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Sie können das «Stille Nacht»-Gedudel nicht mehr hören? Sie möchten die weihnachtliche Familienfeier unter dem Sofa verbringen und Christbaumkugeln lieber als Wurfgeschosse verwenden? Sie haben genug gelitten! Denn Dietmar Bittrich gibt boshafte Tipps für das alternative Weihnachtsprogramm. Mit erfrischendem Witz zeigt der «legitime Erbe von Kishon und Loriot» (Welt am Sonntag), wie man Weihnachten feiert – und trotzdem glücklich ist.
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Seitenzahl: 191
Dietmar Bittrich
Das Weihnachtshasser-Buch
GENUG GELITTEN!
Erste Adventswoche
WIR SCHMÜCKEN UNSERE WOHNUNG
WIR VERBREITEN WEIHNACHTLICHE STIMMUNG
WIR BASTELN BOSHAFTE ADVENTSKALENDER
WIR WERDEN WEISE
WIR LERNEN EIN GEDICHT
WIR LESEN VOR
Zweite Adventswoche
WIR TRAINIEREN ÜBERLEBENSFORMELN
WIR BAUEN UNSERE KRIPPE
WIR KAUFEN EINEN WEIHNACHTSBAUM
WIR SCHREIBEN WEIHNACHTSGRÜSSE
WIR BEWUNDERN WEIHNACHTSBRÄUCHE IN ALLER WELT
WIR SCHÜTZEN UNSERE WOHNUNG
WIR TUN GUTES
WIR WERDEN WEISER
WIR LERNEN EIN GEDICHT
WIR LESEN VOR
Dritte Adventswoche
WIR TRAINIEREN ÜBERLEBENSFORMELN
WIR KÜMMERN UNS UM GESCHENKE
WIR KOCHEN UND BACKEN
WIR ESSEN GAR NICHTS
WIR BASTELN CHRISTBAUMSCHMUCK
WIR DEKORIEREN UNSERE WEIHNACHTSPYRAMIDE
WIR ENTWICKELN MITGEFÜHL FÜR MÄNNER
WIR SIND SO GUT – BESSER GEHT’S NICHT
WIR WERDEN NOCH WEISER
WIR LERNEN EIN GEDICHT
WIR LESEN VOR
Vierte Adventswoche
WIR TRAINIEREN ÜBERLEBENSFORMELN
WIR WARTEN AUF DAS CHRISTKIND
WIR SAMMELN STOFF FÜR STREIT
WIR SINGEN
WIR ORGANISIEREN DIE «ANDERE FEIER»
WIR PLANEN DIE WEIHNACHTSKATASTROPHE
WIR SIND WEISE
WIR LERNEN EIN GEDICHT
WIR LESEN VOR
Heiligabend
WIR ÜBERLEBEN DAS FEST
WIR ESSEN
WIR TANZEN DEN WEIHNACHTSTANZ
WIR BETRAUERN DEN WEIHNACHTSMANN
WIR DICHTEN LAST MINUTE
WIR LESEN VOR
WIR BEDANKEN UNS TÄUSCHEND ECHT
Früher liebten Sie Weihnachten. Aber bestimmt nicht so, wie es in diesen Tagen verramscht wird. Sie mögen immer noch Printen und Spekulatius. Nur haben Sie schon im Oktober zu viel davon gegessen. Sie finden ein Lied wie «Stille Nacht» im Grunde ergreifend schön. Aber jetzt können Sie es einfach nicht mehr hören.
Und dann ist da noch die Familie. Den einen oder anderen sehen Sie zuweilen ganz gern. Aber so geballt und gehäuft und gleich mehrere Tage hintereinander… So geht es mir auch. Wir können offen sprechen. Weder Sie noch ich hängen übermäßig am Materiellen. Trotzdem beschleicht uns seit Jahren der Verdacht, dass das Fest sich für uns nicht mehr lohnt.
Als wir Kinder waren, beschränkte sich unsere Investition auf Untersetzer aus gebügelten Strohhalmen plus kurzem Flötenspiel. Dafür fuhren wir reiche Ernte ein. Inzwischen erleiden wir Defizite.
