Das Lächeln des Zen-Meisters - Peter van den Bruck - E-Book

Das Lächeln des Zen-Meisters E-Book

Peter van den Bruck

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Beschreibung

Bei dem Psychiater Professor Freudenberg wird der erfolgreiche Banker Andreas Reig vorstellig, der kurz vor einem großen Karriereschritt durch einen seltsamen nächtlichen Wahnanfall seiner Leistungsfähigkeit beraubt wird. Professor Freudenberg übernimmt den Fall, doch der wächst ihm bald über den Kopf. Als schließlich ein Zen-Meister ins Spiel kommt, nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung ...

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Vorbemerkung

Meister Djüd-schi heißt der im letzten Kapitel auftretende Zen-Meister. Der Name ist dem Gedicht Der erhobene Finger von Hermann Hesse entnommen, das ich hier aus urheberrechtlichen Gründen leider nicht abdrucken darf.

Es geht darin um einen stillen, sanften Zen-Meister, der so bescheiden war, dass er auf Wort und Lehre ganz verzichtete, denn Worte waren seiner Meinung nach nur Schein, den er gewissenhaft meiden wollte. Den philosophischen Höhenflügen mancher seiner Schüler, Mönche und Novizen begegnete er schweigend und sich selbst vor jedem Überschwang hütend. Und wenn sie ihm mit ihren eitlen oder ernsten Fragen kamen, zum Beispiel nach dem Sinn der alten Schriften, nach Buddha, nach der Erleuchtung oder nach dem Anfang und Ende der Welt, zeigte er nur schweigend mit dem Finger leise aufwärts. Dieses stumme und doch beredete Zeigen seines Fingers wurde immer inniger und mahnender, ja es schien zu sprechen, zu lehren, zu loben und zu strafen. Es wies so eindringlich in das Herz der Welt und der Wahrheit, dass es manchen seiner Jünger schließlich zu einer bebenden Erleuchtungserfahrung verhalf.

Wäre ich ein erleuchteter Jünger Meister Djüdschis, hätte ich wohl ein Buch mit lauter unbeschriebenen Seiten vorgelegt. Doch ich bin weder ein Jünger noch erleuchtet. Vielleicht aber lässt sich zwischen den rund zwanzigtausend Wörtern dieses Büchleins dennoch das lächelnde Schweigen hören, in dem vermutlich alleine die Wahrheit zu finden ist.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Epilog

1

Professor Freudenberg betrat den Gruppenraum heute nicht wie üblich mit dem Gefühl wohliger Vorfreude. Er war vielmehr seltsam aufgeregt. Seit Jahren nahm er nun schon an der Supervisionsgruppe teil. Der Arbeitsalltag eines praktizierenden und forschenden Psychiaters forderte ihn sehr und ließ ihm kaum Zeit, auch nur für ein paar Sekunden inne zu halten. Deshalb genoss er es sehr, sich einmal in der Woche für zwei Stunden mit anderen Kollegen austauschen zu können. Er genoss es nicht nur, es war zur Erhaltung seiner eigenen psychischen Gesundheit absolut notwendig, davon war er überzeugt.

Die meisten Gruppenteilnehmer waren bereits anwesend und hatten ihre Plätze auf den zu einem Kreis angeordneten Stühlen eingenommen. Eine feste Sitzordnung gab es nicht. Professor Freudenberg ließ seinen hochgewachsenen, schlaksigen Körper auf einen freien Stuhl fallen, schloss seine blauen, klugen Augen und atmete tief durch. Dann blickte er sich in der Runde um und begrüßte die Kollegen mit einem leichten Nicken und kurzen Augenzwinkern, sofern sich ihre Blicke begegneten.

Zur Tür herein kam nun zusammen mit den restlichen Teilnehmern Dr. Martin, der die Gruppe als Supervisor leitete. Er war von mittelgroßem Wuchs und leicht übergewichtig. Seine Augen wirkten außerordentlich wach und strahlten eine warme Freundlichkeit aus. Seine braunen, schulterlangen Haare waren, wie meist, etwas zerzaust.

Nachdem die Nachzügler die restlichen Stühle in Beschlag genommen und sich kurz gesammelt hatten, eröffnete Dr. Martin die Sitzung mit der üblichen Eingangsrunde, in der jeder Teilnehmer kurz berichtete, was ihn gerade bewegte.

Als Professor Freudenberg an die Reihe kam, war er sich nicht sicher, ob er sein heutiges Befinden der Gruppe mitteilen wollte. Er fuhr sich mit beiden Händen über sein restliches kurzgeschorenes und vollkommen ergrautes Haar. Doch dann begann er zu sprechen: „Ich hatte heute einen äußert seltsamen Fall. Ein vierunddreißigjähriger Mann wurde bei mir vorstellig. Er berichtete von einem Vorfall, der sein Leben durcheinander gebracht habe. Diesen Vorfall könne er sich nur als Wahnvorstellung erklären. Er verlange, von diesem Wahn geheilt zu werden.

