Das Pergament des Todes - Frank Kurella - E-Book

Das Pergament des Todes E-Book

Frank Kurella

4,4

Beschreibung

Neuss im November 1284. Das Volk sehnt sich nach den Zeiten zurück, in denen Kaiser Friedrich II. das Reich mit gerechter Hand führte, als der tot geglaubte Herrscher in dem rheinischen Städtchen Einzug hält. Ausgerechnet an diesem Freudentag findet der kleine Taschendieb Marcus seinen Freund und Weggefährten Jonas mit gebrochenem Genick in einem Weinkeller auf. Was steckt hinter dem feigen Mord? Trachtet man auch ihm nach dem Leben? Auf der Suche nach Antworten wird Marcus allmählich klar, dass nicht nur er sich in größter Gefahr befindet.

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Frank Kurella

Das Pergament des Todes

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© 2007 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Bildes von Bernaerd van Orley

ISBN 978-3-8392-3328-3

Gewidmet meiner Frau Ursula

und meinen Töchtern, Sonja und Meike,

die mir die Freiheit und Zeit gelassen haben,

die ich brauchte, um diesen Roman zu schreiben.

Ihre Begeisterung beim Lesen

der ersten Zeilen war der Ansporn,

mein Erstlingswerk zu Ende zu führen.

Mein Dank gilt aber auch Herrn Dr. Jens Metzdorf,

dem Leiter des Neusser Stadtarchivs,

und seiner Mitarbeiterin Frau Sandra Gesell,

Dieses Buch ist ein Roman, und die darin geschilderten Ereignisse sind größtenteils frei erfunden. In besonderem Maße gilt das für Handlungen und Äußerungen der auftretenden oder erwähnten Personen, auch wenn einige von ihnen nicht der Fantasie des Autors entsprungen sind. Darüber hinaus sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig.

Im Glossar und im Epilog findet der historisch interessierte Leser, neben einer Liste der mittelalterlichen bzw. neuzeitlichen Straßennamen und den Personenverzeichnissen, die Antwort auf die Frage: ›Welches sind die historischen Fakten und wo beginnt die Dichtung?‹

PROLOG

Anno Domini 1284 – das Volk des Sacrum Imperium Romanum, des Heiligen Römischen Reichs (später mit dem Zusatz ›Deutscher Nation‹), litt unter der Regentschaft und den hohen Steuern des Königs Rudolf von Habsburg.

Wie gern erinnerte man sich an die Zeit des Kaisers Friedrich II., dem Enkel Barbarossas, der Werte wie Gerechtigkeit und Toleranz vertreten hatte und vor allem die Steuerlast niedrig gehalten hatte. Sowohl Fürsten als auch Bürger hatten damals mit Verblüffung und Befremden auf Friedrichs Individualitätsbewusstsein und seine unorthodoxe, beinahe nicht zu bremsende Wissbegierde reagiert. Charaktereigenschaften, die für die mittelalterliche Zeit sehr ungewöhnlich waren. Friedrich beschäftigte sich mit der Weiterentwicklung der Rechtsprechung auf den Grundlagen der spätantiken Römischen Gesetze. Unter anderem verbot er die zu dieser Zeit üblichen Gottesurteile, da er der Meinung war, in einem Zweikampf würde immer der Stärkere, nicht zwangsläufig der Unschuldige gewinnen. Die Ungewöhnlichkeit seiner Gedankenansätze drückte sich ebenso in strengen Gesetzen zur Erhaltung der Natur und zum Schutz von Frauen und Minderheiten aus. Ein Gedankenansatz, der bis dahin in der mittelalterlichen Welt unvorstellbar war. 1241 legte er die gesetzlich fixierte Trennung der Berufe Arzt und Apotheker fest, um Preistreiberei zu verhindern.

Am Hof umgab sich der Kaiser mit zahlreichen Dichtern, Wissenschaftlern und Künstlern, sodass von einem Musenhof gesprochen wurde. Friedrich II. schrieb schließlich bemerkenswerte wissenschaftliche Bücher; alleine sechs über die Falknerei.

Auch sein Kreuzzug, den er auf Drängen von Papst Gregor IX. von 1228 bis 1229 führte, war ein Beispiel für seine Ungewöhnlichkeit. Da er sich ein großes Wissen über den Islam und die arabische Mentalität angeeignethatte, eroberte er Jerusalem durch langwierige Vertragsverhandlungen und verzichtete auf unsinniges Blutvergießen. So verwundert es nicht, dass dieser, der sechste Kreuzzug, der einzige friedliche und dennoch erfolgreiche in der traurigen Geschichte der Kreuzzüge wurde. Durch seine Vorgehensweise vermied er neben sinnlosen Todesopfern auch die üblichen hohen Kriegskosten und die damit verbundenen zusätzlichen Steuern und Abgaben für das Volk.

