Das Glück findet dich auf Bali - Juli Klee - E-Book
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Das Glück findet dich auf Bali E-Book

Juli Klee

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Beschreibung

So unerwartet wie Lena ihren Redakteursjob verliert, findet sie sich nach einer durchzechten Nacht auf Bali wieder: Ohne Job, ohne Plan und ohne ihren Verlobten Martin. Zwar ist sie vorerst die heimischen Probleme los, hat dafür aber mit den balinesischen Gepflogenheiten zu kämpfen. Das erste Mal in ihrem Leben ist sie auf sich allein gestellt - und beginnt ihr Leben zu hinterfragen.

Je länger Lena auf Bali ist, desto mehr lernt sie die Insel und die Menschen zu schätzen. Sie entdeckt, dass Yoga mehr bedeutet, als einfach nur auf dem Boden rumzuliegen, genießt die entspannte Lebensart, und auch Surflehrer Tim rüttelt etwas in ihr wach. Lena stellt sich langsam die Frage: Was bedeutet wahres Glück?

Ein romantischer sommerlicher Liebesroman darüber, warum es sich manchmal lohnt, dem Gewohnten den Rücken zu kehren und sich im Lotussitz in einer neuen Leichtigkeit niederzulassen. Für Leserinnen mit Fernweh, die Lust haben auf einen kleinen Urlaub zwischendurch.

Alle Geschichten dieser Reihe zaubern dir den Sommer ins Herz und bringen dir den Urlaub nach Hause. Die Romane sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Inhalt

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelHibiskusRosenGeranienYuccapalmeDahlieFächerpalmeBambusBaumfreundJasminFalscher ParadiesvogelPassionsblumeReispflanzeAloe VeraMimoseOrchideeEngelstrompeteWunderstrauchSeeroseKokospalmePuderquastenstrauchSteifblättriger FroschlöffelNelkeGeweihfarnSeegrasRoter Fackel-IngwerKaktusSchwertlilieFlammenbaumBanyanbaumLotusblumeHakenliliePapageienschnabelSukkulenteFrangipaniVergissmeinnichtNestfarnWüstenroseGoldtrompeteKeulenlilieDrillingsblumeYlang-YlangMoosIndianer-SeidenpflanzeDankÜber die AutorinImpressum

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Über dieses Buch

So unerwartet wie Lena ihren Redakteursjob verliert, findet sie sich nach einer durchzechten Nacht auf Bali wieder: Ohne Job, ohne Plan und ohne ihren Verlobten Martin. Zwar ist sie vorerst die heimischen Probleme los, hat dafür aber mit den balinesischen Gepflogenheiten zu kämpfen. Das erste Mal in ihrem Leben ist sie auf sich allein gestellt – und beginnt ihr Leben zu hinterfragen. Je länger Lena auf Bali ist, desto mehr lernt sie die Insel und die Menschen zu schätzen. Sie entdeckt, dass Yoga mehr bedeutet, als einfach nur auf dem Boden rumzuliegen, genießt die entspannte Lebensart, und auch Surflehrer Tim rüttelt etwas in ihr wach. Lena stellt sich langsam die Frage: Was bedeutet wahres Glück?

JULI KLEE

Hibiskus

Durch die dünnen Gummisohlen ihrer Flip-Flops brannte sich die Hitze des Asphalts. Slalomgleich schlängelte sich Lena zwischen den mit Rollsplitt und Brackwasser gefüllten Schlaglöchern hindurch. Gleichzeitig war sie darauf bedacht, die vielen Roller, Autos und Motorräder nicht aus den Augen zu lassen.

Kinder, so jung, als seien sie erst kürzlich eingeschult worden, donnerten lachend, ohne Shirt und Helm an ihr vorbei. In einem Hibiskusbaum saß ein schwarzer Vogel und piepste munter vor sich hin.

Sekunden später wurde sein Gesang vom Knattern der vielen Mopeds übertönt. Der Gestank von Abgasen vermischte sich mit dem süßlichen Geruch von Kokoswasser und gerösteten Erdnüssen, der aus einem Imbiss strömte, den Lena soeben passierte.

Am Rand einer Porzellanschüssel rann eine dickflüssige hellbraune Soße hinab. Daneben, hinter einer Glasscheibe, türmten sich auf großen Tellern gepellte Eier und in hellrote Marinade eingelegte Hähnchenschenkel.

Sie wandte den Kopf ab und blinzelte. Die Sonne brachte das Grün des gegenüberliegenden Reisfelds zum Leuchten. Direkt dahinter warb eine Reklametafel für ein Nagelstudio.

Das Hupen eines Rollerfahrers ließ Lena zur Seite springen. Mit dem rechten Flip-Flop landete sie in einem der vielen Schlaglöcher und musste mitansehen, wie der Schlamm ihre frisch lackierten Nägel überzog. Warum gab es hier eigentlich keine Gehwege? Und was hatte sie überhaupt auf Bali verloren?

Lena wischte sich den Schweiß von der Stirn und presste ihren Rücken gegen das Schaufenster eines Kiosks, hinter dem ein Welcome-Schriftzug hektisch blinkte.

Rosen

Der Regen tropfte aus Lenas Haarspitzen und rann ihre Schultern hinab. Wortlos ließ sie den Biomarkt hinter sich und folgte Tobi zum Auto, wobei ihre mittlerweile matschfarbenen Turnschuhe bei jedem ihrer Schritte ein schmatzendes Geräusch von sich gaben.

Tobi wischte, nachdem er ihre durchnässten Jacken und die Kamera im Kofferraum verstaut hatte, mit einer flinken Handbewegung Chips- und Keksreste vom Beifahrersitz.

»Voilà, Madame.« Er wies auf das noch immer krümelige Polster.

Mit einem tiefen Seufzer nahm Lena Platz.

Tobi startete den Motor. »Welch ein Reinfall! Wir sollten Frank sagen, dass wir nicht länger bereit sind, über solche Aktionen zu berichten. Dass die Eröffnung des gefühlt hundertsten Biomarkts in Hamburg kein Highlight sein dürfte, hätte er doch voraussehen können, oder?«

»Dabei sind wir noch weit entfernt vom Sommerloch.« Lena zuckte mit den noch immer feuchten Schultern. »Mal sehen, wie er heute Abend drauf ist. Wir wollen über die Online-Redaktion sprechen. Bin gespannt, was er von meinen Vorschlägen hält.«

»Na, ich erst mal. Es kann nur spannender als dieser Vormittag werden.« Tobi zwinkerte und wandte sich wieder dem Verkehr auf der B 5 zu.

Zwischen Daumen und Zeigefinger drehte Frank den Kugelschreiber, während Lena von der anderen Seite des Tisches zu ihm hinübersah. Der Bürostuhl unter ihr quietschte bei jeder Bewegung und ließ ihren Chef aufblicken.

»Lena«, er kaute auf dem Plastikgehäuse herum, »wie alt bist du jetzt?«

Sie zögerte kurz. »Sechsundzwanzig.« Unter dem Tisch malträtierte sie den Nagel ihres Ringfingers. »Warum –«

»Sechsundzwanzig. Und schon so viel gelernt.« Während Frank ihr ins Wort fiel, machte er eine Geste, als lüfte er einen Hut oder Zylinder. »Chapeau! Mit deinem Know-how kannst du ganz sicher für eine renommierte Online-Redaktion arbeiten.«

»Danke für das Kompliment.« Sie lächelte und richtete sich auf. Erneut quietschte der Stuhl, auf dem sie saß. »Frank, ich freue mich wirklich sehr und hab ganz konkrete Vorstellungen, wie wir die Redaktion erfolgreich aufbauen können.«

»Das glaub ich dir und traue dir das auch zu.« Für einen kurzen Moment verstummte ihr Chef, während er den Kuli betrachtete, den er erneut zwischen seinen Fingern hin und her rollte. »Allerdings bin ich keine Sechsundzwanzig mehr, ganz im Gegenteil. Wie du vielleicht weißt, stehe ich zwei Jahre vor der Rente, sodass ich mich«, er räusperte sich, »also, in Rücksprache mit meiner Frau …«

Sein Atem wurde schneller, den Blick hatte er starr auf den Kuli gerichtet. Lena befürchtete beinahe, sein Ende könnte Frank womöglich noch vor der Rente ereilen.

»Wie soll ich’s sagen?« Mit der Daumenkuppe wischte er über die glänzende Schreibtischplatte und würdigte sie keines Blickes. »Lena, ich habe mich gegen die Online-Redaktion entschieden.«

Ihr Kopf nickte wie bei einem Wackeldackel vollkommen ohne ihr Zutun.

