Das Telefon in der Birke - Alison McGhee - E-Book

Das Telefon in der Birke E-Book

Alison McGhee

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Beschreibung

»Menschen, die du liebst, wirst du nie verlieren.« Ayla und ihre beste Freundin Kiri waren schon immer Baummenschen. Jede von ihnen hat ihren Lieblingsbaum, in dem man sie am ehesten antrifft. Aber nach einem Unfall in ihrer Straße ist Kiri so weit weg, dass Ayla nur noch in ihrer Birke warten kann und sich danach sehnt, wieder mit Kiri zusammen zu sein. Dann taucht eines Morgens ein geheimnisvolles, altmodisches Telefon auf, mitten in den Ästen von Aylas Birke. Wo kommt es plötzlich her? Und warum tauchen Leute auf, die ihre geliebten Menschen anrufen? Vor allem diejenigen, die bereits verstorben sind. Alles, was Ayla will, ist, dass Kiri nach Hause kommt. Und sie wird auf keinen Fall einen Anruf mit diesem Telefon machen.

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Seitenzahl: 107

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

»Mit Menschen, die du liebst, kannst du immer reden – ob sie hier sind oder nicht.«

 

Ayla und ihre beste Freundin Kiri sind unzertrennlich. Aber nach einem Unfall in ihrer Straße ist Kiri fort. Und Ayla sehnt sich danach, wieder mit ihr zusammen zu sein. Dann steht eines Morgens ein geheimnisvolles altmodisches Telefon mitten in den Ästen von Aylas Lieblingsbaum. Wo kommt es plötzlich her? Und warum tauchen Leute auf, die ihre geliebten Menschen anrufen? Vor allem diejenigen, die bereits verstorben sind.

Alles, was Ayla weiß, ist: Sie wird auf keinen Fall einen Anruf mit diesem Telefon machen.

Alison McGhee

Das Telefon in der Birke

Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann

 

 

 

 

To Birgitt Kollmann, dear friend, magician translator,

she who has long divined the heart and soul of my books,

with love

So könnte es gewesen sein, in der Nacht, als Kiri und ich uns zum ersten Mal begegnet sind, als wir uns zum ersten Mal in die Augen sahen, zum ersten Mal die Hände nach einander ausstreckten, damals, als wir noch Babys waren:

Ein großer runder Mond, wie ein leuchtend weißes Schiff, das über den Himmel gleitet.

Äste, die sich im Mondlicht hell vor dem dunklen Himmel abheben, Zweige, die sich der unsichtbaren Sonne entgegenstrecken.

Kiris Mama, die Kiri fest im Arm hält und mit ihr die Straße hinuntertanzt.

Mein Papa, der mich fest im Arm hält und mit mir die Straße hinuntertanzt.

Im hellen Mondlicht tanzen sie mit ihren weinenden Babys die Straße auf und ab, damit wir aufhören zu weinen, damit wir zur Ruhe kommen, damit wir …

schlafen

schlafen

schlaaaaaaaaafen

Ich stelle mir Kiris Mama und meinen Papa vor, wie sie uns die Namen all der Bäume zuflüstern, an denen sie uns vorübertanzen:

Eiche Ahorn Weide

Birke Kiefer Maulbeere

Holzapfel Ginkgo Butternuss

All die geflüsterten Laute nisteten sich in unseren Herzen ein, und so ist es gekommen, dass Kiri und ich seit jener Nacht, der Nacht der Baumtänze

Bäume lieben

vielleicht sogar

selbst Bäume sein wollen

große, starke, in sich ruhende Bäume.

Fast alle Bäume in unserer Straße wurden zur Feier der Geburt eines Kindes gepflanzt –

eine Eiche für Pops

ein Ahorn für Papa

ein Maulbeerbaum für Mrs. S

Trauerweiden für Rowan und Geneva

ein kleiner Holzapfelbaum für Prinz

eine Babybirke für mich

eine Babykiefer für Kiri

Die Eiche und der Ahorn und der Maulbeerbaum sind genauso alt wie Pops und Papa und Mrs. S und inzwischen zu großen Bäumen mit breiten Kronen herangewachsen.

Zwei Bäume wurden nicht für Babys gepflanzt, sondern zur Erinnerung an Menschen, die schon gestorben sind.

