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Wein, Trüffel ... und die große Liebe?
Antonia ist verzweifelt: Ihr Freund hat sie für eine andere verlassen. Doch nicht nur ihr Liebesleben, sondern auch ihr Berufsleben könnte ein wenig frischen Wind gebrauchen. Von einer Freundin erfährt Toni, dass der Delikatessenversand Gourmet-Stückchen eine Mitarbeiterin sucht. Beim Seminar ihres Unternehmens in einem Pariser Hotel trifft Toni auf einen unglaublich attraktiven Mann - und schüttet ihm prompt Orangensaft übers Hemd. Arbeitet er etwa auch in der Gourmet-Branche?
Für Toni ist klar: Die nächsten Wochen widmet sie sich ausschließlich der Arbeit. Doch eine Reise zur Trüffel- und Rotweinverkostung ins Périgord bringt ihre gesamten Pläne durcheinander ...
Ein wunderbar leichter französischer Liebesroman bei beHEARTBEAT - ein Kompliment an das Leben, die Liebe und gutes Essen.
LESERSTIMMEN:
Ein tolles Debut von Caroline Groller. Sie schreibt sehr angenehm, flüssig und humorvoll. Die Story ist locker, flockig, luftig leicht, einfach zum Genießen ... "Das Glück wartet in Paris" ist ein sehr schönes Buch rund um französische "Delikatessen" in einer zauberhaften Umgebung. Klare Leseempfehlung! (RezensentIn 4854549, Netgalley)
Der Roman liest sich locker leicht, wie gemacht für eine schönes Urlaubsbuch. Sehr romantisch mit viel Frankreich. (RezensentIn 500946, Netgalley)
Es ist eine schöne romantische Geschichte mit viel Flair von Frankreich. Der Kopf bekommt tolle Bilder von Paris und Südfrankreich. Echt toll. Liebe, Landschaft und tolles Essen, was will man mehr. (Silvia J, Netgalley)
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Seitenzahl: 420
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Epilog
Rezepte
Antonias und Leas Kochabend
Antonias und Rémys Mittagessen im Hotel
Alexandres kulinarisches Vorspiel
Für Verliebte, die es eilig haben
Für verliebte Genießer
Kaffeepause! Das Lieblingsgebäck der Autorin
Dank
Wein, Trüffel … und die große Liebe?
Antonia ist verzweifelt: Ihr Freund hat sie für eine andere verlassen. Doch nicht nur ihr Liebesleben, sondern auch ihr Berufsleben könnte ein wenig frischen Wind gebrauchen. Von einer Freundin erfährt Toni, dass der Delikatessenversand Gourmet-Stückchen eine Mitarbeiterin sucht. Beim Seminar ihres Unternehmens in einem Pariser Hotel trifft Toni auf einen unglaublich attraktiven Mann – und schüttet ihm prompt Orangensaft übers Hemd. Arbeitet er etwa auch in der Gourmet-Branche?
Für Toni ist klar: Die nächsten Wochen widmet sie sich ausschließlich der Arbeit. Doch eine Reise zur Trüffel- und Rotweinverkostung ins Périgord bringt ihre gesamten Pläne durcheinander …
Ein wunderbar leichter französischer Liebesroman – ein Kompliment an das Leben, die Liebe und gutes Essen.
Caroline Grollier kommt ursprünglich aus Delmenhorst bei Bremen. Seit zwanzig Jahren lebt sie mit ihrem französischen Mann und ihrer Tochter bei Paris. Sie arbeitete als Assistentin bei deutschen und französischen Unternehmen, bevor sie sich als Übersetzerin für Französisch und Englisch selbständig gemacht hat. »Das Glück wartet in Paris« ist ihr Debüt.
Caroline Grollier
beHEARTBEAT
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment | Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Sofie Raff
Lektorat/Projektmanagement: Anne Pias
Covergestaltung: Nicole Meyer, designrevolte.de
Unter Verwendung von Motiven von © iStockphoto: Shaiith | winvic | Good_Studio | oksixi
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-5535-2
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
»Ich habe es einfach nicht kommen sehen«, schluchzte Antonia ins Telefon. Mittlerweile hatte sie die dritte Schachtel Papiertaschentücher angebrochen, ihre Augen waren rot angeschwollen, und vom vielen Reiben tat ihr die Nase weh.
»Also nochmal, Toni. Lass mich mal eben kurz rekapitulieren«, unterbrach ihre beste Freundin Lea, die am anderen Ende der Leitung bisher schweigend zugehört hatte. »Ist nicht ganz einfach, da durchzublicken, weißt du, bei dem ganzen Schluchzen, Schnäuzen und Fluchen. Er hat dich heute Abend angerufen und so mir nichts, dir nichts Schluss gemacht? Am Telefon? So ein Arsch!«
»Genau. Und rate mal, wie lange das schon ging mit der anderen«, fuhr Antonia schluchzend fort. »Vor unserem Urlaub fing das schon an! Er hat sie Anfang April auf einer Party bei …«, sie schnäuzte lautstark ins Taschentuch, »… seinem Freund Jean-Claude kennengelernt. Anne-Laure Dulaval heißt sie. Mademoiselle Anne-Laure Dulaval«, wiederholte sie in affektiertem Ton. »Ich könnte kotzen. Und dieser Idiot war einfach zu feige, von Anfang an mit offenen Karten zu spielen. Stattdessen fährt er seelenruhig mit mir nach Korsika, wo wir eine so superschöne Zeit hatten, und jetzt das! Ich habe ernsthaft geglaubt …« Wieder kamen ihr die Tränen, und ihre Stimme versagte. »… er sei der Mann fürs Leben«, schluchzte sie.
»Warum warst du damals nicht auf der Party?«, fragte Lea, als Antonias Redefluss kurz abbrach.
»Weil ich an dieser Tagung teilnehmen musste. Ich hatte ja alles organisiert. Mit Galadiner und allem Drum und Dran. Da konnte ich absolut nicht fehlen. Und genau an dem Abend war Jean-Claudes Party. Deswegen ist Benjamin ohne mich gegangen. Na ja, und den Rest kannst du dir zusammenreimen … Ach Lea, es tut so weh! »
»Ich weiß, Süße. Wenn ich könnte, würde ich deinen Schmerz einfach wegzaubern. Und wenn du nicht so weit weg wärst, säße ich jetzt neben dir und würde dich in den Arm nehmen. In solchen Situationen ist diese Entfernung doppelt scheiße«, versuchte Lea zu trösten.
»Dreifach sogar. Warum wohnst du nicht in Paris?«, seufzte Antonia.
»Sehr witzig. Warum bist du nicht in Bremen geblieben …? Ach, Mist, tut mir leid. War nicht so gemeint. Ist mir so rausgerutscht. Kennst du sie eigentlich?«
»Ja, aber nur oberflächlich. Ich habe sie ein paar Mal getroffen. Einmal bei einer Feier und bei ein oder zwei Abendessen von Bens Freund Xavier. Wir haben uns aber nie lange unterhalten. Irgendwie war sie nicht mein Fall, ziemlich distanziert und gekünstelt. Eine bourgeoise Tussi. Obwohl sie Klasse hat, das muss ich zugeben. Die typische Pariserin halt. Immer schick angezogen, tipptopp gestylt und zählt vermutlich permanent Kalorien. Sie würde beim Aperitif nie in die Schale mit den Chips greifen so wie ich. Sie gehört zu den Frauen, die Cocktailtomaten und Rohkost essen, wenn du weißt, was ich meine.«
»So ähnlich wie deine Freundin Agnès also.«
»Richtig. Mit dem großen Unterschied, dass meine Agnès lieb und nett ist.«
»Logisch. Aber hattest du nie den Eindruck, dass sie sich an Benjamin herangemacht hat oder er ihre Nähe gesucht hat oder dir gegenüber irgendwie auf Distanz gegangen ist? Du musst doch irgendetwas gemerkt haben, wenn die Sache schon seit April läuft. Konnte er sich denn wirklich so gut verstellen?«
»Rein gar nichts habe ich gemerkt. Ich war so verliebt und deswegen wahrscheinlich völlig verblendet. Ich habe unsere Beziehung für solide gehalten und Benjamin total vertraut. Ich hätte im Traum nicht gedacht, dass es so einfach in die Brüche geht«, seufzte Antonia.