Im Jahre 1250 verstarb Kaiser Friedrich II. im fernen Italien. Schnell verbreitete sich im Reich die Legende, der Kaiser sei gar nicht tot, er verweile nur mit seinem Heer im Kyffhäuser-Gebirge, um zu gegebener Zeit zurückzukehren und das Reich zur Einigkeit und alter Größe zurückzuführen.

Nachdem Friedrichs Sohn, König Konrad IV. im Jahre 1254 verstarb, kam die Zeit des Interregnums, der ›regentenlosen Zeit‹, in der Wilhelm von Holland, Alfons X. von Kastilien und Richard Cornwall zwar das Königsamt in Deutschland bekleideten, aber keinerlei Herrschergewalt auszuüben vermochten. Während der Letztgenannte nur kurze Zeit nach seiner Krönung auf deutschem Boden verweilte, gelangte Alfons X. gar niemals in sein Königreich.

Eine schwere Zeit brach für das Volk an, das unter den unklaren Herrscherverhältnissen und dem dadurch entstandenen Machtvakuum litt. Erst mit der Thronbesteigung von König Rudolf I., endete die ›regentenlose‹ Epoche. Doch nun wurde das Volk durch hohe Abgaben und Steuern gepeinigt. Hiermit füllte König Rudolf seine Kassen, die er nicht nur für die Kriegsführung benötigte. Nein, auch die Streitigkeiten zwischen den Fürsten – weltlichen wie geistlichen – verschlangen Unsummen im Kampf um die Macht.

In jener Zeit erinnerte sich das Volk sehnsüchtig an die alte Legende, die man sich über eine Hoffnung bringende Rückkehr Kaiser Friedrichs erzählte. Auch in der Stadt Neuss, die sich im Besitz des Kölner Erzbischofs befand.

1

Neuss, 4. November 1284 – »Halt! Bleib stehen, du Dieb!«, die Stimme des dicken Kaufmanns hallte durch die enge Gasse. Marcus schaute im Laufen nur kurz über die Schultern und erkannte hinter sich den massigen Mann, dessen Körper wie der eines gewaltigen Bullen wirkte. Mit der Rechten umklammerte der Junge den Lederbeutel, den er dem Dicken Sekunden zuvor aus dem Gürtel stibitzt hatte. Mit der Linken strich er sich immer wieder das lange, fast weißblonde Haar aus dem blassen Gesicht. Die Gasthauß Gaß war für diese mittägliche Stunde ungewöhnlich menschenleer. So konnte Marcus den Vorteil seiner jugendlichen Schnelligkeit ganz und gar ausspielen und entkam Meter um Meter der drohenden Gewalt. Heute schien sein Glückstag zu sein. Die grollende Stimme hinter ihm klang schon deutlich entfernter, als er nach links auf den Marckt bog. Doch in diesem Moment wendete sich das Blatt. Wenige Schritte vor ihm stand eine Wand aus Menschen, die neugierig die Hälse reckten und durch ihre Unüberwindbarkeit seinen Lauf abrupt stoppten. Schon wollte er zurück in Richtung Aber Strais, als er den schnaubenden Kaufmann um die Ecke hetzen sah. Zu spät – es half nur noch die Flucht nach vorn. Schnell stopfte er den Beutel zu dem anderen Diebesgut in den Ausschnitt seines zerschlissenen Hemdes und rannte auf die Menge zu. Es schien, als würde der Junge den Bruchteil einer Sekunde später mit ganzer Wucht auf die Leiber der Menschen prallen. Doch Zentimeter zuvor bremste er seinen Schwung ab und warf sich geschickt auf den Boden. Flink wie eine Katze wand sich der Junge durch die Beinpaare, die ihm den Weg verstellten. Einige zuckten nur erschreckt zusammen, andere traten nach ihm wie nach einem räudigen Hund. Der dicke Müller, an dessen behaartem Bein er sich jetzt vorbeischlängelte, schaute zu ihm herunter. War sein starrer Blick erst noch erschrocken, so verzogen sich seine harten Gesichtszüge nun zu einer verärgerten Grimasse. Mit einem leeren Leinensack, den er in der Hand hielt, schlug er nach Marcus, als wolle er ein lästiges Vieh vertreiben. Marcus wollte weiterkrabbeln, als sich ein schwerer Stiefel auf seine linke Hand stellte. Erst als sich die Sohle wieder leicht anhob, konnte er seine schmerzenden Finger darunter hervorziehen. Nun reichte es ihm! Am liebsten hätte sich der Junge augenblicklich aus dem Menschengewirr zurückgezogen. Doch es half nichts, er musste hier durch, wenn er nicht dem aufgebrachten Koloss in die Hände fallen wollte. Marcus malte sich aus, wie er am Abend seine Rippen einzeln würde spüren können, wenn er überhaupt noch etwas spüren würde, wenn der Dicke mit ihm fertig war.

