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Marlene liebt Bücher! Darum hat sie auch Literaturwissenschaft studiert und nun endlich ihren Doktortitel in der Tasche. Nur einen richtigen Job findet sie damit nicht. Doch von irgendwas muss Marlene die Miete für ihre geliebte Münchner 2er-WG mit ihrer besten Freundin bezahlen. Notgedrungen nimmt sie daher eine Aushilfsstelle in einem Buchcafé an.
Der kleine Laden liegt idyllisch an der Isar, ist aber ziemlich in die Jahre gekommen und wird von der raubeinigen Lotte Eigner geführt. Nicht gerade ein Traumjob, aber schon nach kurzer Zeit blüht Marlene in ihrer Arbeit regelrecht auf, denn sie kann mit ihren eigenen Ideen dem Buchcafé ein neues und buntes Leben einhauchen. Doch als eines Tages mit Johannes ein ziemlich interessanter Mann das kleine Buchcafé betritt, wirbelt der Marlenes Leben erneut gehörig durcheinander ...
Ein wunderschöner Wohlfühl-Liebesroman mit ganz viel Münchner Charme!
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Cover
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Über dieses Buch
Titel
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Marlene liebt Bücher! Darum hat sie auch Literaturwissenschaft studiert und nun endlich ihren Doktortitel in der Tasche. Nur einen richtigen Job findet sie damit nicht. Doch von irgendwas muss Marlene die Miete für ihre geliebte Münchner 2er-WG mit ihrer besten Freundin bezahlen. Notgedrungen nimmt sie daher eine Aushilfsstelle in einem Buchcafé an.
Der kleine Laden liegt idyllisch an der Isar, ist aber ziemlich in die Jahre gekommen und wird von der raubeinigen Lotte Eigner geführt. Nicht gerade ein Traumjob, aber schon nach kurzer Zeit blüht Marlene in ihrer Arbeit regelrecht auf, denn sie kann mit ihren eigenen Ideen dem Buchcafé ein neues und buntes Leben einhauchen. Doch als eines Tages mit Johannes ein ziemlich interessanter Mann das kleine Buchcafé betritt, wirbelt der Marlenes Leben erneut gehörig durcheinander ...
Emilia Thomas
Für meine Schwester
»Jessas, Maria und Josef!«, hörte es Marlene hinter sich an der Straßenecke fluchen. Sie hatte beim Hinausgehen die Haustür des etwas heruntergekommenen Wohnkomplexes mit einem heftigen Ruck zugezogen, und durch den Knall war Gerti, die Obdachlose, aus ihrem Mittagschlaf hochgeschreckt. Das urbayrische Original, das vor etwa zwei Jahren das Kapuzinerviertel als ihren Stammplatz auserkoren hatte, sah sich verschlafen um.
»Entschuldige, Gerti«, murmelte Marlene. »Ich wollt dich nicht wecken ...« Normalerweise hätte Marlene noch ein paar Worte mit ihrer kauzigen Bekannten gewechselt. Doch sie war im Geiste viel zu sehr mit den zwei Jobabsagen beschäftigt, die sie am Morgen in ihrem E-Mail-Postfach gefunden hatte.
Gedankenversunken stapfte Marlene die Straße entlang. Das Kapuzinerviertel, in dem Marlenes Zweier-WG lag, befand sich mehr als ein gutes Stück abseits des belebten Münchner Altstadt-Zentrums, östlich der Isar. Hier wurde nicht gerade glamouröses Großstadtflair versprüht. Neben einem gewöhnungsbedürftigen Bio-Bäcker gab es im Dunstkreis der Straße eigentlich nur noch eine heruntergekommene Bierkneipe, einen Imbiss, der im halbjährlichen Takt den Besitzer wechselte, und das verstaubte »Krimskrams-Café-Post-Geschäft«, vor dessen Tür Marlene nun anhielt.
Zum ersten Mal, seit sie hier in München wohnte, betrachtete sie den Laden aus direkter Nähe. Es war eines dieser altbackenen Spezialgeschäfte, die man oft in den weniger beliebten Gegenden einer Großstadt fand und bei denen die Besitzer versuchten, ihre finanzielle Lage zu verbessern, indem man Post-Partner wurde. Zumindest glaubten Marlene und ihre beste Freundin Canan, dass es sich um so einen Laden handelte. Ganz genau wussten sie es allerdings nicht, denn obwohl Marlene schon vor sechs Jahren bei Canan in der WG eingezogen war, hatten sie nie einen Fuß hineingesetzt.
Trotz des großen Schaufensters konnte Marlene nicht ins Ladeninnere sehen. Beinah die gesamte Glasfront war mit sonnengebleichten Plakaten oder handgeschriebenen Gesuchen vollgehängt. Und dort, wo sich keine Aushänge befanden, waren Reste von Klebestreifen. Einen Moment überlegte Marlene, doch lieber mit der Tram zur nächsten richtigen Postfiliale zu fahren. Wahrscheinlich würde ihr Brief nie am Ziel ankommen, wenn sie ihn hier abgab.
