Das Wunder der Bärenbande - Gabi Saler - E-Book

Das Wunder der Bärenbande E-Book

Gabi Saler

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Beschreibung

Erwachsene haben genauso ihre Teddy-Geschichten wie Kinder. Benjamin findet seinen Bärenfreund fürs Leben auf einer Mülltonne, sein Papa hat mal einen im Straßengraben entdeckt. Manchmal erahnen wir ihre Stimme nur in unseren Köpfen und manchmal müssen diese Verbündeten deutlicher werden. Denn eines ist sicher: Sie wissen viel mehr, als wir glauben...

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GabiSaler

 

Das WunderderBärenbande

 

Ein modernesMärchen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In einer Welt, in der das Teilen zur Nebensache wird und die Einsamkeit regiert, braucht es Verbindungen und Verbündete. Und es braucht offene Kommunikation – vor allem über das, was Angst macht. Angst, die jeder kennt, die tausend GesichterhatundhässlichsteBlütentreibt,solangesieimVerborgenen bleibt. Benjamin wird auf dem Pausenhof von Sven bedroht underpresst.Zuerstmachterdas,wasalletun:Erschließtseine Furchtinsichein.Glücklicherweisefindetereinengesprächigen Teddy auf einer Mülltonne. Durch ihn erfährt er, dass die allergrößten Angstmacher selbst vor irgendetwas Angst haben und die allermeisten Menschen einen Lieblingsteddy besitzen, mit demsieihregeheimstenSorgenteilen.SogarseineigenerVater. InBenjaminwächstderMutzurOffenheitund»DasWunderder Bärenbande« beginnt…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Copyright © 2018

Gabi Saler, www.gabisaler.com

Alle Rechtevorbehalten

Lektorat: Dominique Wendland-Stindel

Illustrationen: Holger Much, www.holgermuch.de

Endkorrektur: Christian Winkelmann

Vertrieb: Nova MD GmbH, D-83377 Vachendorf,

www.novamd.de

 

ISBN: 9783968582207

 

 

 

 

 

 

Erstes Kapitel

 

Ein verflixter Tag

 

Am Donnerstag, nach Schulschluss, passiert es zum ersten Mal. Wie so oft ist er der Letzte, der aus dem Klassenzimmer trödelt. Bis die Hausaufgaben von der Tafel abgeschrieben sind, der Ranzen gepackt ist …

Sein Freund Piet hat es an diesem Tag besonders eilig und ist schon längst verschwunden, als Benjamin gemächlich über den verlassenen Schulhoftrottet.

InderHandhälterdreiEurostücke.DasMilchgeld,dasMama ihm zum Bezahlen nahrhafter Pausengetränke mitgegeben hat, willeramKioskjetztnochinseineSammlunginvestieren.Drei neue Star-Wars-Bilderpäckchen würde er kaufen und morgen mitPietundOledannwiederdieDoppeltentauschen.Milchist ohnehin nicht wirklich seinLieblingsgetränk.

»Na Kleiner? So ganz alleine?« Die Stimme, der Tonfall und ein Blick auf abgelatschte Turnschuhe und fransige Schlabberhosenbeine genügen, um Benjamin das Blut in den Adern schockzufrosten. Sven! Wer nicht zu seiner Gang gehört, geht ihm besser aus dem Weg. Weiß jeder! Das Milchgeld hält Benjamin fest umklammert in seiner rechten Faust und nickt.

»WashastedenndaindeinerHand,hä?«,willderViertklässler mit Schuhgröße 42 von ihm wissen und beugt sich neugierig zu Benjamin herunter. »Na los, zeig schon!«, fordert er und schnappt dabei nach seinerHand.

 

»Au!Dutustmirweh!«,wehrtsichBenjamin,wasSvenkein bisschenbeeindruckt.

»Ich werd’ dir gleich noch viel mehr wehtun, du Wurrrm du! Zertretenwerd’ichdich,du…«,unddabeidrückterBenjamins Handgelenkimmerfester,bisderSchmerzihnzwingt,dieFaust zu öffnen, und die drei Eurostücke auf den geteerten

Schulhofbodenklimpern.

»Guckmaleineran.DreiEuro.Undwemgehör’ndie?«,säuselt Sven übertriebenlieblich.