Unsere Eltern, die einst alles für uns taten, erwarten mittlerweile, dass wir alles für sie tun. Dicke Onkel freuen sich auf unsere Kochkunst. Die Tante, die ehemals großzügig war, verlangt abgeholt zu werden und überreicht dafür Parfüms, von denen wir dachten, sie seien längst verboten. Jüngere Familienmitglieder versuchen, uns mit Untersetzern aus gebügelten Strohhalmen abzuspeisen.
Rebellieren, verweigern, fliehen? Alles möglich. Aber es geht auch viel lustiger! Nur eben auf unsere Art. Es gibt so herrliche Möglichkeiten, Weihnachten zu feiern und trotzdem glücklich zu sein! Ich habe sie gesammelt und aufgeschrieben. Viele davon knistern so frisch und frech, dass die Lichter am Tannenbaum freiwillig angehen. Andere sind so abgründig schwarz, dass Knecht Ruprecht die Zähne ausfallen.
Und alle verschärfen und liften dieses Fest, das wir gleichzeitig hassen und lieben. Sie haben Lust? Es geht los!
Wir müssen unsere Wohnung nicht schmücken. Es kann durchaus erholsamer sein, jeden Abend in die einzigen von Dekowahn unbehelligten Räume der Stadt zurückzukehren. Vielleicht ziehen wir sogar die Vorhänge zu, um nicht von den blinkenden Lichterketten unserer Nachbarn belästigt zu werden. Dann erst ist es in unserer ungeschmückten Wohnung herrlich still und friedlich, so wie es laut Weihnachtsbotschaft sein soll. Schließlich war der Stall zu Bethlehem auch nicht mit Lametta behängt.
Aber es kann sein, dass wir einfach zu kreativ sind, um die Wochen vor dem großen Fest völlig schmucklos zu verbringen. Für den Fall haben wir reichlich Reste und Gerümpel, die sich sehr gut als Weihnachtsschmuck einsetzen lassen.
Wir operieren Engel
Wenn das Ganze einfach und risikolos wäre, würden wir uns selbst zu Weihnachten vielleicht die eine oder andere winzige kosmetische Korrektur wünschen: eine geradere Nase, ein markanteres Kinn, vollere Lippen. Wir hätten da schon ein paar Ideen. Doch es ist besser, wenn wir unsere Vorstellungen zunächst an anderen ausprobieren. An Modellen. Nichts eignet sich dafür besser als Engel.
Auch Engel wünschen Veränderungen. «Alle Engel sehnen sich im Grunde nach der Hölle», hat die Autorin Dorothy Sayers behauptet. Das ist übertrieben. Aber wir sollten den Engeln eine Chance geben. Indem wir sie zum Beispiel in Teufel verwandeln. Dazu nehmen wir vorgefertigte Papp-Engelchen, die es als Oblaten oder Geschenkanhänger zu kaufen gibt. Wir schwärzen sie und kleben ihnen Hörner an, lassen sie die Zunge herausstrecken oder versehen sie mit Vampirzähnen. Wir können auch die berühmten Engel von Raffael oder die Abbildungen von Posaunenengeln bekleben: mit Augen, Nasen und Mündern aus Zeitschriftenfotos oder Porträts von Verwandten. Wir betätigen uns als himmlische Chirurgen.
Die Ergebnisse sind erschreckend und erfrischend zugleich. Damit unsere kreativen Kunstwerke auch richtig zur Geltung kommen, lassen wir unsere mutierten Engel von der Decke baumeln, an Türen kleben und vor dem Fenster schweben. Selbst wenn wir in Sachen Basteln nicht besonders begabt sind – ein paar Exemplare wie Michael Jackson kriegen wir locker hin.
Wir bauen ein Wackelkopf-Christkind
Jeder kennt den berühmten Wackel-Elvis oder den Wackelkopf-Dackel: Bei jeder Bewegung nickt er im Takt und grüßt freundlich. So ein Elvis oder Dackel kostet kein Vermögen und ist daher für unser Vorhaben ideal.