Marlene hatte an diesem Mittag unverhofft eine Stellenausschreibung gefunden, die perfekt zu ihrem Profil passte. Allerdings lief die Frist Ende der Woche ab, und die Unterlagen sollten in Papierform eingereicht werden. Also musste sie die Bewerbung heute noch abschicken. Ein Blick auf die Uhr bestätigte, was sie ohnehin längst wusste. Bis Marlene in der Innenstadt ankommen würde, hätte die Filiale schon geschlossen. Was soll's, dachte sie schließlich und drückte die Tür zögerlich auf, verzweifelte Zeiten erforderten verzweifelte Maßnahmen. Die zwei Absagen waren niederschmetternd gewesen, doch Aufgeben war für sie keine Option!
»Klingklong«, meldete ein goldenes Glöckchen, das an der dunkelgrün lackierten Eingangstür befestigt war, Marlenes Eintreten an. Neugierig sah sie sich um. Sie hatte damit gerechnet, drinnen ein, höchstens zwei ältere Leutchen anzutreffen, die dort aus Loyalität einen Brief aufgaben oder einen Kaffee tranken. Stattdessen bildete sich sogar eine kleine Schlange vor der Theke, und die vier zusammengewürfelten Bistrotische, die im Raum verteilt standen, waren allesamt belegt. Nur was das Eingestaubte anbelangte, da hatte sich Marlene nicht getäuscht. Das Innere des Ladens sah aus wie aus einer anderen Zeit – und das nicht gerade im positiven Sinne.
»Lotte, der neue Ostseekrimi für Frau Blume, ist der schon eingetroffen?« Hinter der Kassentheke stand eine gut gelaunte Mittvierzigerin, die unbekümmert quer durch den Raum rief.
»Dritte Ablage von oben«, ertönte irgendwo aus den Tiefen des Ladens eine schroffe Stimme.
Marlene schaute sich automatisch um und bemerkte dann, dass eine dürre alte Dame mit weißem schulterlangen Haar ihren Kopf zwischen zwei Regalen hervorstreckte. Sie musste mindestens schon Mitte siebzig sein. Erst jetzt wurde Marlene bewusst, dass der Laden im hinteren Teil noch einen zweiten Raum hatte. Ein Raum, der offensichtlich Bücher beheimatete.
Mit kleinen, aber bestimmten Schritten stapfte die alte Frau nach vorn und ging auf die Kundin zu. »Grüß Gott, Christel. Dein Buch wurde wie gewünscht bestellt, allerdings habe ich dir auch noch den neuen Nele Neuhaus dazugelegt. Der wird dir besser gefallen als der Ostseekrimi von dem Bohlmann«, erklärte die Ältere mit einer wegwerfenden Handbewegung.
»Na gut, machen wir es so. Ich setz mich hin, trinke einen Kaffee und lese die ersten zehn Seiten. Wenn mir diese Nele gefällt, dann nehme ich einfach beide Bücher mit.«
Die alte Frau nickte knapp, aber sichtlich zufrieden. Da an der Kasse noch weitere Kunden warteten, spähte Marlene in den Nebenraum mit den Büchern hinein. Der Raum war so winzig, man musste achtgeben, nirgendwo anzustoßen, wenn man umherging. Während sich in den Buchgeschäften, die Marlene sonst besuchte, ordentlich sortierte, einheitliche Bücherregale befanden, war hier alles in drei Kommoden und zwei uralte Regale hineingequetscht, die aussahen, als hätte man sie vom Flohmarkt gerettet. Doch nicht nur in den Schränken drängten sich Bücher, auch auf dem Boden stapelten sie sich. Trotz der Beengtheit fanden zwei durchgesessene, aber dennoch auf eine Art einladende Lesesessel Platz. Zu Marlenes Überraschung stellte sie nach einer kurzen Durchsicht des überschaubaren Sortiments fest, dass die Anordnung einem System folgte. Wäre ihr klar gewesen, dass es sich bei dem Krimskrams-Café-Post-Geschäft in Wirklichkeit um ein Buchcafé handelte, wäre sie vermutlich schon früher einmal hergekommen. Marlene war ein echter Bücherwurm, und als solcher brauchte sie regelmäßig Lesestoff. Und eben hatte sie sogar auf Anhieb drei Bücher gefunden, die sie gern lesen würde. Schade nur, dass es ihr Kontostand nicht hergab, alle drei mitzunehmen.
Während Marlene versuchte, sich zu entscheiden, welches der Bücher sie kaufen sollte, hörte sie die Mitarbeiterin mit der alten Frau sprechen. Die stand mittlerweile auch am Tresen.
