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Beschreibung

Aus dem heutigen Irak stammt die älteste schriftlich überlieferte Dichtung der Welt, das Gilgamesch-Epos. Gilgamesch, König von Uruk, schließt Freundschaft mit Enkidu, Sohn der Steppe, und gemeinsam bestehen sie viele Abenteuer. Aber nach dem Tod Enkidus stürzt Gilgamesch in tiefe Verzweiflung und macht sich auf die Suche nach dem ewigen Leben: eine zeitlose Geschichte. Die bewährte Übersetzung von Wolfgang Röllig wurde für diese Ausgabe grundlegend überarbeitet, um alle heute bekannten Texte erweitert und mit einem Kommentar sowie einer Einleitung versehen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 205

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Das Gilgamesch-Epos

Auf Grundlage der Ausgabe von Wolfgang Röllig übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Sabina Franke

Reclam

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 961869

2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961869-2

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014447-3

www.reclam.de

Inhalt

Einleitung

Der Text

Zu dieser Übersetzung

Die Personen

Die Orte

Die sumerischen Gilgamesch-Erzählungen

Das Gilgamesch-Epos einst und jetzt

Danksagung

Das Gilgamesch-Epos

Tafel I

Tafel II

Tafel III

Tafel IV

Tafel V

Tafel VI

Tafel VII

Tafel VIII

Tafel IX

Tafel X

Tafel XI

Auszüge aus den altbabylonischen ...

AB 1: Gilgameschs Träume: Enkidus Geburt und Erscheinen in Uruk

AB 2: Die Planung des Marsches zum Zedernwald

AB 3: Träume auf dem Marsch zum Zedernwald

AB 4: Der Tod des Chuwawa

AB 5: Gilgamesch bei der Schenkin Siduri

Kolumne I

Kolumne II

Kolumne III

Kolumne IV

Anhang

Anmerkungen

Überblick über die wesentlichen historischen Perioden

Anmerkungen zur Fassung des Epos aus Ninive

Zu den altbabylonischen Texten

Glossar

Literaturhinweise

Einleitung

Nun töne, Lied, mit eignem Feuer!

Denn du bist älter, du bist neuer.

 Goethe, West-östlicher Divan

 

Erzählen ist ein Urbedürfnis des Menschen wie Essen, Trinken und Schlafen. Erlebnisse werden geschildert, Erfahrungen in Worte gebracht, Sehnsüchte angedeutet, Jubel, Freude und Glück, aber auch Schmerz, Trauer und Klage werden in Situationen oder Bildern geschildert und so dauerhaft erfahrbar gemacht, seelisch bewältigt. So entsteht Dichtung, große Dichtung.

Das Gilgamesch-Epos ist eine solche Dichtung. In ihm wurden bereits vor Tausenden von Jahren existentielle Erfahrungen des Menschen angesprochen – Schöpfung und Tod, Freundschaft und Feindschaft, Hochmut und klägliches Versagen, Demut und Überheblichkeit – und in beispielhaften Episoden plastisch vorgestellt. Das Epos entstand in einer lange vergangenen Kultur im Zweistromland von Euphrat und Tigris, dessen frühe Zivilisation uns fremd ist. Und doch spricht es, auch darin den großen Epen Europas gleich, Situationen und Erfahrungen an, die immer aktuell bleiben, auch uns betreffen. Die Bedeutung seines Erzählstoffes, die Schönheit und Erhabenheit seiner Erzählung ließen sich trotz mancher Lücken bisher bereits erahnen. Die Entdeckung vieler neuer Bruchstücke, die gelehrte Rekonstruktion des Textes in den letzten Jahrzehnten lässt uns heute diese großartige Schöpfung babylonischer Dichter weitaus besser erfahrbar machen.

