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Willkommen in einem Waschsalon voller Wunder – der Feelgood-Bestseller aus dem Trendland Südkorea!
In einem charmanten Viertel mitten in Seoul befindet sich ein kleiner Waschsalon, in dem nicht nur Wäsche gereinigt wird, sondern die Menschen auch ihre Sorgen loswerden. Denn sie hinterlassen in einem grünen Tagebuch, das im Salon ausliegt, ihre Nöte, Ängste und Geschichten – und erhalten hinterher schriftlich Rat von anderen Besuchern. Auf diese Weise finden fünf ungleiche Menschen zusammen, die nicht nur das Geheimnis um den Ursprung des rätselhaften Tagebuchs lüften, sondern emotionale Heilung finden und ihr Leben wieder schätzen lernen.
Ein einfühlsamer und mit dem Leben versöhnender Roman über außergewöhnliche Begegnungen an einem ungewöhnlichen Ort.
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Seitenzahl: 330
Veröffentlichungsjahr: 2024
Buch
In einem charmanten Viertel mitten in Seoul befindet sich ein kleiner Waschsalon, in dem nicht nur Wäsche gereinigt wird, sondern die Menschen auch ihre Sorgen loswerden. Denn sie hinterlassen in einem grünen Tagebuch, das im Salon ausliegt, ihre Nöte, Ängste und Geschichten – und erhalten hinterher schriftlich Rat von anderen Besuchern. Auf diese Weise finden fünf ungleiche Menschen zusammen, die nicht nur das Geheimnis um den Ursprung des rätselhaften Tagebuchs lüften, sondern emotionale Heilung finden und ihr Leben wieder schätzen lernen.
Autorin
Kim Jiyun wurde 1992 geboren und wuchs in Seoul auf. Sie studierte Kreatives Schreiben, schrieb Drehbücher und absolvierte einen Schauspielkurs. Eines Nachts, als sie durch die lärmenden Straßen des Viertels Hongdae in Seoul ging, inspirierte sie ein sanft erleuchteter Waschsalon zu ihrem ersten Roman. Sie liebt Filme, TV-Serien und Romane – und sie mag glänzende Dinge: Sterne, Sonnenschein und Lächeln.
Kim Jiyun
Roman
Deutsch von Tamina Hauser
Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel
(Bubbling Yeonam-Dong Laundry) bei Sam & Parkers, Seoul.
This book is published with the support of the Literature Translation Institute of Korea (LTI Korea).
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Copyright der Originalausgabe © 2023 by Kim Jiyun
All rights reserved including the rights of reproduction in whole or in part in any form.
Published by arrangement via Eric Yang Agency c/o Randle Editorial & Literary Consultancy.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Limes in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Hanka Leo
Umschlaggestaltung: Anke Koopmann | Designomicon
Umschlagmotive: Shutterstock.com (Yousuk Yang; Val_Iva; Painterstock; VVadyab Pico; Vector Tradition; Illustration_Desing; SHIROKUMADESIGN; JAEHWANGOH; ProStockStudio)
BV · Herstellung: KH
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-32306-6V003
www.limes-verlag.de
Jindol jaulte leise. Seit dem Tod seiner Frau kümmerte Herr Jang sich allein um den weißen Hund, der zur koreanischen Jindo-Rasse gehörte. Mit seinen neun Jahren konnte dieser sein Geschäft nicht mehr allzu lange aufschieben. Normalerweise verrichtete er es beim Spazierengehen oder im Garten, deshalb ließ Herr Jang die Tür zur Terrasse immer einen Spalt offen, aber heute war sie wegen des starken Frühlingswindes geschlossen. Nachdem Jindol also stundenlang vor der Tür gestanden hatte, wie ein Welpe winselnd, hatte er auf Herrn Jangs Decke gepinkelt.
Herr Jang selbst lag auf dem Sofa im Wohnzimmer, nachdem er vor dem Fernseher eingedöst war. Als die Decke durch den Urin immer feuchter wurde, wachte er auf.
»Oh, ist das nass!«
Jindol blickte ihn mit mitleidserregender Miene an, seine schwarzen Augen glänzten. Herr Jang fühlte sich schuldig und richtete sich auf.
»Jindol, hast du hier draufgepinkelt? Ach, die Tür ist geschlossen … Du hast es auch nicht leicht, was? Schon gut, das kann man waschen. Dafür sind Waschmaschinen ja da, also mach dir keine Sorgen.«
Der beschämte Jindol vergrub den Kopf in Herrn Jangs Schoß und wedelte kräftig mit dem Schwanz. Herr Jang steckte die besudelte Bettdecke in seine alte Waschmaschine. Da die Knöpfe abgenutzt waren, ließ sie sich nicht sofort einschalten, also drückte er noch einmal kräftig mit dem Daumen darauf. Er stellte den Deckenwaschgang ein und ließ die Maschine laufen. Eine Stunde und fünfundvierzig Minuten würde es dauern.
Herr Jang wohnte in einem freistehenden Haus, sodass er sich auch mitten in der Nacht keine Sorgen um den Lärm der Waschmaschine machen musste. Das weiße, zweistöckige Gebäude lag im Stadtteil Yeonnam-dong. Ein weitläufiger Garten mit gepflegtem Rasen und großem blauem Eisentor säumte es. Seit vierzig Jahren lebte er nun schon hier. Anfangs hatte die Gegend einer ruhigen Siedlung mit Einfamilienhäusern geähnelt, aber da sich das Viertel Hongdae mehr und mehr zu einem Ort für die Jugend entwickelte, wurde auch Yeonnam-dong immer beliebter. Die meisten von Herrn Jangs Nachbarn waren inzwischen weggezogen, nachdem sie ihre Häuser in Geschäfte umgewandelt und das Erdgeschoss an Cafés und Restaurants vermietet hatten. So wurde Herr Jangs Haus mit dem blauen Tor zu einem der wenigen noch unvermieteten Häuser in Yeonnam-dong.
Es gab drei Zimmer im Erdgeschoss und drei im ersten Stock, ein großes Haus für eine einzelne Person. Herr Jang hatte überlegt, mit seinem Hund woanders hinzuziehen, aber wegen der Erinnerungen an seine Frau wollte er das Haus nicht aufgeben. Die Magnolien, Jujuben, Kakibäume und Pappeln im Garten sowie die Narzissen, Rosen und Kirschtomaten, die gerade in den Töpfen blühten, waren alle von seiner Frau gepflanzt worden. Mit seinen mittlerweile achtzig Jahren fiel es Herrn Jang zunehmend schwerer, das zweistöckige Haus zu putzen sowie die Bäume im Garten zu pflegen, aber er wollte seiner Frau im Himmel eine Freude machen, indem er sich in ihrer Abwesenheit gut um die Pflanzen kümmerte.