»Und dein Vertrag läuft ja ohnehin bald aus.«

In Lenas Ohren setzte ein leises Rauschen ein, ihre Augen begannen zu brennen. Sie überfiel das Gefühl, als habe jemand von hinten beide Hände um ihren Hals gelegt.

Frank hob den Kopf und sah Lena in die Augen. »Nun schau nicht so traurig! In deinem Alter und vor allem mit diesen Qualifikationen hast du richtig gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt.« Den Kopf wieder gesenkt, kratzte er mit dem Fingernagel über die Schreibtischunterlage. Das Geräusch mischte sich unter das Rauschen in Lenas Ohren.

Als Frank mit der Faust auf den massiven Tisch schlug, zuckte sie zusammen.

»Fort mit dem Trübsal! Ich stelle dich ab sofort frei. Gönn dir mal eine Auszeit, bevor du dich in die Bewerbungen stürzt!«

Lena starrte auf den Dreck unter seinen Nägeln, mit denen er sich soeben durch den Schnäuzer fuhr. Es ratschte und raschelte bei jeder seiner Handbewegungen. Das Rauschen in ihren Ohren nahm zu, bis es in ein dumpfes Dröhnen überging.

»Ich bin mir sicher, dass du sehr bald einen neuen Job findest, vielleicht sogar ganz ohne Befristung.« Seine Worte klangen wie aus weiter Entfernung.

Vor ihren Augen flimmerte es, als sich Lena vom Stuhl hochdrückte. Ihr Kiefer verkrampfte sich. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stand sie Sekunden später an der Tür, drückte die Klinke und betrat den Flur. Die meisten Monitore waren bereits dunkel.

Sie passierte die kleine Küche, in der die Reinigungskraft die verbliebenen Kaffeetassen in die Spülmaschine räumte. Als sie Lena erblickte, wünschte sie ihr einen schönen Feierabend.

»Danke, gleichfalls!« Lena setzte ihren Weg ins Großraumbüro fort.

Außer Martins Foto und der mit Strasssteinen besetzten Keksdose ihrer Mutter gab es nichts auf ihrem Schreibtisch, was es wert gewesen wäre, mitgenommen zu werden. Sie ließ beides in ihrer Tasche verschwinden und schloss mit dem Absatz ihres Schuhs die noch offenen Schubladen des Rollcontainers.

Lena warf einen letzten Blick auf das Flipchart im Mittelgang, wo sie sich auf zwei der Fotos beim letzten Team Building Event im Hochseilgarten sah. Ihre Höhenangst hatte dazu geführt, dass der Tag für sie nicht wirklich erfreulich endete.

Auf einem anderen Bild erkannte sie nur ihre langen braunen Haare hinter den vielen grünen Bierflaschen. Im Sommer vor zwei Jahren, als sie einen der wenigen heißen Tage für ein spontanes Fest genutzt hatten.

Plötzlich hörte sie Frank die Wendeltreppe herunterkommen und eilte zum Ausgang. Mit einem leisen »Pfft« schloss sich die schwere Glastür hinter ihr. Der Regen hatte sich mittlerweile verzogen, und der Himmel war in ein dunkelrotes Licht getaucht. An sich ein zauberhafter Frühlingsabend.

Eine Amsel zwitscherte, als Lena auf ihr Fahrrad zusteuerte. Der Biomarkt an der Ecke war voll, und auch vor dem Kiosk nebenan hatten sich kleine Grüppchen gebildet. Lena beschloss, ihr Rad vorerst zu schieben, um niemanden umzufahren.

Gerade, als sie die Menge passiert hatte und sich aufs Rad schwingen wollte, sah sie den älteren, in eine Decke gehüllten Mann, der am Boden kauerte. Seine strähnigen grauen Haare verdeckten sein Gesicht. Er schob den Pony zur Seite, und Lena sah die langen Fingernägel an seiner abgemagerten Hand.

Zaghaft hob er den Kopf und blickte in ihre Richtung, lächelte. Neben ihm stand ein verfilzter Teddybär mit ausgeblichenem rosafarbenem Fell und einer weißen Nelke im Arm.

Lena lehnte das Rad gegen die Wand und kramte in ihrer Tasche. Ihre Thermoskanne hatte sie heute nicht einmal angerührt. Sie zog sie hervor und drehte am Verschluss. Der Geruch von Zitronen und Zimt stieg ihr in die Nase. Auch die Dose war noch bis obenhin gefüllt. Lena ging auf ihn zu und hielt ihm Kanne und Keksdose hin.

Mit dem Zeigefinger deutete er auf seinen Brustkorb. In seinem Blick standen Fragezeichen. Der Obdachlose öffnete den Mund und entblößte seine Zähne. Sie waren dunkelbraun, zwei der unteren fast schwarz. »Für mich?« Seine Augen leuchteten. »Aber nein, junges Fräulein, das müssen Sie nicht!«

»Nehmen Sie sie gern!«

Er nahm einen großen Schluck vom Tee und öffnete mit zittrigen Händen die Dose. »Ich kann Sie Ihnen gleich morgen früh zurückgeben. Bestimmt arbeiten sie in der Nähe, oder?«

Ein kalter Windhauch ließ Lena frösteln, doch sie traute sich nicht, ihn zu fragen, ob dies wirklich sein Schlafplatz war. Sie konnte sich nicht erinnern, den alten Mann hier jemals zuvor gesehen zu haben. »Behalten Sie sie einfach! Ich werde hier so schnell nicht mehr vorbeikommen.« Die aufsteigenden Tränen versuchte sie gekonnt wegzublinzeln.

Mit seinem warmen, durchdringenden Blick sah er Lena an. »Sorgen Sie sich nicht, mein Kind! Alles wird gut!«

Lena war sich nicht sicher, ob nur sein Augenlid gezuckt hatte oder er ihr väterlich zuzwinkern wollte. Vielleicht sollte sie in den nächsten Tagen doch noch einmal hierherkommen. Mit der einen Hand ergriff sie ihr Rad, mit der anderen winkte sie ihm zum Abschied, bevor sie den Heimweg antrat.

Gegen neunzehn Uhr dreißig schloss sie die Wohnungstür auf und wurde von absoluter Dunkelheit begrüßt. Sie verfehlte das kleine Schränkchen und fluchte, als ihr Schlüssel mit einem lauten Knall auf dem Dielenboden landete.

Während sich Martin noch im Büro beim wöchentlichen Gin Friday amüsierte, hatte sie keine Ahnung, wie sie die nächsten Stunden ohne ihn herumbringen sollte, ohne komplett durchzudrehen. In ihrem Kopf überschlugen sich sämtliche Schimpfwörter, die ihr zu Frank einfielen.

Lena ließ ihre Tasche fallen und tastete nach dem Lichtschalter. Ohne ihn zu jedoch drücken, presste sie ihren Rücken gegen die Wand und ließ sich an ihr hinabgleiten. Nachdem ihr Po den Boden erreicht hatte, ruhte ihr Blick auf dem Eames Chair neben der Garderobe.

Wahrscheinlich würden sie ihn als Erstes verkaufen müssen, um den Kredit für die Wohnung weiterhin zahlen zu können. Sie hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Was sollte sie jetzt tun? Was würde aus ihrer Hochzeitsfeier werden? Sie konnte sich nicht einmal mehr auf das anstehende Wochenende freuen mit dem Wissen, dass es für sie vorerst nicht enden würde.

Das Schnarren der Türklingel riss sie aus den Gedanken.

»Hallo?« Sie schnäuzte sich die Nase.

»Hey, ich bin’s. Sorry, dass ich so spät dran bin!«

Susanne? O nein, das Konzert! Lena drückte den Knopf, bis das Geräusch des Türsummers durch den Hausflur schallte. Keine Minute später stand ihre beste Freundin vor ihr.

»Hey, so schlimm? Du guckst wie ein begossener Pudel. Ich sagte doch, es tut mir leid. Wir schaffen das trotzdem noch rechtzeitig. Versprochen!«

»Ich glaub, ich schaff heute gar nichts mehr.« Lena spürte, wie sich der Kloß in ihrem Hals ausdehnte. Eine erste Träne löste sich und rollte ihre Wange hinab.

Susanne kramte erst in der Jacke, dann in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. »Oh, Süße, was ist los?«

Mehr als ein »Frank« brachte Lena nicht hervor. Ihre Lippen bebten.