»Lotte, hast du dir eigentlich schon überlegt, ob du den Studenten, der neulich zum Probearbeiten da war, als Ersatz für mich einstellen willst? Wir sollten uns wirklich langsam darum kümmern. Sonst stehst du bald allein hier drin.«
»Ach der ... Der hat doch keine Ahnung von Büchern, und sowas will Deutschlehrer werden. Wie soll der dich ersetzen? Und Kaffee kochen konnte er auch nicht ...«, grantelte die Alte.
»Nimm es mir nicht übel, Lotte, aber es ist halt nicht sehr attraktiv für junge Menschen, hier zu arbeiten.«
»Na, dann suche ich eben jemand Älteres.«
»Lotte! Du brauchst jemanden mit Kraft und Ausdauer, um dich hier zu unterstützen. Wie stellst du dir das vor? Wer soll die Bücherbestellungen einräumen? Denk an deine Arthrose ...«
Die Alte brummte. »Ist ja gut, ich werde ihn anrufen und einstellen.«
Marlene kicherte leise vor sich hin, als die alte Frau vor sich hin schimpfend abdampfte und in einem privaten Hinterraum verschwand.
»Was kann ich für Sie tun?« Die Stimme der Mitarbeiterin klang nun wieder fröhlich, als sie sich Marlene widmete, die mittlerweile an der Reihe war.
»Ich nehme das Buch hier und würde diesen Brief gern per Einschreiben versenden.«
»Gern, das wären dann bitte vierzehn Euro fünfzig.«
Marlene kratzte das Kleingeld aus ihrem Portemonnaie zusammen. Bald würde es auf ihrem Konto sicherlich genauso aussehen. Vielleicht hätte sie das Buch besser nicht gekauft, aber sie konnte einfach nicht anders ...
Als Marlene das kleine Buchcafé verließ, zeigte der April wieder einmal, wie launisch er war. Denn der strahlende Sonnenschein war einem grauen, wolkenverhangenen Himmel gewichen. Und aus diesen Wolken platzte im nächsten Moment heftiger Regen, der Marlene voll erwischte. Das lange dunkelbraune Haar klebte ihr bereits nach wenigen Metern im Gesicht, genauso wie der Stoff ihrer Lieblingsjeansjacke an ihrer hellen Haut.
»Ich hoffe, das Regencape hält dicht!?«, rief Marlene Gerti zu, ohne ihr Tempo dabei zu verlangsamen.
Die Obdachlose sammelte in aller Ruhe ihr Hab und Gut zusammen, um es vor dem Regen zu schützen. »Jo freili! Des hot mir bislang no' immer gute Dienste erwies'n, seit du's mir überlassen hast. Aber du schaust ehrlich g'sagt aus wie a begossener Pudl!« Gerti redete stets nur in breitem Bayrisch, weshalb sich Marlene oft nicht sicher war, ob sie alles richtig verstanden hatte. Im Vorbeirauschen winkte Marlene ihr daher nur noch einmal zu, und Gerti verabschiedete sich wie üblich mit einem genuschelten »Pfiat di!«.
Mit vor Nässe quietschenden Schuhen stieg Marlene Stufe für Stufe die fünf Stockwerke bis zu der winzigen Dachgeschosswohnung nach oben. Immerhin würde der Regen dafür sorgen, dass die Temperaturen in ihrer Gipfel-WG – wie sie und Canan ihr Zuhause scherzhaft bezeichneten – nach ein paar sonnigen Frühlingstagen wieder etwas erträglicher waren. Besonders während der heißen Monate im Jahr wünschte sich Marlene mehr als sonst, dass die Wohnung einen Balkon hätte. Aber wer in München leben wollte, durfte nicht wählerisch sein. Insbesondere dann nicht, wenn das Budget knapp war.
Kaum hatte Marlene die Eingangstür aufgedrückt, die wie üblich ein wenig klemmte, hörte sie schon Rufe aus der Küche.
»Komm rein, Frau Doktorin, es gibt gleich Essen!« Seit Marlene vor ein paar Wochen ihre Doktorurkunde im Fach Literaturwissenschaft überreicht bekommen hatte, konnte sie Canan nicht mehr davon abbringen, sie mit ihrem Titel anzusprechen.
»Hey ihr zwei, ich dachte nicht, dass ihr heute hier seid.« Marlene nahm ein frisch gewaschenes Handtuch vom Wäscheständer, der vernachlässigt und noch voll behangen in die Ecke gequetscht war, und trocknete sich damit Gesicht und Haare ab. Dann steckte sie ihre Nase in die beiden Töpfe auf dem Herd. »Mmh ... riecht lecker.«
»Canan dachte, du könntest vielleicht ein bisschen Aufmunterung gebrauchen. Daher haben wir unseren Kochabend spontan in eure WG gelegt«, erklärte Dennis, Canans – und mittlerweile auch Marlenes – guter Kumpel. Dennis und Canan kannten sich bereits, seit sie Kinder waren. Und seit einer verlorenen Wette, vor einem Dreivierteljahr, bei der Dennis für Canan ihr Leibgericht kochen musste, veranstalteten die beiden regelmäßige Kochabende, die abwechselnd in Dennis' Wohnung und bei Canan und Marlene in der WG stattfanden.