»Jetzt beruhige dich erst mal, ich …«, setzte ihre Freundin an, doch Antonia sprach unbeirrt weiter.
»Und stell dir vor …« Sie schluckte. »Jetzt verstehe ich überhaupt erst, warum er Anfang August noch mit mir in den Urlaub gefahren ist.«
»Ach ja, warum denn?«
»Weil wir die Reise nicht mehr stornieren konnten, ohne das Geld zu verlieren. Das war pure, grob kalkulierte Berechnung. Typisch, dieser Geizhals! Dabei verdient er Geld wie Heu! Als wir wieder da waren, hat er noch eine Weile den Schein gewahrt. Und heute … heute hat er mir dann eröffnet, dass Schluss ist. Idiot! Ach Lea, warum war ich bloß so blind?«
Niedergeschlagen sank Antonia in die Sofakissen zurück, ohne zu bemerken, dass ihr das Telefon aus der Hand rutschte. Unbeirrt sprach sie weiter.
»Seit unserer Rückkehr war er tatsächlich etwas komisch, wenn ich jetzt drüber nachdenke. Irgendwie abweisend. Angeblich hatte er viel zu tun, war auf Reisen, abends lange im Büro und was ihm sonst noch so einfiel. Es blieb keine Zeit mehr für mich.«
»Toni? Bist du noch dran …? Hallo …« Leas Stimme klang weit entfernt.
»Lea …? Mist. Moment, warte … nicht auflegen. Verdammt, wo ist es denn nur hingefallen?« Schließlich fischte sie das Gerät zwischen den Kissen hervor. »’tschuldige, Lea, mir ist das Handy aus der Hand gerutscht.«
»Wie geht das denn? Weißt du was, Toni, ich werde mir jetzt einen Flug suchen und zu dir nach Paris kommen. Wie findest du das? Ich habe noch Resturlaub, und im Moment ist im Büro nicht so viel los. Dann hast du ein paar Tage Gesellschaft, und wir können in Ruhe über alles sprechen und sehen, wie dramatisch die Sache wirklich ist und …«
»Wie dramatisch!«, rief Antonia empört. »Es ist megadramatisch. Der Mann meines Lebens, der, den ich heiraten wollte, hat mir den Laufpass gegeben. Wie dramatisch muss dramatisch sein, damit es deiner Meinung nach wirklich dramatisch ist? Ich bin schließlich schon dreißig!«
»Das ist doch kein Alter«, beschwichtigte Lea. »Außerdem habe ich es nicht so gemeint. Nur sehe ich die Sache mit anderen Augen, mit etwas mehr Abstand als du. Vielleicht war Ben einfach nicht der Richtige, nicht derjenige, der dich wirklich glücklich gemacht hätte. Weißt du was, du lässt dir jetzt ein Bad einlaufen. Danach wirst du dich viel besser fühlen. So was wirkt Wunder. Habe ich dir nicht irgendwann ein Probefläschchen von Träumerei geschenkt? Du weißt doch, diese Badeperlen, für die meine Firma die Werbekampagne entwickelt hat. Da drin stecken jede Menge beruhigende Öle zum Entspannen, und der Duft ist einfach traumhaft. Ich habe sie selbst ausprobiert. Träumerei – macht die Seele frei! Ich wusste, du würdest sie irgendwann gebrauchen können«, rief Lea entzückt.
»Wer hat sich denn diesen blöden Spruch ausgedacht? Außerdem hörst du dich an, als wärst du gerade auf einer eurer Marketingveranstaltungen. Im Ernst, glaubt ihr wirklich, mit diesem Slogan auch nur ein Fläschchen loszuwerden? Das ist ja die absolute Verkaufsbremse.«
»Tun wir bereits. Und sie kommen richtig gut an. Obwohl ich denke, dass es nicht dem Slogan zu verdanken ist. Die Perlen sind nämlich einfach toll. Wen stört da ein dummer Werbespruch? Und überhaupt. So schlecht kann es dir gar nicht gehen, wenn du dich schon wieder über den Spruch aufregen kannst.«
»Glaub mir, ich fühle mich entsetzlich, aber der Slogan ist wirklich zu dämlich. Na ja, jedenfalls muss das Probefläschchen irgendwo bei mir im Badezimmer stehen. Und ja, ich werde deinen Rat befolgen und mich bei einem Bad entspannen. Wirklich gute Freundinnen wissen, was einem guttut, oder?«
»Wart’s nur ab. Wenn du nicht mehr so durcheinander bist, wirst du merken, dass Benjamin vielleicht gar nicht so ein Traummann war. Die Träumerei wirkt nicht nur entspannend, sondern auch aufmunternd und … hm, wie soll ich es am besten ausdrücken … erhellend. Genau! Erhellend! Benjamins Fehler werden wie Seifenblasen vor deinen Augen aufsteigen. Poetisch, was? Dir wird genaugenommen kein Licht, sondern eine Blase aufgehen. Die kannst du dann einfach wegpusten. Aus den Augen, aus dem Sinn. Oder noch besser, du stellst dir Ben darin vor und haust jedes Mal kräftig drauf. Du wirst sehen, das tut gut! Na, wie hört sich das an?«
»Klingt, als hätte eure Träumerei eine benebelnde Wirkung. Hoffentlich werde ich nicht völlig versumpfen, wenn diese imaginären Blasen wieder platzen.«
»Quatsch! Sei nicht so negativ. Außerdem weiß ich genau, wie dir zumute ist. Wir haben das alle schon durchgemacht.«
»Wenn du es sagst«, gab Antonia trübsinnig zurück.
»Und leg eine gute CD ein – George Benson, zum Beispiel, nichts ist …«
»Das war unsere Lieblings-CD.« Augenblicklich fing sie wieder an zu schluchzen. »Mir werden dabei die ganzen Erinnerungen hochkommen.«
»Dann such etwas Fröhliches. Was weiß ich … Hip-Hop, Jazz, Hardrock oder so. Musik, bei der du nicht gleich losheulst. Und ich suche jetzt einen Flug. Einverstanden? Frag mal deinen Chef, ob du dir kurzfristig einen Tag freinehmen kannst, auch wenn euer nächstes Seminar vor der Tür steht. Wir machen es uns dann so richtig schön: Shoppen und ein bisschen Kultur – das ist ja obligé in dieser Stadt, n’est-ce pas? Vielleicht läuft gerade eine tolle Ausstellung. Und schlemmen – mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen. Ich glaube, ich werde als Erstes in der Bäckerei bei dir um die Ecke einfallen und mir ein Eclair kaufen. Oder ein frisches Baguette, noch ganz warm aus dem Ofen … mmhh, lecker«, stöhnte sie. »Was meinst du?«
Antonia rieb sich die Tränen aus den Augen und seufzte. »Danke, Lea. Ich habe mich nicht getraut, dich zu fragen, ob du kommen kannst. Ich freu mich riesig. Ruf mich gleich an, wenn du gebucht hast.«
Nach dem Gespräch mit ihrer besten Freundin fühlte sich Antonia seltsam beschwingt. Fast bekam sie gute Laune, wenn sie daran dachte, dass Lea bald kommen würde.
Tatsächlich ging es Antonia so gut, dass sie sich daran machte, Benjamins Sachen zusammenzusuchen und diese in einem großen Karton zu verstauen. Der war ja fast bei mir eingezogen, so viel Zeug liegt hier von ihm herum, stellte sie sauer fest. Komisch, dass er das alles nicht vermisste! Wahrscheinlich war er nur zu feige, den Krempel abzuholen, dann müsste er sich ihr stellen. Also verzichtete er lieber darauf. Konfliktscheuer Idiot. Lea hat recht, dachte Toni, wir hatten wohl nicht viel gemeinsam. Aber trotzdem kam er mir so perfekt vor … Toni schüttelte sich. Nein! Überhaupt nicht perfekt – er war ein aalglatter, egoistischer, gefühlsarmer Schleimer. Das musste sie sich nur immer wieder vor Augen halten, dann würde ihr Leiden gleich viel erträglicher werden. Aber dann dachte sie wieder an seine Küsse und seine unglaubliche Zärtlichkeit … Merde, merde, merde!
