Das Glück kam von ganz allein - Aja Berg - E-Book

Das Glück kam von ganz allein E-Book

Aja Berg

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Beschreibung

82 Seiten dramatische Handlungsverläufe, große Emotionen und der Wunsch nach Liebe und familiärer Geborgenheit bestimmen die Geschichten der ERIKA-Reihe - authentisch präsentiert, unverfälscht und ungekürzt! Doktor Knut von Lassen, Rechtsanwalt, hatte an dem schönen Märztage, mit dem unsere Geschichte beginnt, allen Grund, mit sich und der Welt zufrieden zu sein. Er erwachte in dem großen, luftigen Schlafzimmer seines hübschen Landhauses wie üblich um sechs Uhr morgens, sprang aus dem Bett und rieb sich im Badezimmer kühl ab. Dann trieb er mit Eifer Gymnastik und freute sich, wie gut er in Form war. Nachdem er sich rasiert hatte, frühstückte er, machte einen Gang durch den Garten und fuhr mit seinem schnittigen Mercedes zum Tattersall. Der Morgenritt dauerte genau eine Stunde. Heimgekehrt, wurde der Reitanzug mit dem Stadtzivil ­vertauscht, und statt des Reit­stocks begleitete eine elegante schweins­lederne Aktentasche ihren Herrn auf der Fahrt ins Büro. Die Schreibmaschinendamen, unter der Aufsicht von Fräulein Grieß, arbeiteten schon seit einer halben Stunde, und seit einer halben war auch der Freund und Mitarbeiter Lassens, Rechtsanwalt Graun, bereits in seinem Zimmer tätig. Es ergab sich aber heute, wie jeden Tag, daß der junge Chef in einer knappen Stunde mehr leistete als die übrigen zusammen. Die Stenotypistinnen nahmen, sobald er in seinem Arbeitszimmer hinter dem Schreibtisch saß, mit fliegenden Fingern so viel Text auf, daß sie bis zum Spätnachmittag zu tun hatten. Sie konnten nur gerade, wenn sie das Chefzimmer betraten und verließen, einen bewundernden Blick auf den Hochverehrten werfen – er begann zu diktieren, sobald sie nur an dem für sie bestimmten Seitentisch Platz genommen hatten, und sprach ohne Pause die schwierigsten Beweisanträge und Erwiderungen auf gegnerische Forderungen herunter, als sei in seinem Gehirn ein Motor, den er

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Erika Roman – 6–

Das Glück kam von ganz allein

Aja Berg

Doktor Knut von Lassen, Rechtsanwalt, hatte an dem schönen Märztage, mit dem unsere Geschichte beginnt, allen Grund, mit sich und der Welt zufrieden zu sein.

Er erwachte in dem großen, luftigen Schlafzimmer seines hübschen Landhauses wie üblich um sechs Uhr morgens, sprang aus dem Bett und rieb sich im Badezimmer kühl ab. Dann trieb er mit Eifer Gymnastik und freute sich, wie gut er in Form war. Nachdem er sich rasiert hatte, frühstückte er, machte einen Gang durch den Garten und fuhr mit seinem schnittigen Mercedes zum Tattersall.

Der Morgenritt dauerte genau eine Stunde.

Heimgekehrt, wurde der Reitanzug mit dem Stadtzivil ­vertauscht, und statt des Reit­stocks begleitete eine elegante schweins­lederne Aktentasche ihren Herrn auf der Fahrt ins Büro.

Die Schreibmaschinendamen, unter der Aufsicht von Fräulein Grieß, arbeiteten schon seit einer halben Stunde, und seit einer halben war auch der Freund und Mitarbeiter Lassens, Rechtsanwalt Graun, bereits in seinem Zimmer tätig.

Es ergab sich aber heute, wie jeden Tag, daß der junge Chef in einer knappen Stunde mehr leistete als die übrigen zusammen.

