Das Zittern des Fälschers - Patricia Highsmith - E-Book

Das Zittern des Fälschers E-Book

Patricia Highsmith

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Beschreibung

Ein kleiner Ort an der tunesischen Küste. Ein amerikanischer Schriftsteller, der an einem Buch mit dem Titel ›Das Zittern des Fälschers‹ arbeitet und ungeduldig auf Nachrichten von seiner Geliebten wartet. Ein schemenhafter Besucher im Dunkeln, dem der panische Schriftsteller seine Schreibmaschine entgegenschleudert. In gleißender Hitze, in einer fremden Welt, wo Leichen so schnell verschwinden wie tote Katzen, treffen die amerikanische und die arabische Seele aufeinander.

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Patricia Highsmith

Das Zittern des Fälschers

Roman

Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren

Mit einem Nachwort von Paul Ingendaay

Herausgegeben von Paul Ingendaay und Anna von Planta

Diogenes

{7}Das Zittern des Fälschers

Für Rosalind Constable

als kleines Andenken

an eine sehr lange Freundschaft

{9}1

»Sind Sie sicher, daß kein Brief für mich da ist?« fragte Ingham. »Howard Ingham. I-n-g-h-a-m.« Obgleich er englisch gesprochen hatte, buchstabierte er seinen Namen ein wenig unsicher auf französisch.

Der dickliche Araber in der leuchtendroten Uniform blätterte die Briefe in dem Fach I–J durch und schüttelte den Kopf. »Non, m’sieur.«

»Merci«, sagte Ingham mit einem höflichen Lächeln. Er hatte sich zum zweitenmal erkundigt, aber dies war ein anderer Angestellter. Das erste Mal hatte er vor zehn Minuten gefragt, bei seiner Ankunft im Hotel Tunisia Palace. Ingham hatte auf einen Brief von John Castlewood gehofft. Oder von Ina. Er hatte New York vor fünf Tagen verlassen und war erst nach Paris geflogen, um mit seinem Agenten zu sprechen und sich ein wenig dort umzusehen.

Ingham steckte sich eine Zigarette an und ließ den Blick durch die Hotelhalle schweifen. Sie war klimatisiert und mit Orientteppichen ausgelegt. Die meisten Gäste schienen Franzosen und Amerikaner zu sein, doch es gab auch einige Araber mit recht dunklem Teint und Geschäftsanzügen. John hatte ihm das Tunisia Palace empfohlen. Es war wahrscheinlich das erste Haus am Platz, dachte Ingham.

Er trat durch die Glastür auf den Bürgersteig. Es war {10}Anfang Juni, kurz vor sechs Uhr abends. Die Luft war warm, und die untergehende Sonne schien noch hell. John hatte vorgeschlagen, er solle vor dem Mittag- oder Abendessen einen Drink im Café de Paris nehmen, und dort drüben war es, auf der anderen Straßenseite, zwei Ecken weiter, am Boulevard Bourguiba. Ingham schlenderte den Boulevard entlang und kaufte eine Pariser Ausgabe der Herald Tribune. Die recht breite Straße war in der Mitte durch einen baumgesäumten, mit Betonplatten gepflasterten Bürgersteig unterteilt. Hier waren die Zeitungs- und Zigarettenkioske und die jungen Schuhputzer. Ingham erinnerte der Boulevard halb an Paris und halb an Mexico City, aber die Franzosen hatten ja auch in Mexico City wie in Tunis die Hände im Spiel gehabt. Er hörte laute Gesprächsfetzen, wußte aber nicht, was sie bedeuteten. In einem seiner Koffer im Hotel hatte er einen Sprachführer mit dem Titel Arabisch leichtgemacht. Offenbar handelte es sich um eine Sprache, deren Worte er würde auswendig lernen müssen, denn sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit irgendeiner anderen, die er kannte.

Ingham ging über die Straße zum Café de Paris. Die Tische auf dem Bürgersteig waren alle besetzt. Man starrte ihn an, vielleicht weil er hier neu war. Viele der Gäste waren Amerikaner oder Engländer, und sie hatten den Gesichtsausdruck von Leuten, die schon eine Weile hier waren und sich ein bißchen langweilten. Ingham mußte sich einen Platz an der Theke suchen. Er bestellte einen Pernod und warf einen Blick in die Zeitung. Es war laut im Café. Er entdeckte einen freien Tisch und setzte sich.

Auf dem Bürgersteig schlenderten Menschen vorbei {11}und betrachteten gleichgültig die ausdruckslosen Gesichter der Gäste. Ingham achtete besonders auf junge Leute, weil sein Auftrag lautete, ein Drehbuch über zwei junge Liebende zu schreiben – oder vielmehr drei, denn es gab noch einen zweiten Mann, der das Mädchen nicht bekam. Ingham sah kein solches Paar vorübergehen, nur junge Männer, einzeln oder zu zweien, Hand in Hand und in ernsthafte Gespräche vertieft. John hatte Ingham erzählt, daß die Männer hier sehr enge Beziehungen pflegten. Homosexualität war hier nicht einfach tabu, aber das hatte nichts mit dem Drehbuch zu tun. Junge Leute verschiedenen Geschlechts befanden sich oft in Gesellschaft einer Aufsichtsperson oder wurden jedenfalls nicht aus den Augen gelassen. Es gab viel zu lernen, und in den ein, zwei Wochen bis zu Johns Ankunft würde es Inghams Aufgabe sein, die Augen offenzuhalten und die Atmosphäre in sich aufzunehmen. John kannte einige Tunesier, und so würde Ingham Gelegenheit bekommen, die Wohnung einer tunesischen Familie der Mittelschicht von innen zu sehen. Das Drehbuch sollte nur ein Minimum an ausformulierten Dialogen enthalten, aber einiges mußte eben doch schriftlich fixiert werden. Ingham hatte das eine oder andere für das Fernsehen geschrieben, betrachtete sich jedoch eigentlich als Romanschriftsteller. Er hatte einige Befürchtungen wegen dieses Auftrags, aber John war zuversichtlich, und es gab nur mündliche Absprachen. Ingham hatte nichts unterschrieben. Von Castlewood hatte er tausend Dollar im voraus erhalten, doch er achtete sorgfältig darauf, von diesem Geld nur geschäftliche Ausgaben zu bezahlen. Ein großer Teil würde für den Wagen draufgehen, den er für {12}einen Monat mieten sollte. Er würde sich morgen darum kümmern müssen, dachte er, damit er anfangen konnte, sich umzusehen.

»Merci, non«, sagte er zu einem Straßenhändler mit einem Sträußchen langstieliger, fest zusammengebundener Blumen. Der überaus süße Duft hing in der Luft. Der Händler hielt den Strauß in den Händen, ging zwischen den Tischen umher und rief: »Jass-min?« Er trug einen roten Fez und eine weite, lavendelfarbene Hose, die so dünn war, daß die helle Unterhose durch den Stoff schimmerte.

An einem Tisch saß ein dicker Mann, der einen Jasminstengel zwischen den Fingern drehte und an den Blüten roch. Er schien ganz in einen Tagtraum versunken zu sein und starrte mit glasigem Blick vor sich hin. Erwartete er eine Frau, oder dachte er nur an sie? Nach zehn Minuten kam Ingham zu dem Schluß, daß er niemanden erwartete. Der Mann hatte etwas getrunken, was wie farblose Limonade ausgesehen hatte. Er trug einen hellgrauen Straßenanzug. Ingham nahm an, daß er zur Mittel- oder gar zur Oberschicht gehörte. Er verdiente vielleicht um die dreißig Dinar pro Woche, also dreiundsechzig Dollar oder mehr. Ingham hatte sich seit einem Monat mit solchen Dingen beschäftigt. Bourguiba bemühte sich, sein Volk behutsam aus seinen reaktionären religiösen Fesseln zu befreien. Er hatte die Polygamie offiziell abgeschafft und war auch gegen die Schleierpflicht für Frauen. Unter den afrikanischen Ländern galt Tunesien als das fortschrittlichste. Man versuchte, die französischen Geschäftsleute aus dem Land zu komplimentieren, war aber noch immer weitgehend auf die finanzielle Hilfe der Franzosen angewiesen.

