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Die Liebe wartet hinter grünen Hügeln … Madison kennt ihre schottische Heimat nur aus Erzählungen. Doch als sie in ihrem Beruf als Buchprüferin einen Betrug aufdeckt und London schnell verlassen muss, findet sie ausgerechnet dort Zuflucht. Mitten in den Highlands fängt sie eine neue Stelle auf einem echten Schloss an. Und der Besitzer Connor ist nicht nur überaus charmant, er ist auch ein Earl und waschechter Highlander! Kein Wunder also, dass ihr bei seinem Anblick die Knie weich werden … Leider versucht Connors Ex Percia noch immer, Chaos in dessen Leben zu bringen – und scheint Erfolg damit zu haben. Hat Madison sich etwa in den Falschen verguckt? Ein gefühlvoller Liebesroman zum Wohlfühlen für Fans von Nora Roberts und Manuela Inusa. »Ein wahres Vergnügen!« Marie Ledoux auf Amazon.de
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Seitenzahl: 518
Veröffentlichungsjahr: 2024
Über dieses Buch:
Madison kennt ihre schottische Heimat nur aus Erzählungen. Doch als sie in ihrem Beruf als Buchprüferin einen Betrug aufdeckt und London schnell verlassen muss, findet sie ausgerechnet dort Zuflucht. Mitten in den Highlands fängt sie eine neue Stelle auf einem echten Schloss an. Und der Besitzer Connor ist nicht nur überaus charmant, er ist auch ein Earl und waschechter Highlander! Kein Wunder also, dass ihr bei seinem Anblick die Knie weich werden … Leider versucht Connors Ex Percia noch immer, Chaos in dessen Leben zu bringen – und scheint Erfolg damit zu haben. Hat Madison sich etwa in den Falschen verguckt?
Über die Autorin:
Isadorra Ewans ist ein Pseudonym der Autorin Klarissa Klein. Sie wurde 1966 in Herne, Nordrhein-Westfalen, geboren und lebt mit zwei Kindern, zwei Hunden und einem Ehemann im Sauerland. Unter ihrem richtigen Namen hat sie bereits Kriminalromane und unter verschiedenen Pseudonymen zahlreiche Geschichten und Novellen veröffentlicht.
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin »Das Highland-Hotel der Träume«.
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eBook-Neuausgabe Oktober 2024
Dieses Buch erschien bereits 2017 unter dem Titel »Games of Trust« bei Knaur.
Copyright © der Originalausgabe 2017 Knaur Verlag. Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: A&K Buchcover, Duisburg, unter Verwendung eines Bildmotives von depositphotos/laly569, depositphotos/Vampiresse, depositphotos/lifeonwhite, depositphotos/bjoernalberts, depositphotos/grulis, depositphotos/StudioLightAndShade
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)
ISBN 978-3-98952-628-0
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Isadorra Ewans
Das Highland-Hotel der Träume
Roman
dotbooks.
Don’t question I’m not alone
Somehow I’ll find my way home
Jon & Vangelis
»Ms. Cavanough, bitte!« Der Mann, der diese Bitte ausspricht, stützt sich müde mit beiden Händen auf dem Tisch auf. Die Ärmel seines weißen Hemds sind fein säuberlich bis über die Ellenbogen aufgekrempelt, und die Muskeln seiner Unterarme treten deutlich unter dem Gewicht, das sie zu tragen haben, hervor. Dieser Mann ist groß, nicht direkt korpulent, aber immerhin eine monumentale Erscheinung. Dass er jetzt erschöpft den Kopf sinken lässt, ihn langsam schüttelt, um sich dann niedergeschlagen und mit hängenden Schultern auf den Stuhl mir gegenüber auf der anderen Seite des Tisches zu setzen, will so gar nicht zu ihm passen. Er wirkt kräftig, vielmehr: tatkräftig. So als würde ihn nichts erschüttern; könnte sich ihm nichts in den Weg stellen. Nun verschränkt er seine Finger ineinander; lange kräftige, männliche Finger, die an den Knöcheln etwas rauh sind und dem Betrachter zeigen, dass sie auch körperliche Arbeit kennen. Ein niedergeschmettertes Häufchen Elend.
Plastik knackt leise. Ein weißer, dünner Becher, der sich unter dem Druck meiner Hände zusammenknüllt. Fast. Und dieses Geräusch ist hier in diesem Raum so eindringlich, dass es beinahe beklemmend ist. Ein Raum mit Wänden, die noch mit Ölfarben gestrichen wurden. Irgendwann vor dem Zweiten Weltkrieg, sicherlich aber danach in den 50er Jahren. Die Wände glänzen speckig, und an einigen Stellen sind Flecken zu sehen, von denen ich lieber nicht wissen möchte, was diese flüchtig verwischten Dreckspuren hinterlassen haben könnte. Eine Neonröhre über unseren Köpfen lässt das weiße Hemd des Mannes, der mir gegenübersitzt, kalkweiß und durchsichtig erscheinen. Billiges Material, denke ich kurz und starre auf den Becher in meiner Hand und stelle fest, dass es mein Becher war, der so knackte. Das Geräusch gerade ließ den Mann aufsehen. Er betrachtet mich. Nein: Er mustert mich eingehend. Was wird er sehen? Was sieht er da?
In einem Film würde die Szene wahrscheinlich so aussehen: Eine junge Frau, die dem Mann gegenüber Platz genommen hat und die unter dem fahlen Licht der Neonröhre blass und kränklich aussieht, beinahe so, als würde sie gleich im Fieberwahn vom Stuhl fallen, versucht zu lächeln. Ein schwaches Lächeln, eines, von dem man nicht weiß, ob es ein echtes, ehrliches oder gar ein schuldhaftes, ein Geheimnis verbergendes ist. Die einzigen Bewegungen der jungen rothaarigen Frau sind die ihrer Finger, die versuchen, die Delle aus dem Plastikbecher herauszudrücken. Eine Szene wie in einem Krimi.
Nun: Die junge Frau mit den roten Haaren … das bin ich. Madison Anne Cavanough. Und ich sitze hier nicht ohne Grund. Ich brauche Hilfe. Dringend. Ich brauche die Hilfe der Polizei, denn ich habe Angst, auf die Straße zu gehen, und – obwohl ich in der Flucht im Allgemeinen sehr geübt bin –, kann ich es dieses Mal nicht alleine schaffen.
Ich weiß, dass mein Anblick sich für ihn wie Versagen anfühlt. Mittlerweile kenne ich Lewis Stone gut genug, dass ich mir ungefähr vorstellen kann, wie er fühlt, wie er analysiert und plant. Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihm hier in diesem Raum gegenübersitze, und es wird wohl auch nicht das letzte Mal sein. Lewis Stone, ECD, City of London Police. Wirtschaftskriminalität. Ob er jemals einen Fall so wie meinen hatte – vermag ich nicht zu sagen.
Denn nicht ich bin die Schuldige. Nicht ich sollte hier auf diesem Stuhl sitzen und mir all die Fragen gefallen lassen müssen, die einem Außenstehenden zeigen, dass ich eine äußerst lebhafte Fantasie haben muss, wenn es um die Unterschlagung von Kundengeldern durch meinen direkten Vorgesetzten geht.
Nicht ich bin schuldig.
Ich … ich bin hier das Opfer.
***
»Ms. Cavanough, bitte: nur die eine Information. Wer kann Ihre Berechnungen bestätigen?«, fragt er jetzt bereits zum x-ten Mal und mustert mich erneut. Sucht die Schwachstelle in meiner Aussage, die es nicht gibt. Allerdings ist da noch mehr in seinem Blick. Es gefällt ihm, was er da sieht. Die Mischung aus meiner Verzweiflung und meinem Aussehen ruft den Beschützer in ihm hervor. Er will und möchte mir ja helfen. Aber irgendwie sind ihm die Hände gebunden, und nur aufgrund der Tatsache, dass er mich hübsch findet, kann er die Kavallerie nicht aus ihrem Fort herauslassen.
Ich beuge mich hinunter zu meiner Tasche, ziehe meinen Spiegel aus dem kleinen Seitenfach meiner mausgrauen DKNY. Mir reicht ein flüchtiger Blick, um zu sehen, dass mein Make-up noch einigermaßen fixiert ist. Dass die Tagescreme die dunklen Ringe unter meinen Augen zwar nicht vollständig, aber immerhin ein wenig verstecken kann. Meine roten Locken noch genauso undone aussehen, wie sie es heute Morgen taten, kurz bevor ich aus dem Haus ging. Dass ebendiese Locken auch so etwas wie ein Schutzschild sind für mein schmales – wie sagt mein bester Freund immer? – aristokratisches Gesicht mit der vornehmen Blässe darin. Ich kann Stone ansehen, dass ihm mein Businesskostüm nicht gefällt. Grau in Grau, weißer Kragen auf den Schultern, der das ganze Ensemble wie eine Tortenspitze wirken lässt. Ich sehe ihm an, dass er die Jeans-T-Shirt-Fraktion bevorzugt. Der Taschenspiegel klackt leise, als ich ihn zusammenschnacken und in die Tasche zurückfallen lasse.