»Mi… mir«, stammelt Benjamin leise.

»Wem?«

»Mir«, traut sich Benjamin etwas fester zu antworten, ehe Svens Schraubzwingenfinger sein linkes Ohrläppchen packen und schmerzhaft nach hinten drehen.

»Weeeeem??«, wiederholt Sven und stiert ihn dabei mit aufgerissenen Augen an.

»Dir.«

Sven lässt los. Der Schmerz lässt nach.

»Warumnichgleichso,duZwerg!«,grinstderRiesebefriedigt undwillsichschonbreitbeinigvomAckermachen,umdieEcke wartenschließlichseineKumpels,alsihmnochetwaseinfällt.

»Du sammelst doch Star-Wars-Bilder, stimmt’s?« Und weil Benjamin sich sicher ist, dass Sven ihm ganz bestimmt keine schenken will, schüttelt er lieber erstmal verneinend den Kopf. Sofort macht der Riese auf der Turnschuhsohle kehrt, schnappt sich Benjamins rechtes Ohrläppchen und zischt ihm SpuckeversprühendinsGesicht:»Wermichanlügt,hat’nechtes Problem!«

Benjamin nickt heftig. Weil er tatsächlich Star-Wars-Bilder sammelt und jetzt weiß, dass Lügner bei Sven ein echtes Problem haben.

 

»Wir seh’n uns, du Nullnummer! Verlass dich drauf! Deine Sammlungisnämlichmeine!Kapiert?!«,sagt’s undlegtBenjamin mitDruckseinePrankeaufdenKopf.»Kaapiert??«

»Ja…«,presstBenjaminheraus,obwohlerimMomentüberhaupt

gar nichts mehrversteht.

»ZukeinemeinWort!Istdasklar,duPfeife?!’NePetzemach ichplatt!!!«

 

Benjamin nickt, wie betäubt. Ein letzter Schubs, der ihn benommen taumeln lässt, und Sven ist von der Bildfläche verschwunden.Soplötzlich,wieeraufgetauchtist.Einkleiner,neunjähriger Junge ohne Milchgeld bleibt mit hängenden Schultern undtränenverschwommenemBlicknebenderTreppestehen,

die vom Schulhof zur Straßehinunterführt.

Da unten ist Verkehr. Da sind viele Menschen. Und doch ist ihm in diesem Augenblick, als wäre er vollkommen allein auf der Welt.

 

»Du bist eine ganze Stunde zu spät! Wo warst du? Ich hab mir wirklich Sorgen gemacht!«, empfängt ihn seine Mutter, als er endlichzuhauseankommt.AlsEntschuldigunghatersich»Piet undichhattennochwaszubesprechen.Tutmirleid,Mama…« zurechtgelegt,istfroh,dasssienichtnachhakt,

undgenießtsichtlich ihreUmarmung.

Er schluckt. In der Küche riecht es nach gebratenen Hähnchenkeulen. Sein Magen knurrt. Er setzt sich an den gedeckten Tisch, schnappt sich eine Keule und mit jedem Bissen, der sich durchdieSpeiseröhreaufdenWegzuseinemMagenmacht,

verdünnisiert sich langsam der Kloß in seinem Hals. Wie gut, dass man mit vollem Mund nicht sprechendarf.

 

»Kann ich ’n bisschen am Computer spielen?«

»ErstmachstdudieHausaufgaben,danndarfstduihnhaben. EineStunde.Längernicht.DanachisterwiederimZimmer deinerSchwester,klar?«,lautetMamaseingeschränkteErlaubnis. Okay.MathehatteerschoninderSchulefertig,Deutsch,Diktatverbesserung,gehtfix,weilnurvierFehler,undSachkunde, ach ja, da sollen sie Blumen sammeln, hatFrauHabermehl gesagt. Die würde er mit Piet morgen früh vorderSchulenochumdieEckeimParkorganisieren.Benjaminholtden LaptopausdemZimmerseinerSchwesterundstelltihnaufseinenSchreibtisch.Erklapptihnauf,schaltetihnanund taucht in eine Welt ein, die ihm augenblicklich viel,viellieber ist als die wirkliche.