Die Stenotypistinnen nahmen, sobald er in seinem Arbeitszimmer hinter dem Schreibtisch saß, mit fliegenden Fingern so viel Text auf, daß sie bis zum Spätnachmittag zu tun hatten. Sie konnten nur gerade, wenn sie das Chefzimmer betraten und verließen, einen bewundernden Blick auf den Hochverehrten werfen – er begann zu diktieren, sobald sie nur an dem für sie bestimmten Seitentisch Platz genommen hatten, und sprach ohne Pause die schwierigsten Beweisanträge und Erwiderungen auf gegnerische Forderungen herunter, als sei in seinem Gehirn ein Motor, den er nur einzuschalten brauchte, um für den gerade vorliegenden Fall das Richtige zu treffen.

Als er die vierte der Damen eben mit reicher Tagesarbeit entlassen hatte, kam Rechtsanwalt Graun herein.

Er war ein großer, schwerfälliger Mann, Hannoveraner von Geburt und mit Lassen seit dem Gymnasium befreundet. Er wirkte älter als der Freund, war unbeholfen im Wesen, hielt sich schlecht und kleidete sich keineswegs vorteilhaft.

Größere Gegensätze, als er und Lassen, waren weder äußerlich noch innerlich zu denken. Trotzdem vertrugen sie sich ausgezeichnet, und Knut pflegte zu sagen: »Peter Graun ist mein besseres ich. Erst seit ich ihn zur Seite habe, bin ich ganz sicher, daß ich alles richtig mache. Wenn er etwas für gut befindet, dann stimmt’s, dann kann selbst das Gericht nichts mehr daran ändern«

Die Freunde begrüßten sich auch heute herzlich, und Lassen sagte, während er dem anderen einen Stoß Akten über den Tisch zuschob: »Hier, wenn du dieses Blech übernehmen möchtest! Ich bin soweit fertig und fahre nach Amtsgericht eins und drei, um die Termine wahrzunehmen!«

»Schön! Ich will nach Amtsgericht Mitte. Bach und Krause, vielleicht auch Niemann, du weißt!«

»Ich weiß«, lachte der andere. »Wie oft war Frau Bach heute schon am Telefon?«

»Viermal, nachdem sie gestern bis sechs Uhr hier gesessen hat«, seufzte Graun. »Sie kann einem direkt leid tun.«

»Mir nicht«, erklärte Lassen, und in sein hübsches, kluges Gesicht trat der kalte, verächtliche Zug, den seine Gegner kannten und fürchteten. »Du mußt dir entschieden ein dickeres Fell anschaffen, Peter. Mitleid und Barmherzigkeit sind in unserem Beruf nicht angebracht.«

Der große, gutmütige Mann nickte.

»Ich hab mich ja auch schon abgehärtet«, sagte er. »Ganz so wie anfangs nehme ich mir die Sachen nicht mehr zu Herzen. Aber einzelne Fälle gehen einem doch immer wieder nahe. Diese Frau Bach zum Beispiel – was kann sie dafür, daß ihrem Mann jetzt eine andere besser gefällt als sie?«

»Lieber Freund, würde sie dir denn gefallen? Ich hoffe nicht, denn sie ist dumm. Im übrigen kennst du ja meine Ansicht über die Weiberchen: Erst nehmen sie den ersten besten, um überhaupt unter die Haube zu kommen, und nachher jammern sie uns die Ohren voll, wenn der Mann sie los sein will. Mit so etwas habe ich kein Mitleid. Wir müssen mit dem Verstand arbeiten, nicht mit dem Herzen.

Er sah unglaublich hochmütig aus bei seinen Worten, aber das kleidete ihn gut, wie alles, was er tat und sprach.

»Als ob du überhaupt ein Herz hättest«, sagte Graun.

»Oh, erlaube! Ein sehr vorzügliches sogar! Frage nur Lony, wie nett und herzlich ich sein kann.«

Graun schnitt eine Grimasse.

»Ich werde lieber nicht fragen. Übrigens ist es selbstverständlich, daß alle Frauen in dich verliebt sind. Wer aussieht wie du, wer klug und kaltschnäuzig ist wie du, der hat sie eben alle am Bändel.«

Lassen stand auf und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Tröste dich«, sagte er. »Dafür fahre ich dermal einst als hartgesottener Junggeselle in die Hölle und muß des Teufels Großmutter die Wangen streicheln, während du als zärtlich geliebter Familienvater im Kreise von Frau und sieben bis zehn Kindlein ein Gott wohlgefälliges Leben führen wirst. Aber du kannst sie dir ruhig leisten! Ich werde Erbonkel für deinen Nachwuchs, dieweil ich ja sonst keine lebendige Seele auf der Welt habe. – Wiedersehen!«

*

Auch der übrige Teil des Tages verlief für den jungen Rechtsanwalt durchaus angenehm.

