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Jockel Himmelschra ist kein gewöhnlicher Fischer. Schon als Junge entdeckt er eine geheimnisvolle Gabe: Aale folgen ihm auf seltsame Weise, als rufe sie eine Macht, die er selbst nicht versteht. Was ihm zunächst das Leben auf dem Marktplatz sichert, entpuppt sich bald als unheimliches Erbe, das weit tiefer reicht. Denn Jockels Vater, längst verstorben, scheint ihn immer noch aus den Tiefen des Wassers zu beobachten - und mit ihm die Köpfe der Ahnen, die alle auf ihre Weise in den Gewässern Parchims ruhen. Auf der Suche nach der Wahrheit zieht es Jockel in eine dunkle Welt, die ihn mit dem Leben und den Geheimnissen seiner Vorfahren konfrontiert. Doch was er dort entdeckt, führt ihn an die Grenzen dessen, was ein Mensch ertragen kann. Wird Jockel das Vermächtnis annehmen - oder ist es an der Zeit, es endgültig loszulassen? Ein mythisches Märchen über die Verlockung der Tiefe, das Geheimnis der Familienbande und die Entscheidungen, die uns für immer prägen.
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Seitenzahl: 57
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Vorwort
Kapitel 1: Der König der Aale
Kapitel 2: Ein geheimes Bündnis mit der Tiefe
Kapitel 3: Wie dein Vater
Kapitel 4: Der erste Kuss und der räuchernde Aal
Kapitel 5: Der König des Rauchs und der Aal der Herzen
Kapitel 6: Ein Abschied und ein geheimer Brief
Kapitel 7: Der Brief
Kapitel 8: Die unvergessliche Aal-Odyssee
Kapitel 9: Die Botschaft des Großvaters
Kapitel 10: Die Köpfe der Tiefe
Kapitel 11: Der Ruf des Riesenaals
Kapitel 12: Das Gesicht des Vaters
Kapitel 13: Das Vermächtnis
Die Geschichte, die Sie in den Händen halten, ist die eines Fischers und eines Mannes, dessen Leben durch ein uraltes Vermächtnis bestimmt wurde – die Gabe, die dunklen Wasserwelten und ihre Bewohner auf eine Art zu verstehen, die über das Menschliche hinausgeht. Herold zu Moschdehner: Der Aalmagnet von Parchim ist keine gewöhnliche Erzählung von einem Leben am Seeufer; es ist eine Geschichte über Generationen, Geheimnisse und die Linie, die sich tief durch das Wasser einer Familie zieht, das, wie das Leben selbst, seine Mysterien nur jenen offenbart, die bereit sind, in die Tiefe zu tauchen.
Jockel Himmelschra, der „Aalmagnet“, ist ein Held wider Willen. Er lebt in einer Welt, die ihm die Freiheit schenkt, die Wasserflächen und ihre Geschöpfe zu lenken und zu lieben, doch gleichzeitig zieht ihn ein verborgenes, dunkles Erbe tiefer hinab, als ihm bewusst ist. Denn Jockel trägt das Gewicht seiner Vorfahren, die selbst in den Gewässern verschwanden und eine Spur hinterließen, die ihn zur Wasserwelt führte – und zu den Köpfen der Tiefe, die über Generationen hinweg ein Auge auf ihn haben.
Doch Der Aalmagnet von Parchim ist mehr als eine Geschichte über Wassergeister und mystische Aale. Es ist eine tragische Chronik über das Erbe, das aus der Liebe, dem Verlust und dem Opfer entsteht. In Jockels Reise finden wir eine tiefe Parabel über die Kraft der Entscheidungen, über das Schicksal, das wir selbst bestimmen müssen, und die Momente, in denen wir das Vermächtnis an jene weitergeben, die uns nahe stehen.
Mögen Sie sich an die Wasseroberfläche lehnen und den Stimmen lauschen, die aus der Tiefe flüstern. Denn wie Jockels Großvater ihm riet: Achte stets auf die Köpfe.
Wenn es in Parchim etwas gab, worauf man stolz sein konnte, dann war es der Ruf der Aalfischer.
Fischer galten hier als eigensinnige, wortkarge Gestalten, die das Wetter wie Gedichte lesen konnten und über Jahre eine geheimnisvolle Symbiose mit dem trüben Wasser eingegangen waren. Doch keiner dieser Männer genoss auch nur annähernd die gleiche Achtung und den Respekt wie Franz Himmelschra, Jockels Vater.
Manche nannten ihn den „Aalkönig von Parchim“, andere schmunzelten über seine stoische Ruhe, mit der er auf all die angeblichen Fischerweisheiten reagierte, die ihm von jüngeren Kollegen zugetragen wurden.
