Der Abt vom Petersberg - Alice Frontzek - E-Book

Der Abt vom Petersberg E-Book

Alice Frontzek

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Beschreibung

Erfurt 1451. Auf dem Höhepunkt der Reformbewegung besucht Kardinal Nikolaus von Kues das Benediktinerkloster auf dem Erfurter Petersberg. Lange schon schwelt der Kampf zwischen den Ratsherren, den reformtreuen und den abtrünnigen Geistlichen, um Unzucht und Missstände in Stadt und Kirche. Das Laster aufzudecken, macht sich der aufstrebende Erfurter Mönch Günther von Nordhausen zur Aufgabe. Dabei bedient er sich nicht ganz fairer Mittel und unterschätzt das Gespür des jungen Mönches Werner, der seinerseits ein gefährliches Geheimnis hütet - die einvernehmliche Liebe zu einer Frau …

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Alice Frontzek

Der Abt vom Petersberg

Historischer Kriminalroman

Zum Buch

Es hat sich nichts geändert … Erfurt 1451. Auf dem Höhepunkt der Reformbewegung besucht Kardinal Nikolaus von Kues das Benediktinerkloster auf dem Erfurter Petersberg. Lange schon schwelt der Kampf zwischen den Ratsherren, den reformtreuen und den abtrünnigen Geistlichen, um Unzucht und Missstände in Stadt und Kirche. Das Laster aufzudecken, macht sich der aufstrebende Erfurter Mönch Günther von Nordhausen zur Aufgabe, der durch seinen Bruder Martin, Mitglied des städtischen Rates, unterstützt wird. Dabei bedient er sich nicht ganz fairer Mittel und unterschätzt das Gespür des jungen Mönches Werner aus dem Kloster Bursfelde, der seinerseits ein gefährliches Geheimnis hütet – die einvernehmliche Liebe zu einer Frau. Gelingt ihm trotzdem der Aufstieg? Der »Abt vom Petersberg« ist ein Sittengemälde der Gepflogenheiten und Zustände einer mittelalterlichen Handels- und Universitätsstadt. Glaubenssätze und Religiosität werden genauso beleuchtet wie das weltliche Leben, Liebe und dunkle Machenschaften.

Die Autorin Alice Frontzek, geboren 1966 in Berlin, wuchs in der Nähe der niedersächsischen Stadt Hildesheim auf. Nach einem Wirtschafts- und Übersetzerstudium und einigen Jahren Berufserfahrung als Schulungsleiterin einer großen amerikanischen Fluggesellschaft zog sie mit ihrem Mann ins thüringische Erfurt, wo sie freiberuflich als Englisch- und Deutschdozentin, Stadtführerin und Übersetzerin arbeitet. 2009 begann sie, ihre Stadtrundgänge zu veröffentlichen, schrieb als freie Autorin über Thüringer Spezialitäten und veröffentlichte ihren ersten historischen Roman. Als Mutter von vier Kindern und Oma einer Enkeltochter ist sie mittlerweile in Thüringen verwurzelt und widmet sich der Regionalliteratur.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Susanne Tachlinski

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung der Bilder von: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rogier_van_der_Weyden_017b.jpg

und https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Erfurt-1740-Glaesser.jpg

ISBN 978-3-8392-6716-5

Dank

Ich bedanke mich bei meinen »Probelesern« Helma von Kieseritzky und Renate Stoff für ihre hilfreichen Kommentare und ganz besonders bei Werner Anisch, auf dessen Initiative dieses Buch überhaupt erst entstanden ist!

Kapitel 1

1437

Nikolaus von Kues empfahl sich, tupfte sich mit einer weißen Stoffserviette die Mundwinkel und verließ den großen Speiseraum ihrer Unterkunft. Die vier anderen Gesandten sahen ihm hinterher, blieben aber und diskutierten weiter über die bevorstehende Schiffsreise, die Wetterprophezeiungen und mögliche Widrigkeiten auf dem Weg und versuchten sich in Prognosen ihres Delegationserfolgs. Die Reise ging von Venedig nach Konstantinopel. Ihr Auftrag lautete, die byzantinische Kirche mit der römischen Kirche gegen die Osmanen zu vereinen. Papst Eugen IV. hatte sich wirklich um ihn bemüht, das musste Nikolaus zugeben. Er war auf dem Konzil von Basel, der Versammlung von Bischöfen und anderen hohen Geistlichen zum Zweck der Erörterung und Entscheidung theologischer und kirchlicher Fragen, im vergangenen Jahr sicher einer der Hauptredner zum Nachteil der päpstlichen Autorität gewesen und somit auch das Zünglein an der Waage gegen Eugens Interessen. Sein Standpunkt war es deshalb nicht, der ihn zum Gesandten machte, sondern seine Redekunst und Überzeugungskraft, auf die es nun an ihrem Reiseziel ankam. Eugen setzte auf ihn, den Deutschen, auf seine italienischen Kardinäle Giuliano Cesarini und Tommaso Parentucelli und die Griechen Erzbischof Basilius Bessarion und Georgius Gemistos, genannt Plethon, der seine Jugend in Konstantinopel verbracht hatte und sich gut an ihrem Reiseziel auskannte.