»Das ist lieb«, sagte Marlene gerührt und spürte, wie das schlechte Gewissen in ihr hochkroch, weil sie ihre Freunde seit Monaten mit Gejammer über ihre erfolglose Jobsuche nervte.
»Bier oder Wein?« Canan schubste Dennis mit der Hüfte ein Stückchen beiseite, sodass er nicht mehr die mit Magneten und Fotos übersäte Kühlschranktür blockierte.
»Für mich ein Bier, bitte! Ich geh nur eben rüber und zieh mir was Trockenes an.«
Marlenes Zimmer war, wie die gesamte WG, winzig, aber gemütlich. Denn über die Jahre hatten sich darin etliche liebgewonnene Dinge angesammelt. Den Platz unter dem nach Süden ausgerichteten Fenster, das das Zimmer den ganzen Tag mit ausreichend Licht versorgte, hatte sie zu ihrem Leseplatz auserkoren. Unter einem Wandregal, das bis zum letzten Zentimeter vollgepackt mit Büchern war, stand ihr französisches Bett – einfach und unheimlich bequem, lag man erst einmal darin. Daneben befand sich ihr kleiner weißer Vintage-Kleiderschrank, an dessen Türen ihre Bewerbungsoutfits hingen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers, wo die Dachschräge sich breitmachte, hatte Marlene ihren Schreibtisch aufgestellt. Auf ihm stapelten sich jede Menge Dokumente und Bücher.
Marlene konnte hören, wie ihre beiden Freunde in der Küche herumblödelten, und ließ sich etwas mehr Zeit als nötig, sich aus ihren nassen Klamotten zu schälen. Als sie gerade dabei war, in ihre Lieblingsjeans zu schlüpfen, klingelte ihr Handy. Das Display zeigte das Gesicht ihrer Mutter. Sofort spannte sich Marlenes Nackenmuskulatur an.
»Hallo Mama! Was gibt's?« Marlene klemmte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter, sodass sie nebenher ihre nassen Sachen aufhängen konnte.
»Störe ich dich gerade?«
»Nein, ich muss mir nur kurz etwas Trockenes anziehen. Ich hab eben noch eine Bewerbung zur Post gebracht, und auf dem Heimweg hat mich der Regen erwischt.«
»Oh, eine vielversprechende Stelle? Hätte ich nicht besser noch mal über den Text schauen sollen?«
Marlene presste die Lippen fest aufeinander und antwortete dann lediglich mit undeutlichem Gebrummel. Sie stammte aus einer reinen Akademikerfamilie – wenn man es denn Familie nennen mochte, denn sie bestand nur aus Marlenes Großvater und ihrer Mutter. Ihr Großvater war ein angesehener Chirurg gewesen, und ihre Mutter war Professorin und Leiterin des Instituts für Germanistik an der Frankfurter Universität. In ihrer Familie war es also nicht unbedingt eine außergewöhnliche Leistung, zu studieren oder einen Doktortitel zu erlangen.
»Dein Großvater lässt dich übrigens grüßen. Ich war vergangenes Wochenende mit ihm essen, und er wollte wissen, wie es bei dir vorangeht ... Viel konnte ich ihm ja leider nicht sagen.« Marlenes Mutter legte eine ihrer berühmten rhetorischen Pausen ein. »Er macht sich natürlich Sorgen, weil du deinen alten Job aufgegeben hast, ohne etwas Neues zu haben.«
Wenn Marlenes Mutter sagte, dass ihr Großvater sich Sorgen machte, dann hieß das, er hatte sich wieder einmal darüber ausgelassen, wie naiv Marlene doch durch ihr Leben stolperte.
Marlene wand sich. Sie hatte keine Lust, sich ihre ohnehin angeknackste Laune mit Gesprächen über ihre erfolglose Jobsuche noch weiter zu verderben. Aber – natürlich – tat sie es doch. »Du kannst ihm sagen, dass ich, mit der heute, diese Woche nochmals drei Bewerbungen losgeschickt habe ... Er muss sich keine Sorgen machen«, sagte Marlene bemüht positiv, woraufhin es einen Moment ruhig wurde zwischen ihnen.
»Hast du denn von den anderen Bewerbungen, die schon eine Weile offen sind, noch nichts gehört?«, fragte Marlenes Mutter irgendwann.
»Das meiste waren Absagen. Aber nächsten Dienstag habe ich noch mal ein Vorstellungsgespräch – es ist eine Stelle als Lehrkraft für Deutsche Literatur am Bayrischen Bildungszentrum. Es geht darum, ausländische Studienbewerber auf ein Studium an einer Hochschule in Deutschland vorzubereiten ...«
»Hm ... Ja, das wäre zumindest ein Einstieg. Vielleicht klappt es jetzt ja endlich«, sagte ihre Mutter, doch es klang nicht danach, als würde sie daran glauben, dass ihre Tochter bald nicht mehr arbeitslos sein würde. Und wenn Marlene daran dachte, wie zäh es mit der Jobsuche voranging, und dass sie sich nun schon seit Monaten erfolglos bemühte, dann konnte sie es ihr nicht einmal verübeln.
