Das Lächeln der Toskana - Kajsa Arnold - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Lächeln der Toskana E-Book

Kajsa Arnold

0,0
0,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein altes Weingut, ein gutaussehender Italiener und ein Geheimnis, das schon viel zu lange schlummert. Nachdem Giulias Großmutter sie darum gebeten hat, das alte Haus mitten im Nirgendwo der Toskana zu verkaufen, bleibt Giulia nichts anderes übrig, als von London nach Castellaccio zu reisen. Umso überraschter ist sie, als sich das Haus als wunderschönes Weingut entpuppt. Und nachdem Giulia Land und Leute besser kennenlernt, steht für sie eines fest: Ihre Nonna kann das Anwesen unmöglich verkaufen! Einer ist von dieser Kehrtwende allerdings alles andere als begeistert: Der attraktive Italiener Luc war sich sicher, dass das Haus schon bald ihm gehört. Dass Giulia den Verkauf plötzlich nicht mehr vorantreibt, lässt er sich bestimmt nicht gefallen! Zwischen hitzigen Diskussionen und feurigen Streitereien stoßen sie gemeinsam auf Ungereimtheiten in der Geschichte des Weinguts. Als sie einem Geheimnis auf die Spur kommen, das Marta seit den Kriegsjahren mit sich trägt, ändert sich das Leben aller Beteiligten gewaltig … Ein Roman zum Träumen und Mitfiebern! Erfolgsautorin Kajsa Arnold entführt uns auf ein romantisches Weingut in die Sonne Italiens.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DAS LÄCHELN DER TOSKANA

Kajsa Arnold

Für Elfriede und Jupp

Ohne eure wahre Geschichte würde es diesen Roman gar nicht geben

Danke dafür!

1

LONDON,

SEPTEMBER 2018

»Ein Haus?«

Ein kleines Lachen krabbelte ihr die Kehle hinauf, doch Giulia ließ es nicht heraus. Sie befahl ihrem Körper, sich ruhig zu verhalten, auch wenn sie innerlich bebte. »Toskana?«, wiederholte sie, nur um sich zu vergewissern, dass sie auch alles richtig verstanden hatte. »Nonna, seit wann hast du ein Haus in der Toskana? Und warum hast du das nie erwähnt?«

Sie faltete ihre Hände vor sich auf dem Tisch, um sie unter Kontrolle zu bekommen. Die Neuigkeit war aufregend, sehr aufregend sogar. Die Hände wollten nicht ruhig liegen bleiben und sie knibbelte an dem roten Lack.

Die ältere Dame, die vor dem Schreibtisch saß, hob die schmalen Schultern. »Du weißt doch, dass unsere Familie aus Italien stammt.«

Ihre Großmutter sah sie an, als wäre das alles keine zwei Worte wert.

»Nonna, natürlich weiß ich das, aber es beantwortet nicht meine Frage.«

Leise seufzte sie. »Als ich aus Italien fortging, habe ich das Haus vollkommen vergessen. Es gehört meiner Familie, mein Bruder hat dort gelebt. Nun ist er gestorben, und mir gehört das Haus allein, da auch deine Mutter nicht mehr lebt, wird es dir gehören, wenn ich einmal nicht mehr bin. Aber ich denke nicht, dass du Interesse an einem Haus in der Toskana hast. Ich werde es verkaufen und dir das Geld schenken.«

Sie sagte es so gelassen, als würde sie ihrer Enkelin ein Gemälde ihrer Bildersammlung überlassen wollen.

Giulia winkte ab. »Nonna, das ist nicht notwendig. Es ist dein Geld.«

»Was soll ich damit, mein Kind? Mein Mann hat mir mehr Geld hinterlassen, als ich ausgeben kann. Du sollst das alles bekommen. Aber du musst etwas dafür tun. Eine Kleinigkeit.« Sie tat, als wäre es belanglos, doch Giulia kannte ihre Großmutter genau. Gerade diese einfachen, trivialen Sätze hatten es immer in sich. Deshalb achtete sie auf jede Nuance ihrer Betonung. Aufmerksam hob Giulia den Kopf. Sie musste zugeben, mit diesem Warten hatte sie ihre Neugier geweckt.