Schier endlos kamen ihm die wenigen Meter vor, bis er wieder die Mittagssonne über sich erblickte. War er in Sicherheit?, fragte er sich gerade, als ihn vier starke Arme packten und in die Höhe rissen. Zwei grimmig dreinschauende Büttel hatten ihn ergriffen und schleiften ihn grob über das Kopfsteinpflaster des Platzes.

»Lasst den Knaben!«, ertönte eine sanfte, aber durchdringende Stimme. Marcus sah einen alten Mann vor sich, der in einem reich verzierten Stuhl mit hoher Lehne saß. Trotz seiner einfachen Kleidung strahlte der Alte etwas Herrschaftliches aus. Ja, es schien beinahe so, als würde er dort thronen. In seiner linken Hand hielt er einen Zinnpokal, aus dem er nun einen tiefen Schluck nahm. Als er den Pokal wieder absetzte, sprach er gelassen:

»Ich kann nichts Unrechtes daran erkennen, dass dieser Neusser Junge zu seinem Kaiser eilt, den er so lange Zeit schmerzlich hat vermissen müssen.« Kaiser? Hatte der Alte wirklich Kaiser gesagt? Die Büttel ließen Marcus, wenn auch widerwillig, los.

»Tritt näher«, sagte der Greis und lächelte ihn mit seinen kleinen, freundlichen Augen an. Unsicher ging Marcus ein paar Schritte vorwärts und bemerkte erst jetzt, welch große Menschenmassen sich hier versammelt hatten. Es war schlagartig still geworden, als habe man seinen Kopf in eine gefüllte Regentonne gesteckt und so seinem Gehör alle Geräusche entzogen. Nur hier und da tuschelten einige Weiber verstohlen. Der alte Mann hielt dem Jungen etwas entgegen und sprach: »Nimm! Die schlechten Zeiten sollen ein Ende haben. Für dich, für alle treuen Bürger von Neuss und das ganze Reich.« Bei diesen Worten stimmte die Menge ein begeistertes Johlen an. Im Sonnenlicht erkannte Marcus, dass es eine Münze war, die ihm der Alte reichte. Eilig griff er danach und verbeugte sich hastig. »So gehet nun und verkündet, dass Friedrich II., Kaiser von Gottes Gnaden, nach 30 Jahren der Pilgerschaft zurückgekehrt ist.« Als hätten sie nur auf das Stichwort gewartet, packten ihn die beiden Schergen erneut und stießen den Jungen unsanft in die immer noch johlende Menge. Er taumelte und stieß gegen den üppigen Busen einer korpulenten Marktfrau, die ihre Arme zum Jubeln hoch in die Luft gereckt hatte. Der alte Mann begann, nun wieder huldvoll in die Menge zu grüßen. Immer noch ungläubig starrte Marcus auf den thronenden Alten, den zurückgekehrten Kaiser.

Plötzlich legte sich von hinten eine kräftige Hand auf die noch zitternde Schulter des Jungen. Er fuhr herum, in der Angst, der dicke Kaufmann könnte in der Zwischenzeit die Menschenmassen umrundet haben. Doch statt in ein fleischiges Männergesicht schaute er direkt in die lächelnden Augen eines Jungen. Der Bursche hatte trotz seiner Jugend harte Züge und eine Nase, die aussah, als hätte sie den einen oder anderen Bruch bereits hinter sich. Diese Nase gehörte zu Jonas, seinem Freund und Weggefährten. »Komm, lass uns hier verschwinden«, meinte er lachend. »Der Pfeffersack von eben ist immer noch hinter dir her.« Die beiden zwängten sich durch die Marktleute und Händler, die den Platz umringten. Schnellen Schrittes eilten sie in Richtung Neder Strais, den immer noch heranströmenden Menschenmassen entgegen. Erst als sie links in die Gebrante Gaß abbogen, riss der Strom ab. Doch nun hörten sie hinter sich wieder das wütende Gezeter des Kaufmanns. Der Kerl hatte sie entdeckt und die Verfolgung wieder aufgenommen. Die beiden Jungen begannen zu laufen.

»Wer war der alte Mann?«, fragte Marcus nach Luft schnappend. »Hat dir der Dicke die Ohren abgerissen, sodass du gar nichts mehr hören kannst? Das war Kaiser Friedrich II.!«, antwortete sein Freund ebenso außer Atem. »Aber ich dachte, der sei schon lange tot?«

»War wohl nur ein Gerücht. Du kennst doch die Geschichte, die man sich erzählt«, schnaubte Jonas. Sie rannten immer noch. »Die fahrenden Händler sagen, man habe ihn schon vor ein paar Tagen in Köln gesehen.«

»Und?«

»Nix und! Die dumme Bürgerschaft, allen voran der reiche Overstolz, hat ihn aus der Stadt gejagt«, entgegnete Jonas. »Doch spar dir jetzt deinen Atem, sonst holt uns der dicke Kaufmann doch noch ein.« Sie hasteten weiter. Marcus verstand zwar nicht viel von der großen Politik, doch irgendwie fühlte er sich jetzt mittendrin – wo er doch nun den Kaiser kannte. Die Leute auf den Straßen hatten immer gesagt, dass die Zeiten wieder besser werden würden, wenn Kaiser Friedrich erst einmal zurückgekehrt sei.

