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Als der junge Arzt Jonas Keller in das abgelegene kleine Dorf kommt, um die Praxis von Doktor Altman zu übernehmen, spürt er sofort, dass hier etwas nicht stimmt. Das Dorf wirkt wie ausgestorben, von den Häusern bröckelt der Putz, kein Vogel zwitschert. Bei seinem Antrittsbesuch lernt er die todkranke alte Elvira kennen. Elvira händigt ihm den Schlüssel zu einer alten Familiengruft aus und bittet Jonas, das darin verborgene Geheimnis zu lüften, obwohl ihr Vater sie damals angstvoll beschworen hat, die Gruft niemals zu öffnen. Zusammen mit Amber, Elviras Enkelin, macht Jonas sich auf, die Bitte der alten Frau zu erfüllen. Damit beginnt eine lange Reise voller Gefahren, auf der Jonas und Amber es mit dunklen Mächten zu tun bekommen, die sie mit allen Mitteln daran hindern wollen, dem Geheimnis von Klosterfeld auf die Spur zu kommen. Doch da bekommen sie unerwartet Hilfe von den Wesen des Waldes, die selbst in großer Not sind … Ein fantasievoller Märchenroman über Mut, Tapferkeit und die Macht der Freundschaft.
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Seitenzahl: 805
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Prolog
Die Ankunft
Das Dorf
Die Gruft
Das Kloster
Die neuen Freunde
Der Rat der Weisen
Pfiffige Helfer
Die Stadt
Markt der Kuriositäten
Auf Erkundung
Gemeinsam stark
Heynrich
Das Wiedersehen
Die Baumwürger
Die kriechenden Moose
Die flüsternden Moore
Die Waldkatzen
Das Tal der verschwundenen Wölfe
Der Eiswolf
Eine Spur
Die Beichte
Die Schwarzspechte
Die Eiswächter
Kurze Rast
Vorboten
Fenja
Agathe
Der Rückweg
Der Abschied
Endlich zu Hause
Fröhliche Weihnachten
Nachsatz
Gut gelaunt und voller Tatendrang scheint die Sonne ins Tal und kitzelt Gräser und Knospen, um ihnen das Wachsen schmackhaft zu machen. Sie blickt nach Norden, Westen, Osten und nach Süden. Überall strecken sich die jungen Triebe, um etwas von ihrem Licht und ihrer Wärme zu erhaschen. Wie jedes Jahr erobern die kleinen Pflanzen ihr Herz und spornen sie an, den Frühling in alle Winkel dringen zu lassen, sodass auch der letzte Langschläfer aufwacht und seine Sprossen und Glieder ächzend in die Höhe reckt.
»Ja, so macht es Freude«, schwärmt die Sonne und strahlt voller Wonne.
Doch was muss sie da sehen? Ein Wesen, ihr wohl bekannt, liegt schnarchend auf der Veranda und lässt sich durch nichts beeindrucken.
»Na warte, dem werde ich es zeigen.« Sie sticht ihn mit einem ihrer für Mai schon recht kräftigen Strahlen mitten auf die Nase.
»Au! Das tut weh.« Jaulend windet sich der alte Hund.
»Steh endlich auf und ruf deinen Herrn, du Schlafmütze! Siehst du nicht die Besucher am Tor?«, ruft ihm neckisch die Sonne zu. Fred, der Hund, dreht sich zum Zaun und sieht dort eine Frau mit drei Kindern stehen. Freudig bellend rennt er ins Haus, um seinen menschlichen Rudelmitgliedern die aufregende Mitteilung zu machen, dass die langersehnten Gäste da sind.
Fred schaut liebevoll auf die kleinen Racker, kann sich aber ein leises Seufzen nicht verkneifen. »Aus ist es mit meiner Ruhe. Seit dem letzten Mal sind sie viel größer und ganz sicher noch viel schlauer geworden. Nicht auszudenken, was die Rasselbande diesmal mit mir anstellen wird.«
Die Großeltern begrüßen ihre Tochter, die ihre drei Kinder in die Ferien aufs Land gebracht hat.
»Leider kann ich nicht bleiben. Ich muss schnell wieder in die Stadt zurück. Tommi wartet auf mich«, verrät sie ihren Eltern, die sich suchend nach ihrem Schwiegersohn umgesehen hatten. Sie umarmt ihre Kinder und ermahnt sie, auf die Großeltern zu hören. Eilig setzt sie sich ins Auto und fährt los.
»Na, dann geht mal zu eurem Opa auf die Veranda und trinkt eine Limonade. Ich werde in der Zwischenzeit etwas Leckeres zu essen bereiten. Schließlich wollen wir nicht verhungern«, schlägt die Großmutter den Kindern vor, die am Gartentor stehen und ihrer Mutter nachsehen. Als der Großvater bemerkt, wie gelangweilt sich die Kleinen im Garten umschauen, legt er schmunzelnd sein Buch beiseite.
»Nun, ihr drei. Ihr meint wohl, hier bei uns auf dem Land ist nichts los. Aber ich verrate euch ein Geheimnis. Es war hier nicht immer so. Setzt euch her und hört gut zu, was ich euch zu erzählen habe. So, und jetzt schaut gut hin.« Mit geheimnisvollem Blick zeigt er auf eine hölzerne Uhr an der Wand mit nur einem Zeiger.
»Wendet euren Blick nicht ab, bevor er stehenbleibt«, flüstert er, als dieser beginnt, sich langsam rückwärts zu bewegen.
»Wir gehen auf eine Reise… eine Reise in eine längst vergangene Zeit.«
Jonas saß in einem Café und dachte über die Zukunft nach. Jetzt war es soweit. Nun hatte er also sein Medizinstudium mit Bravour bestanden und musste eine Entscheidung treffen. Die ganzen Monate hatte er die Gedanken daran beiseitegeschoben. Wie sollte es jetzt weitergehen? Die Pension mit der netten Wirtin, die ihre Zimmer günstig an Studenten vermietete, würde er wohl bald verlassen müssen. Viele seiner Studienkollegen hatten wohlhabende Eltern oder andere Verwandte, die sie unterstützten. Er selbst hatte sich sein Studium hart erarbeiten müssen. Für seine Unterkunft reichte das Geld nur noch kurze Zeit.
Jonas nippte nachdenklich an seiner Tasse, als nicht weit von ihm hämisches Gelächter erschallte. Neugierig drehte er sich um. Am Nachbartisch saßen zwei junge Männer. Ganz bestimmt kamen sie aus gutem Hause, obwohl man es an ihrem Benehmen nicht erkannt hätte. Sie trugen teure Kleidung und sorgfältig frisiertes Haar. Der Blonde und Größere von ihnen strotzte nur so vor Selbstgefälligkeit. Grinsend hielt er eine Zeitung in der Hand.
»Haha! Der Trottel hat aber Träume«, wieherte er und zeigte seinem Freund die Ausgabe.
»Ich möchte mal wissen, welcher auch nur halbwegs intelligente Mensch, der Medizin studiert hat, bereit sein sollte, sich an so ein Nest zu verschwenden. Und das sicher auch noch für wenig Geld«, stimmte sein dicklicher Freund zu. Sie standen auf und legten dem Kellner, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, Geld für die Mahlzeit hin. Dann griff der Blonde nach der Zeitung und warf sie achtlos in den Papierkorb. Die Tür fiel krachend hinter ihnen zu, als sie feixend das Café verließen.
Jonas fischte die zerknitterten Blätter wieder heraus und suchte nach dem Grund für das Gelächter.
Schon bald wurde er fündig. Auf der letzten Seite, ganz unten, stand eine markierte Anzeige:
Alter Landarzt sucht dringend Unterstützung. Welcher junge, engagierte Arzt möchte mir bei meiner Arbeit helfen und später die kleine Praxis übernehmen? Über Ihren Anruf würde ich mich sehr freuen.
Er schaute auf die Titelseite. Das Datum lag schon einige Monate zurück. Trotzdem riss er das Blatt heraus und ging zum Wirt.
»Darf ich mal das Telefon benutzen?«
Der Wirt nickte und zeigte zur Wand.
Während er noch nach den richtigen Worten suchte, wählte Jonas die angegebene Nummer. Nach kurzem Läuten ertönte am anderen Ende eine ruhige Stimme.
»Dr. Altman am Apparat«
Jonas stellte sich vor und erkundigte sich, ob die Stelle noch zu haben sei.
»Bisher habe ich noch niemanden eingestellt«, antwortete der Arzt überrascht.
»Oh, da habe ich ja Glück. Nur durch Zufall sah ich heute Ihre Annonce in der Zeitung. Würden Sie mir Ihre Anschrift verraten?« Dass die Ausgabe schon sehr alt war, überging Jonas höflich.