»Was hat er gesagt? Deine Ideen waren doch super. Was hat er denn nun schon wieder daran auszusetzen?« Sie schüttelte den Kopf. »Mensch, Lena, darüber lässt sich bestimmt noch reden.«

»Es ist bereits alles gesagt. Mein Vertrag wird nicht verlängert.«

Susanne riss die Augen auf. »Wie bitte? Wieso? Das glaub ich nicht!« Beide Hände in die Hüften gestemmt, baute sie sich vor Lena auf. »Sag mal, spinnt der? Der findet doch nie wieder jemanden wie dich!«

»Das braucht er auch nicht. Er geht wohl eh bald in Rente. Da scheint ihm jetzt alles andere egal zu sein.«

Susanne schlang ihre Arme um Lena. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das kann der doch nicht bringen!«

Nach einer Weile löste sich Lena aus der Umarmung, trat einen Schritt zurück und setzte eine ernste Miene auf. Mit der rechten Hand kratzte sie sich am imaginären Schnäuzer, wie Frank es vor zwei Stunden noch getan hatte. »Ach, Lena, gönn dir doch mal ein bisschen Urlaub!« Sie ließ ihre Stimme eine Oktave tiefer klingen als normal. »Du hast doch noch so viele Urlaubstage.«

Susanne lachte laut auf und sah sie dann nachdenklich an. »Also, du hast jetzt Urlaub, ja?«

Lena deutete ein Nicken an.

»Komm mal mit!«

Ehe Lena sich versah, hatte Susanne ihre Hand ergriffen und sie mit sich in Richtung Wohnzimmer gezogen. Am großen Ledersofa angekommen, drückte sie Lena sanft in die riesigen Polster, während sie selbst den kleinen Glastisch in der Ecke ansteuerte.

»Erinnerst du dich?« Susanne wedelte mit einem Stapel Bali-Flyer, die sie wie einen Fächer in der Hand hielt, vor ihren Augen herum.

Lenas Blick fiel auf die gebogenen Palmen am langen Sandstrand. Ähnlich wie es Susanne gerade tat, hatte auch Martin vorgestern mit dem bunten Papierstapel vor ihren Augen gewedelt. Schau mal, mein Engel! Dort soll ein wunderbarer Luxustempel entstehen, und ich darf das Ganze planen, hatte er mit stolzgeschwellter Brust verkündet, bevor er augenzwinkernd hinzugefügt hatte: Und wir könnten die Ersten sein, die ihn ausprobieren. Was meinst du?

Noch immer hatte Lena seine perfekt manikürten Fingernägel vor Augen, mit denen er auf die mit bunten Fahnen geschmückten Straßen und die mit weißen Tüchern eingedeckten Tische am fackelbestückten Strand getippt hatte. Ob das bis zu unseren Flitterwochen bereits fertig sein wird, wage ich zu bezweifeln. Dann hatte er sie hochgehoben und war mit ihr durchs Wohnzimmer getanzt.

Allein bei dem Gedanken an die bevorstehende Hochzeit und die Flitterwochen kam in Lenas Magengegend ein wohliges Gefühl auf.

»Hallo? Erde an Lena. Wie sieht’s aus, was meinst du? Bewerben kannst du dich auch von Bali aus. Gönn dir mal was!« Ohne Lenas Antwort abzuwarten, begab sich Susanne zurück in den Flur, wo sie ihre Jacke vom Designerstuhl nahm.

Schweigend folgte ihr Lena. »Was hast du vor? Willst du jetzt etwa zum Konzert oder direkt zum Flughafen?« Ihre Stimme klang aufgeregter als erwartet.

»Was? Nein!« Susanne lachte laut auf und schüttelte den Kopf, dass ihre langen blonden Haare nur so flogen. »Scheiß aufs Konzert! Ich renne mal schnell zur Tanke und besorg uns was zum Anstoßen.«

Ehe Lena sich versah, war Susanne aus der Tür gestürzt. Für Widerworte blieb keine Zeit. Susanne fand anscheinend immer einen Grund, das Leben zu feiern.

Von den ersten Sonnenstrahlen geweckt, benötigte Lena einige Zeit, bis sie begriff, nicht im heimischen Bett zu liegen. Mit ihrem großen Zeh stieß sie gegen einen Stapel Bücher – die überall in Susannes Wohnzimmer verteilt lagen. Ihr Blick fiel auf die geleerte Weinflasche auf dem Wohnzimmertisch, gleich hinter den Bali-Broschüren, die etwas in Mitleidenschaft gezogen worden waren.

Wie waren sie überhaupt hierhergekommen? Lenas Kopf brummte. Ob es am Alkohol oder den vergossenen Tränen lag, konnte sie schwer einschätzen.

Am Ende des Flurs ertönte die Toilettenspülung. Jemand räusperte sich, der eindeutig nicht wie Susanne klang. Lena gähnte und streckte sich. Sie schlug die Decke zurück, richtete ihr Shirt und schlich durch den Flur in Richtung Bad.

»Moin«, grüßte sie ein großer Mann in Boxershorts, der soeben die Badezimmertür aufstieß. Als ob ihr Schädel nicht schon genug dröhnte! Erschrocken sprang sie zur Seite, als dieser Bär von Mann auf sie zukam und ihr bald darauf direkt gegenüberstand. Der bestimmt zwei Meter große Typ legte seine breite Hand auf ihre Schulter. »Na, Lena, wieder fit?« Ein breites Grinsen zierte sein pfannkuchenförmiges Gesicht.

Woher kannte er ihren Namen, oder, besser gesagt, wieso hatte sie das Gefühl, sie sehe ihn gerade zum ersten Mal?

»Macht nicht so einen Krach!«, rief Susanne aus dem Schlafzimmer, auf das sich der Unbekannte nun zubewegte.

Lena verzog sich ins Bad und betrachtete ihr leicht zerknautschtes Gesicht im Spiegel. Ihre Mähne war verstrubbelt, als hätte sie eine wahnsinnig heiße Nacht hinter sich. Oder hatte sie sich wegen Frank buchstäblich die Haare gerauft?

Als sie zurück in den Flur trat, drangen eindeutige Geräusche aus Susannes Schlafzimmer. Warum war sie mit zu Susanne statt ins heimische Bett gegangen? Vor allem nachdem diese mal wieder einen Typen abgeschleppt hatte?

An der Schlafzimmertür vorbei schlich sich Lena in Richtung Küche. Unter dem Herd fand sie den Espressokocher. Beim Senken ihres Kopfes bekam sie das Gefühl, er würde jeden Moment in tausend Teile zerspringen. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie neben einer einzelnen roten Rose, die auf der Arbeitsplatte lag, die goldene Dose mit den Bohnen seltsam verschwommen.

Sie zögerte, ehe sie die elektrische Kaffeemühle anschmiss. Das laute Dröhnen würde ihrem Kopf sicherlich den Rest geben, aber sie brauchte dringend Koffein, um überhaupt in die Gänge zu kommen! Wie sollte sie Martin ihre plötzliche Arbeitslosigkeit beibringen, erst recht in diesem Zustand? Und was würde ihre Mutter dazu sagen? Ihr Magen krampfte sich zusammen. Vor den Fenstern zogen dunkle Wolken auf. Erste Regentropfen landeten auf dem Glas.

»Moin, meine Liebe.« Susannes Wangen waren gerötet. Sie strahlte über das ganze Gesicht. Lässig in Tanktop und mit Boxershorts stand sie an den Türrahmen gelehnt und beobachtete Lena. »Mach doch nicht so ein Gesicht! Hast du etwa Angst vor Martin? Wenn du magst, komm ich mit und helf dir, ihm deine Kündigung schonend beizubringen.«

Lena winkte ab. »Danke, aber ich schaff das schon. Wie heißt es gleich, in guten wie in schlechten Zeiten? Wenn er mich heiraten will, dann müssen wir da jetzt zusammen durch!«

»Ganz wie du willst. Aber ruf mich an, wenn du Unterstützung brauchst, ja?« Susanne senkte die Stimme. »Nun ja, vielleicht solltest du ihm nicht gleich von unseren Bali-Plänen berichten.«

Lena riss die Augen auf und räusperte sich. »Was«, ein erneutes Räuspern, »was genau meinst du?«

»Na, unseren Flug nach Denpasar, den wir gestern Nacht gebucht haben.« Übertrieben rollte sie das »R« am Ende von »Denpasar«.

Fragend sah Lena sie an.

