das war‘s auch schon.

»Das Signal sendet auf sämtlichen Frequenzbändern«, erklärte Filio, und jedes gesprochene Wort wurde automatisch an EDI in der Basis und von ihr als Backup an die Satelliten im Orbit übermittelt.

»Spricht eher für einen abgestürzten Satelliten. Die integrierten Bergungsbarken tun das doch, oder?«, meinte Javier. Seine Stimme knackte und knisterte in der Übertragung.

»Schon möglich.« Filio klang entspannt. »Sehen wir nach. Eine kurze Fahrt wird nicht schaden und vielleicht können wir uns vorm Zubereiten des Abendessens drücken.«

»Scheiße, wir sind ja heute dran.«

»Oh ja«, schaltete sich Timothy aus der Zentrale ein. »Wir warten gern auf euch, haben ohnehin nicht so viel Hunger. Oder Leute?«

Aus dem Hintergrund waren Gelächter und laute Sprüche zu hören, die sich allerdings im Funk überschnitten und zu Störgeräuschen führten.

»Sehr nett von euch. Wir werden die Signalquelle sehr genau untersuchen«, drohte Filio scherzhaft und die Basis klinkte sich wieder aus.

»Was denkst du, warum wir keinen Kontakt zu den Satelliten mehr haben? Jetzt, wo der Sturm abgezogen ist, sollten sie uns doch antworten, oder?«, fragte Javier, während er sie über ein Feld mit faustgroßen Regolithsteinen steuerte und die Armaturen ratterten.

»Schwer zu sagen. Vielleicht sind die höheren Atmosphärenschichten noch zu stark aufgeladen?«

»Hmpf. Ich weiß es nicht. Aber wir hatten doch auch einen Tag nach unserer Landung einen Sturm und da hatten wir zwar Interferenzen, aber keinen Kontaktausfall. Außerdem sendet EDI noch immer und hat sie schon per Laser angepeilt. Sie sind noch da oben.«

»Nun, einer von ihnen offenbar nicht mehr«, entgegnete sie.

»Offensichtlich.«

Sie fuhren weiter über die rot-braune Ebene aus lockerem Sediment, das von dem leichten Wind aufgewirbelt wurde. Etwa in Kniehöhe wallte eine Art Dunstschicht aus Staub Richtung Osten. Sie sah aus wie schmutziger Bodennebel, und schien von der sich entfernenden Sturmfront geradezu angesogen zu werden. Aus dem Orbit sah es beinahe aus, als wandere die Marsoberfläche dem Sturm hinterher.

Nach etwa zwei Stunden erreichten sie die etwa vierhundert Meter vor ihnen aufragende Steilklippe nordöstlich des Olympus Mons, in dessen Nähe sich ihre Station unter der Oberfläche befand. Bei ihr handelte es sich um eine Art Abbruchkante der darüber liegenden Ebene, von der ständig größere Brocken abfielen und als riesenhafte Hinkelsteine am Fuß der Erhebung liegenblieben.

Noch vor allem anderen sahen sie den Monolithen, der dort hochaufragend und mit perfekt gleichförmigen Kantenlängen stand. Es bedurfte keines zweiten Blickes um zu erkennen, dass es sich bei dem Gebilde nicht um etwas Natürliches handelte, wie nach den übermittelten Kamerabildern des Mars Reconnaissance Orbiters im Jahr 2005 vermutet worden war. Damals war die Auflösung der aus über zweihundert Meilen Entfernung aus dem Weltraum aufgenommenen Bilder zu schlecht gewesen, um es mit Sicherheit sagen zu können. Doch dieser Monolith war so symmetrisch und seine Kanten so scharf umrissen, dass es keinen Zweifel geben konnte.

Javier parkte ihren Rover etwa zehn Meter entfernt und sie stiegen langsam, geradezu behäbig aus.

»Meine Güte«, funkte Filio atemlos. Ihre Stimme echote in ihrem Helm und setzte sich durch den Funk fort, was ihr einen geisterhaften Klang verlieh.

Vorsichtig näherten sie sich dem Monolithen, der etwa sechs Meter hoch und zwei Meter breit war. Während Javier ein Gerät nach vorne hielt und Werte von seinem Helmdisplay ablas, ging Filio ein Stück näher und legte eine Hand auf die anthrazitfarbene Oberfläche.

»Hey, warum müssen Frauen immer alles anfassen?«, fragte Javier und holte zu ihr auf.

»Wir fassen nicht alles an«, widersprach sie. »Nur interessante Dinge, darum gehen viele Männer auch leer aus.«

»Sehr witzig. Das Ding strahlt übrigens, aber nur wenige Dutzend Millisievert, was bei den allgemeinen Strahlungswerten hier draußen auch keinen großen Unterschied mehr macht. Heilige Scheiße, das Ding ist wirklich hier, oder?«

»Ja«, hauchte Filio, über den Funk kaum hörbar. »Es ist wirklich hier.« Sie machte einige wischende Bewegungen auf der glatten Oberfläche.

»Keine Staubablagerungen, nichts.«

»Nanonische Oberfläche?«

»Ich weiß es nicht. Es ist jedenfalls extrem glatt, wenn nicht einmal der Marsstaub darauf haftet«, sagte sie und klopfte sich auf den linken Arm, was die braune Schmutzschicht darauf in eine kleine Wolke verwandelte. Einen Augenblick später war das Weiß ihres Raumanzugs an dieser Stelle wieder beigefarben.

Ihr Kopf wandte sich wieder dem fugenlosen Material zu, das dort an sich nicht sein durfte.

