Das geduldige Herz - Toni Waidacher - E-Book

Das geduldige Herz E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Der letzte Ton der Mondschein-Sonate verklang. Thomas Burger verharrte einen winzigen Moment, um dann mit einem strahlenden Lächeln aufzustehen und den Applaus des Publikums, das bis zum Schluß andächtig gelauscht hatte, entgegenzunehmen. Dankend nahm er den Blumenstrauß in Empfang, den eine Verehrerin ihm auf die Bühne hinaufreichte. Der junge Konzertpianist verbeugte sich und bezog mit einer Handbewegung die Mitglieder des Symphonieorchesters ein, das ihn begleitet hatte. Dieser Konzertabend war der glanzvolle Abschluß einer Tournee, die den Künstler durch mehrere Städte Europas geführt hatte. Noch zweimal holte der tosende Beifall Thomas auf die Bühne zurück, bevor er endlich, müde und erschöpft, Frack und Fliege ablegen konnte. Alberto Moreno, Thomas' Agent, reichte ihm ein Glas Champagner. »Du warst, wie immer, großartig«, sagte der Italiener. »In allen Kulturbeilagen der Tageszeitungen werden sie von dir berichten. Du bist auf dem Höhepunkt deiner Karriere. Jedes Konzerthaus reißt sich um dich. Ich habe Anfragen aus New York, Chicago und Rio. Du kannst jede Gage verlangen.« »Im Moment verlange ich nur meine Ruhe«, entgegnete der Dreißigjährige. »Für die nächste Zeit will ich keinen Konzertsaal mehr sehen. Die Tournee war anstrengend, und ich möchte nur noch Urlaub haben.« »Natürlich«, gab Alberto mit einem Nicken zurück.

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Der Bergpfarrer – 433 –

Das geduldige Herz

Toni Waidacher

Der letzte Ton der Mondschein-Sonate verklang. Thomas Burger verharrte einen winzigen Moment, um dann mit einem strahlenden Lächeln aufzustehen und den Applaus des Publikums, das bis zum Schluß andächtig gelauscht hatte, entgegenzunehmen. Dankend nahm er den Blumenstrauß in Empfang, den eine Verehrerin ihm auf die Bühne hinaufreichte. Der junge Konzertpianist verbeugte sich und bezog mit einer Handbewegung die Mitglieder des Symphonieorchesters ein, das ihn begleitet hatte.

Dieser Konzertabend war der glanzvolle Abschluß einer Tournee, die den Künstler durch mehrere Städte Europas geführt hatte.

Noch zweimal holte der tosende Beifall Thomas auf die Bühne zurück, bevor er endlich, müde und erschöpft, Frack und Fliege ablegen konnte. Alberto Moreno, Thomas’ Agent, reichte ihm ein Glas Champagner.

»Du warst, wie immer, großartig«, sagte der Italiener. »In allen Kulturbeilagen der Tageszeitungen werden sie von dir berichten. Du bist auf dem Höhepunkt deiner Karriere. Jedes Konzerthaus reißt sich um dich. Ich habe Anfragen aus New York, Chicago und Rio. Du kannst jede Gage verlangen.«

»Im Moment verlange ich nur meine Ruhe«, entgegnete der Dreißigjährige. »Für die nächste Zeit will ich keinen Konzertsaal mehr sehen. Die Tournee war anstrengend, und ich möchte nur noch Urlaub haben.«

»Natürlich«, gab Alberto mit einem Nicken zurück. »Das kann ich verstehen. Aber, wir dürfen auch nicht zuviel Zeit bis zum nächsten Engagement verstreichen lassen. Jetzt wollen die Leute dich spielen hören.«

Thomas legte ihm den Arm auf die Schulter. Alberto Moreno hätte sein Vater sein können, und so ähnlich war auch die Freundschaft, die die beiden Männer verband. Der junge Pianist wußte, was er dem »alten Hasen« im Musikgeschäft verdankte.

»Du kannst mir noch soviel Zucker aufs Brot streuen«, lachte er. »Überreden wirst’ mich net.«

»Mama mia! Hör’, um Himmels willen, mit diesem fürchterlichen Dialekt auf.«

Alberto verdrehte die Augen.

