Das Österreich-Lesebuch - Almut Irmscher - E-Book

Das Österreich-Lesebuch E-Book

Almut Irmscher

0,0

Beschreibung

Österreich – allein der Name weckt Sehnsucht nach den Alpen, nach der grandiosen Schönheit ihrer Natur. Gewaltige Bergmassive, deren Gipfel in der Abendsonne aufglühen, saftige Weiden, von denen das stete Läuten der Kuhglocken ins Tal hinabschallt, zufriedene Menschen, gesegnet mit dem Glück, hier leben zu dürfen. Doch Österreich ist nicht nurSehnsuchtsland.Es blickt zurück auf eine reiche Vergangenheit und ist die Heimat bedeutender Künstlerund Wissenschaftler. An den Ufern der Donau und in den grünen Tälern zwischen spektakulären Gebirgszügen erblüht eine ganz besondere Kultur. Hier wiegen sich die Tanzenden im Rhythmus gefälliger Walzerklänge, und die Zuckerbäcker überpudern ihr Gebäck wie der Winterschnee die himmelstürmenden Alpengipfel. Es ist ein Land voller Zauber und voller Geschichten. In diesem Buch wird so manches davon lebendig. Die österreichische Küche verführt sowohl mit deftigen als auch mit feinen Spezialitäten. Zur Abrundung der Impressionen aus der Alpenrepublik schließt deshalb jedes Kapitel mit einem typischen Rezept, damit österreichischer Genuss auch in die heimische Küche Einzug halten kann.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 211

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Almut Irmscher

Das Österreich-Lesebuch

Impressionen und Rezepte aus dem Land von Walzertakt und Mozartkugeln

Inhalt

Einführung

Geschichten aus dem Wienerwald – Österreich und seine Wiener Klänge

Kaiserschmarrn

Pause mit Jause – vom Essen in Österreich

Wiener Schnitzel

Das Märchen vom Wein – eine deutsch-österreichische Kriminalgeschichte

Winterliche Zweigelt-Vanille-Knödel

Willkommen im Urlaubsparadies – Ferien im Oberpinzgau

Zwiebelrostbraten mit Polenta- Palatschinken und Butterstrankerln

Küss die Hand, gnä‘ Frau Geheimrat – die Inflation der Titel

Linzer Torte

Magie am Bodensee – die Festspiele von Bregenz

Bodenseefelchen mit Kren-Oberssauce

Mord im Grenzgebiet – ein grausiger Fund im Hochgebirge

Frittatensuppe

Würze, Kirche, Hochkultur – Salzburg im Regen

Salzburger Nockerln

Schönheit will hoch hinaus – die Traumstraße am Großglockner

Eierschwammerln in Knödeln und Sauce

Vom Wienerlied bis in die Charts – der tragische Held des Austropop

Sachertorte

Unterwegs auf der Donau – der Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän

Käsepogatscherl

Liptauer

Ferien mit Flora – die Wege der Haflinger

Germknödel mit Mohnzucker und Vanillesauce

Der Buschmann und die Wildgans – aus der Kinderstube der Verhaltensforschung

Apfelstrudel

Eine Legende von Hochosterwitz – Margarete Maultasch

Tiroler Knödel

Kraftakt vor grandioser Kulisse – die Stauseen von Kaprun

Zwetschkenröster

Funkelnd schöner Schein – Glitzersteine aus Tirol

Schweinsbraten mit Kraut und Grießknödeln

Eine Badewanne in der Puszta – der Neusiedler See

Pannonische Apfelkrapfen

Als Phoenix aus der Asche stieg – der Glücksritter der Formel 1

Marillenknödel mit Sauce

Marhaba bikum fi Sellamsi! – Willkommen in Zell am See!

Schafbratl aus Zell am See

Innsbruck, ich muss dich lassen – das Goldene Dachl

Tiroler Gröstl

I’ll be back – ein Wunderwuzzi aus der Steiermark

Steirischer Polentasterz

Die Last mit dem Auf und Ab – eine Bergtour in den Kitzbüheler Alpen

Tafelspitz mit Apfelkren, Krenobers und Wurzelgemüse

Sissi – Schicksal und Mythos einer Kaiserin

Veilchensorbet à la Sisi

Das letzte Wort

Danksagung

Karte

Bilder

Einführung

Warum Österreich? In den Sommerferien meiner frühen Kindheit kam immer nur dieses eine Ziel infrage. Damals, in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren, standen Fernreisen noch nicht auf dem Reiseplan der Durchschnittsdeutschen. Dafür gab es aber Sommerurlaub satt. Ganze vier Wochen verbrachten wir jedes Jahr in der Alpenrepublik, zunächst stets in Mittersill an der Felbertauernstraße. Später blieben wir dort nur noch aus alter Anhänglichkeit für eine Woche, um danach den Rest der Ferien in Kärnten zu verbringen. Denn Kärnten liegt südlich des Alpenhauptkamms, einer gedachten Linie, die sich von West nach Ost durch das gesamte Gebirge erstreckt.