Nehmen wir den Dackel. Er ist nicht kompliziert konstruiert und leicht umzubauen. Mit ein bisschen Geschick montieren wir ihm kurzerhand einen neuen Kopf: den einer Puppe zum Beispiel. Wenn wir es uns eher leicht machen wollen, bekleben wir sein Gesicht mit einer Abbildung des Jesuskindes. Fehlendes Haar ergänzen wir durch Wolle oder Besenborsten, den Rest des Körpers verhüllen wir mit Stoff. Das Ganze betten wir dann auf ein wenig Stroh. Zum Abschluss stellen wir Maria und Joseph betend davor – falls wir sie noch in unserer längst verbannten Weihnachtskiste finden. Zur Krönung drapieren wir den Engelein-Chor im Kreis darum herum.
Die Besucher werden begeistert sein. In leisem Rhythmus segnet uns das Wackelkopf-Christkind und bestätigt uns nickend, dass wir alles hundertprozentig richtig gemacht haben.
Unser Adventskranz
Wenn wir ein wenig in Zeitnot sind, nehmen wir einfach einen gewöhnlichen Adventskranz oder spülen das Relikt vom letzten Jahr kurz unter fließendem Wasser ab. Allerdings stecken wir diesmal nicht wie sonst vier Kerzen darauf, sondern fünf oder drei.
Erstens tun wir damit etwas Gutes: Unsere Gäste können über uns den Kopf schütteln, uns belehren und sich für klüger halten. Damit leisten wir einen wertvollen Beitrag zur Stärkung ihres Selbstbewusstseins, tun also weihnachtsgemäß eine gute Tat. Und zweitens kehren wir zurück zur Ursprünglichkeit dieses Brauches. Wieso? Weil der Erfinder des Adventskranzes, ein gewisser Johann Hinrich Wichern, vor hundertfünfzig Jahren in seinem Waisenhaus in Berlin keineswegs vier, sondern drei Kerzen auf den Kranz steckte. Wegen der Dreifaltigkeit: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Das weiß heute zwar keiner mehr. Macht aber nichts.
Drei Kerzen sind für uns ein Zeichen tiefer Hoffnung: dass Weihnachten nie kommen möge. Nicht umsonst heißt es: «Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht das Christkind vor der Tür.» Wenn wir also nur drei Kerzen anzünden, kommt Weihnachten nicht. Wir bleiben ungestört. Wir können das tun, wozu wir Lust haben.
Fünf Kerzen sind ebenfalls ein Zeichen positiven Denkens. Wie sagt der Volksmund: «Denn wenn das fünfte Lichtlein brennt, hast du Weihnachten verpennt.» Was für eine herrliche Vorstellung! Gibt es etwas Schöneres, als Weihnachten zu verschlafen? Vielleicht schaffen wir es diesmal! Und wenn nicht, ist das fünfte Lichtlein auf dem Kranz trotzdem ein Zeichen der Freude und Zuversicht: Am fünften Sonntag wird Weihnachten überstanden sein.
Woraus besteht unser Adventskranz? Leider haben wir nicht die Zeit, ihn aus Hühnerknöchelchen und Fischgräten zu flechten, wie es die Eskimos tun. Obwohl das sehr appetitlich aussieht. Dafür finden sich in unserem Haushalt ein paar Topfschwämme, die wir mal eben mit drei Handgriffen zum Kranz flechten. Das ist nicht nur preisgünstig, sondern schimmert auch schön festlich. Daneben platzieren wir dann noch einen kleinen Strauß aus alten Zahnbürsten. Zwar mag dem ein oder anderen Gast dann vor Schreck das Gebiss klappern, doch wir erweisen uns als Freunde der Umwelt. Für unseren Adventskranz muss keine arme Tanne zerhackt werden.
Vielleicht sind wir zu gut für diese Weihnachtszeit.
Unsere Futterkrippe
In Irland gibt es einen wunderbaren alten Brauch: Zu Beginn der Adventszeit stellt man eine leere Futterkrippe auf, die allmählich mit Heu und Stroh gefüllt wird. Und das geht so: Jedes Mal, wenn ein Familienmitglied oder ein Besucher etwas Gutes getan hat, legt er oder sie einen Halm oder eine Hand voll Heu hinein. Das Ganze erinnert an die Krippe in Bethlehems Stall und soll vor allem ein Symbol kommenden Wohlstands sein. Leider werden Symbole heutzutage oft missverstanden.