»Was für eine Kleinigkeit?«, fragte Giulia vorsichtig nach.

Umständlich öffnete Nonna ihre große Handtasche. Sie hatte ein Faible für ultragroße Taschen, die bei der zierlichen zweiundneunzigjährigen Frau etwas merkwürdig anmuteten. »Ich habe hier ein Schreiben des Notars, der den Verkauf für mich beglaubigen soll. Er hat bereits einen Käufer, der uns einen angemessenen Preis für das alles zahlen wird. Dem Käufer gehören bereits die umliegenden Grundstücke. Er ist Olivenhändler oder Gemüsebauer, so was in der Art. Ich möchte nur, dass du nach Castellaccio fährst und für mich den Verkauf abwickelst. Du bist Immobilienmaklerin und kennst dich damit aus. Für dich ist es ein Klacks, und dann sind wir den alten Kasten für immer los.«

In der Theorie hörte sich das alles so einfach an, in der Praxis sah es meistens ganz anders aus, das wusste Giulia aus Erfahrung, daher war sie skeptisch. »Ich kann hier nicht so einfach weg, Marta. Ich habe Termine.«

Giulia sah ihre Großmutter mit großen Augen an. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass Nonna nicht so ganz ernst nahm, was sie hier tat. Dass sie einen richtigen Beruf hatte. Für Nonna gehörte eine italienische Frau in die Küche und wartete darauf, dass ihr Ehemann nach Hause kam. Dass Giulia nicht einmal über einen Anwärter verfügte, der diesen Posten eines schönen Tages einnehmen würde, nahm sie ihr wohl besonders krumm.

»Dann verschiebe deine Termine, Giulia«, erklärte sie pragmatisch.

»Nonna, das ist alles nicht so einfach.«

»Natürlich ist es das. Ich bin deine Klientin. Ich werde dich dafür bezahlen, dass du für mich in die Toskana fährst und dieses Haus verkaufst.« Sie reckte ihr Kinn vor. Wenn sie diesen Ausdruck zeigte, wusste man, dass mit ihr nicht zu spaßen war. Sie meinte es bitterernst. Sie würde nicht eher Ruhe geben, bis diese Angelegenheit erledigt und zu ihrer Zufriedenheit gelöst war.

Giulia musste schon zugeben, dass sie ein wenig neugierig war. Ein Haus in der Toskana, das hörte sich so romantisch an. Aber vermutlich war es nicht mehr als eine baufällige Hütte, dazu noch kaum erreichbar. Offenkundig war es wirklich das Beste, den Verkauf schnell abzuschließen und das Geld einzustreichen.

Ihr Blick ging zum Fenster, das ihr einen Ausblick auf das feinste englische Regenwetter bot. Ein bisschen Sonne würde ihr guttun. Sie war schon viel zu lange nicht mehr aus diesem Büro herausgekommen.

»Na gut. Ich werde mit Amanda sprechen. Ich nehme mir zwei Wochen Urlaub, um nach Italien zu reisen. Vorher wirst du eh keine Ruhe geben«, murmelte Giulia und sah Nonna demutsvoll an. Was sollte sie denn machen, sie war nun mal ihre Großmutter, der einzige Mensch, der von ihrer Familie noch übrig war. Sie würde ihr niemals das Herz brechen können.

»Molto bene«, sagte Nonna entschieden und erhob sich. Trotz ihres hohen Alters war Marta immer noch sehr mobil und gut zu Fuß, benötigte nicht einmal eine Gehhilfe.

Giulia trat um den Schreibtisch herum und beugte sich hinunter, küsste die Wangen ihrer Großmutter.

Nonna tätschelte ihre Hand.

»Du machst das schon, Cara mia«, erklärte sie voller Eifer und verließ mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen das Büro.

»Das habe ich gesehen«, rief Giulia ihr hinterher, doch sie winkte nur, ohne sich umzudrehen. So war Nonna eben. Sie hatte den Dreh raus, dass sie immer genau das bekam, was sie wollte, wie sie es wollte.