Nikolaus war müde. Es war schon lange dunkel. Erst heute hatten sie das große steinerne Haus im Hafen Venedigs erreicht, das eigens für ihre Delegation vorbereitet worden war. Der Weg von Rom nach Venedig verlief über gepflasterte Straßen, aber das Geschaukel der Kutschen, die für Anfang Mai ungewöhnliche Wärme und das Gefühl, ständig eine Unterhaltung führen zu müssen, hatten ihn angestrengt. Er wollte sich schlafen legen, seine Glieder strecken und seine Argumente noch einmal im Kopf hin und her bewegen. Er stieg die breite Steintreppe hinauf. Die Stufen waren flach und bequem zu nehmen. Er holte den großen eisernen Schlüssel hervor, den ihm der Hausverwalter gegeben hatte, steckte ihn in das verzierte gusseiserne Schloss und betrat das Zimmer zum ersten Mal. Seine lederbezogene Holzkiste mit der Kleidung, ein paar Büchern, einem Fernrohr, einer Schreibschatulle und seinem Essbesteck stand bereits neben dem Tisch am Fenster. Rechts davon befand sich ein großes, gemütlich aussehendes Bett mit grünem Leinenbezug und einem gleichfarbigen Bettvorhang. Er ging zum Fenster und zog den samtenen Stoff zurück. Draußen war nicht mehr viel zu sehen außer den Lichtern der Talglaternen an den Stegen des Hafens, an den Schiffen und am Leuchtturm in der Ferne. Er sah auf die Straße vor seinem Fenster, auf der vereinzelte Personen liefen und über die gerade eine Katze vor einem bellenden Hund flüchtete. In seinem Zimmer befand sich an einem Haken eine kleine Laterne, in der eine Kerze brannte. Es klopfte.

»Ja!«, sagte Nikolaus mit seiner tiefen Stimme.

Die Tür wurde geöffnet. Ein Diener des Hauses erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei und er noch etwas brauche.

»Nein, danke. Doch, halt!« Kues machte eine nachdenkliche Geste, indem er seinen Daumen und den Zeigefinger an sein Kinn legte. »Eine Karaffe vom roten Muskateller bringe Er mir noch und etwas warmes Wasser in einer Wasserkanne samt Waschschüssel.« Er wollte sich vor der Reise auf dem Meer vom heutigen Straßen- und Pferdestaub befreien. Als er wieder für sich war, kleidete er sich aus und betrachtete sich im Spiegel auf dem Tisch. Er war nicht mehr ganz jung mit seinen 36 Jahren, aber groß und kräftig, hatte nur einen kleinen Speckansatz am Bauch, sonst dominierten Muskeln seinen Körper. Er las, betete und studierte nicht nur, er ritt und übte sich auch im Fechten. Hin und wieder, wenn niemand in der Nähe war, verfiel er auf seinen Spaziergängen durch Wald und Flur oder auf Fußwegen durchaus auch einmal in einen Laufschritt, den er mit schnellem Rennen abschloss. Morgens und abends machte er gymnastische Körperübungen, benutzte auch jedes Mal einen gefüllten Bier- oder Weinkrug als Gewicht, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Nun nahm er sich Zeit zum Meditieren. Wie immer setzte er sich dazu in den Schneidersitz auf ein himmelblaues Tuch, das er dafür aus seinem Koffer nahm und auf den Boden legte, schloss seine Augen, faltete die Hände zum Gebet und atmete ruhig ein und aus. Dabei konzentrierte er sich auf den Raum in seinem Körper, auf den Raum, den sein Körper im Raum einnahm und auf den Raum im unendlichen Raum. Er befahl sich, zu einem reinen Gedanken zu werden in der Schwärze des Universums. Eins mit Gott. Denn am Anfang war das Wort. In der Thora hieß es sogar noch klarer: Am Anfang war der Gedanke. Und immer wenn sich ihm ein Gedanke aufdrängte, ließ er ihn vorbeiziehen. So verweilte er mindestens eine halbe Stunde. Das Läuten des Kampanile zu jeder Viertelstunde nahm er wahr und beschränkte seine Zeit, auch wenn er gewöhnlich viel länger im Nichts verweilen konnte.

Dann zog er ein weißes Leinenhemd zum Schlafen über und legte sich auf die feste Strohmatratze. Das Fenster hatte er einen Spaltbreit offen gelassen. Ein angenehm kühles Lüftchen zog herein. Trotzdem schloss er den Bettvorhang. Er wollte nicht von Insekten geplagt werden, die es hier auf dem südlichen Kontinent, zudem am Wasser, in fast unerträglicher Artenvielfalt gab. Schon summte etwas um ihn herum, das ihn vom Einschlafen abhielt. Seine Gedanken begannen zu kreisen. Nette Mitstreiter hatte er so weit. Man kannte sich ja von den diversen Kapiteln und Konzilien. Nikolaus war zufrieden. Natürlich auch stolz, dass man auf seine Person Wert legte und ihre Delegation sich gegen eine Gesandtschaft der Konzilsmehrheit durchgesetzt hatte. Der gesamte Klerus schaute auf sie und ihre Mission. Vereinigung hin oder her: Die Kirche musste sich erneuern! Ein einziger Sündenpfuhl – schlimmer als jede bürgerliche Gemeinschaft! Zu viel Privilegien und Macht verbunden mit den Entbehrungen eines normalen Familienlebens bei zu wenig Pflichterfüllung Gott zur Ehre. Das führte zwangsläufig zu Übel und Schandtaten. Auch ohne das Basler Konzil würde der Papst neue Wege gehen müssen. Über diese Gedanken glitt Nikolaus in tiefen und festen Schlaf, bis jemand am nächsten Morgen an seine Tür pochte.