Franz Himmelschra hatte diese übernatürliche Aura von jemandem, der nicht nur ein Handwerk verstand, sondern sich mit ihm verbündet hatte.
Wenn er mit seinem kleinen, inzwischen etwas klapprigen Kahn am Ufer auftauchte, konnte man den Eindruck gewinnen, die Fische selbst hätten sich längst an diesen seltsamen Pakt mit ihm gewöhnt – ein Pakt, der für Außenstehende so undurchsichtig und rätselhaft war wie das dunkle Wasser des Kanals.
Jockel, gerade mal zwölf, sah seinen Vater als eine Art Heldenfigur, wenngleich eine merkwürdig stille und stoische. Die Art von Held, der seine Unterhemden selbst flickte und eine bemerkenswerte Affinität zu alten, abgewetzten Fischerhüten hegte. Franz sprach selten über die „Magie des Fischens“, und wenn er es tat, war das eher eine trockene Anmerkung, als wäre das ganze Wunder des Aalens lediglich eine Frage der Geduld und der richtigen Köderwahl.
Der Tod seines Vaters kam schließlich nicht durch ein dramatisches Sturmunglück, wie es vielleicht ein norddeutscher Dichter mit Hang zur Melancholie bevorzugt hätte, sondern vielmehr als eine unerwartete Kapitulation des Herzens. Es geschah an einem gewöhnlichen Mittwoch, an dem Franz wie immer in aller Frühe hinausgefahren war, um seiner geheimnisvollen Leidenschaft zu frönen. Er kam an diesem Tag einfach nicht zurück.
Die Nachricht traf Jockel und seine Mutter wie ein kalter Wasserstrahl. Die Welt, so wie sie sie kannten, drehte sich plötzlich um eine winzige Achse, die ein Stückchen weiter hinten und schief hing. Die darauf folgenden Tage waren von einer seltsamen Leere und schwerfälligen Bewegungen erfüllt. Das Haus war ungewohnt still ohne die abendlichen Erzählungen von „einem besonders klugen Aal, der ihm dieses Mal entwischt sei“ und anderen Geschichten, die Jockel erst jetzt als Vaters ganz eigene Art der Poesie begriff.
Eine Woche nach der Beerdigung kam Jockel zum ersten Mal wieder an den Kanal. Es war eine stille Stunde, die Dämmerung hing über dem Wasser wie eine graue Wolldecke, die kaum mehr als ein paar Zentimeter über der Wasseroberfläche schwebte. Jockel starrte ins Wasser, seine Gedanken wanderten, und irgendwo in der Ferne hörte er das unverkennbare Glucksen der Aale.
Es begann mit einem leichten Prickeln in seinen Fingern, das so schwach war, dass er es zunächst kaum bemerkte. Doch dann, als seine Blicke tiefer ins Wasser glitten, fiel ihm auf, dass sich die Aale zu bewegen schienen. Und nicht nur das: Sie bewegten sich auf ihn zu. Ein merkwürdiger Schauder ergriff ihn, als wäre er plötzlich der Mittelpunkt einer Versammlung, zu der er gar nicht eingeladen war. Die Aale kamen langsam und in absoluter Stille näher, ihre glitschigen Körper glitten fast lautlos durch das Wasser, und Jockel wusste beim besten Willen nicht, ob er sich geehrt oder verängstigt fühlen sollte.
Jockel kniff die Augen zusammen, rieb sich die Handflächen aneinander und versuchte herauszufinden, ob er sich das Ganze nur einbildete. Doch die Aale schienen unaufhaltsam – wie eine aalglatte Armee, die sich ohne Erklärung und Anweisung zu ihm aufmachte. Ihr Ziel war klar, und ihre Bewegung war bedächtig, fast ehrfürchtig.
Er versuchte, sich einzureden, dass es ein Zufall sein musste. Vielleicht hatte sein Vater eine besonders attraktive Fischsauce hinterlassen, die irgendwie an seinen Kleidern hing und die Aale so faszinierte. Oder vielleicht war es einfach der friedliche Sog der Abenddämmerung, der die Tiere in Bewegung brachte. Doch nichts von alldem machte wirklich Sinn. Denn die Aale schienen auf ihn fixiert zu sein, als wäre er ein leuchtendes Signal, eine unausgesprochene Einladung in aalischem Morsecode.
Als einer der größeren Aale direkt vor ihm aus dem Wasser blitzte und mit einem fast unsichtbaren Kopfnicken wieder untertauchte, wurde Jockel klar, dass dies nicht irgendein seltsames Naturphänomen war. Es war etwas Magisches, und seltsamerweise fühlte er sich in diesem Moment seinem Vater so nah wie nie zuvor.