Kurze Zeit später blieben die Jungen vor dem Wirtshaus ›Zum Schwarzen Krug‹ stehen. Über dem Eingang war eine gusseiserne Schildhalterung angebracht. Keine der kunstvoll verzierten, wie man sie vom Hauptstraßenzug her kannte. Nein, diese war einfach nur zweckmäßig und den ärmlichen Verhältnissen der Schenke entsprechend. An der Halterung baumelte ein windschiefer Bierkrug aus dünnem Blech, der mit etwas Pech schwarz gefärbt war.

Die Gasse schien wie ausgestorben. Dennoch schauten sie sich erst nach allen Seiten um, bevor sie durch das Tor des Hauses traten. Die beiden Jungen liefen durch einen kurzen Gang auf eine niedrige Holztür zu, die direkt vor ihnen lag. Fast stürzten sie, als sie die steile Stiege hinabsprangen, die in ein Kellergewölbe führte. Hier lagerten Fässer voller Wein und Grutbier, die Berthold Janssen, dem Wirt, gehörten. Der Wirt war ein stämmiger, breitschultriger Kerl, in dessen Inneren man niemals die Herzenswärme vermutet hätte, die dort schlummerte.

Berthold Janssen wusste sehr wohl, dass die Jungen von Zeit zu Zeit hier heimlich Unterschlupf suchten, wenn die Lage in der Stadt zu brenzlig wurde, weil sie bei ihren kleinen Räubereien wieder einmal zu waghalsig vorgegangen waren. Doch er unternahm nichts dagegen, da er die beiden mochte.

War der Winter besonders streng, dann stellte er ihnen sogar ab und an eine warme Suppe hin. Seine Frau Annehild, eine dicke, meist unfreundliche Person, sah das hingegen gar nicht gerne. »Eines Tages knüpfen sie diese Burschen noch auf«, schimpfte sie manchmal, »und wir hängen dann in der Sache drin. Dann war all die Plackerei in dieser Kaschemme umsonst.«

Jonas öffnete die Holzläden der kleinen Gewölbeluke, und der feuchte Raum füllte sich mit warmen Sonnenstrahlen. Ungeduldig hockten sich die Jungen auf den kühlen Boden. »Und? Wie war dein Morgen? Ich meine, bevor der Kerl dich fast erwischt hätte.« Jonas grinste Marcus breit an, sodass die große, schwarze Lücke zwischen seinen Eckzähnen zum Vorschein kam. Marcus wurde ein wenig rot und nestelte aufgeregt sein Diebesgut aus dem Hemdausschnitt. Neben dem Beutel, den er dem Kaufmann stibitzt hatte, kamen eine Schultertasche aus Leder und ein totes Huhn ohne Kopf zum Vorschein. »Was willst du denn mit dem Huhn?«, platzte Jonas los. Der Junge konnte vor Lachen kaum sprechen. »Sollen wir auf der Gasse vielleicht ein Feuerchen entfachen und es braten? Oder lieber die ›nette Frau Wirtin‹ fragen, ob sie uns daraus ein opulentes Mahl kocht?« Darüber hatte Marcus gar nicht nachgedacht. Die Röte in seinem Gesicht wurde noch intensiver. Wortlos stülpte er die Schultertasche um, und schüttete den Inhalt auf den staubigen Boden des Kellers: ein schwarzes Samtbarett, ein gefaltetes Pergament und zwei grüne Äpfel kamen zum Vorschein. Jonas setzte sich das Barett belustigt auf den fast kahl rasierten Schädel. »Na, immerhin …«, schmatzte er, während er in einen der Äpfel biss. Er entfaltete das Pergament, drehte es hin und her und schaute mit ratlosem Gesicht auf die Buchstaben. »Pah! Nur Geschreibsel!«, grunzte er kauend. Was sollten sie, die Straßenjungen, damit anfangen? Beide hatten in ihrem armseligen Leben weder schreiben noch lesen gelernt. Jonas warf das Schriftstück achtlos zwischen die leeren Weinfässer und ließ die Schultertasche folgen. Wenn auch das Leder recht wertvoll zu sein schien, ein solches Stück mit sich in der Stadt herumzutragen, war für heruntergekommene Gestalten wie sie viel zu verräterisch. Der Saft des Apfels lief Jonas nun aus den Mundwinkeln und hinterließ ein feuchtes Rinnsal auf seinem pickeligen Kinn.