»Mr. Stone«, sage ich, und er unterbricht mich.
»Inspektor«, bittet er, und ich nicke gequält. Sein Gesichtsausdruck spricht Bände. Im Klartext steht da: Mädchen, auch wenn du hundert Mal intelligenter bist als ich … so viel Zeit muss sein.
»Inspektor Stone«, setze ich erneut an. »Sie haben eine 200 Seiten lange Aufstellung. Tabellen, bunt und übersichtlich. Sie kennen den Ursprung dieser Daten. Sie verfügen über Analysen des Geldflusses, Ihnen liegen die Fakten über die Gewinne vor, die dieser Mann mit seinen Machenschaften eingefahren hat. Sie sind im Besitz von Daten, die es Ihnen ermöglichen, die auf den Caymans angelegten Konten bis zu diesem Mann hin zurückzuverfolgen. Also bitte: Was wollen Sie noch? Jemanden, der Kringel über die Is malt?« Ich schließe ungläubig die Augen. Das kann doch nicht wahr sein? Eines haben Stone und ich in diesem Augenblick gemeinsam: Resignation. Ich frage mich nicht zum ersten Mal in den letzten Monaten, warum ich mir das eigentlich antue.
»Verstehen Sie doch bitte …!« In seiner dunklen Stimme klingt verständnisvolle Verzweiflung mit.
»Ich verstehe nur, dass ich hier sitze, weil ich um Ihre Hilfe gebeten habe. Der Mann hat mich nach meinem Ausscheiden bei McAllister, Hammersmith & Co. mehrfach bedrohen lassen. Von den Mobbing-Attacken während der letzten Monate im Büro rede ich gar nicht. Ich fürchte um mein Leben, und Sie wollen von mir einen Namen, der Ihnen bestätigt, dass er eben nicht nur Briefmarken geklaut hat.« Ich stelle meinen Plastikbecher etwas heftiger auf dem Tisch ab, als ich es beabsichtigte. Das Ergebnis daraus ist: eine neue Einbuchtung und eine Pfütze Wasser. Die kleine Bescherung zerrt an meinen Nerven, und ich beuge mich erneut zu meiner Tasche, hole ein Päckchen Taschentücher heraus, damit ich die Pfütze aufwischen kann; aber mir fehlt die Kraft dazu. In der Bewegung nach unten verharre ich, denke mir, was soll’s, und setze mich wieder aufrecht hin.
»Ich verstehe nur, dass Sie mir nicht helfen wollen.« Dieser Satz peitscht ihm wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Ich erkenne, dass ich ihm Unrecht tue, weil ihm die Hände gebunden sind und zumindest er, als Polizist, sich an die Regeln halten muss. Aber ich gebe nicht auf. Ich habe eine Kerbe gefunden, die ich mir offen lassen muss, auch wenn ich ihn damit verletze. Normalerweise ist das keineswegs meine Art, aber ich bin verzweifelt. Einen Versuch, ihn zu erreichen, will ich noch unternehmen.
»Der Mann verdiente mit gestohlenen Kundengeldern Millionen. Wenn er das wenigstens legal getan und die Geldgeber von ihrer Spende an ihn partizipiert hätten … Aber ich sehe schon: Es stimmt, dass sich niemand dafür interessiert, was hinter den verschlossenen Türen der Banken passiert.« Als ich mich dieses Mal hinunterbeuge, um meine Tasche zu nehmen, tue ich das, weil ich gehen will. Ich muss hier raus. Dieses sinnlose Unterfangen entfacht ein Gefühl von Klaustrophobie in mir.
»Ms. Cavanough«, der Klang in seiner Stimme hält mich zurück. »Ich persönlich würde Ihnen sofort helfen. Das wissen Sie hoffentlich, aber wenn ich nicht jemanden finde, der mir Ihre Rechnungen bestätigt, dann wird niemand außer mir in diesem Fall – Ihrem Fall – aktiv werden.«
Fassungslos starre ich den Mann vor mir an. Er fährt sich müde und fahrig durch das kurze braune Haar, und er wirkt in seiner Erscheinung wie die Abteilung, die er leitet: angestaubt.
»Wenn es Ihnen hilft, Inspektor Stone, dann nehmen Sie einen Taschenrechner zur Hand. Denn anscheinend gehört es nicht zu Ihren Kernkompetenzen, eins und eins zusammenzuzählen?«, gebe ich ihm den spöttischen Rat. Meine Verzweiflung mischt sich gerade mit unbändiger Wut, und ich muss auf der Hut sein, dass ich ihn nicht verstimme. Also erinnere ich ihn daran, dass diverse, bedeutende Kontrollinstanzen bereits an der Angelegenheit arbeiten.
»Ihnen ist schon klar, dass die Börsenaufsicht den Fall ebenfalls untersucht?«, versuche ich den vorangegangenen Vorwurf zu entkräften, aber gleichzeitig ihm auch mehr Gewicht zu verleihen. Er kann nichts dafür, ermahne ich mich wieder einmal. Nicht er.
Stone fährt sich erneut müde über das Gesicht. »Die kooperieren nicht. Angeblich haben sie keinen Prüfer, den sie erübrigen können«, sagt er matt.
Mein Kopf fällt in den Nacken, und ich starre auf die Fassung der Neonröhre. Aus meiner Kehle huscht ein leises, verdammt zweifelndes Lachen. Hier läuft doch was schief, denke ich, und ich weiß auch, was, aber allein dieses Wissen wird mir kein Stückchen weiterhelfen.
»Der Mann hat sich an Konten wohlhabender Kunden gütlich getan, damit Leerkäufe gestartet, für die er Tipps von Brokern bekommen hat – Insidergeschäfte sind strafbar! Die Gewinne hat er behalten, das Geld auf Konten gebucht, die unter dem Namen der Bestohlenen laufen, die aber nie an dieses Geld herankommen werden, weil sie a) nicht wissen, dass diese Konten existieren und b) weil ihnen die Zugangsdaten dazu fehlen, weil sie ebendiese Konten gar nicht eingerichtet haben.« Ich mache eine Pause, zum einen, damit ich Luft holen kann, zum anderen, damit die Wut, die sich in meine Verzweiflung mischt, nicht die Überhand gewinnt und ich hier wohlmöglich hysterisch kreischend rausrenne.
Außerdem will ich abwarten, ob Stone meine Erläuterungen verstanden hat. Börsengeschäfte sind nicht kompliziert, trotzdem schwer nachzuvollziehen. Dazu braucht man ein Händchen. Und sosehr ich den Mann vor mir schätze, fürchte ich: Er mag zwar auf nationaler Ebene gut Bescheid wissen, aber der internationale Börsenhandel ist keine seiner Kernkompetenzen.
»Dass seine eigene Abteilung – das General-Auditing – irgendwann mal geprüft werden würde, darauf ist er nicht gekommen. Er hat geklaut, er hat betrogen, aber er soll davonkommen? Mal davon abgesehen, dass er mir drohte, meinen ›hübschen Hals‹ doch noch aufschlitzen zu lassen, wenn ich ihm noch mal ins Geschäft pfusche.« Trotz meiner Anstrengung, es zu vermeiden: Meine Stimme klingt hysterisch.
»Ms. Cavanough«, stammelt er hilflos, »ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber haben Sie sich Emmet Hanks mal genauer angesehen? Wenn der Kontakte zu Schützern hat, fress ich einen Besen.«
Lewis Stone gibt sich immer Mühe, seine Herkunft zu verschleiern. Doch manchmal dringt er durch: der Schotte in ihm. Dann klingt seine Stimme anders. Härter, vom Gälischen durchzogen. Und weil die politische Situation im Augenblick zwischen Engländern und Schotten nicht gerade gut ist – was sie eigentlich seit Mary nie war, aber im Moment durch das Referendum noch angefeuert wird –, muss sich Stone ab und an einen deftigen Witz von seinen Kollegen auf seine Kosten anhören. Nicht, dass Lewis zimperlich wäre. Umgekehrt kann er genauso gut austeilen. Ich habe das gesehen und gehört und mich – trotz oder gerade wegen – meiner misslichen Lage königlich amüsiert.
Doch im Gespräch mit Zeugen versucht er, den harten Klang des gälischen Akzents zu vermeiden.
Vor ein paar Wochen erzählte mir der Beamte, dass er sich im Rahmen der Ermittlungen – welch Hohn – mit meinem – jetzt ehemaligen – Abteilungsleiter Emmet Hanks traf. Stone verhörte ihn nicht, obwohl die Beweise so hieb- und stichfest waren und sind; etwas, das mich einfach fassungslos zurücklässt. Dass Stone der Meinung ist, dass der Abteilungsleiter aussieht »wie ein Frettchen auf der Flucht, wie ein verdammt gut und teuer gekleidetes Frettchen, aber dessen ungeachtet wie ein Frettchen«, gesteht er mir unter dem Mantel der Verschwiegenheit. Die Feigheit stünde Hanks ins Gesicht geschrieben. Nie würde es ein Mensch wie er wagen, mehr als seinen eigenen Vorteil auszunützen. Auftragskiller zu beschäftigen; dazu fehlten ihm einfach die Kontakte.