»Aber natürlich. Meine Praxis befindet sich in Klosterfeld. Wann möchten Sie denn vorbeikommen, junger Mann?«
»Gleich morgen früh würde ich losfahren, wenn es Ihnen recht ist. Dann wäre ich noch vor dem Abend bei Ihnen. Gibt es in der Nähe eine günstige Pension, in der ich übernachten könnte?«
»Kommen Sie doch erst einmal her, dann sehen wir weiter. Fahren Sie in Richtung Klostertal und biegen nach der Tankstelle links in den Weg ein, der Name ist auf dem Straßenschild sehr schlecht zu erkennen. Von da an sind es noch etwa eineinhalb Stunden Fahrt. Eigentlich ist es gar nicht mehr so weit, doch man kommt nur sehr langsam vorwärts, Sie werden schon sehen, warum. Wenn Sie im Ort angekommen sind, fragen Sie nach Dr. Altman. Ich erwarte Sie also morgen und wünsche Ihnen eine gute Anreise.«
Jonas stand noch ein Weilchen mit dem Hörer in der Hand da. Dieses Telefonat würde vielleicht sein Leben verändern. Aufgeregt bezahlte er seine Rechnung und verließ das Lokal, um gleich zu seiner Vermieterin zu gehen. Er wollte ihr unbedingt die gute Nachricht überbringen, dass er wahrscheinlich eine Anstellung gefunden hatte. In seinem Zimmer begann er sofort alles zusammenzupacken, damit er rechtzeitig losfahren konnte. Der alte Mann hatte so überrascht geklungen, da wollte er nicht gleich am Tag des Kennenlernens unpünktlich sein. Außerdem hatte er vor, sich auch den Ort genauer anzuschauen, solange es noch hell war. Schließlich würde er ja seine Zukunft dort verbringen, falls man sich einig wurde. Das Geld war nicht alleine ausschlaggebend. Viel wichtiger war ihm, ob er sich vorstellen konnte, dort glücklich zu werden. Nachdem seine Sachen verstaut waren und die Koffer bereitstanden, legte er sich ins Bett und schlief auch bald ein.
Dr. Altman lief geschäftig auf und ab und richtete die Räume seiner kleinen Praxis her. Der junge Arzt sollte einen guten Eindruck erhalten. Heutzutage, so schien es ihm, war den meisten Leuten das Geld viel wichtiger, als die Liebe zum Beruf. Bei diesem Anrufer aber hatte er irgendwie ein anderes Gefühl. Ein Leben lang hatte er sich um die Sorgen der Menschen in dieser Umgebung gekümmert. Tag und Nacht war er für sie da und es war weiß Gott nicht immer leicht gewesen. Die Bewohner von Klosterfeld waren äußerst misstrauisch und ernst. Ein neuer Doktor hätte es schwer. Dazu lag der Lohn weit unter dem, was in der Stadt verdient wurde.
Und da war noch etwas. Niemand sprach es aus, aber es war, als ob eine dunkle Wolke dieses Dorf überschattete. Kein Lachen drang durch die Straßen. Selbst die Blumen welkten bereits, noch bevor sie aufgeblüht waren. Trotzdem blieben er und seine Frau. Leider wurde ihnen das Glück, Kinder zu bekommen, nie gewährt.
Aber mit den Jahren hatte er ein Steckenpferd gefunden. Auf Märkten und Auktionen erstand er antiquarische Bücher aus der Gegend. Inzwischen konnte er eine beachtliche Sammlung sein Eigen nennen. Er hoffte so, eine Erklärung für die Geschehnisse im Ort zu finden. Nun war er alt und wollte rechtzeitig für einen Nachfolger sorgen. Schon seit Längerem hatte er bemerkt, dass seine Kraft nachzulassen begann. Bevor er sich aber zur Ruhe setzen würde, wollte er sich verstärkt um die Alten des Dorfes kümmern. Es hatte lange gedauert, bis sie endlich Vertrauen zu ihm gefasst hatten. Gewiss wäre es ihnen nicht recht, sich an einen neuen Doktor gewöhnen zu müssen…
Am nächsten Morgen klingelte der Wecker ungewohnt früh. Noch etwas benommen stieg Jonas aus dem Bett. Er war schon sehr gespannt, was heute auf ihn zukommen würde. Als er mit seinen Taschen die Treppe hinunterging, begegnete er der Wirtin. Sie hatte bereits den Tisch für ihn gedeckt.
»Komm her, mein Junge!« Beherzt drückte sie ihn an sich. »Setz dich und frühstücke noch ein letztes Mal mit mir. Ich habe dir auch etwas Proviant eingepackt. Es wird eine lange Fahrt und in der Gegend findest du bestimmt wenig Gelegenheit, in ein Lokal einzukehren.«
Als sie sich verabschiedeten, umarmte er sie herzlich. »Haben Sie vielen Dank für alles. Ohne Ihre Geduld und Großzügigkeit hätte ich mein Studium schnell aufgeben müssen.«
»Nun mach aber, dass du loskommst«, antwortete die Wirtin gerührt. Sie drehte sich weg und wischte sich unauffällig eine Träne aus dem Gesicht.
»Du willst doch nicht zu spät kommen. Möglicherweise bemerkt der alte Doktor deswegen gar nicht, was für ein Glück er hat. Also mach jetzt und steige endlich ein. Sonst vergesse ich noch, wie alt ich bin, und mache dir einen Heiratsantrag«, scherzte sie.
Lachend setzte sich Jonas in seinen alten Wagen, winkte noch einmal und fuhr zügig los. Schon nach kurzer Zeit hatte er die Stadt hinter sich gelassen. Nun fiel auch langsam die Aufregung von ihm ab. Stunde um Stunde verging. Die Landschaft rauschte nur so an ihm vorbei. Jonas sah auf die Uhr und schaltete das Radio ein, um sich wach zu halten.
Am späten Nachmittag erreichte er endlich die von Dr. Altman erwähnte Tankstelle. Jonas schaute sich unbehaglich um. Die Fensterscheiben waren wohl schon seit Ewigkeiten nicht mehr geputzt worden und auch sonst machte es hier einen ungepflegten, ja trostlosen Eindruck.
Nachdem er den Wagen vollgetankt hatte, ging er zur Kasse um seine Rechnung zu begleichen. Da er sehr hungrig war, bestellte er einen Kaffee und etwas Gebäck.
»Entschuldigung, bin ich hier richtig? Ich möchte zum Klostertal «, fragte er den Mann hinter dem Schalter.
»Was suchen Sie denn da?«
»Eigentlich wollte ich nach Klosterfeld. Dort habe ich eine Verabredung. «
»Oh, wenn Sie weiterfahren, kommt links ein Schild, an dem Sie abbiegen müssen.« Der Verkäufer beäugte ihn argwöhnisch. »Geben Sie genau acht, damit Sie nicht vorbeifahren. Es ist fast vollständig verblichen. Niemand will dort gerne hin. Und auch Ihnen gebe ich diesen Rat. Halten Sie sich dort nicht zu lange auf.« Er drehte sich wieder zu seinem Gesprächspartner, einem kleinen alten Herrn, der den Fremden ebenso neugierig musterte.
»Wissen Sie, wo es im Ort eine Herberge gibt?«, fragte Jonas, obwohl er nicht das Gefühl hatte, von ihnen eine vernünftige Auskunft zu bekommen.
»So etwas brauchen die da nicht«, antwortete der Verkäufer schroff, ohne sich noch einmal zu ihm umzudrehen. Nachdenklich trat Jonas vor die Tür. Warum verhielten sich die zwei nur so merkwürdig?
Er wollte gerade zurückgehen, um sie darauf anzusprechen, da entdeckte er die beiden am Fenster. Fast schon feindselig starrten sie ihn an. Also verwarf er die Idee und fuhr los. Noch im Rückspiegel konnte er die Männer sehen, die ihren Blick nicht von ihm abwandten. Wie sie ihm gesagt hatten, waren gleich nach der Biegung von Weitem die Turmspitzen des alten Klosters zu erkennen. Die mittelalterlichen Mauern standen hoch oben auf einem Berg und waren von dichtem Wald umsäumt. Seltsamerweise schien kein Weg dorthin zu führen. Jonas trat hart auf die Bremse. Fast hätte er das verwitterte Schild mit dem verblichenen Namen des Dorfes übersehen, denn es war gänzlich von Zweigen und Gestrüpp verdeckt. Er stieg aus, um die Äste fortzunehmen, und stutzte. Der zugewachsene Landweg war wohl noch schwerer zu befahren, als er befürchtet hatte. Jonas fuhr im Schneckentempo die schmalen, holprigen Fahrspuren entlang.
Hoffentlich war es kein Fehler gewesen, die Zelte in der Stadt so überstürzt abzubrechen. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Er stoppte. Sollte er vielleicht doch wieder umkehren? Verwundert bemerkte Jonas, dass er im Begriff war, genau das zu tun, was ihm die beiden Männer vorhin geraten hatten. So etwas sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Eigentlich machte er sich doch immer von den Dingen ein eigenes Bild. Entschlossen setzte er seine Fahrt fort. Schließlich hatte er dem alten Arzt versichert, dass er kommen würde. Dr. Altman war so freundlich zu ihm gewesen. Er hatte allen Grund, sich auf den Besuch zu freuen, dachte Jonas. Bald müsste er ja da sein. Kurz darauf drosselte er das ohnehin schon gemächliche Tempo und rieb sich die Augen.
Wurde er langsam müde oder lag es an der Dämmerung? Ihm war, als ob er schlechter sehen konnte. Die Luft schien trüber und das Grün der Bäume matter, je mehr er sich dem Dorf näherte. Immer wieder musste er anhalten und aussteigen, um Gestrüpp zur Seite zu räumen. Endlich, nach vielen Mühen, erreichte er das kleine Ortsschild am Eingang von Klosterfeld. Langsam rollte sein Wagen durch die Straßen.
Wie kahl und trist dieser Ort war. Die wenigen Bäume, die die Bürgersteige zierten, waren welk und ohne Kraft. Auch den Häusern fehlte es an Farbe. Überall bröckelte der Putz, als ob es sich nicht lohnte, sie zu erhalten.