Antonia suchte schimpfend die Kleidung und Gegenstände zusammen, die Benjamin im Laufe der Zeit bei ihr gelassen hatte. Das Fluchen tat gut.
Auf dem Waschbecken im Badezimmer lag Benjamins Rasierer. Sein Rasierschaum und die fast leere Flasche seines Aftershaves standen auf der Ablage unter dem Spiegel. Sie sog tief Luft ein. Wie gut dieser süßlich-herbe Duft zu ihm passte. Er erinnerte sie so sehr an Ben. Fast hatte sie das Gefühl, er stünde dicht hinter ihr, so eindringlich umgarnte dieser Geruch jetzt ihre Sinne. Sie warf alles in die Mülltonne.
Als sie sicher war, dass nirgendwo mehr etwas von Benjamin herumlag, klebte sie den Karton zu und schob ihn in den Hausflur neben die Wohnungstür. Klasse, dachte sie, jetzt sieht es so aus, als hätte ich ihn rausgeschmissen. Wenigstens eine kleine Genugtuung. Sie knallte die Wohnungstür zu, schnappte sich ihr Handy und schrieb: Im Treppenhaus steht ein Karton mit deinen Klamotten. Am besten, du holst ihn in den nächsten Tagen ab, sonst landet alles im Müll.
Dann löschte sie seine Nummer.
Eh bien, dachte sie seufzend, damit wäre das Thema Benjamin zumindest von materieller Seite her abgeschlossen.
Leas Rat folgend ließ sich Toni tatsächlich ein heißes Bad einlaufen. In einem der Badezimmerschränke fand sie auch den Probeflacon der Träumerei-Badeperlen, den sie komplett ins Badewasser leerte. Augenblicklich verwandelte sich die Wasseroberfläche in eine Hügellandschaft aus weißem Schaum, der knisternd über den Rand der Wanne hinaus anstieg. Es roch einfach himmlisch. Langsam tauchte Toni in die Schaumberge ein. Vielleicht war der Slogan doch nicht so blöd … Sie atmete tief durch und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Die warmen, süßlichen Dämpfe umhüllten sie, beruhigten ihr aufgewühltes Gemüt und belebten ihre Sinne. Allmählich gelang es ihr, sich auf sich selbst zu konzentrieren, um das Chaos in ihren Gedanken zu ordnen. Schöne Erinnerungen an Ben vermischten sich mit Enttäuschung und Wut und machten dem Gefühl einer plötzlichen Leere Platz. Schließlich konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, ihn von seinem Sockel zu kicken und schlechte Seiten an ihm zu suchen. Plötzlich fiel ihr eine negative Eigenschaft nach der anderen ein, Situationen und Dinge, die ihr früher vor lauter Verliebtheit nie aufgefallen waren oder die sie einfach akzeptiert hatte. Als sie aus der Badewanne stieg und in ihren Pyjama schlüpfte, gelang es ihr tatsächlich, die Situation ein kleines bisschen nüchterner zu betrachten.
»Hast du den Tagungsraum im Quatre Saisons klargemacht? Haben die vom Hotel schon das Angebot geschickt? Sind die Einladungen raus? Haben inzwischen alle Teilnehmer zugesagt? Hast du die Deadline für die Präsentationen festgelegt? Die Verkaufsleiter müssen sie uns bis spätestens vier Tage vor der Tagung mailen, damit du sie noch überarbeiten kannst. Außerdem möchte ich, dass alle Präsentationen auf einen unserer Laptops geladen werden. Ich will nicht, dass die Redner ihre eigenen Computer am Projektor an- und abkoppeln. Das erzeugt immer Unruhe.«
Wie jeden Montag bellte Rémy eine allgemeine Begrüßung durch die Flure, sobald er die Firma betrat. Da Antonias Büro auf dem Weg zu seinem eigenen lag, stoppte er für gewöhnlich im Türrahmen, warf ihr sein charmantestes Lächeln zu und signalisierte mit einem Kopfnicken, dass sie ihm folgen solle. Kaum hatte er sich dann an seinem Schreibtisch niedergelassen, sprudelte es aus ihm heraus. Im Gegensatz zu Antonia lief er heute Morgen auf vollen Touren. Im Stillen verglich sie ihn mit einem Vulkan, dessen brodelndes Magma aus Ideen und Strategien übers Wochenende bis an den Kraterrand hochgequollen war und der jeden Montagmorgen aufs Neue explodierte. Dann spuckte dieser wandelnde Feuerberg, der nie wirklich zur Ruhe kam, die Informationslava nur so aus sich heraus.
Rémy Gourdhin hatte die Zügel von Gourdhin Cuisin’Inspiration fest in der Hand. Sein kleines Unternehmen vertrieb hochwertige Küchenutensilien »Made in France«, die er über ein gut ausgebautes Vertriebsnetz in ganz Europa bekannt und beliebt gemacht hatte. Im Frühjahr und Herbst, direkt im Anschluss an die Pariser Haushalts- und Geschenkartikelmesse Maison & Objet, lud Rémy sein gesamtes Verkaufsteam zu einem Seminar ein. Als seine rechte Hand war Antonia für die Organisation dieser Tagungen zuständig, die immer in einem großen Hotel am Pariser Flughafen Charles de Gaulle stattfanden. Sie versandte Einladungen, suchte den Tagungsraum aus und verhandelte mit dem Hotel über Verpflegung, Ausstattung und Unterkunft, übersetzte Präsentationen und war Ansprechpartner für alle Teilnehmer. Kurz, sie überwachte sämtliche Abläufe von A bis Z. Diese Zeit war oft stressig, denn parallel dazu lief das Tagesgeschäft weiter und Rémy verlangte Ergebnisse. Antonia liebte und brauchte diesen Rummel. Dann lief sie zu Hochtouren auf, auch wenn sie oft nicht wusste, wo ihr der Kopf stand.
Im Gegensatz zur Firma hatte Rémy sein Privatleben nicht so fest im Griff. Seine Ehe war gescheitert, seine drei Kinder sah er nur selten. Antonia wusste, dass er darauf nicht unbedingt stolz war. Andererseits wusste sie auch, dass er für die Firma lebte. Sie war sein Baby, für dessen Entwicklung er alles gab. Genau genommen hatte er vier Kinder. Die drei echten gerieten dabei ins Hintertreffen, und seine Frau erst recht. Hinzu kam, dass Rémy als blendend aussehender Mittfünfziger, groß, immer noch schlank, mit strahlend blauen Augen und dichtem graumelierten Haar, sich selbst für unwiderstehlich hielt. Ihm fiel es schwer, seinen Charme nicht bei allem, was weiblich, hübsch und gut geformt war, spielen zu lassen. Regelmäßig wurde er schwach, so dass seine Freundinnen häufig wechselten. Antonia fand es ziemlich anstrengend, sich ständig neue Namen merken zu müssen. »Qu’est-ce que tu veux, Toni?« Rémys Stimme bekam meist einen resignierten Unterton, wenn er sich vor ihr rechtfertigte. »Was soll ich machen? Ich kann nichts dafür, sie schmeißen sich mir einfach an den Hals«, erklärte er ihr für gewöhnlich und unterstrich sein Dilemma mit ausschweifenden Gesten. »Ehrlich. Hand aufs Herz. Ich provoziere das nicht.« Er klang jedes Mal so überzeugend, dass Antonia ihm die gespielte Verzweiflung fast abnahm. Seiner Meinung nach lag die Schuld ausnahmslos bei den schönen Frauen. Mittlerweile konnte Rémy auf eine beachtliche Sammlung weiblicher Trophäen zurückblicken. Dass seine Frau dieses Verhalten irgendwann nicht mehr lustig fand und die Scheidung einreichte, konnte Antonia gut nachvollziehen.
Sie selbst gehörte nicht zu Rémys Kollektion und hatte auch nicht die geringsten Ambitionen, sich darin einzureihen. Sie fand ihn viel zu alt. Außerdem hatte Rémy ihr geschworen, aus Gründen der Ehre, des Anstands, vor allem aber, um sich keinen Ärger einzuhandeln, nie eine Mitarbeiterin zu verführen. Zwischen Antonia und Rémy war eine Freundschaft entstanden, die einem Vater-Tochter-Verhältnis ähnelte. Wann immer sie wollte, konnte sie ihm ihr Herz ausschütten.