Deshalb greifen wir zwar den schönen alten Brauch auf, gehen aber lieber den direkten Weg. Wir stellen eine Krippe auf oder zumindest etwas, das einer Krippe ähnlich ist. Nun legt jeder, der etwas Gutes oder Schlechtes getan hat – das lässt sich ja manchmal nicht so genau unterscheiden–, ein Geldstück hinein. Natürlich darf es auch ein Schein sein. Unsere Gäste sind ebenfalls eingeladen, dieser schönen Sitte zu folgen, die wir als original irisch ausgeben. Das Geld spenden wir am Ende für einen guten Zweck. Etwa für eine Flasche Schampus, die wir nach Weihnachten in aller Stille genüsslich leeren.
Unser Türkranz
Gewiss, wir müssen es nicht tun. Aber alle unsere Nachbarn tun es: Sie hängen einen Kranz an die Tür. Da wir diesen Brauch nicht grundsätzlich ablehnen, wollen wir ihnen gerne helfen und stecken im Vorübergehen schöne Kleinigkeiten an den Kranz. Dinge, die wir nicht mehr brauchen, die wir aber aus unerfindlichen Gründen noch herumliegen haben: Büroklammern, eine alte Batterie, ein abgebranntes Streichholz, einen krummen Nagel, ein Pflaster.
Damit verhalten wir uns zutiefst christlich, denn «ihr findet mich in den einfältigen Dingen», heißt es im Neuen Testament. Gott ist überall. Gerade da, wo wir ihn nicht vermuten. Möglicherweise fehlt unseren Nachbarn jedoch das Verständnis für diese fromme Botschaft. Dann können wir, um des lieben Friedens willen, auch einen eigenen Türkranz schmücken. Wie? Ganz einfach:
Wir bestücken einen gewöhnlichen Kranz mit all den schlichten Dingen vom Grund unserer Schubladen. Oder, nun werden wir vollends tiefgründig, wir hängen eine leere Klorolle auf ein Band. Ihre Schlichtheit ist ein Zeichen der Erleichterung, der Freude, des Friedens. Sie ist die Weihnachtsbotschaft.
Wir entwerfen Schattenbilder
Diese Idee ist besonders für die Eiligen unter uns konzipiert, denn Schattenbilder sind in null Komma nichts gebastelt. Wir brauchen dafür lediglich ein Blatt Papier, zweimal gefaltet, sodass es sich aufstellen lässt, und dahinter eine Kerze: Fertig ist unser Schattenbild. Jedenfalls beinahe. Es fehlt noch der Schatten.
Nichts leichter als das: ein bisschen Transparentpapier (gewöhnliches Papier tut es auch), ein selbstklebendes Tattoo, und schon ist unsere festliche Silhouette fertig. Die Möglichkeiten reichen vom Totenkopf über eine Grauen erregende Maske oder einen Skorpion bis zur giftigen Schlange. Sie alle symbolisieren die Versuchungen, denen Jesus widerstanden hat, stimmen uns also optimal auf das Fest der Liebe ein.
Vielleicht haben wir auch noch ein paar alte Scherenschnitte im Schrank, idealerweise von Maria und Joseph mit dem Jesuskind. Die lassen sich durch kleine Veränderungen problemlos feierlich umdekorieren: indem wir die Nasen vergrößern, Ochs und Esel einen Krokodilsrachen und einen Saurierkopf geben. Und dem lieben Kind in der Krippe setzen wir kurzerhand dem Kopf unseres kleinen Bruders oder unseres Großvaters auf – natürlich nicht den echten, sondern ein Foto. Auch ein Elefant in der Krippe macht sich immer gut. In Indien entspricht dem Jesuskind der süße Gottessohn Ganesha, der einen Elefantenkopf trägt. Damit zeigt unsere Deko für jedermann sichtbar unsere Toleranz und unser multikulturelles Engagement.