Links von ihm erhob sich eine alte Holzbrücke, die schon einen recht morschen Eindruck machte. Wenig später entdeckte er eine kleine Kirche, deren Mauern aus Felsgestein ihr ein mittelalterliches Aussehen verliehen. Hier wurden die Straßen breiter, bis sie am Ende in einen großen Platz mündeten. Jonas parkte sein Auto und stieg aus. Nirgendwo war ein Schild mit einem Straßennamen zu sehen. Die Stille war unheimlich.
Jonas spürte ein leichtes Frösteln. Kein Vogel zwitscherte, keine Autos kreuzten die Straßen. Das Eigenartigste aber war, dass nicht eine Menschenseele zu sehen war. Es sah aus wie in einem Geisterdorf, das man in großer Eile verlassen hatte. Nur eine Krähe saß einsam auf einem Mast und starrte zu ihm hinunter. Ratlos setzte er sich wieder ins Auto. Gerade als er den Motor anlassen wollte, sah er eine gebückte Gestalt aus einem Haus kommen. Er stieg aus und ging freundlich lächelnd auf sie zu.
»Guten Tag, können Sie mir sagen, wie ich zu Dr. Altmans Praxis komme?«
Die greisenhafte Frau hob langsam ihren Kopf und sah ihn unendlich traurig an. Jonas wich erschrocken zurück. Ihr Körper war gramgebeugt, und mit matten Augen, die tief in ihren Höhlen lagen, schaute sie ohne jede Hoffnung ins Leere, als ob sie ihrer Seele beraubt worden wäre.
»Dort drüben, da ist der Doktor. Aber ich glaube nicht, dass er wirklich helfen kann.« Leise vor sich hin murmelnd schlurfte sie davon.
»Vielen Dank, aber ich brauche keine Hilfe. Ich hoffe nur…«, fing Jonas an. Daraufhin drehte sie sich um und starrte ihn reglos an. Einen kurzen Moment sah er etwas in ihren Augen aufblitzen, so als würde sie sich an etwas erinnern, das lange Zeit zurücklag, länger als ihr Leben. Dann sank sie wieder in sich zusammen und beachtete ihn nicht mehr. Jonas schaute ihr nachdenklich hinterher. Er ging zu dem Haus, das ihm die Frau beschrieben hatte. Ein altes Messingschild wies darauf hin, dass hier Dr. Altman seine Patienten willkommen hieß. Es musste erst vor Kurzem blank geputzt worden sein. Jonas nahm an, dass die Sprechstunde schon vorbei war, denn die Praxis wirkte leer und auch die Vorhänge waren zugezogen.
Jonas klopfte an die Scheibe. Gleich darauf hörte er, wie sich langsame Schritte der Tür näherten und ein Riegel zurückgeschoben wurde. Ein etwas nach vorn gebeugter, schmächtiger Mann mit gütigen, klugen Augen trat heraus. Während er seine Brille zurechtrückte, schaute er ihn freundlich an.
»Sie müssen der junge Mann sein, mit dem ich gestern telefoniert habe. Ich bin Dr. Altman.« Er reichte ihm die Hand.
»Guten Tag. Keller ist mein Name, Dr. Jonas Keller.« Jonas putzte sich die Schuhe sorgfältig an der Matte ab. Der alte Arzt machte eine einladende Geste.
»Kommen Sie nur herein, Dr. Keller. Sie sind nach der langen Fahrt sicher hungrig. Ich zeige Ihnen nur kurz die Praxis, dann fahren wir zu mir nach Hause. Wie ich meine Frau kenne, hat sie schon etwas Leckeres vorbereitet. Ich freue mich, dass Sie ihr Versprechen eingehalten haben.«
»Vielen Dank, das ist sehr nett. Vorher würde ich aber gerne noch das Gepäck in die Herberge bringen.«
»Oh, eine Pension haben wir hier im Dorf leider nicht, aber Sie können natürlich bei uns übernachten. Wir haben unser kleines Gästehaus für Sie hergerichtet. Es ist schon viele Jahre nicht benutzt worden.«
Jonas folgte Dr. Altman, während er sich interessiert umschaute. Die Räume waren bescheiden, aber sauber und durchaus gemütlich eingerichtet. Ein Regal, das vom Boden bis zur Decke mit Fachbüchern bestückt war, zeugte davon, dass hier jemand praktizierte, der nie den Wunsch aufgegeben hatte, sein Wissen zu erweitern.
»Sie schauen so auf meine kleine Bibliothek, junger Mann«, bemerkte der Doktor erfreut. »Viele von diesen Exemplaren sind uralt, aber was dort geschrieben steht, gilt heute noch genauso. Leider sind inzwischen so viele Dinge in Vergessenheit geraten, die früher jedes Kind kannte. So, nun wollen wir aber nach Hause fahren. Morgen können wir uns etwas mehr um das Geschäftliche kümmern«, erklärte der Doktor und ging mit ihm hinaus. Er stieg zu Jonas in den Wagen. Seinen eigenen ließ er vor der Praxis stehen.
»Biegen Sie dort vor der Kirche links ab und fahren am Friedhof vorbei. Hinter den angrenzenden Wäldern befindet sich unser Haus. In etwa einer Viertelstunde sind wir dort.«
Jonas blickte hier und da auf blasse Felder und welke Blumen. Doch je weiter sie sich vom Dorf entfernten, desto mehr Leben erwachte.
»Dr. Altman«, begann er. »Ganz in der Nähe hielt ich an einer Tankstelle und fragte nach dem Weg. Als ich den Namen des Ortes erwähnte, sah mich der Tankwart an wie ein Gespenst. Er meinte, ich täte besser daran, wieder umzukehren. Können Sie mir erklären, warum er mir abgeraten hat, hierherzukommen?«
»Ähm, das ist nicht ganz einfach…«, entgegnete Dr. Altman stockend. Gleich darauf änderte sich sein Tonfall. »Ach, lassen Sie uns doch erst einmal den heutigen Abend genießen. Sie wissen ja, es wird immer viel geredet. Meine Frau wartet schon mit dem Essen auf uns. Wir waren uns nicht sicher, ob Sie überhaupt kommen. Trotzdem hat sie es sich nicht nehmen lassen, eine kleine Mahlzeit auf den Tisch zu zaubern. Sie findet, dass man sich so besser kennenlernen kann. Meine Beate ist etwas ganz Besonderes. Sie gibt niemals die Hoffnung auf. Egal wie krank die Patienten auch sind, sie schafft es stets, ihnen Mut zu machen und, wenn auch für einen kleinen Moment, ein Lächeln in ihr Gesicht zu zaubern. Und glauben Sie mir, junger Mann. Hier in diesem Dorf ist das etwas Besonderes. So, jetzt müssen Sie rechts einbiegen.«
Jonas empfand mehr und mehr Sympathie für Dr. Altman.
»Wir sind da.« Der alte Doktor zeigte auf ein hübsches, etwas zurückliegendes Haus, das zur hinteren Seite in einen großen Wald eingebettet war. Ranunkel, eingegrenzt von einem Zaun aus naturbelassenem Holz, trennte das romantisch anmutende Grundstück von dem Feldweg. In jeder Ecke blühten Sträucher, Blumen und Kräuter. Die Luft war erfüllt von lauten Vogelstimmen. Es herrschte ein munteres Treiben, von der eigenartigen Stille des Dorfes war hier nichts zu spüren. Jonas parkte sein Auto gleich neben dem Gartentor. In dem Moment öffnete sich die Tür.
»Sie müssen der junge Arzt sein. Schön, dass Sie gekommen sind. Ich heiße Beate.« Die Frau streckte ihm ihre Hand entgegen.
»Ich freue mich auch.« Jonas stellte sich ebenfalls vor. Nachdem sie ins Haus gegangen waren, führte ihn Dr. Altman in die Stube, wo ein runder Holztisch, gedeckt mit ländlichen Köstlichkeiten, auf sie wartete. Es duftete nach Pfefferminztee und frisch gebackenem Brot.
»Nun lassen Sie es sich erst einmal schmecken.« Er lud ihn ein, Platz zu nehmen. Jonas aß mit großem Appetit. Dabei unterhielten sie sich angeregt bis zum späten Abend.
»Kommen Sie. Ich zeige Ihnen jetzt Ihre Unterkunft. Sie sind sicher sehr müde.« Dr. Altman sah nach draußen. Es war schon lange dunkel. Gemeinsam holten sie das Gepäck und gingen zu einem kleinen Gebäude hinter dem Haupthaus, das von einer Lampe, die an der Wand angebracht war, erhellt wurde. Der Doktor schloss die Tür auf und deutete ihm hineinzugehen. Durch einen kleinen Flur gelangten sie in das Zimmer. Jonas war angenehm überrascht. Die Altmans hatten dieses Häuschen ebenso anheimelnd hergerichtet, wie das ihre. An der der Tür gegenüberliegenden Wand stand ein Bett, dessen frisch gestärkte Wäsche zum Schlafen einlud. Gleich daneben, unter einem Fenster, das zum Wald hinausging, befanden sich ein Tisch und ein Stuhl. Ein gelungener Platz, um während der Arbeit den Blick schweifen zu lassen. Frisch gepflückte Wiesenblumen in einer tönernen Vase standen darauf und hießen ihn auf ihre einfache Art willkommen.