»Du redest ja wie ein Bauer.«

»Was glaubst’ denn wohl«, erwiderte Thomas. »Ich komm ja aus einer Bauernfamilie. Mei’ Großvater war einer, der Vater ebenso, und mei’ Bruder hat den Hof übernommen. Bauer sein, ist ein ehrenwerter Beruf.«

»Das bestreite ich ja gar nicht. Aber du bist keiner. Du bist einer der berühmtesten Konzertpianisten der Welt, und mir stellen sich die Haare auf, wenn ich dich so sprechen höre.«

»Na ja«, meinte der Pianist und schielte anzüglich auf den schmalen Haarkranz, der sich um den sonst kahlen Schädel seines Agenten zog, »soviel gibt’s ja net, was sich da aufstellen könnt’.«

»Du bist und bleibst ein frecher, großer Junge«, schimpfte der Ältere. »Los, zieh’ dich um. Die anderen warten schon. Das Orchester gibt einen Abschiedsempfang für dich. Außerdem habe ich großen Hunger.«

»Okay, ich beeile mich.«

»Wo wirst du deinen Urlaub verbringen?« fragte Alberto, als sie auf dem Weg in den Saal waren, in dem der Empfang stattfand.

Thomas Burger atmete tief ein.

»In der schönen Welt der bayerischen Alpen«, antwortete er. »Ich fahre nach Sankt Johann.«

»Sankt was…?«

Thomas knuffte den anderen freundschaftlich, der natürlich wußte, daß der junge Pianist aus dem Alpendörfchen stammte.

»Tu’ net so«, sagte er. »Du hast mich genau verstanden, net wahr. Also, unterlass’ deine Anspielungen auf meinen Heimatort. Sonst könnt’s sein, daß i’ mir einen and’ren Agenten such’.«

Alberto zog ein Gesicht.

»Mach’, was du willst«, erwiderte er und rang verzweifelt die Hände. »Aber tu’ mir einen Gefallen und red’ deutsch mit mir!«

*

Andrea Hofer lag mit verträumten Augen auf dem Liegestuhl, der auf der Wiese hinter dem Bauernhaus stand. Das dunkelhaarige Madel hatte Kopfhörer aufgesetzt, die mit einem tragbaren CD-Player verbunden waren, der neben ihr lag. Hingerissen lauschte sie dem Klavierspiel. Dabei stellte sie sich vor, wie sie in der ersten Reihe des Konzertsaales saß, und oben, auf der Bühne, stand ein großer schwarzer Flügel, mit einem schmalen Hocker davor, auf dem er Platz genommen hatte.

Ganz deutlich konnte sie sein Gesicht sehen. Die dunkelblonden Haare mit der Tolle, die ihm immer wieder ins Gesicht fiel, die rauchblauen Augen und der lächelnde Mund.

Genauso hatte er sie angesehen, damals, als er von ihr Abschied nahm. Zwölf Jahre war es jetzt her. Thomas war achtzehn gewesen und Andrea siebzehn. In Tränen aufgelöst, hatte sie dem Zug nachgeschaut, der ihn nach München ins Konservatorium brachte. Zuerst waren noch regelmäßig Briefe gekommen, in denen der angehende Pianist von der Ausbildung und seinen Fortschritten berichtete. Doch mit der Zeit wurden sie immer spärlicher, reduzierten sich, von drei Briefen im Monat, erst auf zwei, dann auf einen, und irgendwann blieben sie schließlich ganz aus.

Lange Zeit hörte Andrea gar nichts mehr von ihm, dabei hatten sie sich doch ewige Liebe geschworen. Dann, eines Tages, bekam das Madel zufällig eine Zeitschrift in die Hände, in der ein Artikel über Thomas Burger stand, der ein gefeiertes Debüt als Pianist gegeben hatte.