Er vergisst alles um sich herum. Auchdie Zeit …

»MachdenComputeraus!WirhabeneineStundeausgemacht, Freundchen. Und die ist schon längstrum!«

Benjamin hört gar nicht hin, so versunken ist er im Spiel.

»Benjamin?Schlussjetzt!UndbringdenMülleimerrunter!«

Onee,dasgehtjetztgarnicht,denkter.

»Benjamin?!« Er zieht das Genick ein.

 

Mama steht Sekunden später mit entschlossener Miene vor ihm und droht: »Wenn du jetzt nicht sofort machst, was ich dir sage, sind Computerspiele

für die ganze nächste Woche gestrichen!«

Er trollt sich. Wortlos. Er hasst diese blödsinnigen Aufträge. Soll’n doch die andern. Er macht ohnehin den wenigsten Müll. Jetzt muss er auch noch die 35 Stufen runter (und nachher wiederrauf!),durcheinenvollgerümpeltenMuffelkellerstapfen, außerdem eine riesenschwere, doppelt verriegelte Eisentür aufkriegen,umsichdannendlich,imstinkendenGangzwischen den aneinander klebenden Häusern, bis zu Tonne Nr. 24 durcharbeiten zu können.

Währendersodenkt,haterdie35Stufenabwärtslängsthinter sichundstehtunversehensvorderEisentür.

 

In der rechten Hand den Abfalleimer, in die linke hat Mama ihm noch den stabilen Schraubenzieher gedrückt, den er benutzen soll, um mittels Hebelwirkung die Riegel leichter zu bewegen.ErstelltdenMülleimerab,lässtsichlustlosaufdieKnie fallenundversuchtseinGlück.DieDingerklemmen.DieDinger klemmenimmer!

Benjamin fühlt die Wut in sich aufsteigen. »Aua!«, entfährt es ihm, als er beim unkonzentrierten Herumwurschteln kurz abrutscht. Für den zweiten Versuch bringt er sich dann doch lieber in die Karate-Kid-Haltung, die Papa ihm malbeigebracht hat.

ErverengtdabeiseineAugenzuschmalenSehschlitzenund zischt durch die Zähne: »Wenn du jetzt nicht aufgehst, du verdammter Kackriegel, dann…!«

 

Klack!Auf.Na,gehtdoch.Obennoch–fürihnimmerhinauf Stirnhöhe–einmalvollePulleundKlack!!Auchauf.Gewonnen! Ha! Er schnappt sich den vollen Mülleimer, steuert zielstrebig Tonne Nr. 24 an, hebt den Deckel und befördert gerade mit Schwung den Familienabfall ins Aus, da hört er aus dem dunklenGangvonganzhintenlinkseineBrummelstimme:

»Öhm… böäh…«

Benjamins Kopf fährt mit einem Ruck herum. »Ist da jemand?«

»Nüch würklich«, brummelt es kaum vernehmbar.

»Was??«BenjaminsHerzklopft.Erwagtkaumzuatmen.Vorsichtig tastet er sich links neben der Eisentür an der Wand entlang.SeineklammenFingerentdeckendenLichtschalter.Klick. Lichtan.Vielmehrkanner,dankderzugestaubtenFunzel,aller- dingsauchnichtsehen.AufalleFällekeinenMenschenweitund breit. Dafür eine Menge Mülltonnen. Manche mit Tüten obendrauf.

 

»Üch bün Müll. Nüx weiter als Müll …«, hört er die Stimme nun wieder eindeutig. Sie kommt aus der allerdunkelsten Ecke, vom allerletzten Mülleimer. Benjamin holt tief Luft und würgt. Hierstinkt’s.DannabersteuertermutigdasUngewissean.

Achtsam setzt er einen Fuß vor den anderen. Unter seinem rechten Schuh knirscht zerbrochenesGlas.

»Bööööäh – hicks – oh, Verzeihung – hicks«, tönt es ihm beinah direkt ins Gesicht. »Üch krieg immer Schluckauf, wenn üch aufgeregt bün.«

 

»Ichglaub’sjanicht«,murmeltBenjamin,weileseinfachwirklich nicht zu glauben ist, »da sitzt ein Teddybär und spricht mit mir.«

»Stümmt«, stößt der Bär leicht gepresst hervor. »Hat lange genug gedauert,

büs müch endlüch eina hört.«

»Wielangesitztdudennschonhier?«,erkundigtsichseinEntdeckermitfühlend.