{13}Ingham war vierunddreißig, etwas über einen Meter achtzig groß, hatte hellbraunes Haar und blaue Augen und bewegte sich eher langsam. Obgleich er sich nicht sportlich betätigte, hatte er eine athletische Statur mit breiten Schultern, schlanken Beinen und kräftigen Händen. Er war in Florida geboren, doch da er seit seinem achten Lebensjahr in New York gelebt hatte, betrachtete er sich als New Yorker. Nach dem Studium an der University of Pennsylvania hatte er für eine Zeitung in Philadelphia gearbeitet und nebenbei hin und wieder etwas geschrieben, allerdings ohne viel Glück, bis sein erster Roman erschien, Die Kraft des negativen Denkens, eine ziemlich respektlose und unreife Parodie auf das positive Denken, in der seine beiden negativ denkenden Helden am Ende mit Ruhm und Geld überschüttet wurden. Angesichts des Erfolgs seines Buches hatte Ingham den Journalismus an den Nagel gehängt und zwei, drei harte Jahre hinter sich gebracht. Sein zweites Buch, Die katharinischen Schweine, war nicht so gut aufgenommen worden wie das erste. Dann hatte er Charlotte Fleet geheiratet, eine reiche junge Frau, die er sehr geliebt hatte. Ihr Geld hatte er nicht angerührt, und eigentlich war ihr Reichtum sogar ein Hindernis gewesen. Die Ehe war nach zwei Jahren geschieden worden. Ab und zu verkaufte Ingham ein Fernsehspiel oder eine Kurzgeschichte. Er wohnte in einem bescheidenen Apartment in Manhattan und hielt sich über Wasser. Im Februar dieses Jahres war dann der Durchbruch gekommen. Die Filmrechte an seinem Buch Wenn das Wörtchen wenn nicht wär waren für fünfzigtausend Dollar verkauft worden. Ingham hatte den Verdacht, daß der Grund dafür mehr die verrückte Liebesgeschichte {14}gewesen war als die intellektuelle Aussage (die Notwendigkeit und Gültigkeit des Wunschdenkens), aber jedenfalls hatte jemand die Rechte gekauft, und zum ersten Mal genoß Ingham so etwas wie finanzielle Sicherheit. Er hatte es abgelehnt, das Drehbuch zu schreiben, denn er fand, daß Drehbücher – auch die zu Fernsehspielen – nicht seine Stärke waren, und außerdem fiel es ihm schwer, sich dieses Buch als Film vorzustellen.

John Castlewoods Idee für Trio war einfacher und leichter visuell umzusetzen. Der junge Mann, der das Mädchen nicht bekam, heiratete eine andere, rächte sich jedoch auf äußerst schreckliche Weise an seinem erfolgreichen Rivalen, indem er erst dessen Frau verführte, dann dessen Firma in den Ruin trieb und schließlich dafür sorgte, daß der Mann umgebracht wurde. So etwas, glaubte Ingham, konnte in Amerika kaum passieren, doch der Ort der Handlung war ja auch Tunesien. John Castlewood war begeistert von der Idee, und er kannte Tunesien. Und John kannte Ingham und hatte ihn gebeten, das Drehbuch zu schreiben. Produzent sollte ein Mann namens Miles Gallust sein. Falls Ingham mit dieser Sache nicht zu Rande kam, falls er ihr nicht gewachsen war, würde er es John sagen und ihm die tausend Dollar zurückgeben, und dann konnte der nach einem neuen Drehbuchautor suchen. John hatte zwei gute Filme mit knappen Budgets gedreht. Der erste – Der Kummer – war der erfolgreichere gewesen und hatte in Mexiko gespielt. Der zweite Film hatte von Ölarbeitern in Texas gehandelt – Ingham konnte sich nicht an den Titel erinnern. John war sechsundzwanzig und voller Energie, beseelt von einem Glauben, der, wie Ingham vermutete, daher rührte, {15}daß er von der Welt noch nicht sehr viel wußte. Ingham hatte das Gefühl, daß auf John höchstwahrscheinlich eine bessere Zukunft wartete als auf ihn selbst. Er war in einem Alter, in dem er seine Möglichkeiten und seine Grenzen kannte. Von John Castlewood konnte man das noch nicht behaupten. Vielleicht war er auch nicht der Typ, der sich über Möglichkeiten und Grenzen den Kopf zerbrach oder sie auch nur als solche anerkannte, und das war vielleicht auch ganz gut so.

Ingham zahlte und ging zurück ins Hotel, um sein Jackett zu holen. Langsam bekam er Hunger. Wieder warf er einen Blick auf die beiden Briefe im Fach I–J und auf das leere Fach, vor dem sein Schlüssel hing. »Vingt-six, s’il vous plaît«, sagte er und nahm den Schlüssel in Empfang.

Er ging – auch dies eine Empfehlung von John – zum Restaurant du Paradis in der Rue du Paradis, die den Boulevard zwischen dem Hotel und dem Café de Paris kreuzte. Danach schlenderte er herum und trank in Cafés, in denen keine Touristen saßen, am Tresen ein paar café exprès. Die Gäste waren allesamt Männer. Der Barmann verstand Inghams Französisch, doch sonst hörte man nur Arabisch.

Er hatte vorgehabt, einen Brief an Ina zu schreiben, sobald er wieder im Hotel wäre, doch dann war er zu müde oder vielleicht auch einfach lustlos. Er ging zu Bett und las ein paar Seiten in einem Buch von William Golding, das er aus Amerika mitgebracht hatte. Bevor er einschlief, dachte er an die Frau, die im Café de Paris ein wenig mit ihm geflirtet hatte. Sie war blond gewesen, etwas rundlich, aber sehr attraktiv. Ingham hatte gedacht, sie sei vielleicht Deutsche (ihr Begleiter hätte alles mögliche sein können), und {16}er hatte sich gefreut, als er gehört hatte, daß sie beim Hinausgehen mit dem Mann französisch sprach. Eitelkeit, dachte Ingham. Er sollte lieber an Ina denken. Sie dachte sicherlich an ihn. Jedenfalls war Tunesien ein hervorragender Ort, um nicht mehr an Lotte zu denken. Gott sei Dank dachte er beinahe gar nicht mehr an sie. Seit der Scheidung waren ein Jahr und sechs Monate vergangen, doch manchmal kam es Ingham so vor, als wären es nur sechs Monate gewesen oder auch nur zwei.

{17}2

Auch am nächsten Morgen war kein Brief für ihn da, und Ingham kam der Gedanke, John und Ina könnten ihm an die Adresse des Hotels du Golfe in Hammamet geschrieben haben, wo er auf Johns Empfehlung absteigen würde. Ingham hatte dort noch keine Reservierung gemacht, hielt es jedoch für das beste, ab dem 5. oder 6. Juni ein Zimmer zu bestellen. »Sieh dich ein paar Tage in Tunis um«, hatte John gesagt. »Die Protagonisten sollen in Tunis leben … Ich glaube nicht, daß es dir gefallen wird, dort zu arbeiten. Es wird heiß sein, und du kannst nirgends baden, es sei denn, du fährst nach Sidi Bou Said. Wir werden in Hammamet arbeiten. Ein traumhafter Strand, um nachmittags schwimmen zu gehen, und kein Verkehrslärm …«

Nachdem er einen ganzen Tag damit verbracht hatte, durch Tunis zu laufen und zu fahren, und auch die lange Mittagsruhe ertragen hatte, während der von zwölf oder halb eins bis vier Uhr alles bis auf die Restaurants geschlossen war, wollte Ingham schon am nächsten Tag nach Hammamet fahren. Doch sobald er dort angekommen wäre, würde er sich ärgern, nicht genug von Tunis gesehen zu haben, und so beschloß er, noch ein oder zwei Tage zu bleiben. Einmal fuhr er ins sechzehn Kilometer entfernte Sidi Bou Said, badete im Meer und aß, da es sonst keine {18}Restaurants gab, in einem recht vornehmen Hotel zu Mittag. Es war eine sehr saubere Stadt mit weiß gekalkten Häusern und hellblauen Türen und Fensterläden.

