Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Hemmunglos, erschreckend und aufwühlend!Die Leiche der jungen Rosemarie N. wird gefunden. Wenig später findet der Kommissar auch das Tagebuch der Prostituierten. Darin enthalten: Geschichten aus dem Alltag der Ermordeten, gefüllt mit pikanten Sexerlebnissen, fesselnder Erotik und hemmungloser Lust!-
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 207
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Lorenz Holbach
SAGA Egmont
Das Tagebuch der Rosemarie N.
Copyright © 1995, 2018 Lorenz Holbach und Verlag
All rights reserved
ISBN: 9788711977323
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
Absprache mit dem Verlag gestattet.
„Wohin fahren wir denn?“ fragte das große blonde Mädchen. Der ängstliche Ton ihrer Frage stand einigermaßen im Gegensatz zu der herausfordernden Haltung, mit der sie ihre Mähne, den knallrot geschminkten Mund, den vollen Busen und die prallen braunen Schenkel zur Schau trug.
Der massige Mann am Steuer gab keine Antwort. Das Mädchen schwieg, aber die Frage ließ ihr sichtlich keine Ruhe. Als der Wagen an der nächsten Kreuzung bei Rotlicht halten mußte, fing sie wieder zu sprechen an:
„Ich habe mit der Sache bestimmt nichts zu tun, Herr Kommissar! Sie kennen mich doch!“
„Eben!“ sagte Kommissar Bleiband, ohne den Kopf zu wenden.
Minuten später hallten die Schritte der beiden durch einen endlosen Korridor. Das Mädchen folgte dem Mann wie ein Hund an der Leine. Kommissar Bleiband drehte sich kein einziges Mal nach ihr um.
Auf sein Klingeln öffnete sich eine Eisentür, und ein grauhaariger kleiner Mann im weißen Arbeitskittel ließ die beiden in einen kahlen Raum eintreten. Auf einer Art Podium standen längliche Kisten, mit Tüchern verhüllt. Der kleine Mann schlug eins der Tücher zurück, und im selben Augenblick schrie das blonde Mädchen gellend auf. Vor ihr lag die nackte Leiche einer schlanken Brünetten. Wo ihre Brustwarzen gewesen waren, zeigten sich zwei beinahe kreisrunde hellrote Wunden.
„Nein!“ schrie das große blonde Mädchen.
„Die hast du doch gekannt, Marga“, sagte der Kommissar ungerührt. „Wir gehen gleich wieder, wenn du mir ihren Namen sagst.“
„Rosemarie …“, preßte die Blonde unter Schluchzen hervor.
Der Kommissar wandte dem Angestellten des Anatomischen Instituts das Gesicht zu.
„Na also“, sagte er. „Ich hab’ doch gewußt, daß sie eine Nutte ist. Wir haben zwar keine Papiere bei ihr gefunden, keine Handtasche, keine Kleider, sie hatte keinen Faden am Leib. Aber sowas erkenne ich am Gesicht.“
Der kleine grauhaarige Mann deckte die Leiche wieder zu. Das große Mädchen hatte sich halb abgewandt und hielt den angewinkelten bloßen braunen Arm vors Gesicht. Der Kommissar packte sie am Ellbogen.
„Komm“, sagte er in beruhigendem Ton. „Jetzt trinken wir einen Kognak, und dabei erzählst du mir alles, was du von deiner Freundin Rosemarie weißt.
Komm schon!“
Das Mädchen nahm den Arm nicht vom Gesicht. Der Kommissar klopfte ihr auf den zuckenden Rücken. Willenlos ließ sie sich von ihm hinausführen.
Der junge Kriminalbeamte steckte zwei Finger in den Hemdkragen und lockerte die Krawatte:
„Also, alles was recht ist, Chef, ich hasse sonst Friedhöfe. Vor allem Großstadtfriedhöfe – aber so’n Nuttenbegräbnis ist schon ‘ne irre Schau.“
Kommissar Bleiband streifte seinen Assistenten mit einem mißbilligenden Blick und ging noch ein paar Schritte, bis er die Worte des Priesters verstehen konnte.