»Sag bloß, das weißt du nicht mehr! War wohl doch etwas zu viel Gin Tonic, was, meine Liebe?« Susanne gluckste und breitete die Arme aus. »Sonne, Strand«, mit den Händen formte sie ein Herz, »und Flirts – nur für mich natürlich.« Mittlerweile war sie in der Mitte der Küche angelangt und drehte sich um die eigene Achse. »Das wird ein Spaß!«

Lena starrte Susanne an. »Ähm, und für wann haben wir diesen Flug gebucht?« Jegliches Blut war aus ihren Fingerkuppen gewichen. Sie schmerzten vom Festkrallen an der Arbeitsplatte.

»Da buchen wir die geilste Auszeit ever, und du weißt nichts mehr davon.« Theatralisch schüttelte Susanne den Kopf. »Am Dienstag geht’s los«, flötete sie. »Also husch, husch nach Hause, Koffer packen!« Sie gab Lena einen Klaps auf den Po und tanzte ein weiteres Mal durch die winzige Küche. Dabei sang sie den Refrain von Coldplays Song Paradise.

Lena spürte, wie sich ihr Magen umdrehte. An Susanne vorbei stürzte sie ins Wohnzimmer. Weder auf dem Tisch noch in ihrer Handtasche konnte sie ihr Handy finden. Sie wühlte in den Taschen ihrer Jeans, schüttelte die Bettdecke. Fehlalarm.

»Geht’s dir gut?« Susanne stand in der Tür und beobachtete grinsend Lenas Aktionen. »Was machst du denn da?«

»Ich kann mein Handy nicht finden.«

»Willst du Martin anrufen? Dann nimm doch meins!«

»Danke, aber mit Martin red ich lieber persönlich.«

»Aber wofür brauchst du es dann so dringend?«

Lena ließ sich aufs Sofa fallen. »Lena?«

»Ich …« Sie hielt inne und schaute betreten zu Boden. »Ich wollte schauen, ob wir die Aktion vielleicht rückgängig machen können oder den Flug zumindest um ein oder zwei Wochen nach hinten …« Als Lena die tiefen Falten erblickte, die sich auf Susannes Stirn abzeichneten, brach sie ihren Satz abrupt ab.

»Was willst du tun?« Susannes gute Laune schien verschwunden. »Wovor hast du denn Angst?« Besorgt sah sie Lena an, während sie den heruntergerutschten Träger ihres Tops richtete. »Hey, Frank hat dir diese Auszeit geschenkt, also gönn sie dir auch!« Mit schelmischem Unterton fügte sie hinzu: »Außerdem kannst du da sowieso nichts ändern. Die Buchung läuft auf meinen Namen.«

Geranien

»Lena, wo warst du? Ich konnte dich über Stunden nicht erreichen. Hast du eine Ahnung, wie viele Sorgen ich mir gemacht habe?« Martin erhob sich vom Sofa, als Lena das Wohnzimmer betrat und ihre Turnschuhe abstreifte. Statt auf sie zuzukommen, stand er wie angewurzelt auf dem hellen Teppich, fuhr sich durch die Haare und suchte ihren Blick.

Lena sah an ihm vorbei durch die geöffnete Balkontür, während sie mit der linken Hand das bei Susanne in der Küche wiedergefundene Handy fest umschloss. Die roten Geranien, die ihnen ihre Mutter zum Einzug geschenkt hatte, blühten in voller Pracht. Lena öffnete den Mund, um ihn gleich wieder zu schließen. Mit den Fingerspitzen rieb sie sich die Schläfen. Ihr Kopf dröhnte ohne Unterlass.

»Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, aber darf ich erfahren, wo du letzte Nacht warst?«

»Ich hab dir doch geschrieben.«

»Ich habe nichts bekommen.« Martin zog das Handy vom Glastisch und scrollte seine Nachrichten durch.

Auch Lena holte ihr Telefon hervor und öffnete die App. Wie konnte das sein? Die zuletzt versandten Nachrichten erschienen unter Susannes statt Martins Namen. »Ups!«

»Also?« Mittlerweile hatte sich Martin zurück auf das braune Ledersofa fallen lassen und saß nun mit verschränkten Armen da.

Lena verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Ich muss dir was sagen.« Sie knabberte an ihrer Unterlippe.

»Ich kann’s mir denken.« Martin blickte zu Boden. »Du bist noch nie eine komplette Nacht weggeblieben.« Sachte hob er den Kopf. Ihre Blicke trafen sich. Seine Augen glichen Schlitzen. Auf seiner Stirn zeichneten sich Falten ab. »Hast du beim Konzert jemanden kennengelernt?« Seine blauen Augen wirkten verblasst. Martin richtete sich auf und fuhr sich ein weiteres Mal durch die kurzen Haare. »Ihr seid zu ihm, und du hast die Zeit vergessen.«

Von seinem sachlichen Ton war Lena mehr als irritiert. Martins Stimme klang so nüchtern, als verkünde er die Abendnachrichten. Kerzengerade saß er auf der Couch. Die Hände auf die Knie gestützt, blickte er sie ernst an.

Lauter als gewollt, prallte ihre Tasche auf den Holzboden. Lena stieß sie mit der Fußspitze zur Seite und ging auf Martin zu. »Wie bitte? Wie kannst du so etwas nur denken?« Sie beugte sich zu ihm hinunter, nahm sein Gesicht in beide Hände und sah ihm tief in die Augen. »Warum sollte ich so etwas tun?« Das Hämmern in ihrem Kopf nahm Fahrt auf, ihre Knie gaben nach, sie ließ sich neben ihn aufs Sofa fallen.

»Hast du eine Fahne!« Martin rückte von ihr weg und blickte sie aus sicherer Entfernung an. »Also, Butter bei die Fische! Wo warst du?« Mit den Fingerspitzen trommelte er auf die Armlehne.

Sie betrachtete Martins Hand und holte tief Luft. »Frank hat mich gestern auf die Straße gesetzt. Mein Vertrag wird nicht verlängert. Und da –«

Martin hatte die Augen weit aufgerissen. Sein Gesicht war knallrot. »Aber«, er stockte, »das kann Frank doch nicht bringen!« Er rang nach Luft. »Hast du dich etwa deshalb die gesamte Nacht dort draußen herumgetrieben und betrunken?«

Als Lena ein Nicken andeutete, überschlug sich seine Stimme beinahe. »Und ich mach mir hier ’nen Kopf. Als du vorhin um sechs immer noch nicht zurück warst, dachte ich echt, du bist mit ’nem anderen im Bett gelandet.« Er schlug sich auf den Schenkel und brachte ein erleichtertes Lachen hervor. »Mein Engel, mach dir doch deswegen keine Sorgen! Ich besorg dir ’nen guten Anwalt und schwups, muss Frank deinen Vertrag verlängern. Er kann dich doch nicht ohne jede Vorwarnung auf die Straße setzen.« Ungläubig schüttelte er den Kopf.

»Das bringt doch nichts außer Ärger. Außerdem, was hab ich denn in der Hand? Seine ständigen Beteuerungen, dass ich mir keine Sorgen zu machen bräuchte, dass der Vertrag auf jeden Fall verlängert werde, das habe ich alles nicht schriftlich.« Sie schob sich eine Strähne hinters Ohr, richtete sich auf und zog ihre Mundwinkel krampfhaft in die Höhe, um ein glücklicheres Gesicht aufzusetzen. »Immerhin habe ich noch sechs Wochen bezahlten Urlaub und kann mich in der Zeit weiter umsehen.«

Martin deutete ein Nicken an, auch wenn Lena merkte, dass er sich nicht so kampflos ergeben wollte. »Okay, aber dann solltest du die Zeit wirklich effektiv nutzen! Eine Bewerbung wird da nicht reichen.« Erneut griff er zum Handy und tippte hektisch die Seite einer Jobbörse ein. »Hier, schau mal! Da gibt es einige Stellenanzeigen für Redakteure.«

Während Martin die Annoncen durchscrollte, zog Lena Flusen von ihrem Strickpullover.

»Ist da nicht vielleicht schon was Passendes dabei? Soll ich dir das gleich mal schicken?«

»Klar, gerne. Ich sehe mir das in Ruhe an.« Den Blick auf die Geranien gerichtet, fügte sie leise hinzu: »Am Pool wird es garantiert WLAN geben.«

Erneut sah Martin sie mit aufgerissenen Augen an, fixierte sie regelrecht mit seinem Blick. »Vielleicht habe ich mich ja gerade verhört, aber wo willst du dir das ansehen? Am Pool?«

Lena atmete tief durch. »Auf Bali.« Jetzt war es raus, schneller als geplant. »Also, Susanne und ich«, sie biss sich auf die Unterlippe, »haben gestern wirklich ein bisschen zu viel getrunken. Sie wollte mich auf andere Gedanken bringen und da …«

Abermals fiel Martin ihr ins Wort: »… und da muss man gleich mal eine Reise nach Bali buchen? Kannst du mich dabei wenigstens mal ansehen?«

Lena starrte auf die Flecken, die sich immer zahlreicher auf Martins Gesicht bildeten. Sie nahmen eine ähnliche Farbe wie die Geranien an.