Als er am Vortag im Hotel du Golfe angerufen hatte, war dort kein Zimmer frei gewesen. Der Empfangschef hatte ihm ein anderes empfohlen, dessen Atmosphäre Ingham jedoch zu sehr an Hollywood erinnert hatte, und schließlich hatte er ein Zimmer im Reine de Hammamet genommen. Alle Hotels hatten eigene Strände am Golf von Hammamet, standen aber etwa fünfzig Meter vom Wasser entfernt. Das Reine verfügte über ein großes Hauptgebäude und einen Garten voller Limonen- und Zitronenbäume und Bougainvilleen, außerdem über fünfzehn oder zwanzig Bungalows, die durch das Laub der Bäume voneinander abgeschirmt waren. Die Bungalows waren mit einer Küche ausgestattet, aber Ingham hatte nicht vor, selbst zu kochen, und nahm ein Zimmer im Hauptgebäude mit Blick auf das Meer. Er ging sogleich zum Strand, um zu schwimmen.

Um diese Zeit waren dort nicht viele Leute, obgleich die Sonne noch über dem Horizont stand. Ingham sah ein paar leere Liegestühle. Er wußte nicht, ob man sie mieten mußte oder nicht, doch vermutlich gehörten sie dem Hotel, und so nahm er in einem Platz. Er setzte die Sonnenbrille auf – auch daran hatte John Castlewood gedacht und ihm eine geschenkt – und zog ein Taschenbuch aus der Tasche seines Bademantels. Eine Viertelstunde später war er eingeschlafen oder döste jedenfalls vor sich hin. Mein Gott, dachte er, mein Gott, wie ruhig und schön und warm …

{19}»Hallo! Guten Tag! Sind Sie Amerikaner?«

Die laute Stimme ließ Ingham aufschrecken, als wäre ein Schuß gefallen. Er setzte sich auf. »Ja.«

»Entschuldigen Sie, daß ich Sie beim Lesen störe. Ich bin auch Amerikaner. Aus Connecticut.« Der Mann war etwa fünfzig, hatte schütteres, ergrauendes Haar, ein kleines Bäuchlein und eine beneidenswert gebräunte Haut. Er war nicht sehr groß.

»Ich bin aus New York«, sagte Ingham. »Ich hoffe, ich habe nicht Ihren Stuhl besetzt.«

»Haha. Nein. Aber die Boys werden sie in einer halben Stunde oder so einsammeln. Sie müssen sie wegschließen, sonst sind sie morgen nicht mehr da.«

Einsam, dachte Ingham. Oder hatte er eine Frau, die ebenso redselig war? Aber auch dann konnte man einsam sein. Der Mann stand nur zwei Meter von Ingham entfernt und blickte aufs Meer.

»Ich heiße Adams. Francis J. Adams.« Er sagte es, als sei er stolz darauf.

»Howard Ingham.«

»Wie finden Sie Tunesien?« fragte Adams mit einem freundlichen Lächeln, das seine gebräunten Wangen ein wenig rundete.

»Sehr hübsch. Jedenfalls Hammamet.«

»Das finde ich auch. Am besten, man hat einen Wagen, um ein bißchen herumzufahren. Nach Sousse und Djerba und so. Haben Sie einen?«

»Ja.«

»Gut. Tja …« Adams trat einen Schritt zurück und schien sich verabschieden zu wollen. »Kommen Sie doch bei {20}Gelegenheit mal vorbei. Mein Bungalow ist der da oben. Nummer zehn. Jeder Boy kann Ihnen sagen, wo ich wohne. Fragen Sie einfach nach Adams. Kommen Sie mal abends auf einen Drink vorbei. Und bringen Sie Ihre Frau mit, wenn Sie eine haben.«

»Vielen Dank«, sagte Ingham. »Ich bin allein hier.«

Adams nickte und winkte. »Bis bald.«

Ingham blieb noch fünf Minuten sitzen und stand dann auf. Er ging auf sein Zimmer, duschte und begab sich nach unten in die Bar. Es war ein großer, mit roten Orientteppichen ausgelegter Raum. Ein Paar in mittleren Jahren unterhielt sich auf französisch. An einem anderen Tisch saßen drei Engländer. Es waren nur sieben oder acht Leute da, und einige davon saßen in einer Ecke vor dem Fernseher.

Von dort kam ein Mann an den Tisch der Engländer und sagte gelassen: »Die Israelis haben ein Dutzend Flughäfen bombardiert.«

»Wo?«

»Ägypten. Oder vielleicht auch Jordanien. Die Araber sind erledigt.«

»Waren die Nachrichten auf französisch?« fragte einer der Engländer.

Ingham stellte sich an die Theke. Der Krieg war offenbar ausgebrochen. Tunesien war weit davon entfernt. Er hoffte, daß sich die Ereignisse nicht auf seine Arbeit auswirken würden. Aber die Tunesier waren ebenfalls Araber, und er wußte, daß eine antiwestliche Stimmung aufkommen würde, wenn die Araber verloren, und das würden sie natürlich. Er mußte sich morgen eine Pariser Zeitung kaufen.

{21}In den nächsten Tagen hielt er sich vom Strand fern und machte mit dem Wagen ein paar Ausflüge ins Landesinnere. Die Israelis trieben die Araber vor sich her und hatten am Montag, dem Tag des Kriegsausbruchs, fünfundzwanzig Luftwaffenstützpunkte zerstört. Eine Pariser Zeitung berichtete, in Tunis seien einige Wagen mit Nummernschildern westlicher Länder umgeworfen worden, und auch die Fenster der Amerikabibliothek am Boulevard Bourguiba seien zu Bruch gegangen. Ingham fuhr nicht nach Tunis, sondern nach Naboul, einem Städtchen nordöstlich von Hammamet, er fuhr ins Binnenland nach Bir Bou Rekba und in einige andere winzige, staubige, ärmliche Orte, an deren Namen er sich nur mit Mühe erinnern konnte. In einem davon fand gerade der morgendliche Markt statt, und er schlenderte zwischen Kamelen und Töpferwaren, Anstecknadeln und Nippsachen, Baumwollkleidung und Strohmatten umher. Das Angebot war auf groben Decken auf dem Boden ausgebreitet. Mehrmals wurde Ingham angerempelt; das mochte er nicht. Er hatte gelesen, daß den Arabern dieser direkte menschliche Kontakt nichts ausmachte, ja daß sie ihn sogar brauchten. Überall im Souk war das offensichtlich. Der Schmuckmarkt war recht schäbig, brachte Ingham jedoch auf die Idee, einen guten Juwelier zu suchen, bei dem er eine Schmucknadel für Ina kaufte, ein flaches Dreieck mit einem kleinen Reif aus Draht, der zur Befestigung diente. Solche Nadeln gab es in allen Größen. Weil die Schachtel für ein Päckchen zu klein war, kaufte er noch eine rote bestickte Weste – eigentlich war es eine Männerweste, doch so bunt verziert, daß sie in Amerika sehr feminin wirken würde. Beides schickte er {22}noch am selben Nachmittag ab, nachdem er viel Zeit totgeschlagen und bis vier Uhr darauf gewartet hatte, daß das Postamt in Hammamet wieder öffnete – für eine Stunde nur, wie ein Schild neben der Tür verkündete.

Am vierten Tag im Hotel Reine schrieb er einen Brief an John Castlewood. John wohnte in der West Fifty-third Street in Manhattan.

8. Juni 19–

Lieber John,

Hammamet ist so schön, wie Du gesagt hast. Ein herrlicher Strand. Bleibt es dabei, daß Du am 13. kommst? Ich bin bereit, mit der Arbeit zu beginnen, und spreche bei jeder Gelegenheit mit Fremden – allerdings können die, für die ich mich interessiere, nicht immer viel Französisch. Gestern abend war ich im Arcades. [Das war ein Café, das etwa eineinhalb Kilometer vom Reine entfernt lag.]

Bitte sag Ina, sie soll mir mal schreiben. Ich habe ihr schon einen Brief geschrieben. Ich fühle mich ein bißchen einsam hier, so ganz ohne Nachricht von zu Hause. Aber vielleicht ist es ja auch so, wie Du gesagt hast, und die Post ist unglaublich langsam …

Und so ging es immer weiter. Danach fühlte er sich noch etwas einsamer als zuvor. Täglich fragte er im Hôtel du Golfe nach Post, manchmal sogar zweimal täglich. Weder ein Brief noch ein Telegramm waren eingetroffen. Ingham fuhr zum Postamt, um den Brief aufzugeben, denn er war nicht sicher, ob er, wenn er ihn am Empfang abgab, noch {23}am selben Tag auf den Weg gebracht werden würde. Verschiedene Angestellte hatten ihm drei verschiedene Zeiten für die Postzustellung genannt, und er nahm an, daß die Abholzeiten ebenso lax gehandhabt wurden.