So würde Hanks seiner Meinung nach aussehen. Aber das ist nur eine gut geplante, hervorragend ausgeführte Täuschung, wie ich es am eigenen Leib erfahren musste. Diese Scharade, die Hanks da spielt, ist genau darauf ausgerichtet, harmlos zu wirken, um im Hintergrund agieren zu können. Hanks spekuliert auf sein Auftreten, darauf, dass ihm seine Gegenüber glauben, dass er dazu nicht fähig ist. Und alle fallen freudig auf dieses Spiel herein.
All das erzählt mir Stone nach seinem Treffen, und manchmal kaut er diese Erzählung »Zweifel an Hanks« wieder wie ein schottisches Hochlandrind sein Futter. Warum? Ich weiß es nicht. Aber er muss doch sehen, dass er falschliegt. Stone hat doch Erfahrung mit solchen Leuten. Er kann doch nicht wirklich an diese – ich gebe es ungern zu, denn ich bin ja selbst darauf hereingefallen – perfekte Fassade glauben. Stone weiß doch, was passiert ist. Himmel, denke ich, warum bin ich nur so ein Don Quijote.
»Ich musste meine Wohnung kündigen, damit mich niemand findet. Ich musste – bis auf einen – alle Kontakte abbrechen, nachdem ich vor drei Monaten in der U-Bahn überfallen wurde.« Zum Beweis meiner Aussage ziehe ich den Kragen meiner Bluse ein wenig zur Seite, und dort prangt ein großes Pflaster. »Sie erinnern sich? Messer«, sage ich kurz und knapp, »können sehr schmerzhaft sein, und sie hinterlassen hässliche Narben.«
Und obwohl Stone mich damals begleitete, als ich Anzeige gegen Unbekannt erstattete – ein weiterer Hohn, weil jeder wusste, wer hinter diesem Angriff stand –, ist er jetzt entsetzt, als er sieht, dass die Verwundung wirklich und wahrhaftig ist. Mir scheint, dass er es ausblenden kann, wenn er nur die Fakten in seinen verfluchten Akten liest. Es ist nicht das erste Mal, dass er meine kleine Auszeichnung zu Gesicht bekommt.
Eigentlich hat er sie in allen Stadien des Heilungsprozesses gesehen. Heute, an diesem Tag, ist dort eine fünf Zentimeter lange rosafarbene Narbe unter dem Verband versteckt. Frisches Narbengewebe. Stone wendet sich ab, aber ich weiß, dass er wirklich und ehrlich betroffen ist. Seltsam für einen Polizisten, dass er solche Gefühle zulassen kann.
Ich versuche, meine Wut nicht auf ihn zu projizieren, weil es ihm gegenüber unfair wäre. Sehr unfair. Stone tut, was er kann, und ich weiß das. Er trägt keine Schuld, er ist nicht verantwortlich für dieses System, das den Täter für schützenswerter hält als das Opfer. Aber es gelingt mir nicht immer. So wie jetzt. Unsere Blicke treffen sich, und ich kann seiner Mimik entnehmen, dass er sich mitschuldig fühlt für das, was mir passiert ist, und dass er es nicht ändern kann, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Es ist wirklich zum Auswachsen, und ich möchte einfach nur noch heulen.
»Möchten Sie Ihre Meinung über Emmet Hanks vielleicht noch einmal revidieren, oder wollen Sie mir ernsthaft weismachen, dass das nichts mit diesem Kretin zu tun haben kann?«
Stone wiegt seinen Kopf gequält hin und her. Ich kann ihm ansehen, dass es ihm zusetzt. Dass ihn meine Situation nicht unberührt lässt. Ja, das kann man ihm ansehen. Und ich bin in der Laune, seine Qualen ein wenig zu genießen. Quasi als ausgleichende Gerechtigkeit.
»Es gibt eine Möglichkeit«, sagt er plötzlich. »Eine inoffizielle, und Sie müssen mir versprechen, mich zu kontaktieren. Regelmäßig.« Er überrascht mich so sehr, dass ich es wage, einen kleinen Hoffnungsschimmer zu verspüren. Doch gleichzeitig keimt in mir der Verdacht auf, dass er die Idee, die er mir gerade präsentieren will, schon länger mit sich herumträgt. Ich habe kein Indiz für diese Vermutung, es ist nur eine Ahnung. Die Hoffnung überwiegt, wenn auch nur so gerade eben. Schwach, aber dieses Gefühl ist da. Noch will ich diese schöne Vorahnung nicht zulassen. Zu oft bin ich in den vergangenen Monaten enttäuscht worden. War ich einer Berg- und-Tal-Fahrt ausgesetzt, wenn es darum ging, wieder einen hoffnungsvollen Weg zu beschreiten, der mich aus diesem Paralleluniversum der Ungerechtigkeiten herausführen sollte.
»Ich werde jetzt vor die Tür gehen, kurz telefonieren, Sie packen Ihre Tasche – ganz langsam – und kommen in ein paar Minuten nach. Dann werde ich Ihnen sagen, was Sie tun sollen.« Stone stemmt sich hoch, sieht mich noch einmal ernst an und verlässt den Raum. Jeder Schritt zur Tür fällt ihm schwer; ich kann es deutlich in seinen Bewegungen sehen. Unsere Gespräche nehmen ihn psychisch mit. Genau wie mich. Mit einem Unterschied: Wenn ich hier rausgehe aus diesem Gebäude, das irgendwann mal vor Hunderten von Jahren gebaut wurde und das langsam, aber sicher genauso verkommt wie seine Besucher, dann trage ich dieses Problem weiter mit mir herum. Stone hingegen geht zum Kaffeeautomaten, denkt noch einmal kurz an mich und wischt mich dann in seinen Gedanken wie einen Fleck auf dem Tisch mit einem feuchten Lappen weg.
Drei Minuten später empfängt er mich mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Seine Körperhaltung ist total verändert. Vor mir steht ein Mann, der seinen Mut und seine Entschlossenheit wiedergefunden hat. Ein vollkommen anderer Mensch. »Sie machen eine kleine Reise, Ms. Cavanough«, sagt er und zwinkert mir zu.
Ich sitze starr und steif auf einer roten Samtcouch. Eine leichte Gänsehaut huscht über meinen Körper. Im Atelier in der Aldersgate Street, im Stadtteil Barbican, fällt fahles Licht eines ungemütlichen Frühlingstages durch die hohen Fenster. Meine Muskeln sind angespannt, aber noch darf ich mich nicht bewegen.
»Du machst also Ernst?« Ich antworte nicht sofort, will mir meine Worte gut zurechtlegen. Aber zumindest sehe ich schon einmal auf und betrachte den Mann, der da an der Staffelei steht und seine Pinsel reinigt. Sobald die Anspannung meinen Körper verlässt, wird es frisch im Atelier, und so ziehe ich mir meinen seidenen Kimono über die Schultern, schließe ihn, lasse Cesar aber nicht aus den Augen.
Die Sitzung war ein Trauerspiel. Irgendwie konnte ich es ihm heute nicht recht machen. Immer hatte er etwas an meiner Haltung auszusetzen. Cesar ließ mich spüren, dass er ahnte, dass ich gehen werde. Er sah mir an, dass mein Tag so anstrengend war, dass ich am Abend die Spannung in meinen Muskeln – die es braucht, um Modell zu sitzen – nicht mehr aufbringen kann. Im Gegensatz dazu ist seine nervliche Anspannung förmlich zu sehen. Er ist traurig und wütend auf mich, und ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass ihn seine zur Schau gestellte Beherrschtheit körperlich schmerzt und er eigentlich lauthals aus sich herausschreien möchte. Aber auf der anderen Seite ist ihm natürlich bewusst, dass es so nicht weitergehen kann. Dass ich meine Angst hier in London nicht in den Griff bekomme, auch wenn er sich wirklich bemüht, mich zu umsorgen.
Cesar versucht, seine Gefühle zu unterdrücken. Es funktioniert nicht, denn ich sehe, wie er seine Pinsel beinahe vergewaltigt. Er zieht das Tuch, mit dem er die Pinsel reinigt, viel zu harsch über die zarten Haare seines Arbeitsgeräts; reißt sie dabei beinahe aus. Vereinzelt fallen die feinen Härchen im mittlerweile fahlen Licht wie Staubflusen zu Boden. Ich sehe das Spiel seiner Muskeln, sehe, wie er sein nackenlanges, braunes Haar immer wieder nach hinten streicht. Ein Zeichen, dass er nervös und angespannt ist. Wie gut ich ihn doch kenne. Auch wenn wir eigentlich kein Paar sind. Nein: Wir sind eine Zweckgemeinschaft. Zwei Seelen, die einander gesucht und gefunden haben, die sich gegenseitig helfen. Ich ihm mit meinen finanziellen Möglichkeiten, er mir mit seiner Anwesenheit und der Tatsache, dass ich mich in den letzten Wochen hier verstecken konnte.