»Du verlierst deinen Job und hast nichts Besseres zu tun, als auf Bali abzuhängen? Willst du von dort aus vielleicht auch noch unsere Hochzeit planen?« Er sprang auf und blickte auf Lena hinab, die ihre angewinkelten Knie umklammert hielt.

Da ihr kein weiteres Wort über die Lippen kommen wollte, presste sie sie zusammen und blickte zu Boden.

»Wie kommt ihr denn ausgerechnet auf Bali? Ich dachte, da fliegen wir beiden bald hin. Das ist so typisch für Susanne! Ich wette, das hat sie mit Absicht gemacht.« Martins Blick wanderte hinüber zum Glastisch.

»Aähm, ja, die Flyer, also, die hab ich eben bei ihr vergessen. Ich geb ihr Bescheid, dass sie sie morgen mitbringen soll. Wir müssen sowieso noch nach einer Unterkunft schauen. Bislang haben wir anscheinend nur ’nen Flug.«

»Anscheinend?«

Lena hob die Schultern an und ließ sie wieder sinken. »Ich weiß nicht mehr allzu viel. Das ist irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Keine Ahnung, was Susanne da genau gebucht hat.«

Martins Miene verfinsterte sich. »Die macht sich die Welt immer so, wie sie ihr gefällt.« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Habt ihr eigentlich mal darüber nachgedacht, warum die Prospekte hier gelegen haben könnten? Lena, die sind wichtig! Ich sollte sie mir übers Wochenende ansehen. Es geht bei dem Projekt um viel Geld. Aber Susanne denkt ja immer nur ans Vergnügen und hat dich anscheinend schon damit angesteckt.« Er sprang vom Sofa auf. »Ich brauch dringend frische Luft!«

Sie hörte, wie er im Flur seine Jacke von der Garderobe riss, bevor die Tür ins Schloss fiel. Lenas Finger verkrampften sich im Sofakissen. In hohem Bogen warf sie es durchs Wohnzimmer. Es landete unterhalb des Flachbildfernsehers. Zwei weitere folgten – jeweils begleitet von einem lauten »Aargh«. Während das eine zwischen den Blättern der Monstera-Pflanze an der gegenüberliegenden Wand stecken blieb, verfehlte das andere Kissen haarscharf die kleine Vase auf dem Fensterbrett.

Als Martin eine halbe Stunde später zurückkam, stand Lena in der Küche. Ihr liefen die Tränen. In der Hand hielt sie ein Messer, mit dem sie Zwiebeln schnitt. Seine Schwäche für die Kombination aus Pökelfleisch, Rollmops und Rote Beete wollte sie nutzen, um seine Stimmung bei Wein und Labskaus ein wenig aufzuhellen. Auch wenn sie sich selbst mal wieder nur mit der Dekoration aus Gemüse und Ei begnügen würde. Gab es auf Bali eigentlich vegetarisches Essen?

»Ich hab noch mal nachgedacht.« Er sah Lena von der Seite an und wusch sich am Spülbecken die Hände, bevor er sich an den eingelegten Hering machte.

»Ich bin ganz Ohr.«

»Also, ich denke …« Martin schluckte.

Stoisch schnitt Lena die Gewürzgurken.

»Also, vielleicht ist das doch gar nicht so dumm mit Bali. Ich hab da so eine Idee.« Er stockte.

Lena griff zum Geschirrtuch und trocknete ihre Hände daran.

»Um dir beim Schreiben deiner vielen Bewerbungen ein paar kleine Auszeiten zu ermöglichen, könntest du die Grundstücke, die für das Luxusresort in die engere Auswahl gekommen sind, besichtigen und mir ein paar Fotos schicken. Wie klingt das?«

Den mittlerweile aufgerollten Hering legte Martin auf den Teller, nahm Lena das Tuch aus den Händen und rieb seine Finger daran. »Es sind vielleicht drei oder vier. Also nicht der Rede wert, aber vielleicht ganz gut, um die Insel kennenzulernen. Dafür buche ich euch beiden ein hübsches Hotel. Was sagst du?«

Ein Lächeln huschte über Lenas Gesicht.

»Und vielleicht kriege ich es sogar hin, in zwei Wochen für ein paar Tage dazuzukommen.«

Lena drehte sich zu ihm und schlang die Arme um seinen Hals. »Das klingt sehr gut.« Mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Und dann heiraten wir gleich dort am Strand, ganz allein, ohne die buckelige Verwandtschaft.«

Martin drückte sie von sich. Seine Miene wirkte finster. »Würdest du deiner Mutter so etwas wirklich antun wollen?«

Yuccapalme

»Willst du nicht wenigstens noch kurz mit reinkommen? Nur so lange, bis Susanne da ist?« Lena sah Martin flehend an. »Bitte!« Vor lauter Aufregung war ihr flau in der Magengegend.

»Es geht wirklich nicht. In zwei Stunden sitzt der Kunde in meinem Büro. Bis dahin muss ich noch all diese Dokumente durchsehen.« Martin deutete nach hinten auf den Ordner neben ihrem Koffer. »Schließlich hast du mich gestern Abend schon erfolgreich davon abgebracht. Also nicht dass ich mich jetzt beschweren wollte.« Er schmunzelte.

Traurig lehnte sich Lena zu ihm hinüber und legte ihren Kopf auf seine Schulter. »Du wirst mir fehlen!«

Er senkte den Kopf und sah in Lenas braune Augen. »Wart’s mal ab, wenn du erst in der Sonne bist, hast du mich sowieso schon bald vergessen.«

Schneller, als er reagieren konnte, boxte ihm Lena gegen die Schulter und suchte mit ihren Lippen seine. Es folgte ein kurzer Schmatzer, ehe Martin sich von ihr löste. »Tut mir leid, mein Engel, aber ich muss jetzt wirklich los. Nicht dass uns dieser wichtige Deal durch die Lappen geht.«

Sie versuchte, dem dicken Kloß in ihrem Hals zu trotzen, der ihr jedes weitere Wort unmöglich machte, wandte sich ab und starrte auf die sich öffnenden und wieder schließenden Glastüren am Eingangsbereich. Drei Wochen ohne Martin. Nie zuvor in den vergangenen sechs Jahren ihrer Beziehung waren sie so lange voneinander getrennt gewesen.

Martin legte seine Hand in ihren Nacken, zog Lena ein letztes Mal zu sich heran und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er sie in die Seite stupste. »Auf, auf, genieß die letzten Tage deines Junggesellinnenlebens, und schick mir ein paar Sonnenstrahlen! Ich bin sehr gespannt auf die Bilder.«

Lena schluckte und ergriff ihre karierte Designertasche, bevor sie mit einem festen Ruck die hintere Tür des SUV öffnete und den schweren Rollkoffer von der Rückbank zerrte.

»Hey, ich bin mir sicher, das wird schön! Und Susanne wird bestimmt bald hier sein. Lass dir von ihr nur keine Flausen in den Kopf setzen!«, rief Martin vom Fahrersitz nach hinten. »Du weißt doch, wie sie ist. Ständig feiern und irgendwelche Typen anquatschen.«

Lena schlug die hintere Tür zu und steckte ihren Kopf durch das geöffnete Fenster auf der Beifahrerseite. »Dass ich anders bin, solltest du mittlerweile wissen.«

»Nun ja, immerhin gehst du nun auf diese Reise mit ihr. Das war ganz bestimmt nicht deine Idee, oder?«

Mit dem Kopf deutete sie ein Nicken an. Warum hatte Martin nur immer recht?

Er warf ihr einen Luftkuss zu. »Ich muss wirklich los. Grüße an Susanne!«

Als das Hupen hinter ihr zunehmend lauter wurde, begriff Lena, dass sie noch immer wie angewurzelt an ein und derselben Stelle stand und Martin winkte. Sie schulterte ihre große Tasche, zerrte an ihrem Koffer und ging auf die Glastüren zu.

Es würde sicherlich noch einige Zeit dauern, bis Susanne auftauchte. Martin hatte sie viel zu früh abgesetzt, während Susanne dafür bekannt war, immer auf den letzten Drücker zu kommen. An den Check-in-Schaltern vorbei, steuerte Lena das Bistro auf der Empore an.

