Das Kind, das mit den Sternen spricht - Obada Jbairo - E-Book

Das Kind, das mit den Sternen spricht E-Book

Obada Jbairo

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Beschreibung

Amer, ein sensibles Kind, in der Stadt Idlib in Syrien geboren, besitzt eine besondere Gabe: die Fähigkeit, Ereignisse vorauszusehen, ehe sie tatsächlich geschehen. Auch kann er in den Gesichtszügen der Menschen meistens ihre Absichten lesen. In seinen nächtlichen Gesprächen mit den Sternen erfährt er viele Geheimnisse, die nicht immer schön für ihn sind. Einige davon sind sogar zutiefst beunruhigend... Der Angst versucht er durch Verlassen des Ortes, später durch Reisen von Land zu Land zu entkommen. Dieses Fliehen prägt sich tief in sein noch kindliches Wesen ein und wird zur Gewohnheit für sein Leben. Er spürt, dass Sicherheit in der Hinwendung zu Gott zu finden ist, aber es lockt auch das Abenteuer in verschiedene Länder zu reisen und die Frauen dieser Länder, die er als besondere Sterne des jeweiligen Landes erlebt, kennenzulernen. Er sehnt sich nach einer Art von Stabilität und versucht diese durch Arbeit und Beziehungen auf unterschiedlichen Kontinenten zu erreichen, um mit diesen neuen Erfahrungen in die Heimat zurückzukehren. Die Kriege, die er in seinen Träumen und Visionen erlebt, werden zur Realität. 2015 verlässt Amer endgültig seine Heimat, in die er von nun an nicht mehr zurückkehren will, auch wenn er sehr schöne Erinnerungen an Syrien und den Libanon hat. Die Neugier, europäische Kulturen zu erkunden, führt ihn weiter in seiner Reiselust. Dennoch sucht er immer weiter nach dem Sinn des Lebens, bis ...

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INHALT

K

APITEL

1

Kindheit in Bildern

K

APITEL

2

Zerstörung unserer Träume

K

APITEL

3

Flucht – Entdeckung neuer Welten

K

APITEL

4

Zypern

K

APITEL

5

Polen

K

APITEL

6

Saudi-Arabien – die goldene Chance

K

APITEL

7

Afrika – die Reise in den „Schwarzen Kontinenten“

K

APITEL

8

Die erste große Liebe und ihre Turbulenzen

K

APITEL

9

Katar – die Flucht vor dem Liebesschmerz

K

APITEL

10

Ägypten

K

APITEL

11

Rückkehr in den Libanon

K

APTITEL

12

Die Türkei – Kreativität in der Backstube

K

APITEL

13

Suche nach der verlorenen Liebe

K

APITEL

14

Die endgültige Entscheidung, nach Europa zu gehen

K

APITEL

15

Diagnosen und Irrwege

K

APITEL

16

Europäische Abenteuer

K

APITEL

17

Die Sehnsucht nach Spuren alter Kulturen

K

APITEL

18

Rumänien

K

APITEL

19

Irrlichter der Liebe

K

APITEL

20

Portugal – die Begegnung, die der Himmel schickt

K

APITEL

21

Gedanken zwischen den Welten

Das Glück ist vorübergehend und unvollkommen.

KAPITEL 1

Kindheit in Bildern

Nach siebenunddreißig Jahren bleibt meine Welt noch immer eine für die anderen unbekannte. Sie begleitet mich jeden Abend seit meinem fünften Lebensjahr. Obwohl ich von einem Land in ein anderes ging, zeichnet sich die Zukunft meiner Welt vor mir ab, und die Ereignisse versinnbildlichen sich als Kunstwerk in den immer gleichen bunten Farben. Jede Nacht versuche ich aus Angst wegzulaufen, aber wohin?

Jeden Tag stelle ich mir dieselbe Frage. Wohin soll ich vor diesen Sternen fliehen, die mich wissen lassen, was andere nicht wissen? Wohin führt mich mein Schicksal?

Ich ahne, was geschehen wird. Ständig werde ich an die Ereignisse meiner Kindheit erinnert, die eine sehr traurige war. Die Angst wurde nicht wie bei den anderen Kindern ein Teil meiner Gefühle. In mir entwickelte sich eine Art von Groll und Aggression, die sich gegen die anderen Kinder richtete, da ich niemandem meine Welt offenlegen konnte. Meine Welt, die eine private Welt nur für mich ist. Mit niemandem konnte ich die Visionen, die sich in den Sternen mit ihren verschiedenen Farben und Formen zeigten, teilen. Sie waren nur für mich bestimmt, wobei ich die Geheimnisse und die Gründe hinter diesen Visionen nicht kenne. Ich habe versucht, sie zu verstehen und mir die Visionen wieder vor Augen zu führen, die mir erschreckende Ereignisse einer bevorstehenden Realität zeigten. Ich war bemüht, das Rätsel zu analysieren, um der Wahrheit näher zu kommen und die erschreckenden Dinge zu erklären.