Herr Jang trank ein Glas lauwarmes Wasser und nahm die Fernbedienung zur Hand. Während er die Nachrichten auf dem Bildschirm verfolgte, ratterte die Waschmaschine, beendete den letzten Schleudergang und piepste dann laut. Herr Jang stellte sich vor die Maschine und zog mit einem Stöhnen die feuchte Bettdecke heraus, trug sie in den Garten und hängte sie auf die Wäscheleine. Beim Gehen achtete er darauf, Jindol, der ihm vom Waschraum gefolgt war, nicht auf die Pfoten zu treten. Es war noch dunkel draußen, aber die Sonne würde bald aufgehen. Und während Herr Jang die Decke aufhängte, konnte Jindol sich schließlich unter dem Jujube erleichtern.
»Fühlst du dich jetzt besser?«
Jindol kam bellend und mit wedelndem Schwanz auf Herrn Jang zugelaufen.
»Pst! Sei ruhig, alle anderen schlafen noch.«
Als Herr Jang den Zeigefinger auf den Mund legte, verstummte Jindol.
»Brav so. Es ist kalt, lass uns reingehen!«
Am Nachmittag kamen einige Leute über siebzig im Seniorenzentrum zusammen – ein seltener Anblick im Jugendviertel Hongdae.
»Doktor Jang, meine Knie machen mir in letzter Zeit so sehr zu schaffen. Früher war es nur beim Gehen, aber jetzt tun sie mir auch im Sitzen oder Liegen weh. Was soll ich tun?«
Frau Hong trank einen Schluck Instantkaffee aus einer Plastikwasserflasche, während Herr Wu, der sich als Herr Jangs Rivale betrachtete, sie tadelte: »Herr Jang ist kein Arzt und auch kein Apotheker mehr, was weiß er schon? Wenn Sie krank sind, sollten Sie ins Krankenhaus gehen!«
Herr Jang kommentierte dies mit einem Hüsteln, dann antwortete er Frau Hong: »Es könnte einfach am Alter liegen oder vielleicht sind die Gelenkknorpel am Ende …«
»Sagt derjenige, der letztes Jahr nach all den Problemen die Apotheke geschlossen …« Mitten im Satz brach Herr Wu ab. Nach fast fünfzig Jahren war Herr Jang letztes Jahr gezwungen gewesen, seine Apotheke nahe der Station Sinchon zu schließen und seinen Apothekerkittel abzulegen, nachdem er Rezepte falsch gelesen und zu viele Medikamente herausgegeben hatte.
Nachdem er sich ein paarmal geräuspert hatte, sagte Herr Jang: »Ich schicke Ihnen einen Tipp per SMS.«
Herr Wu blickte Frau Hong mit zusammengekniffenen Augen an und sagte dann: »Bis zum Schluss spielt er den Apotheker.«
»Herr Wu! Reißen Sie nicht Doktor Jangs Wunde auf. Schließlich werden wir alle alt …«
»Wo wir schon dabei sind, Frau Hong, warum sprechen Sie ihn als Doktor Jang an und mich als Herrn Wu? Nehmen Sie mich etwa nicht für voll?«
»Lassen Sie uns aufbrechen, Doktor Jang. Jindol ist schon zu lange allein da draußen.«
Frau Hong fasste Herrn Jang am Ärmel und die beiden gingen zur Tür hinaus. Jindol, der angeleint vor dem Seniorenzentrum wartete, wedelte mit dem Schwanz, als sie auf ihn zukamen.
»Jindol, du armer Kerl, darfst nicht einmal reinkommen wegen dem mürrischen alten Mann da drinnen. Ich habe dir ein Leckerli mitgebracht.« Frau Hong holte einen Hundekauknochen mit Rindfleischgeschmack aus ihrer selbst gehäkelten roten Tasche und reichte ihn Jindol.
»So was Feines. Sie verwöhnen meinen Jindol ja richtig.«
»Nehmen Sie sich Herrn Wus Worte nicht zu Herzen. In anderen Seniorenzentren wurde er gemobbt, seitdem kommt er hierher und spielt sich auf.«
»Aha«, sagte Herr Jang belustigt. »Nun, ich schicke Ihnen den Namen eines wirkungsvollen Nahrungsergänzungsmittels für Ihre Knie.«
»Vielen Dank, Doktor Jang.«
»Nicht der Rede wert. Es ist gut zu wissen, dass ich noch nützlich sein kann. Holen Sie Ihren Enkel von der Schule ab?«
»Ja, ist es etwa schon so spät?«, erwiderte Frau Hong, und Herr Jang bot ihr an, gemeinsam aufzubrechen.
»Vielleicht kann ich auf dem Heimweg mit Jindol eine Runde um die Grundschule drehen.«
»Nein, ich kann nicht direkt zur Schule gehen.«
»Ich dachte, Sie wollten Ihren Enkel abholen?«
Frau Hong rieb sich den Ringfinger ihrer linken Hand, an dem ein Glied fehlte, und sagte mit leiser Stimme: »Mein Enkel will, dass ich etwas weiter entfernt warte. Ich fürchte, er schämt sich vor seinen Freunden für seine Großmutter mit den verstümmelten Fingern … Das ist passiert, als ich in einer Fabrik an einer Nähmaschine gearbeitet habe. Alles, um seinen Vater großzuziehen. Aber ich will nicht, dass mein Enkel wegen mir Probleme bekommt, also bleibt mir nichts anderes übrig.«
Mit einem bitteren Lächeln strich Frau Hong wieder über ihren Ringfinger. Sie trug schon lange keinen Ehering mehr – nun wurde ihr wohl bewusst, wie viele Jahre vergangen waren, seit sie ihn abgenommen hatte.
Herr Jang schloss den Mund und nickte grimmig.