Bevor sein Freund auch noch nach dem anderen Apfel greifen konnte, steckte Marcus ihn schnell zurück in sein Hemd. »Lass mal sehen, was dem dicken Kaufmann so wichtig war, dass er sich zu einem Wettlauf hinreißen ließ«, Jonas blickte bei diesen Worten gespannt auf den kleinen Beutel. Doch auch dieser Inhalt war ernüchternd: lediglich ein Feuerstein mit etwas Zunder und drei schwarze Würfel, wie man sie in den Wirtshäusern zum Spielen benutzte. »Dieser Halunke«, murmelte Jonas immer noch kauend, während er die Würfel aufmerksam im Licht betrachtete. Er ließ sie auf den Boden kullern – eine Eins und zwei Sechsen. Er hob die Würfel auf und warf sie erneut in den Staub. Und wieder – dieselbe Eins und der Sechser-Pasch. Jonas begriff sofort: Die feinen Kleider hatte sich der Dicke wohl nicht durch ehrlichen Handel erworben, aber dafür hatte er gute Chancen, wegen Falschspielerei ein paar Tage am Pranger zu verbringen.

Der Ältere nahm die Würfel an sich und schaute nun mit einem gewissen Stolz im Blick zu Marcus herüber: »Und jetzt zeige ich dir mal, dass sich Diebstahl auch richtig lohnen kann!« Er zog eine prallgefüllte Geldkatze aus dem Inneren seines schmutzigen Wamses. »Tatatataaa …«, frohlockte er. Die Münzen klimperten nur so auf den Boden. Marcus kam beim Anblick der Heller, Möhrchen und Weißpfennige ein erschreckender Gedanke. Die Münze, die ihm der Kaiser geschenkt hatte? Er griff hastig in den Hemdausschnitt. Nichts! Nur der einsame Apfel befand sich dort. Er spürte einen kalt-feuchten Luftzug an seinen Fingerspitzen, als er sie durch ein offenes Stück der seitlichen Hemdnaht steckte. Die Münze war herausgefallen. Flink sprang er auf die Beine und rannte die Stiege hinauf. »Wo willst du denn hin?«, hörte er Jonas noch rufen, als er bereits hinaus auf die immer noch menschenleere Gasse rannte. Langsam und mit gesenktem Kopf ging er die Gasse hinauf und starrte konzentriert auf das schmutzige Pflaster.

2

Obwohl es ein ungewöhnlich sonniger Novembertag war, fiel nur wenig Licht durch die kleinen Fenster des ›Schwarzen Krugs‹ in das Innere der Schenke. In der Gaststätte standen ein paar einfache, blanke Holztische, um die sich einige noch einfachere Schemel gesellten. Direkt am Eingang befand sich der Ausschank, auf dem zwei hölzerne Fässer lagen – eines mit Bier und eines mit Wein. Auf den Regalen hinter dem Tresen standen fein säuberlich aufgereiht einfache Krüge. Nur auf dem obersten Brett fanden sich elegantere Zinnkrüge. Die eichenen Pfeiler und Verstrebungen, die den Raum unterteilten, ließen ihn noch düsterer erscheinen, als er ohnehin schon war.

Hinten, im finstersten Winkel des Schankraums, saßen die einzigen Gäste. Zwei in dunkle Umhänge gehüllte Hünen. Der Linke trug ein Samtbarett auf dem Kopf, das er tief in die Stirn drapiert hatte, sodass man sein Gesicht im fahlen Licht kaum erkennen konnte. Der Rechte hatte eine hohe Stirn und langes, fusseliges Haar. Mit seinen fettigen Strähnen und den Bartstoppeln, die von Weitem einen dunklen Schatten in sein Gesicht zeichneten, wirkte er äußerst schmierig. Beide hatten sich weit über die raue Tischplatte gelehnt und steckten die Köpfe eng zusammen. »Und du bist sicher, dass es dieses blonde, junge Kerlchen war, das dir die Tasche gestohlen hat?«, fragte der Linke. Der Mann nickte heftig. Janssen, der Wirt, stellte den Krug mit Wein auf dem Tisch ab. Im gleichen Augenblick schaute der Größere der beiden auf, sodass der Wirt im dürftigen Lichtschein der Stumpenkerzen das Gesicht des Mannes erkennen konnte. Im Gegensatz zu seinem Gefährten sah er sehr gepflegt aus, fast wie ein Edelmann. Nur eines störte diesen Eindruck – sein rechtes Auge fehlte. Die Haut des Augenlids verschloss die Höhlung und kräuselte sich wie verbranntes Fleisch darüber. Der Wirt zuckte zusammen, als der Fremde ihn nun ansprach: »Hey Wirt, kennst du hier in der Stadt einen jungen Burschen mit langen blonden Haaren und einem weichen Gesicht? Sieht aus wie ein Engel?« Der Wirt zuckte abermals zusammen und murmelte fast unverständlich: »Nein, ich glaube nicht.«