Geräuschlos ließ Marlene sich auf ihr Bett plumpsen. »Ich will mich nicht zu früh freuen, aber ich habe ein gutes Gefühl.« Marlene hatte sich fest vorgenommen, ihrer Mutter nicht zu zeigen, wie niedergeschlagen und verunsichert sie durch die vielen Absagen schon war. Doch diese Maske aufrechtzuerhalten strengte sie jedes Mal an.
»Bevor ich auflege ... Großvater hat mich gebeten, dir zu sagen, dass er dich in dieser Übergangsphase natürlich finanziell unterstützen wird, wenn nötig. Dasselbe gilt selbstverständlich für mich. Ich schätze, deine Rücklagen sind bald aufgebraucht ...«
Marlene betrachtete ihre gepunkteten Socken und ließ sich mit einer Antwort Zeit. »Danke schön, Mama. Das weiß ich wirklich zu schätzen ...«
Als Marlene aufgelegt hatte, blieb sie noch einen Moment auf ihrem Bett sitzen. Denn es dauerte, bis sie ihren ständigen Begleiter – das Gefühl, eine Enttäuschung für ihre Mutter zu sein – abschütteln konnte.
»Kommst du endlich? Dein Bier wird warm«, rief Canan aus der Küche über den Flur in Marlenes Zimmer und unterbrach damit ihre Gedanken. Frisch eingekleidet ging sie zurück in die Küche, wo Canan und Dennis bereits fürs Abendessen gedeckt hatten. Mit drei Tellern, zwei Töpfen und ihren Getränken kam der kleine Tisch an seine Kapazitätsgrenzen. Das machte es zwar schwer, die Arme beim Essen zu bewegen, insbesondere weil Dennis ein ziemlich breites Kreuz hatte. Doch eigentlich war es genau diese Enge, die ihre kleine WG so gemütlich machte.
Marlene sprühte vor Optimismus, als sie am Dienstagmorgen das Haus verließ und sich auf den Weg zu ihrem Bewerbungsgespräch am Bayrischen Bildungszentrum machte. Zwar waren die Rahmenbedingungen und finanziellen Aussichten alles andere als optimal, aber sie hatte sich ausführlich eingelesen und schlussendlich festgestellt, dass das Bildungszentrum als Arbeitgeber sehr interessant klang. Vielleicht war das ja endlich der Neuanfang, nach dem sie suchte.
Marlene trug ihr Lieblingsoutfit für offizielle Anlässe, bei denen sie einen sympathischen, aber gleichzeitig seriösen Eindruck hinterlassen wollte: eine weiße oversized Bluse, enge dunkelblaue Skinny Jeans und die Ballerinas mit Fesselriemchen, die sie letzten Sommer bei einer Shoppingtour mit Canan gekauft hatte. Das Haar hatte sie zu einem lockeren Zopf geflochten, der ihr weich über die Schulter hing, und wie fast immer trug sie ihre Brille.
Im Bildungszentrum wurde Marlene zu einem Besprechungsraum geführt, in dem bereits das fünfköpfige Bewerbungskomitee um einen Tisch saß. Wie Marlene nun erklärt wurde, handelte es sich bei den Anwesenden um die Personalchefin, den Leiter des Studienkollegs (wo die freie Stelle verankert war), zwei Kollegen und die Geschäftsführerin des Bildungszentrums sowie einen Schriftführer. Nach der kurzen Begrüßung und dem obligatorischen Einstiegsgeplänkel nahm das übliche Spiel dann seinen Lauf.
»Also Frau Baumgärtner, bevor wir uns und unsere Institution vorstellen und natürlich auf die Stelle zu sprechen kommen, erzählen Sie uns doch erst einmal von sich und was ihre Motivation war, sich an unserem Bildungszentrum zu bewerben«, bat die Geschäftsführerin.
Super, dachte Marlene. Darauf war sie vorbereitet. Es war der klassische Einstieg in ein Vorstellungsgespräch und eine dankbare Frage. Doch als Marlene gerade ansetzen wollte, ergriff plötzlich der Leiter des Studienkollegs das Wort. Der Mann strahlte etwas Einschüchterndes aus.
»Wie ich in Ihren Unterlagen gelesen habe: Sie haben ja vor ungefähr drei Monaten ihre Doktorarbeit abgegeben und verteidigt, und sie hatten dafür ein Stipendium, ist das richtig?«
Marlene nickte, und in ihr breitete sich ein ungutes Gefühl aus.