Beim ersten Schritt auf die Rolltreppe strömte ihr der Duft frisch gemahlener Kaffeebohnen entgegen und erfüllte wenig später die gesamte Galerie. Direkt an der Balustrade, zwischen den aufgestellten Yuccapalmen, war noch ein Tisch frei, sodass sie in Ruhe ihren Kaffee genießen und dabei die Eingangstüren im Blick behalten konnte.

Lena begab sich ans hintere Ende der Schlange und fischte sämtliche Kundenkarten aus ihrem Portemonnaie auf der Suche nach der kleinen gelben des Pannendienstes. Bei diesen horrenden Kaffeepreisen, die sie der Tafel hatte entnehmen können, würden sich die zehn Prozent Rabatt auf jeden Fall lohnen. Schließlich musste sie ihr hart erarbeitetes Geld nicht bereits vor Abflug mit beiden Händen zum Fenster hinauswerfen.

Mit dem heißen Becher vor sich, beobachtete Lena die hereinströmenden Reiselustigen, während sie in ihrer Tasche nach dem Handy kramte. Als sie es hervorzog, krampfte sich ihr Magen schlagartig zusammen. Zwei entgangene Anrufe ihrer Mutter, vier von Susanne plus einer Nachricht. Wieso hatte sie davon nichts mitbekommen?

Süße, ich konnte dich nicht erreichen. Bist du schon am Flughafen? Jemand ist dem Taxifahrer in die Seite gefahren. Ich bin im UKE. Meld dich, sobald du das liest!

Augenblicklich wählte sie Susannes Nummer. Warum war ihre Freundin im Krankenhaus? Was tat sie dort? Eine Schweißperle löste sich von Lenas Stirn und rann ihren Nasenrücken hinab. Hoffentlich war ihr nichts Schlimmes passiert!

»Nachrichten für Susanne bitte nach dem Piep.«

»Hey, geht’s dir gut? Ich mach mir Sorgen. Bitte meld dich! Ich sitz am Flughafen und warte auf dich. Wann kommst du?« Sie räusperte sich. »Kommst du überhaupt? Können wir fliegen?«

Hastig nahm Lena einen Schluck vom Kaffee, verbrannte sich die Zunge und fluchte. Mit einem dumpfen Knall stellte sie den Becher zurück auf den Tisch und betrachtete das Geschehen in der Abfertigungshalle.

Männer mit Strohhüten und knallbunten Hemden standen in der Schlange an einem der vorderen Schalter. Ihr Lachen drang bis zu Lena auf die Galerie. »Party People«, rief einer von ihnen, woraufhin die anderen grölten. Dahinter eine Familie mit drei Kindern, von denen jedes auf einem winzigen Rollkoffer saß. Ein Affe aus Plüsch hatte seine Arme um den Hals des kleineren der beiden Jungen geschlungen.

Was, wenn Susanne nicht fliegen konnte? Auf ein Neues holte sie ihr Handy hervor und drückte auf Wahlwiederholung. Es tutete. Wieder nur erklang die Mailbox. Wortlos legte sie auf und kaute am Daumennagel.

Was sollte sie tun? Allein auf eine Insel am anderen Ende der Welt reisen? Wer, außer ihr, würde diesen elend langen Flug antreten? Senioren, die dort überwintern wollten? Paare wie Martin und sie auf dem Weg in die Flitterwochen?

Den Nagel fast bis aufs Fleisch heruntergeknabbert, verfluchte sie sich selbst und wählte die Nummer ihrer Mutter. Es tutete nur ein einziges Mal.

»Kind, bist du endlich zur Vernunft gekommen?«

»Guten Morgen, Mutter. Ich freue mich auch, dich zu hören.«

»Lena, wo bist du?«

»Am Flughafen.«

»Und Susanne?«

»Ich warte auf sie. Susanne hatte auf dem Weg hierher wohl einen Unfall. Keine Ahnung, ob sie noch kommt. Ich erreich sie gerade nicht.«

»Ich wusste es. Ich hab das gespürt, Lena.«

»Was genau?«

»Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass auf eine Person wie Susanne kein Verlass ist?«

»Sie ist im Krankenhaus!«

Ihre Mutter seufzte. »Das sagt sie doch bestimmt nur. Wahrscheinlich hat sie letzte Nacht wieder irgendeinen Typen aufgegabelt und ist nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen.«

Lena verdrehte die Augen und ärgerte sich maßlos, ihre Mutter zurückgerufen zu haben.

»Und was machst du nun? Du willst doch da nicht mutterseelenallein hinfliegen.« Die besondere Dehnung des Wortes »mutterseelenallein« in Verbindung mit der hohen, sich überschlagenden Stimme ihrer Mutter klang in Lenas Ohren wie das Piepsen einer Rückkopplung.

Eher hätte sie sich nackt aufs Gepäckband gelegt, als ohne Susanne in diesen Flieger zu steigen. Natürlich würde sie das nie im Leben tun. Sie drehte den unteren Knopf ihrer Strickjacke hin und her und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Susanne gleich neben ihr auftauchte. Diese Blöße würde sie sich vor ihrer Mutter jedoch niemals geben!

»Lena, bist du noch dran? Komm, setz dich ins Taxi, und fahr nach Hause! Martin wird sich freuen.«

Martin würde es ohnehin erst heute Nacht merken. Sollte der Deal heute klappen, hatte er betont, würden sie das später noch ausgiebig feiern. Was soll ich denn sonst so ganz allein zu Hause? Wahrscheinlich gehe ich ins Bett, wenn du gerade landest, hatte er augenzwinkernd gesagt. Ohne ihre beste Freundin wollte sie dort aber gar nicht landen. Niemals!

»Lena, was ist? Steigst du nun ins Taxi, oder soll ich dich eigenhändig abholen kommen?«

»So ein Quatsch! Mutter, ich bin doch keine fünfzehn mehr. Natürlich flieg ich dahin, zur Not auch allein.« Hatte sie das gerade wirklich gesagt?

Auf der anderen Seite der Leitung herrschte kurzzeitig Stille. Lena beobachtete die Familie mit dem Plüschaffen beim Einchecken. Der Große zerrte am Hosenbein des Vaters, als dieser hektisch die Pässe hervorkramte.

»Also, ich sag da jetzt besser nichts zu. Tu, was du nicht lassen kannst, aber heul dich nachher nicht bei mir aus, wenn du ausgeraubt wurdest!«

Lena vergrößerte den Abstand zwischen Handy und Ohr. Fortan drangen nur noch Wortfetzen zu ihr, bis erneut Stille einkehrte. Sie sah aufs Display und bemerkte, dass ihre Mutter aufgelegt hatte.

Während sie mit der rechten Hand das Telefon in die Hosentasche steckte, knabberte sie am Nagel ihres linken Zeigefingers. Beim Anblick der fünfköpfigen Familie, die mittlerweile die Sicherheitskontrolle erreicht hatte, dachte sie an die vielen Urlaube, die sie mit ihrer eigenen Familie unternommen hatte. Tagein, tagaus dicht an dicht auf der Firmenyacht ihres Vaters.

Bei den Bildern in ihrem Kopf von Sonnenuntergängen über dem weiten Meer ereilte sie ihr schlechtes Gewissen. Vielleicht hätte sie ihrer Mutter ehrlich sagen sollen, dass ihr die Reise ganz allein Angst machte. Dass sie noch immer keine Ahnung hatte, ob sie den Flug antreten oder lieber zurück in den sicheren Hafen zu Martin kehren und Susanne im Krankenhaus besuchen sollte.

Als ihr wieder nur Susannes Mailbox antwortete, entschied sich Lena, den mittlerweile kalt gewordenen Kaffee zur Abräumstation zu bringen und sich hinunter in die Halle zu begeben. Um nicht erneut einen Anruf zu verpassen, holte sie ihr Telefon abermals aus der Hosentasche, hievte ihren schweren Koffer auf die Rolltreppe und stellte die Lautstärke des Klingeltons auf die höchste Stufe.

Unten angelangt, warf sie einen Blick auf die Anzeigetafel. Ihr Schalter lag nur wenige Meter entfernt. Aus sicherer Entfernung beäugte Lena die schlanken Frauen mit eingerollten Yogamatten auf dem Rücken. Männer mit langen Haaren, wahlweise das Surfbrett oder Skateboard unter den Arm geklemmt.

Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihre Mutter kam in diesem Moment sicher schon halb um vor Sorge um sie. Warum konnten sie beide nicht ein einziges vernünftiges Gespräch führen?

