Das Leben nach dem Happy End - Frieder Sigloch - E-Book

Das Leben nach dem Happy End E-Book

Frieder Sigloch

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Beschreibung

Geschichten und Musik (Downloadcode) "Irgendwann wird einem klar, dass man wohl alt werden wird, wenn man nicht jung sterben will. Und dafür bin ich eh schon zu spät dran."   Frieder Sigloch, Jahrgang 1966 erzählt in diesen 12 Kapiteln seine Geschichten, über das Leben nach dem Happyend, über Gott, die Welt und seine Zeit als Sänger der Band SCHULZE, warum er bis heute kein mobiles Endgerät will und weshalb es helfen kann, sich von sich selbst nicht immer alles gefallen zu lassen. Die kurzweiligen Abschnitte sind nach den 12 Liedern benannt, die auf dem gleichnamigen Album seiner Band Fries zu hören sind. Die 28 Seiten desTexthefts und die Musik (als Code zum Downloaden) sind in dieser 2. Auflage mit dabei.

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Seitenzahl: 65

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Für Anja.

Danke für das

Happy End

und das Leben danach.

Diese 2. Auflage beinhaltet neben dem Buchteil auch das

dazugehörige Musik-Album

der Band FRIES als Downloadversion mit den Seiten des Textheftes.

Musik hier downloaden

Inhalt

Die Zeit wartet nicht

Immer eins mehr

Neuland

Wenn nicht wir, wer dann?

Kind des Himmels

Sommermelancholie

Stille Zeit

Mein Ding

Weitergehn

Wir tun so, als wär nichts

Das Leben nach dem Happy End

Lass es gut sein

Die Zeit wartet nicht

Als drittes von fünf Kindern bin ich in Albstadt-Ebingen im Pfarrhaus in der Ostheimstraße geboren. Noch heute träume ich immer mal wieder von dem Haus, wie ich es als Erwachsener besuche und durch die Zimmer laufe. Aber die Bilder sind blass. Wenn ich mich mit meiner Schwester unterhalte, fällt mir auf, wie viel mehr Erinnerungen sie hat als ich. Klar, sie ist drei Jahre und einen Tag älter als ich. Aber das allein erklärt es wohl nicht. Vielleicht war ich schon immer ein „Hier und Jetzt“-Typ.

Es gibt ein Fotoalbum mit Schwarz-weiß-Fotos aus der Zeit, das die eine oder andere Alltagsszene zeigt. Es kommt mir aber eher wie eine alte Geschichte vor und hat gefühlsmäßig mit mir und meinem Leben wenig bis gar nichts zu tun.

Vielleicht gerade, weil ich so wenige greifbare Erinnerungen habe, sind mir die, die ich habe, sehr wertvoll. Beispielsweise wie ich immer beim Abendläuten der Glocken nach Haus gerannt bin oder manche lustige Familiengespräche beim Abendessen.

Hätte ich einen Wunsch frei, würde ich gern meine Kindheit als Videoserie anschauen. Auch in der Hoffnung, mich und die Menschen um mich herum besser zu verstehen.

Ich stelle mir vor, dass all das im Himmel seinen Platz hatte und noch hat. Vielleicht gibt es dort ja ein Archiv für alles, was wir Menschen jemals erlebt haben.

Wenn ich im Himmel bin, setze ich mich in den Vorführraum und schaue mir das alles ein paarmal an. Das dauert zwar eine Weile, aber wenn man eine Ewigkeit lang Zeit hat, kann man das schon mal machen.

Für eine Reise nach Namibia Anfang der 2000-er habe ich eine Videokamera gekauft, um die Giraffen und Elefanten in bewegten Bildern einfangen zu können. Danach habe ich die Kamera oft genutzt, um immer wieder zu filmen, was unser Leben so ausmacht. Viele Alltagsszenen, vor allem, als die Kinder noch klein waren.

Auf diese Art und Weise habe ich etliche hundert drei- bis fünfminütige Videos auf einer Festplatte gespeichert, die wir uns gerne immer wieder anschauen. Wenn es bei uns mal brennen sollte, wäre diese Speicherplatte das Erste, was ich aus den Flammen hole, noch vor meiner Gitarre. Und das soll was heißen.

Diese Videos haben aber auch noch einen spannenden Nebeneffekt für mich und für die Kinder: Erinnerungen werden gefestigt. Meine Tochter Lisa hat schon öfter gesagt, dass sie sich noch an ganz viele Dinge genau erinnern kann. Und oft sind das Erinnerungen aus dem Umfeld dieser auf Video festgehaltenen Ereignisse.

Meine Kinder nennen mich oft liebevoll einen Greis. In dreieinhalb Jahren kann ich mir am Skilift eine Seniorenkarte kaufen.

Der Gedanke verträgt sich nicht immer mit meinem Gefühl, doch meist noch ganz vital zu sein. Aber dass ich nicht mehr jung bin, das hat sich auch schon bis zu meiner Selbstwahrnehmungszentrale rumgesprochen.

Als ich 19 war, sagte mein 80-jähriger Großonkel zu mir und meinen Geschwistern: „Ich wäre gern noch mal so jung wie ihr, aber nicht mehr so dumm“. Ich weiß heute, wie er das gemeint hat. Ich hatte inzwischen doch schon etliche Lebensabschnitte. Und nicht nur kurze. Klar, dass sich das irgendwann summiert.