An einem offenen Grab stand der Geistliche inmitten einer buntgekleideten Schar von Mädchen und Frauen. Zwei oder drei der älteren Damen schwitzten in schwarzen Kostümen. Die übrigen trugen meist luftige superkurze Sommerkleider, unter denen sich Brüste und Hüften herausfordernd abzeichneten.
„Mann – da stehen mindestens zwei Dutzend herum, die den Kollegen von der Sitte bekannt sind“, flüsterte der Kriminalassistent.
„Genau achtzehn haben die Registrierkarte“, murmelte der Kommissar.
„Ob der Pastor das ahnt?“
„Pst! Hören Sie doch zu!“
Der leichte Wind trug jetzt die übertrieben akzentuierten Worte des Geistlichen herüber.
„… und darum weiß ich, daß du, Rosemarie, entschlossen warst, den richtigen Weg zu gehen. Den Weg zu dir selbst zurück, wo du auch endlich Gott wiedergefunden hättest. Ich weiß es seit jenem Tag, als du mir sagtest, wie sehr du dir wünschtest, die Straße des Verderbens zu verlassen. Gewiß ist es ein steiniger Weg. Ein langer Weg. Und du findest kaum jemanden, der dir hilft, wenn du einmal müde und schwach wirst. Aber Tausende stehen da und versuchen, dich auf die bequemen Nebenstraßen zu lokken …“
„… auf den goldenen Strich …“, feixte der junge Kriminalbeamte.
„Sehr witzig“, zischte Bleiband.
„… Du warst kein schlechter Mensch. Du warst nur schwach. Nicht stark genug für eine Welt, die aus gemeiner Profitgier mehr Versuchungen bereithält als je zuvor … Wir wissen nicht, ob die feige Mörderhand dir Zeit ließ, deinen Frieden mit dem Herrn zu machen. Aber der Herr wird auch dir ..“
Die letzten Worte des Pfarrers gingen im heulenden Lärm eines Düsenjägers unter.
Kommissar Bleiband zupfte seinen Mitarbeiter am Ärmel und ging auf ein riesiges Marmordenkmal zu, dessen tonnenschwere Quader sie vor den Blicken der Frauen am offenen Grab schützten.
„Treiben Sie sich noch eine Weile hier herum, Hörter. Behalten Sie das Grab im Auge.“
„Sie glauben doch nicht etwa an den vor Reue schlotternden Würger, den es zum Grab der lieben Erdrosselten zieht?“
„Wer weiß …“
„Lachhaft! Ein Zuhälter mit Gewissensbissen.“
„Sie kennen wohl den Mörder?“
„Nein, aber …“
„… das Motiv?“
„Auch nicht, aber …“
„Vielleicht war’s eine Betschwester, die unsere gute heile Welt von einer Sünderin befreien wollte und jetzt ihrem Opfer einen geweihten Palmzweig aufs Grab legen will.“
„Okay, okay, Chef. Soll ich die Betschwester dann gleich verhaften?“
„Sicher. Und vergessen Sie nicht, den Palmzweig sicherzustellen. Für das Kriminalmuseum.“
In der Sakristei der Leichenhalle traf Fritz Bleiband den Geistlichen.
„Sie kannten die Ermordete, Herr Pastor?“ Dabei hielt er ihm seine ledergebundene Polizei-Legitimation hin.
„Ja, Herr Kommissar.“ Der Pfarrer versuchte mit seinen kurzsichtigen Augen den Namen auf dem Ausweis zu entziffern.
„Bleiband. Fritz Bleiband von der Mordkommission“, half ihm der Beamte.
„Pastor Leisten von der Michaelis-Pfarrei … Tja – Rosemarie …“ Er rückte dem Beamten einen Stuhl zurecht und ließ sich auf der Bank nieder. „Ich habe sie zuletzt im September vor vier Jahren getroffen.“ „Wo?“
„Auf der Straße. Zufällig.“
„Ich denke an Ihre Grabrede … Es hörte sich an, als ob Sie die … das arme Mädchen gut gekannt hätten.