»Ich fasse es nicht«, meinte Javier aufgeregt, während sie das Objekt umkreisten und von allen Seiten begutachteten. »Wir müssen das ins Labor bringen, um Untersuchungen anzustellen.«

»Ah-ah«, widersprach Filio. »Missionsprotokolle. Wir dürfen nichts mit reinnehmen, was zu einer Gefahr für die Station werden könnte.«

»Wie sollte das zu einer Gefahr werden? Es ist ein Monolith und dazu noch ein sehr flacher.«

»Er ist schon für sich genommen eine Gefahr, weil er ganz offensichtlich außerirdischen Ursprungs ist. Und wenn mein Messgerät nicht verrückt spielt, ist er exakt minus hundertdreiunddreißig Grad Celsius kalt, also genau die Umgebungstemperatur, was ...«

»Das wissen wir doch gar nicht, Filio«, meinte Javier und sah zu der Oberkante des Monolithen auf, über den die Sonne auf sie herabschien.

»Doch, das steht hier.« Sie hielt ihm das kleine Display entgegen, obwohl sie natürlich wusste, was er meinte. Als er den Kopf schüttelte, seufzte sie ergeben. »Wer soll denn sonst so ein Ding hierher stellen, wenn nicht Außerirdische?«

»Die Chinesen vielleicht? Wenn etwas Unwahrscheinliches eintritt, ist meist die wahrscheinlichste Erklärung zutreffend. Chinesen oder Außerirdische, was scheint dir logischer, hm?«

»Chinesen, die heimlich vor uns eine Mission zum Mars organisiert haben, ohne dass die Welt etwas davon mitbekam?« Filio drehte sich zum Rover um, der stoisch im leichten Wind stand und sich von dem kniehohen Staubnebel nicht beeindrucken ließ. Der Kontrast zwischen dem Fahrzeug mit seinen vielen Sensoraufbauten und den unzähligen Aufschriften verschiedener Konsortien, Behörden und Hersteller zu dem absolut ebenmäßigen, perfekt symmetrischen und gleichfarbigen Monolithen hätte größer nicht sein können und doch teilten sie eine zentrale Eigenschaft: Sie sahen künstlich aus und waren bereits auf den ersten Blick als Fremdkörper an diesem Ort erkennbar.

»Filio an Command, wir haben euren Monolithen gefunden, aber ... das ist kein Felsbrocken, der zufällig rechteckig ist«, funkte sie an die Basis.

Es rauschte und knackte kurz, dann meldete sich Timothy zu Wort: »Was meinst du? Was ist es dann?«

»Ich ... ich weiß es nicht. Es ist aber definitiv künstlichen Ursprungs.«

»Könnt ihr uns ein Foto senden?«

»Ja, warte«, sagte sie und hielt ihren Arm ein wenig nach vorne. Es piepte kurz und sie fuhr fort: »Habt ihr es bekommen?«

»Ja ... äh ... ja, Filio, wir sehen es gerade. Die anderen stehen alle hinter mir. Was zum Teufel ist das?«, erwiderte Timothy stockend.

»Das sieht aus wie das Ding aus Arthur C. Clarkes Büchern«, rief jemand anders in den Funk.

»Was sollen wir damit machen?«, fragte Javier.

»Wir müssen es zur Basis holen«, sagte Timothy ohne Umschweife.

»Aber das Protokoll ...«, wollte Filio einwenden, wurde aber von dem Piloten unterbrochen.

»Protokoll? Du machst wohl Witze. Dieses Ding dürfte gar nicht existieren und wir sind eine Forschungsmission«, meldete sich Strickland zu Wort. Die Forschungsleiterin der Mission klang klar und deutlich durch den Funk, was bedeuten musste, dass sie Timothy von dem Mikrofon verdrängt hatte. Sie klang aufgeregt und konnte kaum verbergen, dass sie nur mit Mühe an sich halten konnte. »Das ist eine Sensation. Mein Gott. Ein Artefakt? Was ist das? Gibt es eine Fuge, einen Knopf, eine Vertiefung ... irgendetwas?«

»Nichts, was wir erkennen könnten. Es strahlt ganz leicht radioaktiv, hat Javier gesagt«, antwortete Filio. »Ich kann es nicht erlauben. Die Missionsprotokolle sind eindeutig ...«

»Filio«, schaltete sich Strickland sofort wieder ein und seufzte so laut, als wäre sie nicht beinahe fünfzig Kilometer entfernt, sondern stünde direkt neben ihr. »Das ist etwas, was wir nicht ignorieren dürfen. Die Missionsprotokolle wurden niemals darauf ausgelegt, so ein ... Artefakt zu finden! Wir können das doch nicht einfach dort stehen lassen.«

»Wir können es aber auch nicht transportieren«, warf Javier ein und wandte sich zu Filio um. Sie standen dort zwischen dem Rover und dem Monolithen wie zwei winzige weiße Spielfiguren.

»Bitte, Filio. Wir müssen das näher untersuchen«, sagte Strickland, jetzt ein wenig beherrschter als zuvor.

Es gab eine längere Pause, in der nur das leichte Rauschen des Windes zu hören war, der im Funk knisterte.

»Also gut, du hast recht«, lenkte sie schließlich ein. »Bringt den Lastenrover mit dem Kran her. Wir haben noch sechs Stunden Tageslicht und damit Energie auf den Solarzellen. Packt Ersatzakkus ein, wir wissen nicht, wie schwer das Objekt ist.«

Über Funk war aufgeregtes Geschnatter aus der Basis zu hören.