Die Anamnese, die ich daraufhin durchführte, erbrachte aber keinerlei Anzeichen für eine wahnhafte Störung!“

Er hielt inne und überlegte, wie er fortfahren sollte. Es fiel ihm schwer, den anderen Ärzten, Psychologen und Therapeuten zu vermitteln, was genau ihn an diesem Fall aufgewühlt hatte. Er befürchtete, dass sie ihn vielleicht selbst für gestört halten könnten.

Dr. Martin sah ihn fragend an. „Ja, Klaus, und was weiter?“

„Nun“, begann Professor Freudenberg zögernd, „ich weiß nicht genau, wie ich es ausdrücken soll.“

„Was möchtest du denn ausdrücken?“, entgegnete Dr. Martin, wobei er das Wort „was“ betonte.

Professor Freudenberg lächelte kurz. Immer wieder war es befremdlich, sich selbst in der Patientenrolle zu befinden und in dieser eigentümlichen Therapeutensprache angesprochen zu werden. Er begann zögernd zu antworten: „Es war da so ein komisches Gefühl ...“

Dr. Martin nickte ihm aufmunternd zu. “Was für ein Gefühl, Klaus? Kannst du es uns beschreiben? Wo im Körper war es lokalisiert?“

Ein zweites Mal musste Professor Freudenberg unwillkürlich lächeln. Doch sofort legte sich wieder ein Schatten über sein Gesicht und mit ernster Miene sprach er weiter. „Nun, es war so ein ... so ein ... ich weiß nicht ... ihr werdet mich für verrückt halten ... ich hatte das Gefühl, dass da ein Mensch vor mir sitzt, der... wie sage ich es nur, der ... also ich hatte das Gefühl, dass ich diesem Menschen überhaupt nicht helfen kann! Ich habe das noch niemals erlebt! Also, ich meine, natürlich gibt es Fälle, bei denen man weiß, dass man wenig machen kann. Bei denen man vielleicht nur ruhigstellen kann. Das Besondere an dieser Geschichte ist aber dieses seltsame Gefühl, dass dieser Mann ...“ Er verstummte und schien in sich selbst zu versinken.

Dr. Neubert, sein Freund und Kollege aus der Psychosomatik, der neben ihm saß, sprach ihn sanft an: „Mensch Klaus! Was ist? Was ist mit diesem Patienten? Du machst mich wirklich neugierig!“

Professor Freudenberg blickte seinen Sitznachbarn an und fand langsam wieder in den Raum zurück.

„Ja, ach so ... also ich weiß einfach nicht, wie ich es beschreiben soll. Der Mann hat mich tief verstört, und ich verstehe nicht, wieso. Ich hatte plötzlich das starke Gefühl, ja es war fast wie eine Gewissheit, dass alles falsch ist, was ich bisher gemacht habe. Mich ergriff das Gefühl einer tiefen Sinnlosigkeit und die Vorstellung, dass ich sofort mein Leben ändern müsse. Wie konnte er das nur so plötzlich in mir auslösen?“ Er schüttelte verständnislos den Kopf.

„Da ist offensichtlich etwas passiert, was dich sehr bewegt hat, Klaus, nicht wahr?“, sagte Dr. Martin. „Möchtest du, dass wir uns das heute etwas genauer anschauen?“

„Ich bin mir nicht sicher. Mein Verstand sagt mir, dass ich natürlich darüber reden sollte, aber ich spüre gleichzeitig auch einen starken Widerstand dagegen.“

„Gut, Klaus. Ich schlage vor, dass wir die Runde erst einmal fortsetzten. Ich frage dich anschließend noch einmal. Ist das ok für dich?“

Professor Freudenberg nickte langsam und wirkte dabei abwesend.

Die restliche Eingangsrunde war schnell beendet, denn alle waren auf die Geschichte des Kollegen neugierig und fassten sich kurz.

Dr. Martin wendete sich anschließend wieder Professor Freudenberg zu: „Nun Klaus, bist zu einer Entscheidung gekommen? Möchtest du über das sprechen, was da heute Nachmittag passiert ist?“

Professor Freudenberg nickte zögerlich und schaute Dr. Martin fast flehentlich an. „An meiner Ambivalenz hat sich nichts geändert. Aber folgen wir der Vernunft. Ich sollte wohl besser darüber reden.“

„Du weißt, dass hier kein ‚Sollen’ am Platz ist!“, antwortete Dr. Martin.

Professor Freudenberg entgegnete nichts und ein lastendes Schweigen legte sich auf die Gruppe nieder. Alle spürten den Kampf, der im Innern Professor Freudenbergs gerade ablief. Nur zu gut wussten sie, dass es selbst – oder gerade – für therapeutisch tätige Menschen manchmal schwierig ist, die Seite zu wechseln und das Innerste preiszugeben.