»Seit gestern. Hia – seit gestern. Davor saß üch üm vierten Stock. Bei Milans, üm Zümmer von Johann Milan auf dem Klappsofa.Abaderisjetzaussezogen.DerhateineeigeneWohnung. Und eine Freundin. Müch brauch der jetz nüch mehr.Klaubt er … Ssum Fernsehen kuschelt er süch jetz an die.«

Der Bär schnieft ausgiebig und fährtfort.

»Eigentlüch hat er müch nie gepraucht. Na ja, so gut wü nie. Ssum Wutablassen war üch gut genug. Imma wenn er Ärga mit seim Vata hatte. Der konnte toben – Donnawetta. Wenn der ihn ssurStrafeünseinZimmaschickte,schmisssichderJohannaufs Sofa und trommelte mit den Fäusten auf mür herum. Aufmeine Naase zielte er dann am lüpsten. Deswegen hab üch da auch so neDelle.«

DerBärseufztbärig.

 

»Mit13warJohanndaserseMalverlüpt.Unklücklüchverlüpt. Da warn wür uns mal richtich nah. Da hat er die halbe Nacht aufmeimBauchgelegenundgeweint.Dastatgut.Fühlmal,die Stelleüsümmanochnbüßchenraua…«

BenjaminlegtvorsichtigseineHandaufBärsBauch.»Tatsächlich«, bestätigt er. Seine Finger streicheln sanft über die Rundungen. »Du bist ganz schön weich«, stellt er fest. »Und ganz schönriesig.«

Tatsächlich misst der Bär einen knappen Meter von Tatzensohle bis Ohrenspitze. Wobei sein ziemlich dicker Kopf mitder eingedallertenNaseaugenblicklichinäußerstunbequemerHaltungvornüberaufdemkugeligenBauchhängt.

»Öhm, booooääh – öhm, könntest du müch bütte mal ein büßchen anders hünsetzn?«

Benjamin zieht an den Pfoten und drückt den dicken Kopf leicht nach hinten.

»So besser?«

»Viel bessa. Danke«, tönt die Bärenstimme nun erheblich deutlicher.

»Was passiert denn jetzt mit dir?«, fragt Benjamin, für eine Weile etwas ratlos.

»Öhm–üchwarteaufdieAbfuhr.Unddannland’üchaufder Küppe.«

»Wo?«

»NaaufderMüllküppenatürlich.Wodennsonss.Da,woalles landet, was Menschn nüch mehrbrauchn.«

Benjamins Blick wandert langsam vom Bären zu Mülltonne Nr. 24, in die er vor wenigen Minuten leere Fischdosen, verschimmelte Brotreste, abgenagte Hähnchenknochen und benutzteWattestäbchenbeförderthat.Wassonstnochdabeiwar, willerliebernichtmehrwissen.DannzurückzumBären,dessen große Knopfaugen ihn nun geradewegs anschauen.

»Nein!«,entscheideterineinerZehntelsekunde.»Dagehörst du nicht hin!«

 

Er schnappt sich den Bären, kaum kleiner als er selbst, presst den unförmigenHalsirgendwieunterseinenrechtenArm,angeltmit der Linken nach dem leeren Abfallbehälter, tritt mit Wucht die Eisentür auf, knallt sie hinter sich zu, rums – rums – die Riegel vor,rastdie35Stufenhoch–GottseiDankkommtihmniemand entgegen–,kicktleisedieangelehnteWohnungstürauf–Mama telefoniertglücklicherweisegeradeimWohnzimmer–,schlüpft somitungeseheninseinZimmer,wirftdenBärenaufsBett,flitzt noch mal in die Küche, wegen dem dummen Abfallbehälter, dann wieder zurück, Tür zu, fertig.Uffz.

Zweites Kapitel

 

Der Bärenretter

 

Benjamins Herz rast. Er ist völlig aus der Puste.

»Alles okay, Schatz?«, ruft Mama.

DerGefragtebemühtsich,möglichstgelassenzuklingen,und antwortetmiteinemehergesungenen»Jaha,allesguhut!«.

Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht. Wie soll er Mama erklären, was er eben erlebt hat, und dass sie ab jetzt voraussichtlich einen neuen Mitbewohner haben? Benjamin reibt sich ein paar Schweißperlen von der Stirn.

Einen sprechenden Müllbären. Ziemlich staubig, muffiger Körpergeruch, mit eingedellter Nase und einer rauen Stelle am Bauch. Von ihm, Benjamin, höchstpersönlich gerettet vor dem wahrhaft unwürdigen Schicksal, auf irgendeiner zum Himmel stinkenden Müllkippe vor sich hin zu rotten! Jawohl!

Waschen, schießt es ihm durch den Kopf! Ich muss ihn nur gründlich waschen!!

»Schöön hür«, schwärmt der Bär.

»Naja,nichtgradaufgeräumt«,entgegnetBenjaminetwasverlegen.

»Da unten war auch nüch aufkeräumt. Aba hür rücht es bessa.

Und die Aussücht üs – wundabaaaaar.«

Vom Bett aus, wo der Bär immer noch liegt, hat man einen Blick auf waldige Hügel und einen großen Himmel oben drüber.

»Die anderen Häuser und ihre Dächer und Terrassen oben drauf kann man nur sehen, wenn man direkt am Fenster steht«, erklärt ihm Benjamin. »Und manchmal, wenn ich nachts Pipi muss, dann scheint der Mond sogar direkt auf mein Kopfkissen.«

»Öhm … böäh … kössslich …« Während der Bär ganz neue Aussichten genießt, macht Benjamin leise seine Zimmertürauf, guckt erst nach rechts dann nach links, witscht um die Ecke ins Bad, greift sich den Putzeimer, füllt lauwarmes Wasser hinein, mit einem tüchtigen Spritzer von Mamas Lieblingsduschgel, nimmt dazu noch einen frischen Waschlappen und das große Duschhandtuch von Papa, weil das da gerade so günstig hängt, und flitzt zurück. In seinZimmer.

»Ich werd dich jetzt waschen«, kündigt er dem Bären an.

»Öhhhm – wie jetz?«, will der von ihm wissen.

»Na waschen eben. Weißt du nicht, was Waschen ist?«

»Üss mür noch nie passiert«, brummelt der Bär.

Und ehe er noch weiß, wie ihm geschieht, hat Benjamin ihn schon auf seinen Schreibtischstuhl verfrachtet. Er stellt den Eimer neben den Stuhl, taucht den Waschlappen hinein, drückt ihn mittelgründlich aus und beginnt an den Bärentatzen zu rubbeln.

»Oooohh–dassssss–üssss–toholl«,grunztderBärgenüsslich, während Benjamin sich heftig an dessen Fußsohlen zu schaffenmacht.

»Guckmal!Wasfür’neDreckbrühe!«,staunter,wennerzwischendurch den Lappen zum Ausspülen in den Eimer tunkt und wieder herausholt. Benjamin wendet sich hingebungsvoll den Bärenohren zu. Dann dem Bauch. Auch der rauen Stelle. Dem Hinterkopf, seinem kurzen Hals, linker Arm, rechterArm, Nacken…

»Au!«Irgendwashatdageradegepikst.Benjamingucktgenau nach. Da steckt doch tatsächlich hinten im Bärennacken eine abgebrochene, angerosteteNadel!

»SowasFieses.Werhatdiedenndareingesteckt?«Erziehtsie heraus.

»Öhm…böäh…DaswardienetteVakäufarinausdemSpülzeugladen. Da hing mal mein Preisschüld dran. Üch wa kein Billigbär. Das kannssu mürklauben.«

Kopfschüttelnd dreht Benjamin seinen neuen Freund um.

»Ich muss dich jetzt auf den Boden legen, weil ich deinen Rücken auch noch waschen will.« Vorsichtig bettet er ihn auf den bunten Flickenteppich vor seinem Kleiderschrank.

»Drückt was?«, erkundigt er sich fürsorglich.

»Nö – uummmpf – doch – ääähhhhmmpf, die Naaaase.« Natürlich. Benjamin bettet den Bärenkopf ein bisschen seit-

lich,damiternichtgenauaufderNaseliegt,undfängtan,seinen Rücken mit dem mittlerweile graubraunen Duschgelwasser zu tränken.