Eine erste Übersetzung des Gilgamesch-Epos erschien in Reclams Universal-Bibliothek bereits 1934. Sie stammte aus der Feder von Albert Schott, einem Schüler von Peter Jensen, der zuvor durch seine monumentalen Bände Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur (Bd. 1, 1906; Bd. 2, 1928) für eine kontrovers geführte Diskussion über die Verbreitung und Wirkung des Epos gesorgt hatte. Die neue Übersetzung war sowohl inhaltlich als auch in ihrer sprachlichen Gestaltung vorbildlich. Schotts Übersetzung wurde mehrfach aufgrund neuerer Textfunde und Forschungen ergänzt und verbessert durch Wolfram von Soden und erschien in einer 6. Auflage zuletzt 1989. Seitdem wurden weitere Fortschritte in der Textrekonstruktion gemacht, konnten neue Fragmente des Epos bei Ausgrabungen und in Museen entdeckt werden, wurden die Kenntnisse der Grammatik und des Wortschatzes des Akkadischen (Babylonisch-Assyrischen), nicht zuletzt durch die Arbeiten Wolfram von Sodens, entscheidend verbessert. Andrew R. George hat dann 2003 in einer monumentalen Neuedition aller bis dahin bekannten Texte nebst ausführlichem Kommentar eine völlig neue textliche Basis geschaffen, die 2009 eine einheitliche neue Übersetzung des Epos für die Ausgabe im Reclam Verlag nicht nur ermöglichte, sondern erforderte.

Neue Texteditionen führen allerdings in der Altorientalistik unweigerlich dazu, dass weitere Textfragmente und Tafeln an bereits bekannte angeschlossen werden können. Auch werden immer wieder gänzlich neue Texte gefunden, so dass nun erneut eine Überarbeitung nötig wurde. Die hier vorliegende Übersetzung beruht auf dem Textbestand, der sich in der »electronic Babylonian Library«, einem Projekt der Ludwig-Maximilians-Universität München unter der Leitung von Enrique Jiménez (www.ebl.lmu), befindet. Dort sind alle bis März 2023 bekannten Texte in der Bearbeitung und englischen Übersetzung von Andrew R. George enthalten. In der Münchner Edition lassen sich zudem alle Vergleichstexte und -zeilen leicht auffinden.

Das in den früheren Auflagen angewandte Prinzip, Lücken in der ninivitischen Version durch Texte aus der altbabylonischen Überlieferung zu schließen, ist aufgegeben worden, da der Text des Epos inzwischen weithin rekonstruierbar ist. In der vorliegenden Ausgabe sollen auch die stilistischen Eigenheiten der babylonischen Dichtung gezeigt werden. Daher wurde nur in geringem Umfang sprachlich geglättet, um die Erzählweise des überlieferten Textes auch heutigen Lesern spürbar zu machen. Da eine möglichst originale Wiedergabe auf der anderen Seite oft das Verständnis erschwert, schien es sinnvoll, durch Beigabe von Erläuterungen schwierige Stellen zu erklären, Hintergrundinformationen zu liefern, die dem Babylonier selbstverständlich und wohlbekannt waren, Lesern des 21. Jahrhunderts jedoch nicht geläufig sein können. Das kann in dem hier vorgegebenen Rahmen selbstverständlich kein Kommentar zum gesamten Epos sein. Darüber hinaus ermöglicht eine alphabetische Zusammenstellung mehrfach vorkommender Namen und Begriffe den Leserinnen und Lesern auch ohne Lektüre der Erläuterungen eine rasche Orientierung (s. Glossar S. 206).

Der Text

Der Text des Epos hat eine lange und durchaus uneinheitliche Tradition. Das »Gilgamesch-Epos« in der Version aus Ninive, die hier als Haupttext zugrunde gelegt wurde, ist ein Produkt der Spätzeit der babylonisch-assyrischen Kultur des 1. Jahrtausends v. Chr. Diese Fassung ist – soweit wir heute wissen – erst von den Schreibern abschließend festgelegt worden, die in neuassyrischer Zeit u. a. die Tontafeln der Bibliothek des Königs Assurbanipal (669–627 v. Chr.) in Ninive zusammenstellten und in einer Art Bibliotheksschrift niederschrieben. Sie konnten sich dabei auf eine breite Überlieferung stützen, die bis in die Zeit der Sumerer, d. h. ins 3. Jahrtausend v. Chr., zurückreicht. Sie bestand zunächst aus Einzelerzählungen, die in zahlreichen Verästelungen allmählich zu einer einheitlichen Komposition zusammenwuchsen. Für die letztlich gültige Version benennen uns die Babylonier sogar einen Verfasser mit Namen Sin-leqe-unnini (d. h. »Sin, nimm mein Flehen an«), was insofern ungewöhnlich ist, als Literaturwerke im Alten Orient normalerweise nicht einem bestimmten Autor zugeschrieben, sondern anonym überliefert wurden. Hier ließen die Bedeutung und der Umfang des Epos wohl eine Ausnahme zu, wobei der Autor nicht etwa als »Dichter« bezeichnet, sondern unter die Gelehrten gerechnet wird.