Wir sorgen für Besinnlichkeit
In den letzten Jahren ist oft beklagt worden, dass in der Vorweihnachtszeit nicht mehr die richtige Stimmung aufkommt. Zum einen liegt das daran, dass insgesamt zu viel Hast und Hektik herrschen. Zum anderen daran, dass die nötige Spannung fehlt.
Dem lässt sich abhelfen. Wir sorgen einfach für ein bisschen Langsamkeit und erhöhen dadurch gleichzeitig die Spannung. Das tun wir nicht so sehr für uns selbst, sondern vielmehr für all die anderen, die in Stimmung kommen möchten. Natürlich profitieren auch wir davon. Und zwar so:
Wir legen den persönlichen Stottergang ein. Wenn wir im Supermarkt oder Kaufhaus an der Kasse stehen, finden wir unser Geld nicht. Nicht so schnell jedenfalls, wie die anderen wollen.
Kurz bevor wir im Kaufhaus die Rolltreppe betreten, scheuen wir plötzlich zurück. Zaudernd betrachten wir die dahingleitenden Stufen – und die Reaktion der Leute hinter uns.
Wir fahren nicht schwarz. Aber bei einer Fahrkartenkontrolle kramen wir ausgiebig in allen unseren Tüten und Taschen. Wir genießen es, wie der Kontrolleur nervös wird und die anderen Fahrgäste in schadenfrohe Spannung geraten. Bis wir das Ticket herausziehen.
Wenn wir mit dem Auto an der Ampel stehen, fahren wir nicht los, sobald es grün wird. Vielmehr warten wir, bis der Fahrer hinter uns hupt. Das Hupen wird unvermeidlich kommen. Wir wissen nur nicht, wann. Jetzt brauchen wir nur noch eine Stoppuhr, und schon wird ein spannendes Spiel daraus. Mit Sicherheit auch für die Wartenden in der Schlange hinter uns. So genießen wir den Weg durch die Stadt von Ampel zu Ampel. Um den Genuss für alle Beteiligten zu erhöhen, steigen wir gelegentlich aus und erklären dem Fahrer hinter uns, wie lange er zum Hupen gebraucht hat.
Wir erneuern das Weihnachtsoratorium
Grundsätzlich ist es nicht so wichtig, ob es sich tatsächlich um das Weihnachtsoratorium von Bach handelt. Es kann auch eines der gefürchteten Quempas-Singen sein. Oder ein Konzert gut abgerichteter Sängerknaben. Was auch immer geboten wird, wir und alle anderen haben es bereits oft gehört. Zu oft. Deshalb werden wir jetzt kreativ. Wir verleihen den abgenudelten Klängen neue Akzente, und zwar ganz einfach: indem wir husten.
Erstens verfügen wir über ein untrügliches Rhythmusgefühl. Zweitens über eine winterlich raue Kehle. Damit können wir so mancher abgedroschenen Kantate und Engelsmelodie zu erfrischenden neuen Impulsen verhelfen. Der Möglichkeiten sind da viele: Musikalisch fein abgestimmt bellen wir dazwischen, räuspern uns räudig, röcheln heiser, grunzen, brummen, schnauben.
Das Publikum, besonders in unserer unmittelbaren Nähe, wird mitfühlend und dankbar sein. Größte Bewunderung ist uns sicher, wenn wir losprusten, als hätten wir den Husten lange unterdrückt und müssten ihn nun partout loswerden, vulkanisch und explosiv, echohaft verstärkt in den hallenden Mauern einer Kirche. Selbstverständlich warten wir mit unserem Beitrag nicht bis zum Applaus oder bis zum Fortissimo der Blechbläser. Da hört man uns ja gar nicht! Nein, wir nutzen konsequent die leisen Passagen und bedeutsamen Intervalle. Wenn der Chor dramatisch schweigt, dann ist es Zeit für unseren beispiellosen Einsatz. Wenn der Dirigent zum Auftakt den Stock hebt, wenn die letzten Töne des Flötensolos in der Luft schweben, wenn die Sopranistin den Gipfel der Koloratur ansteuert und ihre Stimme nur noch ein feiner Faden ist, dann kann unser Husten ihn befreiend zerreißen.