Er beschloss, mit Jindol zum Yeontral-Park in Yeonnam-dong zu gehen. Die Straßen dorthin waren nachmittags weniger überlaufen als nachts, aber immer noch voller Menschen, von denen einige schon kurze Ärmel trugen, obwohl es ein kühler Frühlingstag war. Als die beiden den kleinen Fußgängerübergang zum Park passieren wollten, bemerkte Herr Jang eine junge Frau, die mit einer Ladung Wäsche aus einem Waschsalon kam. Während alle anderen Spaziergänger rundherum mit Kopfhörern in den Ohren ausdruckslos auf ihre Handys starrten, hatte sie ein Lächeln im Gesicht. Als ob sie gerade eine Erleuchtung gehabt hätte. Herr Jang ging zu dem Waschsalon, aus dem die junge Frau getreten war.
Yeonnam-dong-Binggul-Binggul-Waschsalon stand auf dem Schild, in einem sauberen, aber gefühlvollen Schriftzug, die einzelnen koreanischen Schriftzeichen von gelben Halogenlichtern beleuchtet. »Der lächelnde Waschsalon« also. Die Vorderseite des Ladens war von oben bis etwa auf Taillenhöhe verglast, wodurch man einen guten Blick ins Innere hatte, während der untere Teil aus Ziegeln in einer hellen Mischung aus Elfenbein und Grau bestand, was dem Laden ein entspanntes, aber strenges Aussehen verlieh. Die Frühlingssonne schien tief in den Raum hinein, in dem eine große Waschmaschinentrommel im Kreis lief. Auf einem Holztisch am Fenster stand eine Kaffeemaschine, die niedrigen Regale an der Wand waren mit Büchern gefüllt.
»Ein Waschsalon und eine Bibliothek und ein Café. Die Welt hat sich wahrlich zum Besseren verändert, nicht wahr, Jindol?«
Als Antwort wedelte der Hund mit dem Schwanz.
Später, nachdem Herr Jang durch das Tor in den Garten seines Hauses getreten war, befühlte er als Erstes die Steppdecke auf der Wäscheleine. Sie war zwar immer noch etwas feucht, das eigentliche Problem war aber der Geruch. Ob es an Jindols Urin lag oder daran, dass die alte Waschmaschine nicht mehr richtig funktionierte – der Geruch war geblieben.
Herr Jang runzelte die Stirn. »Ich habe heute keine Decke zum Schlafen …«
Jindol, im Gegensatz zu Herrn Jang unbekümmert, legte sich vor das Beet mit den roten Kirschtomaten und genoss die warme Sonne. Da klingelte es an der Haustür.
»Vater, wir sind’s.«
Als Herr Jang die Tür öffnete, standen sein Sohn und seine Schwiegertochter vor ihm. Sie hielt eine Papiertüte in der Hand, aus der der Schwanz eines Kugelfisches herausragte.
»Danke, dass ihr gekommen seid.«
»Nichts zu danken, das Auto fährt sich praktisch von selbst«, sagte sein Sohn und steckte den Schlüssel seines Wagens, auf dem das Logo eines springenden schwarzen Pferdes prangte, in die Hosentasche.
Herr Jang, sein Sohn und seine Schwiegertochter hielten gemeinsam die Zeremonie zum Todestag seiner Frau ab. Da sie bei einem Unfall ums Leben gekommen war, gab es kein richtiges Trauerfoto, sondern nur ein vergrößertes Passfoto, das sie mit Anfang fünfzig zeigte – zwanzig Jahre jünger als zum Zeitpunkt ihres Todes. Sie vollzogen das Ritual vor acht Uhr abends, damit der Sohn und die Schwiegertochter Herrn Jangs Enkel noch von seinem Englischkurs abholen konnten. Noch bevor der Geruch des Weihrauchs verflogen war, räumten die beiden den Zeremonientisch ab.
»Suchan habe ich auch schon lange nicht mehr gesehen«, merkte Herr Jang enttäuscht an.
»Was redest du da? Zu Neujahr sind wir alle bei dir gewesen«, erwiderte sein Sohn.
Die Schwiegertochter, die gerade mit dem Abwasch fertig war, kam mit einem Obsttablett aus der Küche und setzte sich neben Herrn Jang. »Mit Jindol bist du nicht einsam, oder? Und tagsüber auf dem Weg zum Seniorenzentrum könnt ihr die Sonne genießen«, sagte sie, während sie den Hund am Bauch kraulte.
»Ja, es ist schön, Jindol zu haben. Wir gehen im Park spazieren und sehen uns die Gegend an. Hier gibt es viele ungewöhnliche Geschäfte.«
»Ungewöhnliche Geschäfte?«
»Ja, heute habe ich beim Spaziergang einen Waschsalon entdeckt, der wie ein Café eingerichtet ist. Man kann dort Kaffee trinken und Bücher lesen. Die jungen Leute lieben ja Kaffee. Aber Koffein macht süchtig, deshalb trinke ich lieber grünen Tee. Du solltest im Krankenhaus auch lieber Tee trinken, keinen Kaffee, mein Junge.«
»Keine Sorge, ich achte auf seine Gesundheit«, warf Herrn Jangs Schwiegertochter ein.
»Wo wir gerade bei Ratschlägen sind, Vater …« Sein Sohn schluckte nervös. »Dein Haus …«
»Das reicht. Sprich nicht weiter.«
»Hör mir doch erst mal zu!«
»Ich weiß schon, was du sagen willst. Dass ich das Haus umbauen, als Geschäft vermieten und stattdessen in einer winzigen Wohnung leben soll!«
»Werd nicht gleich wütend, sondern hör bitte zu. Meine Schwägerin, die Theaterautorin, hat in dieser Gegend ein Haus gekauft und vermietet es. Es ist praktisch, eine feste Einnahmequelle zu haben. Außerdem wird die Gegend wegen des Yeontral-Parks immer beliebter und du hast selbst gesagt, dass du beim Spazierengehen einige neuartige Geschäfte bemerkt hast. Andere verdienen sich mit einem Waschsalon Geld dazu – warum willst du unbedingt dieses große Haus für dich alleine haben?«
Die Schwiegertochter, die gerade eine Birne schälte und aufschnitt, stieß ihrem Mann in die Seite, pflichtete ihm aber bei. »Er hat recht. Wenn du hier wohnst, macht allein das Putzen viel Arbeit … Du würdest sicher eine gute Miete bekommen und das wäre weitaus besser, als den ersten Stock ungenutzt zu lassen.«
»Ich wiederhole: Die Antwort ist Nein«, sagte Herr Jang bestimmt.