Die Erzählungen vom Helden Gilgamesch (sumerisch Bilgames, im Folgenden nur Gilgamesch) wurden vermutlich zunächst nicht schriftlich, sondern lediglich mündlich überliefert. Aus der Periode gegen Ende der sumerischen Vorherrschaft in Südbabylonien, die wir mit der 3. Dynastie von Ur verbinden und die etwa von 2112 bis 2004 v. Chr. dauerte, sind literarische Anspielungen bekannt, die es wahrscheinlich machen, dass bereits zu dieser Zeit Erzählungen über Gilgamesch kursierten. Diese wurden wenig später in sechs derzeit bekannten einzelnen Kleinepen niedergeschrieben (s. S. 27 ff.), sind von unterschiedlicher Länge und decken sich inhaltlich nur zum Teil mit dem späteren Epos. Weder das Epos »Gilgamesch und Akka von Kisch« noch »Der Tod des Gilgamesch« wurden weiter tradiert. Dagegen ist die Erzählung »Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt« offenbar weiterhin in sumerischer Sprache überliefert und schließlich zum Teil in akkadischer Übersetzung als Tafel XII der ninivitischen Version angehängt worden.

Aus altbabylonischer Zeit, d. h. zwischen 1800 und etwa 1595 v. Chr., kennen wir mehrere (derzeit insgesamt 14) Keilschrifttafeln, die Themen des späteren Epos behandeln (s. hier AB 1 – AB 5, S. 149 ff.). Es handelt sich hauptsächlich um die Tafeln II bis V der ninivitischen Version, d. h. die Episoden von der Ankunft Enkidus in Uruk, dem Kampf mit Chumbaba, dem Wächter des Zedernwaldes, und mit dem Himmelsstier. Nur eine Tafel (AB 5) enthält die Begegnung Gilgameschs mit der Schankwirtin Siduri (Tafel X der ninivitischen Rezension). In dieser Periode wurde die Sintflutgeschichte noch in einem eigenen Mythos von der Menschenschöpfung und dem Sintfluthelden Atramchasis erzählt. Später wurde die Sintflutgeschichte als elfte Tafel in das Gilgamesch-Epos aufgenommen, die Atramchasis-Erzählung aber nicht weiter überliefert.

In der folgenden mittelbabylonischen Zeit (ab etwa 1650 bis etwa 1025 v. Chr.) werden Teile des Epos in der großen, damals von der Keilschrift geprägten Ökumene gelesen, so im südbabylonischen Ur und im nordbabylonischen Nippur, aber auch in Emar (heute Meskene) am syrischen Euphrat, in Megiddo in Palästina, in Ugarit am Mittelmeer und sogar in Hattusa (heute Boğazkale), der Hauptstadt des Hethiterreiches. Es sind derzeit elf recht fragmentarische Texte aus dieser Zeit bekannt, die meist Schülerübungen waren. Sie entsprechen zwar thematisch einzelnen Episoden des späteren Gesamtepos, sind aber stark vom Lokalkolorit der jeweiligen Region abhängig. Überhaupt muss man sich die Überlieferung wohl so vorstellen, dass sie nach wie vor hauptsächlich von Mund zu Mund ging, von Erzählern bei passenden Gelegenheiten berichtet und jeweils mit aktuellen Bezügen ausgeschmückt, der unterschiedlichen kulturellen und religiösen Tradition angepasst und nur gelegentlich auch in die Schriftform gegossen wurde. Schultexte allerdings greifen überwiegend auf standardisierte Texte zurück. Dabei ist wieder eine besondere Bevorzugung des Themas »Chumbaba und der Zedernwald« zu bemerken.