Ich warte auf die Ereignisse, mit denen sich meine Visionen als richtig erweisen.

Zum Glück war die Welt voll mit schönen Frauen, deren anmutiges Aussehen mich beruhigte und mir eine Art von Liebe, Zuneigung und Zärtlichkeit gab. Sie vermittelten mir das Gefühl von Sicherheit.

Die Erinnerung an jenen ersten Abend wird nie verblassen, als der gewohnte Weg sich auflöste und die seltsamen Dinge ihren Lauf nahmen.

Ich versuchte vergeblich einzuschlafen. Doch sobald ich meine Augen schloss und meinen Kopf auf das Kissen legte, war dort etwas Seltsames, das mir zuraunte: „Wach auf, mein Kleiner, schlaf nicht ein.“ Meine Angst nahm zu, mein Herz raste. Alle anderen waren schon in den Schlaf gesunken. Ich fühlte mich einsam und ging schnell in den Garten des Hauses, um der Stimme zu entfliehen, die erneut zu mir sagte:

„Wach auf, mein Kleiner, schlaf nicht ein.“

Ich setzte mich auf den Stuhl, auf dem mein Vater gerne saß und sich am Garten des Hauses erfreute. Er verhielt sich dann immer so, als ob die Bäume und die Blumen ein Teil von ihm wären, und sah sie an und sprach mit ihnen, als seien sie Menschen, die seinen Worten lauschten. Der morgendliche Gesprächsaustausch tauchte alles in ein türkises Licht. Mein Vater genoss den Anblick, fühlte in sich eine Harmonie und sein Geist tanzte ein wenig in den klaren Himmel hinein.

Auch in dieser Nacht war der Himmel schön und klar, durchsetzt mit Sternen. Aber dann sah ich etwas Seltsames, das die Sterne einfärbte und sie verband. Es erschienen mir schöne Frauen, die wie Engel aussahen. Ich vergaß einen Teil meiner Angst, die mich heimsuchte in den langen Stunden der Nacht, und schaute in den Himmel.

Die Sonne erschien am Horizont und der Hahn begann zu krähen. Ich rannte zurück in unser Zimmer, bevor die anderen erwachten, und die Sterne verblassten. Allmählich war ich sicher, dass mich niemand von der Familie gesehen hatte und legte mich wieder in mein Bett. Dort fand ich aber keinen Schlaf und kehrte gedanklich zurück in meine Erinnerungen. Würde mir jemand glauben, wenn ich erzählen würde, was ich sah in dieser letzten Nacht? War es ein Traum oder doch die Wirklichkeit?

Alle erwachten, aber ich rührte mich nicht. Meine Mutter war erstaunt über mein spätes Erwachen, da ich sonst immer als erster aufstand. Sie betrat mein Zimmer, nannte mich ihren Liebling und sagte: „Wach auf, mein Kleiner.“

Für wenige Augenblicke erinnerte ich mich an die Stimme, die letzte Nacht gesagt hatte: „Wach auf, mein Kleiner, schlaf nicht ein.“

Meine Angst wuchs und ich deckte mich zu, um mein Zittern zu verbergen. Ich sagte: „Ich schlafe nicht, ich schlafe nicht, ich schlafe nicht.“

Sie umarmte mich und begann mir aus dem Koran zu erzählen, was mich beruhigen würde und versicherte mir, dass ich nur einen gruseligen Alptraum hatte.

Was würde sie denken, wenn ich mit ihr über die Stimme, die Farben, die Frauen und die Sterne sprechen würde. Ach, wenn du wüsstest, Mama. Dieser beängstigende Alptraum ist real und nicht so fern von uns, wie du es glaubst.

Immer wenn die Zeit des Schlafens näher rückte, nahmen meine Angst und meine Sorgen zu. Trotzdem wartete ich gespannt auf das Erlebnis mit meinen Sternen und den hübschen Frauen.

Der Abend kam, alle legten sich zum Schlafen in ihr Bett und wie üblich kam meine Mutter ins Zimmer, um uns allen einen Kuss auf die Stirn zu geben.

„Kannst du nicht schlafen, Amer? Was ist mit dir? Fürchtest du dich?“, fragte sie mich.

Ich weiß nicht, warum ich mit nein antwortete.