Er hätte den Waschlappen vielleicht doch etwas stärker ausdrückensollen.DasWasserhättemanvielleichtauchmalwechseln können und, ups, der Teppich ist etwas feucht geworden. Egal,denktBenjamin.Hauptsache,derBärriechtgut.Dasistbei Mama schon die halbeMiete.

»Wie heißt du eigentlich?«, fragt Benjamin, während er ein verblasstes Schildchen am Bärenhinterteil entdeckt hat und zu entziffern versucht, was da stehen könnte.

»Öhm – wü?«

»Na, dein Name. Wie hat dieser Johann dich genannt?«

»Blöda Bär.«

»Super!«, Benjamin kann es kaum fassen. »So nenn’ ich dich aber nicht!«

»Wär mür auch lüber. Gefalln hat mür der Name nie.«

Benjamindenktangestrengtnach.Sorechteinfallenwillihm nichts.VielleichtPiet?Nee,Pietgehtnicht.DannmüsstederBär rotes Fell haben, denn Benjamins bester Freund Piet hat flammend rote Haare und Massen von Sommersprossen. Ole viel- leicht?Nee.Olegehtauchnicht.DerträgteineBrille.

»Wie wär`s mit Ben?«, schlägt er vor.

»Ooooooh,dasgefälltmür…Ben…Ben…Ben…«,summt der Bär ganz beseelt vor sich hin, wie er da so quietschnass auf dem durchgeweichten Teppichliegt.

»Hassu auch einen Namen?«, erkundigt sich Ben-Bär.

»Klar. Alle Menschen haben Namen. Ich heiße Benjamin.«

Erstjetztfälltihmauf,dasserdemBärendieKurzformseines eigenen Namens gegeben hat. Papa nennt ihn manchmal so. Dannfühltersichgroßundstarkundfasterwachsen.

Es klingelt an der Wohnungstür. Benjamin erschrickt.Prompt töntesdannauchnochausdemWohnzimmer:»Bennilein,mach dochmaldie Tür auf.IchbinamTelefon!«

Na super. Und jetzt?

Benjamin hebt den tropfnassen Ben ruckartig auf, drückt ihn kurz ein bisschen zu stark an sich, so dass auf dem Boden eine Pfütze und auf seiner Hose ein unangenehmer Fleck an einer echtpeinlichenStelleentsteht,überlegtkurzundentschließtsich, seinenneuenFreundhinterdenSchreibtischvordieHeizungzu quetschen.

»Halloooo! Öhm, boääh – öhm – mmpffff – hicks! Wasnjetz loos??« Ben-Bär ist unüberhörbaraufgeregt.

»Hör zu. Ich hol dich da nachher wieder raus! Wahrscheinlich ist das meine blöde Schwester, die wieder ihren Schlüssel vergessen hat. Und die kommt unter Garantie gleich hier rein, weilsiedenLaptophabenwill,klar?«,erklärterihm,ohneeine Antwort abzuwarten. »Wenn die dich sieht, rennt sie sofort zu Mama petzen!«

SorichtigverstandenhatBendasalleszwarnicht.Außerdass gleich jemand in dieses Zimmer kommen wird, der so ähnlichheißtwieerselber,alsernochJohannsBär war. Esklingelt erneut.

»Benni?« Mama ruft. »Warum machst du nicht auf?«

In Windeseile schiebt Benjamin den vollen Eimer unter den Schreibtisch – leider schwappt es ein bisschen – und stopft das Duschhandtuch davor. Mit letzterem wischt er sogar noch grob auf. Dann springt er »Komme schon!« flötend zur Wohnungstür.

»Na endlich, Bennilein.« Natürlich. Da steht Annabelle. Das Allerschlimmste an seiner großen Schwester ist, dass sie seine großeSchwesterist,findetBenjamin,strecktihrkurzdieZunge rausundverschwindetinseinemZimmer.Sieinihrem.

»Maaamaaa! Benni hat schon wieder den Laptop in seinem Zimmer!!«

SchonreißtAnnabellewutschnaubendBenjaminsZimmertür auf.Undstößtbeinahmitihmzusammen,dennerhatesimmerhin geschafft, die Sekunden bis zu ihrem erwartungsgemäßen Auftritt zu nutzen, um sich abzumelden, die Kiste

runterzufahren, zusammenzuklappen und bereits auf dem Weg zur Tür zusein.Sie,eineinhalbKöpfegrößeralserunddeshalbohneweiteresinderLage,überseineleichtgegeltenHaarspitzenhinwegzugucken,erfasstinatemberaubenderGeschwindigkeitdieLage.