Der Ginkgo zu Ehren von Horace, dem Mann von Mrs. S, der das wunderschöne, fächerförmige Laub so liebte.

Der Butternussbaum zu Ehren meiner Großmutter Randa, die diese Kürbissorte am liebsten mochte.

Wir spulen schnell vor bis in unser zweites Schuljahr. Kiri und ich sind in der Klasse von Mr. Nesbitt. Gerade hat er gesagt, wir sollen alle ein Bild malen zum Thema Was ich einmal werden möchte.

»Stellt euch vor, wie ihr einmal sein werdet, wenn ihr dreißig seid«, sagt er.

Dreißig?

Kiri und ich sind sieben. Nur bis dreißig zu zählen dauert schon ganz schön lange. Wir sehen uns an.

»Also wirklich, meine Mama ist dreißig«, flüstert Kiri.

»Meine Eltern sind einunddreißig«, flüstere ich zurück.

Werden wir auch mal so alt sein? Und wenn wir so alt sind, fühlen wir uns dann alt?

Dreißig, das liegt sooo weit in der Zukunft.

Aber Kiri und ich wissen schon, was wir werden wollen. Wir haben es immer gewusst, seit jener Nacht, als mein Papa und Kiris Mama mit uns an den Bäumen vorübertanzten.

Ich schaue hinüber zu Kiri, die schon angefangen hat und erste Umrisse auf raues Papier zeichnet.

Ein hoher, brauner Stamm. Stark gebogene Äste voller Kiefernzapfen. Ein Kind mit Zöpfen und einem Lächeln im runden Gesicht schaut aus dem Stamm heraus.

»Seidenkiefer!«, sage ich.

Kiri lächelt und nickt. Ihre eigene Seidenkiefer wurde zur Feier von Kiris Geburt gepflanzt, vor ihrem Haus, ein Stück weiter unten in unserer Straße. Inzwischen ist sie größer als Kiri selbst.

Jetzt ich.

Ich nehme einen braunen Farbstift und einen weißen Farbstift und einen grünen Farbstift und mache mich ans Zeichnen.

Ein weißer Stamm teilt sich am Boden in zwei nach außen gebogene Stämme. Aus ihnen wachsen papierzarte Äste, an Zweigen tanzt grünes Laub.

»Flussbirke!«, sagt Kiri.

»Bingo!«

Dann:

»BÄUME?«, sagt Martina mit ihrer Martinastimme. »Kinder können nicht BÄUME werden.«

Irgendwie weiß Martina immer genau, was sie sagen muss, damit andere sich schlecht fühlen.

Sofort legt meine Hand sich über die Zeichnung und deckt sie ab. Sofort leuchten Martinas Augen auf, und sie grinst. Sie weiß, dass sie mich getroffen hat.

Martina schafft es immer, mich ins Herz zu treffen.

Bei Kiri gelingt ihr das nicht.

»Was hast du eigentlich für ein Problem, Martina?«

Kiri ist ganz ruhig, ihre Stimme ist sanft, und ihre Frage klingt zwar wie eine Frage, ist aber keine. Was Kiri in Wirklichkeit sagt: Hau ab.

»Wir sollen das zeichnen, was wir einmal werden wollen, hat Mr. Nesbitt gesagt«, erklärt Kiri weiter. »Ayla und ich, wir wollen nun mal Bäume werden.«

Kiri ist stark.

Kiri ist immer voll da.

Kiri ist schon jetzt wie ein Baum.

»Ayla und ich träumen eben groß«, sagt Kiri zu Martina. »Warum auch nicht?«

Genau, warum auch nicht?, denke ich, und wir gucken Martina so lange ins Gesicht, bis sie unsicher wird und sich rückwärts entfernt.

Kiri biegt alles wieder hin.

An dem Tag, in der Klasse von Mr. Nesbitt, da habe ich gelernt, dass man keine Ausreden braucht für das, was man einmal werden möchte.

Groß träumen ist völlig in Ordnung.

Inzwischen sind Kiri und ich zehn, die zweite Klasse liegt weit hinter uns, aber wir träumen immer noch groß.

Ich denke noch oft an jenen Tag. Dann sehe ich Martinas Gesicht vor mir, während sie sich langsam rückwärts von unserem Tisch entfernt, als wäre ein Kraftfeld um ihn herum.