Aber ich habe nicht alles verstanden.“
„Ja. Diese Starfighter – ihr Lärm verdirbt mir manche Predigt.“
„Gott wird Sie trotzdem hören …“
„Sie sind ein Zyniker, nicht wahr?“
„Nein. Ein Menschenfreund. Ich mag es beispielsweise nicht, wenn jemand gemein ermordet wird. Und sei es eine Hure.“
„Es gibt viele Sünder …“
„Was wissen Sie von dieser Sünderin?“
„Sie war knapp siebzehn, als ich sie zum ersten Mal sah. Es war in Hamburg. Ich betreute ein Heim für gefährdete Jugendliche …“
„Hat sie Sie um Ihren Rat gebeten?“
„Nein, aber als ich ihre Akte las …“
„O, ich wußte nicht, daß es eine alte Akte von ihr gibt … Ihre neue fängt damit an, daß man ihre nackte Leiche in einem Kartoffelacker am Rande Düsseldorfs fand. Mit Würgemalen am Hals. Beide Brustwarzen fehlten. Sie waren offensichtlich mit einer Rasierklinge – relativ sauber – abgetrennt worden.“
„Entsetzlich!“
„Stimmt … Rosemarie hat es hinter sich. Aber ich will den haben, der dieses Entsetzen verursacht hat.“ Die sonst so ruhige Stimme des Beamten klang wütend. Bedrohlich.
„Es war keine Polizei-Akte, die ich damals sah, sondern nur die Aufzeichnungen der Jugendpflegerin, in deren Heim Rosemarie einige Wochen lebte, bis sie wieder ausriß. Sie hat übrigens damals ihren eigenen Personalbogen aus dem Aktenschrank des Heims gestohlen und in einer leeren Obstschale verbrannt.“
„Aha.“
„Ja, aber ich erinnere mich noch an die wesentlichen Fakten. Rosemarie wurde kurz vor Kriegsende in einem Luftschutzbunker der belagerten Reichshauptstadt geboren.“
Kommissar Bleiband schaute kurz in sein Notizbuch und las: „Rosemarie Necker – am 20.4.45 in Berlin als erstes Kind der ledigen Nachrichtenhelferin Hadwiga Necker geboren. H. N. lebt heute in zweiter Ehe mit Gerhard Krantz in Ostberlin.“
„Ach ja. Nun, das wußte ich nicht. Rosemarie besuchte in einer norddeutschen Kleinstadt – der Name ist mir entfallen – ein Mädchengymnasium bis zur Untersekunda. Dann ging sie mit einem britischen Besatzungssoldaten nach Hamburg. Jedenfalls hat sie das erzählt. Der Soldat ließ sie bei Nacht und Nebel in einer anrüchigen Pension sitzen. Als Rosemarie die Miete nicht zahlen konnte, verständigte sie sich mit dem Wirt – hm … und wohnte noch eine gewisse Zeit bei ihm. Bis er sie hinauswarf. Kurz darauf wurde sie am Hamburger Hauptbahnhof von der Bahnpolizei bei der Bahnhofsmission abgeliefert. So kam Rosemarie ins Heim. Auf Befragen erklärte sie, daß sie einige Wochen von den Geschenken verschiedener Männer gelebt hätte. Sie gab an, sie habe keine Angehörigen in Westdeutschland. Staatsanwaltschaft und Jugendamt wurden eingeschaltet. Aber ehe eine Entscheidung getroffen werden konnte …“ „ … war das flotte Kind auf und davon.“
„Ja … Und dabei glaubte ich damals, sie davon überzeugt zu haben, daß sie ihr Leben ändern müsse …“
„Konnte sie das denn – in dem Heim für gefallene Mädchen?“
Pfarrer Leisten strich mit einer unwilligen Handbewegung seine Soutane glatt, holte tief Luft, stockte dann und entschloß sich nach einem Blick in das unbewegte Gesicht des Polizeibeamten anders.