Entlang ihres Verlaufs befinden sich die höchsten Gipfel, was mehrere Konsequenzen nach sich zieht. Zum einen sind sie das Haupthindernis für Reisende, die auf der Nord-Süd-Route unterwegs sind. Das machte hier die Überwindung beschwerlicher Passstraßen erforderlich und führte mit fortschreitender Entwicklung der Technik schließlich zum Bau der großen Alpentunnel und der Brennerautobahn, um die Fahrt zu erleichtern. Zum anderen scheiden sich am Alpenhauptkamm aufgrund der natürlichen Gegebenheiten die Gewässer und fließen jeweils in entgegengesetzte Richtungen ab.

Den Ausschlag für die Reiseplanung meiner Eltern gab jedoch noch ein anderes Phänomen: die durch den Alpenhauptkamm bedingte Wetterscheide. Nördlich des Hauptkamms ist es kühler und regnerischer, südlich davon erhellen hingegen bereits erste mediterrane Einflüsse den Horizont. In Mittersill empfand es zumindest meine Mutter als entschieden zu kalt und verregnet. Fuhren wir hingegen über die Felbertauernstraße bis Matrei in Osttirol, so lachte dort oft die Sonne vom blauen Himmel, während sich weiter nördlich das Salzburger Land noch wolkenverhangen und regnerisch präsentierte.

Die schnelle Fahrt von Mittersill ins sonnige Matrei hatte der 1967 fertiggestellte Felbertauerntunnel ermöglicht, der Reisenden die Überquerung der Hohen Tauern erspart, indem er auf einer gut fünf Kilometer langen Strecke einfach darunter hindurchführt. Ich erinnere mich noch ganz dunkel an den letzten Sommer vor seiner Fertigstellung. Ein mit unserer Pensionswirtin bekannter Ingenieur ermöglichte meinen Eltern und mir eine Privatführung in die düstere Röhre. Wir mussten gelbe Schutzhelme aufsetzen und begaben uns sodann ins staubige Innere der kolossalen Felswand, wo sich zahlreiche Arbeiter und Maschinen im Einsatz befanden.

Ehrlich gestanden fand ich es noch wesentlich spannender, dass dieser Ingenieur mir später die Geschichte von einem mysteriösen Berggeist erzählte. Wir hatten uns gemeinsam auf einen Spaziergang durch ein mit gigantischen Felsbrocken übersätes Tal begeben, und mit einem Mal verschwand der Ingenieur unbemerkt hinter ebenjenen Felsen, um unheimliche Geräusche von sich zu geben. Natürlich gelangte ich sofort zu der festen Überzeugung, dass besagter Berggeist dort sein Unwesen treibe, und zeigte mich einigermaßen bestürzt. Österreich geriet in meiner Vorstellung zum Land der hohen Berge und der unheimlichen Geister. Auf geheimnisvolle Weise schaurig schön, fremdartig und doch vertraut. Denn die Menschen sprachen zwar für mein Empfinden etwas eigenartig, doch im Großen und Ganzen recht gut verständlich. Und trotzdem befanden wir Deutschen uns hier im Ausland, was meiner kindlichen Neugierde gegenüber allem Fremden sehr zupass kam.

Damals wusste ich noch nichts von der Geschichte. Ich wusste nichts davon, wie es zur Herausbildung der deutschen und der österreichischen Nation kam, geschweige denn, dass ich jemals vom »Anschluss« Österreichs ans Deutsche Reich gehört hätte. Ich sah die Welt noch mit Kinderaugen, für mich eine statische Welt, die wohl schon seit jeher so existierte, wie ich sie wahrnahm.

Tatsächlich ist auch das Nationalempfinden der Deutschen zu jener Zeit noch nicht wirklich alt gewesen – wenngleich es bekanntermaßen bereits zu allerübelsten Entgleisungen geführt hatte. Doch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein stellte Deutschland ja ein Gewirr von kleinen und kleinsten Fürstentümern dar, eine nationale Einheit gab es noch nicht und daher auch keine Abgrenzung eines gesamtdeutschen Staates auf der einen zu einem österreichischen auf der anderen Seite. Wohl herrschte dort mit der Dynastie der Habsburger das sogenannte »Haus Österreich«, die ihm unterworfenen Völker betrachteten es aber nicht als identitätsstiftend. In sprachlicher, kultureller und ideologischer Hinsicht empfanden sich die Bewohner dieser Gebiete eher als der deutschen Identität zugehörig.