»Es sind nur drei Termine, die du für mich übernehmen musst.« Giulia sah ihre Partnerin Amanda King bittend an. Sie waren Freundinnen seit der Schulzeit und hatten sich vor fünf Jahren gemeinsam als Immobilienmaklerinnen selbstständig gemacht. Mit viel Einsatz und harter Arbeit hatten sie sich einen guten Ruf in London erarbeitet, und der Laden brummte. Mittlerweile beschäftigten sie sogar zwei Angestellte. Nobelimmobilien gehörten zu ihrem Spezialgebiet. Teure Wohnungen und Häuser, in noblen Gegenden, zu unerhört hohen Preisen, mit High-Class-Ausstattung. Das Beste war gerade gut genug. Die Klientel war nervig und manchmal unausstehlich, aber eben reich und bereit, ihr Honorar zu bezahlen.

»Ich werde deine Termine an Jack weiterreichen. So wie es aussieht, sind es nur Besichtigungen, das schafft er spielend allein.« Amanda strich ihr hellblondes Haar aus dem Gesicht. »Was hast du denn so Geheimnisvolles vor?«

Giulia lachte. »Nichts Geheimnisvolles. Meine Nonna besitzt ein Haus in der Toskana, und sie möchte, dass ich mich um den Verkauf kümmere. Ich werde ein wenig Urlaub nehmen, schnell die Immobilie abwickeln und ein bisschen die Gegend erkunden. Es ist die Heimat meiner Familie, das könnte doch sehr interessant werden. Zuletzt war ich dort, als ich zehn Jahre alt war. Daran kann ich mich kaum erinnern. Nur, dass es der letzte Urlaub mit meiner Mutter war.«

Giulia sah Amanda traurig an.

»Das hört sich doch nach einer richtig guten Idee an«, befand Amanda und kaute auf ihrem Kugelschreiber. »Ich wünschte, ich könnte mit dir tauschen, aber bei mir stehen wichtige Termine an. Keine Chance, jetzt Urlaub zu nehmen. Außerdem können wir hier nicht gemeinsam die Segel streichen. Diese Hochzeitsplanung bringt mich noch um. Dabei heirate ich in einem halben Jahr. Ich befürchte, das erlebe ich gar nicht mehr. Ich wünschte, ich hätte auch eine Großmutter mit einem Haus in der Toskana.«

»Ich befürchte, dass Nonna aus irgendeinem speziellen Grund möchte, dass ich nach Castellaccio fahre und mich persönlich um den Verkauf kümmere. Na ja, ich bin auf den alten Kasten mal gespannt. Ich hoffe, dass er zumindest noch bewohnbar ist und ich mir kein Hotelzimmer suchen muss.«

»Fährst du mit dem Auto?«

»Nein, ich fliege nach Pisa und werde dann mit einem Leihwagen Richtung Livorno fahren. Dort in der näheren Umgebung steht das Haus. Ein Großgrundbesitzer will den Grund und Boden und das Haus kaufen. Ich denke, es wird keine Probleme geben. In hoffentlich zwei Tagen wird der Deal abgeschlossen sein, und ich kann dann meinen Urlaub genießen. Es wird höchste Zeit, dass ich mal wieder aus London rauskomme. Ich kann mich an meinen letzten freien Tag gar nicht mehr erinnern.«

Amanda nickte nachdenklich. »Du musst wirklich mal hier raus. Ein Glück, dass du fließend Italienisch sprichst, diesen Italienern ist nicht zu trauen.«

Sie sah Giulia an, und dann lachten beide laut auf.

»Pass bloß auf, dass du nicht auf einen dieser heißblütigen Florentiner hereinfällst, dich verliebst und am Ende ganz in Italien bleibst«, warnte Amanda.

Lässig winkte Giulia ab. »Dazu besteht keine Veranlassung, sich Sorgen zu machen. So schnell verliere ich nicht meinen Verstand. Du weißt, ich bin sehr wählerisch. Ich glaube, der Mann meines Herzens muss erst noch geboren werden.«

Der Koffer war schnell entstaubt, doch dann hatte Giulia keine Ahnung, welche Kleidung sie einpacken sollte. Es war lange her, dass sie in Italien gewesen war. Damals war sie noch ein Kind, und es war Sommer. Jetzt, da der Herbst nahte, wurden die Temperaturen nach und nach kühler. Also packte sie zu Sommerkleidern auch lange Hosen, Blusen, Strickjacke und einen Hoodie ein. Länger als vierzehn Tage würde dieser Trip ja nicht dauern. Vielleicht konnte sie sich auch das eine oder andere neue Kleid gönnen. Die Wetter-App sagte ihr wunderbare fünfundzwanzig Grad und klare Sicht voraus. Na, dann hoffte sie mal, dass die App auch recht behielt.