»Wir sind schon unterwegs«, rief Strickland so laut, dass Filio unwillkürlich den Kopf zur Seite drehte, bevor sie sich umwandte und wieder den dunklen Monolithen betrachtete, der einen breiten Schatten über sie und Javier warf.

»Was bist du?«

***

Zwei Stunden später erreichte der Lastenrover die Fundstelle. Strickland und Timothy kamen herausgesprungen und mit dem typisch federnden Gang, der der geringen Schwerkraft des Mars geschuldet war, auf Filio und Javier zugelaufen. Aus dem Orbit sah es beinahe aus, als liefen vier weiße Männchen, deren Anzüge mit Helium aufgepumpt waren, inmitten der roten Einöde umher.

»Das ist ...«, setzte Timothy an.

»... fantastisch«, beendete Strickland seinen Satz und betrachtete einen Augenblick stumm den Monolithen.

»Ich weiß, dass das hier wirklich erstaunlich ist, vielleicht sogar beunruhigend.« Filio deutete auf das schwarze Rechteck und dann zu dem Lastenrover mit seinen zwei eingezogenen Kränen. »Allerdings müssen wir das Ding so schnell wie möglich in die Basis schaffen, bevor es dunkel wird und unsere Rover keinen Saft mehr haben.«

»Wir kümmern uns darum«, erwiderte Strickland sofort und lief zum Rover zurück, als habe sie Angst, dass Filio es sich doch noch anders überlegen könnte. Als Timothy sich zuerst nicht rührte, sondern nur reglos das Objekt anstarrte, packte sie ihn an der Schulter. »Mach schon, Timothy!«

Sie fuhren den Lastenrover etwas näher heran, während Javier den zweiten Rover Richtung Westen wendete und Abstand zwischen beide brachte.

Filio stand einige Meter entfernt und beobachtete, wie Timothy die Kransteuerung betätigte. Die beiden Greifarme sahen überaus schlank, geradezu fragil aus, konnten jedoch ein Vielfaches ihres Eigengewichts tragen, genau wie der verstärkte Rahmen und das wuchtige Dachgestell des Lastenrovers, der aussah wie eine gepanzerte Raupe.

Vier Stützen fuhren seitlich aus und bohrten sich in die Regolithschicht, dann packten die mechanischen Greifarme seitlich, ziemlich akkurat in der Mitte des Monolithen zu. Es war ein seltsam brachiales Geschehen vor dem Hintergrund einer so wichtigen Entdeckung, als passe beides einfach nicht zusammen. Alles an dieser Situation schien unwirklich, geradezu unlogisch, als müsse etwas Entscheidendes anders sein, um es denkbar erscheinen zu lassen.

Filio ging zu dem anderen Rover, während der Kran offenbar Mühe hatte, den Monolithen zu bewegen und kam mit einem kindskopfgroßen Handgerät zurück.

»Ich scanne die Oberfläche mal mit dem Laserabtaster ab«, verkündete sie über Funk und hielt den Scanner nach vorne.

»Ja, lass dir Zeit«, gab Timothy aus dem Führerhaus des Lastenrovers zurück. »Das Teil bewegt sich keinen Millimeter. Ich bin schon bei achtzig Prozent Leistung.«

»Ganz vorsichtig, beschädige auf keinen Fall den Kran«, schaltete sich Strickland ein, die einige Meter entfernt draußen stand und mit ihren Handflächen nach unten deutete, als versuche sie, das Objekt zu beruhigen.

»Hey Leute. Es gibt doch eine Fuge!« Filio sah auf ihr Gerät und bedeutete Timothy, mit den Greifarmen innezuhalten. Über seine Funkverbindung war das Jaulen der Servomotoren zu hören, das langsam abebbte.

»Wo?«

»An der flachen Seite. Sie ist winzig klein, darum konnten wir sie mit dem bloßen Auge auch nicht erkennen, aber es gibt eine Fuge.«

»Es gibt noch mehr als das«, verkündete Javier, und Filio und Strickland mussten sich kurz umsehen, bis sie ihn auf der anderen Seite des Monolithen entdeckten. Er kam gerade aus der Hocke und hielt eine ausklappbare Schaufel in der Hand. Die anderen kamen näher und sahen auf das kleine Loch, das er gegraben hatte.

»Du kannst die Greifarme wieder einfahren«, funkte Filio an Timothy.

»Wieso? Was habt ihr da gefunden?«

»Der Monolith ... es ... es scheint, als setze er sich unter der Oberfläche fort, und zwar seitlich.«

»Das heißt, es handelt sich gar nicht um einen Monolithen?«

»Ich weiß es nicht«, gab Filio zu. »Aber wie es aussieht, könnte das hier nur ein Teil sein, das aus der Regolithschicht herausragt. Wir brauchen mehr Gerät und mehr Zeit, um das hier freizulegen, und wir brauchen einen Myonen-Detektor. Was auch immer das hier ist, ich glaube, es ist weitaus größer, als wir angenommen haben.«

 

4. Pano Hofer, 2042

Filio zog sich die Datenbrille vom Kopf und atmete tief aus.

»Und?«, fragte Pano, der neben ihr stand und interessiert auf das breite Display an der Wand vor ihnen sah, auf dem das Satellitenbild der vier Astronauten vor dem Monolithen aus der Vogelperspektive zu sehen war. Die Darstellung war so nah dran, als hinge eine Kamera direkt über ihren Köpfen, und die Auflösung war ein wenig körnig, aber erstaunlich scharf.