Andrea schnitt den Artikel aus und legte ihn in eine Mappe. Im Laufe der Zeit sammelte sie alles, was über Thomas zu lesen war – Konzertberichte, Kritiken, Preise und Auszeichnungen, die das junge Talent einheimste. Und tat es auch weh, nur noch aus Zeitungsausschnitten etwas über den Geliebten zu hören und zu wissen, daß er sie wohl längst vergessen hatte – Andrea wurde nicht müde, diese Ausschnitte zu sammeln und akribisch zu ordnen. Mit den Jahren wurde so ein dicker Ordner daraus, der in ihrem Zimmer, in einem Regal über dem Bett, stand. So manchen Abend hatte sie die Sammlung zur Hand genommen und darin geblättert, während sie der Musik lauschte. Seiner Musik, versteht sich, die sie sich von ihrem Erspartem gekauft hatte.

Ja, zuerst hatte es sehr weh getan. Doch inzwischen überwog der Stolz. Andrea freute sich über jeden seiner Erfolge, und vielleicht würde er ja irgendwann, eines schönen Tages zurückkommen…

»Na, träumst schon wieder?« wurde das junge Madel unsanft in die Wirklichkeit zurückgeholt.

Ihre Mutter stand neben dem Liegestuhl und hatte ihr die Kopfhörer heruntergezogen. Walburga Hofer war eine resolute Mittvierzigerin, die uneingeschränkt über den Berghof regierte. Selbst Anton, ihr Mann, kuschte vor der drallen Bäuerin, die einst, in jungen Jahren, als Magd auf den Hof gekommen war.

»Nun schaust aber, daß du die Bohnen pflückst«, sagte sie zu ihrer Tochter. »Anschließend holst die Eier aus dem Hühnerhof. Morgen kommt der Franz Hochanger mit seiner Mutter zum Kaffee. Da kannst gleich nachher noch einen Napfkuchen backen.«

»Ja, Mutter«, antwortete Andrea gehorsam und sprang auf. »Aber den Kuchen für den Franz, den versalz’ ich.«

Sie wußte nur zu gut, was dieser Bursch zu bedeuten hatte – während die beiden Mütter sich bei Kaffee und Kuchen unterhielten, scharwenzelte Franz um Andrea herum und versuchte, sie zum Tanzabend in den Löwen einzuladen. Seit zwei Jahren umwarb er sie jetzt schon, doch das junge Madel hatte jeden seiner Anträge standhaft abgewiesen.

»Ich weiß gar net, was du willst«, schimpfte die Mutter. »Beim Hochanger hättest’ dein geregeltes Auskommen, und der Franz ist doch ein fescher Bursche. Seine Eltern würden sich sofort aufs Altenteil zurückziehen, wenn du ihn endlich heiraten tät’st. Bist ja schließlich auch net mehr die Jüngste!«

Burgl Hofer schüttelte den Kopf. Sie verstand das Madel wirklich nicht.

»Ach geh, Mutter, wann ich heirat’, das bestimm’ ich selbst und auch wen«, gab die Tochter zurück und machte sich daran, die Sachen um den Liegestuhl wegzuräumen.

Ihre Mutter sah ihr hinterher, und ein leises Lächeln glitt um ihren Mund. Diesen Dickkopf, dachte sie nicht ohne Stolz, den hat sie von mir.

*

Sebastian Trenker wanderte am Rande der Landstraße entlang, als neben ihm ein Auto mit Münchener Kennzeichen anhielt. Der Pfarrer von St. Johann kam von einer Wanderung auf die Korber-Alm und hatte auf dem Rückweg einen Besuch auf dem Pachnerhof gemacht.

Es war eine dunkle Limousine, die am Straßenrand hielt. Die Fahrertür wurde geöffnet und ein junger Mann stieg aus.

»Grüß’ Gott, Hochwürden, wollen S’ ein Stück mitfahren?« fragte er.

Sebastian riß erstaunt die Augen auf, als er erkannte, wer da neben ihm gehalten hatte.

»Seh’ ich richtig, Thomas? Bist du’s wirklich?«

»Wie ich leib und lebe«, antwortete der junge Pianist lachend.

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände.