Auch in der jüngeren, d. h. der neuassyrischen und neubabylonischen Zeit (um 900 – 539 v. Chr.) gibt es einige Texte (derzeit 17), gefunden in Assur, Nimrud, Ninive und Sultantepe, die nicht alle der Standard-Version entsprechen, die aus der Bibliothek Assurbanipals stammt. Diese Standardversion beruht auf der größten Anzahl von Tafeln und Fragmenten (derzeit 116).

Kein keilschriftlicher Textbestand ist jedoch statisch: Manchmal können Fragmente aufgrund äußerer und inhaltlicher Kriterien zusammengeschlossen werden, ein anderes Mal können bereits bekannte Fragmente neu dem Epos zugeordnet werden. Und manchmal taucht im Kunsthandel oder einer Sammlung eine völlig neue Tafel auf, die festgeglaubte Vorstellungen umwirft, so dass die Textrekonstruktion noch lange nicht abgeschlossen ist.

Nach der Konstituierung des Epostextes durch die babylonischen Gelehrten wohl am Ende des 2. Jahrtausends fand keine gravierende Weiterentwicklung mehr statt, und es wurden keine substantiellen Veränderungen am Text mehr vorgenommen. Es sollte vielleicht auch noch betont werden, dass – jedenfalls bisher – keine Spur einer Übersetzung etwa ins Aramäische oder gar Griechische gefunden wurde, auch wenn der Name des Gilgamesch in einem aramäischen Qumran-Text und zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. bei Aelian (um 170 – 235 n. Chr.) auf Griechisch erscheint. Wie alle keilschriftlich überlieferten Texte hat auch das Gilgamesch-Epos das Ende der Keilschrift, in der es vom Beginn an aufgeschrieben worden war, nicht dauerhaft überlebt.

Orte der Bewahrung des literarischen Erbes sind in Mesopotamien zunächst die »Schulen«, in denen die Schüler im fortgeschrittenen Stadium ihrer Ausbildung zu Schreibern auch solche Texte kennenlernten und kopierten, die thematisch zum Gilgamesch-Stoff gehörten, auch wenn sie später nicht in das Epos übernommen wurden. Deshalb werden solche Kompositionen auch in Katalogen der Sammlungen von Tontafeln mancher Bibliotheken aufgeführt. Dort werden die Literaturwerke in der in Babylonien üblichen Weise mit ihrer Anfangszeile zitiert, z. B. »Die Gesandten von Akka« für »Gilgamesch und Akka von Kisch« (s. S. 27 f.) oder »Der Herr zu dem Land des Lebenden« für »Gilgamesch und Chuwawa A« (s. S. 28 f.). Die einzelnen Tafeln (= Kapitel) des Epos werden als »x-te Tafel (der Erzählung von demjenigen,) der die Tiefe sah« (babylonisch: ša nagba īmuru), aufgeführt. Die sumerischen Texte fügen üblicherweise noch einen formelhaften Lobpreis an: »Gilgamesch, Herr von Kullab (Uruk), es ist angenehm, dich zu loben« oder »Ehre dem mächtigen Gilgamesch. Nissaba (der Göttin der Schreibkunst) sei Preis!« oder »Der Himmelsstier – erschlagen ist er. Heilige Inanna, es ist angenehm, dich zu loben«. Schon von der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. an finden sich Texte auch in Tempel- und Palastbibliotheken, die von den dort beschäftigten Schreibern niedergeschrieben wurden. Im 1. Jahrtausend aber ist das Gilgamesch-Epos nicht mehr Ausbildungsstoff, sondern wird im Wesentlichen im kleinen Gelehrtenkreis überliefert.

Zu dieser Übersetzung

Trotz der enormen Fortschritte in der Textrekonstruktion bestehen immer noch kleinere und größere Lücken, so dass nach wie vor einzelne Passagen unklar bleiben und der Gang der Handlung und die Argumentationen nicht immer mit Sicherheit erschlossen werden können. Ergänzungen des Textes sind manchmal sicher, oft sind sie aber nur hypothetisch. Da die altorientalische Literatur als häufiges Stilmittel die wörtliche Wiederholung einzelner Textpassagen einsetzt, lassen sich dadurch längere Abschnitte rekonstruieren.