»Es ist nicht zu fassen«, hauchte Filio und rieb sich die müden Augen.

»Ich schätze, Sie meinen nicht den Monolithen?«

»Ich sehe mich selbst und weiß, dass es eine Originalaufnahme ist, aber ich habe keinerlei Erinnerung, dort gewesen zu sein und all das gesagt zu haben.«, flüsterte sie abwesend.

»Ist schon seltsam«, befand Pano und reckte sein Kinn, um sich über die Bartstoppeln zu kratzen. Der dicke weiße Verband über seinem rechten Ohr schien vor seinen dunklen Augenringen im Profil geradezu zu leuchten. »All diese Satellitendaten und Funkaufzeichnungen sind seit drei Jahren hier und niemand hat etwas davon erfahren.«

»Er hat mein Leben zerstört, eine ganze Generation von Schatztauchern hervorgebracht, von denen neunzig Prozent ihr Leben weggeworfen haben auf der Suche nach einem Traum. Staaten und Organisationen haben sich in Kleinkriege in den Schatten geworfen, um an Wrackteile zu gelangen, nur weil sie nichts davon wussten.«

»Er muss einen Grund gehabt haben«, entgegnete Pano vorsichtig und warf ihr einen Seitenblick zu, den sie nicht zu bemerken schien.

»Natürlich hatte er den«, knurrte Filio. »Seine Leute müssen sich bereits vor der Mission in die Satelliten gehackt haben, um sie auf Knopfdruck unter ihre Kontrolle bringen zu können. Wäre das herausgekommen, wäre die gesamte Satellitensparte der Foundation am Ende gewesen.«

»Die Satelliten um den Mars stammen von der Human Foundation?«, fragte Pano überrascht.

»Ja. Sie haben in den Dreißigern eine neue Generation hochauflösender Kamerasysteme für Satelliten herausgebracht, die anhand der Bilder komplexe AR-Hologramme erstellen können. Dank einer von ihnen entwickelten Kompressionstechnologie für die Daten waren die Pakete klein genug, um sie mit der entsprechenden Verzögerung zwischen Marsorbit und Erde hin und her zu schicken. Oder sollte ich besser sagen: Von Xinth entwickelt?«

»Nun, da es sich dabei offenbar um eine vollkommen neue Technologie gehandelt hat, dürfte es leicht gefallen sein, eine Hintertür einzubauen.« Pano nickte und verengte seine Augen, während er das Standbild des Monolithen betrachtete. »Xinth hat Ihnen von dem Schiffswrack erzählt, vielleicht hat er schon Karlhammer zuvor davon berichtet und der hat das Signal dort platziert, damit Sie den Monolithen finden.«

»Sieht ganz danach aus. Xinth wusste offenbar selbst nicht, was genau wir dort finden würden. Hortats Schiff, ja, aber nicht, was der Fund auslösen würde.«

»Denken Sie, dass es sich bei dem Monolithen um ein Teil des Schiffs handelt?«

»Ja.« Filio nickte. »Ich denke, dass durch die Millionen Jahre Sedimentverschiebungen der Großteil des Schiffes unter der Regolithschicht liegt. Es ist ohnehin ein Wunder, dass es noch dort ist.«

»Wieso?«

»Vulkane, Beben, Stürme – suchen Sie sich etwas aus. Der Mars ist, wie die meisten anderen Gesteinsplaneten auch, in ständiger Bewegung, selbst in einem nach kosmischen Maßstäben überschaubaren Zeitraum von sechzig Millionen Jahren. Ich hätte eher damit gerechnet, dass das Schiff durch Erosion, sich verschiebende Gesteinsschichten, Zerfall der Materialien zerstört ist. Am meisten aber wundert mich, dass der Monolith frei dalag.« Sie deutete auf das Standbild. »Ich frage mich allerdings, was das ist.«

»Eine Heckflosse?«

»Ein Raumschiff muss nicht aerodynamisch gebaut werden, braucht also auch keine Heckflosse.«

»Warum sehen Sie nicht in den Daten nach?« Pano tippte mit dem Finger die Datenbrille in ihrer Hand an.

»Die Daten sind von Interferenzen zerhäckselt. Das nächste intakte Paket ist mehrere Stunden älter. Ich werde mir die Analysedaten anschauen, brauche aber eine kurze Pause«, seufzte sie, legte die Datenbrille auf dem kleinen Schreibtisch vor sich ab und rieb sich ihre pochenden Schläfen. Nach einem langen Seufzer sah sie seitlich zu Pano hinüber, der noch immer auf das Bild starrte, als würde es ihm mehr verraten, als das bloße Auge sehen konnte. »Wie geht es ihr?«

Pano wandte seinen Blick von den drei Astronauten und dem Monolithen ab und sah Filio in die Augen. Er gab sich Mühe, seine Sorgen aus ihnen fernzuhalten, doch es fiel ihm schwer.