»Und was ist mit dem Bürschchen, das sich von Zeit zu Zeit in unserem Fasskeller herumtreibt?« Krächzend ertönte die Stimme der Wirtin. Die beiden Hünen drehten sich ruckartig zu der Frau am Tresen um. »Ach, der ist schon lange fort – strolcht irgendwo am Niederrhein rum«, warf ihr Mann mit einer betonten Belanglosigkeit in der dunklen Stimme ein. »Den habe ich schon Monate nicht mehr hier in Neuss gesehen.« Er wandte sich von den merkwürdigen Gästen ab und ging zurück zum Tresen. Die beiden schauten ihm argwöhnisch nach, sagten jedoch kein Wort mehr.

»Ich glaube, das Fass ist bald leer. Ich werde ein neues holen«, meinte der Wirt zu seiner Frau, die ihm verwundert nachschaute, als er durch die Tür der Schankstube verschwand. Hatte er nicht heute Morgen erst eines aus dem Keller geholt?

Rasch eilte Janssen zu der Stiege hinter der Holztür und verschwand im Dunkel. »Schnell, ihr müsst fort!«, fuhr er Jonas an, der an einem Fass lehnte und immer noch genüsslich an der Apfelkitsche nagte. »In der Gaststube treiben sich zwei Galgenvögel herum, die nach Marcus gefragt haben.«

»Marcus? Der ist nicht hier«, murmelte Jonas und ließ sich nicht in seiner Ruhe stören. »Hast du, neben deinem Verstand, nun auch noch dein Gehör verloren!« Der Wirt packte Jonas unsanft am linken Ohr und zog ihn auf die Beine. »Mach, dass du hier rauskommst!«, rief er. »Und sieh zu, dass du Marcus warnst!« Er ergriff mit seinen klobigen Händen ein kleines Weinfass, das er sich auf die Schulter schwang, und verschwand eilig.

Jonas rieb sich verärgert das Ohrläppchen und begann, die Münzen zusammenzuklauben, die immer noch verstreut am Boden lagen. Erschrocken fuhr er herum, als er das erneute Knarren der Holztür vernahm.

*

»Es lebe der Kaiser, es lebe der Kaiser!« Die Menge auf dem Marckt bewegte sich in einem ausgelassenen Freudentaumel in Richtung des Gasthauses, das am Ende des Platzes lag. »Lang lebe Kaiser Friedrich!« In der Mitte des Gewirrs aus Menschenleibern schritt der alte Mann herrschaftlich dahin und musste immer wieder stehen bleiben. Die einen drängten sich zu ihm hindurch, um sein schlichtes Gewand zu berühren, andere versuchten sogar seine faltige Hand zum Kuss zu erhaschen. Die Büttel hatten alle Hände voll zu tun, um zu verhindern, dass die Jubelnden den hohen Herrn bereits am Tag nach seiner Ankunft erdrückten.

Vorbei an den Brothallen und den Ständen, wo allerlei Händler ihre Waren feilboten, gelangte die Menge schließlich zum Gasthaus. Hans Rutzen, der Wirt des Gasthauses ›Zum Goldenen Horn‹, war rasch zu seiner ›bescheidenen Herberge‹ zurückgeeilt, als er realisiert hatte, dass der Kaiser höchstpersönlich und ausgerechnet zu ihm kommen würde.

Rutzen war ein stolzer, eitler Mann von etwa 50 Jahren, der sich durchaus für etwas Besseres hielt, auch wenn er weder dem Adel noch dem Rat der Stadt angehörte. Wenn es nach ihm gehen würde, so sollte sich Letzteres in der nächsten Zeit ändern. Erst vor einigen Jahren, im April 1259, hatte der damalige Erzbischof Konrad von Hochstaden durch eine neue Stadtverordnung bestätigt, dass sich der Rat von Neuss aus den beiden Gremien der Schöffen und der Amtmänner zusammensetzte, denen jeweils ein Bürgermeister vorstand.

In den Kreis der Schöffen würde er wohl nie gelangen, da der Nachfolger für ein verstorbenes Mitglied vom Gremium selbst gewählt wurde, und die hohen Herren auf diese Weise dafür sorgten, dass sie unter Ihresgleichen blieben. Doch auf den Kreis der Amtmänner hatte es der eitle Wirt abgesehen. Diese wurden von den Neusser Bürgern gewählt – und das auf Lebzeiten! Durch ein paar Großzügigkeiten könnte es ihm gelingen, schon bald in den Rat der Stadt einzuziehen, dachte Rutzen bei sich. Nicht zuletzt, da einige der Amtmänner schon mehr tot als lebendig zu sein schienen. Ob es wohl gar zum Bürgermeister der Amtmänner reichen würde?, sinnierte er und begann bei diesen Fantasien selig zu lächeln. Wenn es erst einmal so weit wäre, dann würde er dem Bürgermeister der Schöffen aber gehörig ...