Die Wende kam mit dem »Anschluss« ans Deutsche Reich, dem Zweiten Weltkrieg und dem Grauen, das die Nazis heraufbeschworen. Der Berliner Politikwissenschaftler Richard Löwenthal hat die Situation einmal sehr schön auf den Punkt gebracht, indem er sagte: »Die Österreicher wollten Deutsche werden – bis sie es dann wurden.« Es lässt sich wohl feststellen, dass erst die durch den Nationalsozialismus verursachte Katastrophe zur Herausbildung einer österreichischen Identität geführt hat. Die politische Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg ließ den österreichischen Staat erstarken und führte letztlich zum heutigen Nationalbewusstsein des österreichischen Volks.

All das wusste ich damals noch nicht. Aber ich sah beneidenswerte Menschen, die dort leben durften, wohin wir in Urlaub fuhren. Statt in staubgrauen, bunkerhässlichen und trostlosen deutschen Nachkriegsstädten lebten die Österreicher in geraniengeschmückten Bauernhäusern, umgeben von duftenden Kräuterwiesen und himmelstürmenden Berggipfeln, vom Läuten der Kuhglocken und vom Wiehern der hübschen Haflingerpferde. Sie trugen fesche Dirndlkleider und Lederhosen, speisten deftige Hausmannskost und krönten die Mahlzeiten mit üppigen Süßspeisen, was meinen kindlichen Geschmacksknospen sehr entgegenkam. Irgendwie schien hier alles zuckersüß zu sein und keineswegs so ernst und so trist wie daheim. Es kam mir vor, als ob die Österreicher unter einer gigantischen Glocke lebten, unter der eine ungetrübte Idylle herrschte.

Das entsprach genau dem Weltbild, das die Heimatfilme damals den Nachkriegsdeutschen als verlorene Sphäre einer vermeintlich »guten alten Zeit« vorgaukelten. Diese Zeit existierte niemals in Wirklichkeit, sie entsprang eher der Fantasy-Ästhetik der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Romy Schneider als »Sissi« an der Seite des gutaussehenden Karlheinz Böhm galt als das fleischgewordene Sinnbild des alpinen Glücks in Österreich. Dass die Realität der echten Elisabeth von Österreich-Ungarn in scharfem Gegensatz dazu stand – wen kümmerte es? Und natürlich kam auch die bildschöne Romy Schneider aus Österreich, genau wie viele andere große Stars des deutschsprachigen Kinos jener Zeit: Maximilian Schell, Curd Jürgens, Maria Schell, O.W. Fischer, allesamt stammten sie aus dem neu entdeckten Sehnsuchtsland Österreich.

Liefen keine rührenden Heimatfilme vor imposanten Bergpanoramen oder Spielfilme von Billy Wilder und Fritz Lang – beide Österreicher –, so lenkte das deutsche Fernsehen seine Zuschauer gern mit leichter Muse vom Alltag ab. Auf die Bühne traten Udo Jürgens und Peter Alexander: Österreicher natürlich! Die großen Samstagabendshows wurden mit Musik von Robert Stolz und anderen Operettenklängen untermalt – woher? Aus Österreich! Später trat der Österreicher André Heller auf den Plan und mischte ein äußerst erfolgreiches Potpourri aus Chanson, Magie und Aktionskunst. Stars wie Senta Berger, Christiane Hörbiger, Klaus Maria Brandauer, Arnold Schwarzenegger, Christoph Waltz oder Elyas M’Barek führten die Tradition österreichischer Schauspielerfolge bis in die Jetztzeit fort, und auf musikalischem Gebiet traten so unterschiedliche Künstler wie Rainhard Fendrich, Falco, Georg Danzer, Wolfgang Ambros, die Erste Allgemeine Verunsicherung, Kruder & Dorfmeister oder Conchita Wurst auf den Plan. Und selbst der typische »Hamburger Junge« der Sechzigerjahre, Freddy Quinn, kam in Wirklichkeit aus Österreich.

Österreich schenkte uns den Musikantenstadl, aber auch Hochkarätiges wie das Burgtheater, die Wiener Staatsoper oder die Festspiele von Bregenz und Salzburg. Mozart stammte aus Österreich, Gustav Mahler, Joseph Haydn, Franz Schubert und die beiden Komponisten namens Johann Strauss, die Vater und Sohn sind, genauso wie Herbert von Karajan und Karl Böhm. Selbst die Karriere der Nordlichter Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms kam erst in Wien so richtig in Gang.