Zwei Tage später musste sie an die Worte ihrer Freundin denken, dass man Italienern nicht trauen konnte, als sie am Flughafen von Pisa einen Leihwagen mieten wollte.

»Gib der Touristin die Karre mit der Beule. So wie sie aussieht, kann sie bestimmt kein Auto fahren«, rief der Angestellte der Autovermietung seiner Kollegin auf Italienisch zu, die sie bediente.

»Ich fahre sehr gut und das nicht nur im Linksverkehr«, antwortete Giulia im akzentfreien Italienisch. Die Mitarbeiterin lief rot an. »Ich möchte bitte einen Wagen, der in einwandfreiem Zustand ist. Einen Sportwagen, haben Sie so etwas da?«

»Ja natürlich, aber der kostet extra«, erklärte ihr die junge Frau und gab ihr den Pass zurück.

»Ist er ohne Beule zu bekommen?« Giulia ließ nicht locker und starrte dem Kollegen hinterher, der schnell das Weite suchte.

»Sicher. Wir haben ihn nagelneu hereinbekommen. Er ist tadellos, Signora.«

Giulia unterschrieb den Mietvertrag und nahm die Schlüssel entgegen, verließ den Stand, ohne sich zu bedanken. Unfreundlich konnte sie auch.

Sie gönnte sich etwas Besonderes. Einen Alfa Romeo Spider Cabriolet. Wenn sie schon mal in Italien war, dann wollte sie das gute Wetter genießen, auch wenn Giulia dafür eine Menge hinblättern musste. Nicht, dass Geld ihr egal war, aber sie hatte sich diese kurze Auszeit redlich verdient und wollte sich etwas Besonderes gönnen. Immerhin gab es niemanden in ihrem Leben, der dafür zuständig war, also musste sie sich selbst darum kümmern. Und dieses Auto schenkte ihr Momente des Glücks. Als sie sich hinter das Steuer setzte, war es wie ein Nachhausekommen. Sie war es gewohnt, einen Wagen mit Linkssteuerung zu fahren, auch wenn das in London nicht üblich war. Doch zu Hause fuhr sie meistens nur mit dem Taxi und kannte es eher aus dem Urlaub, selbst einen Wagen zu steuern. Und dabei hielt sie sich zumeist in Spanien oder Portugal auf, und dort herrschte Rechtsverkehr, die Mietwagen hatten das Lenkrad auf der linken Seite. Sie fuhr also untypisch, und doch war es ihr vertraut.

Über die E80 fuhr sie von Pisa aus Richtung Livorno, dann weiter nach Castellaccio. Bevor sie den Ortskern erreichte, bog sie in die Via di Fondacci ein, die sie bis zum Ende fuhr. Als plötzlich das Navi versagte, musste Giulia anhalten. Eigentlich ging es nur weiter geradeaus, trotzdem hielt sie an, um das Handy aus der Tasche zu kramen. Sie wollte im Internet nachsehen, ob sie noch richtig war.

Bist du schon da?

Diese Nachricht war auf dem Smartphone eingegangen.

Nonna.

Sie tippte eine kurze Antwort, dass sie noch auf dem Weg sei. Nonna schien ungeduldiger zu sein als Giulia selbst. Wenn sie nicht unter großer Flugangst leiden würde, hätte sie sie vermutlich begleitet. Giulia kontrollierte noch einmal das Navigationsgerät, doch irgendwie schien die Verbindung unterbrochen zu sein. In zwei Kilometern sollte die Abzweigung kommen.