Er fuhr von einem Gericht zum anderen und nahm die Termine wahr, die wichtig genug waren, seine persönliche Gegenwart zu verlangen.

Sein Mittagessen verzehrte Lassen in einem guten Weinrestaurant, dann hielt er im Büro Sprechstunde ab – eine anstrengende Sache, denn er war einer der gesuchtesten Anwälte und namentlich in Scheidungsangelegenheiten sehr in Mode.

Geduldig hörte er die oft von Tränen begleiteten Klagelieder seiner Klientinnen an, wußte aus dem Wirrsal von Anschuldigungen gegen die Ehemänner das Brauchbare und Nötige herauszuklauben und umgekehrt, tobende Gatten mit wenigen Worten zu beruhigen und zur Angabe dessen zu bringen, was für eine Scheidungsklage notwendig war. Mit einem Worte: ein Anwalt, wie er sein soll.

Nach sechs Uhr hatte er seine letzten Besucher entlassen und ging hinüber zu Graun, der ebenfalls mit den Klienten fertig war und emsig in den Akten arbeitete.

Er warf sich in einen Sessel und reckte die Arme.

»Gott sei Dank, das waren wieder mal erhebende Eindrücke! Pfui Teufel! Wie geht’s in der Welt zu! Mir soll bloß einer zum Heiraten zureden. Diese Weiber! Ich möchte nur einmal – ein einziges Mal eine Frau sehen, die Stolz und Ehrgefühl hat!«

»Ja, ich habe auch ein paar neue, sehr unerquickliche Fälle«, sagte Graun. »Da ist eine Frau Stelzer, deren Mann hat schon seit zwei Jahren ein Verhältnis mit ihrem Kinderfräulein.«

Lassen sprang auf.

»Ich bitte dich, verschone mich! Dergleichen habe ich heute zur Genüge gehört. Ich fahre jetzt nach Hause, nehme ein Bad und lese in einem guten Buch, um mich körperlich und seelisch zu säubern. Heute abend bin ich bei Roloffs eingeladen. Da kann ich unsere künftigen Klienten sehen, diejenigen, die vor der Öffentlichkeit noch nicht geschieden sind, es also noch vor sich haben.«

»Recht so! Ich gehe in die Oper, Rosenkavalier«, sagte Graun vergnügt. Er liebte Musik sehr, obwohl er sie selbst nicht ausübte.

Lassen gab dem Bürovorsteher, Herrn Siegel, noch einige Weisungen und fuhr dann nach Hause.

Behaglich legte er sich im Wintergarten seiner Villa auf den Diwan. Es war angenehm warm, die großen Kamelienbüsche in den Ecken blühten, der kleine Springbrunnen rieselte sanft, und Jo, der wohlgeschulte Diener, rollte den Teewagen heran, um seinen Herrn mit Tee, Kuchen und Zigaretten zu versorgen.

Der junge Rechtsanwalt fand wieder einmal, daß es ihm sehr gut ginge. Selbstverständlich infolge der allgemein klugen Art, mit der er sein Leben eingerichtet hatte.

»Wie man sich bettet, so schläft man«, dachte er und legte sich auf dem weichen Polster des Diwans auf die andere Seite.

Zwei Stunden später betrat er im Frack die Diele der Grunewaldvilla, in der Konsul Roloff an diesem Abend eine große Gesellschaft gab.

Knut von Lassen warf noch einen Blick in den Spiegel, nachdem ihm der Diener den Frackmantel abgenommen hatte. Er war mit dem Bild des jungen Gentleman, das das Glas zurückgab, sehr zufrieden. Der Frack saß vortrefflich, das Gesicht über der weißen Binde war frisch und hübsch, die dunklen Augen blickten klug und zuversichtlich, und das dunkelblonde Haar hatte genau die richtige Linie über der geistreichen Stirn. Man konnte sich sehen lassen.