»Bin dabei. Habe später einen Termin im Hotel. Ja, die Einladungen sind raus, die Deadlines gesetzt, und das mit dem Projektor geht auch klar«, erwiderte Antonia knapp.
Seitdem sie in Rémys Büro getreten war, hatte sie sich nicht von der Stelle gerührt. Mit gesenktem Kopf stand sie vor seinem Schreibtisch und starrte scheinbar konzentriert auf ihren Notizblock.
Von ihrer ungewöhnlich kurzen Antwort überrascht, hielt Rémy inne und fixierte sie. »Stimmt was nicht? So kurzangebunden kenne ich dich gar nicht, chérie.«
»Ach, nichts Besonderes, hatte nur ein schlechtes Wochenende«, entgegnete sie, ohne aufzuschauen. Ihr Notizblock, den sie so fest umklammert hielt, dass die Fingerknöchel weiß anliefen, schien in diesem Moment wie ein rettender Anker. Sie spürte Rémys durchdringenden Blick weiter auf sich ruhen. Wenn ich jetzt hochgucke, dachte sie, breche ich in Tränen aus. Bestimmt würde ihr Chef so lange bohren, bis sie ihm erzählte, was los war. Antonia kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich nicht mit so einer fadenscheinigen Erklärung abspeisen lassen würde.
»Und das soll ich dir abnehmen? Ich kann deinen Kummer förmlich riechen. Meidest du meinen Blick, damit ich deine roten Augen nicht sehe?« Rémy war aufgesprungen. »Ich hab’s! Der Mistkerl hat dich sitzengelassen?«
»Bingo.« Schon wurden ihre Augen wieder feucht.
»Na endlich! Wurde auch Zeit, der war sowieso nichts für dich.«
Schlagartig hob Antonia den Kopf.
»Bitte? Du mochtest ihn nicht? Warum hast du mir nie etwas gesagt?«, fragte sie verblüfft.
»Richtig. Ich konnte ihn nicht ausstehen.«
Rémys trockene Bemerkung verfehlte ihre Wirkung nicht. Statt loszuheulen, wurde Antonia ärgerlich. Prüfend blickte sie ihren Chef an. Um Rémys Mund spielte ein fast unmerkliches Lächeln. Provozierte er sie etwa bewusst?
»Ein bisschen mehr Anteilnahme hätte ich schon von dir erwartet«, bemerkte sie säuerlich.
»Ich garantiere dir meine aufrichtige Anteilnahme an deinem Glück, diesen Schwafler endlich los zu sein. Der passte nicht zu dir. Ein gestelzter Lackaffe. Aber wie sollte ich es dir sagen, ohne dass du es mir übel genommen hättest? Du warst doch so verknallt. Einer Person, die im siebten Himmel schwebt, verständlich zu machen, dass sie besser auf den Boden der Tatsachen zurückkommt, ist immer heikel, weißt du. Manchmal ist es besser, sie erkennt es von selbst, auch wenn sie dabei Federn lässt. Du sagst mir schließlich auch nicht, was du über meine Freundinnen denkst.«
»Stimmt. Das liegt aber hauptsächlich daran, dass ich keine Gelegenheit habe, sie näher kennenzulernen. Du hältst es ja nie lange mit derselben Frau aus. Außerdem«, fügte Antonia hinzu, »gab es für mich nichts zu erkennen. In meinen Augen war er perfekt.«
Rémy ging um seinen Schreibtisch herum zu Antonia und legte tröstend den Arm ums sie.
»Ma petite chérie. Jetzt trinken wir erst einmal einen Kaffee und du erzählst mir alles«, sagte er mitfühlend. Sanft schob er Antonia hinüber zum Besprechungstisch, wo er sie in einen der ledernen Stühle drückte. Sie schluckte, um den dicken Kloß, der sich in ihrem Hals einnisten wollte, loszuwerden. Ihr Herz fühlte sich an, als würde jemand mit kleinen Nadeln darauf herumpiken. Reiß dich zusammen, Toni, sagte sie sich.
»Ok. Aber ich kann dir nicht garantieren …« Sie hielt inne. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt plötzlich Rémy, der sich am Kaffeeautomaten auf der anderen Seite des Tisches zu schaffen machte. Schmunzelnd beobachtete sie das Schauspiel und hatte Mühe, nicht laut loszuprusten. Meine Güte, das ist ein Kapselautomat. Einfacher geht es nicht, dachte sie kopfschüttelnd.
Rémy hatte die Kaffeekapsel eingelegt, stellte eine Tasse unter den Auslauf und drückte den Startknopf. Die Maschine knatterte und zischte wie ein alter Auspuff. Ansonsten passierte gar nichts. Ungeduldig drückte er wieder auf Start. Einmal, zweimal, beim dritten Mal hielt er den Daumen auf den Knopf gepresst. Noch immer lief der Kaffee nicht durch. Allmählich bekam seine sonst so ruhige Miene einen irritierten Ausdruck.
»C’est quoi ce bordel? So ein Mist!«, schimpfte er, als er den völlig leeren Wassertank entdeckte. Seufzend sah er sich um. Von einem Tablett neben der Maschine fischte er eine Flasche Mineralwasser und goss sie in den Tank. Augenblicklich verpufften die ersten Spritzer der kalten Flüssigkeit, die jetzt auf das erhitzte Reservoir trafen. Heißer Wasserdampf traf auf Rémys Gesicht und verfärbte es krebsrot. Dann endlich lief Flüssigkeit durch den Ausguss in die Tasse.
»Ich fass es nicht«, rief Rémy entnervt. »Was ist das denn für eine Brühe?« Schwungvoll zog er die Tasse weg und stellte sie aufs Tablett. Ein paar Spritzer, die dabei auf seiner Hose landeten, wischte er achtlos mit der Hand weg.
»Jetzt reicht’s!« Wütend riss Rémy die Tür seines Büros auf. »Marguerite, zwei Kaffee, bitte«, brüllte er in den Flur hinaus. Erschreckt sprang die Sekretärin auf.
»Kommt sofort, Rémy!«, rief sie ihm zu, während sie in die Küche eilte.
»Dabei sind diese modernen Kapselautomaten doch wirklich kinderleicht zu bedienen«, bemerkte Antonia trocken und unterdrückte ein Grinsen. Rémys mürrischer Blick sprach Bände. Besser, sie verkniff sich jeden weiteren Kommentar zu dem Thema.
»Fang schon an zu erzählen«, sagte Rémy, als sei nichts geschehen.
»Was soll ich sagen? Am Freitagabend hat Ben mir gestanden, dass er sich unsterblich in eine Frau verliebt hat, die er vor etwa fünf Monaten auf einer Party kennengelernt hat. Bevor du fragst – ich konnte damals nicht mitgehen, da unser Galadiner am selben Abend stattfand.«
»So lange geht das schon! Und er hat es dir bis heute verheimlicht? So ein feiger Hund.«
»Zumindest haben sie sich auf dieser Feier näher kennengelernt. Wann es wirklich gefunkt hat, weiß ich nicht genau, aber es muss vor unserem Korsika-Urlaub im August gewesen sein.«
Es klopfte. Ohne eine Antwort abzuwarten, wurde die Bürotür aufgestoßen, und Marguerite erschien mit einem Tablett, auf dem zwei Tassen duftender Kaffee und eine Schale mit kleinen Croissants und Pains au Chocolat standen, die Rémy montags gern für seine Angestellten spendierte »damit die Woche gut anfängt«. Klirrend stellte sie alles auf den Besprechungstisch.
»Tausend Dank, Marguerite, Sie können das viel besser als ich. Ich weiß gar nicht, warum ich immer wieder versuche, den Kaffee selbst zu machen«, neckte Rémy seine Sekretärin augenzwinkernd.
»Vielleicht, weil diese Maschinen speziell für unselbständige Chefs entwickelt wurden, damit sie nicht ständig ihre Sekretärinnen damit belästigen«, antwortete Marguerite schnippisch. Hoch erhobenen Kopfes schritt sie aus dem Raum und knallte die Tür hinter sich zu.