Was ist es, dass die Österreicher so sehr zu inspirieren scheint? Noch heute genießen die eingängigen Melodien der Operette in Österreich einen hohen Stellenwert. Sie blühten mit den beschwingten Walzerklängen auf, der Popmusik des 19. Jahrhunderts. Liegen hier die Wurzeln der österreichischen Heimatromantik verborgen?

Wenn Sie die Eindrücke noch weiter vertiefen möchten, dann sehen Sie sich begleitend zur Lektüre die Bilder im Fotoalbum auf meiner Website www.almutirmscher.de an, und lesen Sie auch mein Reiselesebuch »Wien – Geschichten und Rezepte aus der Stadt der Donaumonarchie«, erschienen im MANA-Verlag.

Geschichten aus dem Wienerwald – Österreich und seine Wiener Klänge

Lange bevor wir lernten, den Wienerwald mit Grillhähnchen zu assoziieren, eroberte das gleichnamige Mittelgebirge mit seinen waldreichen Höhenzügen bereits als Naherholungsgebiet das Herz der Wiener. Der Wienerwald stellt den östlichsten Ausläufer der Alpen dar, und die geringe Entfernung zur Metropole Wien sorgt dafür, dass er dem, was sich die Wiener unter idyllischer Natur vorstellen, im wahrsten Sinne des Wortes am nächsten kommt. So wurde er für sie zum Sinnbild des leichten, angenehmen Lebens, und Starkomponist Johann Strauss Sohn machte daraus eine Legende, indem er seinem Walzererfolg von 1868 den Titel »Geschichten aus dem Wienerwald« gab. Damit wollte er nicht nur romantische Gefühle wecken, sondern auch auf den Ursprung des seinerzeit hochbeliebten Walzers in den urtümlichen Volkstänzen der Wienerwälder hinweisen. Die dabei als Soloinstrument eingesetzte Zither unterstreicht diese Volksnähe seiner Komposition. Sie schlägt sozusagen eine Brücke vom Tanzvergnügen der Dorfjugend, das als leicht anrüchig galt, hin zum höfischen Gesellschaftstanz.

Prägten zunächst noch italienische Komponisten die Musik der beginnenden Neuzeit maßgeblich, so bahnte sich im 18. Jahrhundert eine grundlegende Veränderung an. Mit der Wiener Klassik entstand im Zeitalter des Barocks eine weitaus komplexere und eingängiger arrangierte Musik denn je. Als unumstrittener Star jener Zeit trat Wolfgang Amadeus Mozart auf den Plan, und der wirkte größtenteils in Wien. Schon zu Lebzeiten berühmt, begann nach seinem frühen Tod eine Glorifizierung seiner Person, die Wien mit ihrem Sog geradewegs in den Himmel der Musikszene katapultierte. Davon profitierte Mozarts Zeitgenosse Joseph Haydn, der ebenfalls in Wien arbeitete. Magisch von der musikalischen Aura angezogen erschien auch Ludwig van Beethoven in der Stadt und führte deren Mythos mit ungeahnten Höhenflügen fort. Wien avancierte zur Welthauptstadt der Musik. Diese sagenhaften Erfolge wurden auch durch großzügige Mäzene beflügelt. Kaiser und Hofstaat ließen sich von der Wiener Musik bezaubern und sonnten sich in deren Glanz. Im Gegenzug zeigten sie sich gegenüber den Musikern äußerst spendabel.

Daher gewann die Wiener Musik mehr und mehr höfisches Gepräge. Sie wurde künstlerisch so fein ziseliert und dabei doch auch so weit glatt geschliffen, dass sie den Ohren der erlauchten Gesellschaft schmeichelte. Und so entwickelte sich im 19. Jahrhundert schließlich der Wiener Walzer. Die Herkunft seines Namens findet sich im Verb »walzen«, womit das kreisende Drehen der Tanzenden gemeint ist. Derartige Walz-Volkstänze existierten schon länger, doch galten sie wegen der damit verbundenen engen körperlichen Berührung in den besseren Kreisen als verpönt. Das änderte sich mit dem Wiener Kongress, der von September 1814 an neun Monate lang dauerte und die europäische Elite in der Stadt an der Donau zusammenführte. Es wurde verhandelt, was das Zeug hielt, denn es ging um nichts Geringeres als die Neuordnung der innereuropäischen Grenzen nach dem Chaos, das Napoleons Eroberungszüge angerichtet hatten.