»Ich kann’s noch immer net glauben«, sagte der Geistliche, als er neben Thomas Burger in dessen Auto saß. »Wie lang’ bist’ net mehr zu Haus gewesen?«

»Zwölf Jahr’ werden’s jetzt. Ich wär’ ja schon längst gekommen, aber mir fehlte die Zeit. Wissen S’, die vielen Verpflichtungen, die Verträge und Auftritte.«

Sebastian sah ihn von der Seite an.

»Bist ja ein berühmter Mann geworden«, meinte er. »Aber, mir gefällt, daß du immer noch so redest, wie wir hier es tun.«

»Lassen S’ das bloß net meinen Agenten hören«, schmunzelte Thomas. »Dem stehen seine paar Haare zu Berge, wenn er mich so sprechen hört.«

Er deutete auf die Berge, Almwiesen und Tannenspitzen.

»Wenn ich auch in vielen Ländern der Welt gespielt hab’, das hier, das hab’ ich wirklich vermißt«, sagte er. »Mag sein, daß ich berühmt bin, aber verändert hat es mich net. Ich bin der geblieben, der ich war, als ich damals fortging. Und was den Ruhm angeht, da sind S’ ja net ganz unbeteiligt.«

Jetzt war es der Seelsorger, der schmunzelte. Da hatte Thomas wirklich recht, mit dem, was er sagte. Schließlich war er es gewesen, der das Talent des jungen Bauernsohnes erkannt und gefördert hatte. Schon mit dreizehn Jahren durfte Thomas auf der Orgel in Sankt Johann üben, wenn keine Messe war. Im Gegensatz zu seinem Bruder Wenzel, der musikalisch eher unbegabt war, schien Thomas ein angeborenes Gefühl für Melodien und Noten zu haben. Leicht glitten seine Finger über die Tasten, während das Te Deum wie ein Orkan durch das Kirchenschiff hallte.

Sebastian Trenker, der vom Talent des Jungen überzeugt war, nahm Kontakt zu Professor Meyerbrink auf, einem anerkannten Lehrer am Münchener Konservatorium. Der Professor kam und ließ Thomas vorspielen. Natürlich war sein Spiel noch nicht so perfekt wie heute, doch der Musikus erkannte, welch ein musikalisches Genie in dem Buben schlummerte, und bot ihm an, später, nach dem Abitur, bei ihm Unterricht zu nehmen.

Wenzel, der den väterlichen Hof übernommen hatte, zahlte dem Bruder dessen Erbteil aus, wodurch die Ausbildung in der Musikschule finanziell abgesichert war.

»Ich freu’ mich, daß ich dir damals den Anstoß dazu geben durfte«, wehrte der Pfarrer Trenker ab. »Alles andere ist ganz alleine deinem Können zu verdanken.«

Sie waren bei der Kirche angekommen. Der Geistliche bedankte sich für das Mitnehmen. Normalerweise wäre er die paar Kilometer zu Fuß gegangen, aber unter diesen besonderen Umständen war das natürlich etwas anderes.

»Ich wünsch’ dir einen schönen Urlaub«, sagte er zum Abschied. »Bestimmt freuen sich der Wenzel und die Sonja über deinen Besuch.«

»Die wissen’s noch gar net«, lachte Thomas Burger. »Die werden vielleicht Augen machen. Und ganz gespannt bin ich auf die Zwillinge. Ich kenn’ sie ja nur von Bildern.«

»Dann richte deinem Bruder und seiner Familie meine Grüße aus. Vielleicht hast’ ja mal ein bissel Zeit und besuchst mich in der Kirche, du weißt schon – wegen der Orgel.«

»Ich hätt’ schon noch gefragt, ob ich d’rauf spielen darf«, versicherte der Konzertpianist.

»Also, bis bald einmal.«

Sebastian winkte dem Davonfahrenden nach. Er freute sich über dieses unerwartete Wiedersehen und darauf, Thomas in der Kirche spielen zu hören.