Aber sein Sohn verlieh seiner Stimme mehr Nachdruck, als hätte er nicht vor, klein beizugeben. »Suchan hat einen Platz an der Fairmont Preparatory Academy in Orange County bekommen. Hast du eine Ahnung, wie hoch die Schulgebühren dort sind? Allein der Grundbetrag sind hunderttausend Dollar pro Jahr. Kannst du dir vorstellen, wie viel wir für ein Haus, Auto, Essen und Lebenshaltungskosten aufbringen müssen, wenn wir meine Frau und Suchan nach Kalifornien schicken?«
»Orange County? Kalifornien? Soll das heißen, du schickst Suchan in die USA?«
»Mit einem Abschluss von einer regulären Schule kann man heutzutage nicht mithalten.«
»Ich habe dich auf eine reguläre Schule geschickt und du hast es zu einem guten Arzt in einer Universitätsklinik gebracht. Ich habe sogar mit einem Bleistift in der Hand schreiben gelernt und es weit gebracht!«
»Wieder die alte Leier«, murmelte der Sohn beschämt vor sich hin.
»Es mangelt euch doch an nichts. Ihr habt eine gute Wohnung in Gangnam und trotzdem bist du gierig. Was hast du gesagt, als ich euch Geld für die Wohnung geliehen habe? Dass ihr dort einziehen würdet, um ein durchschnittliches Leben wie alle anderen zu führen.«
»Wer lebt heutzutage noch gern wie alle anderen? Man muss härter arbeiten, um besser leben zu können. Deshalb versuche ich, Suchan mehr Möglichkeiten zu bieten …«
»Genau das meine ich. Warum vergleichst du dich ständig mit anderen? Du machst dir selbst und letztendlich auch Suchan das Leben schwer. Versuch nicht, jemand zu sein, der du nicht bist.«
Der Sohn schüttelte resigniert den Kopf, dann stand er auf und zog seine Jacke an. »Dann bleib hier und klammer dich für den Rest deines Lebens an deine Erinnerungen. Komm, Schatz, gehen wir, sonst kommen wir noch zu spät zu Suchan.«
Die Schwiegertochter legte die geschälte Birne nieder und stand auf. Sie verbeugte sich zum Abschied und die beiden verließen das Haus.
Jindol setzte sich neben Herrn Jang auf das Sofa im Wohnzimmer. Die Haustür schloss sich mit einem dumpfen Geräusch.
»Soll man etwa all seine Erinnerungen und Sehnsüchte wegwerfen, nur weil man kein Geld damit verdient? Hm, Jindol?«
Jindol sah die Trauer in Herrn Jangs Augen und leckte dessen faltige Hand.
Herr Jang schluckte all seine Nährstoffpillen auf einmal. Omega 3, Biotin, Kalzium, Magnesium und Multivitamine. Dann versicherte er sich, dass die Haustür einen Spalt offen stand, damit Jindol hinausgehen konnte. Er holte die mittlerweile trockene Decke aus dem Garten und breitete sie auf dem Sofa aus. Er schlüpfte darunter, aber jedes Mal, wenn er sich umdrehte, stieg ihm der Geruch von Jindols Urin in die Nase.
»Sie müffelt immer noch, obwohl ich den superkonzentrierten Weichspüler benutzt habe, den der Verkäufer im Supermarkt mir empfohlen hat …«
Herr Jang versuchte, es sich gemütlich zu machen. Mit dem Finger tippte er auf die YouTube-App auf seinem Handy und scrollte langsam durch die Kanäle, die er abonniert hatte. Bei den meisten ging es um Politik oder Pflanzenpflege.
»Ah! Ich wollte doch eine Nachricht an Frau Hong schicken.«
Er schrieb die Namen von sechs verschiedenen Empfehlungen für Nahrungsergänzungsmittel wegen ihrer Knie auf und schickte eine Nachricht an sie.
Im Laufe seiner fünfzig Arbeitsjahre hatte Herr Jang die Apotheke nur in Notfällen geschlossen. Seine Frau hatte ihm das zwar manchmal übel genommen, aber auch gemeint, dass zumindest die Apotheke offen sein sollte, wenn die Krankenhäuser an Feiertagen nur einen Notdienst betrieben, und vielleicht hatte sie sich gerade wegen seines Verantwortungsgefühls in ihn verliebt. Sie hatte allein den Haushalt geführt, so wie er jetzt. Einmal in der Woche, wenn die Apotheke einen Ruhetag hatte, waren sie nach Goyang gefahren, um Stauden und Saatgut zu kaufen und im Garten zu pflanzen. Die Jujuben, die dort Wurzeln geschlagen hatten, und die Blumen, die den gesamten Zaun bedeckten, waren der Grund, warum Herr Jang das Haus nie zu einem Geschäft umbauen lassen würde.
Wegen des Uringeruchs, der ihm bei jeder kleinsten Bewegung in die Nase stieg, konnte Herr Jang nicht schlafen. Da kam ihm der Binggul-Binggul-Waschsalon in den Sinn, der rund um die Uhr geöffnet war. Er stand auf und schnappte sich die einfache Steppdecke, die perfekt in eine mittelgroße Plastiktüte passte. Gemeinsam mit Jindol machte er sich auf zum Waschsalon.
Gegen elf Uhr nachts war Yeonnam-dong überlaufener als tagsüber. Jetzt, wo er nicht einmal mehr ein Glas Reiswein vertrug, beneidete Herr Jang die jungen Leute, die im Gras saßen und Bier tranken, um ihre Energie. Jindol lief neben ihm her, im Gleichschritt mit seinem Herrchen.
Schon bald kamen sie beim Waschsalon an. Gerade als er Jindol an einem gut sichtbaren Platz vor dem Geschäft anbinden wollte, sah Herr Jang ein Schild mit der Aufschrift HAUSTIEREWILLKOMMEN und so gingen sie gemeinsam hinein. Herr Jang las sich die Anweisungen durch. Sie waren detailliert und in großen Buchstaben geschrieben, sodass selbst ältere Menschen sie problemlos lesen konnten.
Herr Jang steckte die nach Urin riechende Decke in einen der Waschtrockner. Dazu gab er Tücher mit dem charakteristischen Duft des Waschsalons. Nachdem er Jindol neben der Tür angeleint hatte, ging Herr Jang zum Bücherregal, um ein wenig zu lesen, aber keines der Bücher stach ihm ins Auge und so setzte er sich mit leeren Händen an den Bartisch vor dem Fenster. Die Aussicht auf den Park um elf Uhr nachts faszinierte ihn.
»Auch das wird eine Erinnerung werden. Stimmt’s, Jindol?« Er schaute auf den Hund, der ruhig dasaß. »Man kann die Zeit nicht zurückdrehen und auch für eine Milliarde Dollar kann man seine Jugend nicht zurückkaufen.«
Jindol wedelte sanft mit dem Schwanz.