Doch die Herren konnten sich schwerlich ganze neun Monate hindurch zähen und trockenen Verhandlungen hingeben, ohne zwischendurch ein wenig Kurzweil und Vergnügen zu genießen. Vielleicht haben es die Wiener dabei sogar ein wenig übertrieben, denn sie gestalteten ein so aufwendiges Rahmenprogramm aus pompösen Bällen, musikalischen Soireen und Tanzveranstaltungen, dass es den gestrengen belgischen Diplomaten Charles Joseph de Ligne zu der Legende gewordenen Bemerkung veranlasste, »der Kongress tanzt, aber er kommt nicht vorwärts«. De Ligne starb schon im dritten Monat des Kongresses, ob vor Gram angesichts der ausgelassenen Tänzer, ist mir allerdings nicht bekannt.

Bekannt wurde hingegen der Wiener Walzer, der anlässlich des Wiener Kongresses seine große Geburtsstunde auf internationalem Parkett feierte. An diese kulturelle Revolution erinnert bis zum heutigen Tag der Wiener Opernball als gesellschaftlicher Höhepunkt der winterlichen Ballsaison. Alljährlich wird er am Donnerstag vor Aschermittwoch mit 5.000 illustren Gästen in der Wiener Staatsoper zelebriert.

Als Pop-Titan der Walzerzeit profilierte sich Johann Strauss Sohn. Er entführte seine Fans nicht nur in den Wienerwald, er nahm sie mit an zahllose Orte des Schwelgens und des Träumens, von der Elbe bis an die schöne blaue Donau, von der Gartenlaube bis in den Orient, von den Rosen des Südens bis zu den Bonbons aus Wien. Da gab es den Kuss-Walzer und den Kaiser-Walzer, den Lagunen-Walzer und den Schatz-Walzer, und zu schier unzähligen Walzern gesellten sich noch mehr Polkas, Quadrillen und Märsche. Denn wo die Damen sich gern der weich dahinfließenden Walzermusik hingaben, da schätzten die Herren das militärisch Zackige. Schließlich gelang vor Strauss junior schon seinem Vater mit einem Marsch der Aufstieg zum Star: Er komponierte den höchst populären Radetzky-Marsch, daneben aber auch zahlreiche andere Märsche, Polkas und Walzer. Die Wiener Musikszene jener Zeit lag fest in den Händen der Strauss-Dynastie von Vater und Sohn. Johann junior gelang es schließlich auch, sehr erfolgreich auf den Operetten-Zug aufzuspringen, der seinerzeit aus Paris kommend in Wien eintraf.

An der Seine feierte der Kölner Jacques Offenbach mit seinen heiteren musikalischen Singspielen sagenhafte Erfolge. Obwohl er als Erfinder der Operette gilt, prägten erst die Wiener unsere heutige Vorstellung von diesem musikalischen Genre. Denn die Wiener Operette unterscheidet sich erheblich vom Offenbach‘schen Werk, sie ist von vollerem Klang, vor allem aber auch deutlich stärker auf eine effektvolle Bühnenshow ausgerichtet. Während Offenbach noch die Oper parodieren wollte, feiert sich die Wiener Operette als Kunstform an sich. Mit ihren professionellen Tanzeinlagen erscheint sie wie eine frühe Form der Revue. Sie diente der humorvollen, kurzweiligen Unterhaltung auf gehobenem Niveau, gewürzt mit einer ordentlichen Prise von Wiener Schmäh. Damit hob sie sich von den bis dato üblichen possenhaften Singspielen ab, die zur Belustigung des einfachen Volks aufgeführt wurden. Andererseits zeigte sie sich aber auch nicht so elitär, altmodisch und vor allem teuer wie die große Oper.

Als Vorreiter am Wiener Theater betätigte sich Franz von Suppé, der 1860 die erste Wiener Operette zur Aufführung brachte. Die Show traf den Nerv des Zeitgeists, da lag es nahe, den großen Hitlieferanten der Wiener Musikszene für weitere Produktionen hinzuzuziehen. So verband Johann Strauss die Theaterbühne mit dem Ballsaal und schuf schließlich mit der »Fledermaus« den umjubelten Höhepunkt der goldenen Phase dieser Wiener Operettenära. Zahlreiche seiner Welterfolge wie »Eine Nacht in Venedig« oder »Der Zigeunerbaron« werden noch heute gern zur Aufführung gebracht.