Er wird seine Empfindungen bald unter Kontrolle bekommen. Dann, wenn er Farben anmischt, den Pinsel hineintaucht und mit kräftigen Strichen über die Leinwand malt. Er kann es. Seine Gefühle in Farben und Formen umwandeln. Wie ich ihn darum beneide. Wie sehr wünsche ich mir, dass ich mich auch so ausdrücken könnte. Stattdessen vergrabe ich mich in meinen Zahlen. In Listen und Statistiken. Lasse mich von der Sicherheit der Zahlen einhüllen und fühle mich ein wenig angekommen.
Müde strecke ich meine Glieder, sehe auf meine Füße und wackle mit den Zehen. Ich mache mich auf der Chaiselongue einmal lang und stehe dann doch auf. »Ich muss«, sage ich so leise, dass er sich umdreht.
Seine großen braunen Augen sind noch viel dunkler als sonst. Seine Stirn ist in nachdenkliche Falten gelegt. Cesars volle Lippen sind so hart aufeinandergepresst und wirken schmal wie ein Pinselstrich auf einer seiner Leinwände.
»Ich geh mal unter die Dusche«, sage ich und verschwinde aus dem Atelier. Meine Schritte sind so schwer wie die einer alten Frau.
***
Cesar war das schlechte Gewissen in Person. Madison machte in den letzten Wochen und Monaten genug durch, da musste er ihr nicht noch querkommen, indem er sie mit seinen Forderungen nach der meisterhaften Position quälte. Wütend warf er die Pinsel auf den Holztisch. Das Glas mit dem Reiniger schwankte bedenklich, als einer der größeren Pinsel es traf. »Verflucht«, stöhnte er leise. Warum hatte diese Frau auch mehr Anstand in den Knochen als die gesamte Firma zusammen? Hätte sie nicht einfach fünfe gerade sein lassen können, business as usual sozusagen? Nein. Nicht Madison. Nicht bei dieser Sache. Nicht so.
Prinzipiell war es doch auch verständlich! Cesar konnte Madisons Loyalität gegenüber der Bank und vor allem Carl McAllister sogar sehr gut verstehen. Dieses alteingesessene Bankhaus war so etwas wie ihre Familie. Eine Teilzeitfamilie, von 9 bis 5, aber es war ihr Zuhause. Der Alte übernahm dabei die Aufgabe eines Großvaters aus der Ferne und gab ihr die Chance ihres Lebens. McAllister sah hinter das schöne Gesicht und erkannte die Intelligenz und den Willen, gute Arbeit zu leisten.
Madison wollte nicht mit ihrem Aussehen punkten. Dass sich diese Schönheit ausgerechnet mit Zahlen ihren Lebensunterhalt verdienen wollte, war schon unglaublich genug. Angebote für eine Karriere als Model hatte sie zuhauf. Aber das war nicht ihre Welt. Das ungewisse Leben auf dem Laufsteg. Ihr war die Sicherheit in ihrem Job wichtiger als alles Geld der Welt. Sicherheit hatte oberste Priorität in der Welt der Madison Cavanough. So war es für sie selbstverständlich, McAllisters Angebot anzunehmen und nach erfolgreichem Studium und Praktikum eine Stelle bei dieser renommierten und alteingesessenen Londoner Bank anzunehmen. Die ersten Jahre liefen gut für Madison. Doch dann wechselte der Abteilungsleiter, und sie lernte die Schattenseiten dieser Branche sehr schnell kennen. Dieser Hanks war ein Idiot und konnte eine Fliege nicht von einer Mücke unterscheiden, aber er hatte schnell Karriere in der Bank gemacht. Zum einen, weil er über Leichen gehen konnte, ohne zu stolpern. Zum anderen, weil er eine Entourage hinter sich vereinte, die wiederum ihm die Treue schwor. Madisons Stand in der Firma wurde bald unerträglich schwer, und sie dachte immer häufiger darüber nach, die Bank zu verlassen. Als interne Betriebsprüferin war ihr Beruf der langweiligste, den man sich in einem so alten und renommierten Geldinstitut vorstellen konnte. Cesar verstand nie, was in ihrem schönen Kopf vor sich ging, wenn sie sich hinter die Zahlen klemmte. Lange Zeit versuchte er sie davon zu überzeugen, dass es mehr in ihrem Leben gab.
Doch Madison wollte oder konnte nicht anders. Zahlen waren ihr Leben, und sie konnte damit jonglieren und fand selbst den letzten, widerspenstigen Penny. Schaute sie aber scheu in die Welt hinaus, dann war sie ängstlich, zögerlich und zog sich schnell wieder in ihr Schneckenhaus zurück. Madison konnte in ihrer Arbeit so sehr aufgehen, wie er – Cesar – es in seiner Malerei tat. Waren es für ihn die Farben, die er mit Pinselstrichen zähmte, so waren es die Zahlen für Madison. Wilde Tiere auf Papier, die es zu bändigen galt. Dann war sie glücklich. Dann war sie – zumindest geistig – zu Hause. Zahlen waren absolut. Zahlen waren ihr Leben.
Cesar wusste nicht viel von dieser rothaarigen Schönheit. Nur eines ahnte er: Sie war eine Gejagte, ein unruhiger Geist, der sich nur schwer bändigen ließ. Seine Freundin brauchte die Zahlen, damit sie Ruhe finden konnte. Und sie fand diese Ruhe.
Bis zu dem Zeitpunkt, als sie die ersten Unregelmäßigkeiten auf einigen Kundenkonten entdeckte. Lange wehrte sie sich gegen diese Erkenntnisse. Doch sie waren da und ließen sich nicht verleugnen. Sie grub tiefer und wurde fündig.
Cesar lauschte auf das Rauschen, das aus der Dusche kam, und stellte sich seine beste Freundin dabei vor, wie sie den Schaum ihres Duschgels auf ihrem Körper verteilte. Sie waren kein Liebespaar. Niemals gewesen. Eher eine Zweckgemeinschaft mit gelegentlichem Sex, den beide genossen. Obendrein finanzierte sie Cesars Passion der Malerei mit ihrem Gehalt. Für sich selbst gab sie nie viel aus. Aber wenn Cesar wieder einmal nicht wusste, wie er seine Rechnungen bezahlen sollte, dann war sie da und half aus. Sie war seine Rettung. Immer und immer wieder. Nie würde er ihr das zurückzahlen können. Nie würde er ihr das vergessen. Sie war ein guter Mensch. Und dieser Hanks gehörte aufgeknüpft für das, was er ihr jetzt antat. Alle wussten es, aber keiner sah sich genötigt, etwas gegen diesen Mann zu tun. Niemand half.
Madisons Überprüfung seiner Aktivitäten hatten Hanks aufgeschreckt, aber zu dem Zeitpunkt war er nur hellhörig. Der Mann war wachsam; ließ sie nicht aus den Augen. Als er jedoch feststellen musste, dass sie ihm auf die Spur kam und auch noch die Beweise für seinen Betrug in den Händen hielt, veränderte er seine Taktik und ging offen dazu über, Madison zu bedrohen.
Sie wusste, dass sie gute Arbeit bei der Aufklärung dieser Unterschlagung mit Gewinnabsicht geleistet hatte. Doch gute, ehrliche Arbeit wurde nicht immer so honoriert, wie sie es verdiente. Selbst der alte McAllister verweigerte ihr die Unterstützung. Also ging sie den Weg nach außen. Börsenaufsicht. ECD. Economic Crime Directorate. Aber niemand wollte so richtig glauben, was da in den Berichten zu finden war. Die Beträge waren zu horrend, zu irrsinnig, als dass sie wahr sein konnten. Es war für alle zu peinlich, es schwarz auf weiß zu sehen, dass sie versagt hatten und einer aus ihren eigenen Reihen sich so bedienen konnte, dies über Jahre hinweg und niemals entdeckt.
Zwei Wochen nachdem sie an die Öffentlichkeit gegangen war, begannen die Repressalien. Die tätlichen Angriffe. Sie bekam Angst und verwischte ihre privaten Spuren. Cesar wunderte sich in diesen Tagen darüber, wie professionell sie dabei vorgegangen war, fragte sich, woher sie dieses Talent zu verschwinden wohl herhaben mochte.
»Das tat gut«, sagte sie plötzlich, und er wandte sich um. Sie stand im weißen Frotteemantel vor ihm, trocknete sich die rote Mähne und lächelte müde. Das fahle Licht der Oberlichter ließ sie wie einen Geist erscheinen. Er wischte sich die Hände an einem Tuch ab, ging zu ihr und nahm ihr das Handtuch aus den Händen.
Sie würde gehen, das wurde ihm in diesem Moment schmerzlich bewusst. Seine beste Freundin würde ihn verlassen, und er würde für lange Zeit allein zurechtkommen müssen. Das ist noch zu schaffen, dachte er, Hauptsache, es wird ihr gut gehen. Er stellte sich hinter sie, schob die nassen Haare beiseite und küsste sie sacht in ihren Nacken. Sie reagierte sofort und legte ihren Kopf an seinen. In den nächsten Stunden würde Cesar ihr zeigen, wie viel sie und ihr Wohlbefinden ihm bedeuteten. Ihre Sicherheit war alles, was er wollte.