»Ich wünschte, du könntest sprechen …«
Während er den Kopf wieder zum Fenster hob, fiel Herrn Jangs Blick auf das lindgrüne Tagebuch, das auf dem Tisch lag. In der Annahme, jemand habe es vergessen, wollte er es beiseiteschieben, doch da fiel ihm auf, wie abgegriffen es war. Neugierig schlug er das Tagebuch auf.
Eine Welt, in der jeder seine Beine ausstrecken und bequem schlafen kann, stand in einer Ecke auf der ersten Seite. Da die Buchstaben selbst auf der Rückseite sichtbar waren, waren sie wohl mit kraftvoller Hand geschrieben worden.
Mit seinem lindgrünen Einband unterschied sich das Buch von herkömmlichen Tagebüchern, die meist vom langweiligen Alltagsleben erzählten. In dem Kalender, der das gesamte Jahr auf einen Blick zeigte, prangte ein roter Stern.
»25. November«, murmelte Herr Jang. »Was ist das für ein Tag? Weihnachten ist am 25. Dezember, ist das dann vielleicht jemandes Geburtstag?«
Auf der nächsten Seite standen in großen Buchstaben die Worte Entnahme, Abholung und Zustellung, darunter in einer Art Organigramm – Zonen 1 – 1, 1 – 2, 1 – 3 – und andere unverständliche Notizen. Auf der nächsten Seite war eine Zeichnung, das Gesicht eines Mannes, offensichtlich von derselben Person hastig mit einem Stift gezeichnet. Schmale, längliche Augen, blasse, kurze Augenbrauen, eine hohe, aber leicht gekrümmte Nase, schmale Lippen.
Das Gesicht kam ihm bekannt vor. Er konnte es nicht genau zuordnen, aber er hatte diesen Mann definitiv schon einmal getroffen. Herr Jang schaute eine Weile auf die Zeichnung. Er blätterte durch die Seiten und überflog die Einträge, fand aber keinen Hinweis darauf, wer der Mann sein könnte. War es ein Selbstporträt? Er durchsuchte seine Erinnerungen, aber fand auch dort nichts.
Sein Kopf schmerzte von der Grübelei. Herr Jang beschloss, sich keine Gedanken mehr über die Zeichnung zu machen. Während er darauf wartete, dass der Waschtrockner seinen Dienst tat, sah er sich die anderen Einträge an, angefangen bei einem gekritzelten Mir ist langweilig, gefolgt von Fragen nach Empfehlungen für ein gutes Restaurant in Yeonnam-dong oder danach, was man zu einem Blind Date anziehen sollte. Vielleicht hatte der Besitzer oder die Besitzerin des Waschsalons es dort abgelegt oder jemand hatte es vergessen, aber wie auch immer, das Tagebuch war mit den großen und kleinen Sorgen verschiedenster Leute gefüllt.
Ich bin des Lebens überdrüssig. Warum ist es so schwer?
Andere Beiträge hatten viele Antworten erhalten, aber Herr Jang verweilte bei diesem. Niemand hatte etwas daruntergeschrieben. Vielleicht weil niemand Einfluss auf Leben und Tod eines Menschen nehmen wollte. Nach reiflicher Überlegung nahm Herr Jang den Stift zur Hand und schrieb sorgfältig eine Antwort:
Bodenbakterien in der Erde können wie ein Antidepressivum wirken. »Zu meiner Zeit« hören junge Leute nicht gerne, aber ältere Leute benutzen oft diesen Ausdruck. »Früher haben wir im Dreck gespielt.« Erinnern Sie sich? An die Zeit, als wir unbeschwert und glücklich waren und eine schlechte Stimmung wegwuschen, indem wir unsere Hände in den Dreck steckten. Ohne es zu merken, machte uns das unbewusst glücklicher. Ich empfehle Ihnen, sich eine Pflanze zuzulegen. Machen Sie sich die Hände schmutzig, stellen Sie sie in die Sonne, gießen Sie sie und lüften Sie gut. Sie werden sich so viel besser fühlen, dass Sie gar nicht mehr wissen, ob Sie sich um die Pflanze kümmern oder umgekehrt.
Als er fertig war, legte er den Stift beiseite. Ehe er sich’s versah, war der Trockengang bereits abgeschlossen.
»Es wäre schön, wenn dieser Person damit geholfen wird …«
Herr Jang stand auf, öffnete die Tür des Waschtrockners und zog die Bettdecke heraus. Als er die Nase darin vergrub, hatte er das Gefühl, dass selbst der abgestandene Geruch nach altem Mann, den er zuvor nicht wahrgenommen hatte, verschwunden war. Er dachte bei sich, dass er wieder hierherkommen würde. Er verstaute die Bettdecke in der Plastiktüte und griff nach Jindols Leine.
Nachdem er den Waschsalon verlassen hatte, ging er in den Mini-Markt nebenan. Er stellte sich vor das Kühlregal und wählte in aller Ruhe ein Getränk aus. Aus irgendeinem Grund wollte er der Person, die den Eintrag geschrieben hatte, nicht nur antworten, sondern ihr auch Energie geben. Er nahm eine Flasche Vitamingetränk in die Hand, größer als die, die er ursprünglich hatte kaufen wollen, bezahlte sie, ging zurück in den Waschsalon und stellte das Getränk neben das Tagebuch.
In dem Moment öffnete eine Frau Mitte dreißig die Tür und trat ein. Es war spät, nach Mitternacht, und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Aus dem Wäschekorb, den sie trug, lugte eine rosa Unterhose mit Erdbeermuster hervor. Als er die Kinderunterwäsche und das Erstaunen der Frau sah, kam Herr Jang der Gedanke, dass sie die Person sein könnte, der er geantwortet hatte.
Als Herr Jang in der Apotheke gearbeitet hatte, waren oft Frauen mit einer Depression zu ihm gekommen. Sie erzählten ihm, dass ihr Herz raste, weil sie den ganzen Tag für ihre Kinder auf Abruf bereitstanden. Sie waren nervös, ängstlich und lethargisch und baten ihn um rezeptfreie Antidepressiva. Herr Jang hätte ihnen Johanniskraut geben können, doch stattdessen schlug er vor, es mit Mandarinen zu versuchen, da diese gut für die Schilddrüse waren, und mit Honig, der Depressionen vorbeugte. Wenn sie sich dann immer noch nicht besser fühlten, würde er ihnen Tabletten geben, versprach er, während er ihnen mit einem freundlichen Lächeln ein nahrhaftes Stärkungsmittel reichte.