Vorsichtig fuhr sie weiter und verpasste dann doch beinahe die Einfahrt zu dem Grundstück, die etwas verborgen zwischen einer Baumgruppe lag. Langsam rollte sie die Allee entlang. Der Weg war nicht befestigt, der Alfa rumpelte über den Kies, und sie versuchte, so wenig Staub wie möglich aufzuwirbeln. Nicht, dass sie am Ende noch einen Schaden an dem nagelneuen Wagen verursachte.

Als das Gebäude in Sicht kam, stoppte Giulia mit laufendem Motor. Das Haus lag auf einer kleinen Anhöhe, eine Reihe von Säulenzypressen wies den Weg. Oben angekommen, hatte man eine hervorragende Sicht auf das umliegende Tal. Es war ein beigefarbenes Steinhaus mit roten Dachschindeln, keine Holzhütte, wie sie vermutet hatte. Und vor allem war es nicht verfallen, sondern in einem hervorragenden Zustand. Gar nicht alt, sondern gut erhalten, riesengroß und wunderschön gelegen. Giulia musste zugeben, das hatte sie nicht erwartet, und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Den Wagen stellte sie vor dem Haus ab, neben anderen Autos, die dort parkten. Sie hatte nicht damit gerechnet, hier jemanden anzutreffen. Als sie ausstieg, hörte sie Musik, die aus dem Garten erklang, und lautes Gelächter. Neben dem Haus gab es einen Eingang in den Garten, das hüfthohe Holztor war geöffnet, der Rosenbogen mit Papierblumen behängt. Der Garten war bunt geschmückt, eine kleine Band stand auf einer Empore und spielte auf. Es gab lange Reihen von Tischen und Bänken. Hier war irgendein Fest im Gange. Giulia hoffte nicht, dass dies die Trauerfeier zu Onkel Fabrizios Beerdigung war. Da der Tod von Nonnas Bruder bereits Monate zurücklag, zog Giulia es weniger in Betracht, möglich war jedoch alles. Allerdings war die Stimmung wohl etwas zu ausgelassen für eine Beerdigung. Aber vielleicht wurden Beisetzungen in Italien anders begangen als in England.

»Ciao!« Ein Mann tauchte plötzlich vor ihr auf, musterte sie eingehend von oben bis unten, dann blieb er an ihrem Blick hängen. »Come stai?«, fragte er nicht besonders freundlich.

»Va bene«, antwortete Giulia. »Ich bin auf der Suche nach Signore Ribio. Er ist Notar und …«

»Sie sind Marta Roselly?«, fragte er ungläubig.

»Ich bin Giulia Roselly. Marta ist meine Großmutter und hat mich beauftragt, mich um den Verkauf des Grundbesitzes zu kümmern.«

»Giulia also.« Der Mann sah sie abschätzend an. »Hey, Mario! Hier ist jemand für dich!«, rief er laut und ließ sie dann ohne Erklärung einfach stehen.

Na, das war ja mal eine Begrüßung. Waren die Italiener nicht für ihre Gastfreundschaft bekannt? Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, so etwas allerdings nicht.

Ein älterer Mann kam auf Giulia zu. Er war klein und rundlich, zog an einer dicken Zigarre.

»Ah, Sie müssen Signorina Roselly aus London sein. Ich bin Mario … Mario Ribio. Ich habe mit Ihrer Großmutter korrespondiert. Sie hat Sie bereits angekündigt. Willkommen in Castellaccio.« Er zog Giulia in die Arme und küsste sie auf beide Wangen. Das war dann wohl das, was sie eher erwartet hatte, nur nicht so feucht.

»Kommen Sie, Signorina Roselly, feiern Sie mit uns.«

»Bitte nennen Sie mich doch Giulia. Was feiern Sie denn?«, fragte sie und blickte sich neugierig um.

»Die Hochzeit von Pietro. Bitte kommen Sie, feiern Sie mit uns, Giulia.«

»War das der Bräutigam?« Giulia deutete in die Richtung des Mannes, der ihr gerade begegnet war. Er trug eine schwarze Anzughose und ein weißes Hemd, beides saß knapp auf seinen schlanken Hüften, sodass die Konturen deutlich hervortraten. Sein Oberkörper war beeindruckend breit, ebenso seine Oberarme, an denen sich der Stoff des Hemds spannte.