Kleinere und größere Lücken sind einheitlich durch Auslassungspunkte oder Herausgeberkommentar gekennzeichnet. Überall dort, wo Textpassagen oder einzelne Wörter entweder ergänzt oder – seltener – in ihrer Lesung und/oder Bedeutung unsicher sind, erscheinen sie in Kursivsatz. Hier ist besondere Vorsicht bei der Benutzung der Aussagen geboten. In runden Klammern stehen Ergänzungen, die der besseren Verständlichkeit der deutschen Übersetzung dienen.

Die Zeilenzählung entspricht derjenigen der Edition von Andrew R. George in www.ebl.lmu.de/corpus/L/1/4 und damit nicht mehr der älterer Übersetzungen. Gelegentliche überlange Zeilen mit zwei »Versen« (z. B. V 177 f.) gehen bereits auf die Vorlagen, d. h. den Text der babylonischen Schreiber, zurück. Bei den altbabylonischen Textbeispielen, die meist in sehr viel kürzeren Zeilen geschrieben sind als die ninivitische Version, wurden häufig mehrere Zeilen, die eine Sinneinheit bilden, zusammengefasst und durch Virgeln (/) getrennt.

Das Epos ist nicht in Prosa geschrieben. Es lässt, jedenfalls in der ninivitischen Version, einen poetischen Duktus erkennen, in dem jeweils eine Zeile einen Vers und damit einen Satz oder eine Sinneinheit enthält. Feste, formelhafte Wendungen, häufige Repetitionen und das Prinzip des parallelismus membrorum gliedern und strukturieren das Werk. Dieser bisher nur unvollkommen erforschte Duktus ist allerdings nicht mit der Metrik, die uns aus der Antike wohlbekannt ist und die die europäische Dichtung beherrscht, vergleichbar. Es wurde in dieser Übersetzung bewusst darauf verzichtet, den babylonischen Versbau nachzuahmen oder den Text auf eine poetische Sprachebene im Deutschen zu heben. Allerdings wurden Charakteristika wie die häufigen Wiederholungen, formelhafte Redewendungen, lakonische Sprache, und, wenn es sich anbot, die akkadische Satzstellung beibehalten. Andere Stilmittel wie Alliterationen, die bewusste Verwendung bestimmter Laute oder gar Doppeldeutigkeiten oder Wortspiele, die z. T. nur im Schriftbild erkennbar sind, lassen sich nicht nachahmen. Mit den häufigen Wiederholungen verfolgte man unterschiedliche Absichten: Einerseits erzeugte man so Spannung und Neugier beim Rezipienten, die sich dann in einigen wenigen Sätzen entlud, andererseits ermöglichten sie die Darstellung eines Ereignisses aus unterschiedlichen Perspektiven.

Die Personen

Das Epos beginnt mit einem kurzen Lobpreis auf Gilgamesch (I 1–28), in dem seine Abenteuer zusammengefasst werden. Gilgamesch konnte auf seinen Reisen unterschiedliche Erfahrungen sammeln, kehrte aber am Ende in seine Stadt Uruk zurück, um an der großartigen Stadtmauer zu bauen. Dieser Hymnus wurde dem eigentlichen Epos vorangestellt, denn die altbabylonische Fassung beginnt mit den Aussagen der Zeile 29 »Alle Könige überragend, Herr von großartiger Statur«.