Im sicheren Gefühl seiner Unwiderstehlichkeit betrat er die prunkvollen Festräume, in denen schon zahlreiche Gäste anwesend waren.

Er hatte hier und da Bekannte zu begrüßen, während er langsam dem Mittelsalon zustrebte, in dem der Konsul seine Gäste bewillkommnete.

Schließlich schüttelte ihm der Gastgeber herzlich die Hand.

»Nett, daß Sie da sind, Doktor von Lassen. Was sagen Sie zu der Völkerschau, die meine Frau mal wieder zusammengebracht hat?«

Der junge Mann lachte, während er, neben dem Konsul stehend, die festlich gekleidete Menge in den Räumen überblickte.

»Völkerschau ist wohl ein bißchen viel gesagt, Herr Konsul, aber Menschen genug sind beisammen. Warum übrigens auch nicht? Sie haben ja reichlich Platz, so viele Gäste zu beherbergen!«

»Ja, aber gemütlich ist es nicht. Mir wäre ein kleiner Kreis von Leuten, die gut zueinander passen, lieber. Meine Frau tut’s aber nun mal nicht unter fünfzig bis siebzig Personen. Na, Sie werden sich hoffentlich gut amüsieren.«

»Sicherlich, Herr Konsul. Ich habe schon eine ganze Menge Bekannte begrüßt«, lachte Knut.

»Da kommt eben Ihre Tischdame. Sie sehen, ich hab’s gut mit Ihnen gemeint. Kennen Sie Frau von Ried schon, Doktor?«

»Nein, hatte noch nicht die Ehre.«

Gefesselt blickte der Rechtsanwalt einer schönen, schlanken, noch sehr jugendlichen Frauengestalt entgegen, die ihm der Hausherr bezeichnete. Sie trug ein silbergraues Brokatkleid, das mit ihren aschblonden Haaren vortrefflich harmonierte.

Doktor von Lassen sagte sich befriedigt, daß diese junge Dame sehr gut neben ihm aussehen würde.

Sie hatte übrigens den Konsul noch nicht bemerkt, denn sie sprach mit einem Herrn und wandte den Kopf, der auf einem schlanken, stolzen Nacken saß, nach der anderen Seite. Jetzt verabschiedete sie den Herrn und kam tiefer in den Saal herein.

»Meine Gnädigste, ich bin entzückt, daß Sie uns die Ehre geben. Ist der Herr Geheimrat auch schon anwesend?«

Knut konnte jetzt auch das Gesicht der jungen Dame sehen, ein schönes, klares Antlitz mit großen, grauen Augen, die noch sehr mädchenhaft blickten.

Die schöne Frau reichte dem Konsul die Hand.

»Mein Vater ist schon von Ihrer Frau Gemahlin empfangen worden, Herr Konsul. Sie hat ihn ­einem ganzen Kreise von Großwürdenträgern eingereiht«, sagte sie, und das Lächeln, mit dem sie ihre Worte begleitete, machte ihr schönes Gesicht betörend.

»Das sieht meiner Frau ähnlich! Sie sonnt sich gar zu gern im Glanz von Titeln und Orden«, nickte der Hausherr. »Aber nun gestatten Sie mir, Ihnen meinen jungen Freund vorzustellen, Gnädigste, der das Glück haben wird, Sie zu Tisch zu führen.«

Lassen war herangetreten und wollte sich eben verneigen – da sah er, daß die junge Frau, als sie ihn erblickte, förmlich zu erstarren schien. Sie richtete sich hoch auf und sagte kalt: »Ich bedaure, Herr Konsul. Ich kenne Herrn Rechtsanwalt Lassen, aber ich habe nicht die Absicht, die Bekanntschaft zu erneuern.«

Ihre schönen Augen blickten Knut mit einem Ausdruck an, den er noch in keinem Auge gesehen hatte.

Erbleichend sagte er sich, daß es Verachtung, tödliche Verachtung sei, die unverhohlen aus diesen großen Sternen sprach.

Es traf ihn wie ein Schlag. Während er das schöne Geschöpf anstarrte, setzte seine Denkkraft aus, er vermochte weder zu sprechen noch sich zu bewegen.

Auch der Konsul war entsetzt über das Verhalten der jungen Frau.