Schnell verdrängte der Wirt seine Gedanken. Zu wichtig war der Augenblick. Vielleicht würde sich ja schon bald die Gelegenheit bieten, den Neussern zu zeigen, was für ein ›vorbildlicher Bürger‹ er war. In aller Hast rief Rutzen seinen Bediensteten einige Anweisungen zu und streifte sich seine beste Gewandung über, die er sonst nur am Tage des Heiligen Quirinus trug. So geschmückt baute er sich jetzt vor der prächtigen Eingangstür seines Gasthauses auf. Auch wenn er eher kleineren Wuchses war, so ließ ihn seine mit Brokat besetzte Tunika doch stattlich erscheinen. Der mit Fellstreifen applizierte grüne Umhang glänzte seidig in der Mittagssonne. Auch Edelgard, seine Frau, war hinausgekommen und stand nun hinter ihm, halb verdeckt durch seine schillernde Erscheinung, die sie jedoch um einen guten Kopf überragte.

Die Menge teilte sich, getrieben von den Bütteln, und formte sich zu einem Halbrund um den Kaiser, der dem Wirt nun direkt in die Augen sah. Trotz seiner sonstigen Eloquenz begann dieser nun angesichts des Kaisers zu stammeln. »Herr, ich meine, Kaiser Friedrich, Kaiser von Gottes Gnaden, seid gegrüßt und versichert der Freude der ganzen Neusser Bürgerschaft und meiner bescheidenen Person«, er schluckte heftig. »So tretet ein und seid Gast in meinem bescheidenen Hause.« Der Kaiser nickte ihm mit einem gnädigen Gesichtsausdruck zu und schritt an ihm vorbei ins Innere des Gasthauses. Der Wirt folgte ihm aufgeregt und schloss eilig die Tür hinter sich. Edelgard Rutzen stand verdutzt vor dem verschlossenen Haus, als sie plötzlich in der sich abwendenden Menge den Bürgermeister der Schöffen entdeckte. »Herr Bürgermeister von Hohenberg, so wartet doch«, rief sie ihm nach. »Auf ein Wort.« Quirin von Hohenberg blieb stehen und drehte sich zu ihr um, wohl ahnend, was jetzt folgen würde. Schließlich kannte er die gierige Frau des Gastwirts zur Genüge. »Was gibt es denn?«, entgegnete er missmutig. »Ists heute nicht genug der Ehre, dass der Kaiser in Person in eurem Hause weilt?«

»Ich wollte doch nur«, die Gastwirtin wirkte verlegen, »darf mein Gemahl davon ausgehen, dass der Rat der Stadt die Zeche zahlen wird? Den Kaiser können wir ja wohl schlecht darum bitten«, ihr Ton wurde nun wieder gewohnt schnippisch. Der Bürgermeister überlegte einen kurzen Moment, dann sagte er mit ärgerlicher Stimme: »Es wird gewiss nicht Euer Schaden sein. Noch heute Abend tritt der Rat der Stadt zusammen. Die Angelegenheit will wohl überlegt sein. Wer weiß, ob es überhaupt der echte Kaiser Friedrich ist? Im Übrigen muss ich ja wohl auch die Amtmänner in die Entscheidung miteinbeziehen. So leid es mir tut.« Mit diesen Worten drehte er auf dem Absatz um und ließ die Wirtin allein zurück. Ob es der echte Kaiser ist? Was er wohl damit gemeint haben könnte?, ging es der Frau noch durch den Kopf, als sie zurück ins Haus trat.

3

Die zwei Fremden standen nun unvermittelt vor Jonas. »Wo ist der Blonde?«, fauchte der Hüne, der wie ein Edelmann aussah. Sein noch verbliebenes Auge funkelte satanisch im Sonnenlicht, das durch die Gewölbeluke fiel. »Ich kenne keinen Blonden«, stammelte der Junge und wich verängstigt einen Schritt zurück. »Ach, wirklich nicht?«, säuselte der andere und ging einen weiteren Schritt auf ihn zu. Jonas strauchelte rücklings über ein kleines Weinfass und fiel zu Boden. Die beiden Gestalten standen nun direkt neben ihm und beugten sich zu ihm herunter. »Und woher hast du das?«, hakte der Schmierige nach und schlug ihm mit dem Handrücken das schwarze Samtbarett vom Kopf. »Wir fragen dich ein letztes Mal!«, die kräftigen Hände des Schmierigen legten sich wie ein Schraubstock um die Wangenknochen des Jungen. Jonas wurde am Kopf in die Höhe gezogen, sodass er jetzt nur noch auf den Zehenspitzen stand. »Wo ist der Blonde? Ihr ward doch sicherlich zusammen auf Beutezug.« Was sollte er nur antworten? Einen Freund verraten? Niemals! Hätte Marcus das Gleiche für ihn getan? Ja! Da war er sich sicher. Zu viel hatten sie in den letzten Jahren zusammen durchgemacht, seit Marcus vom Burgbann her in die Stadt Neuss gekommen war. Der Vater des Jungen war an einer Lungenentzündung gestorben und seine Mutter hatte der Blonde nie gekannt. Jonas nahm ihn unter seine Fittiche und brachte ihm alles bei, was man zum Überleben in dieser Stadt brauchte. Marcus hatte sich seitdem schon oft revanchiert und ihn aus der einen oder anderen Klemme befreit. Wenn Marcus auch nicht sonderlich kräftig war, so war er doch stets geistesgegenwärtig. Eine kleine Ablenkung des Opfers, und Jonas kam wieder frei. Und jetzt? Die Ablenkung blieb aus.