»Sie wird okay sein«, sagte er schließlich mehr zu sich selbst, als zu ihr. Es war, als müsse er sich selbst davon überzeugen, dass er recht habe. »Sie wird okay sein.«

»Die Operation, sie ...«

»Sie hat sechs Stunden gedauert und sie wird nur sehr langsam aus der Narkose geholt. Es sind jetzt ...« Pano überlegte kurz. »Etwa zwölf Stunden und der Arzt meinte, dass wir in etwa zu dieser Zeit absehen können, ob sie die Thrombozytenfabrik eingesetzt bekommen kann. Sie sind doch Ärztin – ist das wirklich so schwierig?«

»Nun, ein operativer Eingriff bedeutet immer großen Stress für das gesamte System Körper«, sagte sie etwas ausweichend. »Wäre sie ausreichend stabil, hätten sie ihr das Implantat direkt während der OP eingesetzt, genügend Operateure standen jedenfalls zur Verfügung. Das bedeutet, dass sie lieber die sichere Variante gewählt haben, um zu sehen, wie sie sich von dem ersten Eingriff erholt. Wenn ihr Zustand es zulässt, werden sie die Thrombozytenfabrik einsetzen und dann ist sie schnell über den Berg!«

»Ich hoffe, dass Sie recht haben.« Pano suchte in dem Gesicht der Astronautin nach entsprechenden Hinweisen, konnte allerdings nichts als Ehrlichkeit erkennen. Er zweifelte ohnehin daran, dass sie überhaupt fähig war, sich nicht allzu technisch und korrekt auszudrücken. Sie kam ihm wie eine Frau vor, die keine Geduld für Umwege hatte und das galt ganz offensichtlich auch für ihre Art zu sprechen, wenn sie auch nicht so schroff und zackig daherkam wie Agatha.

»Hoffe ich auch.«

»Sind Sie sicher, dass es eine gute Idee ist, vorerst hierzubleiben?«

»Ja, weil es keinerlei Alternativen gibt«, antwortete Filio ohne Umschweife. »Es gibt hier zu viel Personal, als dass wir sie mit den drei Helikoptern ausfliegen könnten. Außerdem wissen wir nicht, was uns in McMurdo erwarten würde.«

»Und die Störsender? Funktionieren die wieder?«

»Zumindest sagte man mir das. Ich werde mich gleich darum kümmern, aber zuerst gehe ich die restlichen Daten durch.« Filio nahm wieder die Datenbrille zur Hand und beäugte sie mit verzogenen Mundwinkeln wie einen missliebigen Gegenstand. Pano hatte das Gefühl, dass sowohl Neugier als auch der Wunsch wegzulaufen, hinter ihren Augen miteinander um die Vorherrschaft stritten.

»In Ordnung. Ich gehe zu Agatha und Karlhammer und ... zu ihm und sehe nach, wie der aktuelle Status ist«, verkündete er und klopfte der Deutschen freundschaftlich auf die Schulter. Obwohl er sie noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden kannte, hatte er das Gefühl, dass sie einander durch die unfassbaren Ereignisse dieses Tages viel näher gekommen waren, als manche es in vielen Leben tun konnten. Es war ein zutiefst unrealistisches Gefühl, aber niemand hatte jemals gesagt, dass Gefühle realistisch zu sein haben, vor allem nicht er.

Filio nickte und schob sich die Datenbrille auf den Kopf. Einen Augenblick später machte sie bereits fließende Bewegungen vor sich in der Luft und betätigte die virtuellen Bedienfelder ihrer Simulation.

Panos Blick ruhte noch einen Moment auf ihr, während er sich vorzustellen versuchte, was ihr wohl durch den Kopf gehen musste, während sie sich selbst zuhörte und zusah, ohne den geringsten Anhaltspunkt in ihrer Erinnerung zu haben, dass es sich wirklich um sie handelte. Wie musste es sich anfühlen, einem Satelliten vertrauen zu müssen, weil man seinem eigenen Gehirn nicht mehr traute?

Schließlich wandte er sich ab und verließ den kleinen Kontrollraum, dessen mit Displayfolie ausgekleideten Wände von Schreibtischen umgeben waren, an denen noch ein Dutzend weiterer Mitarbeiter der Human Foundation in roten Uniformen saßen und stumm in ihren virtuellen Umgebungen arbeiteten. Es sah aus wie die Szene aus einem Stummfilm.

Durch einen Gang erreichte er Kaverne Eins, die riesenhafte Halle mit der hohen Decke, in der Jackson angeblich den Erbauer, der später aus irgendwelchen Gründen zu seiner Kammer und dem Glaskasten gebracht worden war, gefunden hatte. Ein weiterer Gang brachte ihn zu einem breiten Flur, von dem sechs Räume abgingen, vor die Metalltüren eingebaut worden waren, die sich so stark von dem Gestein unterschieden, dass sie geradezu danach schrien, Fremdkörper zu sein.

Die ersten vier Räume waren für Patienten der improvisierten Krankenstation reserviert, die hinteren beiden waren ein OP-Saal und ein Lager.

Direkt vorne links lag Karlhammer, der in künstlichem Koma gehalten wurde, soweit er es verstanden hatte. Rechts lag der Erbauer, vor dessen Tür, genau wie vor der des Südafrikaners, zwei Bewaffnete standen und grimmig geradeaus starrten.

»War der Doktor schon bei ihr?«, fragte er einen von ihnen und der Mann nickte.

»Danke.« Pano musste sich noch immer daran gewöhnen, nur auf seinem bezeichnenderweise tauben Ohr zu hören, in das er sein Hörgerät wieder eingesetzt hatte. Die Entscheidung, sein gesundes Ohr zu opfern, um den Mann im schwarzen Anzug zu erschießen, war ihm nicht schwergefallen, weil er in dem Moment nicht darüber nachgedacht hatte. Aber er bereute es keine Sekunde. Glücklicherweise lebte er in einer Zeit, in der es medizinische Lösungen für dieses Problem gab, wenn er auch nie wieder wie ein Mensch würde hören können. Doch darüber konnte er sich später noch Gedanken machen.