„Ich werde diese Nacht neben dir schlafen, sorge dich nicht“, sagte sie und küsste mich.

„Süße Träume. Heute Nacht sollst du keine Alpträume haben, denn ich werde in deiner Nähe sein.“

Ich schloss meine Augen und wartete auf den Schlaf. Ob die Frauen auf mich warten und ob auch die Sterne wieder dort sein werden?

Meine Mutter wartete, bis ich eingeschlafen schien und zog sich dann leise aus dem Zimmer zurück.

Die Stimme kam wieder: „Wach auf, mein Kleiner.“ Ich betrachtete den Himmel durch das Fenster, warf einen Blick neben mich und war nicht ganz sicher, ob meine Geschwister wohl schliefen. Die Sterne begannen zu glänzen, und die hübschen Frauen lächelten mir zu. Ich sah sie weiter an und betrachtete anschließend die Sterne, die seltsame Dinge andeuteten, so als würden sie mir etwas erklären wollen. Eine Erklärung in für mich unbekannten Symbolen, die mir das Gefühl vermitteln sollte, dass kein Rätsel für mich zu schwierig ist, auch wenn ich es manchmal nicht auf Anhieb lösen kann.

Meine Mutter konnte mich zeitweise beruhigen, aber mein seltsames Verhalten blieb. Ich wurde sehr umtriebig, aufrührerisch und aggressiv, verlor meine gelegentliche Schüchternheit jedoch nie vollkommen, sodass ich mich zu einer Persönlichkeit entwickelte, in der sich viele Eigenschaften vermischten.

Die Visionen wiederholten sich jede Nacht. Mein aggressives Verhalten beschränkte sich nicht nur auf die Familie, sondern begleitete mich auch in der Schule und im Umgang mit den anderen Kindern. Mein Verhalten wurde gewalttätig, ich schlug Kinder und fügte ihnen Schmerzen zu. Wahrscheinlich war mein Verhalten die Reaktion auf die Angst, der ich nachts nicht entfliehen konnte, und eine Machtdemonstration gegen meine eigene innere Schwäche.

Saleh und Ahmed waren meine engen Freunde und das aggressive Benehmen verband uns. Ich befahl ihnen, die anderen Kinder zu schlagen und sie halfen mir, das Schulmaterial dieser Kinder zu zerstören.

Einmal, auf dem Weg nach Hause, entdeckten wir einen Friedhof, nur wenige Meter von unserem Haus entfernt. Plötzlich kam mir etwas in den Sinn: Ich wollte den Friedhof betreten. Ahmed und Saleh fürchteten sich sehr, doch ich verlangte von ihnen, ein Grab auszugraben, auf dessen Grabstein nur der Name stand. Ich glaube, der Name war Chelid. Das Grab wirkte sehr alt und verwahrlost. Wahrscheinlich war er ein schlechter Mensch gewesen oder er hatte keine Familie mehr. Falls er doch Kinder hatte, kümmerten sich diese nicht um sein Grab. Es gab viele Fragen, und die Antworten waren vielfältig. Ich verlangte von Saleh und Ahmed, mit dem Graben zu beginnen und sagte ihnen, dass dieser Chelid soeben gestorben und in den Himmel gegangen sei. So wie meine Mutter immer von denen spricht, die sterben und in den Himmel gehen. Ahmed fragte mich, warum für die Toten Gräber anleget werden. Saleh antwortete, damit wir sie zum Fest besuchen können, da wir nicht die Möglichkeit haben, in den Himmel hinaufzusteigen.

Mit meinem Vater ging ich immer zum Fest das Grab meiner Großmutter besuchen. Wir brachten Basilikum und Blumen, um ihr Grab zu schmücken und lasen die Sure „Die Eröffnende“ für sie. Mein Vater sprach außerdem einige weitere Suren aus dem Koran für sie. Ich denke, es gibt etwas in der Atmosphäre des Friedhofs, das die Gebete zum Himmel trägt. Die Erwachsenen verbergen es auf den Friedhöfen, damit unsere Worte die Toten von dort aus erreichen können.

Plötzlich wurden Ahmed und Saleh von Angst und Panik ergriffen, sie begannen zu rennen und schrien: „Ein Skelett, ein Skelett!“

Ich empfand keine Angst und begann, die Knochen des Skeletts zu prüfen. Als ich sie betrachtete, hörte ich plötzlich menschliche Stimmen, die weinten und klagten. Ruckartig legte ich die Knochen zurück. Ich stand auf und bedeckte alles wieder mit Erde. Ahmed und Saleh, die auf mein Nachkommen warteten, weinten, weil sie glaubten, ich wäre gestorben und die Toten würden mich in den Himmel bringen. Als sie mich sahen, verstummten sie und erstarrten. Mit aufgerissenen Augen näherten sie sich mir.