»Um Gottes willen, Gnädigste«, stammelte er.

Aber Frau von Ried nickte ihm freundlich zu.

»Seien Sie mir nicht böse, Herr Konsul. Es geht nicht anders«, sagte sie herzlich. »Ich werde gleich zu Ihrer Frau Gemahlin gehen, mir einen anderen Tischnachbar zu erbitten.« Damit verließ sie das Zimmer.

»Ja, so sagen Sie mir doch nur, Doktor, was liegt denn da vor?« rief der Konsul. Lassen fuhr wie aus einem Traum auf.

Er war kreidebleich und sah verstört aus. »Wer ist die Dame?« fragte er.

»Aber Mensch, Sie müssen sie doch kennen, wenn sie Ihnen so entgegentreten kann? – Es ist Frau von Ried, die Tochter von Geheimrat von Ried.«

»Ich habe sie wissentlich noch nie gesehen.«

»So muß also ein Irrtum obwalten. Ich werde diesen sofort richtigstellen!«

Aber der Rechtsanwalt schüttelte den Kopf.

»Nein, bitte, Herr Konsul! Die Dame hat auf alle Fälle das Recht, einen ihr nicht genehmen Tischherrn abzulehnen, nicht wahr? Wir wollen die Sache auf sich beruhen lassen.«

Der Konsul sah ihn verständnislos an. Er wurde aber von anderen Gästen in Anspruch genommen, so daß er den jungen Mann sich selbst überlassen mußte.

Doktor von Lassen benutzte diese Gelegenheit, sich zurückzuziehen.

Er ließ sich in der Diele von dem verwunderten Diener Hut und Mantel geben, rief seinen Chauffeur herbei und setzte sich in den Wagen.

Er lehnte in seiner Ecke und starrte vor sich hin, bemüht, zu erfassen, was ihm widerfahren war.

Zu Hause angelangt, warf er den Mantel ab und starrte sein Spiegelbild an.

Er fand sich wie immer, groß, schlank, elegant, aber es fehlte doch etwas, was sonst seiner Erscheinung das Gepräge gegeben hatte: das Selbstbewußtsein, die kühle Überlegenheit.

Wütend stampfte er mit dem Fuß auf.

Es war doch heller Wahnsinn, daß er sich die Abfuhr, die ihm eine fremde Frau erteilt hatte, so zu Herzen nahm. Gott weiß, aus welcher Laune heraus sie ihm so begegnet war, er kannte sie nicht. Ihr Name war ihm ganz fremd, und gesehen hatte er sie auch noch nie im Leben. Auf sein Gedächtnis konnte er sich verlassen. In diesem Falle besonders, denn eine Erscheinung wie die ihrige vergaß man bestimmt nicht wieder.

Es mußte eine Möglichkeit geben, sich an ihr zu rächen. Wann hätte je einer gewagt, ihn zu beleidigen? – Und nun diese Schmach, im Beisein eines Dritten ihm zugefügt von einem Gegner, gegen den er wehrlos war. Das war es eben, sie als Frau hatte es ja leicht, ihn zu beleidigen, sie wußte wohl, daß er sich nicht gegen sie verteidigen konnte. Aber es gab im Leben jedes Menschen eine schwache Stelle, also würde auch diese Frau irgendwie zu fassen sein. Und er wollte wahrhaftig kein Mittel scheuen, bis er sie ebenso gedemütigt sah, wie er heute vor ihr gestanden hatte.

Er blieb in seinem Arbeitszimmer vor dem Ständer stehen, der das große Adreßbuch trug. Hastig schlug er den zweiten der dicken Bände beim Buchstaben R auf. Sein Blick glitt die Reihen entlang: von Ried, Friedrich Wilhelm, Geheimrat, Sternstraße 20. Das war also ihr Vater. Die Wohnung lag im Westen, gute Gegend, aber ziemlich simpel. Millionäre wohnten da nicht. Sie sah auch nicht nach Reichtum aus. Die Toilette war sehr hübsch und geschmackvoll, aber aus einem ersten Atelier stammte sie nicht. Und als Schmuck trug sie um den feinen Hals nur eine einfache Schnur nicht zu großer Perlen.