»Aufstehen! Das Frühstück steht bereit, und in einer halben Stunde wartet die Kutsche, um unsere Sachen zum Schiff zu bringen. Kommst Du, Nikolaus?«

»Ach, Guiliano. Ja, ich bin gleich unten. Danke«, rief Nikolaus, reckte und streckte sich, setzte sich auf den Boden zur Meditation und erhob sich schon nach einigen Minuten wieder, um sich fertig zu machen und die anderen nicht warten zu lassen.

Nach einer warmen Milch mit Honig und einem Stück Gebäck verließen sie zu fünft das Haus, gefolgt von kirchlichen Bediensteten, die ihnen als Schreiber, Träger und Boten zur Hand gehen sollten. Ihre Gepäckstücke waren aufgeladen, alle nahmen sie in den zwei bereitgestellten Kutschen Platz und schaukelten über das Pflaster den kurzen Weg zur Anlegestelle ihres Schiffes. Die Sonne stand noch tief, aber der Himmel war wolkenlos, der Duft der Mandelblüten begleitete sie und die leichten Wellen des Meeres schwappten gleichmäßig ans Schiff, als sie an Bord gingen. Die Besatzung empfing sie und stellte sich den Gesandten vor. »Ich bin Euer Kapitän, Francesco Fortuna. Diese Herrschaften betreuen die Kombüse. Chefkoch Enrico Cerea wird Euch Eure Wünsche erfüllen. Steuermann Adriano Barbesca hält uns auf Kurs durch das Adriatische Meer, das Mittelmeer und hinauf den Bosporus bis zum Hafen von Konstantinopel. Die Reise dauert je nach Windstärke etwa acht Wochen. Weiter haben wir zwanzig Schiffsjungen, einen Quartiermeister, einen Segelmacher, unsere Barbiere, Trompeter, Feuerwerker, Zimmermänner, einen Schneider … Habe ich noch jemanden vergessen? Fragt mich einfach. Ich wünsche uns allen eine gute Reise und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel oder ›Leinen los und Sorgen über Bord‹!« Er lächelte und machte eine einladende Geste, wobei er gleichzeitig die Augenbrauen nach oben zog und einigen Schiffsjungen durch Blicke und eine seitliche Kopfbewegung bedeutete, sich um die Gäste zu kümmern und ihnen ihre Kajüten zu zeigen.

Nikolaus folgte einem von ihnen und sah sich um. Das Schiff machte einen guten Eindruck. Es sah neu, groß und unsinkbar aus. Es war ein Zweimaster mit einem mächtigen Rahsegel, das sich quer zur Fahrtrichtung orientierte. Der Spähkorb befand sich in schwindelerregender Höhe. Das Deck war weitläufig. Bei der jahreszeitlich zu erwartenden guten Wetterlage würden sie sich viel hier aufhalten können. Seine Kajüte lag nur ein paar Holzstufen tiefer gleich rechts neben einer Treppe. Sie war etwa vierzehn mal zehn Ellen groß. Es gab einen Schreibtisch, ein Bücherregal, das mit einer Faltschiebetür bei starkem Seegang geschlossen werden konnte, und eine hölzerne Schlafkoje. Außerdem stand da noch ein kleiner runder Esstisch mit vier Stühlen daran. Für die Stühle wie auch für den Hocker vor dem Schreibtisch gab es Eisenringe im Boden, an denen die Sitzmöbel befestigt werden konnten. Nikolaus hoffte, dass das nicht allzu oft vonnöten sein würde. Über seinem Bett und an der Wand hinter dem Schreibtisch befand sich jeweils ein Jesuskreuz.

Es klopfte an seiner Tür.

»Herein!«

»Euer Kapitän. Ich möchte mich erkundigen, ob alles nach Euren Vorstellungen gerichtet ist. Ich empfinde es als besondere Ehre und außerordentliches Zeichen des Glücks, Euch an Bord zu haben.«

»Ach, ja? Wieso?« Nikolaus zog die linke Braue nach oben.

»Nun. Ihr Namenspatron, St. Nikolaus, Nikolaus von Myra, gilt als Schutzheiliger der Seefahrt. Er errettete einst Seeleute durch die Stillung des Seesturms aus ihrer Seenot. Habt Ihr schon den kleinen Altar in Eurer Kajüte entdeckt?« Der Kapitän deutete auf eine winzige Nische hinter der Koje. Dort befand sich ein kleiner Schrein, darüber an der Wand die Figur des Bischofs Nikolaus, des St. Erasmus, Bischof von Formia, und der Jungfrau Maria, Schutzpatronin des Apostolats des Meeres. Vor dem Schrein war eine Kniebank fest arretiert.