Er fuhr mit seinen Zärtlichkeiten fort und spürte, wie sie sich fallen ließ. War sie vor nicht einer halben Stunde noch steif wie ein Brett, war sie jetzt bereit, die Liebkosungen zu empfangen, die er für sie bereithielt. Sie bog sich ihm gierig entgegen, bot sich ihm an und er nahm dieses Geschenk nur zu gerne an.
***
Ich bin müde und liege in seinen Armen. Er schläft, und ich lausche auf seinen gleichmäßigen, tiefen Atem. Cesar schläft den Schlaf des Gerechten. Ich schiebe mir eine Hand unter den Kopf und denke darüber nach, was gerecht ist. Dass jemand stiehlt und ohne Strafe davonkommt? Dass jemand – also ich – die Strafe kassiere? Dafür, dass ich nach Recht und Ordnung handelte? Nach dieser Nacht in Cesars Armen bade ich in Selbstmitleid. Weil sie mir deutlich macht, dass es auch anders geht. Dass es tatsächlich gerechte Menschen gibt. Menschen, die sich kümmern. Wie so oft in den letzten Nächten stiehlt sich eine Träne in meine Augen, und ich wische sie wütend weg. Immer wieder muss ich mir sagen, dass ich nicht schuld bin, aber jedes Mal, wenn ich mich beinahe davon überzeugt habe, kommt mir etwas dazwischen.
Wie eine Messerstecherei. Oder, wenn es das nicht ist, dann höre ich die Stimme meiner Mutter. Mahnend. Ich solle mich nicht in die Angelegenheiten anderer einmischen, und außerdem würde ich ja sehen, was ich davon hätte, wenn ich es tun würde. Wie dumm du bist, sagt die Stimme meiner Mutter, die in ihrem Leben nur eines kannte: Flucht. Die niemals etwas von Angesicht zu Angesicht löste. Die vor Problemen einfach weglief. Und nicht nur das: Sie lief vor sich, ihren Ängsten und vor jeder Möglichkeit, menschliche Nähe zu erfahren, davon. Wir hatten nur uns. Doch das reichte nicht. Niemals.
Und so war mein Leben bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich mein Studium begann, eine einzige Flucht. Mein Studium, für viele meiner Kommilitonen purer Stress, war die einzige Pause in meinem Leben. Denn es war sie, meine Mutter, mit der ich zusammenlebte, der vor Angst jedes Mal der Atem stockte, wenn es nur den Anschein gab, dass jemand hinter uns her sein konnte. Wer das sein mochte? Lange Zeit wusste ich es nicht, und auch heute kann ich nur vermuten, vor wem sie solche Angst empfand. So flüchteten wir immer und immer wieder durch das Land. Gerade hatten wir die Koffer ausgepackt, da mussten wir schon wieder los, weil meiner Mutter die Panik ins Gesicht geschrieben stand. Eine fröhliche, gesunde und stabile Kindheit sieht definitiv anders aus.
Dass sie krank war, dass sie von ihrer eigenen Paranoia getrieben wurde, erfuhr ich erst, als ich erwachsen war. So vererbte sie mir drei Dinge: meine Angst vor meiner eigenen Furcht, vor Nähe und die Fähigkeit, aus Koffern zu leben.
Ein paar Jahre Ruhe. Normal leben. Mehr wollte ich nie. Aber solange sie lebte, war das nicht möglich. War es unmöglich.
Ob sie wusste, was sie mir damit antat? Ich glaube nicht. Sie wollte mich schützen. So viel ist sicher. Aber dieser Schutz verfehlte sein Ziel. Ich musste so sehr darauf achtgeben, dass ich nicht in das gleiche Schema verfiel wie sie. Immer in Bewegung zu sein und niemals zu wissen, warum eigentlich. Meine Mutter schwieg sich über ihre Beweggründe aus. Ich sollte es allein herausfinden müssen, und nachdem ich nach ihrem Tod einige Briefe und Urkunden fand, bekam ich eine Ahnung, vor wem sie davongelaufen war.
Ich wollte und brauchte Frieden. Für mich, für mein Leben, für meine Sinne. Mein Studium und das nachfolgende Praktikum schienen der Beginn dieser wunderbaren Jahre zu sein. Endlich hatte ich diese Atempause und konnte mich voll und ganz auf mich und meine Zukunft konzentrieren. Ein Leben aufbauen; eines, das nicht aus gepackten Koffern bestand. Eine Wohnung und damit eine feste Adresse. Ein Job und damit ein geregeltes Einkommen. Nie wieder von der Hand in den Mund leben müssen. Sicherheit. Ein wundervolles Gefühl.
Aber das ist jetzt vorbei. Aus und vorbei. Es beginnt von vorn. Wieder muss ich gehen, bevor ich richtig anfange, mich heimisch und wohl zu fühlen.
Als ich in dieser Nacht in Cesars Armen einschlafe, träume ich nicht von Blumenwiesen, über die wir Hand in Hand laufen. Träume ich nicht von Schäfchenwolken, die über einen strahlend blauen Himmel ziehen. Auch nicht vom Strand, an dem ich mich nackt mit Cesar wälze als Vorspiel auf ein Liebesspiel.
Nein: Ich träume davon, dass ich einen Einkaufszettel schreibe und wir darüber diskutieren, welche Butter, welche Schokolade wir kaufen. Dieser Einkaufszettel ist für mich ein Synonym der Normalität. Auf der Flucht schreibt man keine Zettel. Da nimmt man, was man kriegen kann. Ich träume von einem normalen Leben.
Doch gegen Ende dieses Traums schreibe ich den Namen Emmet Hanks unter all diese wundervollen so normalen Dinge, und meine Hand streicht, wie von Geisterhand geführt, all diese wundervollen Gegenstände durch. Niemals. Nie wieder. Er hat alles zunichtegemacht. Nie wieder würde ich ein solch normales Leben führen.
Edith Stone stieg die alten, ausgetretenen und deshalb lautstark protestierenden Stufen in ihrem Hausflur hinunter ins Erdgeschoss. Gerade hatte sie das Eckzimmer für ihren neuen Pensionsgast vorbereitet. Die Wäsche auf dem Bett gewechselt, gelüftet und ein wenig Staub gewischt. Sie war sich sicher, dass der jungen Frau, die sie heute erwartete, das Zimmer gefallen würde. Schließlich war das ihr bestes.
Zwei große Fenster, die den Gast am Morgen mit dem Ausblick auf den jungen Tag weckten, und eines, das ihn mit einem Sonnenuntergang in die Träume schickte, der seinesgleichen suchte. Denn eines war hier oben im Norden so sicher wie das Amen in der Kirche: Egal, wie tagsüber das Wetter war: Zum Abend hin kämpfte sich die Sonne mit ihren letzten Strahlen durch die Wolkendecke und zeigte den Menschen, warum es sich lohnte, hier oben zu leben.
In Gedanken versunken blieb Edith kurz am Treppenabsatz stehen. Der Anruf ihres Neffen war geheimnisvoll und klang spannend und traurig. So viel Aufregung hatte Edith schon seit Jahren nicht mehr. Es kribbelte richtig in ihrer Magengegend. Eine junge Frau, die für ein paar Wochen untertauchen musste. Mehr hatte Lewis ihr nicht erzählen wollen. Aber dass die junge Frau einen Zufluchtsort suchte, war aus dem Wenigen gut herauszuhören. Lewis klang seltsam besorgt, und Edith musste sich auf die Zunge beißen, um ihn nicht zu sehr zu kompromittieren. Sie ahnte, dass sie nicht tiefer bohren sollte, weil er sonst Arger bekommen würde. Sie wusste, er hatte seine Gründe und würde ihr beizeiten die ganze Geschichte erzählen. Vielleicht käme sie ja auch von allein hinter das Geheimnis.
Langsam stieg sie auf die erste Stufe der alten Treppe und blieb dort stehen. Sie sah auf die Fotos, die an den Wänden aufgehängt waren. Als Lehrerin der Primary School in Cumbernauld hatte sie viele Kinder auf den ersten Schritten ihres Weges begleitet, und von jedem dieser Kinder hing ein Foto im Treppenhaus. Edith konnte sich kaum noch an die Farbe der Tapete unter den vielen Bildern erinnern. Kein Fleck schimmerte zwischen den Bilderrahmen hervor. Sie suchte ein bestimmtes Foto, und nach einigem Suchen wurde sie fündig. Sie lächelte. Lewis sah damals – als Fünfjähriger – schon so fürchterlich ernst aus. Das hatte sich auch nie geändert. Schon in der Schule war es sein sehnlichster Wunsch, Polizist zu werden. Wie sehr hatte er sich über seine Uniform gefreut. Wie traurig war er, als er feststellen musste, dass er von der Straße weg zu einem Bürojob abkommandiert wurde. Edith lächelte zärtlich. Die Versetzung hat seinem Gerechtigkeitsempfinden jedoch keinen Abbruch getan.