Er eilte mit Jindol aus dem Waschsalon, weil er befürchtete, die Frau würde nicht mehr in das Tagebuch schreiben, wenn er sich ihr zu erkennen gab. Doch draußen ging er langsam weiter, in der Hoffnung, dass sie, wenn sie tatsächlich diejenige war, die den Eintrag geschrieben hatte, seine Antwort darunter lesen würde. Aber die Frau schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Sie schaute nur ab und an aus dem Fenster, während sie die Wäsche in die Maschine steckte.
• • •
»Mama, ich habe ins Bett gemacht …«
Nahi tapste ins Schlafzimmer ihrer Eltern, um Mira zu wecken. Auf Miras Stirn zeichneten sich scharfe, tiefe Linien ab, als hätte jemand mit einem Dreizack hineingeritzt. Als Nahi sie schüttelte, wachte sie nicht auf. Da ihre Mutter sich nicht regte, versuchte Nahi, ihren Vater Woocheol wach zu rütteln.
Mit einem Hauch Irritation in der Stimme sagte er: »Mira, Schatz, Nahi hat ins Bett gemacht.«
»Oje …«
Woocheol rüttelte an Mira, woraufhin diese sich mit einem leisen Stöhnen aufrichtete. Sie sah Nahi an, die mit besorgtem Gesichtsausdruck am Bettrand stand. »Nahi, hast du Pipi gemacht?«
»Ja, auf die Decke. Ich wollte es nicht, aber ich war sicher, ich würde auf dem Klo sitzen. Das war wohl ein Traum. Die Decke ist ganz nass.«
»Schon gut, keine Sorge. Komm, wir gehen gemeinsam ins Bad.«
Mira hob Nahi hoch und trug sie ins Badezimmer. Nahi weckte ihre Mutter oft auf, nachdem sie ins Bett gemacht hatte. Nächstes Jahr würde sie in die Grundschule kommen und Mira war besorgt, dass sie beim Toilettentraining hinterher war.
Da es im Badezimmer keine Badewanne gab, legte Mira die Decke auf den Boden. Sie schaltete die Dusche an und richtete den Wasserstrahl auf die Decke.
»Puh …« Mira seufzte unwillkürlich.
Nahi, die neben ihr stand, blickte zu ihr hoch. »Es tut mir leid, Mama …«
»Nein, Nahi, ich bin nur müde, das ist alles.«
Diese Morgenroutine, die sich täglich wiederholte, war anstrengend. Sie überlegte, Nahi wieder in Windeln zu stecken, aber das würde das Problem nur verschlimmern, und so zog sie ihrer Tochter die Unterwäsche mit Erdbeermuster und eine neue Schlafanzughose an.
Nachdem Mira ihr eine Geschichte vorgelesen hatte, schlief Nahi wieder ein. Mira strich sanft über die kleine Brust, die sich hob und senkte. Und bevor sie sich’s versah, war sie neben Nahi eingeschlafen.
»Mira, du solltest in deinem eigenen Bett schlafen. Du beschwerst dich doch immer, dass du so müde bist«, sagte Woocheol, während er seine Arbeitskleidung anzog.
Mira erwachte vom Klang seiner Stimme.
»Ich bin nicht müde, weil ich hier schlafe. Wenn Nahi ins Bett pinkelt, könntest du dich genauso gut darum kümmern, aber immer weckst du mich auf.«
»Weil sie nach ihrer Mutter verlangt. Und ich muss früh aufstehen und zur Arbeit gehen.«
»Und was war, als ich gearbeitet habe? Als du nicht früh losmusstest? Bist du da etwa in der Nacht aufgestanden, um dich um Nahi zu kümmern?« Nachdem sie sich so lange zurückgehalten hatte, machte Mira nun ihrem Ärger Luft. »Die Ausrede zieht nicht mehr. Sag einfach ehrlich, dass es dir lästig ist.«
Nach Nahis Geburt hatten sie beide arbeiten müssen, um die Lebenshaltungskosten zu decken, deshalb hatten sie Nahi tagsüber in eine Kindertagesstätte gegeben. Vor ihrer Hochzeit hatte Mira in einem Duty-Free-Geschäft in Hongdae Kosmetika an chinesische Pauschaltouristinnen verkauft, aber als sie nach ihrem Mutterschaftsurlaub wieder anfing, reichte das Geld, das sie dort verdiente, nicht mehr. Eine Babysitterin anzustellen, die sich nach dem Kindergarten um Nahi kümmerte, wäre viel zu teuer gewesen. Eine Hilfskraft für einen Monat zu beschäftigen hätte mehr gekostet, als ihr Monatsgehalt hergab, sodass es sich nicht mehr gerechnet hatte, überhaupt zu arbeiten. Daher blieb Mira seit zwei Jahren zu Hause, um sich um Nahi zu kümmern. Mit Woocheols magerem Lohn als Heizungsmonteur hielten sie sich leidlich über Wasser.
Nahi, die noch schlief, regte sich.
»Wir wecken sie noch auf«, wisperte Woocheol. »Tut mir leid, Schatz. Ich werde mich mehr bemühen, aber jetzt muss ich los. Ich werde hart arbeiten!«
Als sie sah, wie Woocheol mit hängenden Schultern zur Arbeit ging, dachte Mira bei sich, dass sie einfach darüber hinwegsehen sollte. Sie stand auf, um das Frühstück vorzubereiten.
Der Geruch von Eiersuppe und Zucchini-Eintopf, der bald darauf durch die Wohnung wehte, weckte Nahi auf.
»Mama, die Suppe riecht so gut!«, rief sie.
»Deine Lieblingssuppe. Geh dich waschen. Die Zähne kannst du dir selber putzen, oder?«
»Klar! Ich bin schon sechs!«
Dank Nahis guter Laune war es an diesem Morgen ein Leichtes, sie für den Tag fertig zu machen.
Der gelbe Bus, der Nahi in den Kindergarten brachte, entfernte sich langsam. Mira winkte, bis er außer Sichtweite war. Dann stapfte sie die Gasse entlang zurück nach Hause. Ihre Dreizimmerwohnung befand sich in einem kleinen Haus am Rand von Yeonnam-dong, nicht weit vom Yeontral-Park entfernt. Es war ein altes Gebäude und sie benutzten die Veranda hauptsächlich als Abstellfläche, daher gelangte nicht viel Sonnenlicht in die Wohnung.