»Wissen Sie, ich kenne Leute wie Sie, und ich bin mir sicher, Sie haben ihren Titel nicht erworben, um jetzt befristet für zwei Jahre in einer gemeinnützigen Organisation wie dieser zu arbeiten. Abgesehen davon bringen Sie keinerlei Lehrerfahrung mit. Ich schätze, bei einem Stipendium bleibt einem das erspart. Ich bin also neugierig auf Ihre sicherlich gut vorbereitete Motivationsrede ...«
Es war im Grunde keine Frage von ihm, aber es war klar, dass Marlene auf diese Bemerkung reagieren musste. »Ähm ... nun ja ...«, stammelte sie und suchte ihr Hirn verzweifelt nach einer souveränen Antwort ab. Marlene führte solche Gespräche, seit sie ihren alten Job vor ein paar Monaten gekündigt hatte, und die kritische Frage nach ihrem Hintergrund und ihren Motiven wurde – mehr oder weniger direkt – fast jedes Mal gestellt. Sie war also im Grunde gut vorbereitet. Aber die Art und Weise, wie der Studienleiter sie regelrecht anblaffte, noch bevor sie die Chance gehabt hatte, sich vorzustellen, brachte sie völlig aus dem Konzept. »Ich möchte mich gern neu orientieren, und die Arbeit mit jungen Erwachsenen würde mich reizen. Außerdem denke ich, dass ich durch die Promotion ausgezeichnet ausgebildet bin, um die Literaturkurse zu halten, auch ohne Lehrerfahrung und spezifische Ausbildung. Ich lerne sehr schnell ...«, gelang es Marlene, schließlich etwas halbwegs Sinnvolles von sich zu geben, woraufhin der Mann im Anzug sich aufgefordert fühlte, weiter zu ätzen.
»Sie sollten wissen, wir sind eine gemeinnützige Organisation und kein Unternehmen, das bevorzugt Personen mit Doktortitel einstellt, um sich damit zu schmücken ... Ich will Ihnen nicht Ihre Fachkompetenz absprechen, doch ich glaube einfach nicht, dass Sie die Richtige für diese Stelle sind. Aber bitte ... belehren Sie mich eines Besseren.«
Autsch. Das saß ... Marlene schluckte den fetten Kloß hinunter, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte. Sie versuchte, den Drang, einfach aus dem Raum zu stürmen, mit aller Kraft zu unterdrücken. Doch nach diesem Auftakt nun noch ein überzeugendes Gespräch zu führen schien ein unmögliches Unterfangen geworden zu sein.
***
»Ich geb's auf, Canan. Die echte Arbeitswelt will mich einfach nicht.« Marlene seufzte und legte ihren Kopf an die Schulter ihrer Freundin. Gemeinsam saßen sie auf dem durchgesessenen Sofa in ihrer beengten Fernsehecke und besprachen Marlenes missglücktes Bewerbungsgespräch.
»Tut mir leid, dass der Kollegleiter so ein Arsch war«, sagte Canan zum wiederholten Mal. Dann holte sie zum Trost eine Packung vegane Gummibärchen aus dem Kühlschrank und reichte sie ihrer Freundin.
»Vielleicht muss ich mich doch auch in anderen Städten bewerben«, überlegte Marlene laut, während sie in die Tüte mit den fröhlich aussehenden Tierchen griff.
»Du könntest zum Beispiel in Frankfurt suchen. Da wäre immerhin deine Mutter, und ein paar deiner alten Studienfreunde wohnen noch dort.«
»Ich will aber nicht zurück nach Frankfurt oder sonst wohin«, schimpfte Marlene, obwohl es ihr eigener Vorschlag gewesen war. Sie war für ihr Masterstudium nach München gekommen, nachdem sie die Nase voll hatte von Frankfurt. Seitdem hatte sie die Stadt in ihr Herz geschlossen.
»Ich versuche ja nur, dich zu unterstützen.«
»Ich weiß, entschuldige. Ich möchte einfach hierbleiben.«
»Ja so ist das eben mit München. Von außen gesehen ist es eine ziemlich überteuerte und versnobte Stadt. Aber sie hat auch viele liebenswerte Seiten ...« Als echtes Münchner Stadtkind war in Canans Stimme nun deutlich Heimatstolz zu erkennen. »Denk an das gute Bier und das Isarufer um die Ecke ...«
Marlene musste grinsen. »Und unsere kleine Bruchbude hier ist schon auch ein ganz besonderes Highlight.«
»Absolut. Eine Mitbewohnerin wie mich wirst du nie wieder finden.« Canan lachte, und Marlene stimmte mit ein. Canan hatte definitiv recht. Sie und auch ihre anderen Freundinnen würde sie am allermeisten vermissen. Hier in München fühlte sie sich mehr zu Hause als jemals in Frankfurt.
»Ganz genau. All das mein ich. Das alles würde mir woanders fehlen. Mir ist ja sogar mittlerweile der nuschelige Dialekt ans Herz gewachsen ...« Alles andere wäre vermutlich auch schwierig gewesen. Denn diesen Dialekt sprachen hier selbst die Politiker.