Sie stieg die Stufen weiter hinab. Nachdenklich blickte sie am Treppenfuß noch einmal hinauf. So viele Kinder, dachte sie, so viele Leben hast du gesehen. Energisch strich sie über ihre geblümte Schürze und ging in die Küche. »Altes Weib, wirst du weich auf deine alten Tage?« Sie hatte so lange als Lehrerin gearbeitet, dass sie beinahe jeden in der Stadt mit Vornamen kannte. Und sie war sich sicher, dass sie einen wesentlichen Teil zur Entwicklung dieser Trabantenstadt beigetragen hatte.
Denn das Dorf Cumbernauld war ursprünglich als Ausweichfläche für neue Wohngebiete geplant, da Glasgow in den späten 50er und frühen 60er Jahren des letzten Jahrhunderts förmlich aus allen Nähten zu platzen drohte. Auch Edith lebte als Kind noch in Glasgow, arbeitete zunächst als Erzieherin, dann als Lehrerin. Doch als die Stadt Cumbernauld über die Pläne am Reißbrett hinauswuchs und tatsächlich zu einer Stadt wurde, ging sie dorthin. Ein Abenteuer. Wenn auch nur ein kleines.
Cumbernauld war so anders. Es roch sogar anders. Neu. Als hätte jemand ein neues Notizbuch ausgepackt, es geöffnet, und der Duft von frischem Papier strömte diesem Jemand entgegen. Leere Seiten, die beschrieben werden wollten. Genau so war Cumbernauld – ein leeres, wundervoll duftendes Buch, das begierig darauf wartete, mit Geschichten gefüllt zu werden.
Edith fühlte sich in dieser künstlich errichteten Stadt zwischen den zwei Flüssen wohl, denn sie war gefüllt mit Leben. Clyde und Forth, die hier ein Delta bildeten und ein paar Kilometer weiter in die stürmische schottische See flossen, zeichneten die natürliche Grenze für diese am Reißbrett entstandene Stadt. Heutzutage boten die Flüsse kleine Zufluchtsorte zur Naherholung, wie man das bei den Städteplanern nannte. Damals waren sie so viel mehr. Damals zeigten diese beiden Flüsse den Menschen, wo ihr Leben hingehen würde. Was sie hier erwarten würde. So viele Leben. Aber obwohl Edith ihre Arbeit und die Menschen hier über alles liebte, war ihr immer bewusst, dass sie ihren Lebensabend nicht hier erleben würde. Diese neue Stadt war jung und dynamisch, und obendrein wuchs sie schnell zu einer prachtvollen Kommune heran.
Irgendwann würde sie als alte Lehrerin nicht mehr in das Bild dieser Stadt passen. Es würde eine Zeit kommen, in der sie sich von ihrer Wahlheimat verabschieden müsste, um Platz zu schaffen. Edith bereitete sich vor. Sparte auf ein Haus, das von den Hügeln wie eine Perle in grünen Samt eingebettet war. Gefunden hatte sie es schon, nur das Geld fehlte. Das kleine Anwesen lag weit genug entfernt vom Trubel der Massen, doch nah genug, um nicht in Einsamkeit zu vergehen. Sie wollte da sein für diese Stadt, die ihr so viel gegeben hatte.
Das großzügige Geschenk eines Verwandten ermöglichte ihr vor vielen, vielen Jahren den Kauf des Sage Yards, einem jahrhundertealten Cottage oberhalb der Stadt, die sie so liebte. Manchmal, wenn der Wind gut stand, konnte sie die Schiffe auf den Flüssen hören. Dann roch sie die Stadt mit all ihren Gerüchen und der Wind trug das Leben herauf zu ihr.
Das schlichte zweistöckige Haus aus grauen Steinen leistete sich eine Extravaganz: einen Anbau, der wie der Burgfried eines schottischen Schlosses aussah. Genau wie Cumbernauld selbst kuschelte sich das Sage Yard vertrauensvoll in die grünen, sanften Hügel, die es umgab. Die Einfahrt zum Yard war ausgelegt mit kleinen Kieseln. Es knirschte und knarzte, wenn ein Wagen darüberfuhr, und diese Geräusche kündigten einen Besucher schon lange an, bevor man ihn sehen konnte. Edith liebte dieses Haus und die vielen kleinen Zimmer darin, richtete sie liebevoll als Gästezimmer ein.
Ihre Gäste waren hauptsächlich ehemalige Schüler, die fortgegangen waren und jetzt für eine Stippvisite in ihre Heimat zurückkamen. Es waren Besucher, die ihre Brücken hierher zwar abgebrochen, doch ihre Wurzeln nicht vergessen hatten. Für Edith waren diese Gäste ihre Kinder. Die langen Gespräche am Abend vor dem Kamin gingen weit über die höfliche Neugier hinaus. Waren mehr als ein bloßes »Wie ist es dir ergangen?«.
Und heute hatte sie ihr schönstes Zimmer für einen besonderen Gast vorbereitet. »Sie braucht Ruhe und Abstand«, hatte Lewis am Telefon gesagt, und Edith war sich sicher, dass die junge Frau genau das hier finden würde.
Edith kontrollierte den Inhalt der Töpfe auf dem Herd, stellte die Flammen darunter aus und ging in Gedanken noch einmal ihre Vorbereitungen durch. »Alles fertig«, sagte sie zufrieden und öffnete ihre Schürze. Eine Bewegung, die sie aus den Augenwinkeln heraus bemerkte, ließ sie in diese Richtung sehen. »Na, alter Mann?«
Sie ging auf den Mops zu, dessen Fell einmal tiefschwarz war und der sich in die Küche geschlichen hatte, in der Hoffnung, eine kleine Zwischenmahlzeit ergattern zu können. »Na, komm her, Seth«, forderte sie den Hund auf. Dass dieser Mops beinahe so viel erlebt haben musste wie Edith selbst, konnte man am Fell des Tieres sehen. Einige kahle Stellen erzählten vom hohen Alter des Tieres. Aber immer noch ging er auf die Jagd, immer noch brachte er kleine Geschenke für Edith mit, die er dann sorgsam vor ihren Füßen ablegte und die sie nicht immer als Geschenk empfand. Immer noch prügelte er sich beizeiten mit Kontrahenten, auch wenn ihn diese Kämpfe immer mehr erschöpften und ihre Spuren an ihm hinterließen und er auch nicht immer als Gewinner aus diesen Plänkeleien hervorging. Seth ließ sich genüsslich von seiner Besitzerin hinter dem linken Ohr kraulen, von dem nicht mehr zu sehen war als ein kleiner Hautfetzen, der mit struppigem Haar bewachsen war.
»Wie ein richtiger alter Mann: Du hast Haare in den Ohren«, bemerkte Edith lächelnd. »Wir bekommen heute einen neuen Gast und ich möchte dich bitten, freundlich zu sein.« Als Antwort drückte der Mops seinen Kopf in ihre Hand.
»So«, forderte sie ihn auf, »nun geh auf deinen Platz. Ich muss los und die junge Dame vom Bahnhof abholen.«
Als hätte er jedes Wort verstanden, und Edith war sich sicher, dass er im Laufe der Jahre wirklich jedes Wort verstehen konnte, trollte sich der Hund ins Wohnzimmer, kletterte mühsam auf einen mit Brokat versetzten Hocker vor dem Kamin, und nachdem er sich ausgiebig gestreckt hatte, rollte er sich darauf ein. Edith schmunzelte. Der Mops hatte seine Macken. Genauso wie sie. »Wenn man alt wird, kommt das von ganz allein«, sagte sie für gewöhnlich.
Sie legte die Schürze auf den Tisch, ging zur Tür und griff nach den Schlüsseln. Noch einmal sah sie sich um, dann trat sie hinaus. Ein frischer, kühler Wind empfing sie, und nachdem sie einen tiefen Atemzug genommen hatte, ging sie beschwingt zu ihrem Wagen. Der blaue Fiesta war genau wie sie in die Jahre gekommen, verrichtete aber immer noch seine Dienste, auch wenn er an dem einen oder anderen Hügel ziemlich ins Schnaufen kam. Edith steckte den Schlüssel ein, lauschte auf das leise Klacken, das die Zündung von sich gab, und einen Moment später startete der Motor ein wenig stotternd, aber er lief.
Bis zum Bahnhof würde sie eine gute halbe Stunde brauchen, wenn der Verkehr es gut mit ihr meinte. In dieser halben Stunde konnte sie über ihren neuen Gast nachdenken. Viel wusste sie ja nicht, nur dass sie die junge Frau an deren feuerroten Haaren erkennen konnte. Was trieb einen jungen Menschen dazu, sich für lange Zeit – denn Lewis hatte ihr bereits angekündigt, dass die junge Person länger bleiben würde – verstecken zu wollen. Denn dass die bescheidene Pension, die Edith unterhielt, in diesem Fall ein Versteck sein sollte, dessen war sie sich sicher. Die alte Dame setzte den Blinker und fuhr auf die engen Straßen, die rechts und links mit kleinen Mauern versehen waren. Das Mauerwerk sollte die Fahrbahn vor Überschwemmungen durch den Schlamm schützen, wenn im Herbst der Regen wie aus weit geöffneten Schleusen fiel. Auch sollten die vielen Schafe davon abgehalten werden, kopflos auf die Straße zu laufen, um dann womöglich überfahren zu werden.