Mira steckte die durchnässte Bettdecke und ein paar Kleidungsstücke in die Waschmaschine. Sie fügte reichlich Waschmittel hinzu, schloss den Deckel und drückte auf den Startknopf. Während sie aufräumte, hörte sie plötzlich ein ratterndes Geräusch, gefolgt von lautem Stöhnen. Miras Gesicht lief rot an. Das Ächzen und Knarren, das wie ein frühmorgendliches Liebesspiel klang, brachte Mira zum Kichern, aber die Geräusche hielten auch dann noch an, als sie mit dem Abwasch fertig war. Sie ging in die Abstellkammer, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die Quelle des Stöhnens war die Waschmaschine.
Vor vier Jahren waren sie hier eingezogen. Ursprünglich hatten sie geplant, auch in Miras Namen einen Kredit aufzunehmen – sprichwörtlich ihr Herzblut zu investieren –, um in ein eigenes Apartment zu ziehen, aber da Mira gerade nicht arbeitete, gab die Bank ihr keinen Kredit, und so war ihnen nichts anderes übrig geblieben, als sich fürs Erste mit dieser Wohnung zufriedenzugeben. Der Vermieter hatte ihnen erklärt, dass die Waschmaschine und die Klimaanlage inbegriffen seien, was Mira gefiel, weil sie keine Haushaltsgeräte und Möbel kaufen wollte, bis sie ihre eigene Wohnung hatten, denn wenn sie jetzt Möbel kauften, würden diese vielleicht nicht in ihre neuen vier Wände passen. Außerdem hatten sie sich einfach nichts Besseres leisten können.
Nach ihrem Einzug wurde Mira misstrauisch, was die Behauptung des Vermieters betraf, dass die Geräte erst kürzlich installiert worden seien. Sie gingen so oft kaputt, dass sie sich fragte, ob sie gebraucht gekauft worden waren. Erst letztens hatte Woocheol versucht, die Waschmaschine auf eigene Faust zu reparieren, aber das hatte offenbar das Problem nur verschlimmert, denn jetzt klapperte sie nicht nur, sondern gab auch noch ein furchtbares Stöhnen von sich!
Ding-dong.
Es läutete an der Tür. Mira nahm den Hörer der Gegensprechanlage ab. Der Nachbar, der unter ihnen wohnte, sagte, er arbeite von zu Hause aus, und das Stöhnen mache es ihm unmöglich, Videochats zu führen.
»Das tut mir wirklich leid. Bitte verstehen Sie es nicht falsch. Das ist die Waschmaschine.«
Mira legte den Hörer auf und schaltete schnell die Waschmaschine aus. Verfluchtes Ding! Mira trat frustriert gegen die Maschine, zog die Wäsche heraus und wrang sie mit beiden Händen aus. Das Wasser tropfte auf die zerbrochenen blauen Kacheln des Haushaltsraumes. Mit jedem Mal wrang sie die Wäsche fester. Und wurde zunehmend wütender. Dann rief sie den Immobilienmakler an, dessen Aufgabe es war, das Problem an den Vermieter oder die Hausverwaltung weiterzuleiten.
»Guten Tag, hier spricht die Bewohnerin des zweiten Stocks der Weonjin-Villa. Meine Waschmaschine ist kaputt. Laut Internet ist der Vermieter für die Reparatur verantwortlich, wenn die Maschine im Mietpreis inbegriffen ist …«
Als Mira abbrach, um sich zu beruhigen, ergriff der Mann das Wort: »Guten Tag, ich wollte Sie auch gerade anrufen.« Mira hatte eine Vorahnung, als die Stimme des sonst so ungestümen Maklers zu einem vorsichtigen Flüstern sank. »Wenn der Mietvertrag ausläuft, will der Besitzer die Kaution erhöhen. Sie wissen ja, wie die Marktlage momentan ist. Sie haben damals einen guten Preis bekommen.«
»Sind es schon zwei Jahre? Die Zeit vergeht so schnell. Um wie viel geht es?«
»Fünfzig Millionen Won.«
»Fünfzig Millionen?«, fragte Mira ungläubig, die mit höchstens dreißig Millionen gerechnet hatte.
»Ja, ursprünglich sollten es siebzig Millionen sein, aber ich habe den Preis heruntergehandelt.«
»Das ist viel zu viel. Die U-Bahn-Station ist weit weg, es gibt nur zwei Zimmer … Bitte sprechen Sie noch einmal mit dem Vermieter.«
»In Ordnung, dann kann ich ihm auch wegen der Waschmaschine Bescheid geben.«
»Nein, wir übernehmen die Waschmaschine. Kümmern Sie sich nur um die Vertragsverlängerung. Wenn wir alle paar Jahre umziehen, kommen noch Immobilienprovision und Umzugskosten dazu. Unsere Tochter hat sich gerade im Kindergarten eingelebt und ich bin auf der Suche nach einem Grundschulplatz für sie. Bitte tun Sie Ihr Bestes und melden Sie sich bis heute Abend bei mir.«
Mira verabschiedete sich und legte auf. Mit dem Telefon in der Hand seufzte sie. Ihr Herz pochte laut. Sie rief Woocheol an, aber er hob nicht ab. Vielleicht war er gerade dabei, einen Heizkessel zu reparieren. Mira wrang die restliche Wäsche aus, schlug sie aus und hängte sie auf das Trockengestell.
Als sie Woocheol beim Abendessen von der Kautionserhöhung erzählte, wurde die Stimmung so kalt wie der unangetastete Kimchi-Eintopf.
Nahi, die merkte, dass etwas nicht stimmte, fragte: »Mama, was ist eine Kaution?«
Mira überlegte, wie sie ihrer Tochter das System der befristeten Miete und der neu berechneten Kaution, die üblicherweise mehr als eine Jahresmiete betrug, erklären könnte, entschied sich dann aber dagegen. »Das musst du noch nicht verstehen.«
»Mama, können wir in ein Haus mit Schaukel umziehen? Oder in die Daehyeon-Apartments? Alle wohnen dort und spielen nach dem Kindergarten auf dem Spielplatz, aber nur Bewohner dürfen rein. Es gibt viele tolle Sachen. Lasst uns dort hinziehen!«
Ohne zu wissen, wie schwer die fünfzig Millionen auf den Schultern ihrer Eltern lasteten, verlangte Nahi nach einem teurerem Apartment. Wie aufs Stichwort klingelte Miras Handy. Der Immobilienmakler. Mira schaltete auf Lautsprecher.