Auch Mr. Nesbitt sehe ich noch vor mir, seinen übers Pult gebeugten Kopf, die dunklen Haare, die ihm ins Gesicht fallen, und ich höre noch dieses leichte Schaben, mit dem sein Bleistift eilig übers Papier fährt, jenes raue Papier, das wir damals alle benutzten.

Ich wünschte, Kiri wäre jetzt hier. Mit ihr zusammen ist es leichter, groß zu träumen.

Nur-Junie wünscht sich bestimmt auch, dass Kiri hier wäre. Nur-Junie ist Kiris Hündin, und zurzeit heult sie manchmal ohne Ende.

»Junie vermisst Kiri sicher«, sagt meine Mama. »So wie wir alle.«

»Sie heißt Nur-Junie«, sage ich. »Du sollst sie nicht bloß Junie nennen.«

Nur-Junies richtiger Name ist Juniper, aber für den winzigen Welpen, als der sie zu Kiri kam, war der Name viel zu groß. Also haben Kiri und ich sie anderen Leuten gegenüber immer als »Juniper oder einfach nur Junie« vorgestellt, und bei Nur-Junie ist es dann irgendwie geblieben.

Ich heule nicht, aber ich vermisse Kiri auch.

Ich sehe Kiri vor mir, stark und ruhig wie ein Baum.

Kiri, komm nach Haus.

Im selben Moment, in dem ich das denke, beginnt Nur-Junie ganz hinten am Ende der Straße, in Kiris Haus, wieder zu jaulen, so als könnte sie meine Gedanken hören.

»Der Hund da drüben heult andauernd«, sagt eine Stimme auf dem Gehweg.

»Ich wette, er vermisst Kiri«, antwortet eine Kinderstimme, und als ich die beiden höre, sitze ich ganz

still

   still

      still

 

in meiner Birke, denn ich weiß, zu wem die Stimmen gehören: zu Prinz und seiner Mutter. Prinz ist auch ein Spitzname. Mit richtigem Namen heißt der Junge Fraser, aber niemand nennt ihn so, außer seinen Eltern, und die auch nur, wenn sie mit ihm schimpfen.

Was oft vorkommt.

Aber nicht heute.

Seit Kiri weg ist, versuche ich Prinz aus dem Weg zu gehen, aber das ist so gut wie unmöglich, schließlich wohnt er auch in unserer Straße.

Ständig fragt er mich nach Kiri, so als ob er sich Sorgen macht, so als sollte ich mit ihm reden. Als ob es ihm nicht gefällt, dass ich still bin.

Ich soll Kiri anrufen, sagt er manchmal.

»Das kann ich nicht«, antworte ich ihm dann. »Da gibt’s kein Telefon, wo Kiri ist.«

»Dann schreib ihr eben eine Nachricht.«

»Prinz! Auch dafür braucht man ein Telefon.«

»Dann fahr eben hin!«

Da mache ich einfach die Augen zu und schüttele den Kopf. Es gibt außer Telefonen eine ganze Menge, wovon Prinz nichts versteht. Deswegen drücke ich mich ganz fest an meinen Baum, als seine Mutter und er vorbeigehen, und hoffe, er sieht mich nicht.

Es hat nichts gebracht, Prinz ist schon auf dem Weg zu mir. Ganz schön lässig, wie er daherkommt, dabei ist er erst fünf. Ein kleiner Angeber. Sein wilder Lockenkopf wippt mir entgegen, je höher er kommt.

Zugegeben, irgendwie ist der Junge schon auch ganz süß.

Er kann einem nur furchtbar auf den Keks gehen mit seinem pausenlosen Geplapper. Seinem pausenlosen Warum bist du denn neuerdings so still und Warum rufst du Kiri nicht einfach an.

»Geh nach Hause, Prinz«, sage ich. »Gleich schreit deine Mutter nach dir.«

Durch das Laub meiner Birke hindurch sehe ich, dass seine Mutter schon fast an dem Wohnblock angekommen ist, in dem sie wohnen. He, hallo! Komm zurück und hol dein Kind, denke ich.

Aber dann fällt mir auf, dass Prinz heute ganz verändert aussieht. Seine Augen leuchten nicht wie sonst. Er sieht mich einfach nur an.