»Erstaunlich, wie üppig es hier blüht, während im Ort alles welk ist.« Jonas dachte an die Gärten, die er bei seiner Ankunft gesehen hatte. »Ihr Gästehaus ist wirklich sehr behaglich.«
»Sie sollen sich ja hier auch wohlfühlen«, antwortete der Doktor zuvorkommend
»Das wird mir sicher nicht schwerfallen.«
Als Jonas sich weiter umsah, entdeckte er eine antike Kommode. Darüber war ein Regal angebracht, auf dem einige dem Aussehen nach sehr alte Bücher aufgereiht waren.
Dr. Altman folgte den aufmerksamen Blicken seines Gastes.
»Bücher sind meine Leidenschaft. Manchmal komme ich, falls es meine Zeit erlaubt, hierher und lese. Wenn Sie mögen, dürfen Sie gerne darin stöbern. Aber bitte seien Sie vorsichtig. Die Exemplare sind überaus wertvoll für mich. Morgen früh um sieben werde ich Sie wecken. Nach dem Frühstück fahren wir dann zur Praxis. Sicher möchten Sie sich den Ort ein wenig anschauen. Später, dachte ich, wäre es für Sie bestimmt von Interesse den Rest des Tages an meiner Seite zu verbringen. So könnten Sie einen Eindruck gewinnen, wie sich Ihre Arbeit hier gestalten wird, falls Sie sich dazu entschließen, zu bleiben. Ich wünsche Ihnen noch eine angenehme Nacht.«
Als Jonas allein war, schaltete er die Lampe auf dem Schreibtisch an und sah sich um. Sein Blick fiel auf die Titel der Bücher. Sie waren wirklich uralt. Eigentlich hatte er erwartet, weitere Medizinliteratur zu finden. Aber nicht eines war diesem Thema gewidmet. Stattdessen ging es um diesen Ort. Behutsam griff er nach dem Exemplar, das ganz links stand und begann darin zu blättern. Die Geschichte Klosterfelds reichte offensichtlich weit in die Vergangenheit zurück. Das Buch war ganz in brüchigem Leder gebunden und die vergilbten Seiten aus Pergamentpapier zeigten deutliche Spuren. Einige von ihnen waren jedoch abgegriffener als andere. Jonas strich mit seinen Fingern vorsichtig über die feinen Risse, als er ein seidenes Band entdeckte, das als Lesezeichen diente. An dessen Ende hing eine seltsame Feder.
Er schlug die Stelle auf und schaute rechts auf eine verwischte Zeichnung des Klosters. Darunter standen mehrere Ziffern. Sie waren jedoch so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass man sie kaum lesen konnte. Er nahm die Lupe, die auf dem Tisch lag, und hielt sie darüber. Doch selbst, wenn er noch so genau hinsah, das Datum ließ sich nur noch vermuten. Auf der linken Seite wurde beiläufig ein Bader erwähnt, der kurz zuvor verschwunden war. Damit endeten die Aufzeichnungen. Die nächsten Seiten waren leer. Neugierig blätterte Jonas zurück und las etwas über eine beunruhigende Beobachtung des Schreibers. Er berichtete von mehreren Frauen des Dorfes, die über Nacht ihre Jugend und all ihren Lebensmut verloren hatten. Merkwürdigerweise beschränkten sich diese Erscheinungen nur auf Klosterfeld.
Schlagartig war Jonas’ Müdigkeit verschwunden. Er setzte sich an den Tisch und sah sich das Buch genauer an. Auf der Rückseite des Einbandes stand sorgfältig in alter Schrift geschrieben: Zeugnis des Geschehens in Klosterfeld 1436 – 1437 von Pater Gregorius.
An die Innenseite des Buchdeckels war ein zusammengefaltetes Blatt geheftet. Jonas entfernte die Klammer und breitete das Papier auf dem Tisch aus. Augenscheinlich war hier die Umgebung des Klostertals abgebildet. Diese Karte stammte wohl aus der Zeit von Pater Gregorius. Am Anfang des Buches beschrieb er Klosterfeld als einen Ort mit vielerlei Handwerk und regem Handel. Von weit her kamen damals die Leute, um die Märkte zu besuchen. Obwohl dieser Ort verhältnismäßig klein war, schien ihm doch eine große Bedeutung zuzukommen, dachte Jonas verwundert. Einer der Gründe könnte die Lage gewesen sein. Auf der Karte sah er viele Straßen, die mit dem Dorf verbunden waren. Auch der einzige Weg zum Kloster, der sich durch die Wälder den Berg hochschlängelte, führte daran vorbei.
Nachdenklich kehrte er zu der Seite mit den Beobachtungen des Paters zurück. Der Pater befürchtete, eine neue Pest könne Klosterfeld heimgesucht haben. Nicht wenige Einwohner vermuteten auch einen geheimen Fluch. Zu jener Zeit war Hexerei ein dunkler, aber wichtiger Teil des Lebens. Bezeichnend war, dass nur einheimische Frauen betroffen waren. Aus anderen Orten wurde nichts Vergleichbares berichtet.
Jonas ging zum Regal und griff nach einem ähnlichen Buch, das ihm zuvor aufgefallen war. Darin stand etwas über den damaligen Stadtgründer, einen sehr wohlhabenden Herrn. Seine Gattin, eine mit den Jahren immer schöner gewordene Frau, hatte ihm einen Sohn geschenkt. Weitere Kinder waren ihnen nicht beschert worden. Gerüchten zufolge, so stand geschrieben, sollte sie ebenfalls der Krankheit anheimgefallen sein. Der Pater selbst vermutete jedoch, dass sie gemütskrank geworden war. Als er die Seite umblätterte, stutzte er. Auch diese Aufzeichnungen endeten abrupt. Nur die erste Seite des Buches war beschrieben. Wie sonderbar.
Jonas hob den Kopf. Er schaute gedankenverloren zum Fenster hinaus, das ihm den Blick auf den nächtlichen Wald hinter dem Haus freigab. Da erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Ihm war, als hätte er tief drinnen, zwischen den Bäumen, ein kleines Leuchten gesehen. Als er näher zum Fenster ging, war da nichts außer Dunkelheit.
»Ich muss wohl doch sehr erschöpft sein«, dachte er und beschloss, sich ins Bett zu legen. Morgen würde man ihn früh wecken, da wollte er wenigstens ein paar Stunden geschlafen haben. Jonas nahm sich vor, den Doktor am nächsten Tag auf die Bücher anzusprechen.
Tac, tac, tac… Ein leises Geräusch riss Jonas aus dem Schlaf. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass es an der Tür klopfte.
»Guten Morgen, Doktor Keller. Es ist sechs Uhr dreißig. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen. In einer halben Stunde können wir frühstücken, wenn es Ihnen recht ist«, erklang die muntere Stimme von Frau Altman.
»Gerne«, antwortete er. »Ich werde da sein.«
Noch schlaftrunken schaute sich Jonas im Zimmer um. Diese Nacht hatte er unruhig verbracht. Viele Gedanken waren ihm durch den Kopf gegangen. Trotzdem fühlte er sich ausgeruht. Er duschte, zog sich an und ging hinüber zum Haupthaus, wo Dr. Altman und seine Frau schon auf ihn warteten. Auf dem Weg dorthin schaute er sich im Garten um. Die frische Luft und der Morgentau weckten seine Lebensgeister. Er reckte sich zufrieden. Dabei streifte sein Blick kurz den Wald, in welchem er gestern dieses eigenartige Leuchten gesehen hatte. Nichts deutete mehr darauf hin.
»Ach was«, sagte Jonas zu sich selbst. »Ich mache mich ja nur verrückt. Wahrscheinlich war ich gestern Abend völlig übermüdet.«
»Guten Morgen«, begrüßte er die Altmans, als er ins Haus trat, und setzte sich zu ihnen an den Tisch.
»Ja, das wünschen wir Ihnen auch. Hatten Sie eine angenehme Nachtruhe?« Dr. Altman reichte ihm den Brotkorb, während seine Frau ihm Kaffee einschenkte.
»Nun ja, ich habe etwas unruhig geschlafen. Sicher lag es an den vielen neuen Eindrücken. Ich bin schon sehr gespannt auf den heutigen Tag.«
»Dann ist es wohl an mir, dafür zu sorgen, dass sich Ihre Unruhe gelohnt hat«, bemerkte der alte Doktor scherzhaft.
Nach dem Frühstück machten die beiden sich auf den Weg. Sie plauderten angeregt über dieses und jenes. Schon bald merkten sie, dass sie beruflich wie privat sehr ähnliche Ansichten hatten.
»Es ist schön, mal wieder mit jemandem zu sprechen, der wirklich für die Dinge zugänglich zu sein scheint, die diesen Beruf ausmachen«, dachte der alte Arzt. Er schaute Jonas wohlwollend an.
»So, da sind wir.« Wie jeden Morgen öffnete er die Tür der kleinen Praxis und schob die Vorhänge beiseite.
»Jetzt wissen die Patienten, dass die Sprechstunde begonnen hat. Termine brauchen wir hier nicht. Wer ein Problem hat, hört nicht gern, dass er erst in einigen Wochen wiederkommen soll. Er braucht die Hilfe sofort.«
Schon bald füllte sich der kleine Warteraum. Bis zum Nachmittag schaute Jonas dem Landarzt bei seiner Arbeit zu. Er war erstaunt, wie geduldig und verständnisvoll er mit seinen Patienten umging. Für jeden Einzelnen hatte er ein paar nette Worte. Seine Achtung vor dem alten Mann wuchs von Stunde zu Stunde.