Was tat sie, wenn Susanne wirklich nicht mehr erschien? Ohne Susanne hatte sie noch nicht einmal die erforderlichen Reiseunterlagen. Mit einem Mal vibrierte das Handy in Lenas Hand. Auf dem Display erschien Susannes Foto.

»Su, endlich!« Lena atmete auf. »Kannst du noch kommen? Dann stell ich mich jetzt für uns an.«

»Es tut mir so, so leid. Ich kann nicht. Ich sitz hier noch immer in der Notaufnahme. Sie haben eben mein Bein geröntgt, es sieht nicht gut aus. Mehr weiß ich noch nicht. Nur, dass ich unter keinen Umständen mit dir in den Flieger steigen kann.«

In der einen Hand das Telefon, malträtierte Lena mit der anderen die Knöpfe ihrer Strickjacke. Der oberste löste sich und fiel zu Boden. Lena bückte sich nach ihm und hörte, wie Susanne wild auf sie einredete, den Urlaub »sofort und ohne Widerrede« auch ohne sie anzutreten.

»Aber das geht gar nicht. Alles läuft auf deinen Namen. Außerdem flieg ich nicht in den Urlaub, wenn du im Krankenhaus liegst.«

»Klar machst du das! Was willst du denn hier? Am Bett sitzen und Händchen halten? Das wär doch albern! Für den Flug brauchst du eh nur deinen Pass.«

Lena starrte auf den Knopf in ihrer linken Hand und lauschte Susannes Worten.

»Mensch, Lena, diese Chance bekommst du so schnell nicht wieder! Genieß es, bevor du dich in den Ehekäfig sperren lässt.«

»Pfft.« Schneidend sog Lena Luft durch ihre Vorderzähne.

»Ach, komm schon, du weißt doch, wie ich’s meine. Du wirst sehen, das wird großartig. Genieß deine Freiheit! Tank die nötige Power für deine Bewerbungen. Hier verpasst du nichts.«

Lena gab sich geschlagen und stellte sich hinter eine rothaarige Frau ans Ende der mittlerweile kurzen Schlange. »Du wirst mir fehlen!«

»Du mir auch, Süße. Halt mich auf dem Laufenden, und sobald ich wieder einigermaßen laufen kann, komm ich einfach hinterhergeflogen. Notfalls mit Krücken.«

Begleitet von einem tiefen Seufzer legte Lena auf. Beim Griff nach dem Riemen ihrer Handtasche rann ihr erneut der Schweiß von der Stirn. Ihre Tasche! Wo um Himmels willen war ihre Tasche abgeblieben? Wurde sie bereits beklaut, bevor sie Bali überhaupt erreicht hatte?

Nachdenken, Lena, nachdenken! Nicht in Panik verfallen! Wo warst du zuletzt? Sie ließ ihren Blick zur Empore wandern, wo sie die karierte Tasche auf einem der Holzstühle an der Balustrade stehen sah. Eiligen Schrittes ging sie zur Rolltreppe und rannte diese hinauf.

Oben angelangt, steuerte sie den Tisch hinter der letzten Yuccapalme an, an dem sie vorhin gesessen hatte und der nun von drei älteren Herrschaften besetzt war.

»Entschuldigen Sie bitte!« Sie war außer Atem und stützte ihre Hände auf die Knie.

Die drei blickten hoch. »Ja, bitte?«, sagte die an der Balustrade sitzende Seniorin und spitzte die Lippen.

Lena zeigte auf die Tasche auf dem Stuhl ihr gegenüber. »Ich …« Sie rang nach Luft. »Ich habe meine Tasche hier stehen lassen. Dürfte ich bitte an den Stuhl und sie mir nehmen?«

»Na, das kann ja jeder behaupten«, schaltete sich der Mann mit Halbglatze neben ihr ein.

Lenas Wangen glühten. »Aber das ist meine Tasche!« Der erschrockene Blick der Gäste am Nachbartisch entging ihr nicht.

»Wer sind Sie denn?« Der Mann mit dem Haarkranz sah sie an.

»Lena. Lena Faber. Sehen Sie doch hinein! Da muss irgendwo mein Pass sein.«

Wie geheißen, öffnete der Mann die Tasche.

»Werner, das kannst du doch nicht machen!«, entfuhr es der Frau, die ihm gegenübersaß.

Ohne eine erkennbare Reaktion auf ihren Ausruf versank er mit seiner großen Nase in Lenas Tasche, um bald wieder daraus aufzutauchen. »Wie können Sie denn da etwas wiederfinden?« Kopfschüttelnd reichte er Lena die Tasche. »Holen Sie den Pass hervor, und beweisen Sie, dass Sie Frau Faber sind!«

»Werner, es reicht!« Die grauhaarige Frau ihm gegenüber entriss ihm die Tasche, stand auf und wandte sich an Lena. »Haben Sie eine gute Reise, meine Liebe.«

Mit einem kurzen »Danke« ergriff Lena die karierte Tasche, verabschiedete sich und eilte zurück zur Rolltreppe. Auf dem Weg hinab blickte sie auf ihren grauen Rollkoffer, der mittlerweile mutterseelenallein vor dem Check-in-Schalter stand. Fehlte nur noch, dass jemand ein Sprengstoffkommando anforderte und ihre Mutter sie vom Revier abholen musste! Was konnte an diesem Morgen eigentlich noch alles schiefgehen?

In Lenas Hosentasche vibrierte es erneut. Ein Anruf ihrer Mutter. Das Klingeln des hervorgezogenen Handys erfüllte die Halle, bis Lena den Anruf kurzerhand wegdrückte und das Gerät in ihrer Tasche verschwinden ließ. Sie wühlte ihren Pass heraus und händigte ihn der Frau hinter dem Schalter aus.

»Da haben Sie ja noch mal Glück gehabt!« Die Blonde blickte über den Rand ihrer Hornbrille zu Lena herüber. »In fünf Minuten schließen wir hier. Dann hätten Sie einen neuen Flug buchen müssen.«

Hätte, hätte, Fahrradkette! Dabei wäre es ihre Rettung gewesen. Sie hätte keine weiteren Entscheidungen treffen müssen, sondern einfach behaupten können, dass sie gar nicht mehr fliegen konnte. Obwohl, sie kaute erneut am Daumennagel, dann hätte Martin sie sicherlich wieder für ihre Schusseligkeit aufgezogen.

Mit Pass und Bordkarten bewaffnet, passierte Lena die Sicherheitskontrolle.

»Dies ist der zweite Aufruf für die Passagiere gebucht auf den Emirates-Flug EK Null – Null – Sechs – Null nach Dubai. Sie werden gebeten, sich umgehend zu Gate A 8 zu begeben.«

Nach einer gefühlten Ewigkeit fischte Lena die Bordkarten aus der Tasche. Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. EK 0060 HAM-DXB oder EK 0450 DXB-DPS. Welche war denn die richtige der beiden? Was hatte sie sich überhaupt dabei gedacht, auf Susanne zu hören und mit ihr diese Reise zu buchen? Bis vor einer Woche hatte sie überhaupt nicht gewusst, wo sich Dubai, geschweige denn Denpasar, auf dem Globus befanden.

Hin und her hatte sie die beleuchtete Kugel auf dem Beistelltisch neben dem Sofa gedreht und sich zusammen mit ihr auf die Suche nach der winzigen Insel begeben, während Martin um die Alster gejoggt war. Aufgereiht wie winzige Perlen an einer unsichtbaren Schnur ragten die grün und gelb eingefärbten Inseln aus dem Blau des Indischen Ozeans, wobei sich einer der kleinen Punkte, ziemlich mittig, als Bali entpuppt hatte.

In etwas mehr als zwanzig Stunden würde sie genau dort aus dem Flieger steigen. Und dann? Was würde sie dort ohne Susanne tun, außer für Martin ein paar Bilder von irgendwelchen Baugruben zu schießen und einsam am Strand zu liegen?

Am gegenüberliegenden Souvenirladen blieb ihr Blick hängen.

Bilder des Michel und der Elbphilharmonie strahlten ihr von Tassen und T-Shirts entgegen. Als sich eine hochgewachsene Frau von hinten grummelnd an ihr vorbeidrängte, gab sich Lena einen Ruck. Vorbei am Duty-Free-Shop und an diversen Süßwaren- und Klamottenläden steuerte sie forschen Schrittes Gate A8 an.

Unglaublich, wie viele Printmedien bei diesem Zeitschriftenladen in der Auslage präsentiert wurden! Lena wurde es heiß und kalt zugleich, wenn sie nur daran dachte, wie sehr sie sich bis vor Kurzem für diesen Job zerrissen hatte.