„Kurz und gut. Ich redete ihr ins … ich meine, ich gab ihr den Rat, in aller Ruhe über alles nachzudenken. Ja, ich empfahl ihr, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben und fortan ein Tagebuch zu führen. Nur für sich. Zur Selbstbesinnung sozusagen. Ich habe damit gute Erfahrungen gemacht. Wissen Sie, Herr Kommissar, wenn die Menschen gezwungen werden, über sich und ihre Handlungen nachzudenken – sie zur Niederschrift zu bringen – nachträglich …“
„Folgte Rosemarie ihrem Rat?“
Der alte Mann nickte begeistert. „Ja. Schon Tage später zeigte sie mir eine Kladde, die fast zur Hälfte vollgeschrieben war … Und als ich sie hier in Düsseldorf wiedertraf – immerhin … warten Sie mal – na, immerhin drei Jahre später, sagte sie mir, daß sie immer noch Tagebuch führe.“
„Und hat diese Art von Selbsteinkehr geholfen?“
„Bestimmt. Ein Mensch, der regelmäßig über sich und sein tägliches Leben nachdenkt, wird die läßlichen Sünden erkennen …“
„Gewiß, Herr Pastor. Was wissen Sie sonst noch über Rosemarie? Und vor allem: Kennen Sie Leute, mit denen die Ermordete verkehrte – ich meine, wer ihre Freunde waren?“
„Nein, außer der seltsamen Dame, die Rosemaries Seelenmesse und die christliche Beerdigung bestellt hat … Sie war heute übrigens auch am Grab – die ältere Frau in Schwarz …“
„Ach ja, Mady Ganser – die Puffmutter aus der … Verzeihung, ich meine die Pensionsinhaberin aus der Lindenstraße. Noch eine letzte Frage, Hochwürden. Haben Sie eine Vermutung, wo – nach sieben Jahren eifriger Selbstbesinnung müssen es wohl schon ein paar Bände sein – wo also Rosemaries Aufzeichnungen sein können?“
„Nein, Herr Kommissar. Wie sollte ich?“
Neun Wochen später fand Kommissar Bleiband die Tagebücher. In einem Bankschließfach. Es waren drei dicke Kladden. Beim ersten Durchblättern erkannte Bleiband, daß es kein Tagebuch im üblichen Sinne war. Es gab oft wochenlang keine Eintragung. Immerhin schien das Mädchen Rosemarie aber einige Stationen in ihrem Leben besonders beachtenswert gefunden zu haben. Es waren fast ausschließlich erotische, rauschhafte, exzessive Erlebnisse, die in dem Buch verzeichnet waren.
Selbstbesinnung?
Rosemarie hatte Pastor Leistens Rat wörtlich genommen. Sie hatte die Dinge registriert, die ihrem Leben die Richtung gegeben hatten. Sie hatte Buch geführt über ihre Schwächen. Und sie hatte offensichtlich zu den wenigen Tagebuch-Schreibern gehört, die nie damit rechnen, daß irgendwann ein anderer Mensch ihre Geständnisse lesen würde.
Kommissar Bleiband fing hinten an.
Die letzte Eintragung war vom 29. Juni. Genau drei Wochen vor ihrem schrecklichen Tod. Es waren nur wenige Zeilen.
*
29. Juni 1969
Ich habe Hartmut heute den Schlüssel gegeben. Er kann also jederzeit in meiner Wohnung ein und ausgehen. Vielleicht ist er neugierig, wenn er sich mal langweilt. Und wenn er dann meine Tagebücher finden würde?
Ich glaube, er ist der einzige Mensch, dem ich diese Notizen aus meinem Leben zeigen möchte und vielleicht auch könnte. Aber das weiß ich eben noch nicht genau. Und bis dahin … Ich werde sie vorläufig in Sicherheit bringen.
Die vorletzte Eintragung war auch kurz:
21. Juni 1969
ER ist wieder da! Ich hatte nicht mehr mit ihm gerechnet. Nach so langer Zeit! Und er sagte ganz nüchtern, daß er mich heiraten würde. Ja. Er sagte nicht: „Ich möchte“, sondern: „Ich werde dich heiraten.“ Und er fügte hinzu, daß er mich liebe …
Mein Gott, wie viele unechte Liebesschwüre habe ich schon gehört. Im Bett. Vor dem Bett. Sogar beim Zahlen … Aber – seine Liebeserklärung klang irgendwie überzeugender. Aber da ist noch H. Was soll ich tun? Zumindest hat H. ja gewisse Rechte.
Schlüsselrechte zumindest …
Jetzt mußte Kommissar Bleiband weit zurückblättern, bis er zum nächsten Datumseintrag kam. Fast dreißig Seiten hatte Rosemarie Necker am 20. April beschrieben.