»Ah, natürlich. Sehr schön. Ich hoffe, ich bringe uns tatsächlich Glück. Ja, alles ganz hervorragend. Danke!«

»Das Mittagsmahl gibt es im Speiseraum gleich um die Ecke, wenn die Sonne am höchsten steht«, sagte Francesco und ging. Der Kapitän war ein hochgewachsener, kräftiger Mann mit einem dichten Seemannsbart. Nikolaus fühlte sich sicher und vertraute auf seine Segel- und Navigationskünste.

Nun wurde auch seine Kiste gebracht. Er stellte seine Bücher ins Regal, darunter eine Abschrift eines Werkes des Raimundus Lullus, des Albertus Magnus, zwei Bücher zur Astronomie, einen gregorianischen Kalender, die Regula Benedicti und eine Abschrift von Auszügen des Hermes Trismegistos, die Gedanken zu Reinkarnation und mystischer Vereinigung sowie zur Überwindung von Gegensätzen beinhaltete. Seine Bibel platzierte er auf dem Altar. Sie war ihm heilig. Nicht nur das Wort Gottes, sondern auch das Stück Pergament, das er säuberlich gefaltet hinten in den ledernen Umschlag geschoben hatte. Dabei handelte es sich um eine handschriftliche Auflistung all seiner Pfründe. Es waren an die zwanzig kirchliche Ämter, die seinen Lebensunterhalt und Lebensabend sichern sollten, vornehmlich in Koblenz, Trier, Altrich und anderen Orten. Seit seiner Priesterweihe im letzten Jahr würden noch weitere hinzukommen. Er seufzte: »Noch mehr Reisen – kein Ende in Sicht. Aber über Land gefallen sie mir besser.«

Er hörte die Hörner, die das Ablegen ankündigten, ihnen folgten Kommandos, und mit leichtem Schaukeln ging das Schiff auf große Fahrt. »Vater unser im Himmel. Bewahre uns vor Unheil auf dieser Reise. Lasse Dein Antlitz wachen über uns und schenke uns Frieden. Amen!« Nikolaus bekreuzigte sich auf der Bank kniend, erhob sich und beschloss, seine Mitreisenden zu suchen.

Er traf auf Guiliano, Plethon und Basilius. Einige Minuten später kam auch Tommaso hinzu. Gemeinsam schlenderten sie über Deck, hielten ihre Gesichter in den Wind und schauten dem Schauspiel des Meeres und der Schiffsmannschaft zu. Das mächtige Segel wurde gehisst und Venedig wurde kleiner und kleiner, bis es gar nicht mehr zu sehen war. Eine Gruppe Delfine sprang in Bögen aus dem Wasser und begleitete sie neugierig ein Stück.

»Nun, Kues. Was hat Euch dazu gebracht, Euch auf dem Basler Konzil so zu ereifern? Sicher, Ihr habt mächtig Eindruck gemacht. Aber wem nützt die Beschneidung der päpstlichen Befugnisse? Wer soll sonst entscheiden? Der Kaiser? Der Adel? Oder gar das Volk?«, begann Giuliano das Gespräch und schaute ihn fragend an.

»Es geht mir weniger darum, worüber der Papst entscheidet, als darum, dass er es ohne Kontrollinstanz tut. Lasst uns einmal die Päpste durchgehen, deren Verfehlungen zu einer Aufweichung sämtlicher Kirchenregeln, ja sogar der Gebote Gottes geführt haben. Nicht nur in der Bevölkerung, sondern vor allem in den Klöstern. Stadträte, Adelige, Patrizier, weltliche Herren, Kaiser machen sich lustig über den Machtanspruch der Geistlichkeit. Von Gottes Zorn, der zu befürchten ist, ganz abgesehen«, lud er die anderen ein und fuhr fort: »Nehmen wir Papst Clemens V., den sein Verhältnis mit der schönen Gräfin Perigord in Frankreich festhielt und den Grund zu dem Papstpalast von Avignon mit seiner düsteren Großartigkeit legte. Für die Masse die Demut, Armut und Entsagung, aber für sich selbst den Prunkpalast, das Lotterbett und die gefüllte Tafel, so ist es bei den Päpsten in Avignon. Und in Rom ist es nicht besser. Johann XXIII., Inkarnation von Wollust und Grausamkeit!«

»Oh ja, Inquisitionsführer in Spanien, unter dem Hus in Konstanz brennen musste!«, ergänzte Tommaso.