»Na, den ersten Tag haben wir hinter uns gebracht. Alle Patienten sind versorgt. Lassen Sie uns einen Spaziergang durch den Ort machen und dann der einzigen Gaststube, die wir hier haben, einen Besuch abstatten«, schlug Dr. Altman vor, nachdem er eine alte Dame fürsorglich hinausgebracht hatte. Es war ein milder Tag, also ließen sie ihre Jacken dort und schlossen die Tür hinter sich. Nach ein paar Schritten bogen sie in eine Seitenstraße ein. Jonas blickte auf einen großen Teich und ein paar sehr alte, sicher einst schöne Anwesen, die von vergangenem Wohlstand zeugten. Ein paar Straßen weiter standen einige einfachere, aber ebenso charmant verzierte Häuser. Eins aber hatten alle gemein: Ihre besten Zeiten waren längst vorbei. Genau wie bei denen, die er bei seiner Ankunft im Dorf gesehen hatte. Trübe Fensterscheiben, heruntergelassene Jalousien und verschlissene Vorhänge versperrten den Blick ins Innere. Auch die Vorgärten waren hoffnungslos verwildert. Niemand schien sich darum zu kümmern.
Als ob Dr. Altman seine Gedanken erraten hätte, schlug er ihm vor, ins Lokal einzukehren.
»Sie haben sicher noch viele Fragen an mich.« Er öffnete die schwere Tür zu der Gaststube, die schon von außen einen unbelebten Eindruck machte. Drinnen bestätigte sich Jonas’ Vermutung. Nur ein Gast saß über sein Bier gebeugt am Tresen, während der Wirt ein Kreuzworträtsel zu lösen versuchte. Er hob den Kopf und grüßte freundlich, als er den Doktor erkannte. Ihre Wahl fiel auf einen abseits stehenden Tisch, an dem sie sich ungestört unterhalten konnten.
»Dr. Altman«, begann Jonas das Gespräch. »Ich bin erst einen Tag bei Ihnen, aber die Weise, wie Sie Ihre Praxis führen, und die Art, mich bei Ihnen aufzunehmen, hat meinen Entschluss reifen lassen, mich hier niederzulassen. Ein paar Fragen möchte ich aber noch stellen.«
»Nur zu.« Der alte Mann nickte aufmunternd.
»Auf der Fahrt zu Ihnen warnte man mich, ich solle nicht hierher kommen. Den Grund nannte man mir nicht. Dann begegnete ich gleich nach meiner Ankunft einer Frau, die so schnell gealtert schien, wie ich es nie für möglich gehalten hätte«, erzählte Jonas. »Gestern Abend fiel mir zudem ein altes Buch in die Hände. Ein Pater Gregorius hatte darin bereits vor einigen hundert Jahren genau die gleichen Beobachtungen gemacht. Er vermutete eine Krankheit dahinter.«
Dr. Altman sah Jonas tief in die Augen. Er antwortete mit ernster Stimme und gerade so laut, dass niemand mithören konnte.
»Junger Mann, dies ist ein Thema, dem ich mich schon Jahrzehnte widme. Kurz nachdem ich mich hier als Arzt niederließ, stellte auch ich diese unheimlichen Veränderungen an den Menschen fest. Damals war ich ebenso erschrocken wie Sie jetzt. Seitdem suche ich eine Antwort darauf, doch bisher kam ich zu keiner natürlichen Erklärung. Die Sache stimmt Sie doch nicht um, oder? Denn auch ich habe begonnen, Sie zu mögen, und finde, wir könnten gemeinsam gute Arbeit leisten. Ihre Einstellung und Ihr Engagement sind mehr, als ich zu hoffen wagte.«
»Aber keineswegs. Solch eine Herausforderung nehme ich als Arzt natürlich gerne an.«
»Dann lassen Sie uns den Entschluss zu unserer Zusammenarbeit besiegeln.« Dr. Altman winkte dem Wirt, er solle ihnen noch etwas von dem Wein bringen. Sie verstanden sie sich so gut, dass sie im Laufe des Gespräches die förmliche Anrede beiseiteließen und sich beim Vornamen ansprachen. Freundschaftlich plaudernd machten sie sich auf den Heimweg, wo sie auch schon erwartungsvoll von Frau Altman empfangen wurden. An diesem Abend waren sie ganz und gar mit ihren Plänen beschäftigt. Ihre frohen Stimmen hallten bis tief in den Wald, sodass das kleine Aufblitzen in den Bäumen, welches hin und wieder die Dunkelheit durchbrach, von ihnen völlig unbemerkt blieb. Erst sehr spät begaben sie sich zur Nachtruhe.
Jonas lag noch ein Weilchen wach. Er dachte über die Ereignisse der letzten Tage nach. Noch vor Kurzem hatte er nicht einmal gewusst, was er nach seinem Studium tun sollte, und nun hatte er nicht nur eine Arbeit gefunden, sondern auch eine neue Heimat und Freunde dazu. Zufrieden schlief er ein.
Schon am nächsten Tag stellte Dr. Altman seinen Patienten Dr. Jonas Keller als seinen neuen Mitarbeiter vor. Anfangs hatte Jonas noch mit ihrem tiefen Argwohn zu kämpfen, doch dank seiner herzlichen Art und seiner Gewissenhaftigkeit sprach sich bald herum, dass man ihm vertrauen konnte. Mit der Zeit ließen sich immer mehr Leute bereitwillig von ihm behandeln, wie der alte Doktor mit großer Freude feststellte.
»Heute mache ich ein paar Hausbesuche. Ich möchte dich gerne einigen Bewohnern vorstellen, die aufgrund ihres Alters oder ihres Zustandes nicht zu uns kommen können. An diesem Nachmittag bleibt die Praxis gewöhnlich geschlossen«, sagte er einige Tage später.
Sie wollten gerade aufbrechen, da klingelte es an der Tür und eine junge, hübsche Frau mit langen dunklen Haaren trat herein.
»Dr. Altman, meiner Großmutter geht es nicht gut. Bitte kommen Sie schnell. Sie will unbedingt mit Ihnen sprechen.«
Der Doktor nahm eilig seinen Arztkoffer. Er setzte sich zu Jonas in den Wagen und bat ihn, der jungen Frau zu folgen.
»Diese Familie war einmal sehr mächtig und wohlhabend. Außer Elvira und ihrer Enkelin Amber ist keiner mehr übrig. Schau dir ruhig einmal die Gemälde im Haus an. Die Gattin des ersten Vogtes war eine auffallend schöne Frau, der das Alter nicht anzusehen war.«
Als sie dort ankamen, brachte Amber die beiden Ärzte in den Salon.
»Ich gehe schnell zu meiner Großmutter und sage ihr, dass Sie da sind. Bitte warten Sie kurz hier.« Sie verließ den Raum, kehrte aber schon bald wieder zurück.
»Dr. Altman, meine Großmutter bat darum, allein mit Ihnen reden zu dürfen. Sie kennen sich ja hier aus.«
Als er draußen war, stellte sie sich zu Jonas.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten, Herr…«
»Oh natürlich, entschuldigen Sie bitte. Ich bin Dr. Keller. Eine heiße Tasse Tee wäre mir recht, wenn es keine zu großen Umstände macht.« Er reichte ihr höflich die Hand. Eigentlich hatte er nur darum gebeten, damit er einige Minuten allein sein und sich die Bilder an den Wänden genauer ansehen konnte. Als sie den Salon betraten, war ihm sofort aufgefallen, dass die Portraits in diesem Raum mit einer Ausnahme nur die männlichen Mitglieder der Familie zeigten. Er ging näher an dieses Bild heran und las die Widmung am unteren Rand, als die Tür aufging. Ertappt drehte er sich um. Es war Amber, die mit dem Tablett hereinkam.
»Eine interessante Frau, finden Sie nicht auch? Als dieses Bild entstand, muss sie für damalige Verhältnisse schon recht betagt gewesen sein.« Sie stellte sich neben ihn.
»Das sah man ihr aber gar nicht an«, wunderte sich Jonas.
»Sie ist die einzige Frau aus unserer Familie, die sich zu der Zeit hat malen lassen. Jedenfalls habe ich nie Bilder von anderen weiblichen Verwandten gesehen. Eigenartig, nicht?«
»Ja, das ist ungewöhnlich«, erwiderte er nachdenklich. Jonas fiel die Notiz von Pater Gregorius ein.
Dr. Altman stieg die Treppe zur oberen Etage hinauf, wo sich die Schlafräume befanden. Er kannte die kleine liebenswürdige Dame schon, seitdem er als junger Mann hierhergezogen war. Damals lebten ihr Gatte und ihre Tochter noch, die etwa in seinem Alter war. Vor vielen Jahren starben sie und auch der Schwiegersohn bei einem Autounfall. Elvira zog ihre Enkelin Amber ganz allein mit großer Fürsorge auf. Später, als sie dreizehn Jahre alt wurde, schickte Elvira sie auf ein weit entferntes Internat. Ihre Enkelin sollte ein normales, unbeschwertes Leben kennenlernen. Hier gab es, so meinte sie, keine Zukunft für ein heranwachsendes Mädchen. Dr. Altman vermutete damals allerdings, dass ein anderer Grund dahintersteckte.
Jetzt, als mittlerweile junge Dame, war Amber heimgekehrt. Es wunderte ihn nicht, dass sie so aufgeregt war, wenn es ihrer Großmutter schlecht ging. Schließlich hatten sie sich in den letzten Jahren nur selten gesehen. Er klopfte leise an Elviras Tür und ging hinein.