Obwohl Jonas für sein Alter sehr muskulös gebaut war, konnte er gegen den schmerzhaften Griff nichts ausrichten und baumelte nun zwischen den Händen des Hünen. Dieser verstärkte jetzt den Druck. »Ich habe Euch nichts zu sagen!«, sagte Jonas so forsch er konnte und mit dem letzten Mut der Verzweiflung. »Wie du willst«, säuselte der Schmierige. Mit einem Ruck drehte er den Kopf des Jungen kräftig nach links. Das grässliche Knacken seiner Nackenwirbel war das Letzte, was Jonas hörte.

*

Marcus hatte die Suche nach der Münze schon fast aufgegeben und befand sich bereits auf dem Rückweg zum Wirtshaus, als er etwas Glänzendes in der Sonne liegen sah. Da ist sie!, frohlockte sein Herz. Er hatte den Heller tatsächlich hier auf dem zerklüfteten Kopfsteinpflaster, zwischen all dem Unrat, der auf der Straße lag, wiedergefunden. Glücklich über den Fund bückte er sich. Doch gerade, als er die Münze zwischen seine Finger nahm und sich aufrichten wollte, spürte er einen kräftigen Tritt gegen sein Hinterteil, als habe ihn ein ausschlagender Maulesel mit seinen eisenharten Hufen getroffen. Er fiel vornüber und stieß mit dem Kinn auf das Pflaster. Ein brennender Schmerz durchfuhr seinen Kiefer. Trotz des harten Aufpralls hielt er die Münze des Kaisers fest in der Hand. Er drehte sich rasch auf den Rücken und sah über sich das feiste Gesicht des dicken Kaufmanns. »Du Hundsfott, hab ich dich doch noch erwischt?!« Die schweren Stiefel des Mannes standen nun links und rechts vom schmalen Körper des Jungen. Seit einer Weile war der Kaufmann durch die Stadt geirrt und hatte nach Marcus gesucht. Jetzt lief ihm der Schweiß unter der Kappe hervor und tropfte Marcus direkt ins Gesicht. Im gleichen Moment, als sich der Dicke bückte und mit beiden Händen nach dem Schopf des Jungen greifen wollte, rollte sich der Blonde mit dem gesamten Gewicht seines schmalen Körpers nach rechts. Von diesem Schwung erfasst, rutschte dem Kaufmann das linke Bein weg und er verlor das Gleichgewicht. Der massige Körper knallte auf die Steine. Gerade auf die Stelle, wo Marcus vor Kurzem noch gelegen hatte. Der Junge war jedoch bereits wie eine Katze auf die Beine gesprungen und lief davon.

So schnell er konnte, rannte er in Richtung Neder Pfort. Hinter sich hörte er plötzlich johlende Stimmen. Waren ihm noch mehr auf den Fersen? Hatte der Dicke womöglich Verstärkung bekommen? Marcus rannte noch schneller und bog links in die Stoben Gaß ein. Dann hielt er sich am Ende der Gasse rechts und rannte die Achter Hauen hinauf, bis er auf Höhe des Vinckenhoff ankam. »Ein Hoch dem Kaiser!«, verstand er nun die Worte hinter sich. Erleichterung machte sich in ihm breit. Es waren doch keine weiteren Verfolger gewesen, die da johlten. Es waren Neusser Bürger, die in den Straßen immer noch die Rückkehr des Kaisers feierten. Er blickte kurz über die Schulter und verlangsamte seinen Schritt. Der Kaufmann schien ihm nicht gefolgt zu sein. Dennoch schaute er vorsichtig um die nächste Häuserecke in die Gebrante Gaß. Auch hier war niemand zu sehen. Schnell, aber unauffällig, ging er die Gasse hinunter bis zum ›Schwarzen Krug‹. Noch ein paar kurze Blicke nach beiden Seiten und der Junge huschte durch das Tor.