»Sie versteht einfach keinen Spaß.« Rémy grinste.
»Das würde ich in diesem Fall auch nicht. Du bist schon ein ziemlicher Macho.«
»Findest du? Dann werde ich mich nachher mit einer Schachtel Pralinen bei ihr entschuldigen. Aber zurück zu dir und deiner Pfeife von Exfreund. Wo hast du diesen Typen eigentlich kennengelernt?«
»In einer Buchhandlung in meinem Viertel.« Antonias Gedanken schweiften zu ihrem alten Lieblingsladen. Es war ein uriges, gemütliches Geschäft, das jeder im Viertel kannte. Voller alter Holzregale, die sich vom Gewicht der Bücher bogen, der Parkettfußboden knarrte bei jedem Schritt, und die Treppen waren mit plüschigen roten Teppichen ausgelegt. Überall waren kleine Leseecken mit bequemen Ohrensesseln und Tischen eingerichtet, in denen man in Ruhe schmökern konnte. Und in der letzten Etage gab es sogar ein kleines Café.
»Ich habe Benjamin da bei einer Autorenlesung getroffen«, fuhr Antonia fort. »Er saß mir direkt gegenüber. Klar, dass mir ein so eleganter Mann sofort ins Auge fiel. Irgendwann kamen wir ins Gespräch und unterhielten uns den ganzen Abend weiter. Erst in der Buchhandlung, hinterher in einer kleinen Bar um die Ecke. Ich hatte das Gefühl, als würde ich ihn schon ewig kennen. So fing alles an.«
Benjamin arbeitete in einer Unternehmensberatung, wo er viel Geld verdiente und hohe Einsatzbereitschaft verlangt wurde. Doch das hatte Antonia nie gestört. Auch sie wurde in ihrem Job gefordert, so dass ihre Arbeitstage oft spät endeten. Konnten sie sich innerhalb der Woche nicht sehen, genoss sie die Zeit an den Wochenenden mit ihm umso intensiver. Ben war neugierig und hatte immer Lust, kulturelle und sportliche Trends zu testen, Neues zu entdecken. Genau das liebte sie so an ihm. Er hatte ihren Horizont erweitert und ihre Augen für Dinge geöffnet, auf die sie selbst nie geachtet hätte. Meist wusste er schon am Wochenanfang, was sie am folgenden Wochenende unternehmen würden: ein Spaziergang durch die indischen Viertel von Paris, eine Führung durch den Palais Garnier, ein Kochkurs. Gelegentlich flüchteten sie vor dem Großstadtrummel und fuhren aufs Land, wo sie zwei Tage in einem der wunderschönen alten Schlösser verbrachten, die von steinreichen Familien in luxuriöse Hotels mit historischem Charme umgebaut worden waren. Antonias Wochenenden waren immer voll verplant. Sie brauchte sich um nichts zu kümmern, sondern einfach nur mitzumachen. Ihr blieb wenig Zeit, sich mit Freundinnen zu treffen. Die fanden diese permanenten Aktivitäten übertrieben: In eurer Beziehung gibt es viel zu wenig Raum für Spontanes oder Er sollte dir Luft zum Atmen lassen, musste Antonia sich immer wieder anhören. Auch wenn sie die Kritik ihrer besten Freundinnen nachvollziehen konnte, genoss Antonia in ihrer grenzenlosen Verliebtheit, dass Ben sowohl ihre Freizeit als auch ihr Leben völlig durchorganisierte.
Regelmäßig plante Benjamin Überraschungsaktionen für Antonia. An einem Samstagmorgen Anfang Juni war er bei ihr mit einer großen Sporttasche aufgetaucht, in der seine Taucherausrüstung steckte. Ohne auf ihre Verwunderung einzugehen, packte er ihre Schwimmsachen zusammen. Dann fuhren sie mit seinem Auto los. Obwohl Antonia vor Neugier platzte, spannte er sie auf die Folter, bis sie das Ziel erreicht hatten: das Schwimmbad von Villeneuve-la-Garenne, nördlich von Paris.
»Ich habe dich zu einem Tiefseetauchkurs angemeldet. Dann können wir im Sommer auf Korsika tauchen gehen«, hatte er ihr voll Enthusiasmus eröffnet. So war Antonia zu ihrer Unterwassertaufe gekommen.
Wenn sie jetzt darüber nachdachte, wie einsam und leer ihre Wochenenden in Zukunft sein würden, wurde ihr ganz flau.
»Wir haben immer so viel zusammen unternommen. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich meine Wochenenden alleine organisieren soll. Ich habe das völlig verlernt«, gab Antonia seufzend zu. »Ach übrigens, Rémy. Wo ich gerade vom Wochenende spreche. Könnte ich Freitag einen Tag Urlaub nehmen? Meine beste Freundin Lea aus Bremen kommt mich besuchen. Sie will mich auf andere Gedanken bringen. Ich weiß, es ist etwas kurzfristig, aber keine Angst, ich werde vorher alles für unser Seminar am nächsten Montag mit dem Hotel klargemacht haben. Meinst du, das geht?«
»Und schon hast du dein erstes Wochenende allein organisiert! So was verlernt man nicht.«
»Lea hat sich selbst eingeladen …«
»Egal, wer wen eingeladen hat. Es ist ein Anfang. Lass dich von deiner Lea aufmuntern. Aber mal ganz ehrlich, sei froh, dass du Benjamin los bist. Er passte nicht zu dir, das kann ich nur wiederholen. Glaub mir, ich weiß, wie dir zumute ist. Aber er ist es nicht wert, dass du ihm so viele Tränen nachweinst. Du wirst den Richtigen schon noch finden. Lass dir nur etwas Zeit. Du hast nämlich alles, worauf ein Mann abfährt, ehrlich. Und ich weiß, wovon ich rede …« Rémy grinste und blickte sie mit einer Unschuldsmiene an. »Du hast ein Riesenherz für alles und jeden, bist einfühlsam und freundlich. Und diese Augen … meine Güte! Also, wenn ich jünger wäre …«
Antonia lächelte verlegen. »Klingt ja fast wie eine Liebeserklärung.«
»Rein platonisch. Tut aber gut, oder?«
»Sehr sogar«, gab sie zu.
»Na bitte. Weißt du überhaupt, was die beste Medizin gegen Liebeskummer ist? Ablenkung! In unserem Fall bedeutet dies Arbeit. Und die haben wir reichlich!«
Alexandre de Monfalcon ließ sich auf einen Stuhl in der offenen Küche seines Hausboots fallen. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf, schloss die Augen und atmete tief durch. Wie jeden Morgen war er eine gute Stunde lang gejoggt, womit auch sein Golden Retriever Balou seine morgendliche Gassirunde hinter sich hatte. Mittlerweile war der Hund ein ernstzunehmender Joggingpartner geworden, der mit seinem Herrchen Schritt hielt. Alexandre freute sich aufs Frühstück. Der aromatische Duft von frisch gebrühtem Espresso, auf den er morgens nur im äußersten Notfall verzichtete, stieg ihm in die Nase. Und vor ihm auf dem Tisch lag ein ofenfrisches Baguette von Monsieur Soujon, dem ortsansässigen Bäcker. Er brach ein großes Stück ab, bestrich es mit einem Teelöffel Rhabarberkonfitüre aus hauseigenem Sortiment und checkte nebenbei E-Mails auf seinem Smartphone.
»Wir haben’s gut, findest du nicht auch, Balou?« Der Hund lag hechelnd neben ihm auf dem Boden. Das Tier war sichtbar erschöpft, was es jedoch nicht davon abhielt, auf das Frühstück seines Herrchens zu lauern.
»Jeden Morgen frisches Baguette direkt an die Tür seines Hausboots gehängt zu bekommen ist wahrer Luxus. Aber so ist das halt, wenn man sich mit den lokalen Händlern gut versteht.« Alexandre kraulte Balous Kopf.