„Gott sei Dank, dass du noch am Leben bist.“, und verrückt lachend fragte Ahmed: „Hast du keine Angst vor diesem Skelett?“

Saleh fragte: „Hast du etwas gefunden?“

„Nein, nichts.“

Der Gedanke, dass unsere Stimmen die Toten tatsächlich erreichten, gefiel Saleh. Für Ahmed war das Ganze nicht wichtig.

„Lasst uns nach Hause gehen, ich will nichts über die Toten wissen.“

Natürlich haben wir uns gefürchtet.

Als ich nach Hause kam, war meine Mutter wie üblich die Gastgeberin für ein Treffen der Frauen. Sie tranken Kaffee und aßen Süßigkeiten, erzählten Geschichten über die anderen Nachbarn und sprachen über die letzten Gerüchte, als ich in das Haus eintrat.

Unsere Nachbarin Mayada sagte: „Wie geht es dir, Amer? Gepriesen sei Gott.“

„Sehr gut. Gott sei Dank.“, antwortete ich ihr und meine Schüchternheit stand mir klar ins Gesicht geschrieben.

„Gott beschütze ihn. Es ist ein Segen, dass er so wohlerzogen ist. Dass er so schüchtern ist, respektvoll zu den Erwachsenen und nicht wie die anderen Kinder. Diese Generation kennt keine Höflichkeit und keine Scham.“

Ich dachte über ihre Worte nach. Ich sei sehr schüchtern, aber ich bin auch sehr frech und fürchte mich nicht vor dem Friedhof oder vor den Toten. Was ist das für eine Persönlichkeit? Das Eigenartige war und ist, dass ich darauf keine Antwort wusste.

Mayada war die schönste unserer Nachbarinnen, alle Bewohner sprachen von ihrer Schönheit und Eleganz, ihrer weißen Haut und ihren langen, schwarzen Haaren. In ihren Augen wohnte eine Art von Magie, zwischen Olivgrün und einem wunderschönen Grau. Obwohl es lange her ist, ist meine Erinnerung an ihr ehrliches Lächeln und an ihren freundlichen Umgang mit den Älteren und den Jüngeren nicht verblasst.

Auch erinnere ich mich daran, dass sie mir bei einem ihrer Besuche bei uns sagte: „Wie sehr wünsche ich mir, dass, wenn Gott mich mit einem Kind segnet, es so sein wird wie du, oh Amer.“ Sie weinte fast, als sie mich durchdringend ansah und mich umarmte. Ich fühlte eine tiefe Traurigkeit, und sagte spontan zu ihr: „Ich werde Gott bitten, dich mit einem Jungen wie mir zu segnen. Meine Mutter sagt mir immer, ich soll Gott um das bitten, was ich mir wünsche und er wird all diese Wünsche erfüllen.“ Sie lächelte und sagte: „Oh mein Lieber, ich werde ihm deinen Namen nennen.“

In den Sommerferien fand ein großes Ereignis in der Nähe der Stadt Idlib statt, nämlich die Hochzeit eines unserer Verwandten. Unser Ziel war es, einige Zeit in der Natur zwischen Obstgärten und Feldern zu verbringen, von denen mein Vater einige Tage vor der Reise erzählte. Beschäftigt mit den Reisevorbereitungen und Geschenken, sprach ich jede Nacht mit den Sternen über diese Stadt, die ich in meinen Vorstellungen die „Grüne Braut“ nannte.

„Wird sie in diesem Sommer in ihr grünes Kleid und in ihren farbenfrohen Schmuck gehüllt sein?“, das habe ich die Sterne gefragt.

Wissen die Sterne etwas über diese Stadt? Ich frage mich, werde ich sie dort sehen, nachdem ich gereist bin, oder werde ich andere Sterne kennenlernen, von denen ich ihnen dann erzähle? Was wird während meiner Reise geschehen?

Auf unserem Weg sagte meine Mutter: „Jetzt haben wir die Landschaft von Idlib vor uns, schaut euch die Obstgärten und die Olivenbäume an.“

Während ich die Landschaft betrachte, frage ich mich nach dem Grund für die Existenz von Feigenbäumen in der Nähe von Olivenbäumen. Erst später erfahre ich von Gottes Schwur im Koran.

In den Phasen ihrer Entwicklung haben Feigen und Oliven, diese beiden gesegneten Bäume, die gleichen Vorteile wie die Heilkräuter, die in der alten Medizin für viele Behandlungen verwendet wurden.