Gegen sechs ging Ingham zum Strand. Der Weg führte durch einen dschungelartigen Hain von Palmen, die jedoch im unvermeidlichen Sand wuchsen. Er folgte einem ausgetretenen Pfad. Ein paar Metallpfosten, vielleicht die Überreste eines verwahrlosten Spielplatzes, ragten aus dem Sand. An ihren oberen Enden saßen, so fest wie Muscheln, kleine weiße Schnecken. Das Metall war so heiß, daß man es kaum berühren konnte. Er ging weiter und versank in Tagträumen über seinen Roman. Er hatte sein Notizheft und einen Bleistift mitgenommen. Solange John nicht hier war, würde er ohnehin nicht an Trio arbeiten können.

Er ging ins Wasser, schwamm hinaus, bis er ein wenig müde wurde, und kehrte dann um. Das Meer war bis weit draußen seicht. Erst hatte er glatten Sand unter den Füßen, dann, näher am Ufer, kamen flache Felsen und schließlich, auf dem letzten Stück bis zum Strand, wieder Sand. Da er sein Handtuch vergessen hatte, wischte er sich das Gesicht mit dem Bademantel ab. Er setzte sich und zog sein Notizheft hervor. Sein Roman handelte von einem Mann, der ein Doppelleben führte und sich der Amoralität seines Lebens nicht bewußt und daher ins Wanken geraten, zumindest aber nicht ganz gefestigt war. Das gab Ingham zwar nicht gern zu, aber es war nicht zu leugnen. Er hatte nicht vor, seinen Helden zu rechtfertigen. Dennison war einfach ein junger Mann (zwanzig am Anfang des Buches), der heiratete und ein glückliches Familienleben führte und mit {24}dreißig zum Bankdirektor befördert wurde. Er unterschlug Gelder der Bank, wann immer sich die Möglichkeit bot, und zwar hauptsächlich mit Hilfe gefälschter Unterschriften, und er verschenkte und verlieh das Geld ebenso leichtherzig, wie er es gestohlen hatte. Einen Teil investierte er, um die Zukunft seiner Familie abzusichern, gab aber (ebenfalls unter falschem Namen) zwei Drittel des Geldes Bedürftigen oder Leuten, die ein Startkapital brauchten.

Wie so oft bei solchen Gedankengängen dauerte es keine zwanzig Minuten, bis Ingham eingedöst war. Er hatte erst zwölf Zeilen geschrieben und schlief schon halb, als die Stimme des Amerikaners ihn weckte wie ein sich wiederholender Traum.

»Hallo! Ich hab Sie ein paar Tage nicht gesehen.«

Ingham setzte sich auf. »Guten Tag.« Er wußte, was jetzt kam, und er wußte auch, daß er heute abend einen Drink in Adams’ Bungalow nehmen würde.

»Wie lange bleiben Sie eigentlich?« fragte Adams.

»Das weiß ich noch nicht genau.« Ingham war aufgestanden und zog sich den Bademantel an. »Vielleicht drei Wochen. Ich warte hier auf einen Freund.«

»Oh. Auch Amerikaner?«

»Ja.« Ingham betrachtete den Speer, den Adams in der Hand hielt und der eher wie ein eineinhalb Meter langer Pfeil aussah; zum Schießen schien er allerdings nicht geeignet zu sein.

»Ich bin auf dem Weg zu meinem Bungalow. Wollen Sie nicht mitkommen und etwas Kühles trinken?«

Ingham dachte sofort an Coca-Cola. »Gut. Danke. – Was machen Sie mit dem Speer?«

{25}»Ach, ich ziele damit auf Fische, aber ich hab noch nie einen erwischt.« Er lachte leise. »Manchmal stochere ich damit nach Muscheln, die ich sonst nicht erreichen kann. Da, wo das Wasser zwei oder zweieinhalb Meter tief ist.«

Weiter oben am Strand war der Sand heiß, wenn auch nicht unerträglich. Ingham trug seine Strandschuhe in der Hand. Adams hatte keine.

»Da sind wir«, sagte Adams plötzlich und bog auf einen grobkörnig asphaltierten Weg ein, der zu seinem weißblauen Bungalow führte. Um die Kühle zu bewahren, war das Dach im arabischen Stil kuppelförmig gewölbt.

Ingham sah über seine Schulter und erblickte ein Gebäude, das er bis dahin nicht bemerkt hatte, eine Art Betriebsgebäude, an dessen Wand mehrere halbwüchsige Jungen – Kellner und Laufburschen des Hotels, nahm er an – lehnten und sich unterhielten.

»Nichts Großartiges, aber mein Zuhause«, sagte Adams und öffnete die Tür mit einem Schlüssel, den er aus einem Täschchen in seiner Badehose gezogen hatte.

Drinnen war es kühl, die Fensterläden waren geschlossen, und nach dem gleißenden Sonnenlicht war es hier regelrecht dunkel. Offenbar verfügte Adams über eine Klimaanlage. Er schaltete das Licht an.

»Setzen Sie sich doch. Was soll ich Ihnen bringen? Einen Scotch? Bier? Cola?«

»Eine Cola, bitte.«

Sie hatten sich die Füße sorgfältig auf den blanken Kacheln vor der Tür abgetreten. Adams ging mit schnellen, quietschenden Schritten über den gekachelten Boden in den kleinen Flur, der zur Küche führte.

{26}Ingham sah sich um. Es wirkte tatsächlich wie ein Zuhause. Da waren Muscheln, Bücher, Papierstapel, ein offenbar vielbenutzter Schreibtisch mit Tintenfässern, Stiften, einer Schachtel mit Briefmarken, einem Anspitzer und einem aufgeschlagenen Wörterbuch. Eine Ausgabe von Reader’s Digest. Auch eine Bibel. War Adams Schriftsteller? Das Wörterbuch war Englisch-Russisch, ordentlich eingebunden in braunes Papier. War Adams ein Spion? Ingham lächelte über diesen Gedanken. Über dem Tisch hing das gerahmte Foto eines amerikanischen Landhauses, eines neuenglischen Landhauses, wie es schien: Es war ein weißes Haus, das in einer großzügig bemessenen Entfernung von einem weißen Zaun mit drei Querlatten umgeben war. Man sah Ulmen und einen Collie, aber keinen Menschen.

Ingham drehte sich um, als Adams mit einem kleinen Tablett zurückkam.

Adams trank einen Scotch mit Soda. »Sind Sie Abstinenzler?« fragte er und lächelte sein pausbäckiges Lächeln.

»Nein. Ich hatte nur Lust auf eine Cola. – Wie lange sind Sie schon hier?«

»Ein Jahr«, sagte Adams strahlend und wippte auf den Fußballen.

Er hatte einen hohen Spann und ziemlich kleine Füße. Ingham fand sie irgendwie abstoßend, und nachdem er sie einmal betrachtet hatte, sah er nicht mehr hin.

»Ist Ihre Frau nicht hier?« fragte er. Er hatte das Foto einer Frau auf der Kommode hinter Adams gesehen, einer Frau in den Vierzigern, mit einem zurückhaltenden Lächeln und einem zurückhaltenden Kleid.

»Meine Frau ist vor fünf Jahren gestorben. Krebs.«

{27}»Oh. Und womit vertreiben Sie sich hier die Zeit?«

»Ich fühle mich nicht wirklich einsam. Ich beschäftige mich, so gut es geht.« Wieder dieses eichhörnchenhafte Lächeln. »Hin und wieder steigen interessante Menschen im Hotel ab, wir lernen uns kennen, und dann fahren sie irgendwann weiter. Ich betrachte mich als inoffiziellen Botschafter Amerikas. Ich verbreite Goodwill – hoffe ich jedenfalls. Ich propagiere Werte und Lebensstil. Unsere Werte und unseren Lebensstil.«

Was zum Teufel sollte das heißen, fragte sich Ingham und dachte sogleich an den Vietnamkrieg. »Wie meinen Sie das?«

»Ach, ich habe so meine Methoden. Aber erzählen Sie mir lieber von sich selbst, Mr. Ingham. Setzen Sie sich. Machen Sie hier Urlaub?«

Ingham nahm in einem großen, durchgesessenen, quietschenden Ledersessel Platz. Adams ließ sich auf dem Sofa nieder. »Ich bin Schriftsteller«, sagte Ingham. »Ich warte auf einen Freund aus Amerika, der hier einen Film drehen will. Er wird der Kameramann und zugleich auch der Regisseur sein. Der Produzent sitzt in New York. Die Pläne sind noch sehr unbestimmt.«

»Interessant! Worum soll es in dem Film gehen?«

»Es ist eine Geschichte über ein paar junge Leute in Tunesien. John Castlewood – der Kameramann – kennt das Land recht gut. Er hat ein paar Monate bei einer tunesischen Familie in Tunis gelebt.«

»Dann sind Sie also Drehbuchautor.« Adams zog ein buntes, kurzärmliges Hemd an.