»Wie sieht’s denn hier aus?« So viel zum Zimmer. Dann wendetsiesichBenjaminzu,derdenheiligenComputerwieein Silbertablettvorsichhältundziemlichbedröppeltvorihrsteht.

»Und wieso ist deine Hose da vorne nass??« Wobei sie beim

»da« auch noch genau dahin deutet.

Dann wieder ihr kreisender Adlerblick. »Und warum ist um deinen Schreibtisch herum eine Riesenpfütze??«

DreiFragen,aufdieBenjaminsospontankeinewirklichgute Antwort einfallenwill.

Vom Wohnzimmer nähern sich Schritte. Energische Schritte.

»Sagtmal, geht’s noch?!WasistdenndasfüreinLärmhier?Ich versteh am Telefon ja mein … eigenes Wort … nicht … mehr …« WährenddieserstockendenAnspracheüberfliegtauchMamasBlick in schier unfassbarem Tempo den Zustand in BenjaminsZimmer.

»Ben-ja-min!WasmachtPapasDuschhandtuchunterdeinem Schreibtisch? Warum riecht es hier nach meinem Duschgel?? UndwoherumallesinderWeltkommtdieWasserlacheaufdem Fußboden???«

SchonwiederdreiFragen,aufdieBenjamineinfachkeinepassende Antwort einfällt. Zum Glück ist just in diesem Moment Papas Schlüssel an der Wohnungstür zuhören.

Annabelle nutzt die Gunst des Augenblicks, um mit Laptop umgehend in ihrem Zimmer zuverschwinden.

Zurück bleiben Mama, ziemlich fassungslos, und Benjamin, redlichbemüht,seinSweatshirtirgendwieüberdennassenFleck auf seiner Hose zuziehen.

»Hallo Schatz«, wird Mama von Papa begrüßt. Dann wendet er sich seinem Sohn zu.

»Hey Ben. Alles okay bei euch?«

»Ja – öhm – boäääh – hicks. Alles guut.«

»Was ist denn mit deiner Stimme los, Großer?«

»Nüx Papa. Alles guut«, versucht Benjamin möglichst bärig zu klingen.

Papa stutzt ein wenig. Mama ein wenig mehr: »Irgendetwas stimmt doch hier nicht!« Ihre Spürnase hat Witterung aufgenommen. Sie läuft an Benjamin vorbei, steuert schnurstracks auf den Schreibtisch zu, zieht das nasse Duschhandtuch von Papa und den Eimer mit der graubraunen Brühe unten raus und entdeckt,wiesollteesauchanderssein,Bensnasses,linkesBärenbein.

»Was – ist – das?!« Mama hat jetzt echt was Schrilles in der Stimme.SiezerrtundziehtandemBärenbeinherum,bissieden ganzen Ben durch den Schlitz zwischen Heizung und Schreibtischschubladen-Unterbaugezogenhatundervorihrliegt.Inall seiner frisch geputzten Pracht undSchönheit.

Knisternde Stille. Für einen winzig kleinen Augenblick.

»Wo kommt der her?«, will sie natürlich sofort wissen.»Hast dudenetwahierdringebadet,oderwas?«

Benjaministjetztwirklichsprachlos.SeinBlicksuchtdenvon Papa. Der scheint die Notlage erkannt zu haben und zwinkert ihm verständnisvollzu.

»Hörmal,Liebes,wiewärees,wennduunsMännermalallein lassen würdest?Hm?«

DiegrößtenSorgenmachtsichEleJansonaugenblicklichum den nassen Laminatboden, weil sie nicht sicher ist, ob der vielleichtquillt.

»Liebes.Ichwerdeihneigenhändigaufwischenund,wenndu willst, auch noch trocken föhnen. Aber lass uns jetzt bitte für einenMomentallein!«Dannhatsieesbegriffen.

Behutsam schließt Papa hinter ihr die Tür.