GILGAMESCH ist von äußerst attraktiver Gestalt, ein Bild von einem Mann und ein vollkommener Krieger. Insbesondere seine körperlichen Vorzüge werden betont, kulminierend in der Aussage (Zeile 37): »Riesig ist Gilgamesch, vollkommen und schrecklich!« Seine innere Unruhe, ein wichtiges Motiv im weiteren Verlauf, führt ihn durch die Gebirgspässe und an die Ränder der Gebirge, über die Ozeane bis ans Ende der Welt zu Uta-napischti, dem Überlebenden der Sintflut. Die Geschichte menschlichen Lebens teilt sich nach mesopotamischen Vorstellungen in zwei Abschnitte: die Zeit vor der großen Flut, die Frühzeit, und das Leben danach bis in die jeweilige Erzählzeit. Gilgamesch, der zu Uta-napischti vordringt, erfährt dort Wissen aus der Frühzeit. Die für unser Denken wichtige Frage, wie denn die Menschheit nach ihrer Auslöschung durch die Sintflut weiterleben konnte, wird in keinem Text explizit angesprochen. Will man tatsächlich annehmen, dass die Menschheit auf die Rückkehr Gilgameschs von Uta-napischti warten musste, um wieder Kultregeln befolgen zu können? Nach der Aussage des Epos ist es Uta-napischti, der dafür gesorgt hat, dass die alten Kulte wieder praktiziert werden können, denn er opfert unmittelbar nach der Flut und seiner Rettung den Göttern und stellt so das alte Verhältnis zwischen Göttern und Menschen wieder her: Die Menschen sorgen durch ihre Arbeit für die Götter, und die Götter sind ihnen daher gnädig gestimmt. Sprachlich lässt sich das in den einleitenden Zeilen des Epos sehr schön verfolgen: Die Aktivitäten Gilgameschs sind auf folgende Art beschrieben: ēniq, šīhu, pētû, hērû, ēbir, hāyyiṭ, kāšid (I 37–42; hier bewusst nur akkadisch zitiert). Auf die Erwähnung Uta-napischtis in Zeile 42 folgen zwei gänzlich anders gebildete Formen in Zeile 43 und 44: mutēr (»Erneuerer«) und mukīn (»Begründer«), die sich nur auf Uta-napischti beziehen können. Mit Hilfe unterschiedlicher Formen wird ein Wechsel des Bezugswortes angezeigt. Die Wiederherstellung der Kulte geht demnach auf Uta-napischti, nicht auf Gilgamesch zurück. Dass der Dichter auf diese Weise eine Doppeldeutigkeit erzeugt, ist sicher kein Versehen. Vergleichbar ist dieser Aufbau mit dem des sumerischen Textes »Tod des Gilgamesch«. Auch dort ist Gilgamesch zu dem Sintfluthelden, sumerisch Ziusudra, gelangt. Es folgen einige Zeilen, die die Etablierung von Kultregeln beschreiben und die sich sowohl auf Gilgamesch als auch Ziusudra beziehen können.

In den nachfolgenden Zeilen ab I 45 werden erneut die überragenden äußerlichen Merkmale Gilgameschs beschrieben: seine Gestalt, seine Größe und Kraft, dank derer er die Einwohner Uruks tyrannisieren kann. In seinem Ungestüm will er für sich allein Ruhm gewinnen: Enkidu und er schicken sogar die jungen Männer zurück, die sie begleiten wollen (III 230 f.). Nur durch den Mut Enkidus, der ihn trotz bedrohlicher Träume bestärkt und unterstützt, gelingt ihm der Sieg über Chumbaba und den Himmelsstier, den ihm Enkidu großzügig überlässt. Aber als Enkidu von der Unterwelt träumt und hilfesuchend nach Gilgamesch ruft, fürchtet sich Gilgamesch und hilft offensichtlich nicht. Seine Trauer um Enkidu ist egoistisch: Gilgamesch bedenkt nur die Folgen, die Enkidus Tod für ihn selbst hat, aber verschwendet keinen Gedanken daran, dass sein Bruder, Freund und Gefährte die Konsequenzen ihrer Taten erleiden muss. Er erkennt nach dem Tod Enkidus voller Angst, dass auch er sterben wird. So löst der Tod seines Freundes den zweiten Teil der Handlung aus, in dem Gilgamesch sich unverändert unüberlegt auf die Suche nach Uta-napischti und dem ewigen Leben macht, aber – wie zu erwarten – scheitert.