Dann: »Kann ich dir was erzählen, Ayla?«

Ich zucke mit den Schultern. Zwecklos, Nein zu sagen. Wenn Kiri jetzt hier wäre, würden wir uns unauffällig unseren Nicht schon wieder-Blick zuwerfen.

Er schaut mich an mit diesen nicht leuchtenden, Nicht-Prinz-Augen.

»Ayla«, flüstert er. »Herzchen ist tot.«

»O nein! Herzchen, dein Gecko?«

Er nickt. Lehnt sich an einen der Äste meiner Birke. Presst die Lippen fest aufeinander. Das sieht so aus, wie mein eigener Mund sich plötzlich anfühlt: Jetzt bloß nicht weinen.

Sein Blick. So traurig.

Es ist furchtbar.

Dass Herzchen tot sein soll, kann ich mir einfach nicht vorstellen. Prinz liebt seine Echse genauso sehr, wie Kiri Nur-Junie liebt.

»Woran ist Herzchen gestorben?«, frage ich.

»Meine Mutter sagt: ›Woher soll ich das denn wissen, ich bin doch kein Tierarzt‹«, antwortet Prinz. »Und mein Vater meint, bestimmt hätte ich ihr etwas Falsches zu fressen gegeben.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel ein Cheerio«, flüstert er. »Manchmal. Als Leckerli.«

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Cheerio hier und da einen Gecko umbringt. Und ich finde es gemein, so etwas zu einem kleinen Jungen zu sagen, der gerade eben seinen besten Freund und Gecko verloren hat. Aber Prinz’ Eltern sind auch nicht wie meine.

»Jetzt weiß ich, warum Nur-Junie immer heult«, sagt er. »Der Grund ist der: Sie vermisst …«

Auf einmal wird seine Stimme immer leiser, und schließlich kann ich nicht mehr verstehen, was er sagt.

Oder vielleicht wird seine Stimme auch gar nicht leiser. Vielleicht kann ich ihn deswegen nicht hören, weil ich meine Ohren zugemacht habe.

Denk irgendwas

lalala oder neineinein

LAUT

in deinem eigenen Kopf

LALALA

das übertönt alles, was es sonst noch gibt

in der Welt um dich herum.

 

Vergiss das nicht. Es ist ein guter Trick, wenn jemand etwas sagt, was du nicht hören willst.

LALALA

singe ich die ganze Zeit in meinem Kopf, während Prinz sich an meinem Ast festklammert und immer weiter plappert, was weiß ich, worüber. Vielleicht über Herzchen, vielleicht auch über Nur-Junie und ihr Gejaule oder vielleicht –

LALALA

Endlich, Prinz hat aufgehört, und das war auch gut so, denn so viel lalala macht müde.

»Jetzt kennst du die ganze Geschichte«, sagt er. »Danke fürs Zuhören, Ayla.«

Ich kenne nicht die ganze Geschichte. Besser gesagt, ich weiß gar nichts von der Geschichte, eben wegen lalala, aber ich nicke trotzdem. Alles andere wäre gemein.

Bis Kiri wieder nach Hause kommt, bin ich ganz alleine für die Bäume in unserer Straße verantwortlich. Wir sind die Hüterinnen der Bäume. Man muss nur genug Zeit mit ihnen verbringen, dann begreift man, was sie brauchen.

Kiri und ich verbringen mehr Zeit auf Bäumen und um sie herum als irgendjemand sonst hier bei uns.

»Ayla! Kiri! Ihr steckt ja schon wieder in den Bäumen!«

Das sagt Kiris Mama, und meistens lacht sie dabei, wenn sie nach uns schaut und wir gerade auf den Maulbeerbaum von Mrs. S klettern oder uns in einer der Trauerweiden von Geneva und Rowan verstecken.

Mein Papa hat mal gesagt, wenn wir könnten, dann würden wir in unseren Bäumen wohnen.

Da liegt er gar nicht so falsch.

Ich meine, würdest du nicht auch gerne in einem Baum leben, wenn du könntest?

Wenn es längere Zeit nicht geregnet hat, dann wässern Kiri und ich die Bäume in unserer Straße. Dann machen wir bei mir zu Hause unsere Eimer mit dem Schlauch halb voll und tragen sie nacheinander von Baum zu Baum

hin und zurück

Schlauch Eimer Baum

laaaangsam

wässern wir ihre Wurzeln.