20. April 1969
Scheiß-Geburtstags-Datum. Der Schnäuzer aus Österreich wäre heute achtzig geworden. Wenn er sich nicht davongestohlen hätte.
Ich bin jetzt also 24. Unfaßbar. Ich komme mir vor wie 40. Na ja, die letzten acht Jahre haben ja auch dreifach gezählt. Jedenfalls komme ich mir älter vor als dieser Junge mit seinen 36.
Hartmut haben ihn seine Eltern genannt. War wohl damals große Mode. Dabei ist er weder hart noch mutig. Aber vielleicht irre ich mich auch.
Ich kenne ihn ja erst ein paar Stunden. Aber die hatten es in sich.
Es fing damit an, daß Hannelore anrief. Es sei irgend etwas mit ihrem Mann und darum könne sie erst später ins Wochenendhaus fahren. Ihr Stiefsohn sei aber zu Besuch und er werde mich abholen und zur Jagdhütte bringen.
„Flirte ruhig mit ihm“, hatte sie noch gesagt. „Zeig dich von deiner weiblichsten Seite! Ich möchte nicht, daß er Verdacht schöpft!“ Und nach einem kurzen Schweigen hatte sie noch hinzugefügt: „Vielleicht macht dir eine solche Abwechslung sogar mal wieder Spaß …“ Und ehe ich etwas sagen konnte, hatte sie aufgelegt.
Ich zog Jeans und Pulli aus und nahm das zitronengelbe Seidenjersey-Kleid mit den weiten Bündchenärmeln. Es ist zwar kein Super-Mini, aber im Sitzen habe ich immer Mühe, daß die Ränder der halterlosen Strümpfe nicht hervorlugen.
Dieses Kleid ist eines der schärfsten, es sitzt wie eine zweite Haut auf dem Körper. Darum trage ich es auch ohne Büstenhalter. Selbst bei der Auswahl des Höschens muß man bei diesem Kleid sorgfältig sein, damit sich keine unschönen Gewebekanten abzeichnen.
Hartmut kam pünktlich, war ausgesucht höflich und er sah gut aus. Sehr groß, schlank, dunkelbraunes, kurzgeschnittenes Haar, graue Augen in einem unregelmäßigen Gesicht, das zumeist einen Anflug von Arroganz zeigte.
Ich wußte, er war sechsunddreißig. Ein Jahr älter als Hannelore, seine Stiefmutter. Er sah auch so aus. Man konnte ihn kaum jünger schätzen, obwohl er im Gegensatz zu vielen jungen Managern seines Alters noch keine Fettrollen über den schmalen Hüften hatte.
Auf der Fahrt sprach er nicht viel. Er konzentrierte sich auf den Verkehr. Keinerlei Playboy-Mätzchen mit Hand-auf-dem-Oberschenkel, Kleid-hochschieben und so. Wahrscheinlich hat er nicht einmal meine Knie gesehen, die im grünen Armaturenlicht unter meinem Frühjahrsmantel hervorschimmerten.
Als wir am Jagdhaus angekommen waren, drückte er mir den Schlüssel in die Hand und sagte: „Sie kennen sich doch hier aus!“
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
„Ich war schon ein paarmal eingeladen“, sagte ich. „Von meinem alten Herrn oder von Hannelore?“ „Teils, teils.“
Er fühlte sich dann auch ganz als Gast und ließ sich von mir bedienen. Er entschied sich für Rum und Orangensaft. Ich hatte mir Tee gemacht.
„Sie halten nichts von Alkohol?“ fragte er.
„Er macht mich zu früh müde“, antwortete ich, reckte mich lang über die Couch und ließ das Tonband mit der zärtlich-romantischen Barmusik laufen. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, daß sein Blick an meinem Rocksaum hängenblieb, der wegen der gestreckten Haltung ziemlich hochgerutscht war.
In dem geneigten großen Spiegel zwischen den Jagdtrophäen sah ich, was auch er sehen konnte: ein Stück meiner sonnengebräunten Schenkel über den Rändern der Strümpfe und einige leuchtende Fleckchen meines knappen lindgrünen Minihöschens.