Angesichts der im Epos geschilderten Taten Gilgameschs stellt sich nur für uns die Frage, ob er eine historische Gestalt war. Für die Gelehrten des Alten Orients war Gilgamesch real. So kann der König Anam von Uruk um 1800 v. Chr. die Stadtmauer seiner Stadt seinem weit entfernten Vorgänger Gilgamesch zuschreiben, und Gilgamesch kann als göttlicher Herrscher in der Sumerischen Königsliste und als Vorbild in sumerischen Hymnen angeführt werden. Nach den ältesten bekannten Belegen war Gilgamesch eine Gottheit der Unterwelt. Auch später residiert er, so klingt es im sumerischen Epos »Der Tod des Gilgamesch« an, in der Unterwelt und steht dort neben den Göttern Ningischzida und Dumuzi am Tor. Er ist einer der »Richter« der Unterwelt, und vor allem fährt er den Nachen über den Unterweltfluss Chubur – eine Umsetzung der Erzählung von seiner Passage des Ozeans und des Meeres des Todes zu Uta-napischti (Tafel X). Diese Aufgabe spricht seine Mutter Ninsun an, wenn sie die Zukunft Gilgameschs in der Unterwelt im Gebet bestätigt wissen will (III 101–106). Die Gründe, warum Gilgamesch die göttliche Sphäre verlassen hat – immerhin blieb er noch zu zwei Dritteln Gott –, bleiben im Dunkeln. Sicher ist jedoch, dass ihm – möglicherweise als Repräsentant oder Ideal – herausragende Leistungen zugeschrieben werden.

Ist Gilgamesch nun ein negativer Held, da ihm in letzter Konsequenz fast alles misslingt? Die Siege über Chumbaba und den Himmelsstier führen zum Tod Enkidus, und er selbst bleibt sterblich. Dennoch bieten sein Leben und seine Abenteuer Orientierung. Sein anfängliches Ziel, das sowohl in den altbabylonischen als auch ninivitischen Texten formuliert ist, nämlich sich einen bleibenden Namen zu machen, hat er auf jeden Fall erreicht.

ENKIDU ist in der sumerischen Überlieferung – und deshalb auch in der angehängten Tafel XII des Epos – der Diener, später aber der Freund, Gefährte und letztlich Adoptivbruder des Gilgamesch. Er wird auf Befehl des Anu von der Schöpfergöttin Aruru aus Lehm in der Steppe geschaffen. Dort, d. h. außerhalb jeder Zivilisation, lebt er mit dem Wild, frisst Gras (I 108 und 173) und ist völlig behaart. Chumbaba charakterisiert ihn als einen, »der seinen Vater nicht kennt … keine Muttermilch trank« (V 117 f.). Durch die Vereinigung mit der Dirne Schamchat wird er seinem Wild entfremdet (I 143.164.195–199) und heimatlos. Schamchat führt ihn in die Gebräuche der städtischen Gesellschaft ein (II 44–51): Enkidu wäscht, salbt und kleidet sich, isst Brot und trinkt Bier – »und wurde ein Mensch« (AB [= Altbabylonische Texte] 1, 86–109). Er wird von Schamchat nach Uruk geführt und wird nach einem ausgeglichenen Kampf mit Gilgamesch dessen Freund und Gefährte, der von Gilgameschs Mutter Ninsun adoptiert wird. Er begleitet ihn auf seinem Zug zum Zedernwald, den er bereits aus eigener Anschauung kennt (III 7 und AB2, 106 ff.), warnt ihn zwar vor Abenteuern, steht dem Freund aber immer in allen Gefahren treu zur Seite. Auch deutet er ihm unterwegs die Träume und bestärkt ihn in seinem Vorhaben, als ihn angesichts des dämonischen Chumbaba der Mut verlässt. Er zimmert die Tür für den Tempel des Enlil aus dem Holz der Zeder, er packt den Himmelsstier, ehe ihn Gilgamesch erschlägt, er beleidigt die Göttin Ischtar, und am Ende ist er derjenige, der für die gemeinsamen Abenteuer der beiden von den Göttern zum Tode verurteilt wird. Wohl versucht Gilgamesch noch, ihn wieder zum Leben zu erwecken, indem er den Göttern ein Abbild aus kostbaren Materialien als Ersatz stiftet, doch dies ist vergeblich. Das Schicksal Enkidus veranlasst Gilgamesch, sich auf die Suche nach dem ewigen Leben zu machen. Im Gegensatz zu Gilgamesch hat Enkidu keinen Platz in der babylonischen Mythologie und Literatur gefunden, und er wird außerhalb des Epos nicht erwähnt.