»Nein, eigentlich bloß Schriftsteller. Romanschriftsteller. {28}Aber mein Freund John wollte, daß wir diesen Film gemeinsam machen.« Ingham war diese Unterhaltung zuwider.

»Welche Bücher haben Sie geschrieben?«

Ingham stand auf. Er wußte, daß noch weitere Fragen kommen würden, also sagte er: »Vier. Eins heißt Wenn das Wörtchen wenn nicht wär. Sie werden es kaum kennen.« Adams kannte es tatsächlich nicht, und so fuhr Ingham fort: »Ein anderes heißt Die katharinischen Schweine. Das war nicht so erfolgreich.«

»Die gadarenischen Schweine?« fragte Adams, wie Ingham es erwartet hatte.

»Katharinisch«, sagte Ingham. »Aber die Anspielung auf gadarenisch sollte darin mitschwingen.« Sein Gesicht fühlte sich warm an, entweder aus Scham oder aus Langeweile.

»Können Sie davon leben?«

»Ja, solange ich in New York hin und wieder einen Fernsehauftrag kriege.« Unvermittelt dachte er an Ina, und der Gedanke sandte ein Pulsieren durch seinen Körper, und mit einemmal war sie ihm so zum Greifen nah wie seit seiner Abreise nach Europa und Afrika nicht mehr. Er sah sie vor sich, in ihrem New Yorker Büro. Dort mußte es jetzt um die Mittagszeit sein. Sie streckte die Hand nach einem Bleistift oder einem Bogen Schreibmaschinenpapier aus. Falls sie eine Verabredung zum Mittagessen hatte, würde sie vermutlich ein wenig zu spät kommen.

»Wahrscheinlich sind Sie berühmt und wissen es bloß nicht«, sagte Adams lächelnd. »Ich lese selten Romane. Ab und zu mal was Gekürztes. Zum Beispiel Reader’s Digest. {29}Aber wenn Sie eins von Ihren Büchern dabeihaben, würde ich es gern lesen.«

Ingham lächelte. »Tut mir leid. Ich nehme meine Bücher nicht mit auf Reisen.«

»Wann kommt Ihr Freund?« Adams erhob sich. »Soll ich Ihnen nachschenken? Oder möchten Sie jetzt einen Scotch?«

Ingham entschied sich für einen Scotch. »Er soll am Dienstag kommen.« Im Wandspiegel sah er sein Gesicht: Es war von der Sonne gerötet und begann sich braun zu färben. Sein Mund wirkte streng und ein wenig mißmutig. Eine plötzliche laute Stimme, die unmittelbar vor den mit Läden verschlossenen Fenstern etwas auf arabisch rief, ließ ihn zusammenzucken, doch er fuhr fort, sein Spiegelbild zu betrachten. Das war es, was Adams sah, dachte er: ein ganz normales amerikanisches Gesicht mit einem nicht unbedingt freundlichen Mund und blauen Augen, die alles etwas zu scharf musterten. Über seine Stirn liefen drei wellenförmige Runzeln, und unter seinen Augen zeigten sich die ersten Fältchen. Vielleicht kein sehr liebenswürdiges Gesicht, aber man konnte sein Aussehen nicht verändern, ohne sich zu verstellen. Lotte hatte Spuren hinterlassen. Am besten, dachte Ingham unvermittelt, am angemessensten war es, sich neutral zu verhalten und weder anbiedernd noch reserviert zu sein. Gelassen zu bleiben.

Als Adams mit den Drinks kam, drehte er sich um.

»Was halten Sie von dem Krieg?« fragte Adams, wie immer lächelnd. »Die Israelis haben ihn so gut wie gewonnen.«

»Kann man hier Nachrichten empfangen? Mit einem {30}Radio?« Ingham war interessiert. Er nahm sich vor, ein Transistorradio zu kaufen.

»Ich kriege hier Paris, London, Marseilles, Voice of America – praktisch alles«, sagte Adams und wies auf eine Tür, die vermutlich zum Schlafzimmer führte. »Bis jetzt hört man nur vereinzelte Berichte, aber die Araber sind erledigt.«

»Da Amerika auf Israels Seite steht, nehme ich an, daß es antiamerikanische Demonstrationen geben wird.«

»Ein paar bestimmt«, sagte Adams so unbekümmert, als sprächen sie von sprießenden Blumen im Garten. »Zu schade, daß die Araber nicht weiter denken können, als ihr Arm reicht.«

Ingham lächelte. »Ich dachte, Sie wären vielleicht auf der Seite der Araber.«

»Warum?«

»Weil Sie hier leben. Weil ich den Eindruck hatte, daß Sie sie mögen.« Andererseits las er Reader’s Digest, und der war immer eindeutig antikommunistisch. Andererseits: Was hieß denn überhaupt andererseits?

»Ich mag die Araber tatsächlich. Ich mag alle Völker. Ich finde, die Araber sollten ihr Land besser nutzen. Was geschehen ist, ist geschehen. Den Staat Israel gibt es nun mal, ob das nun richtig ist oder nicht. Die Araber sollten anfangen, ihre eigene Wüste fruchtbar zu machen, und aufhören, sich zu beklagen. Zu viele Araber sitzen einfach nur herum und tun nichts.«

Das stimmte, dachte Ingham, aber Adams las Reader’s Digest, und darum durchleuchtete Ingham mißtrauisch alles, was er sagte, und bedachte es von allen Seiten. »Haben {31}Sie einen Wagen? Glauben Sie, die Araber könnten ihn umwerfen?«

Adams lachte zufrieden. »Hier nicht. Das schwarze Cadillac-Cabrio da drüben unter den Bäumen ist meins. Tunesien ist natürlich proarabisch, aber Bourguiba wird keine großen Ausschreitungen zulassen. Das kann er sich gar nicht leisten.«

Adams erzählte von seiner Farm in Connecticut und seinem Geschäft in Hartfort. Ihm hatte eine Limonadenfabrik gehört. Offenbar erging er sich gern in Erinnerungen. Er war glücklich verheiratet gewesen. Er hatte eine Tochter, die in Tulsa lebte. Ihr Mann war ein hervorragender Ingenieur. Ingham dachte: Ich habe Angst, mich in Ina zu verlieben. Seit Lotte habe ich Angst, mich in irgend jemanden zu verlieben. Es war so offensichtlich, daß er sich fragte, warum ihm das nicht schon früher, vor Monaten, aufgegangen war. Warum wurde es ihm ausgerechnet jetzt bewußt, da er sich mit diesem gewöhnlichen kleinen Mann aus Connecticut unterhielt? Oder hatte er gesagt, daß er ursprünglich aus Indiana stammte?

Ingham verabschiedete sich mit der unbestimmten Zusage, sich am nächsten Tag um acht kurz vor dem Abendessen mit Adams in der Hotelbar zu treffen. Adams sagte, er esse manchmal im Hotel zu Abend, anstatt selbst zu kochen. Auf dem Rückweg zum Hauptgebäude dachte Ingham über Ina nach. Seine Gefühle für sie waren nicht falsch, ja vielleicht waren sie sogar klug. Er war nicht verrückt nach ihr. Er mochte sie, und sie bedeutete ihm viel. Er hatte ihr den Vertrag über die Filmrechte an Wenn das Wörtchen wenn nicht wär gezeigt, bevor er ihn {32}unterschrieben hatte, denn ihre Zustimmung war ihm ebenso wichtig gewesen wie die seines Agenten. (Tatsächlich kannte Ina sich mit Filmverträgen hervorragend aus, doch auch emotional brauchte er ihr Einverständnis.) Sie war intelligent und hübsch, und er fand sie körperlich anziehend. Sie war verläßlich und unneurotisch. Sie hatte einen Beruf und war weder eine Langweilerin noch eine Nervensäge – wohingegen Lotte, wie er zugeben mußte, außerhalb des Bettes beides gewesen war. Ina besaß einiges Talent als Bühnenschriftstellerin. Eigentlich wäre sie für diese Arbeit viel geeigneter gewesen als er selbst, und er fragte sich, warum John nicht vorgeschlagen hatte, sie solle das Drehbuch schreiben. Vielleicht hatte er es ja auch getan, und Ina hatte nur nicht aus New York weggekonnt. John und Ina kannten einander ein bißchen länger als Ingham einen der beiden kannte. Wenn John sie gefragt hatte, ob sie das Drehbuch zu Trio schreiben wolle, hatte Ina es vielleicht nicht erwähnt, dachte Ingham.