***
Ediths Fiesta verschwand beinahe zwischen diesen Mauern, und sie musste sich konzentrieren, damit sie in den Kurven nicht gegen ein anderes Fahrzeug fahren würde. Trotzdem fuhr sie diese Straße gern entlang. Es war eine Herausforderung, sie zu bewältigen. Und Edith mochte dieses kleine vermeintliche Duell zwischen ihr und der Straße. Dieser krasse Unterschied, den es bildete. Über ihr der freie und weite Himmel Schottlands, vor und neben ihr die sichere Enge, die ein Leben hier bot. Viele Konventionen und Traditionen gaben den Menschen Halt in ihrem Leben. Und diese Straße war ein Sinnbild dafür. Enge, die Halt bot. Enge, welche die Richtung weisen konnte. Dieses Land bot so viel von allem, dass es manchmal schmerzt, dachte Edith, als sie die Landstraße verließ und sich in den fließenden Verkehr einordnete. Ein Bienenschwarm, scheinbar unsortiert, scheinbar ohne Ziel und Plan, doch alle mit einer Bestimmung: ein Leben zu leben.
***
Der Bahnhof von Cumbernauld sah so fürchterlich heruntergekommen aus wie viele andere in der Provinz auch. Dass er am Reißbrett geplant worden war, machte diesen Umstand nicht wett. Er war hässlich, schmutzig und grau. Ein paar Blumenkübel, die das Gesamtbild für den ankommenden Reisenden aufhübschen sollten, standen mit spärlicher Bepflanzung auf dem Vorplatz und konnten den traurigen Anschein einer verlassenen Industriestadt nicht wegwischen. Dieser Ort war vernachlässigt, während der Rest der Stadt es nicht war. Edith empfand den Vorplatz des Bahnhofs als so unglaublich traurig, dass sie es für gewöhnlich tunlichst vermied, hierherzukommen. Aber manchmal ging es eben nicht anders. So wie heute.
Die meisten Reisenden waren froh, den Schandplatz hinter sich zu lassen, und die, die kamen, erschraken für einen Moment, um sich dann zu fragen, in welchem schäbigen Nest sie wohl gelandet wären. Edith stellte den Wagen ab und knöpfte ihre Jacke zu. Hier unten in der Stadt war es kühler, feuchter und sie fröstelte leicht. Sie blickte sich um. Kein Wunder, dachte sie. Eine Stadt, die von zwei Flüssen eingeschlossen ist und die von der Meeresseite her mit Feuchtigkeit versorgt wurde, konnte nur nass wirken. Und gerade jetzt im Frühling, wenn sich das Wetter besondere Kämpfe mit den Strömungen von Land und Meer lieferte, war es einfach besonders unstet.
Edith ging auf das Bahnhofsgebäude zu und suchte in ihrer Jackentasche nach Münzen. Die Anzeigetafel blinkte mit der Information auf, dass der nächste Zug einige Minuten Verspätung haben würde. Sie kaufte eine Cumbernauld News und setzte sich auf eine Bank, die den Wartenden die Zeit versüßen sollte, auf einen Bahnsteig, auf dem es so windig war, dass nur zwei oder drei Reisende dort warteten und die versuchten, sich in den Nischen ein wenig vor dem Wind zu schützen. Sie bedauerte diese Menschen aufrichtig, denn wenn diese Leute wüssten, dass nur ein paar Kilometer außerhalb das Wetter wesentlich besser und einladender wäre, würden sie bestimmt schlechte Laune bekommen. Sie versteckte ein kleines, boshaftes Lächeln hinter der aufgeschlagenen Zeitung.
Ob ich es eilig habe, London den Rücken zuzukehren?
Kann ich nicht sagen. Aber die Hoffnung auf etwas Freiheit, die Lewis Stone mir ganz privat und hinter vorgehaltener Hand unter dem Siegel der Verschwiegenheit anbot, verursacht immer noch ein aufgeregtes Kribbeln in meiner Magengegend. Dass ich obendrein diese unsägliche Geschichte, die wohl nur mich interessiert und niemand anderen kümmert, hinter mir lassen kann, macht mir die Entscheidung, mich von London zu trennen, noch einfacher. Schon als ich in den Zug steige, der mich über den Hadrianswall bringen soll, fühle ich, wie sich die dunklen Wolken, die sich seit Wochen – ach was, Monaten – über mir zu einem Unwetter zusammenbrauen wollten, auflockern. Hier und da zeigt sich ein Lichtblick, und wenn ich auch nicht viel von meinen wenigen, lieb gewordenen Besitztümern mitnehmen konnte, so habe ich doch eine Vorahnung, dass ab jetzt alles besser werden würde. Insgeheim bin ich Stone so dankbar, aber noch kann und darf ich es ihm nicht zeigen.
***
Dass ich mich jedoch von Cesar trennen muss, quält mich. Es ist schmerzhaft, ihn zurückzulassen, aber eine Voraussetzung für meine Sicherheit ist, dass ich jedweden Kontakt zu meinem vorherigen Leben abbreche. Keine Telefonate, keine Mails, keine Verbindung in irgendeiner Art und Weise. Nicht einmal eine Postkarte ist mir zukünftig erlaubt. Es ist beinahe so, als wäre ich in einem inoffiziellen Zeugenschutzprogramm gelandet. Doch Cesar fehlt mir bereits, als er sich von mir am Bahnhof verabschiedet. Jetzt ist er nur noch eine schmerzvolle Erinnerung. Ein Lächeln auf den Lippen, ein trauriges, aber immerhin ein Lächeln.
Der Zug kroch langsam aus Paddington Station, und ich vermied es, die Fenster herunterzuziehen, um zurückblicken zu können. Es gab nichts, was mich hier hätte halten können. Nichts außer Cesar. Aber der musste jetzt sein eigenes Leben führen. Die Vorstellung, dass dieser große Mann, der mir in den letzten Tagen Schutz bot und jetzt einsam und verlassen auf dem Bahnsteig stand, immer kleiner würde und dann vollkommen verschwinden könnte: den Gedanken kann ich nicht ertragen. Mit jedem Meter, den sich der Vorstadtzug aus dem Bahnhof entfernte, wurde mein Gemüt etwas leichter. Diese Bedenken und Sorgen, sie verschwinden nicht vollständig aus meinem Bewusstsein. Aber nach sechs Stunden Fahrt, in denen ich Sandwiches esse, die ich bei der Zugbegleiterin kaufe, in denen ich Tee trinke, der zwar heiß und süß ist, aber auf dessen Oberfläche Schlieren schwimmen (die mich doch stark an eine schlecht gespülte Tasse erinnern), verziehen sich die dunklen Wolken, die über mir schweben wie das Schwert des Damokles, ein wenig. Ich fühle mich nun bereit, zu neuen Ufern aufzubrechen.
Als ich meine zwei großen Koffer – der eine davon beinahe so alt wie ich selbst – aus dem Zug hieve, meinen Rucksack und zwei Umhängetaschen auf dem Bahnsteig von Cumbernauld abstelle, bin ich etwas enttäuscht. Wenn das Paradies, das mich erwarten soll, schon sein Willkommen so trostlos gestaltet, läuft da etwas gewaltig verkehrt. Schnell trage ich nacheinander mein Gepäck in den Windschatten und verkrieche mich dann selbst darin. Ich bin zu früh. Entweder hat sich der Zug auf der Fahrt selbst überholt, oder ich bin schlicht zu früh. Niemand erwartet mich. Einen Chauffeurservice mit viel Tamtam habe ich sicherlich nicht erwartet. Aber hier ist nichts. Nur einsame Leere, durch die ein feucht-kalter Wind jagt. Fakt ist: Ich sitze am Ende der Welt und bin vollkommen verlassen.
Es ist nasskalt und trübe. Das, womit man eben rechnet, wenn man gen Norden zieht. Ob es eine Fügung des Schicksals ist, weiß ich nicht. Aber nachdem ich Schottland nie kennenlernen durfte, obwohl ich in Glasgow geboren bin, bestätigen sich die medialen Vorurteile, die für diese Landschaft gelten, schon in den ersten zwei Sekunden.
Mir ist kalt, aber einen Kaffee mag ich mir nicht holen, denn sonst müsste ich sämtliche Gepäckstücke hin- und hertragen. Außerdem will ich mein geschütztes Fleckchen nicht verlassen. Noch ist es das Versteck vor dem letzten Schritt in ein neues Leben. Noch fühle ich mich hinter diesem Wandvorsprung sicher. Alle paar Minuten strecke ich den Kopf in den Wind, um nach der älteren Dame Ausschau zu halten, die mich abholen und in deren Pension ich die kommenden Wochen wohnen soll.
Aber da ist niemand. Nachdem der Zug einfuhr, die Fahrgäste ausspie, diese sich den Kragen mit einem Blick in den Himmel hochstellten, leerte sich der Bahnsteig ziemlich schnell. Niemand will bei diesem Wetter länger als nötig hier herumstehen. Niemand außer mir.