Er klopfte kurz an die dritte Tür von links, auf der eingestanzt »Zimmer 3« geschrieben stand und schob vorsichtig die Tür auf.

Agatha lag in einem der vier Betten, wobei die anderen drei leer waren. Die Wände waren mit weißen Panels abgedeckt, an denen allerlei Hebel und Griffe zu sehen waren. Einige Monitore piepten in langen Intervallen hinter ihrem Kopf und lieferten die typischen Hintergrundgeräusche eines Krankenhauses, die in jedem Menschen den Wunsch weckten, wegzulaufen.

»Hey«, krächzte Agatha müde und Pano kam überrascht näher.

»Ich habe gar nicht gesehen, dass Sie wach sind.«

»Das liegt wahrscheinlich ... wahrscheinlich daran, dass ich meine Augen kaum aufbekomme«, meinte sie schwach. Es war ihm irgendwie unangenehm, sie so schutzlos zu sehen, wo sie doch sonst immer so taff und unerschütterlich wirkte. Pano hatte das Gefühl, einen Fehler im Universum zu sehen, den er allein dadurch real werden ließ, dass er ihm aufgefallen war.

»Wie fühlen Sie sich?«

»Als hätte ich mir in die Milz geschossen.«

Er lächelte und deutete ein Kopfschütteln an. »Ah ja, Sie sind es wirklich noch.«

»Da ich hier liege und nicht tot bin, gehe ich davon aus, dass Sie diesen Kerl im schwarzen Anzug ausgeschaltet haben?«

»Da können Sie Gift drauf nehmen.«

»Haben Sie welches dabei?«, fragte sie mit einem schwachen Lächeln, das er augenzwinkernd erwiderte, als er sich auf ihre Bettkante setzte.

»Ich würde Sie aktuell nicht hinunterstoßen.«

»Hm?«, fragte er verwirrt.

»Von der Bettkante.« Sie hob schwach ihre linke Hand, deren Rücken mit einem Pflaster bedeckt war, unter dem die Zugänge für die vielen Beutel mit Flüssigkeiten gelegt waren, die an Gestängen über ihr hingen. »Allerdings liegt das eher an meinem Zustand, nicht, dass Sie sich noch etwas einbilden.«

»Hey, ich habe, glaube ich, den Tag gerettet, ich dachte, ich bekomme wenigstens die Prinzessin als Dankeschön, wie am Ende jeder guten Geschichte«, scherzte er.

»Ich glaube nicht, dass das hier eine gute Geschichte ist«, entgegnete sie schleppend. »In einer guten Geschichte hätte ich noch eine Milz, Sie noch ein funktionierendes rechtes Ohr, mein Gehirn mehr Antworten als Fragen und ... nun, ein Fenster wäre auch nicht schlecht.«

»Falls es einen Kundenzufriedenheitsbogen der Örtlichkeit gibt, werde ich ihn entsprechend ausfüllen«, versprach er und reichte ihr eine verschlossene Tasse mit Strohhalm. Vorsichtig führte er sie zu ihren aufgesprungenen Lippen und steckte den Strohhalm dazwischen. »Langsam.«

Agatha sog gierig das lauwarme Wasser ein und nickte. Als er daraufhin die Tasse wieder fortnahm, schlug sie dankbar die Augen nieder und seufzte langgezogen. »Das ist besser. Der Doktor meinte bereits, dass ich von der Intubation einen rauen Hals bekommen könnte. Ich kann Ihnen sagen, dass das eine Untertreibung war. Er fühlt sich an, als wäre er mit Schmirgelpapier bearbeitet worden.«

»Das liegt wahrscheinlich daran, dass so häufig harte Worte aus Ihrer Luftröhre kommen.«

»Sie betteln ja förmlich um eine Kostprobe«, konterte sie und einen Moment sahen sie sich still an, bevor sie zu kichern begannen.

Nach wenigen Augenblicken, in denen sich Agatha leicht schüttelte, hob sie abwehrend ihre Hände, was sie viel Kraft zu kosten schien.

»Lachen ... keine gute Idee«, krähte sie heiser und nahm erneut einen Schluck aus dem Becher, als er ihn ihr hinhielt. »Was ist passiert? Wie viel Zeit ist vergangen?«

»Zwölf Stunden«, sagte er ohne Umschweife und Agatha machte große Augen, die sofort wieder kraftlos in sich zusammenfielen. »Filio Amorosa hat irgendwie das Kommando übernommen, glaube ich.«

»Die Astronautin mit dem gehetzten Gesichtsausdruck?«

»Ja. Karlhammer liegt ein Zimmer weiter, dieses ... Alien oder was auch immer es ist, liegt gegenüber und Gould, der offensichtlich der Leiter dieser Einrichtung gewesen ist, hat es nicht geschafft. Sie hat einfach gesagt, was getan werden muss und die Leute haben es getan.« Pano zuckte mit den Schultern.

»Sollten wir nicht von hier verschwinden?«

»Geht nicht. Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es im Keller ein Wundergerät, das man gerade anschalten wollte, bevor wir die ganze Sache ruiniert haben.«

»Wir haben diesen Killer eingeschleust, ohne es zu wissen.« Agatha seufzte frustriert.

»Ja. Glücklicherweise weiß das offenbar niemand außer jenen, die in der Kammer des Erbauers anwesend waren, als es herausgekommen ist – und von denen sind alle entweder tot oder nicht ansprechbar.«

»Wie konnten wir das übersehen?«, fragte Agatha und rieb ihre spröden Lippen aufeinander wie poröse Steine. Pano fand, dass es sehr sexy aussah, zwang sich aber, ihr in die Augen zu schauen, damit sie nichts davon mitbekam.