„Den Termin“, begann Professor Freudenberg endlich, „vereinbarte heute Morgen seine Sekretärin. Der Mann – es fällt mir irgendwie schwer, ihn als Patienten zu sehen – ist irgendein hohes Tier bei einer Bank. Privatversichert. Die Sekretärin bestand darauf, direkt mit mir verbunden zu werden. Sie sprach von einem Notfall und drängte auf einen sofortigen Termin. Sie war wirklich sehr hartnäckig und schließlich schob ich ihn um vierzehn Uhr ein. Irgendwie verwunderte mich die Tatsache, dass er den Termin nicht selbst vereinbart hat. Ich meine, in einer exponierten Stellung will man ja nicht unbedingt publik machen, dass man zum Psychiater geht. Offensichtlich vertraut er seiner Sekretärin. Oder es ist ihm egal. Aber das glaube ich nicht.“

Professor Freudenberg hielt nachdenklich inne. Diese Frage schien ihm aus irgendeinem Grund wichtig zu sein. Doch dann gab er sich einen Ruck und fuhr fort: „Also, um es kurz zu machen: Um vierzehn Uhr, pünktlich auf die Sekunde, betrat er mein Sprechzimmer. Seine Erscheinung erfüllte die gemeine Vorstellung eines Bankers perfekt. Dunkelblauer Maßanzug, tadellos weißes Hemd mit goldenen Manschettenknöpfen, dezente, aber sicherlich sündhaft teure Krawatte. Eine Uhr am Armgelenk, die man vermutlich gegen einen Sportwagen eintauschen könnte. Kurze dunkle Haare, feinsäuberlich frisiert und noch kein Grau zu sehen. Zielstrebiger Gang. Ein fester Händedruck. Jedoch der Gesichtsausdruck passte nicht zu dem Rest seiner Erscheinung. Ich hätte einen selbstbewussten Blick und ein glattes, unverbindliches Lächeln erwartet. Doch der Blick war sehr ernst und irgendwie wirkte der Ausdruck fragend.

Ich fragte ihn, was ihn zu mir führe. Daraufhin begann er ohne Umschweife zu erzählen, dass er in der Nacht vor zwei Tagen ein Erlebnis gehabt habe, das ihn bis zum heutigen Tag immer noch dermaßen im Bann halte, dass er nicht wirklich zu arbeiten in der Lage gewesen sei. Er zeigte sich fest überzeugt, dass dieses nächtliche Erlebnis ein Wahnanfall gewesen sei. Er schaute mich dabei fest an und sagte mit einem eigentümlichen Befehlston: ‚Ich will, dass Sie das weg machen! Ich bin an einem wichtigen Punkt meiner Karriere! Ich kann das jetzt nicht gebrauchen!’

Ich hielt dem Blick stand und wartete einen Moment mit meiner Antwort. Als ich gerade zu sprechen beginnen wollte, veränderte sich plötzlich sein Gesicht. Es bekam einen ängstlichen und gequälten Ausdruck und ein verzweifelter Laut quoll aus seinem tiefsten Innern. Und dieser Laut hat mich zutiefst erschüttert!“

Die letzten Sätze hatten Professor Freudenberg offensichtlich sehr angestrengt. Erschöpft hielt er inne und schaute fragend in die Runde, als wolle er wissen, ob das irgendeiner verstehen könne. Welche entsetzliche Verzweiflung hatten wohl alle seine Kollegen, die ihn jetzt gespannt ansahen, schon so oft bei manchen ihrer Patienten gesehen. Wie sollte er ihnen begreiflich machen, warum dieser eine Laut ihn so verstört hatte. Er begriff es ja selbst nicht!

„Kannst du diesen Laut und deine durch ihn ausgelösten Gefühle noch näher beschreiben?“, fragte Dr. Martin.

Professor Freudenberg überlegte. Schließlich nickte er langsam. „Ja, also das war so ein vollkommen unmenschlicher Laut. Ich meine, wir alle haben sicher Patienten schon schreien hören wie die Tiere. Aber dieser Laut war nicht von dieser Welt! Er schien die Welt geradezu vernichten zu wollen! Ja, es war ein Gefühl, als rufe da das Nichts aus ihm heraus. Mir laufen noch jetzt tausend Schauer über den Rücken, wenn ich daran denke!“

Dr. Martin nickte verständnisvoll. „Gut Klaus, ich glaube, ich verstehe dich. Was passierte...“

„Nichts verstehst du!“, fuhr ihm Professor Freudenberg ärgerlich ins Wort und plötzlich schrie er mit einem wilden Gesichtsausdruck in die Runde: „Gar nichts versteht ihr! Da gibt es nichts zu verstehen!“ Dann sackte er in sich zusammen und sagte wie zu sich selbst: „Das ist es ja gerade: Ich verstehe es nicht!“

Alle im Raum hielten die Luft an und warteten gespannt, was weiter folgen würde. Professor Freudenberg blickte plötzlich auf, als seien ihm erst jetzt wieder die Anwesenden zu Bewusstsein gekommen. Verlegen stammelte er eine Entschuldigung.

„Ist ok, Klaus“, sagte Dr. Martin. „Möchtest du uns berichten, was dann weiter geschah?“

„Ja ... also ...“ Professor Freudenberg wirkte plötzlich müde und zerstreut. „Nachdem sich dieser furchtbare Laut gelöst hatte, starrte der Mann zu Boden. Ich weiß nicht, wie lange ich gebraucht habe, um mich von meinen Gefühlen halbwegs zu erholen. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Jedenfalls versuchte ich mich dann zusammen zu reißen