Machen Sie mit? Ich ebenfalls. Sie aus der Loge, ich vom Parkett. So werden Weihnachtskonzerte wieder zum vollendeten Genuss!
Wir werden lieb
Üblicherweise streiten wir uns mit unseren Lieben zu Weihnachten, und zwar heftiger als sonst im ganzen Jahr. Das ist gesund. Aber es ist nicht gerade originell.
Originell ist es, aus Weihnachten ein Fest des Friedens und der Liebe zu machen. Das hat es nämlich noch nie gegeben. Und das tun wir jetzt einfach. Um friedlich zu werden, müssen wir natürlich erst mal richtig kriegerisch sein. Und um zu lieben, müssen wir zunächst nach Herzenslust hassen. Die Adventszeit eignet sich bestens dafür. Denn in den Wochen vor dem Fest gibt es erfahrungsgemäß viel zu fluchen und zu schimpfen.
Im Stillen geht das allerdings nicht. Wir müssen laut werden. Schließlich wollen wir uns amüsieren – und anderen auch ihren Spaß gönnen.
Wir nutzen für unser Ansinnen ein kleines Wäldchen in der Nähe oder ein Flussufer, einen Berg oder das Meer. Am besten bei Gegenwind. Der törnt an. Der Philosoph Diogenes fluchte zur Wintersonnenwende am Gestade der Ägäis, sein chinesischer Kollege Konfuzius scheuchte seine Schüler in jeden mittleren Orkan, und der Königsberger Gelehrte Immanuel Kant spazierte bei Windstärke 8 an der Ostsee entlang, belauscht nur von seinem Diener, der «Unflätiges und Unfassbares vom hohen Herrn» vernahm. Was die Jungs damals konnten, können wir schon lange. Fluchen wir also in den Wind, schreien wir unsere düstersten Gedanken heraus, er trägt sie fort und zerbläst sie. Flüche in den Orkan zu werfen, sonst nie geäußerte Unverschämtheiten dem Sturm anzuvertrauen, wirkt ungemein befreiend und fördert zudem die Durchblutung. Je derber die losgelassenen Grobheiten, desto süßer werden unser innerer Friede und unsere Liebenswürdigkeit.
Wir gründen eine Hassgruppe. Die tagt zum Beispiel an allen Advents-Sonnabenden. Raus mit der gesammelten Verbitterung, dem gestauten Abscheu, dem Widerwillen, der Rachsucht, dem Ekel! Wie herrlich, ungehemmt zu schimpfen und zu fluchen, zu wüten und zu toben. Da die Nachbarn sowieso mithören, können wir sie auch gleich dazu einladen. Gemeinsam schimpfen wir auf alles, was in den letzten Jahren schlecht war, schlagen auf Kissen ein, rasen, schnauben, schäumen. Wir lassen endlich mal alles zu: unsere Vorurteile, unsere Antipathien, unseren Groll, unsere geheimen Fehden, unsere Rebellion, unsere Tyrannei, unsere Feindseligkeit. Wir zürnen wie ein wuchtiger Winterorkan und geifern wie ein mittelalterlicher Drache.
Uff. Relaxen.
«Wer lieben will, muss erst mal hassen lernen», sprach einst Sokrates. Wie weise. Kein Problem. Es ist ein Genuss, nach Herzenslust böse zu sein, und es ist ganz einfach, anschließend lieb zu werden. Wenn wir rechtzeitig anfangen, sind wir zu Weihnachten so lammfromm, dass unsere Verwandten sich Sorgen machen. Sollen sie nur. Wir werden in aller Ruhe ihren Stress und Streit genießen.
«Adventskalender sind grausam», notierte einst Agatha Christie. «Von Tag zu Tag machen sie einem das unausweichliche Näherrücken des Festes bewusst.»