Die Boulangerie Soujon war einer dieser lokalen Händler, zu denen Alexandre einen ausgezeichneten Draht hatte. Der quirlige Bäcker lieferte jeden Morgen frisches Baguette, Landbrot oder andere traditionelle Backwaren an Restaurants und Cafés der Umgebung. Seine Tour führte ihn praktisch an Alexandres Hausboot vorbei, das auf der Garonne, ein paar Kilometer außerhalb von Bordeaux lag. Zumindest war es nur ein kleiner Umweg.
Beide hatten sich durch Zufall genau an dem Tag kennengelernt, als Alexandre vor etwas mehr als einem Jahr in sein frisch renoviertes Hausboot gezogen war.
An jenem Morgen stand Alexandre gebückt vor einer großen Palette neben seinem Bootssteg und ritzte die dicke Plastikfolie drum herum mit einem Cutter auf.
»Sieht aus, als hätten Ihre Leute ganze Arbeit geleistet, junger Mann«, hörte er eine Stimme neben sich sagen.
Mit hochrotem Kopf drehte er sich um und fand sich Nase an Nase mit dem Bäcker wieder.
»Bonjour, Monsieur. Ja, die haben’s gut gemeint. Die Plane hat es in sich.«
»Wie lange, glauben Sie, wird die Straße wohl noch blockiert sein? Mir fehlen eigentlich nur wenige Meter, um in die Route des Grands Champs einzubiegen. Sie führt direkt zu meiner Bäckerei.«
»Ach du Schande! Sie stehen hinter dem letzten Möbelwagen und kommen nicht weiter! Und ich habe gedacht, um diese Zeit wird die kleine Straße nicht befahren.«
»Genau genommen bin ich zwischen dem letzten und vorletzten eingepfercht. Kaum hielt ich hinter dem einen, fuhr schon der nächste Transportriese ein. Ich komme also weder vor noch zurück«, erwiderte Monsieur Soujon augenzwinkernd. »Ich nehme die kleine Seitenstraße gerne als Abkürzung auf dem Rückweg von meinen morgendlichen Liefertouren. Um diese Zeit ist hier nämlich sonst nie Verkehr, wissen Sie.«
»Das tut mir sehr leid. Ich werde die Fahrer hier auf dem Wendeplatz sofort bitten, mit ihren Wagen vorzurücken, damit der Transporter vor Ihnen auf den Platz fahren kann.«
»Keine Eile, junger Mann. Der LKW hier ist ja fast entladen. Lassen Sie die Leute ruhig zu Ende auspacken. Danach kann der Fahrer ihn dort drüben parken. Sie haben ja eine Menge Zeug! Vier Möbelwagen und die ganzen Einrichtungsstücke, die hier schon auf der Promenade stehen. Donnerwetter!«
»Stimmt. Ist meine erste eigene Wohnung. Ich habe einige Zeit im Ausland verbracht und lasse mich jetzt hier nieder. Fast alles musste neu angeschafft werden. Der Wagen vor Ihnen liefert meine Küchenmöbel«, erklärte Alexandre. »Sind Sie wirklich sicher, dass Sie warten wollen, bis der LKW hier entladen ist?«
»Ganz sicher. Schauen Sie …« Der Bäcker warf einen Blick durch die offene Hecktür. »Da drinnen stehen nur noch zwei Paletten.«
»Einverstanden. Dann trinken wir beide in der Zwischenzeit einen Kaffee«, schlug Alexandre vor. »Ich bin übrigens Alexandre de Monfalcon.« Er reichte seinem Gegenüber die Hand.
»Angenehm. Patrice Soujon,«, stellte der Bäcker sich vor.
So kam Alexandre zu seinem Brot-Arrangement. Seitdem steckte der Bäcker jeden Morgen – außer montags, da war die Bäckerei geschlossen – sein ofenfrisches Baguette, manchmal auch Croissants oder Pains au Chocolat, in den wasserdichten Beutel, den Alexandre an die Tür des kleinen Stegs gehängt hatte. Alexandre war sehr stolz auf diesen Deal. Wie er später erfuhr, hatten nur wenige Privatleute das Glück, Brot von Monsieur Soujon geliefert zu bekommen. Wer dieses Privileg genoss, stand hoch in der Gunst des Bäckers.
Selbstverständlich bezahlte Alexandre für den Service. Darüber hinaus bekam Monsieur Soujon regelmäßig einen Korb mit Delikatessen, für die die Epicerie Fine de Monfalcon bekannt war.
Die Epicerie Fine de Monfalcon bestand mittlerweile seit drei Generationen. Das Traditionsunternehmen mit Sitz bei Bordeaux lag fest in den Händen der Familie de Monfalcon und hatte sich mit dem Vertrieb regionaler französischer Spezialitäten einen Namen gemacht. Die Firma war aus dieser Gegend ebenso wenig wegzudenken wie die umliegenden Weinbaugebiete. Viele Menschen aus der Umgebung hatten hier ihren Arbeitsplatz gefunden und waren stolz darauf, Teil der Erfolgsgeschichte zu sein. Mit ihrem jahrelangen unermüdlichen Einsatz hatte es die Familie de Monfalcon geschafft, die Epicerie Fineüber die Region hinaus bekannt zu machen und sich selbst zu einem beachtlichen Vermögen verholfen.
Am Anfang hatte der kleine Hofladen von Alexandres Großvater Charles-Emmanuel gestanden, über den dieser Obst und Gemüse verkaufte, das er auf seinem Hof mitten im Périgord anbaute. Es sprach sich schnell herum, dass die auf dem Hof de Monfalcon erzeugten Produkte nicht nur frisch und von erstklassiger Qualität waren, sondern auch noch preisgünstig. Kunden kamen von immer weiter her. Schon bald nahm Alexandres Großvater Erzeugnisse und Spezialitäten befreundeter Landwirte der Region mit in seinen Laden auf. Damit verhalf er nicht nur den Kollegen aus der Branche zu mehr Bekanntheit, er erreichte auch, dass sein eigenes Geschäft wuchs und die Monfalcon-Produkte über die Region hinaus bekanntwurden.
Später, als Alexandres Vater, Charles-Henri de Monfalcon, die Geschäfte übernahm, entwickelte sich der Betrieb rasch weiter. Der kleine Hofladen, in dem alles begonnen hatte, erhielt Museumswert. Charles-Henri verlegte den Sitz der Firma in ein zweistöckiges Gebäude nach Bordeaux, dessen modern ausgestatteter Verkaufsraum sich hervorragend für den Direktverkauf eignete. Damit konnte die Idee des Hofladens weitergeführt werden.
Mit dem Eintritt von Alexandre in die Firma bekamen die Aktivitäten eine internationale Dimension. Er wusste, wie beliebt französischer Käse und Wein im Ausland waren. Fest davon überzeugt, dass auch andere typisch französische Delikatessen dort Abnehmer finden würden, nahm er die Eroberung internationaler Märkte in Angriff. Und hatte damit großen Erfolg.
Alexandre war das einzige der drei Kinder, dessen berufliche Leidenschaft dem Unternehmen galt. Seine zwei Jahre jüngere Schwester Inès war Architektin und lebte seit ihrer Heirat in London. Philippe, sein drei Jahre älterer Bruder, wohnte mit Frau und Kindern in der Nähe von Lyon, wo er als erfolgreicher Anwalt seinen Unterhalt verdiente. Beide hatten mit der Firma des Vaters nichts am Hut und überließen das Geschäft vertrauensvoll ihrem Bruder, der es mit Leib und Seele leitete und sich als äußerst geschickter Geschäftsmann entpuppt hatte.
Alexandre war auch der einzige Sohn, dem ein doppelter Vorname verpasst wurde: Charles-Alexandre de Monfalcon. Auf speziellen Wunsch seines Großvaters Charles-Emmanuel hatten die Eltern damit eine Tradition fortführen wollen. Alexandre hatte sich immer gewundert, warum sie gerade ihn getroffen hatte und nicht seinen älteren Bruder, was sein Vater mit einer ernsthaften Erklärung rechtfertigte: »Junior, ein Gefühl in meinem kleinen Zeh sagte mir von Anfang an, dass mein jüngster Sohn ins Geschäft einsteigen wird. Und das Geschäft wird traditionell von einem Charles geleitet.« Alexandre hielt diese Tradition für antiquiert und lehnte sie ab. Er verzichtete grundsätzlich auf den ersten Teil seines doppelten Vornamens, so dass ihn jeder als Alexandre de Monfalcon kannte.