CHUMBABA, der Wächter des Zedernwaldes, hat alle Züge eines Dämons. Er wurde vom Wetter- und Gewittergott Adad eingesetzt, um den Wald mit der begehrten Zeder zu bewachen. Er ist – ähnlich wie Gilgamesch und Enkidu – von besonders großer Gestalt, kann brüllen, dass die Berge zittern, und ist von einer Aura – auch als sieben Gewänder bezeichnet (V 98–100) – umgeben, deren Strahlen gefährlich sein können. Er steht offenbar unter dem besonderen Schutz von Enlil in Nippur und Schamasch in Larsa, die sein Todesgeschrei nicht hören dürfen. Obwohl Gilgamesch ihn zunächst schonen will, wird ihm doch auf Anraten des Enkidu der Kopf abgeschlagen. Dieser Kopf – immer frontal gezeigt und mit grässlich zur Fratze verzogenen Gesichtszügen – erscheint häufig in der bildenden Kunst Babyloniens, wohl abschreckend wie das Medusenhaupt bei den Griechen. So kann von dem Dämon mit Recht gesagt werden, seine Erscheinung sei »ganz anders« (IV 215 f.).

Die Schenkin SIDURI ist namentlich nur in der ninivitischen Version des Epos genannt, in der älteren Überlieferung wird sie nur als »Wirtin, eine, die eine Bier-Schenke betreibt«, bezeichnet. Sie trägt einen Schleier und übt ein Gewerbe aus, das in Babylonien zwar wichtig, aber auch anrüchig war. In der Kneipe verkehrten nicht nur die Bürger, um sich mit dem begehrten und in vielfältiger Form verfügbaren Bier zu versorgen, sondern hier war offenbar auch die Prostitution zu Hause. Es ist sicher kein Zufall, dass gerade der Schenkin in einem der altbabylonischen Vorläufertexte die Worte in den Mund gelegt werden, die man als ein Manifest des Carpe diem – »Nutze den Tag« und des Hedonismus bezeichnen kann (AB 5 Kol. III 6–15). Die Göttin Ischtar war auch die Schutzherrin der Kneipen und der Prostituierten. Sie spielt also in Tafel X des Epos als Siduri eine ganz andere Rolle als in der Erzählung »Gilgamesch, Enkidu und der Himmelsstier« und in Tafel VI.

Der Fährmann UR-SCHANABI, in den älteren Texten Sursunabu, wohnt am Ufer des Ozeans, der nach babylonischer Vorstellung die Erde ringsum umgibt. Er allein kennt den Weg zu Uta-napischti, der nicht nur über diesen Ozean, sondern weiter durch »das Gewässer des Todes« (X 83–87) führt. Er stürzt sich zunächst auf Gilgamesch, weil dieser »die Steinernen« im Walde erschlagen hatte, lässt sich aber dann umstimmen und fährt mit dem Helden und einem Vorrat Stocherstangen los, um schließlich sogar noch gemeinsam mit Gilgamesch das Segel zu erfinden. Am Ende muss er Gilgamesch auch auf dem Rückweg von Uta-napischti nach Uruk begleiten, weil er einen Sterblichen übergesetzt und damit das Recht auf weitere Überfahrten verwirkt hat. Nach der Rückkehr nach Uruk soll er die prachtvolle Mauer der Stadt bezeugen.

UTA-NAPISCHTI ist der babylonische Sintflutheld. Er trägt einen sprechenden Namen, nämlich »Ich habe das Leben gefunden«, was zweifellos auf den Mythos von seiner Auserwählung durch den Gott Ea, die Errettung vor der Sintflut und seine Entrückung an die Mündung der Flüsse verweist. Er gilt als König von Schuruppak und Sohn eines gewissen Ubar-Tutu (XI 1–13.23), und auch die Sumerische Königsliste führt ihn – unter dem Namen Ziusudra des sumerischen Sintfluthelden – als Herrscher dieser Stadt direkt vor der Sintflut auf. Uta-napischti führt Gilgamesch die Vergeblichkeit seiner Suche deutlich vor Augen und ermahnt ihn, seine Pflichten als Herrscher zu erfüllen.

Die Orte

Die STADT URUK, heute Warka in Südirak, gehört neben Eridu, Ur und Nippur zu den großen städtischen Zentren, die gegen Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. mit der