»Luc? Nein, er ist der Bruder des Bräutigams. Luc ist kein Mann, der sich zum Ehemann eignet«, erklärte Ribio knapp.

Kein Wunder bei seinem einnehmenden Wesen, ging es Giulia durch den Kopf.

»Luc hat es uns erlaubt, hier zu feiern. Hier haben wir genug Platz für alle Gäste.«

»So, hat er das?«, fragte sie nach.

»Ja, er lebt schon sein ganzes Leben hier, hat sich bis zuletzt um Fabrizio gekümmert, bis zu dessen Tod.«

Überrascht sah sie sich um. Warum hatte Fabrizio nicht Luc alles hinterlassen?

»Und dieser Luc erbt nichts?«, wollte sie wissen.

»Nein, Fabrizio wollte, dass alles in der Familie bleibt, und Marta ist nun mal die nächste Verwandte.«

»Und ich die von Marta«, murmele Giulia gedankenverloren.

»Ja, so schließt sich der Reigen. Kommen Sie, Giulia, feiern Sie mit uns, seien Sie unser Gast. Sie kommen genau zum richtigen Zeitpunkt.«

Er zog sie in die Menge, und sie beglückwünschte das Brautpaar. Pietro und Silva waren noch jung, sahen sehr glücklich aus. Beide waren geschätzt Mitte zwanzig. Sie begrüßten Giulia wie eine alte Freundin, obwohl sie sich gar nicht kannten. Auch die restliche Familie und die Freunde nahmen sie in ihre Gemeinschaft auf, brachten ihr Essen vom Buffet und schenkten ihr Wein ein. Sie musste eine Menge Fragen beantworten, woher sie kam, wie es ihr in London gefiel, ob sie nicht lieber in Italien leben wollte. Sie war total überfordert von so viel Freundlichkeit und konnte sich dem jedoch nicht entziehen. Es war ansteckend, und sie erzählte viel, was sonst gar nicht so ihre Art war. Sie trank Wein, der leicht und bekömmlich war, sang italienische Lieder mit, die sie kannte, weil Nonna sie ihr beigebracht hatte. Die Zeit verging wie im Flug. Sie erfuhr, dass Pietro und dieser Luc Halbbrüder waren. Ihre Mutter war kurz nach Pietros Geburt gestorben. Da es keinen Brautvater gab, fragte Giulia sich, wer wohl die beiden Jungen großgezogen hatte. Ob sich Fabrizio um die zwei gekümmert hatte? Sie bemerkte, dass sie sehr wenig über ihre eigene Familie wusste. Marta hatte sich bisher immer mit Informationen sehr zurückgehalten. Doch je mehr Wein sie trank, umso mehr verdrängte sie die Fragen und feierte ausgelassen mit.

Das alles tat sie, ohne zu wissen, wo sie die Nacht verbringen sollte. Aber es war ihr plötzlich egal. Sie genoss den Abend und das Leben, und als es langsam dunkel wurde, legte sich auch die ausgelassene Stimmung, und es wurde ruhiger. Pietro und Silva eröffneten den Tanz, und Mario forderte Giulia auf, mit ihm zu tanzen. Sie tat ihm den Gefallen. Er war seit drei Jahren Witwer, erzählte er ihr, und nicht nur Anwalt und Notar im Ort, sondern auch der Bürgermeister. Vermutlich gab es niemanden hier, der ihn nicht kannte.

»Wo kann ich eigentlich übernachten, Mario?«, fragte Giulia ihn, als sie nur noch in einer kleinen Gruppe zusammensaßen. »Gibt es in Castellaccio ein Hotel, das Sie empfehlen können?«

»Sie können hier auf dem Weingut schlafen. Der große Kasten hat mehr als genug Zimmer. Anna hat bereits eines für Sie herrichten lassen«, informierte er sie.

»Anna?«

»Ja, sie lebt bereits ihr ganzes Leben auf dem Gut, das schon seit mehr als siebzig Jahren. Sie ist die Haushälterin und gute Seele des Hauses.«

»Wenn ich hier niemanden störe«, sagte Giulia kleinlaut und sah in die Runde.