Als ich 9 war, sind wir nach Neuffen gezogen.

Mit 16 bin ich raus aus der Schule und habe meine Schreinerlehre gemacht. Die Alternative wäre für mich gewesen, Abitur zu machen und Psychologie zu studieren. Leider war ich in der Schule zu faul und zu schlecht, und als ich dann auf einer Familien-Freizeit meinen späteren Lehrmeister kennengelernt habe, war mir klar: Das will ich machen!

So wie er wollte ich auch sein.

Nach meiner Lehre und anschließender 20-monatiger Zivildienstzeit auf einer Art Bauernhof arbeitete ich als Schreiner und gründete parallel dazu mit Freunden unsere Band „Schulze“.

Es begann mit einigen kleineren Auftritten, und nach und nach steigerten wir uns, wurden besser und hatten immer mehr Konzerte. Als wir dann sowohl die Vorrunde als auch das Finale des ZDF-Talentwettbewerbs „Hut ab“ gewonnen hatten, erreichte das Ganze ein neues Level auf professionellem Niveau: Als Prämie bekamen wir einen Plattenvertrag bei einem sogenannten „Major Label“, also einer finanzkräftigen Plattenfirma. Es folgte eine spannende Zeit, in der alles, was mit Schulze zu tun hatte, im Vordergrund stand. Nach etlichen Konzerten, Radio-Interviews und Fernsehauftritten machten wir noch ein zweites Album bei besagter Plattenfirma und waren viel unterwegs.

Zwischendurch habe ich immer noch ab und zu als freiberuflicher Handwerker gearbeitet, um das nötige Kleingeld zu verdienen. Wir waren zwar ziemlich erfolgreich und gut beschäftigt, aber für den richtigen Durchbruch hat es irgendwie doch nicht gereicht. Die Gründe dafür sind vielschichtig, und je nach Blickwinkel fällt die Analyse unterschiedlich aus. Vielleicht hat einfach der letzte Schuss Genialität, Wille oder Glück gefehlt – wer weiß.

Insgesamt waren es 18 Jahre Band, 7 Alben und über 600 Konzerte, bis wir dann schließlich im März 2003 unser Abschiedskonzert gaben. Eine pralle, tolle Zeit mit vielen eindrücklichen Begegnungen.

Immer wieder spiele ich mit dem Gedanken, wie mein Leben ausgesehen hätte, wenn wir mit der Musik tatsächlich den einen oder anderen großen Hit gelandet hätten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt zufriedener wäre, so im Rückblick. Das alles ist über 20 Jahre her, und wie gut ich im Erinnern bin, habe ich ja bereits erzählt.

Wenn ich mich mit den alten Weggefährten über die Zeit unterhalte, kommen mir manchmal die Geschichten so neu vor, als wäre ich nicht dabei gewesen. Ich hatte oft den Fokus auf meiner eigenen Rolle und Aufgabe und blendete vieles aus, was meinem ADHS-geplagten Hirn zu viel wurde.

Auf den ersten Blick klingt das gut, und es hat auch Vorteile, wenn es einem gelingt, ganz im Augenblick zu leben. Aber es geht dabei auch vieles verloren, was ich eigentlich nicht verlieren möchte. Und ich übersehe Menschen, die ich nicht übersehen möchte. Meine Wahrnehmung ist einfach manchmal zu eingeengt. Ich kenne das aus meiner Familie und hätte gern etwas weniger davon geerbt.

Zwischendurch habe ich nebenbei meine Ausbildung als Fachlehrer beendet. Seit 20 Jahren bin ich nun in der Schule und unterrichte Fünft- bis ZehntklässlerInnen im Fach Technik.

Vor einigen Jahren habe ich mich noch zusätzlich als Beratungslehrer ausbilden lassen und war acht Jahre lang in der schulpsychologischen Beratungsstelle tätig. So hat sich dann irgendwie doch ein Kreis geschlossen zu meinen früheren beruflichen Überlegungen.

All diese Stationen und die dazugehörigen Menschen haben mich geprägt, und ich habe viel gelernt. Nichts davon habe ich bereut. Auch wenn es immer mal wieder an der Zeit war, weiterzugehen.

Wenn heute ein Schüler vor mir sitzt und nicht weiß, was er werden soll, ist meine Empfehlung: Schlicht mit dem anfangen, was am ehesten denkbar ist. Einfach losmarschieren.

Der Weg entsteht beim Gehen. Zu Hause zu sitzen, bis die Erleuchtung kommt? Ich kenne niemanden, bei dem das geklappt hat.

Ich weiß aber auch, dass es beileibe nicht nur mein Verdienst ist, dass ich zufrieden auf die Strecke zurückblicken kann, die ich gehen durfte. Es gibt und gab viele sehr wichtige Wegbegleiter, die mit mir einen Teil des Weges gegangen sind, die geholfen haben Weichen zu stellen, oder mich manchmal gar getragen haben. Menschen, die es einfach so gut mit mir gemeint haben, obwohl ich oft erst im Nachhinein gemerkt habe, wie selbstlos sie in mich investiert haben.