Sie hatte es ja auch nicht nötig, sich mit Brillanten zu behängen, ihre Schönheit wirkte für sich. Denn schön war sie, das mußte ihr ärgster Feind ihr lassen. Sie mochte sich hüten, die schöne blonde Frau, es war sehr unvorsichtig, sich den Rechtsanwalt Doktor Knut von Lassen zum Feinde zu machen.

Er schlief in der Nacht kaum. Sonst hatte er sich viel darauf zugute getan, daß er einen ausgezeichneten Schlaf hatte, heute fand er keinen, wütend darüber, daß er von seinen quälenden Gedanken nicht loskam. Am anderen Morgen schmeckte ihm das Frühstück nicht, und Jo sah ihn bedenklich an, als er Speck und Eier fast unberührt wieder abräumen mußte.

Sundream, der schöne Goldfuchs, hatte es heute nicht leicht unter seinem Reiter.

Auf der kurzen Fahrt vom Tattersall zu seinem Hause kam der Rechtsanwalt nur mit knapper Not an einem Zusammenstoß vorbei. Immerhin schrammte er den anderen Wagen so hart, daß dessen Kotflügel und sein eigener verlorengingen.

Im Büro sahen ihn die Mädchen, ehe sie ihre Stenogrammhefte aufschlugen, an wie ein Gespenst.

Auch Graun, der kam, ihn zu begrüßen, schüttelte verwundert den Kopf.

»Fehlt dir etwas, Knut?«

»Nein, danke. Ich habe schlecht geschlafen.«

Der Ton, in dem die Auskunft erfolgte, verbot weitere Fragen, aber Graun konnte nicht umhin, den Freund besorgt zu betrachten. Was mochte geschehen sein, um den immer Überlegenen, Heiteren so zu verstören?

Der Tag nahm den üblichen Verlauf, aber nichts ging heute so glatt, wie es sonst zu gehen pflegte.

Am Abend entschloß er sich, seine Freundin Lony aufzusuchen.

Sie hatte auf seine Kosten eine hübsche Wohnung. Aber es war doch ratsam, vorher bei ihr anzurufen. Alleiniger Besitzer ihrer Gunst war er ganz gewiß nicht, und wozu sollte er unliebsame Begegnungen herbeiführen? Er betrachtete Lony lediglich als das, was sie war: ein reizendes Spielzeug, durchaus dazu angetan, die Mußestunden eines Junggesellen auszufüllen.

Heute aber erwartete er mehr von ihr. Sie sollte das Gegengift sein, mit dem er sich von dem Fieber, das ihn befallen hatte, zu befreien gedachte.

In dieser Erwartung fuhr er zu ihr.

Lony, die sehr viel von ihm hielt, kam ihm mit einem zwitschernden Jubelruf entgegen.

Sie war mittelgroß und niedlich, mit rötlichem Bubikopf und blauen Augen, trug ein verführerisches Pyjama und war nur so viel geschminkt, daß kein Abfärben zu befürchten war, aber trotz aller dieser Reize mußte der Besucher beim ersten Kuß feststellen, daß hier die Heilung, die er suchte, nicht zu finden war.

Im Gegenteil.

Als Lony nach einer Viertelstunde mühseligen Kokettierens mit einem kummervollen Schmollmäulchen seufzte: »Ach, du bist aber heute gar nicht nett!« nickte er bestätigend und sagte: »Ja. Das weiß ich selbst. Aber es liegt nicht an mir, sondern an dir, Kind.«

»Wieso denn?« fragte sie beklommen, und vor ihrem Gewissen erschien die bange Frage, ob er etwa Kenntnis von den drei Freunden habe, die sie außer ihm noch in ihr Herz geschlossen hatte. Das wäre sehr fatal gewesen, denn von den andern sah keiner so gut aus wie er, und keiner war so zahlungsfähig.

»Du kommst so selten zu mir, und nun bist du auch noch schlechter Laune«, klagte sie. »Was kann ich denn dafür?«

Er sah sie kritisch an, wie sie auf der Couch hockte.