»Sein wüstes Leben hätte ihn fast an den Galgen gebracht, wovon er sich mit erkaufter Kardinalswürde errettete. Doch endlich wurde über ihn zu Konstanz Gericht gehalten. Es gab kein Verbrechen, dessen man ihn nicht mit Recht beschuldigt hätte. Der öffentliche Ankläger auf dem Konzil nannte ihn den Feind aller Tugend, den Pfuhl aller Schande, das Laster der Laster und einen eingefleischten Teufel. Er wurde abgesetzt und sollte lebenslänglich ins Gefängnis. Nach kaum zwei Jahren kaufte er sich frei. Papst Martin V. machte ihn zum Kardinal von Tusculum und ließ ihn im Kardinalkollegium zur Rechten seiner Person auf einem erhöhten Stuhl sitzen, weil er doch einmal Papst gewesen war.«

Alle vier lachten verächtlich. Bessarion fügte hinzu: »Macht sich nicht Habgier und Wollust breit, dann desto mehr die Fresserei und Völlerei oder eine weibische Eitelkeit. Schminke und Kleider, besetzt mit Edelsteinen und Goldstickerei. Und vergesst nicht die Trunksucht!« Sie nickten einhellig. »Nicht lange ist es her, dass die prunküberladenen Paläste der römischen Großen wie Bordelle waren. Die Hauptstadt des Reiches war der Tummelplatz einer ungeheuren Ausschweifung. Die Zahl der Prostituierten vom vornehmsten bis zum niedersten Schlage war riesengroß. Vor fast genau hundert Jahren hat Papst Johann XXII. Zahlungen zur Absolution festgesetzt. Man stelle sich vor: Wenn ein Geistlicher fleischliche Sünden beging, sei es mit Nonnen, sei es mit Beichtkindern, bezahlte er eine bestimmte Summe. Wenn es kleine Knaben waren, eine andere Summe und so weiter. Entjungferung, Nonnen, die sich Männern hingaben – alle zahlten sie. So kam eine ganze Menge Geld zusammen!«

»Jeder von uns weiß, was noch heute hinter verschlossenen Türen vor sich geht. Der Vatikan nicht ausgenommen, die Kirchen und Klöster schon gar nicht. Und deshalb habe ich mich in Basel ins Zeug gelegt. Dennoch bin ich schließlich für mich zu dem Entschluss gelangt, dass nicht die Befugnisse das Problem sind. Die Gesetze, die dem Einhalt gebieten, sind da! Sie müssen nur befolgt und durchgesetzt werden. Die Bibel ist das Gesetz! Wir brauchen eine Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern!«, schloss Nikolaus das Thema ab, als die Glocke des Kombüsenmeisters zum Mittagessen rief. »Wenn Ihr mich fragt, ist der christliche Staat ebenso wie der islamische eine Fehlentwicklung und dem Untergang geweiht. Die Zukunft gehört einem griechischen Staat, der an die klassische Antike anknüpft und sich an platonischen, pythagoreischen und zoroastrischen Prinzipien orientiert«, führte Plethon aus, während sie zum Speiseraum gingen. Nikolaus fragte sich, ob er mit dieser Ansicht der richtige Mann war, um die christlichen Kirchen zu vereinen.

Das Essen schmeckte vorzüglich, die Sonne schien, die See war ruhig und der Wein versetzte sie in gute Stimmung. Dies war der Anfang endloser Gespräche und Diskussionen und einer wochenlangen Reise. Die Gesandten, die mittlerweile Freunde waren, strukturierten ihren Tag, indem sie regelmäßig zur selben Zeit beteten, gemeinsam die Mahlzeiten einnahmen, allabendlich nach Einbruch der Dunkelheit den Sternenhimmel mithilfe der astronomischen Schriften des von Kues beobachteten sowie kartierten und lasen oder schrieben. Darüber hinaus fanden sich manchmal interessante Meerestiere in den Fangnetzen. Einer der Schiffsjungen kannte sich mit der Farbherstellung aus und freute sich einmal über den Fang einiger Purpurschnecken. Er trocknete sie und machte sie zu einem roten Farbpulver, von welchem er einen kleinen Flakon an Nikolaus verkaufte, der damit die Initialen in seinen Handschriften zu verzieren beabsichtigte. Ab und an fielen brauchbare Möwenfedern auf das Deck, aus denen sie sich Schreibfedern schnitzten. Viele Mannschaftsmitglieder ließen sie bei ihrer Arbeit zuschauen. Manche Nacht lehrte sie das Fürchten, wenn die Wellen meterhoch gegen das Schiff schlugen und sie unter Deck Mühe hatten, sich in ihren Kojen festzuhalten. Dann, irgendwann, das erlösende »Land in Sicht!«. Sie hatten ihren Zwischenhafen erreicht und gingen in Griechenland für einige Tage im Hafen von Athen an Land, wobei Bessarion sie in eines seiner Klöster zur Übernachtung einlud. Das letzte Stück der Schiffsreise war im ruhigen Ägäischen Meer leicht zu bewältigen. Und endlich erreichten sie den Hafen von Konstantinopel.