Ein weiterer Regionalzug fährt vorbei, hält und spuckt Pendler aus. Für einen Moment füllt sich der Bahnsteig, um kurz darauf noch trostloser zu wirken, als er es vorher schon war.
Allerdings hat sich jetzt etwas verändert. Eine ältere Dame hat sich trotz des schlechten Wetters auf eine der Bänke gesetzt und liest Zeitung. In ihrem Country-Style der Queen nachempfunden wirkt sie etwas fehl am Platz, aber durchaus tatkräftig. Gummistiefel, darüber einen karierten Rock, eine dunkelgrüne Steppjacke und als krönenden Abschluss ein Tuch über den grauen Haaren.
Stones Beschreibung seiner Tante ist etwas ungenau, trotzdem wage ich mich aus dem Schutz meines Wandvorsprungs hervor und gehe langsam auf die ältere Dame zu. Sie senkt ihre Zeitung, sieht auf und lächelt mich mitleidig an. »Himmel, Kindchen«, sagt sie, »Sie müssen ja vollkommen durchgefroren sein. Wo ist denn Ihr Gepäck?« Sie springt auf, sieht sich suchend um und folgt mir dann.
»Das ist alles?«, fragt sie enttäuscht, als sie meine Habseligkeiten sieht. Edith Stone bückt sich, nimmt einen der Koffer und eine Umhängetasche und marschiert voraus. Wir durchqueren die Bahnhofshalle, überqueren den Bahnhofsvorplatz, der mit der spärlichen Bepflanzung noch trostloser aussieht als der Bahnsteig, und bleiben vor einem kleinen Wagen stehen.
Mrs. Stone stemmt kurz die Hände in die Hüften, dann baut sie den Kleinwagen zu einem Transporter um und verstaut mein Gepäck. Tatkräftig. Erstaunlich, wie die alte Dame den ersten Eindruck bestätigt, denke ich und nehme auf dem Beifahrersitz Platz.
Die alte Dame hat einen flotten Fuß oder anders: Sie fährt ziemlich zügig durch die schmalen Straßen, die außerhalb der Stadt die hügelige Landschaft durchschneiden. Rechts und links der Fahrbahn sind niedrige Steinmauern, und wir kommen diesen ab und an gefährlich nahe. Während der Fahrt plappert sie fröhlich vor sich hin, erzählt mir von den Festivitäten, die in der nächsten Zeit hier stattfinden werden, von den Sehenswürdigkeiten, die ich unbedingt besuchen soll, und von der wirklich guten Küche in den Restaurants der näheren Umgebung. Ich möchte allerdings erst einmal nur heil an ihrer Pension ankommen und nicke höflich schweigend.
Dass sie ihr Cottage nicht als einen solchen Clou erwähnt, ist ein echtes Manko, denn ich bin überwältigt von der Schönheit des kleinen Anwesens.
Wir biegen in einen etwas breiteren Feldweg ab, an dessen rechter Seite ein Steinhaufen liegt, auf dem ein Schild befestigt ist, das mit weißer Schrift darüber informiert, dass man sich nun auf dem Weg zum Sage Yard befindet. Der Weg selbst ist gerade so breit, dass ein Auto und ein Schaf aneinander vorbeischleichen können. Seltsamer Humor hier oben, denke ich und versuche mir vorzustellen, wie Edith Stone den Wagen an einem Schaf vorbeilenkt. Dieser schmale Pfad ist mit Sträuchern überwachsen, Ginster und Flieder blühen um diese Jahreszeit, und als der Weg aufbricht, bin ich sprachlos.
Das Bild, das sich mir bietet, findet man für gewöhnlich nicht in freier Natur. Höchstens auf Fotobänden oder Postkarten. Aber live und in Farbe? Niemals. Und doch: Es steht vor mir, und es ist so ungewöhnlich, dass ich zweimal hinsehen muss, damit ich glauben kann, dass es tatsächlich vor mir steht. Das Haus hat ein Türmchen mit bunten Fensterläden. Überall wachsen Efeu und Strauchrosen. Der Vorhof des Sage Yard ist umrahmt von Besenginster, der das Licht an diesem Tag auffängt und wie in einem Traum verzerrt. Es ist einfach wunderschön und zauberhaft.
»Sie packen jetzt erst mal das Nötigste aus, und dann steht das Essen schon auf dem Tisch«, befiehlt mir Edith Stone, als wir im Vorraum stehen. Bei diesem Ton ist es wohl besser, wenn ich kommentarlos folge, denke ich noch, bevor sie mich hinaufscheucht. »Wir essen gemütlich, und dann gehen Sie früh schlafen. Sie sind ja so blass«, dabei streichelt sie mir mit einem gütigen Lächeln über die Wange. Ich weiß nicht, ob ich darüber erschrocken oder schlicht amüsiert sein soll. Mein neues Leben beginnt mit einer älteren Dame, die mich innerhalb von fünf Minuten adoptiert hat.
»Ja, Madame«, antworte ich leise, denn trotz ihrer offenkundigen Herzlichkeit hat Edith Stone eine gewisse Autorität, die mögliche Widerworte im Keim ersticken lässt.
Mrs. Stone stößt eine der Zimmertüren mit dem Fuß auf, und ich muss gestehen, dass ich viel oder nichts erwartet habe. Von der hässlichen Kaschemme bis hin zum gediegenen britischen Improvisationstalent bezüglich der Innenausstattung war in meinen Erwartungen so ziemlich alles dabei. Aber das hier? Nichts von alledem. Und ich fühle mich schon beim ersten Anblick angekommen.
Wenn einem etwas fehlt, etwas, das man nie kennengelernt hat, so wie ich ein Zuhause, dann entwickelt man gewisse Vorstellungen davon, wie dieses Etwas aussehen sollte. Mrs. Stone hat gerade in diesem Moment eine Tür aufgestoßen, die mir genau das zeigt, was ich immer haben wollte: einen wahren, lichtdurchfluteten Blütentraum.
Blümchen auf den Tapeten, auf den Kissen, Decken und Vorhängen. In verschiedenen Blautönen vermischt mit Rosa, das wiederum mit weißen Schattierungen durchzogen ist. Zwei gegenüberliegende Fenster – von denen jedoch eines so aussieht, als wären es zwei – spenden an diesem trüben Tag Licht, und als ich mich im Zimmer umsehe, steht rechts von mir ein wundervoller alter Schrank in dunklem Holz. Es ist, als hätte jemand ein Füllhorn an Blümchen und Farbe ausgeschüttet. Mrs. Stone lässt mich allein, geht, ohne dass ich es mitbekomme. Staunend sehe ich mich um. Dass es so etwas wirklich gibt, denke ich und lasse meine Jacke auf das Bett fallen. Mit zwei Schritten bin ich an einem der Fenster, und hier geht die wahr gewordene Fantasie weiter. Ich kann weit über die sanften Hügel hinweg sehen. Himmel, Land und noch einmal Himmel.
»Mein Gott, ist das schön«, sage ich staunend und kann mich kaum von diesem Blick abwenden. Von unten ist das Klappern von Geschirr und Töpfen zu hören, und ich spute mich, damit ich die Dame des Hauses nicht gleich an meinem ersten Tag verärgere.
Bevor ich mein Zimmer verlasse, sehe ich mich noch im Badezimmer um. Kann man überwältigt sein noch steigern? Nicht wirklich, aber dieses Badezimmer ist genauso ein Traum, wie es mein Zimmer ist. Weiß-blaue Fliesen und Kacheln. Eine Badewanne auf Füßen aus Messing, die aussehen wie die Krallen eines Löwen, halb verdeckt durch einen lindgrünen Duschvorhang. Ein Fenster zur Linken, ein Waschbecken, das sich im Jahrhundert geirrt haben muss, eine Toilette. Ich liebe dieses Haus, dieses Zimmer und dieses Bad. Ich liebe mein vorübergehendes Zuhause heiß und innig. Denn dass es nur ein zeitlich begrenztes Glück ist, ist mir leider nur allzu bewusst.
Der Duft einer guten Hausmannsküche steigt mir in die Nase, und ich bemerke, wie hungrig ich bin. Aber ich nehme mir noch einen Moment Zeit, den Flur zu betrachten. Überall hängen Fotos von Kindern. Die Tapete hinter den Bildern ist nicht mehr zu erkennen, so viele sind es. Mir sagen die Gesichter nichts, aber ich denke mir, dass Mrs. Stone jeden Namen wie aus der Pistole geschossen nennen kann.
Die Stufen haben es in sich. Als ich hinaufging, war die mit Teppich ausgelegte Holzstiege gut zu bewältigen. Jetzt stelle ich fest, dass sie einem Mordkomplott gleichkommt. Ein einziger Fehltritt, und das Genick ist gebrochen. Nicht nur der Teppich rutscht, auch die Stufen sind so schmal, dass man ganz genau zielen muss, um nicht zu stürzen. Ein erster Mangel im Paradies? Mitnichten, denke ich. Denn so kann ich jede einzelne Sekunde in diesem Haus genießen.