Schon als kleiner Junge hatte Alexandre Stunden an der Seite seines Vaters im Betrieb verbracht. An manchen Tagen versetzte er sogar seine Freunde, wenn sie sich mit ihm zum Skateboard fahren, Fußballspielen oder einfach nur zum Herumhängen treffen wollten. Er half dem Vater lieber bei der Auswahl neuer Lieferanten, öffnete Kisten mit Warenproben, sortierte und probierte. Oder er stellte Präsentboxen für den Versand zusammen. Damit punktete er besonders in den Wochen vor den Feiertagen bei überlasteten Mitarbeitern. Gelegentlich tüftelte er mit den Leuten aus dem Marketing am Entwurf einer neuen Firmenbroschüre oder verstaute mit Arbeitern im Warenlager die Kartons mit neu angelieferter Ware. Sein Platz war in der Firma, daran gab es nichts zu rütteln, auch wenn von Anfang an feststand, dass er nach dem Studium Erfahrungen in einem anderen Betrieb sammeln musste.
Ein lauter Pfiff hallte durch das Hausboot. »Auf geht’s Balou, die Arbeit ruft.«
Frisch geduscht trat Alexandre durch die Tür seines Schlafzimmers. Er hatte die Sportkluft gegen eine dunkelblaue Cordhose und ein blauweiß kariertes Hemd getauscht. Auf die Krawatte verzichtete er, und auf eine Rasur erst recht. Sein Dreitagebart musste nicht regelmäßig gestutzt werden. Heute standen weder Meetings noch Kundenbesuche auf dem Plan. Ein ganz normaler Bürotag also, perfekt für ein legeres Outfit.
Balou stand bereits an der Tür, die auf die breite Terrasse führte, und wartete, dass sein Herrchen ihn hinausließ. Obwohl es früh am Morgen war, brannte die Sonne auf den mit Teakholz verkleideten Boden und kündigte einen weiteren schönen Spätsommertag an.
»Wo sind denn meine Autoschlüssel? Hast du etwa wieder damit gespielt, Balou? Ich könnte schwören, ich hatte sie auf den Wohnzimmertisch gelegt.«
Ein beleidigtes »Wuff« war alles, was der Hund ihm auf diese grobe Anschuldigung antwortete. Alexandre durchsuchte die Innentasche seiner Lederjacke. »Ach, stimmt ja. Ich hatte sie extra in meiner Jackentasche gelassen. Für den Fall, dass freche Hunde sie mal wieder als Spielzeug benutzen oder sie verstecken. Du fühlst dich nicht angesprochen, eh, Balou?« Er legte die Hand unter Balous Schnauze. Dann hob er beschwichtigend die Hände. »Ok, ok, ich gebe zu, diesmal habe ich dich zu Unrecht verdächtigt. Das war nicht fair von mir.«
Damit schnappte sich Alexandre den leichten blauen Baumwollpullover, der über einem der Sessel lag, und schlüpfte in ein Paar dunkelblaue Wildlederslipper.
Er wusste, dass er gut aussah. Frauen fühlten sich angezogen von ihm, und er hatte ohne besondere Überredungskünste eine große Auswahl an weiblicher Gesellschaft. Nur hatte er im Moment keine Lust, sich daran zu bedienen. Ich will mich voll auf die Firma konzentrieren, damit rechtfertigte er diese Abwehrhaltung im Moment. Er hatte einen imaginären Schutzschild angelegt, der ihn davor bewahren sollte, schwach zu werden. So ausgerüstet nahm er jeder Frau, die sich ihm mit einem »Du bist der Mann meiner Träume, bitte heirate mich-Blick« näherte, den Wind aus den voll aufgeblähten Flirt-Segeln. Eine völlig unverständliche Reaktion, wenn es nach seinen besten Freunden Thierry und Luc ging. Denn einige dieser Frauen waren in ihren Augen die reinsten Supermodels und geradezu unwiderstehlich.
»Wie schaffst du es, so gleichgültig zu bleiben?«, fragte Luc jedes Mal, obwohl er die Antwort auswendig wusste. »Du bist ein emotionaler Übermensch. Unmöglich, so was Nettes einfach ziehen zu lassen!«
Gelegentlich schwächelte Alexandres Schutzschild, und er ließ sich auf ein Abenteuer ein. Der emotionale Übermensch wurde wieder ein normaler Mann, was seine beiden Freunde ziemlich erleichterte und sie vermuten ließ, dass Alexandre nur noch nicht die Richtige über den Weg gelaufen war. Es war nur eine Frage der Zeit, dachten seine Freunde. Doch Alexandre war sich sicher, dass ernste Beziehungen in seinem Leben keinen Platz hatten, und verteidigte dieses Konzept bei jeder Gelegenheit.
Als er nun zusammen mit Balou auf die sonnendurchflutete Terrasse seines Hausboots trat, hatte Alexandre, der sonst so versessen auf seine Arbeit war, keine richtige Lust, diesen schönen Tag eingeschlossen im Büro zu verbringen.
»Was soll’s, Balou. Ein paar Minuten haben wir noch.« Alexandre warf seinen Pulli über die Lehne eines Liegestuhls, zog die Slipper wieder aus und wanderte barfuß auf dem warmen Teakholzdeck herum. Der eigentümliche, nostalgische Geruch des Spätsommers hüllte ihn ein, und jeder Schritt zauberte eine Erinnerung hervor: der vergangene Sommer, die Ferien in Bénodet, der Geruch von Strand und Meer, der Segeltörn nach Concarneau mit Thierry und Luc, bei starkem Wind und rauher See.
Schließlich stand er vor dem Whirlpool der hinteren Terrasse seines Hausboots. Wie gerne würde ich jetzt da drinsitzen, dachte er seufzend. Aber das muss ich wohl auf heute Abend verschieben.
Er schob Balou, der um seine Beine herumlief, sanft aus dem Weg und warf einen raschen Blick durch das kleine Fenster der Außenkabine, die er als Gästezimmer eingerichtet hatte. Zuletzt hatte seine Schwester Inès mit ihrem Mann darin übernachtet, als beide Mitte Juli zum Sommerfest der Epicerie aus London angereist waren. Auch schon wieder zwei Monate her.
Mit dem Hausboot hatte Alexandre sich vor zwei Jahren einen lang gehegten Traum erfüllt. Als absoluter Wasserfan hatte er fast jede Sportart ausprobiert, die in irgendeiner Beziehung dazu stand. Segeln und Tauchen gehörten zu seinen Favoriten. Sein geliebtes Segelboot lag etwa fünfeinhalb Stunden von Bordeaux entfernt im Yachthafen von Bénodet in der Bretagne, wo sich das Feriendomizil der Familie de Monfalcon befand. Auch wenn er das Boot gern in ein permanentes Heim umfunktioniert hätte, war ihm klar, dass es schlicht zu klein war. Als feststand, dass er sich in Bordeaux niederlassen würde, hatte er nach etwas Vergleichbarem gesucht, das als ständiger Wohnsitz in Frage kam. Die klassische Variante der Stadtwohnung interessierte ihn nicht. Dank guter Beziehungen hatte er schnell sein Glück gefunden: ein komplett renoviertes und mit allem erdenklichen Komfort ausgestattetes Hausboot. Das Highlight befand sich unter Deck: ein etwa achtzig Quadratmeter großer Wohnbereich mit offener Küche, Kaminofen und breiter Fensterfront, die dem Raum die Dunkelheit nahm. Ein schmaler Flur führte zu Alexandres Schlafzimmer, einem geräumigen Badezimmer und zwei weiteren Kabinen. Alexandre hatte das Hausboot mit rotbraunem Parkett auslegen und die Wände in naturweiß und hellbraun streichen lassen, wodurch eine warme Atmosphäre entstand. Hier und da zeigte sich Alexandres Faible für moderne Einrichtungsstücke: zwei dunkelrote lederne Clubsessel, ein bunter Hocker und ein abstraktes Bild von einem gefragten Künstler. Der einzige Raum, der farblich aus dem Rahmen fiel, war sein Schlafzimmer. Es war ganz in Blautönen gehalten, die Farben des Meeres, das Alexandre so liebte. Nur das Ölgemälde in knalligen Gelbtönen über seinem Bett stach als greller Kontrast hervor.