Plötzlich fühlte er sich beschwingter. Wenn ihn im Hotel kein Brief von John erwartete, wenn auch morgen keiner kam und wenn John nicht am 13. eintraf, würde ihm das wenig ausmachen. Vielleicht gewöhnte er sich langsam an das afrikanische Tempo. Keine Sorge. Laß die Tage vergehen. Francis J. Adams hatte eigenartig anregend auf ihn gewirkt. Die Kurzversionen im Reader’s Digest! Werte und Lebensstil! Adams war so offensichtlich zufrieden mit sich selbst und allem anderen. In Zeiten wie diesen war das geradezu unglaublich. Während Ingham bei ihm gewesen war, hatte ein arabischer Boy frische Handtücher gebracht, und Adams hatte sich auf arabisch mit ihm unterhalten. {33}Der Junge schien Adams zu mögen. Ingham versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, ein Jahr lang in diesem Hotel zu wohnen. War Adams vielleicht eine Art amerikanischer Agent? Nein, dazu war er viel zu naiv. Oder gehörte das zu seiner Tarnung? Heutzutage konnte man nie wissen. Ingham wußte nicht, was er von Adams halten sollte.

{34}3

Der 13. Juni kam und ging. Keine Nachricht von John und, was noch eigenartiger war, auch keine von Ina. Am 14. schickte Ingham, beflügelt von einem guten Mittagessen im Hotel, ein Telegramm an Ina:

WAS IST LOS? SCHREIB MIR HOTEL REINE HAMMAMET.

ICH LIEBE DICH. HOWARD

Er schickte es an CBS. Wenigstens würde es gleich morgen früh, am Donnerstag, dort sein. Ingham war jetzt seit zwei Wochen in Tunesien und hatte nichts von John oder Ina gehört. Selbst Jimmy Goetz, der eigentlich kein großer Briefschreiber war, hatte ihm eine Karte mit guten Wünschen geschickt. Jimmy war nach Hollywood gefahren, um einen Roman zu einem Drehbuch zu verarbeiten. Seine Karte hatte er an das Hotel du Golfe geschickt.

Die Tage begannen sich hinzuziehen. Das ging zwei Tage so, und dann stellte Ingham sich darauf ein, oder vielleicht verlangsamte er auch einfach sein Tempo, jedenfalls machte es ihm nichts mehr aus. Er kam mit der Planung seines Romans gut voran und hatte die ersten drei Kapitel schon fertig im Kopf.

Ingham hatte jetzt Halbpension und aß nicht im Hotel {35}zu Mittag, sondern gewöhnlich im Restaurant Chez Melik in Hammamet, das etwa einen Kilometer entfernt war. Er konnte am Strand entlang nach Hammamet gehen – ein angenehmer Spaziergang, wenn es Abend und nicht mehr so warm gewesen wäre – oder mit dem Wagen fahren. Bei Melik saß man auf einer Terrasse, zu der von der Straße ein paar Stufen hinaufführten. Die Preise waren sehr niedrig, und die Atmosphäre war ungezwungen. Man saß im Schatten von Weinranken, und von einer Ecke der Terrasse aus konnte man auf eine kleine, mit Stroh ausgelegte Umzäunung hinabsehen, in der manchmal Schafe oder Ziegen standen, die geschlachtet werden sollten. Manchmal sah man anstelle lebender Tiere einen Haufen blutverschmierter Schafshäute, an denen Katzen zerrten und die von Fliegen umsummt wurden. Ingham fand den Anblick nicht immer angenehm. Das Gute bei Melik war das gemischte Publikum. Es gab Kameltreiber mit Turbanen, tunesische oder französische Studenten mit flötenartigen Instrumenten oder Gitarren, französische und gelegentlich auch englische Touristen und ganz gewöhnliche Dorfbewohner, die bis Mitternacht vor ihrem Rosé saßen, zwischen den Zähnen stocherten und hin und wieder einen kleinen Bissen von den Obststückchen aßen, die vor ihnen auf den Tellern lagen. Einmal begleitete Adams ihn zu Melik. Er kannte das Restaurant natürlich bereits, doch gefiel es ihm nicht so gut wie Ingham, denn er war der Meinung, es könnte sauberer sein.

Im Hotel hatte Ingham vier oder fünf andere Gäste kennengelernt, fand aber keinen von ihnen wirklich sympathisch. Ein amerikanisches Ehepaar hatte ihn zum Bridge {36}eingeladen, doch er hatte gesagt, er könne dieses Spiel nicht, was beinahe stimmte. Der dritte war ein Amerikaner namens Richard Messerman, ein Junggeselle, der auf erotische Abenteuer aus war, jedoch nach eigener Aussage nur im eineinhalb Kilometer entfernten Hotel Fourati, wo er oft die Nacht verbrachte, Glück hatte. Ingham lehnte Messermans Einladungen, ihn zum Fourati zu begleiten, höflich ab. Ein weiterer Gast war ein Homosexueller aus Hamburg, der aber, wie er Ingham anvertraute, nur bei arabischen Jungen Glück hatte, das allerdings reichlich. Er hieß Heinz Soundso, sprach gut Englisch und Französisch und trug gewöhnlich enge weiße Hosen mit bunten Gürteln.

Seltsamerweise fühlte sich Ingham in Adams’ Gesellschaft am wohlsten, vielleicht weil der nichts von ihm erwartete. Adams war zu allen Leuten gleich liebenswürdig: zu Melik, zum Apotheker, zum Postbeamten, zu den arabischen Boys im Hotel. Adams wirkte glücklich. Ingham fürchtete, er werde ihn eines Tages mit der Nachricht überraschen, er sei Anhänger der Christian Science oder der Rosenkreuzer, aber es vergingen zwei Wochen, und Adams tat nichts dergleichen.

Es wurde heißer. Ingham stellte fest, daß er weniger aß und etwas abgenommen hatte.

Er hatte ein zweites Telegramm an Ina geschickt, diesmal an ihre Privatadresse in Brooklyn Heights, aber noch immer keine Antwort erhalten. Drei Tage nach dem zweiten Telegramm versuchte Ingham, sie anzurufen, und zwar am Nachmittag, wenn es in New York Morgen war und sie im Büro sein würde. Das bedeutete jedoch, daß er über zwei Stunden in der klimatisierten Hotelhalle herumsitzen {37}und warten mußte, denn es kam nicht einmal eine Verbindung nach Tunis zustande – die Leitungen waren überlastet. Ingham hatte das deutliche Gefühl, daß es sinnlos war, nach Amerika telefonieren zu wollen, es sei denn, er fuhr nach Tunis. Das konnte er natürlich – es war ja nur einundsechzig Kilometer entfernt. Doch er fuhr nicht nach Tunis, und er versuchte auch nicht mehr, Ina anzurufen. Statt dessen schrieb er ihr einen langen Brief, in dem unter anderem stand:

Afrika tut dem Denken eigenartig gut. Es ist, als stünde man im gleißenden Sonnenlicht nackt vor einer weißen Wand. In diesem blendendhellen Licht bleibt irgendwie nichts verborgen …

Von seinem wichtigen Gedanken – daß er Angst hatte, sich in sie zu verlieben, und daß seine Gefühle für sie darum nur um so stärker wurden – schrieb er ihr jedoch lieber nichts. Vielleicht würde er es irgendwann einmal erwähnen, vielleicht blieb es aber auch besser unausgesprochen: Sie würde ihn möglicherweise mißverstehen und denken, daß sich seine Begeisterung für sie in zu engen Grenzen hielt.