»Hallo, hören Sie mich? Ist das Gespräch mit dem Vermieter gut gelaufen?«
»Es sieht leider nicht gut aus. Er ist sehr hartnäckig. Anscheinend hat er vor, das gesamte Gebäude zu verkaufen. Es wird nicht einfach für ihn sein, einen guten Kaufpreis dafür zu bekommen, wenn die Mietkaution nur zehn Millionen Won beträgt.«
»Gibt es eine andere Wohnung, die wir zu dem jetzigen Preis mieten könnten?«, fragte Mira nach langem Schweigen.
»Ich weiß, Sie haben es nicht leicht. Aber wie Sie wissen, haben sich die Preise in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt. Das gilt auch für die Kaution. Ich werde sehen, was ich finden kann, und Ihnen Bescheid sagen, aber machen Sie sich keine allzu großen Hoffnungen. Und für den Fall, dass Sie etwas weiter draußen suchen wollen, könnten Sie sich in der Provinz Gyeonggi umsehen.«
Nachdem das Telefonat beendet war, legte Woocheol die Hände aufs Gesicht. »Fünfzig Millionen …«
»Keine Chance. Das können wir uns nicht leisten.«
Dann fragte Nahi, die mit einem Reisball im Mund um den Tisch herumgelaufen war: »Mama, was heißt fünfzig Millionen? Ist das gut?«
»Nahi! Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst beim Essen nicht herumlaufen. Der Boden ist voller Reiskörner! Wirst du dich in der Schule auch so benehmen? Herumlaufen und Algenblätter verstreuen, während die anderen Kinder in Ruhe essen?«
Bei Miras plötzlichem Wutausbruch riss Nahi den Mund weit auf und begann zu weinen. Die unzerkauten Reiskörner fielen heraus und vermischten sich mit dem Rotz und den Tränen, die ihre Wangen und ihr Kinn hinabliefen.
»Lass deinen Ärger nicht an ihr aus. Nahi, komm zu Papa. Schon gut, alles in Ordnung.« Woocheol nahm seine Tochter in die Arme, um sie zu beruhigen.
Miras Gesicht lief rot an. Sie hasste sich selbst dafür, dass sie wütend geworden war, obwohl sie sich vorgenommen hatte, sich zu bessern.
Nahi schmollte und bat ihren Vater, sie ins Bett zu bringen. Mira fühlte sich schlecht, war aber auch froh, etwas Zeit zum Nachdenken zu haben.
Nachdem sie bis nach Mitternacht auf ihren Vater eingeredet hatte, schlief Nahi endlich ein und der erschöpfte Woocheol ging ebenfalls zu Bett.
Mira prüfte die Wäsche. Sie hing schon einen halben Tag auf dem Trockengestell, aber es tropfte immer noch Wasser heraus, weil sie wegen der ächzenden Waschmaschine gezwungen gewesen war, die Wäsche vor dem Schleudergang herauszunehmen. Die Kleidung, die Nahi morgen zum Kindergarten anziehen sollte, war ebenfalls völlig durchnässt. Mira versuchte, die Wäsche erneut auszuwringen, gab es aber schließlich auf. Sie überlegte, Nahi in derselben Kleidung wie heute in den Kindergarten zu schicken, aber sie machte sich Sorgen, dass die anderen Kinder, die sich jetzt schon darüber lustig machten, dass sie in einer kleinen Dreizimmerwohnung lebten, Nahi mobben würden, wenn sie dieselbe Kleidung wieder trug, und so packte Mira die Wäsche zusammen und ging nach draußen.
Am Ende der dunklen Gasse trat sie auf die hell erleuchtete Einkaufsstraße neben dem Yeonnam-dong-Gemeindezentrum. An den Ästen der Bäume, die den Weg durch den Yeontral-Park säumten, sprossen grüne Knospen. »Als würden sie aufplatzen, wenn man sie nur berührt«, hieß es in einem bekannten Lied. Genau so ein Frühlingstag war es. Eine junge Frau in einem kobaltblauen, kurzen Rock und hochhackigen Schuhen ging vorbei, einen intensiven Parfümgeruch hinter sich herziehend. Mira blieb unbewusst stehen und sah der Frau nach. Bei dem Gedanken, dass sie selbst früher einen ähnlich selbstbewussten Gang gehabt hatte, empfand sie Reue.
Sie umklammerte den Wäschekorb fester und ging weiter. Nach etwa fünf Minuten Fußweg entdeckte sie einen Waschsalon. Sie überprüfte die Preisliste, aber Trocknen allein war nicht gerade günstig. Gab es da nicht noch einen neuen Waschsalon? Binggul-Binggul oder so ähnlich? Mira verließ den Laden und ging ein Stück weiter entlang des Parks.
Wie oft ging sie zu so später Stunde allein spazieren? Die Frühlingsbrise erfrischte sie ein wenig. Mit einem fröhlicheren Gesichtsausdruck als noch zu Hause betrat Mira den Binggul-Binggul-Waschsalon. Die Preise waren etwas günstiger als in dem anderen Laden. Der Weg hatte sich gelohnt. Mira steckte die Wäsche zusammen mit einem Dufttuch in einen Trockner und drückte den Einschaltknopf. Der Schnelltrockenmodus würde nur etwa dreißig Minuten dauern. Langsam sah sie sich im Waschsalon um. Das warme Licht erzeugte eine gemütliche Atmosphäre. Und es war schön, allein hier zu sein.
In dem Moment ertönte aus den Lautsprechern des Waschsalons eines ihrer Lieblingslieder. Nobody von den Wonder Girls, ein Lied, das Mira als Vierundzwanzigjährige ohne Handy oder YouTube bei Auftritten im Fernsehen immer mitgesungen hatte. Sie bewegte sich im Rhythmus, als ob ihr ganzer Körper sich an diese Zeit erinnerte. Mit dem rechten Zeigefinger nach rechts, dann mit dem linken nach links. Es war lange her, aber sie konnte sich noch gut an die Choreografie erinnern. Bald begann das nächste Lied. »Es wäre doch schade, wenn ihr nicht mitsingen würdet.« Sie erinnerte sich an die Worte einer Sängerin, die beim Fest an der Uni aufgetreten war, und hüpfte herum, wenn auch zaghafter als damals, aber dennoch entspannt und fröhlich.