»Das Haus steht praktisch leer, Giulia, wen sollten Sie stören?« Mario zog an seiner Zigarre, die er gefühlsmäßig den ganzen Abend bei sich trug. »Luc! Komm zu uns!« Er winkte dem unfreundlichen Bruder des Bräutigams zu, der abseits der Gruppe saß und ein Bier trank.

Er hob den Kopf und fixierte Giulia kurz. Oh Gott! Wenn Blicke töten könnten, würde sie jetzt vermutlich vom Stuhl fallen.

»Komm schon Luc, Giulia beißt nicht. Spiel etwas für uns.«

Er zögerte, und Giulia fragte sich, ob sie es war, die für seine schlechte Laune verantwortlich war. Letztendlich nahm er eine Gitarre von der provisorischen Bühne und kam langsam zu ihnen herüber. Sein schulterlanges lockiges Haar trug er mittlerweile zu einem Man Bun gebunden. Auf seinem Gesicht hatte sich ein leichter Bartschatten gebildet und ließ seine gebräunte Haut noch dunkler erscheinen. Seine Bewegungen waren denen einer Raubkatze ähnlich. Er war ein schöner Mann. Groß gewachsen, mit langen Beinen, schmalen Hüften und einem beeindruckend breiten Oberkörper. Er sah aus, als wäre er harte Arbeit gewohnt.

Er ließ sich auf einen Stuhl am anderen Ende des Tisches nieder, und Giulia atmete erleichtert aus, dass eine ganze Tischlänge zwischen ihnen lag. Kurz stimmte er das Instrument, dann ließ er eine langsame Melodie erklingen, die einem sofort zu Herzen ging. Giulia kannte sie. Es war ein Lied von Zucchero. Diamante, wenn sie sich nicht täuschte. Die Gespräche um sie herum verstummten, und alle lauschten Lucs Gitarrenspiel. Als er plötzlich zu singen begann, bekam Giulia eine Gänsehaut. Seine Stimme war sanft, stand ganz im Gegensatz zu diesem so abweisenden Mann. Er war auf sein Spiel und das Singen konzentriert, schloss dabei die Augen. Gab sich vollkommen der Melodie hin und wippte leicht mit dem Kopf. Er sang leise, doch jedes Wort gut verständlich, und er hatte ein Timbre, das man so schnell nicht vergaß. Giulia war ganz gefangen von dem Lied, der Atmosphäre und dieser sanften Klangfarbe der Stimme. Als der letzte Akkord verhallte, entstand für Sekunden eine Stille, dann applaudierten alle.

Verdammt, war er gut. Wirklich gut.

Als hörte er ihre gedachten Worte, hob Luc den Kopf und blickte sie geradewegs an. Das Schwarz seiner Augen ließ sie hart schlucken und bannte Giulia geradezu. Es war buchstäblich unheimlich, welche Verbindung zwischen ihnen entstand. Erst als Giulia die Spannung nicht mehr ertrug, schaute sie weg und unterbrach diesen Kontakt. Der Bann war gebrochen. Giulia hoffte, dass niemand das mitbekommen hatte. Es war ihr peinlich. Was dachte er wohl von ihr?

»Ich denke, ich sollte zu Bett gehen.« Giulia blickte auf ihre Armbanduhr. Sie war mehr als achtzehn Stunden auf den Beinen gewesen und gähnte hinter vorgehaltener Hand. »Es war ein langer Tag für mich, und ich möchte Sie mit Ihrer Familie noch ein wenig allein lassen«, erklärte sie Mario gegenüber.

»Ich bringe Sie zu Anna. Sie wird Ihnen ein Zimmer geben«, sagte er und drückte seine Zigarre in einem Aschenbecher aus.

»Das ist sehr freundlich, Mario. Wann haben Sie Zeit, dass wir uns wegen des Verkaufs zusammensetzen?«, fragte Giulia und holte ihren Koffer und die Reisetasche aus dem Kofferraum, zu dem Mario sie begleitet hatte.

»Sie haben da einen tollen Wagen.« Er ging um das Auto herum, sah es sich von allen Seiten genau an.