Das ist wahr, aber ein wenig zu pessimistisch. Die sonst so durchtriebene Krimischriftstellerin wusste offenbar nicht, dass es auch boshafte Adventskalender gibt und wie man sie gestaltet. Wir sind da schon einen Schritt weiter. Mit individuellen Adventskalendern verleihen wir der Vorweihnachtszeit die rechte heimelige Stimmung. Ohne allzu viel kostbare Zeit auf unsere Schöpfungen zu vergeuden, können wir auf gemütliche Art unsere Schwiegermutter rösten, unsere liebste Feindin foltern und unsere Erbtante zur Abtretung ihres Vermögens nötigen.
Wie das gehen soll? Entweder wir nehmen einen alten Adventskalender, schreiben oder kleben Sprüche auf die Innenseiten der Türchen und drücken diese sorgsam wieder an. Oder wir erwerben in einem Bastelladen einen Adventskalender zum Selbermachen mit vorgefertigten Feldern. Weitere denkbare Alternativen wären 24Säckchen am Band oder 24 füllbare Filzstiefelchen. Ebenso eignen sich Papiertüten, geleerte Streichholzschachteln, Tablettenschächtelchen oder Minifläschchen, auf die wir mit Filzstift die Zahlen 1 bis 24schreiben.
Der Adventskalender der Reliquien
Dieser Kalender eignet sich in erster Linie für unsere frommen oder esoterischen Bekannten. Reliquien nennt man Gegenstände oder Überreste von Heiligen, welche die Aura ihrer einstigen Besitzer tragen. Meist gehen mächtige Schwingungen davon aus.
Ganz besonders gilt das natürlich für die Reliquien, die wir, also Sie und ich, für unseren persönlichen Adventskalender in Döschen oder Schachteln packen. Zwar sind wir längst nicht so komfortabel ausgestattet wie der Vatikan, der noch einen halben Liter Blut von Jesus aufbewahrt, obendrein Holz vom Golgatha-Kreuz und die Knochen zahlloser Heiliger. Doch auch wir haben unsere Heiligtümer. Oder genauer: Wir verfügen über Material, das wir kurzerhand heilig sprechen.
Dafür platzieren wir dieses Material zum Beispiel in 24Streichholzschachteln. Falls wir ausnahmsweise gerade keine Knochensplitter des heiligen Petrus zur Hand haben, bedienen wir uns kurz entschlossen bei einer Hähnchenkeule oder bei einem Kotelett. Falls wir weder Locken von Johannes noch von Elvis parat haben, spenden wir edelmütig ein wenig von unserem eigenen kostbaren Haar. Für die Splitter vom Kreuz des Herrn müssen wir eventuell ein brüchiges Möbelstück zu Hilfe nehmen. Das gleiche Maß an Kreativität gilt für Fingernägel, Gewandstücke oder Asche. Wir machen es genau so wie seit zweitausend Jahren, denn so lange existiert der schwunghafte Reliquienhandel schon. Wichtig ist nur, dass wir jedem Reliquienstück eine kurze Erläuterung beifügen sowie eine Garantiekarte, die dessen Echtheit dokumentiert. Wen unsere glücklichen Beschenkten so alles heilig finden, werden wir sicherlich irgendwie herausbekommen. Hier sind die wichtigsten Empfehlungen:
Ein Knochensplitter des Petrus
Ein Blatt vom Baum, unter dem Buddha erleuchtet wurde
Ein Brillenputztuch des Dalai-Lama
Ein Stück Stoff von der letzten Krawatte, die John F.Kennedy trug
Eine Locke des Jüngers Johannes
Eine Schweißsocke von David Beckham
Asphaltbrocken des Flughafens, den Papst Paul JohannesII. geküsst hat
Ein Fetzen vom Lendenschurz Gandhis
Der letzte Pinsel von Leonardo da Vinci, van Gogh oder Frida Kahlo
Diverse Papierfetzen eines von Marcel Reich-Ranicki zerrissenen Buches
Der Schraubverschluss der letzten Flasche von Harald Juhnke
Die Fingernägel des Evangelisten Markus
Die getrocknete Losung des ruhmreichen Rehes Bambi
Eine Taste von Beethovens Klavier
Eine Feder der von Picasso gemalten Friedenstaube
Die Original-Unterschrift des Südsee-Häuptlings Papalagi (drei Kreuze)
Eine Schnur aus dem Mieder der legendären Päpstin Johanna
Ein Fahrradventil von Jan Ullrich
Ein Stück des Nasenknochens von Michael Jackson
Eine Pinzette von Urwalddoktor Albert Schweitzer
Ein Pfeil aus dem Körper des heiligen Sebastian (Dart-Pfeil reicht)
Echter Bast von dem Körbchen, in dem Moses ausgesetzt wurde
Das Oberteil von Marilyn Monroes Lieblingsbikini
Splitter vom Kreuz des Herrn – oder Originalstroh aus der Krippe
Die Anordnung ist natürlich nicht vorgeschrieben. Der Inhalt ebenso wenig. Vielleicht gehören ja auch Lady Diana oder John Lennon zu den bevorzugten Heiligen – oder aber die vatikanisch anerkannten, die gerne in Kalendern aufgezählt werden.