Kapitel 2

Konstantinopel 1437/38

Die Sonne war gerade aufgegangen und die Schiffsbesatzung hatte vorerst ihr Ziel erreicht. Es mussten einige Formalitäten erledigt werden, das Schiff registriert, leere Fässer und Kisten von Bord gebracht, das Schiff und die Segel gereinigt sowie geflickt werden, und nicht zuletzt fühlte sich Kapitän Francesco verantwortlich, der Gesandtschaft Kutschen zu besorgen, diese mit dem Gepäck der Reisenden beladen zu lassen und sie zum Hauptsitz des byzantinischen Patriarchen Joseph II. zur Apostelkirche zu schicken. »Habt Ihr noch etwas Zeit? Gebt mir zwei Stunden. Ihr könntet Euch ein wenig umsehen, etwas frühstücken. Ein Bote könnte derweil Eure Ankunft vorausmelden«, schlug er vor.

Kues, Bessarion, Parentucelli und Cesarini waren einverstanden, genauso wie Plethon, der als Ortskundiger die Richtung vorgab. Es war ein milder Morgen. Es grüßten fremdländische Gerüche, buntgewandete Menschen und orientalische Klänge von Straßenmusikern. Vor kleinen Gasthäuschen saßen an ebenso kleinen runden Tischen Männer mit Pfeifen und winzigen Tässchen eines dampfenden Aufgusses.

Sie folgten dem Menschenstrom und erreichten einen Basar, wo das Gedränge nicht stärker hätte sein können. Unter steinernen eingewölbten Hallen fanden sich Konstantinopels Kaufmannswaren in engem Raume aufgetürmt vom Kostbarsten bis zum Wohlfeinsten und Größten – alle nur möglichen Dinge und Artikel. Gewürze in geöffneten Fässern aller Farben und Geschmäcker, kostbare Kräuter, Obst und Gemüse in Güte und Größe, wie man sie in der Heimat nur suchen konnte. Dann ertönte der Klang der Glocken – die Sarazenen hatten Konstantinopel noch nicht eingenommen. Aber auch arabische Gesänge riefen zum Gebet in die Gebetshäuser. In blendendem Weiß hoben sich die größeren Häuser wohlhabender Bewohner von den niedrigen Behausungen der einfachen Menschen ab und bildeten einen farblichen Kontrast zu den schattenreichen, dunkelgrünen Zypressen, die sich abwechselnd mit Pinien neben den Behausungen emporstreckten. Unter ihrem Schatten glitzerten hier und da die vergoldeten, die weißen und die bunt bemalten Grabsteine hervor, die auf den wahllos in der Stadt verteilten Ruhestätten Verstorbener mit Inschriften lagen. Die drei Reisenden gingen wieder in Richtung Kanal. Wasservögel aller Art, oft so zahm, dass sie zu nah an die Boote herankamen und fast unter die Ruderschläge gerieten, und die zu Tausenden auf den Dächern und Pfählen lagerten, erfüllten die Luft mit ihrem Geschrei.

»Gehen wir zum Schiff zurück und sehen wir, ob der Bote uns angekündigt hat. Ich glaube, es ist deutlich, dass die Türken eine Bedrohung für Byzanz sind. Das Osmanische Reich lässt sich schwer aufhalten. Der Kaiser wird nicht anders können, als die Einigung der Ost- und Westkirche zu befürworten«, stellte Kues fest. Auch den anderen schien das sicher.

Als sie sich dem Schiff näherten, kam schon der Kapitän auf sie zu. »Kaiser Johannes VIII. Palaiologos erwartet Euch. Dort drüben steht seine Kutsche, mit der er unseren Boten zurückbrachte und Euch mitnehmen wird. Wir warten auf Eure Anweisungen zur Vorbereitung der Rückreise. Viel Erfolg!«

»Danke, Francesco. Wir melden uns rechtzeitig.« Die Gesandten waren überrascht, dass der Kaiser sie zuerst begrüßen würde. Die Kutsche des Kaisers war mit blauen und goldenen Schnitzereien verziert. Zwei weiße Araber mit langen welligen Mähnen waren davor gespannt. Ein Diener hielt die Tür der Kutsche auf und bat die Gesandten, mit ihren Begleitern einzusteigen. Plethon war unterwegs bei einem großen Herrschaftshaus ausgestiegen, er wohnte bei einer Tante. Er würde erst zu den Treffen mit den Delegationspartnern hinzukommen.

Dann erreichten die anderen den Kaiserpalast. Die Dienerschaft führte sie in das Gästehaus und zeigte ihnen ihre Gemächer, in die ihre Kisten bereits gebracht worden waren. Von Kues, Bessarion, Parentucelli und Cesarini schauten den Diener erwartungsvoll an. »Natürlich … Ihr werdet zum Mittagsmahl in einer Stunde im Speisesaal des Palastes erwartet. Bis dahin stehen Euch einige türkische Dienerinnen für ein Bad zur Verfügung. Zum Badehaus geht es hier entlang. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt!« Er verbeugte sich und deutete mit seinem Arm die Richtung. Nikolaus und Giuliano schauten sich fragend an, Basilius und Tommaso folgten dem Diener als Erste.