Wie viele Interviews sie geführt hatte, bei denen sie die langweiligsten Ereignisse, wie zuletzt die Eröffnung des Bio-Markts, versucht hatte, in ein aufregendes Licht zu rücken. Nicht zu vergessen, der Bericht über den neu aufgestellten Rekord beim Altonaer Kegelclub. Sie dachte an die verloren gegangenen Tauben des ortsansässigen Züchters und die Spurensuche, auf die sie sich mit ihm begeben hatte. Der Bericht über den knapp neunzigjährigen Mann, der jedes Schiff mit einer gehissten Landesflagge begrüßte, bevor es in den Hafen einfuhr.

Immer und immer wieder hatte sie ihr Bestes gegeben. Aber wer wollte das lesen? Ob Frank für sie noch jemand Neues einstellen würde, oder ob der Taubenzüchter künftig twitterte?

Lena legte einen Schritt zu, eilte vorbei an der Schlange vor der Kaffeetheke, an Müttern mit Babys im Tragetuch und jungen Leuten mit riesigen Rucksäcken. Plötzlich begann sich alles zu drehen. Sie blieb stehen, um kurz innezuhalten.

»Ihre Bordkarte, bitte! Hallo, hören Sie mich? Ich muss Ihre Bordkarte sehen, bevor Sie diesen Bereich betreten können.«

Erst jetzt bemerkte Lena, dass sie bereits vor Gate A8 stand und sich hinter ihr mal wieder eine Schlange gebildet hatte. Sie löste ihre Hand von der kühlen Stange, an der das Absperrband befestigt war, und kramte hektisch in ihrer Handtasche. Dort hatte sie die Bordkarten doch vorhin noch hineingestopft. Verdammt!

Lena ertastete ihren Pass, das Portemonnaie, diverse Dokumente, etliche Bonbons, zerknülltes Kaugummipapier, einen Lippenstift und ihr Handy. Erst als sie alles hin und her geschoben hatte, blitzte die weiße Karte hervor. Lena fischte sie heraus, kratzte ein aus der gerissenen Silberfolie hervorquellendes Kaugummi ab und reichte die lädierte Karte der Dame mit dem dunkelroten Hut.

»Das ist die falsche Bordkarte, Frau Faber. Die hier brauchen Sie für Ihren Weiterflug nach Denpasar.«

Täuschte sich Lena, oder flatterten die Lider ihres Gegenübers?

Die uniformierte Dame gab ihr die Bordkarte zurück. »Ich benötige die andere für ihren Flug nach Dubai.«

Mit der falschen Karte in der linken, kramte Lena mit der rechten Hand nach der richtigen. Hinter ihr wurde es unruhig. Erneut schob sie Handy und Pass zur Seite und fischte die zweite Bordkarte hervor.

Hinter sich vernahm sie ein Seufzen. Mit dänischem oder schwedischem Akzent, so genau konnte Lena das nie sagen, hörte sie jemanden auf Englisch telefonieren. »Nee, nee, alles gut. Hier dauert heute alles mal wieder ein bisschen länger.«

Lena schnellte herum und blickte auf einen großen Mann mit schulterlangen, von der Sonne ausgeblichenen Haaren. Er trug einen schwarzen Anzug mit ebenso schwarzer Krawatte. Durch das weiße Hemd schimmerten seine Bauchmuskeln. Schnell wandte Lena den Blick wieder ab. Susanne hätte ihn ziemlich sicher als einen »lecker Jung« bezeichnet, wodurch ihre rheinischen Wurzeln stets zum Vorschein kamen.

Ach, Susanne, warum konnte sie in diesem Moment nicht hier sein? Sie vermisste sie jetzt schon. Der Stimme nach zu urteilen, kam ihr der Anzugträger immer näher. Wie konnte ein so gut aussehender Typ so unverschämt daherreden? Lena nahm der Angestellten die anscheinend richtige Bordkarte aus der Hand und betrat den Wartebereich, wo sie aufgrund der vielen Reisenden zunächst verharrte und den Blick schweifen ließ, auf der Suche nach einem freien Sitzplatz.

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Surfertyp sein Gespräch unterbrach, um das Display gegen den Scanner zu halten und sein Gespräch gleich darauf wieder fortzusetzen. Irgendetwas hatte er, weswegen sie ihren Blick nicht von ihm abwenden konnte. Waren es die großen, strahlenden Augen? Die ausgeblichenen Haare und die Lässigkeit, mit der er den Wartebereich betrat?

Wahrscheinlich war er irgend so ein Aussteiger, der in der westlichen Welt ständig angeeckt war. Einer von denen, die nicht zum Arbeiten geboren wurden,wie ihre Mutter gern zu sagen pflegte. Aber warum trug er dann einen Anzug? Das passte nicht zu ihm, zumal es in Dubai kuschelig warm sein würde. Oder war er doch geschäftlich unterwegs?

Als Lena im hinteren Wartebereich einen freien Sitz entdeckte, ließ sie sich bald darauf in die harte Kunststoffschale sinken. Dieses Mal fand sie ihr Handy auf Anhieb. Drei Sprachnachrichten. Lena holte tief Luft und drückte auf den Start-Knopf. Die Stimme ihrer Mutter erfüllte die komplette Sitzreihe.

»Lena, bist du wirklich ganz sicher, dass du dort völlig allein hinfliegen willst? Pass bloß auf dich auf, und achte immer gut auf deine Wertsachen!«

Hochroten Kopfes drückte Lena auf den Lautstärkeregler. In der stillen Hoffnung, niemand habe diese peinliche Nachricht mitgehört, rief sie die nächste ab. Diesmal in geringerer Lautstärke, mit dem Handy dicht am Ohr.

»Ach ja, das habe ich eben ganz vergessen. Onkel Adalbert hat übermorgen Geburtstag. Ruf ihn mal an, oder schick ihm wenigstens eine Nachricht. Ich habe keine Lust, dass mich alle auf der Feier fragen, warum du nicht mitgekommen bist, wo du doch alle Zeit der Welt hast. Reicht schon, dass mich alle löchern werden, ob du einen neuen Job in Aussicht hast.«

Während Lena ein weiteres Mal die Augen verdrehte und dabei vehement auf dem Stopp-Symbol herumdrückte, erntete sie ein herzliches Lachen. Sie sah auf und blickte schräg gegenüber in die blauen Augen des Anzugträgers.

»Was, bitte schön, ist so lustig?« Augenblicklich schämte sie sich für ihre barsche Reaktion.

Er presste die Lippen aufeinander. Schlagartig wurde seine Miene ernst. »Es tut mir leid. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, aber die Nachricht war kaum zu überhören. Und dann noch ihr Gesichtsausdruck dazu.« Er beugte sich vor und sah in Lenas braune Augen. »Nun ja«, er räusperte sich, »es scheint wirklich an der Zeit, dass Sie Urlaub machen.«

Hatte er sie gerade wirklich gesiezt? Hielt er sie für so alt? Und was bildete er sich ein, zu meinen, über ihr Leben urteilen zu können? Er kannte sie doch gar nicht! Sicherlich war es das Beste, den Typen einfach komplett zu ignorieren.

Während Lena die dritte Nachricht ihrer Mutter abhörte, sah sie aus dem Augenwinkel, wie sich der Skandinavier plötzlich vom Sitz erhob, seinen Rucksack ergriff und zielstrebig die Kunststoffschale neben ihr ansteuerte. Zeitgleich erklang eine Stimme aus dem Lautsprecher. »Wir bitten nun die Passagiere der Sektion C zum Boarding.«

Lena warf einen Blick auf ihre Bordkarte und bemerkte, wie fest sie sie in ihrer Hand zusammengeknüllt hatte. Abgesehen vom Kaugummifleck, der sich von den Flusen ihrer Strickjacke dunkel verfärbt hatte, war das Papier zerknautscht und erinnerte sie an den eigenen Anblick heute Morgen im Spiegel.

Womöglich hatte der Typ auch noch recht, und sie brauchte diesen Urlaub wirklich mehr als dringend nach all dem Schlamassel der letzten Wochen. Vor Aufregung glühten ihre Wangen bei der Vorstellung, wie sie morgen im Queensize-Bett aufwachen, nach der ausgiebigen Dusche einen Kaffee trinken und dabei ihre Zehen im weichen Sand versinken lassen würde. Eilig drückte sie sich aus dem unbequemen Sitz hoch und stellte sich ans Ende der Schlange.

»Wir sehen uns später bestimmt noch mal wieder. Würde mich freuen«, hörte Lena ihn sagen, entschied sich jedoch, besser nicht noch einmal hinzusehen.