»Hallo, Elvira. Was machen Sie denn für Sachen? Ich habe Ihnen etwas zur Stärkung mitgebracht«, begrüßte er sie in vertrautem Ton.
»Setzen Sie sich zu mir, mein Lieber. Mit mir geht es, fürchte ich, langsam zu Ende. Ich habe Sie hergebeten, da Sie der Einzige sind, dem ich vertraue. Ich kann doch mit Ihrer Verschwiegenheit rechnen? Es handelt sich um etwas, das mein Vater mir kurz vor seinem Tod verriet. Bis heute ist mir nicht ganz klar, worum es genau ging, wahrscheinlich um ein gut gehütetes Familiengeheimnis. Darf ich auf Sie zählen? Ich möchte solch ein dunkles Vermächtnis nicht meiner Enkelin hinterlassen.«
»Sie wissen, dass Sie mir immer vertrauen können, Elvira.« Dr.
Altman setzte sich näher zu ihr, um sie besser verstehen zu können. Er nahm ihre zierliche Hand und forderte sie auf zu reden.
»Mein Vater nahm mir vor vielen Jahren in seinem Sterbebett das Versprechen ab, niemals unsere alte Familiengruft zu öffnen. Er verlangte ein eigenes Grab und auch ich solle mich an einem anderen Ort beerdigen lassen. Dazu überreichte er mir den alten, mit unserem Wappen verzierten Schlüssel. Er beschwor mich eindringlich, ihn zu vernichten, sobald er tot sei. Das tat ich aber nie. Sie wissen, wie sehr Geheimnisse eine Familie belasten können. Bitte helfen Sie Amber, es zu lüften und die Bürde von ihr zu nehmen. Gehen Sie mit ihr in diese Gruft und schauen sich dort um, aber achten Sie darauf, dass Ihnen niemand folgt. Mein Vater bat mich ausdrücklich, mich von ihr fernzuhalten. Noch heute höre ich seine angstverzerrte Stimme. Er warnte mich davor, die Gefahr zu unterschätzen. Achten Sie vor allem darauf, dem Pater nicht zu begegnen und sich von nichts und niemanden erwischen zu lassen. Seien Sie äußerst wachsam«, hauchte Elvira mit schwacher Stimme.
Dr. Altman saß steif auf dem Stuhl und versuchte, das eben Gehörte zu begreifen. Er schätzte die kleine alte Dame als eine sehr geistesgegenwärtige Frau, doch hatte er auch schon viele Menschen in den Tod begleitet und erlebt, dass einige in ihren letzten Stunden nicht ganz bei Sinnen waren. Aufgrund ihrer langjährigen Freundschaft entschloss er sich aber, der Sache nachzugehen.
»Elvira, ich werde sehen, was ich tun kann. Aber wie Sie wissen, ist auch an mir die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Ohne Hilfe werde ich es nicht schaffen. Sind Sie damit einverstanden, wenn ich außer Amber auch Dr. Keller, meinen neuen Mitarbeiter, einweihe? Er ist ein guter Mensch und fast erinnert er mich an mich selbst, als ich in seinem Alter war. Ich vertraue ihm.«
Mit ihrer dünnen, kraftlosen Hand drückte sie ihn und versuchte sich hochzuziehen. Sie starrte ihn aus tiefen Augenhöhlen an. »Vertrauen Sie ihm wirklich? Denken Sie gut darüber nach. Aber Sie haben ganz recht, gemeinsam ist es bestimmt leichter. Entscheiden Sie selbst. Ich werde vielleicht keine Zeit mehr dazu haben. Bitte, schicken Sie Amber noch einmal zu mir. Ich bin jetzt müde.«
Dr. Altman öffnete sanft ihre Hand und entnahm ihr einen alten, rostigen Schlüssel. Dann ging er wieder hinunter in den Salon.
»Amber, deine Großmutter möchte jetzt mit dir reden.«
»Gut, warten Sie bitte, ich bin gleich wieder zurück.« Sie eilte sofort nach oben. Als die beiden Ärzte allein waren, nutzte Dr. Altman die Gelegenheit, um Jonas von dem Gespräch mit der alten Dame zu erzählen.
»Wärst du bereit, nachts heimlich mit mir in diese Gruft zu steigen, um herauszufinden, ob Elviras Vermutung richtig ist?«
»Selbstverständlich kannst du in jeder Hinsicht auf mich zählen, Konrad. Ich danke dir für dein Vertrauen und werde dich und die Damen nicht enttäuschen.«
Wenig später kam Amber mit einem kleinen Büchlein zurück.
»Meine Oma kann also mit Ihrer Hilfe rechnen, Dr. Altman.«
»Aber natürlich. Leider ist mir nicht bekannt, inwiefern du eingeweiht bist«, antwortete er.
»Sie hatte mir gestern schon alles erzählt. Daher wusste ich, wie wichtig es ihr ist, dass Sie noch vor dem Pater hier sein würden, falls es zum Schlimmsten käme.«
»Wir sollten schon morgen einen Plan fertig haben. Uns bleibt nicht viel Zeit. Falls deine Großmutter nicht mehr genesen wird, wäre es kaum noch möglich, unbemerkt in die Gruft zu gelangen. Ich hoffe, es ist dir recht, dass mein Kollege und Freund Dr. Jonas Keller dabei sein wird. Ich bin schließlich nicht mehr der Jüngste.«
»Aber nein, ich bin ehrlich gesagt für jede Hilfe dankbar.« Sie wandte sich an Jonas.
»Jonas, hm? Ich bin Amber. Belassen wir es doch bei den Vornamen.«
»Gut, dann freue ich mich auf ein gutes Zusammenwirken, Amber.« Er streckte ihr freundschaftlich seine Hand entgegen.
Wohlwollend betrachtete Dr. Altman die jungen Leute. »Solange wir nicht wissen, worum es geht, sollte niemand von Elviras Gesundheitszustand erfahren. Amber, du bist ja sowieso bei ihr. Jonas wird später noch einmal nach ihr sehen. Wenn jemand sich zufällig nach deiner Großmutter erkundigt, sag einfach, sie wäre unpässlich.«
»Ja, bestimmt würde sich Pater Linus wundern, wenn nun ein weiteres Mitglied der Familie mit der Tradition bricht und ein anderes Grab verlangt. Unsere Gruft ist schließlich sehr feudal. Meine Oma gab mir dieses Büchlein. Es ist ein Lageplan für die Grabkammern. Wir wissen nicht, wonach wir suchen müssen. Also sollten wir uns sorgfältig vorbereiten, um keine unnötige Zeit zu verlieren. Ich werde ihn mir heute gründlich anschauen«, versprach Amber, als Jonas und Dr. Altman sich wieder auf den Weg machten.
An diesem Abend hörte man im Haus der Altmans kein fröhliches Gelächter. Hätte jemand von draußen durchs Fenster geschaut, so wären ihm zwei Männer aufgefallen, die ihre Köpfe zusammensteckten und bei schwachem Licht leise miteinander sprachen.
Gleich am nächsten Morgen machten die beiden einen kleinen Umweg und fuhren an der Dorfkirche vorbei, deren Friedhof direkt hinter der Kapelle lag.
»Wir werden dem Pater heute einen Besuch abstatten und euch einander bekannt machen. So kann ich dir unauffällig den Friedhof mit all seinen Grabstätten zeigen. Es ist besser, du hast die Anlage schon einmal im Hellen gesehen«, sagte Dr. Altman zu Jonas.
Wie gewohnt schlossen sie gegen Mittag die Praxis, um durch das Dorf zu schlendern. Diesmal bogen sie jedoch in eine andere Richtung ab und blieben plaudernd vor der mittelalterlichen Kirche stehen. Das gut erhaltene Bauwerk sah genauso aus wie auf der Zeichnung, die Jonas in dem alten Buch von Pater Gregorius gesehen hatte.
»Lass uns direkt in die Kirche gehen«, schlug Dr. Altman vor. Wie von ihm vermutet, hielt Pater Linus sich dort auf.
»Einen schönen guten Tag, Pater.«
Der Pater, der gerade am Altar beschäftigt war, drehte sich überrascht um. Er sah die beiden neugierig an.
»Ich möchte Ihnen unser neuestes Mitglied der Gemeinde vorstellen. Mein Wunsch ist endlich erhört worden. Dr. Jonas Keller hat sich entschlossen, mich in der Praxis zu unterstützen und sie später vielleicht einmal weiterzuführen.«
»Herzlich willkommen, Dr. Keller. Ich hoffe, Sie werden sich hier einleben. Man hat mir schon viel Gutes von Ihnen erzählt.«
Dann wandte sich der Pater wieder an Dr. Altman. »Übrigens, haben Sie etwas von Elvira Vogt gehört? Vorhin habe ich Amber getroffen. Als ich davon sprach, ihrer Großmutter einen Besuch abzustatten, sagte sie mir, sie wäre unpässlich und wünsche keine Gäste. Ich hatte den Eindruck, dass Amber mir aus dem Weg zu gehen versuchte. Sie schien es jedenfalls recht eilig zu haben.
»So? Ich war erst gestern bei Elvira. Eigentlich ging es ihr ganz gut. Sie ist nur etwas erkältet. Sicher war Amber nur in Gedanken.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht.« Pater Linus fasste sich an seinen Bart, wie er es immer tat, wenn er überlegte. »Übrigens habe ich mir vorgenommen, Sie auch bald aufzusuchen. Neuerdings schlafe ich sehr schlecht und bekomme dann starke Kopfschmerzen. Manchmal laufe ich stundenlang in meinem Zimmer herum oder schaue aus dem Fenster. Es ist zum Verzweifeln.«
»Kommen Sie doch gleich heute vorbei. Ich werde sehen, was ich tun kann. Damit ist vielleicht nicht zu spaßen«, riet ihm Dr. Altman.