Mit dem Siegeszug der Operetten setzte auch die Epoche der Diven ein. Glamouröse Sopranistinnen faszinierten das Publikum mit ihrem Charisma zu einer Zeit, in der Frauen ansonsten noch nicht allzu viel ausrichten konnten. Gleichzeitig gelang es so manchem Tenor, mit samtiger Stimme zum vielumjubelten Frauenschwarm aufzusteigen.

Die ersten großen Triumphe der Wiener Operette fielen in die Gründerzeit, eine Phase, in der es großen Teilen der Bevölkerung wirtschaftlich besser ging, in der Optimismus und Weltoffenheit das Lebensgefühl prägten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen sich aber zunehmend gesellschaftskritischere Nuancen in die Thematik zu mischen, es entstanden Werke wie »Der Bettelstudent« oder »Die Landstreicher«.

Das Ende der unbeschwerten Romantik schildert Ödön von Horváth in seinem Drama »Geschichten aus dem Wiener Wald« von 1931. Es enthüllt zugleich die Scheinheiligkeit der sprichwörtlichen Wiener Gemütlichkeit. Denn das Stück spielt zur Zeit der großen Weltwirtschaftskrise Ende der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Es erzählt von Not, Elend, Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg vor dem Hintergrund kleinbürgerlicher Boshaftigkeit und Brutalität. Es ist sozusagen ein sozialkritischer Gegenentwurf zur heilen Welt der Operette und lässt alle süßlichen Klischees am Schluss entblättert zurück.

Und dennoch ist die Operette mit ihrer Walzerseligkeit und ihrem Melodienzauber für viele Österreicher auch heute noch eine Herzensangelegenheit. Denn manchmal ist es eben tröstlich, zumindest für eine kurze Weile in einer märchenhaften Traumwelt zu schwelgen.

Kaiserschmarrn

Zutaten für 4 Personen

6 Eier

180 g Mehl

300 ml Milch

50 g Butter

30 g Zucker

1 Pck. Vanillezucker

30 g Rosinen

30 g Mandelblättchen

30 ml Rum

Salz, Puderzucker

Zubereitung

Die Rosinen mit dem Rum überträufeln und zum Durchziehen beiseitestellen.

Die Eier in Eigelb und Eiweiß trennen. Die Eigelbe mit Mehl, Milch, Vanillezucker und Zucker in einer Schüssel zu einem glatten Teig verrühren und sodann die Mandeln untermengen. Die Eiweiße mit einer guten Prise Salz sehr steif schlagen und danach vorsichtig unter den Teig heben.

In einer großen Pfanne die Butter zerlassen und anschießend den Teig hineingeben. Mit dem Deckel verschließen und bei schwacher Hitze fünf Minuten lang stocken lassen.

Den Backofen auf 180°C vorheizen und anschließend die Pfanne ohne den Deckel hineinstellen, bis die Oberseite des Kaiserschmarrns goldbraun geworden ist. Dann den Schmarrn herausnehmen, in unregelmäßige Stücke reißen, zurück in die Pfanne geben und mit den Rum-Rosinen vermischen. Noch einmal für 2 Minuten zurück in den heißen Backofen stellen, danach auf Tellern anrichten und mit Puderzucker überstreuen.

Nach Geschmack passen dazu Apfelmus oder ein anderes Kompott, z. B. Zwetschkenröster (Rezept siehe Seite 132).

Pause mit Jause – vom Essen in Österreich

Nach diesem beschwingten Einstieg in die Welt von Österreich haben wir uns eine kleine Stärkung verdient. An der Vorliebe für rauschende Bälle und emotionsgeladene Musik konnten wir es schon erkennen: Die Österreicher genießen gern. Und da ist es doch naheliegend, dass sie auch eine Leidenschaft fürs Essen besitzen. Die österreichische Küche ist deshalb schmackhaft, üppig und gehaltvoll. Hier kommt wirklich niemand zu kurz.

Sehr eindrucksvoll habe ich das als Kind in Mittersill erlebt. Beim »Hirschenwirt« bestellte mein Vater sich am liebsten den »Bauernschmaus«. Der bestand aus einem mächtigen Berg Sauerkraut, gerahmt von einer Hügellandschaft aus Semmelknödeln. Und obenauf türmten sich allerhand Fleischstücke: Rauchfleisch, Bauchspeck, Würste – ich weiß nicht, was es alles gewesen sein mag, mir hat sich nämlich vor allem die enorme Menge eingeprägt. Die erschien mir wirklich spektakulär, und mein Vater schaffte es allen Ernstes, dieses essbare Gebirge abzutragen und vollständig zu verputzen!