Wie ein kleines Eiland lag das Hausboot auf der Garonne. Ruhig und abseits vom Rummel der Stadt. Nach langen Bürotagen, Reisen oder Messen fand Alexandre hier Ruhe zum Entspannen. Sobald er sein Boot betrat und das sanfte Schaukeln des Flusses unter den Füβen spürte, trat er in eine andere Welt, in seine Welt.
Alexandre parkte seinen Wagen direkt vor dem Firmeneingang, ließ Balou aus dem Kofferraum und klemmte sich zwei Kartons mit Firmenbroschüren unter den Arm, die er ins Deutsche übersetzen lassen hatte. In der Eingangshalle des Bürogebäudes wartete bereits sein Vater, Charles-Henri de Monfalcon.
»Bonjour, Alexandre! Ich wollte gerade meine Runde durch die Firma beginnen. Hast du Zeit, mich zu begleiten?«
»Salut, Papa. Gib mir fünf Minuten. Ich bringe schnell die beiden Kartons in mein Büro, dann mache ich mit dir die Runde. Ich überlasse dir so lange Balou.«
»Bonjour, Alexandre. Wie geht es Ihnen heute Morgen?« Der blonde Lockenkopf von Livia, der Empfangsdame und Assistentin, lugte hinter der imposanten Gestalt seines Vaters hervor. Die zierliche Frau schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. Alexandre wusste nicht mehr, wie lange Livia schon bei ihnen arbeitete. Es schien eine Ewigkeit zu sein. Sie arbeitete bereits im Unternehmen, lange bevor er sein Studium begonnen hatte.
»Salut, Livia. Gut, dass wir uns gerade sehen. Hätten Sie heute Nachmittag ein paar Minuten Zeit für mich? Ich wollte mit Ihnen über das Önologie-Seminar auf dem Domaine de Liègrolle sprechen. Ende November, erinnern Sie sich? Ich kann die Liste mit den Tombolagewinnern nicht mehr finden. Ich hoffe, Sie haben eine Kopie davon gemacht.«
»Keine Angst!« Livia öffnete eine Schranktür hinter dem Empfangstisch. »Die Kopie ist hier drin.« Sie klopfte auf einen Ordner. »Hundertprozentig sicher aufbewahrt. Wer da ran will, muss sich erst mit mir anlegen.«
»Dann lassen Sie sie schön da drin und bringen Sie den Ordner nachher mit in mein Büro. Sagen wir gegen fünfzehn Uhr.«
»Hast du die Organisation schon mit Thierry abgeklärt? Macht er das Seminar, oder überlässt er es Camille?«, wollte Charles-Henri wissen.
»Die Organisation steht. Für Thierry ist das nichts Neues. Diese Kurse laufen das ganze Jahr über. Er hat also entsprechende Programme. Ich denke, Camille wird das Seminar durchführen. Erstens ist es ihr Job und zweitens ihr ›Baby‹. Sie hat diese Kurse initiiert und die einzelnen Module entwickelt. Aber lass uns gleich weiterreden. Ich bring die Kartons schnell hoch.«
Alexandres Vater, Charles-Henri de Monfalcon, war ein Chef der alten Schule. Wenn er nicht auf Reisen war, machte er morgens seine Runde durch die einzelnen Abteilungen der Epicerie de Monfalcon, um die Mitarbeiter zu begrüßen und sich mit ihnen zu unterhalten. Alles interessierte ihn, alles war ihm wichtig: neue Anfragen, der letzte Stand laufender Projekte, Erfolge, eventuelle Reklamationen und auch persönliche Anliegen. Der charismatische Seniorchef hatte immer ein offenes Ohr für die rund vierzig Beschäftigten. Alexandre bewunderte ihn dafür. Sein Vater kannte alle Mitarbeiter mit Vornamen und duzte sie, was er umgekehrt auch von ihnen verlangte. Doch Alexandre wusste, dass ihn diese scheinbare Vertrautheit nicht daran hinderte, hart durchzugreifen, wenn es sein musste.
»Hier, dies ist unsere Firmenbroschüre in deutscher Sprache.« Alexandre hatte gleich mehrere Exemplare mitgenommen und drückte seinem Vater eines davon in die Hand, als er zu ihm zurückkehrte. »Wie findest du sie? Ist gut gelungen, oder?«
»Sieht gut aus. Wo habt ihr sie übersetzen lassen?«
»Philippine hat ein Übersetzungsbüro gefunden, das auf Gastronomie spezialisiert ist. Es arbeitet nur mit Muttersprachlern und Leuten, die aus der Branche kommen.«
»War wahrscheinlich nicht billig, aber das ist eine gute Übersetzung wert. Schließlich muss der Kunde verstehen, was für Produkte er einkauft, sonst landet der Katalog in der Ecke und wir verkaufen gar nichts.« Charles-Henri blätterte die Broschüre beim Weitergehen durch.
»Philippine ist übrigens heute nicht im Büro«, bemerkte Alexandre. »Sie besucht eine Messe in München und kommt erst Freitag zurück.«
»Bin bereits im Bilde. Kurz bevor sie gestern losfuhr, sprachen wir noch über unsere Hausmesse Ende September.«
»Und? Was gibt’s Neues? Ich hoffe, alles geht klar?«, fragte Alexandre. »Die Einladungen sind fertig und müssen dringend raus. Wir werden sie per E-Mail schicken, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Manchmal denke ich, dass es eine Schnapsidee war, die Hausmesse so kurzfristig anzusetzen. Noch dazu in Paris, wo zig Unternehmen ihre Seminare genau zur selben Zeit abhalten. Wäre schade, wenn nur wenig Gäste kommen.«
»Wo steckt denn dein allgegenwärtiger Optimismus, Junior? Das wird schon klappen. Wir haben mit unseren Einfällen bisher immer Glück gehabt.«
»Genau deswegen sagte ich ja auch manchmal … Und nenn mich nicht Junior!«
»Aber der bist du doch! Spaß beiseite. Philippine hatte erst Schwierigkeiten, einen Seminarraum zu finden. Wie es aussieht, ist das aber inzwischen geklärt. Sie hat ein hervorragendes Hotel am Flughafen Charles de Gaulle gefunden, in dem noch ein passender Saal zur Verfügung steht. Im Hotel wollte man nur noch mit einer anderen Firma abklären, ob diese bereit wäre, den Raum mit uns zu tauschen. Scheint aber nur eine Formsache zu sein. Das war gestern der letzte Stand der Dinge.«
»Na, dann wäre ja fast alles geregelt. Ich rufe Phil nachher an. Vielleicht hat sie schon Neuigkeiten vom Hotel. Dann könnten wir das Mailing mit den Einladungen heute noch verschicken.«
Wie immer war das Lager die letzte Station ihres Firmenrundgangs. Balou, der die ganze Zeit neben ihnen hergetrottet war, preschte vor, als hätte ihn etwas gestochen. Das Lager gehörte zu seinen Lieblingsorten. Hier stand immer ein offener Karton mit Warenproben herum. Wenn es sich dabei auch noch um Fleischspezialitäten handelte, war der Hund nicht mehr zu bremsen. Alexandre musste ihn genau im Auge behalten, damit er ihn nicht beim Auseinandernehmen einer Kiste erwischte. Dennoch war Balou zu Alexandres Erstaunen der erklärte Liebling der Lagerarbeiter. Auch deshalb verpasste der Hund es nie, sein Herrchen dorthin zu begleiten, denn es fiel immer etwas Leckeres für ihn ab.
An diesem Morgen stellte Alexandre eine gewisse Hektik in der großen, modern ausgestatteten Halle fest. Florent, der Lagerleiter, hielt alle auf Trab. Im Eiltempo wurden Kisten aus einem der hinteren Bereiche entfernt und in eine Ecke im Eingangsbereich gestapelt.
»Salut, Florent. Ist heute Morgen etwas Besonderes los? So eine Unruhe kenne ich sonst gar nicht bei euch«, fragte Alexandre.