Pater Linus versprach, noch am frühen Nachmittag vorbeizuschauen.
»Kann ich Ihnen denn auch irgendwie behilflich sein?«
»Das ist nicht nötig, Pater. Haben Sie vielen Dank. Ich möchte Dr. Keller nur unsere schöne gepflegte Friedhofsanlage zeigen.«
Als sie draußen waren, wirkte Jonas verunsichert.
»Es war eine gute Idee hierherzukommen. Was machen wir aber, wenn der Pater wieder mal nicht schlafen kann und uns entdeckt?«
»Immer mit der Ruhe«, beschwichtigte Dr. Altman ihn. »Mir wird schon etwas einfallen. Wozu bin ich Arzt?«
Sie umrundeten die Kirche und kamen zum Friedhof. Dabei nahmen sie jedoch nicht den direkten Weg zur Gruft, sondern blieben bei jedem einzelnen Grab stehen. So konnte kein Beobachter daraus Schlüsse ziehen, was sie tatsächlich hierherführte. Während Jonas sich unauffällig umschaute, prägte er sich die Umgebung genau ein. Nach einiger Zeit kamen sie an einen schmalen Weg, der sie durch eine Buchenhecke zum alten Teil des Friedhofs führte. Zufrieden bemerkte Jonas, dass diese Abgrenzung dicht und vor allem hoch genug war, um sie vor ungebetenen Blicken zu schützen.
Als sie auf dem alten Gelände standen, stachen ihnen gleich die alten, prunkvollen Mauern der Familiengruft ins Auge, die sich deutlich von allen anderen Gräbern abhob. Sie sah immer noch prächtig aus, obwohl offensichtlich schon seit einer Weile niemand mehr hier tätig geworden war. Unkraut hatte sich seinen Platz erobert und verbarg fast vollständig den Zugang zu den verwitterten Stufen, die mit Moos und altem Laub bedeckt waren. Sie würden achtgeben müssen, nicht auszurutschen. Dr. Altman nahm den alten Schlüssel, den Elvira ihm gegeben hatte, und steckte ihn vorsichtig ins Schloss. Dann drehte er ihn langsam um, um sicherzugehen, dass er auch funktionierte. Heute Nacht sollte alles möglichst reibungslos, vor allem aber leise vonstattengehen.
»Es klappt.« Dr. Altman stieg die rutschigen Stufen vorsichtig wieder hinunter. Sie gingen auf dem Rückweg noch an den restlichen Grabreihen vorbei.
Jonas stellte verwundert fest, dass auf den ältesten überwiegend Frauennamen eingraviert waren. Seltsam war auch, dass ihr Leben in auffallend kurzen Abständen und vor allem in erstaunlich jungen Jahren ein Ende gefunden hatte. Ganz am Rande, etwas abseits, stießen sie auf einen unscheinbaren, besonders stark mit Efeu überwucherten Findling.
Jonas kniete sich hin. Er schob die Ranken beiseite und kratzte etwas Moos ab. Versonnen betrachtete er die uralte Inschrift.
Möge er in Frieden ruhen
Wo immer er auch sein mag
In Gedenken an unseren…
Das letzte Wort war schon so sehr verwittert, dass er es nicht mehr erkennen konnte. Zu wem gehörte wohl dieses namenlose, einsame Grab?
Dr. Altman brachte ihn in die Wirklichkeit zurück.
»Am besten gehst du schon heute Nachmittag zu Elvira. Du und Amber, ihr kommt dann zur Praxis und holt mich ab. Aber gebt acht, dass niemand euch zusammen sieht. Sie sollte alles so herrichten, als ob sie zu Hause geblieben wäre. Ich werde mich den Rest des Tages allein um die Patienten kümmern, besonders aber um Pater Linus.«
Jonas fuhr, wie abgemacht, gleich nach ihrer Rückkehr, zum Haus der Familie Vogt, während Dr. Altman die Kranken allein behandelte.
An diesem Tag gab es außergewöhnlich viel zu tun. Als Dr. Altman zum wiederholten Male ins Wartezimmer ging, stellte er zufrieden fest, dass auch Pater Linus sich inzwischen eingefunden hatte und mit einer etwas fülligen Dame plauderte.
»Wer ist der Nächste?«, fragte er freundlich.
»Gehen Sie zuerst, Pater. Ich habe noch Zeit«, sagte die Frau.
Nach der Untersuchung holte Dr. Altman ein Fläschchen aus seiner Vitrine.
»Ich kann nichts Ernstes feststellen«, teilte er Pater Linus mit. »Trotzdem gebe ich Ihnen ein paar beruhigende Kräuter mit. Gießen Sie sich ab heute eine Woche lang jeden Abend einen Tee damit auf und trinken ihn vor dem Zubettgehen.«
Heimlich hatte Dr. Altman die Dosis verdoppelt. Es handelte sich um ein ungefährliches, aber sehr wirksames Rezept, das er einem alten klösterlichen Buch entnommen hatte.
»Wir sehen uns dann in einer Woche. Also, nicht vergessen. Ab heute«, wiederholte Dr. Altman eindringlich. Der Pater bedankte sich und verließ die Praxis.
»Verzeih mir diese kleine List, aber was sollte ich sonst tun?« Der Doktor bekreuzigte sich und schaute schuldbewusst gen Himmel. Liebenswürdig wie immer setzte er seine Untersuchungen fort, bis er wie verabredet abgeholt wurde. Als er zu Jonas ins Auto stieg, schaute er sich suchend um. »Wo ist…«
»Im Kofferraum.« Jonas rollte mit den Augen. »Es war nicht meine Idee.«
»Das glaube ich dir gerne«, erwiderte Dr. Altman schmunzelnd. »Amber stammt aus einer sehr hartnäckigen Familie. Ich kannte ihre Mutter und Elvira ist nicht anders.«
»Na, ich durfte jedenfalls gerade eine Kostprobe davon genießen.« Jonas ließ den Motor an und fuhr los. Amber konnte in ihrem Versteck sehr wohl verstehen, worüber sich die beiden unterhielten, und brachte das auch deutlich zum Ausdruck. Gemeinsam begannen sie nun ihre Pläne für die Nacht zu schmieden. Sie nahmen sich vor, den letzten Teil zum Friedhof durch den Wald zu laufen. Die Gefahr, entdeckt zu werden, verringerte sich dadurch erheblich.
»Wir sollten nur so wenig Werkzeug wie nötig mitnehmen. Es wird wohl doch ein längerer Marsch werden. Außerdem wissen wir nicht, was uns dort drinnen erwartet«, überlegte Jonas.
»Für alle Fälle lasst uns einen Treffpunkt ausmachen.« Gleich nach dem Ortsausgang hatte Amber auf der viel bequemeren Rückbank Platz genommen.
»Wenn uns jemand sieht, dann sollten wir lieber getrennt wegrennen. Du, Amber, kehrst nach Hause zurück und achtest darauf, dass niemand dir folgt«, warf Dr. Altman ein. Als sie ankamen, wartete seine Frau schon an der Tür. Sie setzten sich alle gemeinsam an den Tisch und stärkten sich.
Endlich dämmerte es. Schnell packte jeder noch ein paar Kleinigkeiten in seinen Rucksack und griff nach einer Taschenlampe.
»Ich kenne den Weg sehr gut. Am besten, ihr bleibt dicht hinter mir. Und bitte leise, der Förster könnte heute Nacht die Runde machen. Deswegen habe ich ein Band mitgenommen, an dem wir uns festhalten und Zeichen geben können. Sobald wir etwas Auffälliges hören, verlassen wir den Weg und rühren uns nicht. Ich möchte nicht riskieren, dass auf uns geschossen wird. Amber wird hinter mir gehen und Jonas als Letzter«, ordnete Dr. Altman an.
Wie ausgemacht hielten sie sich am Rand der Landstraße. Nach einer Weile bogen sie in einen Waldweg ein. Als die Dunkelheit einbrach, nahm jeder ein Stück des Bandes in die Linke und eine Taschenlampe in die rechte Hand. Der Lichtkegel zeigte nach unten. Sie hatten Glück. Es war Vollmond. Eine ungewöhnlich helle Nacht, sodass sie gut sehen konnten und der Schein der Lampen weniger auffiel. Kein Laut war zu hören, außer dem des Sandes, der unter ihren Schuhen knirschte. Plötzlich zog der Doktor dreimal sanft am Band. Er beugte sich nach hinten und sprach leise zu Amber.
»Der Friedhof liegt in dieser Richtung. Wir verlassen nun den Weg und gehen ein Stück weit durchs Unterholz. Haltet die Lampen nach unten und passt auf, wo ihr hintretet.«
Ganz wohl war Amber nicht dabei, mitten in der Nacht durchs Gehölz zu schleichen. Wenn sie nun ein Reh oder, noch schlimmer, einige Wildschweine aufschreckten?
»Schaltet eure Lampen aus«, flüsterte Dr. Altman, als die den letzten Teil der Strecke hinter sich gebracht hatten. Sie knieten sich hinter die alte, hüfthohe Steinmauer, die den Wald vom Friedhof trennte. Jonas schaute nach, ob sie allein waren. Durch die Laternen, die am anderen Ende, die Kirche erleuchteten, konnte er gut erkennen, was auf dem Gelände vor sich ging. Umgekehrt hatte derjenige, der dort stand, es schwer, sie zu entdecken.