Mich zog es eher in die Küche des »Hirschenwirts«, wo die Oma stets eine leckere Süßspeise für mich bereithielt. Denn die Österreicher verstehen sich nicht nur auf deftiges Essen, sie sind auch Meister der süßen Kalorienbomben. Den überaus beliebten Kaiserschmarrn haben wir schon in unserem ersten Rezept kennengelernt, aber da gibt es noch so viel mehr! Mehlspeisen bis zum Abwinken, von den Salzburger Nockerln über die Palatschinken, allerlei Krapfen und süße Nudeln bis hin zu Strudeln und gehaltvollen Germknödeln, Marillen-, Zwetschken- oder Topfenknödeln.

Spätestens an dieser Stelle fällt den Deutschen auf, dass hier sprachlich offenbar etwas nicht stimmt. Zwar gilt auch in Österreich Deutsch als Standardsprache, doch wird hier österreichisches Hochdeutsch gesprochen, und das unterscheidet sich in gewissen Nuancen von dem Hochdeutschen, das in Deutschland gebräuchlich ist. So wie sich ja auch das amerikanische oder das australische Englisch vom Oxfordenglisch und vom schottischen Englisch unterscheiden. Die Menschen verstehen sich zwar untereinander, pflegen aber ihre individuellen sprachlichen Eigenheiten. In Österreich heißt es »der Einser«, wo die Deutschen »die Eins« sagen, und die Uhrzeit »Viertel nach eins« heißt in Österreich »Viertel zwei«. Und während sich in Deutschland Grammatik-Puristen jahrzehntelang vergeblich bemühten, die falsche Konjugation des Verbs »winken« zu »gewunken« auszumerzen und durch die korrekte Form »gewinkt« zu ersetzen, gilt »gewunken« in Österreich als völlig korrekt. Inzwischen hat sogar der Duden kapituliert und akzeptiert beide Formen.

Bei zusammengesetzten Hauptwörtern wird gern ein Fugen-s eingesetzt, deshalb heißt es »Schweinsbraten« und nicht »Schweinebraten«. Österreicher schreiben »Zwetschke« und nicht »Zwetschge«, und deshalb trinken sie nach dem gehaltvollen »Zwetschkenknödel« zur Förderung der Verdauung einen »Zwetschkenschnaps«. »Topfen« heißt in Deutschland »Quark«, und eine »Marille« ist nichts anderes als eine »Aprikose«. »Germ« ist nichts Exotisches, sondern bloß »Hefe«. Eine »Palatschinke« ist ein Crêpe ähnlicher »Pfannkuchen«, und wer der süßen Kalorienbombe noch mehr Nahrhaftes hinzufügen möchte, bestellt »Schlagobers«, also »Schlagsahne«.

Ein »Kalbsvögerl« auf dem Teller ist nicht etwa ein possierlicher Alpenspatz, sondern eine »Kalbsroulade«. Wenn Sie auf der Speisekarte ein »Pörkölt« entdecken und etwas Neues ausprobieren möchten, dann seien Sie nicht enttäuscht, wenn Ihnen ein Gulasch serviert wird. Dank der früheren politischen Union von Österreich-Ungarn haben die Österreicher nämlich die ungarische Bezeichnung des Schmorgerichts übernommen. Unter »Gulyás« verstehen die Ungarn hingegen eine Suppe mit Fleischeinlage.

Statt schlicht »Tomate« sagen die Österreicher »Paradeiser«, was doch viel verlockender klingt. »Kartoffeln« heißen »Erdäpfel«, und »Kopfsalat« ist »Häupterlsalat«. »Fisolen« und »Strankerln« sind »grüne Bohnen«, »Herrenpilze« sind »Steinpilze« und »Eierschwammerln« sind keine mit Ei zubereiteten Schwämme, sondern »Pfifferlinge«. Zu »Mais« wird »Kukuruz« gesagt, und vielleicht mögen Sie ja »Umurke« dazu, das wäre dann »Gurke«. »Feldsalat« heißt hier »Vogerlsalat«, und wenn letzterer mit »Fledermaus« serviert wird, dann brauchen Sie sich nicht davor zu fürchten, dass Ihr Essen sich vom Teller erhebt und davonfliegt, denn das bezeichnet bloß ein Stück Rindfleisch. »Karfiol« ist »Blumenkohl« und »Ribisel« sind »Johannisbeeren«, und das Ganze verzehrt ein »Feinspitz« zur »Jause« im »Beisl«, also ein »Gourmet« zur »Brotzeit« in der »Kneipe«. Alles klar?