Benjamin kämpft mit den Tränen. Papa merkt es. Er kniet sichhin,obwohlseineHosedabeiauchnochnasswird,schiebt seine Hand sanft unter Benjamins Kinn, hebt es ein bisschen an, damit er ihm besser in die Augen sehen kann, und dann … dann…dannfälltdermutigeMüllbären-RetterdemRetter-Papa schluchzend um denHals. Geduldig hört sich Benjamins Papa die ganze Bären- Geschichte an. Als in der Schilderung die Stelle kommt, wo er anfing zu sprechen und was er dann so sagte, reagiert Papa erstaunlicherweise gar nichtüberrascht.

»Mama wird mir nie erlauben, dass ich einen Müllbären behalte. Und deshalb hab ich ihn schon mal gewaschen und…! Bitte,Papa!Bitte!Ichwill,dassBenbeimirbleibt!«

Michel Janson streckt seinen Arm aus und zieht Ben-Bär am Bein zu sich und Benjamin heran.

»So, mein Guter. Ben heißt du also?« Er spricht ihn direkt an.

Benjamin staunt. Und Ben antwortet natürlich.

»Jaaa. Böäh. Hicks. Früha war üch blöda Bär. Aber jetz bün üch Ben … Ben … Ben …!«

 

WenigspäterstehtPapabeiMamainderKüche.»Erhatihnauf einer Mülltonne unten im Gang gefunden. Er meinte, es sei die vonMilansgewesen.DukennstdochMilans.DieausdemviertenStock.«

MichelJansonleistetÜberzeugungsarbeit.EleJansonschneidetTomaten. DannwendetsiesichinZeitlupeihremGattenzu, legt den Kopf ein wenig schief und zieht die linke Augenbraue hoch.»DasistjetztnichtdeinErnst,oder?«

»Komm schon, Schatz, gib deinem Herzen einen Ruck. Lass Benjamin seinen Bären. Er hat ihn doch schließlich schon gewaschen.«ErfischtsicheineGewürzgurkeausdemGurkenglas und fährt kauend fort: »Ich hab als kleiner Junge übrigens auch maleinenTeddygefunden.ImStraßengraben.KeinVergleichzu BenjaminsBär.Echtnicht.«Mamaentspanntsicheinwenig.Ihr Interesseistgeweckt.»Und?HastduihnauchmitnachHausegenommen?« Papa nickt und schluckt die Gurke runter. »Klar. Ich konnte gar nicht anders. Wir haben miteinander geredet.«

»Du hast mit dem Bären geredet?« Ungläubiges Kopfschütteln.

»Ja,obdu’sglaubstodernicht.Derwussteallesvonmir.Ohne ihn wäre ich damals ganz schön einsam gewesen. Das warkurz nachdemsichmeineElterntrennten.«PapastütztsichaufsFensterbrett und starrt insLeere.

FürSekundenfühlterdenkleinenJungenwiederinsich.Mit alldemSchmerz,allderWut,allderTrauerundvorallemallder Angst,dieerempfand,alsdas,wasimmereinefesteBurgzusein schien, plötzlichauseinanderbrach.

»Falls Benjamins Müllbär auch einer von der gesprächigen Sorteseinsollte:Meinstdu,eswürdeihmdieSpracheverschlagen,wennichihnimWollwaschgangeinmaldurchdieMaschine laufenlasse?«

»Mama!ErbekämesicherSchluckaufdavon!«Benjamin,der hinterderTürdasganzeGesprächgespanntbelauschenmusste, kann sich nicht mehr länger zurückhalten. Und Papa auch nicht. Es prustet aus ihm heraus, dass es ihn schüttelt. Mama gluckst erst noch verhalten vor sich hin, ehe es befreit aus ihr herausplatzt,undBenjaminlachtnatürlich,weilPapaundMama lachen,undAnnabelle,dieimBadgeradeeineneueTönung für ihreHaareausprobiert,stehtaufeinmalmiteinemHelmausAlufolieimKüchentürrahmen,woraufhinsichderRestderFamilie erst recht brüllend die Bäuche hält!

DievieralbernsichwirklichglücklichmüdeandiesemAbend. Sounbeschwertundleichtundnahwieschonlangenichtmehr. Benjaminhatüberalldemsogarvergessen,dassBen-Müllbärin seinemZimmerfrisch