Ich richtete mich wieder auf und strich mit beiden Händen das Kleid glatt – betont langsam über die Brüste zu den Hüften bis auf die Schenkel. Mit einem prüfenden Blick stellte ich befriedigt fest, daß meine Brustwarzen sich steil aufgestellt hatten, und sie preßten sich überdeutlich gegen den dünnen Stoff.
Es war ihm nicht entgangen, denn er grinste: „Mit diesem Kleid könnten Sie den Heiligen Antonius aus einem gutbestückten Harem herauslocken.“
„Ohne meine Figur wäre das Fähnlein nichts.“
„Stimmt“, sagte er einfach. Kein Vibrieren in der Stimme. Kein Überschwang. Er zog ein ledernes Zigaretten-Etui aus der Tasche. „Möchten Sie eine Marihuana-Zigarette?“
„Warum nicht?“
„Ist Ihnen wohl nicht neu?“
„Ich kenne das marokkanische Haschisch. Sie nennen es Kif.“
„Und es hilft Ihnen …“
„Manchmal“, sagte ich und wußte dabei, daß es mich in meiner augenblicklichen Stimmung verrückt machen würde.
Er gab mir Feuer.
„Sie rauchen nicht?“ fragte ich und sah ihm herausfordernd in die Augen, ehe ich endlich den ersten Zug tat.
„Haschisch läßt mich kalt, wenn ich Alkohol trinke – aber zu Tee paßt es gut.“
„Fehlt dann nur noch der Bauchtanz …“
„Ach – Sie kennen also den Orient?“ fragte er erstaunt.
„Ich war einmal in Nordafrika.“
„Soso.“ Er grinste. Ich wußte nicht, ob es Zweifel oder wissender Spott war.
Mich ritt jetzt schon der Teufel – nach den ersten sechs bis sieben Zügen. Ich nahm die Kif-Lunte in die linke Hand, faßte mit zwei Fingern der rechten in den kleinen Ausschnitt meines Kleides und zog langsam den Reißverschluß auf. Ich hatte diesen Gag schon mehrfach vor dem Spiegel geübt und wußte, daß er wirkungsvoll war.
Das enge Kleid sprang vorne nach rechts und links zurück. Meine Brüste schienen sich vorwitzig hervorzudrängen. Die dunkelroten Höfe waren deutlich zu sehen, aber die Brustwarzen blieben gerade noch verborgen.
Hartmut sah interessiert, aber gelassen zu und ich zog den Reißverschluß weiter bis zum oberen Rand des Höschens. Dann nahm ich das Amulett, das an einem dünnen goldenen Kettchen unter meinem Nabel hing und drehte die Schriftseite nach vorn. Ich lächelte Hartmut an, versuchte mit meinem Blick in seine halbgeschlossenen Augen zu stechen, senkte dann die Lider und schielte dabei auf seine enge maßgeschneiderte Hose – nichts!
Selbst, wenn er eine sehr enge Unterhose trüge, müßte man was merken, dachte ich. Und zumindest, als er dann aufstand, um den kleinen Couchtisch herumkam und höflich das Amulett besichtigte …
„Es zeigt eine Bauchtänzerin in der typischen Bodenpose und die Schrift ist arabisch“, erklärte ich.
„Hm“, machte er.
Er drehte die runde Medaille in den Fingern, ohne auch nur mit einem Fingernagel meine Haut zu berühren und sagte: „Es steht nicht mehr drauf als auf einem Andenkenfoto, das sich Sechzehn- bis Sechzigjährige schenken: ‚Zur Erinnerung an eine schöne Zei’ … Woher haben Sie es?“
„Ein Freund hat es mir damals in Tanger gekauft“, antwortete ich wütend.
Ich hatte erwartet, daß er mich auf die breite Couch werfen würde, mich küßte oder wenigstens meine Brüste unter dem Kleid hervorholte – oder überhaupt irgend etwas tat, das dem Grad meiner Erregung entgegengekommen wäre. Nichts.
Er drehte sich um, ging zur Bar, mixte sich noch einen Rum-Collins, setzte sich wieder in seinen Sessel und schlug die Beine übereinander.
„Sie machen sich wohl nichts aus Mädchen, Hartmut?“ sagte ich aggressiv und zog den Reißverschluß wieder hoch.