Des Kaisers Schloss ähnelte einem Sultanspalast. Das musste an den einheimischen Bauleuten sowie am wärmeren Klima und den sich daraus ergebenden praktischen Erwägungen liegen. Das Badehaus betraten sie durch einen offenen Torbogen. Dahinter fanden sie sich in einem Raum wieder, der mit blauen und goldenen Fliesen gestaltet war. Um ein großes Schwimmbecken mit türkis leuchtendem Wasser befanden sich Säulen mit Bänken oder Steinliegen dazwischen. Der eher dunkle Raum, der nur blau-grün verglaste kleine Lichtluken besaß, war mit Laternen ausgestattet, die ein warmes oranges Licht verbreiteten. Nun erschienen vier augenscheinlich junge Orientalinnen, die nichts trugen als einen Schleier um Haar und Mund, ein bauchfreies Oberteil, das die Brüste zur oberen Hälfte freigab, und fast durchsichtige Pluderhosen aus bunter hauchdünner Seide. Eine jede in einer anderen Farbe. Wenn sie liefen, klingelten die talerartigen Verzierungen an ihren schmalen, gebräunten Taillen, was ihnen das Aussehen von Bauchtänzerinnen verlieh. Jede von ihnen trug ein großes Tuch über dem Arm und nahm sich nun einem der Männer an.

Nikolaus merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Er war überrascht von so viel Freizügigkeit und wunderte sich über die Art des Angebots an sie als geistliche Herren. War nicht das Hauptthema ihrer Reise, Versuchung und Laster aus der Geistlichkeit zu vertreiben? Und nun ertappte er sich, wie sich Begehren in ihm regte. Er nahm sich zusammen und schaute zu seinen Freunden, die ähnlich konzentriert wie er der Dinge harrten, die da kommen sollten. Keiner ließ sich etwas anmerken. Protestieren wollte ebenfalls niemand. Vermutlich wäre es eine Beleidigung gewesen, die freundliche Geste eines erfrischenden Bades abzuschlagen.

Seine Badedame verneigte sich vor ihm und zeigte ihm einen Umkleideschirm. Mit Gesten erklärte sie ihm, dass er das Tuch umlegen solle. Alle verschwanden sie hinter den Schirmen und kamen fast gleichzeitig wieder hervor, jeder mit einer anderen Wickeltechnik. Sie mussten lachen und die Situation entspannte sich. Nikolaus erahnte ein verschmitztes Grinsen hinter dem Schleier seiner Orientalin. Ihre Augen waren groß, dunkel und schauten ihn aufmerksam an. Dann wurden die Männer zu Zubern geführt, wo sie, geschickt und ohne ihre Männlichkeit zu offenbaren, ins Wasser glitten und dabei die Tücher abgenommen bekamen. Nun übergossen die Damen sie mit Kannen warmen Wassers und rieben sie mit wohlriechenden Seifen an Haupt und Körper ein. Nach dem Abspülen boten ihnen die Orientalinnen an, im Becken zu schwimmen. Alle nahmen an, und jeder war überrascht, dass sie allesamt das Schwimmen recht gut beherrschten. Beim Aussteigen aus dem Wasser wurden ihnen die Tücher aufgehalten und abschließend durften sie eine Massage mit duftenden Ölen genießen, wozu sie sich bäuchlings auf die gepolsterten Steinbänke legten. Dann konnten sie sich wieder ankleiden.

Als sie hinter den Schirmen hervorkamen, waren die Frauen verschwunden. Nikolaus sah sich suchend um und bedauerte, nur seine Freunde zu sehen.

Inzwischen war der Diener von vorhin erneut erschienen. »Ihr werdet nun im Speisesaal erwartet.«

Er ging wieder vorneweg. Die Männer folgten ihm durch lange Flure mit übergroßen Herrscherporträts, Gemälden von Frauen und Bildern vergangener Schlachten und Kreuzzüge. Dann öffnete sich eine große Holztür und sie traten in einen steinernen Saal, der mit prunkvollen Perserteppichen ausgelegt war. An einer langen Tafel saß am anderen Ende auf einem breiten Stuhl mit rot-samtenen Armlehnen Kaiser Johannes VIII. Palaiologos, hinter ihm stand sein Sekretär. Mit einer Handbewegung bedeutete er den Gesandten, sich direkt neben ihn an die vorbereiteten Plätze zu setzen. Er erhob sich zum Gruße auf Augenhöhe, wobei er freundlich nickte und die Geistlichen eine leichte Verbeugung andeuteten. »Seid herzlich willkommen. Ich halte nicht viel von Schaugeplänkel. Wir wollen dasselbe: Das Zentrum, der Ursprung der christlichen Kirche, die christlichen Stätten von Byzanz, müssen gegen die Osmanen verteidigt werden. Ich unterstütze Eure Mission, der Patriarch von Konstantinopel ist mit mir einer Meinung. Wir werden mit Euch gen Westen zu Verhandlungen aufbrechen. Wir benötigen Eure Armee gegen die Türken. Die Glaubenslehren besprecht mit ihm und den Bischöfen der Ostkirche. Wir werden uns gemeinsam mit Euch auf die Schiffsreise begeben. Bis dahin seid Ihr meine Gäste. Morgen werdet Ihr in der Apostelkirche erwartet.«

Die Delegierten waren sprachlos. Diese Direktheit hatten sie nicht erwartet. Auch nicht, dass die Ostkirche bereits Reisepläne hatte und sie ihre künftigen Mitreisenden in jedem Fall als Erfolg auf dem Weg zu einer geeinten Kirche verbuchen konnten.