»So wie ich das sehe, hat dieser fremde Kerl nicht fair gespielt.« Er machte eine wegwerfende Geste. »Jetzt ist er jedenfalls tot.«

»Wie hat der das bloß gemacht?« Agathas Blick schien in weite Ferne abzuschweifen, als sehe sie etwas, das niemand sonst sehen konnte.

»Keine Ahnung, aber es war ...«

»... beängstigend.«

»Ja. Ich habe genau das getan oder nicht getan, was er gesagt hat, ohne auch nur darüber nachzudenken. Es war fast, als schaue ich mir selbst beim Handeln zu. Ich glaube nicht, dass ich mich schon einmal so schrecklich gefühlt habe.«

»Wie gut, dass dieser Kerl nicht wusste, dass Sie auf dem einen Ohr taub sind«, meinte Agatha und schaute seinen dicken Verband an. »Wie geht es Ihnen?«

»Halb so wild«, log er. Die Schmerzen hatte er sich selbst eingebrockt, weil er nach seiner rudimentären Behandlung darauf bestanden hatte, lediglich ein sanftes Analgetikum einzunehmen. Doch er musste einen klaren Verstand bewahren, da er den Gedanken nicht loswurde, dass er ihn brauchen würde.

»Ohne Sie hätten wir es nicht geschafft.«

»Ach ...«

»Keine Bescheidenheit. Steht Ihnen nicht.« Ein kaum merkbares Schmunzeln umspielte ihren Mund. Dann war es wieder fort. »Was denken Sie? War das der Feind?«

»Ich glaube nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Vermutlich eher einer seiner Agenten.«

»Wenn einer seiner Agenten alleine so etwas ausrichten kann, will ich nicht wissen, wie viele es davon gibt.«

»Wir haben ihn besiegt, wir können das auch noch einmal schaffen.«

Agatha musterte ihn einen Moment eingehend und wirkte bedrückt – ein Gesichtsausdruck, den er bei ihr bisher noch nie wahrgenommen hatte. »Er war uns die ganze Zeit auf den Fersen. Er hat diese Entführer vom südafrikanischen Geheimdienst ausgeschaltet, als wir in Mulmesbury aus dem Hangar kamen. Er war es auch, der uns irgendwie nach McMurdo gefolgt ist und dafür gesorgt hat, dass wir ein Sechs-Stunden-Blackout haben. Ich denke auch, dass er derjenige war, der Jacksons Frau getötet hat, um uns auf den Plan zu rufen.«

»Wir waren Spürhunde, die für ihn Karlhammer und sein kleines Geheimnis erschnüffelt haben«, stimmte Pano ihr zu und brummte. Er hasste es, benutzt zu werden – ein Umstand, der ihm bei Europol schon eine Menge Ärger eingebracht hatte, weil die meisten Abteilungsleiter und Direktoren nichts anderes waren als Politiker mit Exekutivgewalt.

»Ja«, krächzte Agatha, lehnte einen weiteren Schluck Wasser jedoch kopfschüttelnd ab. »Es ist beschämend und gleichzeitig beängstigend, wie leicht es ihm offenbar gefallen ist.«

»Was haben Sie erwartet? In diesem Spiel spielen Außerirdische, mächtige Organisationen und die Regierungen mächtiger Staaten mit, wie es aussieht. Es grenzt an ein Wunder, dass wir es überhaupt hierher geschafft haben.«

»Ich denke, dafür hat dieser Mann im schwarzen Anzug schon gesorgt. Das eine Mal, als es brenzlig wurde, hat er eingegriffen und unsere vermeintlichen Gegner einfach ausgeschaltet. Wer weiß schon, an welchen Stellen er uns noch unter die Arme gegriffen hat, ohne dass wir es wussten?«, gab sie zu bedenken.

»Die ganze Reise hierher fühlt sich retrospektiv so an, als hätten wir jemanden hinter uns hergezogen wie ein Ochse, der nichts von dem Karren weiß ...«

»... vor den er gespannt wurde«, beendete Agatha seinen Satz und er sah auf.

»Hm?«

»Was ist, wenn wir nicht bloß vom Feind verfolgt wurden, der dafür gesorgt hat, dass wir ungehindert unsere Ermittlung durchführen können, sondern uns jemand vor seinen Karren gespannt hat?«, fragte sie und kniff verschwörerisch ihre Augen zusammen.

»Aber das macht doch keinen Sinn«, gab er zurück und schnaubte. »Wenn jemand uns hierher gestoßen hätte, hätte der- oder diejenige doch wissen müssen, dass es hier etwas gibt, dann hätte man uns kaum vorschicken müssen.«

»Oder jemand wusste, dass es irgendetwas geben muss, und brachte uns auf die Fährte, um zu erschnüffeln, worum es sich handelte.« Agatha brummte unglücklich. Das Funkeln in ihren Augen ließ keinen Zweifel, was sie davon hielt, sollte ihre Befürchtung der Wahrheit entsprechen.

Pano lauschte einen Moment den hypnotischen Pieptönen der medizinischen Überwachungsapparate, an die sie angeschlossen war und jagte ihre Gedanken durch seinen Kopf. Heraus kam ein ungesundes Gemisch aus Zweifeln, Befürchtungen und Verschwörungstheorien, das sich leicht entzünden konnte. Am liebsten hätte er nicht näher hingesehen, doch es hatte ihm noch nie gut gestanden, sich vor Fakten zu verstecken.