»Es kann losgehen«, flüsterte er. Sie legten sie die Rucksäcke auf die andere Seite der Mauer und kletterten lautlos hinüber.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so sportlich bist.« Nachdem Amber seine Hilfe abgelehnt hatte, konnte sich Jonas diese kleine Bemerkung nicht verkneifen.
»Und ich hätte niemals gedacht, dass du so weit mitdenken kannst«, raunte sie zurück.
»Still, duckt euch!«, zischte Dr. Altman, als im Haus des Paters die Tür aufging. Regungslos hockten sie vor der Mauer im Schatten eines Baumes und starrten auf eine beleibte Frau, die mit einem Korb heraustrat.
»Ich mochte es mir doch nicht nehmen lassen, unserem Pater etwas zur Stärkung zu bringen«, drang ihre flötende Stimme zu ihnen hinüber. Pater Linus begleitete die Besucherin zum Tor und verabschiedete sich von ihr. Bevor er wieder ins Haus ging, drehte er sich noch einmal um und ließ seinen Blick über den Friedhof schweifen. Einen Augenblick schien es, als ob er direkt auf sie zugehen wollte. Doch er überlegte es sich wohl anders und wandte sich ab. Dabei kratzte er sich langsam den Bart, wie er es immer tat, wenn er nachdachte. Endlich schloss er die Tür hinter sich. Kurz darauf ging im ersten Stock das Licht an.
Pater Linus erschien am Fenster. Er hielt ein Glas in der Hand und setzte zum Trinken an. Schließlich öffnete er die Fensterflügel und knipste das Licht aus.
»Ein wenig müssen wir noch warten«, flüsterte der Doktor. »Ich habe dem Pater einen Beruhigungstee verordnet.«
Amber kicherte vergnügt. »Aber Dr. Altman.«
Alle drei lehnten tief sich geduckt an die Mauer. Nachdem sich eine Weile nichts gerührt hatte, überquerten sie leise den alten Friedhof. An der Gruft angekommen, holte Dr. Altman den Schlüssel hervor. Klugerweise hatte er ihn zuhause in etwas Öl eingetaucht. Er schob ihn lautlos ins Schloss und drehte ihn langsam um. Während Jonas die Scharniere ölte, öffneten sie so behutsam wie möglich die schwere Holztür, die schon viele Jahre nicht mehr benutzt worden war. Trotz aller Vorsicht knarrte und quietschte sie bei jedem Zentimeter. Um den Pater nicht aufzuwecken, zogen sie sie nur so weit wie nötig auf und zwängten sich mühsam hindurch. Als sie es geschafft hatten, horchten sie auf Schritte, aber alles blieb still. Die Tür ließen sie nur leicht angelehnt, gerade so, dass niemand es bemerken würde.
»Eine Taschenlampe reicht. Wir müssen noch an den Rückweg denken.« Demonstrativ zog Amber ihre hervor.
»Sie hat recht. Wir wissen nicht, wie lange wir hier drinnen sein werden«, lenkte Dr. Altman ein. Er hustete leicht. Hier war schon ewig keine frische Luft mehr hereingekommen. Es war ausgesprochen stickig.
»Dort hinten führt eine Treppe nach unten.« Er zeigte auf die andere Seite.
Jonas und Amber folgten ihm. Neugierig um sich schauend stiegen sie die steinernen Stufen hinab. Unten angekommen fanden sie einen Raum mit mehreren offenen Nischen vor, in denen die Särge der Verstorbenen untergebracht waren.
Amber holte das kleine Buch ihrer Großmutter hervor und blätterte die Seite mit dem Lageplan der Gräber auf. Während Jonas mit der Taschenlampe auf die eingravierten Schriften deutete, liefen sie gespannt von einem zum anderen.
Die Namen waren so angeordnet, wie es in dem Buch beschrieben war. Seufzend blieb Jonas stehen.
»Also, ich kann keine Ungereimtheiten erkennen. Wenn wir nur wüssten, wonach wir suchen müssen. Hat deine Großmutter denn nicht mit dir darüber gesprochen?«
»Nein, mein Urgroßvater verbot ja meiner Oma, je einer Menschenseele von seiner Furcht zu erzählen. Soviel ich weiß, hat sich vor ihm noch keiner aus der Familie in der Weise geäußert. Ich habe mich nur immer gefragt, warum meine Mutter woanders begraben wurde.«
Damit wollte Jonas sich nicht zufrieden geben.
»Was hat er damals nur hier gewollt? Er muss einen triftigen Grund gehabt haben, die Gruft so kurz vor seinem Tod zu betreten.«
»Ich glaube, wir gehen falsch an die Sache heran«, gab Dr. Altman zu bedenken. »Viel wichtiger ist doch die Frage, was er hier entdeckt hat. Wir müssen auf jede Kleinigkeit achten, die nirgendwo aufgeführt ist. Lasst uns erst nochmal die Gräber hier und dann die Nischen weiter hinten in dem dunklen Gang ansehen. Da waren wir noch nicht.«
Ganz langsam und sehr aufmerksam schauten sie sich noch einmal jeden einzelnen Sarg von allen Seiten an. Am hinteren Ende der Gruft fielen ihnen feuchte Flecken an den Wänden auf. Je weiter sie vordrangen, desto deutlicher nahmen sie einen fauligen Geruch wahr. Der stark bemooste Boden war so glitschig, dass sie große Mühe hatten, nicht auszurutschen.
Vor der letzten Nische blieb Amber stehen. Diese war niedriger als die anderen und sie beugte sich hinunter, um besser hineinleuchten zu können. Angeekelt schob Jonas ein paar Spinnenweben beiseite. Der üble Geruch ging eindeutig von hier aus.
»Hier ist kein Sarg.« Er drehte sich zu Dr. Altman, der auffallend still geworden war.
»Geht es dir nicht gut, Konrad?«
»Doch, doch. Nur… Ich kenne diesen Geruch. Die Gräber sind uralt. Es dürfte hier längst nicht mehr so riechen.«
»Vielleicht liegt ja hier irgendwo eine tote Ratte. Lasst uns doch einfach nachschauen«, schlug Amber vor. Jonas verzog bei dem Vorschlag das Gesicht. Der Ausflug nahm eine Wendung, die ihm gar nicht behagte.
»Da drüben ist noch ein Durchgang«, raunte er. Geduckt gingen sie nacheinander durch die Öffnung. Eine Treppe aus Felsstein führte sie tiefer hinab. Dort war es so düster, dass sie beschlossen, alle Taschenlampen wieder einzuschalten. Um nicht abzugleiten, krochen sie auf allen Vieren.
»Passt bloß auf«, warnte Jonas. Nicht nur der Gestank wurde immer beißender. Je weiter sie nach unten kamen, desto kälter wurde es auch. Amber begann mit den Zähnen zu klappern.
»Hier, nimm meine Jacke«, bot Jonas ihr an, worauf sie ihm dankbar zunickte. Dabei verschwieg sie, dass es nicht nur die Kälte war, die ihr zu schaffen machte. Die beiden mussten ja nicht unbedingt wissen, dass sie sich nun doch anfing zu fürchten.
Jonas erreichte den Grund als Erster. Trotz aller Vorsicht kam er auf dem feuchten Boden ins Schlittern. Er versuchte noch, sich an der Wand festzuhalten, griff aber ins Leere. Einige Steine lösten sich. Er verlor sein Gleichgewicht und stürzte. So schnell sie konnten, krochen Amber und Dr. Altman hinterher und richteten ihre Taschenlampen auf ihn. Sie machten eine grausige Entdeckung. Jonas lag kreidebleich auf dem Boden. Er brachte kein Wort heraus. Dort, wo er gegen die Wand geprallt war, klaffte ein riesiges Loch. Und genau aus diesem Loch ragten die bleichen Knochen einer skelettierten Hand, die sich fest an seine Schulter krallte.
Dr. Altman, der schon vieles gesehen hatte, fing sich zuerst. »Bist du in Ordnung?«
Jonas nickte. »Was ist? Warum glotzt ihr denn so?«
»D-da ist ein Loch in der W-Wand u-und…« Stotternd zeigte Amber auf seinen Rücken.
»Also, nun mal ganz ruhig. Jonas, auf deiner Schulter liegt eine Hand. Ich lege sie jetzt zur Seite und du versuchst aufzustehen.« Der Doktor hielt ihm seinen Arm entgegen, damit er sich daran abstützen konnte. Langsam begann Jonas, sich hochzuziehen. Zum Glück schien er sich nicht verletzt zu haben.
»Du meine Güte, was ist das?« Voller Entsetzen starrte er auf die knöcherne Hand.
Gemeinsam räumten sie nun die heruntergefallenen Mauersteine weg und vergrößerten die Lücke. Als sie fertig waren, steckten sie vorsichtig ihre Köpfe hindurch. Was sie sahen, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Die Hand gehörte zu einem ungewöhnlich gut erhaltenen Skelett, das noch vollständig bekleidet war. Es handelte sich dabei offensichtlich um einen Mann. Sie kletterten auf die andere Seite und betrachteten den Toten.
»Der muss ja schon seit ewigen Zeiten hier liegen«, staunte Amber. »Seht euch nur mal die Stoffe an, sie sehen uralt aus. So etwas trug man doch eigentlich im Mittelalter.«