Kues fasste sich als Erster. Der Kaiser hatte fast schon alles gesagt. Dem war kaum etwas hinzuzufügen. Doch Nikolaus wollte mit Berechtigung diese weite Reise auf sich genommen haben. »Eure Hoheit können Gedanken lesen und besitzen ein besonders feines Gespür für Diplomatie und Taktik. Es freut uns, dass wir keine Eulen nach Athen tragen müssen und die tatsächlichen Notwendigkeiten und ein gesunder Menschenverstand allein Euch zu überzeugen vermochten. Nun stehen wir hoch in Eurer Schuld, weil wir Eure Gastfreundschaft in Anspruch genommen haben, wofür ich mich stellvertretend für meine Mitreisenden bedanken möchte. Der Besuch Eures Badehauses hat unsere von der Reise strapazierten Glieder entspannt und mit neuer Kraft versorgt. Wir ziehen gerne noch heute in eine Unterkunft der Kirche. Bescheidenheit ist eine unserer Hauptforderungen an den Papst höchstselbst.« Der Kaiser lachte tief und sein Bauch wackelte. »Eure Zimmer sind bescheiden. Ich will Euch gerne die meinen zeigen. Nein, der Patriarch und ich haben miteinander gesprochen. So ist es unser Wille. Mein Diener wird Euch nach dem Essen in die Kapelle führen. Dort könnt Ihr beten. Die Palastbibliothek ist gleich daneben. Das Bad steht Euch den ganzen Tag zur Verfügung. Ihr werdet es in der Hitze hier gerne nutzen. Die Damen sind ebenfalls jederzeit verfügbar. Ihr müsst nur nach ihnen klingeln. Wozu heiliger sein als der Papst!« Nun lachte er erneut ein schallendes Lachen, von dem er sich kaum erholen konnte. »Verzeiht. Ich habe mich lange nicht so amüsiert.«

Tommaso und Nikolaus sahen sich ernst an. War das als Affront zu werten? Sollten sie sich diese Andeutungen verbitten, wenngleich sie nicht treffender hätten sein können? Sollten sie vielleicht sogar dankend auf die Mahlzeit und die Gastfreundschaft verzichten? Basilius legte seine Hand auf Nikolaus’ Unterarm. Giuliano deutete ein fast unsichtbares Nein an, indem er den Mund leicht spitzte, den Kopf kaum merklich schüttelte und beide eindringlich ansah. Nikolaus atmete durch und setzte sich. Die anderen folgten.

Der Kaiser räusperte sich. »Spaß muss sein. Im Süden ist man nicht so ernst wie in Deutschland, oder, Erzbischof Bessarion? Wie ist es in Griechenland?«

Der lachte und animierte die anderen, die Situation ebenfalls mit Humor zu tragen. Die Stimmung entspannte sich schnell auch bei den Gesandten. Man sprach nun über die Welt, Italien, Rom, den Vatikan; Deutschland, Köln, Erfurt, Hildesheim, Prag, Athen, Kaiser Sigismund, Papst Eugen, über die Sonne, das Meer, die Gesundheit, Früchte und nicht zuletzt Frauen.

»Wie kommt es, dass Türkinnen zu Eurer Dienerschaft gehören, Hoheit?«, wollte Tommaso wissen.

»Der Islam erlaubt dem Mann einen ganzen Harem! Sind sie gottesfürchtig, verschleiert und gehorsam, erhöhen sie den Wert des Mannes. Aber Ihr habt recht, was machen sie im Dienste eines Christen? Nun, ich zahle gut. Ihre Väter fühlten sich geehrt. Ich respektiere ihren Glauben. Lest doch in dem Koran, den ich auszugsweise ins Lateinische übersetzen ließ. Ihr findet die Handschrift in der Bibliothek!«

Nikolaus liebte Bücher und merkte sich dieses Angebot vor. Nach dem üppigen Mahl dankten sich alle gegenseitig für das anregende, gute Gespräch sowie die hervorragende Gesellschaft und freuten sich auf eine Wiederholung. Der Kaiser zog sich zurück. Die vier Gesandten, deren Helfer fast unsichtbar nie weit entfernt waren, gingen in den Park des Palastes, setzten sich in den Schatten einer Zypresse auf den Rand eines Wasserspiels und überlegten ihr weiteres Vorgehen.

»Es wird heiß. Ich gehe später noch einmal Schwimmen. Ich werde mir auch die Bibliothek anschauen. Vielleicht ist es eine gute Idee, wenn wir uns zum Abendgebet in der Kapelle treffen. Sehen wir uns das Messzeug an. Vielleicht gibt es auch einen Priester«, ordnete Nikolaus seine Gedanken.

»Das klingt gut. Lasst uns noch ein bisschen im Garten spazieren, dann will ich mich ausruhen. Morgen sehe ich zuversichtlich und mit Freude dem Treffen mit der byzantinischen Geistlichkeit entgegen«, ergänzte Basilius.