»Das ist nur ein Leihwagen, den muss ich wieder zurückgeben, leider. Mir gefällt er auch, und er lässt sich super fahren.« Man hörte die Begeisterung in Giulias Stimme, und sie lächelte verlegen. Als sie eine Bewegung wahrnahm, sah sie Luc, der sie im Schatten der Bäume heimlich beobachtete.

»Jetzt kommen Sie doch erst einmal hier richtig an. Die Toskana ist ein wunderschöner Fleck Erde. Da lohnt es sich, genauer hinzusehen. Das kann man nicht an einem Tag. Sie sollten sich mehr Zeit lassen, und dann werden Sie feststellen, dass Sie gar nicht mehr wegwollen.«

Giulia winkte lachend ab. »Oh doch, Mario. Ich muss wieder weg. Ich habe in London eine Firma, ich kann nicht so einfach alles hinter mir lassen.«

»Wenn man sein Herz an einen Ort verliert, dann muss man seinem Herzen folgen. Sie werden schon sehen, dieser Fleck hier ist ein ganz besonderer. Er lässt einen nicht mehr los.« Mario ließ sich nicht beirren. Er nahm ihr das Gepäck ab und lief voran. »Kommen Sie, Giulia! Lernen Sie Anna kennen. Sie wird froh sein, wenn es einen Gast gibt, um den sie sich kümmern kann.«

Als Giulia sich unsicher umsah, war Lucs Gestalt verschwunden.

2

CASTELLACCIO,

SEPTEMBER 2018

Anna war eine kleine Frau, die Giulia an Nonna erinnerte. Sie schien jedoch ein wenig jünger zu sein. Als Giulia und Mario die Küche betraten, war sie gerade mit dem Abwasch fertig und trocknete ihre Hände an einem gestreiften Handtuch ab. Ihre Augen hatten einen freundlichen Zug.

»Du bist also die kleine Giulia! Groß bist du geworden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als du das letzte Mal hier warst«, sagte Anna und musterte Giulia eingehend.

Sie hatte kaum Erinnerungen daran, dass sie schon mal hier gewesen war. Es war einfach zu lange her und Giulia damals noch zu jung gewesen.

»Ich wollte, ich hätte ebenfalls Erinnerungen daran«, sagte Giulia bedauernd und reichte der Frau die Hand. Sie hatte einen festen Händedruck, der von ehrlicher und harter Arbeit zeugte.

»Ich werde deine Erinnerungen schon wieder hervorholen, mein Kind.« Anna lächelte selbstsicher. Sie hatte weißes Haar, das sie zu einem Dutt gebunden trug. Ihre Augen hatten einen sanften Braunton. Die Fältchen in ihrem Gesicht waren dem Wetter geschuldet. »Ich freue mich, dass du wieder hier bist. Warum hast du Marta nicht mitgebracht? Es geht ihr doch wohl gut?«, fragte sie besorgt.

»Ja, natürlich. Nonna steigt aber nicht mehr in ein Flugzeug, daher hat sie mich geschickt.«

»Sie ist noch nicht einmal zur Beerdigung gekommen. Es wäre an der Zeit gewesen, den Streit zwischen ihr und Fabrizio beizulegen. Nun ist er gestorben, und man kann es nicht mehr gutmachen.« Anna schüttelte den Kopf.

Giulia fragte sich, von welchem Streit die Rede war, doch das würde sie nicht mehr heute Nacht klären, dafür war sie einfach zu müde.

»Komm, mein Kind, ich zeige dir das Zimmer, das ich für dich vorbereitet habe. Schlaf dich aus, und morgen schaut die Welt schon ganz anders aus. Du siehst müde aus.« Sie ging in den Flur und eine breite Treppe in den ersten Stock hinauf. Giulia folgte ihr, und Mario schleppte das Gepäck in ein Zimmer, das auf den ersten Blick nicht besonders groß war. Das war Giulia jedoch egal, Hauptsache, es gab ein Bett.

»Es ist nicht das größte Zimmer im Haus, dafür hat es einen wundervollen Blick in den Garten. Du wirst morgen früh von der Sonne geweckt. Schlaf dich richtig aus, mein Kind. Ich sehe, dass du es gebrauchen kannst.« Anna musterte sie skeptisch.