»Im Grunde kannst du nichts dafür«, gab er zu. »Du müßtest blondes Haar haben, aschblond, glaube ich, und sehr viel weißere Haut, ohne Nachhilfe selbstverständlich. Und graue Augen müßtest du haben. Und größer und schlanker sein. Dann vielleicht.«

Lony war sprachlos.

Und da sie nichts sagen konnte, fiel sie ihm um den Hals, um auf diese Weise zu retten, was zu retten war.

Aber er erhob sich aus dem molligen Sessel, in dem er geruht, streifte sie ab wie ein lästiges Kleidungsstück und nickte ihr lässig zu:

»Entschuldige mich für heute, Kind. Ich bin nicht in Stimmung.«

Damit ging er, und als er die Treppe hinabstieg, wußte er, daß er das Haus nicht mehr aufsuchen würde.

*

Am nächsten Tage mußte der Referendar Lorenz die Termine des Doktor von Lassen wahrnehmen, soweit nicht Rechtsanwalt Graun sie erledigen konnte.

Lassen selbst fuhr zur Sternstraße, ließ seinen Wagen aber an der Straßenecke halten und ging zu Fuß zum Hause Nummer 20.

Er hatte sich in einer zweiten fast schlaflosen Nacht zu diesem Besuch entschlossen.

Zunächst wollte und mußte er endlich erfahren, aus welchem Grunde Frau von Ried ihn so schlecht behandelt hatte.

Sodann hoffte er, wenn er sie im Alltagskleide, in schlichter Umgebung wiedersähe, würde der Eindruck, den sie auf ihn gemacht hatte, sich wesentlich ändern.

Es bestand allerdings die Möglichkeit, daß sie seinen Besuch nicht annahm. Nun, um so besser, dann wußte er, daß sie, wie andere Frauen auch, der Verantwortung für das, was sie tat, aus dem Wege ging. Damit war sie dann für ihn erledigt, denn ihn reizte ja nur an ihr, daß sie eben eine Sondererscheinung zu sein schien.

Lassen klingelte, gab dem öffnenden Mädchen seine Karte und ließ sich bei Frau von Ried melden.

Er wurde in ein Empfangszimmer geführt, das mit schönen, alten Mahagonimöbeln eingerichtet war.

Seine Spannung, ob er vorgelassen werden würde oder nicht, war übergroß.

Er hatte jedes Examen mit Lachen gemacht, überzeugt, daß er mehr wisse, als die, die ihn zu prüfen hatten. Seine Kaltblütigkeit hatte ihn in keiner schwierigen Lage verlassen. Und nun schlug ihm das Herz bis in den Hals, in der Erwartung, ob diese junge Frau von Ried für ihn sichtbar sein würde.

Er brauchte nicht lange zu warten.

Das Mädchen kam wieder und öffnete die Tür zum Nebenzimmer: »Frau von Ried läßt bitten!«

Mit einem tiefen Atemzug der Befreiung folgte er der Aufforderung und überschritt die Schwelle.

Inmitten des Zimmers, das er betrat, stand die junge Frau, schlank und stolz aufgerichtet, und trotz des einfachen Sportkleides aus hellem Flanell nicht weniger schön als neulich.

Sie erwiderte seinen korrekten, sehr zurückhaltenden Gruß mit einem leichten Neigen des blonden Kopfes und sah ihm keineswegs freundlich entgegen.

»Gnädige Frau«, sprach er, ohne Vorbereitung zum Thema kommend und nur zwei Schritte in das Zimmer tretend. »Sie werden hoffentlich die Güte haben, mir zu sagen, aus welchem Grunde Sie mich vorgestern abend so schwer beleidigten? Ich bin immer noch der Meinung, daß ich das Opfer eines Irrtums oder einer Verwechslung geworden bin, die ich um jeden Preis aufklären möchte.«

»Nein«, sagte sie kalt. »Es liegt kein Irrtum vor. Wenn Sie es nicht mehr wissen, so will ich Ihnen sagen, daß Sie vor zwei Jahren in meinem Scheidungsprozeß die gegnerischen Interessen vertreten haben.«

Er sah sie groß an.

»Und deshalb?« fragte er und hätte fast gelächelt bei dieser Frage, so naiv erschien ihm das, was sie sagte.

Aber das schöne Gesicht der jungen Frau verfinsterte sich noch mehr.