„Doch, doch – aber …“
„… ich bin wohl nicht hübsch genug.“
„Ich genieße Ihre Schönheit, vor allem, wenn Sie den Reißverschluß offen haben.“
„Öffnen Sie ihn selbst. Und bei der Gelegenheit können Sie mir noch eine Kif-Zigarette anzünden.“
„Aber gern … Und dann möchte ich mit Ihnen tanzen – wenn Sie mögen.“
Nichts wollte ich lieber als das. Ich wollte ihn endlich fühlen. Seine knochige Gestalt. Seine Muskeln. Seine breiten Schultern. Seine Schenkel. Wenn er doch bloß auf die Idee käme, wenigstens die blöde Jacke auszuziehen, dachte ich.
Aber nein – er knöpfte sie zu, deutete eine höfliche Verbeugung an, steckte mir die brennende Kif-Zigarette zwischen die Lippen, legte den rechten Arm um meine Taille, zog mit der linken Hand den Reißverschluß langsam bis zum Nabel auf, und zupfte das Kleid so zurecht, daß er von oben meine Brüste sehen konnte. Dann drückte er seinen Unterleib gegen meinen, so daß jeder seiner wiegenden Tangoschritte immer wieder neue Explosionen auf meiner kaum geschützten Haut auslöste. Die pulsierenden Stöße in meinem Schoß wurden häufiger, überstürzten sich. Ich preßte meine Schenkel, meinen Schamhügel an ihn.
Und da war es wieder! Diese Enttäuschung war wie ein Schlag ins Gesicht, ich spürte nicht das, was ich eigentlich hätte spüren müssen …
Seine Hände liebkosten mich. Mit der Rechten strich er sanft über meine Hüften, meinen Po, und seine Fingerspitzen umkreisten langsam das Ende meiner Wirbelsäule. Seine linke Hand packte fest, aber nicht brutal, meine rechte Brust.
Unsere Lippen hatten sich längst aneinander festgesaugt. Seine Zunge stieß in meinen Mund. Ich drängte sie im Rhythmus der Musik zurück.
Bei einem Rückwärtsschritt reckte ich ihm meinen Oberschenkel in die Leiste. Ich konnte nichts feststellen.
Aber meine rechte Hand war frei, das heißt, sie lag auf seiner Hüfte. Ich ließ sie über sein angespanntes Bauchfell wandern, ließ die Fingerspitzen spielen, ohne meine langen scharfen Nägel allzu stark einzusetzen. Ich fühlte das schmale Lederband, die kühle Schnalle des Leibriemens, nahm den wohltuenden Übergang wahr von der hartangespannten Bauchmuskulatur zu den weichen nachgiebigen Teilen, die eigentlich in meiner Wunschvorstellung zum Teil härter, aggressiver hätten sein sollen.
Seine Lippen lösten sich von meinem Mund, strichen zart über meine Wange, liebkosten mein Ohrläppchen. Seine Zunge bohrte sich für einen kurzen Augenblick in meine Ohrmuschel und ehe ich den Kitzel ganz auskosten konnte, flüsterte er zärtlich: „Für den Anfang ist das schon ganz gut. Wer verbietet dir, weiterzumachen? … Es ist ein Reißverschluß da.“
Als ob ich das nicht schon längst bemerkt hätte!
Meine Finger ließen sich Zeit bei der schwierigen Aufgabe, bis zu seiner bloßen Haut vorzudringen.
Und es war so, wie ich befürchtet hatte …
Nicht einmal eine Spur der üblichen Reaktion war festzustellen.
War ich wirklich so reizlos?
Nein – ich weiß, daß ich es nicht bin!
Es mußte bei ihm liegen. Und es lag bei ihm, wie ich später erfuhr.
Nur, in diesen Sekunden hatte ich keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich konnte nur an das eine denken: Sein Liebeswerkzeug so zu fühlen, so zu sehen, so zu erleben, wie es sein mußte, um meine Lust vollkommen zu machen.
Ich spürte förmlich, wie sich meine Scheide sehnend dehnte und ein Zucken ging durch meinen ganzen Leib, als meine Hand fühlte, wie die Vorhaut eng und enger wurde, das Glied sich streckte und wuchs. Endlich zuckte auch seine Eichel, die ich leicht zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Und im gleichen Rhythmus fühlte ich das kraftvolle Pulsieren des Blutes in meinem Kitzler.