Doch wenden wir uns nach diesem kurzen Sprachlehrgang nun endlich wieder dem Essen an sich zu. Eigentlich haben wir ja das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt, indem wir mit den Süßspeisen begannen, die ich als Kind so sehr mochte. Damit sind wir noch gar nicht fertig, denn es gibt noch die leckeren Torten: von der legendären Sachertorte über Linzer Torte, Esterházy-Torte bis hin zum Gugelhupf. Läuft Ihnen schon das Wasser im Munde zusammen? Dann möchten Sie vielleicht zum krönenden Abschluss noch eine Mozartkugel oben draufsetzen. Die Praline aus Pistazien-Marzipan, Nougat und dunkler Kuvertüre hat der Salzburger Zuckerbäcker Paul Fürst 1890 erfunden und nach dem berühmtesten Sohn der Stadt benannt. Dummerweise vergaß er, sich das Ganze patentieren zu lassen, sodass der Markt heute von Nachahmerprodukten überschwemmt ist.

Dazu trinken Genießer natürlich einen Kaffee, wobei besonders Wien mit seinen berühmten Kaffeehäusern den Kaffeegenuss zu einer wahren Zeremonie erhöht hat. Hier gibt es die verschiedensten Variationen, sei es »Melange«, ein Milchkaffee, »ungarischer Kaffee« vermengt mit Schlagobers und auf Eis serviert, ein »kleiner Schwarzer«, das ist ein einfacher Mokka, oder ein »Sperbertürke«, worunter die Wiener einen mit Würfelzucker aufgekochten türkischen Kaffee verstehen. »Braune« hingegen können klein oder groß sein, es handelt sich dabei um ein Tässchen Mokka, zu dem Milch oder Obers separat in einem winzig kleinen Kännchen serviert wird. »Kapuziner« ist schwarzer Kaffee mit flüssiger Sahne, »Einspänner« hingegen ein Mokka im Glas mit viel Schlagobers. »Biedermeier« ist Kaffee mit Schlagobers und Marillenlikör, ein »Fiaker« ist Mokka mit Zucker und einem Stamperl Zwetschkenschnaps – sprich Sliwowitz – wobei das »Stamperl« ein »Schnapsglas« ist. »Häferlkaffee« hingegen hat nichts mit Hafer zu tun, sondern wird im »Häferl« serviert. Das ist keine Tasse, vielmehr ein Becher mit 250 Millilitern Inhalt.

Nun verlieren wir uns schon wieder in den sprachlichen Feinheiten und im dichten Dschungel der wahrhaft unzähligen Kaffeevariationen, dabei könnten wir es auch einfacher haben und die Mahlzeit mit einem der zahlreichen Schnäpse und Edelbrände abrunden, die es in Österreich gibt, vom Marillenbrand über den Vogelbeerschnaps bis hin zum Enzian. Wer es ganz kräftig mag, greift zum Inländerrum, der kann nämlich einen Alkoholgehalt von bis zu 80 Prozent besitzen. Am besten bekömmlich ist er mit Tee verdünnt, so wird er zum »Jagatee«, die Deutschen würden »Jägertee« sagen. Jagatee diente ehemals zur Winterzeit bei Jägern und Waldarbeitern als beliebter Aufwärmer, heute wird er auch von Skifahrern und Wandersleuten hochgeschätzt.

So wichtig die süßen Mehlspeisen, Kaffee und Schnapserl auch sein mögen, die österreichische Küche hat natürlich auch allerhand Deftiges zu bieten. Ihr berühmtester Export ist wohl das Wiener Schnitzel, ein paniertes Kalbsschnitzel. Hierbei ist allerdings die Urheberschaft heftig umstritten. Denn die Mailänder kennen das »costoletta alla milanese«, das »Mailänder Kotelett«, und das ist ebenfalls nichts anderes als ein paniertes Schnitzel aus Kalbfleisch, allerdings etwas dicker als die Wiener Variante und manchmal mitsamt Knochen zubereitet. Die Mailänder sollen dabei die Vorreiter gewesen sein, die ihr Fleisch schon seit dem Mittelalter panierten, um damit die seinerzeit in besseren Kreisen beliebten vergoldeten Speisen nachzuahmen. Eines Tages mag dann diese Spezialität von dort aus den Weg nach Wien gefunden haben. Dazu gibt es viele Geschichten, Vermutungen und Hypothesen, aber leider keinen einzigen Beweis. Andererseits warfen die Wiener schon lange ihre panierten Hähnchen in siedendes Fett, um »Backhendl« zu brutzeln. Vielleicht sind sie ganz einfach von allein darauf gekommen, es auch einmal mit einem Kalbsschnitzel zu versuchen. Wer weiß?