Der Adventskalender für Erbtanten
Dieser Kalender, der natürlich auch für Erbonkel einsetzbar ist, ist besonders leicht herzustellen, weil er ausschließlich aus Sprüchen besteht. Darunter große Weisheiten berühmter Lehrer der Menschheit wie Goethe, Lao Tse oder Franz von Assisi. Wenn wir uns mehr Mühe machen wollen, kleben wir jeweils die Porträts dieser Weisen zum entsprechenden Spruch dazu (die Bilder finden wir im Internet).
Als Grundlage für unser einzigartiges Geschenk eignet sich ein Blanko-Adventskalender mit vorgefertigten Feldern: Auf die Innenseite kommt das Bildchen, auf die Tür der ausgedruckte Spruch. Oder umgekehrt. Noch einfacher wird es, wenn wir die Zettel mit den Sprüchen in Streichholzschachteln packen. Aber bei unserer Erbtante können wir uns ruhig ein bisschen Mühe geben. Unsere Investition soll sich ja auszahlen.
Und das wird sie zweifellos mit den nun folgenden Zitaten der wichtigsten verehrungswürdigen Weisen. Ach so, falls unsere Erbtante kurz- oder weitsichtig ist, können wir ihr die Sprüche auch vorlesen. Wir sollten sie jeden Tag anrufen und ihr den jeweiligen Spruch zu Gehör bringen. Hier ist die Liste:
Selig sind, die ihr Geld fortgeben. – Jesus
Nichts macht mehr Freude, als Geschenke zu machen. – Hildegard von Bingen
Wer am Besitz hängt, wird niemals Frieden finden. – Friedrich der Große
Großzügigkeit ist der edelste Zug des Alters. – Papst BenediktXVI.
Ich tue alles, damit meine Familie glücklich ist. – Queen Mum
Besitz besitzt. – Lao Tse
Das letzte Hemd hat keine Taschen. – Franz von Assisi
Glücklich ist nur, wer seine Erben früh beschenkt! – Teresa von Ávila
Gib dein Vermögen an deine Nachkommen, auf dass du frei bist. – Dalai-Lama
Frieden findet nur, wer seine Habe rechtzeitig verteilt. – Leonardo da Vinci
Nehmt all mein Geld, auf dass ich glücklich bin! – Wolfgang Amadeus Mozart
Unsere Nachkommen sind das Beste, was wir haben. – Goethe
Wer weise geworden ist, braucht kein Geld mehr. – Sokrates
Behalten macht schwermütig, heiter macht das Geben. – Gandhi
Wer geizig bleibt, fährt in die Hölle. – Johanna von Orleans
Glücklich allein ist der, der nichts mehr braucht. – Buddha
Gib deinen Reichtum fort, auf dass du Gott gefallest. – Martin Luther
Mögen meine Erben glücklich werden! – Kaiserin Sissi von Habsburg
Schenk alles hin, auf dass du ewig lebest. – Augustinus
Glücklich wird, wer seinen Reichtum fortgibt. – Caspar David Friedrich
Wehe dem, der seinen Reichtum mit ins Grab nimmt. – Paulus