Auch sein Atem ging jetzt schneller. Mit einem langen Schlenkerer an meinem Gaumen entlang nahm er seine Zunge aus meinem Mund, schluckte kurz und sagte heiser: „Oh verdammt – wann wollte Hannelore eigentlich hier sein?“
Es war für mich wie eine eiskalte Dusche. Ich haßte und beneidete gleichzeitig seine Beherrschtheit.
Eine zur Tür hereinplatzende Hannelore wäre für mich unangenehmer gewesen als für ihn. Aber das konnte er nicht ahnen.
Es bereitete mir einen stark fühlbaren Schmerz, als ich mich langsam von ihm löste und auf die Uhr schaute.
„Sie müßte jetzt jeden Moment kommen. Man hört zwar im allgemeinen den Wagen …“
Ich sah lächelnd zu seiner Hose hinunter, zog den Reißverschluß an meinem Kleid hoch und wiederholte: „Im allgemeinen hört man es. Aber in solch einer besonderen Situation …“
Und eigentlich freute ich mich über die Tatsache, daß die herrlich knisternde Spannung zwischen ihm und mir noch nicht so bald der totalen, oft so ernüchternden Erschöpfung weichen mußte.
Während ich sein Gesicht scharf beobachtete, das unter der braunen Haut eine gewisse Röte der Erregung erkennen ließ, schoß mir blitzartig eine Wunschvorstellung durch das Gehirn: ‚Wenn Hannelore in ihrer jungenhaft forschen Art mit ihrem Jaguar gegen einen Baum fahren würde … Hartmut und ich wären dann für das ganze lange Wochenende allein.’ Aber schon in der nächsten Zehntelsekunde führte ich diesen abscheulichen Gedanken logisch fort: irgendein Gendarmerieposten würde anrufen und wir müßten die Leiche identifizieren, das Auto abschleppen lassen – und – und – und …’
Als ob er meine Gedanken erraten hätte, sagte Hartmut von der Bar her: „Ich fürchte, wir müssen ein neues Rendezvous ausmachen. Schade. Diese Nacht ist wohl nicht unsere Nacht …“
Es klang resigniert und das sagte ich ihm auch.
„Sehen Sie, Rosemarie“, sagte er schleppend, während er sich viel zuviel Rum in den Orangensaft goß, „ich weiß, daß Sternstunden selten sind …“
Da klingelte das Telefon in Hannelores Schlafzimmer. Ich dachte an den Gendarmerieposten, als ich den Hörer aufhob.
Aber es war Hannelore.
„Seid ihr schon übereinander hergefallen?“
Ehe ich noch Luft zu einer Antwort holen konnte, fuhr sie fort:
„Also – ich kann heute nicht mehr rauskommen. Robert läßt mich nicht weg. Ich komme frühestens morgen mittag. Ich schätze, daß dir das recht ist …“
Ich atmete tief durch, um zu verhindern, daß meine Stimme vibrierte, als ich ihr sagte:
„Dein Stiefsohn ist mehr am Fernsehprogramm interessiert als an mir – und außerdem finde ich ihn langweilig.“
Aus ihrer Antwort wurde ich nicht ganz klug. Sie sagte: „Das wundert mich. Ich kenne ihn und ich kenne dich … Nun – wir sehen uns ja morgen.“
Mein erster Gedanke, als ich den Hörer aufgelegt hatte, war, mir das Kleid vom Leib zu reißen. Ich tat es.
Aber im nächsten Augenblick wußte ich, daß das zu einfach wäre. Zu kurz. Zu wenig Spannung. Zu wenig Kitzel. Eine stark verkürzte Erwartung.
Sekundenlang stand ich vor Hannelores kombiniertem Wäsche- und Kleiderschrank. Dann sah ich die schwarze Spitzenstola, die sie einmal von Malta mitgebracht hatte. Ich legte sie mir um die Schultern und sah ihre Enden aufreizend kontrastieren auf meinem knappen lindgrünen Höschen. Nur die Strümpfe paßten nicht dazu. Ich zog sie aus.