Sag John, wenn er sich nicht beeilt, fange ich mit meinem Roman an. Was hält ihn in New York? Es stimmt zwar, daß es hier schön ist und außerdem gratis (sofern wir das Ding verkaufen), aber das Ganze verwandelt sich nach und nach in einen Urlaub, und ich mag keine Urlaube … Die Araber sind sehr freundlich und unkompliziert. Sie {38}sitzen viel an irgendwelchen Tischchen unter Bäumen und trinken Kaffee oder Wein.

Es gibt hier so etwas wie eine Altstadt, gleich neben einer alten Festung, die auf einer Landzunge liegt. Dort sind alle Häuser weiß gestrichen und voller dicker, fröhlicher Mütter, von denen die meisten schon wieder schwanger sind. Keine Tür ist verschlossen – man sieht in die mit Matten ausgelegten Zimmer, wo Babys umherkrabbeln und Großmütter mit dem Ende ihres Schals den in Becken brennenden Holzkohlefeuern Luft zufächeln … Mein Wagen ist ein Peugeot-Combi, der bislang keine Mucken macht … Ich wünsche mir mehr als alles andere, Du wärst hier. Warum konnte John den Job nicht uns beiden geben? Kannst Du mir nicht ein Foto von Dir schicken? Weißt Du eigentlich, daß ich kein einziges Bild von Dir habe?

Sie würde ihm wahrscheinlich als kleinen Witz einen gräßlichen Schnappschuß schicken, dachte Ingham. Er gestand sich ein, daß er schrecklich einsam war. Vermutlich würde es vier oder fünf Tage dauern, bis Ina seinen Brief bekam, also bis zum 20. oder 21. Juni.

Die Israelis hatten den Krieg tatsächlich gewonnen – die Zeitungen nannten ihn einen Blitzkrieg. Und wie Adams vorausgesagt hatte, gab es in Hammamet keine ernsthaften Proteste. In Tunis dagegen hatte es gerade genug Straßenschlachten und zerbrochene Fensterscheiben gegeben, um Ingham davon abzuhalten, dorthin zu fahren. Wenn die Araber in den Cafés von Hammamet über den Krieg debattierten, dann wußte er nichts davon, denn er verstand {39}kein Wort Arabisch. Die Gespräche wurden mit gleichbleibender Intensität und Lautstärke geführt.

Ingham hatte sich auf die Warteliste für einen Bungalow setzen lassen, und am 19. Juni wurde einer frei. Herd und Kühlschrank waren nagelneu, denn die Bungalows auf diesem Teil des Geländes waren, wie er von Adams erfahren hatte, erst im Frühjahr fertiggestellt worden. An einer der Einfahrten des Hotels, nur etwa hundert Meter von seinem Bungalow entfernt, gab es ein kleines, aber ausgezeichnet sortiertes Lebensmittelgeschäft, wo man alkoholische Getränke, kühles Bier und alle möglichen Konserven, ja sogar Küchengerätschaften und Zahnpasta kaufen konnte. Wenn er und John sich hier verkrochen, dachte Ingham, würden sie den Bungalow eigentlich nur verlassen müssen, um zu schwimmen und in diesem Geschäft einzukaufen. Sein Bungalow hatte die Nummer drei und bestand aus einem einzigen großen Raum mit zwei Einzelbetten sowie Küche und Badezimmer. John würde den Bungalow wohl nicht mit ihm teilen wollen, und auch Ingham hielt nicht viel davon, aber John konnte ja ein Zimmer im Hauptgebäude nehmen. Der Tisch im Bungalow war groß und aus Holz und eignete sich ausgezeichnet, um daran zu arbeiten. Am Nachmittag seines Einzugs kaufte Ingham Salami, Käse, Butter, Eier, Obst, Cracker und eine Flasche Scotch, und gegen fünf Uhr ging er zu Adams, um ihn zu einem Einweihungsdrink einzuladen.

Adams war nicht da – Ingham nahm an, daß er am Strand war. Tatsächlich fand er ihn dort: Er lag bäuchlings auf einer Strohmatte und schrieb etwas. Er bemerkte Ingham erst, als dieser nur noch wenige Schritte entfernt war, {40}und beendete den Satz oder was immer es war, was er da schrieb, mit einem zufriedenen Schnörkel und hob die Hand mit dem Stift.

»Hallo, Howard«, sagte er. »Haben Sie jetzt Ihren Bungalow gekriegt?«

»Ja, gerade eben.«

Wie Ingham vermutet hatte, freute Adams sich über die Einladung. Er sagte, er werde um sechs Uhr kommen.

Ingham ging zurück und fuhr fort, seine Koffer auszupacken. Es war ein gutes Gefühl, ein »Haus« anstatt eines Zimmers zu haben. Er dachte an den Schreibtisch in seiner Wohnung in der West Fourth Street, nicht weit vom Washington Square. Er hatte sie erst vor drei Monaten gemietet. Sie war mit einer Klimaanlage ausgestattet und teurer als alle seine früheren Wohnungen. Er hatte sie erst gemietet, nachdem der Vertrag über die Filmrechte an Wenn das Wörtchen wenn nicht wär unter Dach und Fach gewesen war. Ina hatte ebenfalls einen Schlüssel zu der Wohnung. Er hoffte, daß sie hin und wieder einmal nach dem Rechten sah – allerdings hatte sie seine wenigen Topfpflanzen in ihr Haus in Brooklyn geschafft, und es gab für sie eigentlich nichts weiter zu tun, als ihm wichtige Briefe nachzusenden. Ina wußte immer genau, was wichtig war und was nicht. Natürlich hatte Ingham seinem Agenten und seinen Verlegern gesagt, daß er nach Tunesien reisen würde, und mittlerweile wußten sie, daß er im Reine wohnte.

»Donnerwetter!« Adams stand, eine Flasche Wein in der Hand, in der Tür. »Sieht sehr hübsch aus! – Hier, das hab ich Ihnen mitgebracht. Zum Einzug. Oder zu Ihrer ersten Mahlzeit.«

{41}»Danke, Francis. Sehr freundlich von Ihnen. Was möchten Sie trinken?«

Sie entschieden sich für ihren üblichen Scotch. Adams trank seinen mit Soda.

»Haben Sie was von Ihrem Freund gehört?« fragte Adams.

»Nein, leider nicht.«

»Können Sie nicht jemandem, der ihn kennt, ein Telegramm schicken?«

»Das habe ich bereits getan«, antwortete Ingham und dachte an Ina.

Mokta, ein Hotelboy und zugleich Kellner in der Café-Bar, die zu den Bungalows gehörte, klopfte an die offene Tür und lächelte breit und freundlich. »Bonsoir, messieurs«, sagte er. »Kann ich Ihnen etwas bringen?«

»Nein, danke«, sagte Ingham.

»Um wieviel Uhr möchten Sie Ihr Frühstück, Sir?«

»Ach, Sie servieren Frühstück?«

»Sie müssen es nicht nehmen«, sagte Mokta mit einer schnellen Handbewegung, »aber die meisten Bungalowgäste möchten eins.«

»Gut, dann also um neun«, sagte Ingham. »Nein, lieber um halb neun.« Wahrscheinlich würde sich der Kellner mit dem Frühstück ohnehin verspäten.

»Netter Junge, dieser Mokta«, sagte Adams, als der Boy gegangen war. »Die Boys müssen hier wirklich schuften. Haben Sie mal die Küche gesehen?« Er wies in Richtung des niedrigen, quaderförmigen Gebäudes, in dem die Café-Bar, die auch über eine Terrasse verfügte, untergebracht war. »Und das Zimmer, in dem sie schlafen?«

{42}Ingham lächelte. »Ja.« Er hatte heute einen kurzen Blick darauf geworfen. Im Zimmer der Boys standen zehn oder zwölf Betten so dicht aneinander, daß sie wie eine einzige Fläche aussahen, und das Spülbecken in der Küche war voll schmutzigen Wassers und Geschirrs gewesen.

»Die Kanalisation ist ständig verstopft, müssen Sie wissen. Ich mache mir mein Frühstück immer selbst. Ich bilde mir ein, das ist ein bißchen sauberer. Mokta ist ein netter Bursche. Aber diese gräßliche Directrice schindet ihn regelrecht. Sie ist Deutsche und wahrscheinlich nur eingestellt worden, weil sie Arabisch und Französisch spricht. Wenn Ihnen die Handtücher ausgehen, muß Mokta rüber zum Hauptgebäude gehen und neue holen. – Wie kommen Sie mit Ihrem Buch voran?«

»Ich habe bis jetzt zwanzig Seiten geschrieben. Normalerweise bin ich schneller, aber ich will mich nicht beklagen.« Ingham freute sich über Adams’ Interesse. Er hatte herausgefunden, daß Adams weder Schriftsteller noch Journalist war, wußte aber noch immer nicht, was er, außer daß er, nicht sehr intensiv, Russisch lernte, eigentlich tat. Vielleicht tat er gar nichts. Das war ja immerhin möglich.