Canan zuckte die Schulter. »Dann bleib. Ich meine, es ergibt schon Sinn, darüber nachzudenken, dich auch anderswo umzuschauen. Aber du hast doch noch lange nicht alles versucht hier in München, weißt du? Du suchst erst seit drei Monaten!«
»Erst?! Mir kommt es vor wie ein halbes Jahr ...« Marlene ließ sich nach hinten in die Kissen fallen. »Ich kann noch maximal einen Monat die Miete bezahlen, und dann sind meine Ersparnisse aufgebraucht.«
Canan überlegte. Marlene wusste, dass sich Canan die Wohnung allein auch nicht leisten konnte. Sie brauchte eine Mitbewohnerin, die Miete zahlte. »Kannst du nicht deine Mutter fragen?«
Marlene schüttelte heftig den Kopf. »Auf keinen Fall werde meine Mutter bitten, mir etwas vorzuschießen. Die denkt ja ohnehin schon, dass ich nichts auf die Reihe kriege.«
»Und wenn du dir einen Aushilfsjob suchst? Irgendwas, um deine Kasse aufzubessern.«
Marlene ließ sich Canans Vorschlag einen Augenblick durch den Kopf gehen. Ihre Freundin hatte recht. Vielleicht war es gar nicht nötig, in einer anderen Stadt nach Jobs zu suchen. Sie brauchte nur für den Moment einen Brotjob, um über die Runden zu kommen, und nebenher konnte sie sich fleißig weiterbewerben. So lange, bis das Richtige dabei war. Ewig würde es sicherlich nicht mehr dauern ...
***
Marlene radelte im Schneckentempo durch den Englischen Garten. Das sonnige Wetter passte kein bisschen zu ihrer trüben Stimmung ... Nachdem Marlene im Internet in Sachen Brotjob nicht fündig geworden war, hatte sie kurzerhand alle bekannten Buchläden und die Stadtbücherei abgeklappert und persönlich nachgefragt, ob sie eine Mitarbeiterin suchten. Doch obwohl München eine Millionenstadt war, schien dort jeder leicht zu kriegende Minijob, der Bezug zu Büchern hatte, vergeben zu sein. Wenn es so weiterging, dann würde sie die Branche wechseln müssen ... Vor Marlenes innerem Auge sah sie sich bereits in einem der vielen Bierkeller in der knallenden Sonne Tabletts voll mit Krügen und Haxen umherschleppen. Oder noch schlimmer, sie würde im Callcenter hocken müssen und fremden Menschen Versicherungen oder Fensterputzmittel andrehen. Marlene schauderte.
Als sie an ihrem Wohnhaus angekommen war und ihr Fahrrad abgestellt hatte, schoss Marlene plötzlich eine Idee durch den Kopf. Aber natürlich. Warum hatte sie nicht gleich daran gedacht? Mit festem Schritt steuerte sie das Krimskrams-Café-Post-Geschäft um die Ecke an, hielt dann jedoch vor der Tür kurz inne. Marlene atmete einmal tief durch, um Mut zu sammeln. Getrieben von der abschreckenden Vorstellung, in einem Callcenter zu verstauben, trat sie schließlich ein. Zielstrebig ging sie auf die alte Frau an der Theke zu, die zum Glück allein mit ihrer Mitarbeiterin im Laden war.
»Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, aber ich habe vor ein paar Tagen zufällig eine Unterhaltung zwischen Ihnen mitbekommen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann schauen Sie sich nach einer neuen Aushilfe um, oder? Mein Name ist Marlene Baumgärtner. Ehrlich gesagt bin ich gerade dringend auf der Suche nach einem Job, und ich kenne mich recht gut mit Büchern aus. In einem Café gekellnert habe ich während meines Studiums auch schon mal, und ich wohne hier gleich direkt um die Ecke ...« Marlene nahm einen tiefen Atemzug.
Die alte Dame beäugte Marlene skeptisch. »Hier um die Ecke?«, hakte sie nach. »Ich habe dich noch nie bei mir im Laden gesehen ...«
Marlene hatte keinen Zweifel daran, dass sich die Frau jedes Gesicht merken konnte, das mehr als einmal ihre Ladenschwelle passierte. »Ja ... also ... das stimmt. Ich war erst einmal in Ihrem Laden.«
»Wieso nicht öfter? Haben Sie nicht gesagt, Sie interessieren sich für Bücher?« Der Blick der Frau wurde bohrender.
»Nun ja, das stimmt, aber ... ähm ... von außen erkennt man nicht, dass man hier drin Nele Neuhaus und Co antrifft«, antwortete Marlene wahrheitsgetreu.