»Meinen Sie, dass der Feind dahintersteckte?«

»Möglich.« Agatha nickte. »Direktor Miller hat uns die Sache mit Jackson gegeben. Ich bin seine beste Ermittlerin und das weiß er auch. Im Nachhinein ist es seltsam, dass er mich auf eine, auf den ersten Blick unwichtige Sache, wie das Ableben von Jacksons hinterbliebener Frau ansetzte.«

»Sie glauben, dass er von dieser ganzen Sache wusste und uns wie Ratten auf die Spur angesetzt hat, um den Käse zu erschnüffeln?«, fragte er und hob eine Augenbraue.

»Scheint logisch, oder nicht? Im Nachhinein wundert es mich auch, dass er uns so schnell und einfach über die südafrikanische Grenze zur Marinebasis in Namibia hat ausfliegen lassen. Glauben Sie mir, wäre er den Schritt über das Pentagon gegangen, dann hätte die Sache wirklich lange gedauert und über CIA-Verbindungsoffiziere abgewickelt werden müssen. Da hängen so viele Politiker dazwischen, dass Ihnen schwindelig wird. Nein, ich glaube, dass Miller direkt dort angerufen hat, bei einem persönlichen Kontakt und das bedeutet, dass seine Finger deutlich weiter reichen, als ich für möglich gehalten hätte.«

»Was ihn nicht per se verdächtig macht«, wandte er ein.

»Nicht per se«, stimmte sie zu und schnalzte mit der Zunge. »Aber in Kombination mit der Tatsache, dass er meine Bitte ohne viel Nachfragen einfach akzeptiert hat und auch im Nachhinein keine Fragen gestellt hat, wundert mich doch. Ich kenne den Direktor nur als einen Paragrafenreiter und Protokollfetischisten, der nichts mehr hasst, als die Pfade des Lehrbuchs zu verlassen und sich vor irgendwelchen Ausschüssen rechtfertigen zu müssen. Für diese Aktion wird er sich ganz sicher vor einem Ausschuss rechtfertigen müssen, wenn nicht gar vor der Ministerin.«

»Ich traue da Ihrem Urteil«, versicherte Pano und nickte langsam. Es entsprach der Wahrheit. Sie mochte manchmal ein menschlicher Roboter sein, aber immerhin waren Roboter nicht dafür bekannt, sich in Verschwörungstheorien und haltlosen Fantastereien zu verstricken.

Die Tür ging auf und ihre Köpfe ruckten gleichzeitig in einer scheinbar einstudierten Bewegung, die von misstrauischen Reflexen geleitet wurde, in Richtung der Person, die eintrat. Es handelte sich um einen Pfleger in weißem Kittel, der ein DIN A4 großes Terminal unter dem Arm hatte und für einen Moment verschreckt wirkte ob der ihn fixierenden Blicke.

»Äh, hallo, ich bin Tim, Ihr Pfleger.« Der junge Mann mit dem zerzausten braunen Haar deutete auf Agatha, die ihn heranwinkte. Doch der Pfleger rührte sich nicht. Stattdessen sprach er weiter: »Mr. Karlhammer ist wach und hat um Ihrer beider Anwesenheit gebeten.«

»Karlhammer?«, fragten Pano und Agatha gleichzeitig und sahen sich überrascht an.

»Ja. Die ersten beiden OPs waren erfolgreich. Er wird in Kürze in künstliches Koma versetzt, wollte jedoch vorher mit Ihnen sprechen.« Der Pfleger stellte sich mit dem Rücken an die geöffnete Tür, sodass der Durchgang zum Flur frei wurde und deutete hinaus.

»Können Sie überhaupt laufen?«, fragte Pano Agatha und sah sie besorgt an.

»Ich denke schon. Irgendjemand ist, bevor Sie kamen, bereits mit mir auf der Toilette gewesen.«

»Ihr Kreislauf ist relativ stabil, aber ich schlage trotzdem vor, dass Sie den Rollstuhl benutzen.« Der Pfleger deutete hinter das Bett und Pano musste sich ein wenig zur Seite beugen, um den elektrischen Rollstuhl zu sehen.

»Sie hat einen Bauchdurchschuss erlitten«, protestierte er.

»Alles ist vernäht, die Mikrophagentherapie ist bereits eingeleitet und in ein paar Tagen ist Ihre Kollegin wieder einsatzbereit«, erklärte Tim, rollte mit den Augen, als Pano ihn mit offenem Mund anstarrte, und stieß sich von der Tür ab, um auf sie zuzukommen, das Bett zu umrunden und den Rollstuhl näher ans Bett zu schieben.

»In ein paar Tagen? Sie muss mindestens eine Woche ... und was ist bitte eine Mikrophagentherapie?«, grunzte Pano und stand auf, als der Pfleger im Begriff stand, ihn mit dem Rollstuhl anzurempeln.

»Helfen Sie mir mal«, forderte der ihn auf und gemeinsam hievten sie eine ziemlich unglücklich dreinschauende Agatha in weißem OP-Kittel in den Rollstuhl mit den gepolsterten Armlehnen, an deren Enden sich kleine Steuersticks befanden. Sie so hilflos zu sehen, irritierte Pano, also musterte er den Pfleger, der sie gerade festschnallte.

»Also?«

»Hm?«

»Mikrophagen? In ein paar Tagen wieder laufen? Wie soll das gehen?«, fragte er ungeduldig.