»Es muß schwer sein, zu schreiben, wenn man weiß, daß man die Arbeit demnächst unterbrechen muß.«

»Das stört mich nicht besonders.« Ingham schenkte Adams nach und bot ihm Cracker und Käse an. Der Bungalow erschien ihm immer wohnlicher. Die untergehende Sonne schien zwischen den halb geöffneten Flügeln der hellblauen Fensterläden hindurch auf die weiße Wand. Ingham schätzte, daß John und er nicht mehr als zehn Tage für das Drehbuch brauchen würden. In Tunis kannte John {43}jemanden, der ihm helfen würde, die wenigen Darsteller, die er brauchte, zu finden. Es sollten Amateure sein.

Ingham und Adams waren guter Stimmung, als sie in Inghams Wagen zu Melik fuhren, um zu Abend zu essen. Die Terrasse war halb besetzt, und es war noch nicht sehr laut. Jemand spielte Gitarre, und von einem der hinteren Tische fiel zögernd eine Flöte ein.

Adams erzählte von seiner Tochter Caroline in Tulsa. Ihr Mann, der Ingenieur, gehörte zu einer Art Reserveeinheit und würde demnächst nach Vietnam geschickt werden. Caroline würde in fünf Monaten ein Baby bekommen, und Adams war voll Freude und Hoffnung, denn bei ihrer ersten Schwangerschaft hatte sie eine Fehlgeburt gehabt. Daß er für den Vietnamkrieg war, hatte Ingham bald bemerkt. Ingham fand diesen Krieg zum Kotzen. Er hatte es satt, mit Leuten wie Adams darüber zu diskutieren, und war froh, daß dieser an diesem Abend kein weiteres Wort darüber verlor. Gott und die Demokratie – das war es, woran Adams glaubte. Nicht an Rosenkreuzer oder Christian Science – jedenfalls bis jetzt nicht –, sondern an eine Art Billy-Graham-Allzweckgott mit altmodischen moralischen Geboten. Was die Vietnamesen brauchten, hatte Adams erschreckend unverblümt gesagt, sei die amerikanische Form der Demokratie. Außer mit der amerikanischen Art der Demokratie, dachte Ingham, machte man die Vietnamesen auch mit dem kapitalistischen System in Form einer Bordellindustrie bekannt, wo – und das war zugleich eine Einführung in das amerikanische Klassensystem – Schwarze mehr bezahlen mußten als Weiße. Ingham hörte nickend, gelangweilt und leicht irritiert zu.

{44}»Waren Sie nie verheiratet?« fragte Adams.

»Doch, einmal. Jetzt bin ich geschieden. Keine Kinder.«

Nach dem Couscous rauchten sie. Das Fleisch war heute abend größtenteils ungenießbar gewesen, doch das Couscous und die scharfe Sauce hatten köstlich geschmeckt. Couscous, hatte Adams ihm erklärt, war der Name für die afrikanische Hirse, die, zu Grieß gemahlen, über einer Brühe gedämpft wurde. Man konnte es auch mit Hartweizengrieß zubereiten. Es war hellbraun, besaß nicht viel Eigengeschmack und wurde mit einer mittelscharfen bis scharfen Sauce, Rüben und gekochtem Lammfleisch serviert. Bei Melik war es die Spezialität des Hauses.

»War Ihre Frau auch Schriftstellerin?« fragte Adams.

»Nein, sie hat nicht gearbeitet«, sagte Ingham mit einem kleinen Lächeln. »Sie hat sich eher dem süßen Nichtstun hingegeben. Aber das ist längst Vergangenheit.« Sollte Adams nachfragen, so würde er sagen, daß es länger als eineinhalb Jahre her war.

»Glauben Sie, daß Sie noch einmal heiraten werden?«

»Ich weiß nicht. Warum? Finden Sie, das ist die ideale Lebensweise?«

»Das kommt darauf an. Das ist für jeden anders.« Adams rauchte eine kleine Zigarre. Wenn er daran zog und die Wangen flach wurden, wirkte sein Gesicht länger und normaler, doch wenn er die Zigarre aus dem Mund nahm, waren die Pausbacken wieder da, und er sah aus wie eine Karikatur seiner selbst. Der schmale, rosige Mund zwischen den Wangen lächelte gutmütig. »Ich jedenfalls war glücklich. Meine Frau war eine von denen, die wissen, wie man einen Haushalt führt. Sie hat eingemacht, sie hat sich {45}um den Garten gekümmert, sie war eine gute Gastgeberin, sie hat keinen Geburtstag vergessen. Und sie war nie ärgerlich, wenn ich in der Firma aufgehalten worden war. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, noch einmal zu heiraten. Es gab sogar eine Frau, die große Ähnlichkeit mit meiner verstorbenen Frau hatte und die ich hätte heiraten können. Aber wenn man nicht mehr jung ist, dann ist es nicht dasselbe.«

Darauf wußte Ingham nichts zu sagen. Er dachte an Ina und wünschte, sie wäre hier und säße an ihrem Tisch. Er wünschte, er könnte, nachdem er sich von Adams verabschiedet hatte, mit ihr einen Spaziergang am Strand entlang machen und danach in seinem Bungalow mit ihr schlafen.

»Gibt es in Ihrem Leben jetzt eine Frau?« fragte Adams.

Ingham schrak aus seinen Gedanken hoch. »Irgendwie schon.«

Adams lächelte. »Dann sind Sie verliebt?«

Ingham sprach nicht gern über Ina, aber bei jemandem wie Adams machte es wohl nichts. »Ja, ich glaube schon. Wir kennen uns seit etwa einem Jahr. Sie arbeitet in New York fürs Fernsehen, für CBS. Sie hat ein paar Fernsehspiele und Kurzgeschichten geschrieben. Einige davon sind veröffentlicht worden«, fügte er hinzu.

Der Flötenspieler wurde lauter. Begleitet von einer klagenden Männerstimme begann er, anfangs noch etwas zaghaft, ein arabisches Lied.

»Wie alt ist sie?«

»Achtundzwanzig.«

»Alt genug, um zu wissen, was sie will.«

»Na ja. Sie hat ebenfalls eine gescheiterte Ehe hinter sich. {46}Damals war sie ein- oder zweiundzwanzig. Sie hat es bestimmt nicht eilig, diesen Fehler zu wiederholen. Und ich ebenfalls nicht.«

»Aber Sie wollen doch heiraten, oder?«

Die Musik wurde noch lauter.

»Möglicherweise. Ich finde es eigentlich nicht so wichtig, es sei denn, man will Kinder.«

»Wird sie auch nach Tunesien kommen?«

»Nein. Ich wollte, sie wäre hier. Sie ist eine gute Bekannte von John Castlewood – sie war es auch, die uns miteinander bekannt gemacht hat. Aber sie hat in New York ihre Arbeit.«

»Und sie hat Ihnen ebenfalls nicht geschrieben? Irgend etwas über John?«

»Nein.« Adams wurde Ingham immer sympathischer. »Seltsam, nicht? Man fragt sich, wie langsam die Post in diesem Land eigentlich sein kann.«

Ihr Dessert wurde serviert: Joghurt und eine Schale mit Obst.

»Erzählen Sie mir mehr von Ihrer Freundin. Wie heißt sie?«

»Ina Pallant. Sie lebt bei ihrer Familie in einem großen Haus in Brooklyn. Sie hat einen behinderten Bruder, den sie sehr liebt. Joey. Er hat multiple Sklerose und muß im Rollstuhl sitzen, aber Ina ist ihm eine große Hilfe. Er malt – ziemlich surrealistische Bilder. Letztes Jahr hat Ina eine Ausstellung für ihn organisiert. Aber das hätte natürlich nicht geklappt, wenn seine Bilder nicht gut wären. Von den dreißig ausgestellten Bildern hat er sieben oder acht verkauft.« Ingham sagte das nicht gern, doch er glaubte, daß {47}