Im Gesicht der alten Dame zuckte ein schwaches, aber verschmitztes Grinsen. »Also, ich will jemanden für fünf bis fünfeinhalb Tage die Woche, neun Uhr dreißig bis achtzehn Uhr. Samstags wird der Laden um fünfzehn Uhr geschlossen. Du kannst nächste Woche Montag zum Probearbeiten kommen – sei pünktlich zur Ladenöffnung da. Über das Gehalt reden wir, wenn ich weiß, was du kannst. Nur so viel: Der Laden läuft, und er gehört mir, also kann ich mir eine Mitarbeiterin leisten. Reich wirst du hier aber trotzdem nicht.«
»Gut, abgemacht. Ich werde da sein«, bestätigte Marlene, ohne zu zögern. Es war sicherlich kein Traumjob, und sie würde beim Bierkrügehieven vermutlich mehr verdienen. Aber immerhin war der Job im Laden der alten Frau nicht ganz so weit von dem entfernt, was sie studiert und gelernt hatte, im Gegensatz zu den anderen Auswahlmöglichkeiten. Vielleicht würde sich diese Erfahrung ja sogar recht gut in ihrem Lebenslauf machen – natürlich nur in ausgeschmückter Form. Jedenfalls musste sie sich so, während sie weiter nach etwas Ordentlichem suchte, zumindest nicht länger darum sorgen, dass das Loch in ihrer Vita und auf ihrem Konto seit dem Ende ihres Jobs an der Uni immer weiter wuchs.
»Guten Morgen, Frau ... ähm ...« Erst als Marlene zu ihrem Probetag erschien, fiel ihr auf, dass sie gar nicht wusste, wie die alte Frau hieß, der das kleine Buchcafé an der Isar gehörte.
»Liselotte Eigner.« Marlenes potenzielle neue Chefin streckte ihre Hand aus, und Marlene tat es ihr gleich. Liselotte Eigners Händedruck war allerdings so fest, dass Marlene kurz erschrak, weil sie bei der drahtigen Person etwas anderes erwartet hätte. Wie auch bei ihrer letzten Begegnung trug Frau Eigner eine dunkle Stoffhose, darüber ein T-Shirt und das farblich passende Jäckchen. Das kurze weiße Haar hatte sie nicht ganz ordentlich mit einer Haarspange zurückfrisiert.
»Also gut, dann komm mal mit. Anna hat vorn alles fest im Griff, ich kann dir also kurz den Laden zeigen ... Hier im Eingangsbereich haben wir den Verkaufsbereich und die Küchenzeile.« Marlene spähte neugierig hinter den Tresen. Aus der Nähe betrachtet bemerkte sie, dass die Ausstattung und vor allem die Kaffeemaschine schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Aber immerhin schien es eine Spülmaschine zu geben. »Dort hinten«, Frau Eigner bedeutete Marlene, ihr zu folgen, »befinden sich die Bücher. Cafétische gibt es nur im Raum vorn. Bücher können allerdings dorthin mitgenommen und gelesen werden.« Lotte Eigner führte Marlene weiter in einen Lagerraum, wo einige Bücherbestellungen in Kisten darauf warteten, dass jemand sich um sie kümmerte. »Wie du siehst, ist mein Buchcafé nicht wahnsinnig geräumig, und die Literaturauswahl ist nicht groß. Aber es gibt uns seit fast vierzig Jahren, also scheint das wohl keinen zu stören.«
Marlene konnte den Stolz, der in Frau Eigners Stimme lag, gut nachvollziehen. Nicht viele kleine Geschäfte schafften es, so lange zu bestehen. Doch da Liselotte Eigner ihr nicht wie jemand vorkam, der gern Komplimente und Bewunderungen von Fremden annahm, nickte Marlene nur anerkennend und hörte ihr weiter dabei zu, was sie über die Geschichte des Ladens zu sagen hatte. »Also ... du sagtest, du kennst dich mit Büchern aus?!«
»Ja. Ich habe Literaturwissenschaft studiert.«
»Hm ...« Die Ladenbesitzerin zeigte keinerlei Regung. Offenbar war sie nicht zufrieden mit Marlenes Antwort.
»Also, ähm ... Ich habe auch in diesem Fach promoviert.«
»Ja, nun, ich gehe davon aus, du liest Bücher und informierst dich regelmäßig über Neuerscheinungen? Zumindest solltest du das in Zukunft tun, wenn du hier arbeiten willst. Wie ich bereits sagte, wir haben hier keine große Auswahl, aber dafür eine äußerst hochwertige ...«
Marlene las sehr viel, und sie las Bücher aus unterschiedlichen Genres. Manchmal las sie sogar Bücher, bei denen sie von vorneherein wusste, dass ihr das Genre oder das Thema nicht gefallen würde, nur um rauszufinden, warum es so gute oder schlechte Kritiken erhielt. Und sie schrieb auch Rezensionen im Netz. Das hieß, wenn sie Zeit dazu fand. Doch anstatt Frau Eigner zu erklären, dass sie kein Dummerchen war und sich tatsächlich auskannte, nickte sie nur. Die alte Frau hatte sie verunsichert.