*

Der Burgerhof lag wie an den Berg geschmiedet. An die zweihundert Jahre war er alt und hatte Generationen von Bergbauern hervorgebracht. Thomas hatte angehalten und war ausgestiegen. Sein Herz klopfte schneller, als er den väterlichen Hof nach all den Jahren wiedersah. Einiges hatte sich verändert, wie Wenzel es ihm mitgeteilt hatte. Thomas war zwar lange Zeit nicht hier gewesen, aber den Kontakt zu seinem Bruder hatte er, trotz aller Verpflichtungen, nie abreißen lassen. Wenigstens einige Male im Jahr hatte er sich telefonisch gemeldet. Jetzt freute er sich unbändig darauf, Wenzel und Sonja wiederzusehen. Und natürlich Phillip und Ann-Kathrin, von denen er nur die Stimmen kannte.

Als er durch die Hofeinfahrt fuhr, konnte er es sich nicht verkneifen, so lange zu hupen, bis die geschnitzte, bunte Tür des Bauernhauses aufgerissen wurde. Thomas erkannte sofort seinen Bruder, der in Hemdsärmeln und Hosenträgern herausstürmte.

»Ja, Herrschaftszeiten nochamol! Bist ganz narrisch geworden?« rief Wenzel Burger. »Du bringst mir ja die ganzen Küh’ durcheinander mit deinem Gehupe!«

Thomas hupte lachend noch einmal und fuhr Wenzel bis vor die Füße. Da die Abendsonne genau auf die Windschutzscheibe der Limousine fiel, konnte der Bauer nicht erkennen, wer hinter dem Steuer saß.

»Ja, was bist du denn für ein Hirsch, ein damischer?« schrie er und ruderte mit den Armen. »Jetzt fährt der Kerl mich doch glatt über den Haufen!«

»Der damische Hirsch bist du«, gab Thomas laut zurück, während er aus dem Wagen stieg. »Erkennst ja net mal deinen eigenen Bruder.«

»Thomas!«

Wenzel brüllte so laut, daß seine Frau angsterfüllt aus der Tür schaute. Die Zwillinge hatten sich hinter ihrem Schürzenzipfel verborgen. Erst als sie ihren Schwager erkannte, kam Sonja Burger lachend aus dem Haus gelaufen. Wenzel, der zuerst überhaupt nicht begriff, wie ihm geschah, wurde von Thomas herumgeschwenkt.

»Gell, da staunt ihr, was?« sagte der Jüngere, nachdem er den älteren Bruder und dessen Frau herzlich begrüßt hatte.

Die beiden schüttelten immer wieder die Köpfe. Sie konnten es kaum glauben.

»Phillip, Ann-Kathrin, kommt her, der Onkel Thomas ist gekommen«, rief Sonja ihren beiden Kindern zu, die argwöhnisch in der Tür stehengeblieben waren.

Die Zwillinge, sie waren fünf Jahre alt, kamen herausgelaufen. Natürlich erinnerten sie sich an den Onkel, der am Telefon immer so lustig war, und im Fernsehen hatten sie ihn auch schon gesehen. Allerdings hatte ihnen die Musik, die er da machte, weniger gefallen. Sie sangen lieber leidenschaftlich die Kinderlieder, die die Mama ihnen beibrachte. Ihre anfängliche Scheu legten sie aber schnell ab und hingen bald an dem Onkel wie zwei Kletten.

»Mensch, ist das eine Freude«, sagte Wenzel und schlug seinem Bruder begeistert auf den Rücken. »Sag’, wie lang’ kannst bleiben?«

»Ich hab’ mir vorgenommen, drei Wochen Urlaub zu machen«, erwiderte Thomas. »Und so lang’ möcht’ ich schon bei euch bleiben, wenn ihr noch ein Bett frei habt.«

»Du bekommst dein altes Zimmer«, erklärte Sonja. »Phillip, der jetzt darin schläft, quartieren wir so lang’ bei seiner Schwester mit ein.«

»Aber jetzt komm’ erstmal ’rein«, sagte Wenzel. »Du hast doch bestimmt Hunger, von der Fahrt. Und außerdem sind wir gespannt, net immer nur am Telefon zu erfahren, wie’s dir in den Jahren ergangen ist, die du nun fort bist.«