Der amerikanische Ballon - Alex Gfeller - E-Book

Der amerikanische Ballon E-Book

Alex Gfeller

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Beschreibung

Ein umfangreiches Personal bevölkert diesen Roman: die Käse-socke, der Hosenträger, der Besserwisser, der Eskimono, der Weihnachtsbaum, die Kanalisationsbedienstete, der Kober, Schneeschuhflechter, die Fremdeinwirker, der Schleckizier, der Suhler, die Kontrollbeamtin, die Jaucher, die Fütterer, die Ro-sengießerin, die Springhose, der Lackaffe, die Naturpinklerin, der Mondscheinsonater, der Trostsucher, die Gebüschpisser, der Orientierer, der Sachlagerer, der Elektrozauner, der Schweinetrö-ger, die Mosteingängerin, der Pseudozüchter, der Weisskopfrad-leradler, die Dobermänner, die Mastermanometer, der Zecken-meister, die Amöbentassen, der Besenbinder, die Entenmäster, der Wassereimerzüchter, die Ottomanen, das Alltagswetter-männchen, das Schönwettermäd-chen, die Schneefrauen, die Rosskastanien, die Wasserhoser, der Gürtelroser, der Gefälligkei-ter, der Knieausschüttler und viele andere mehr. Wo? In Saskatchewan. Wann? Vor mehr als hundert Jahren, und alles glatt erfunden.

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So etwas Konfuses hatte er noch nie gehört. Die behördliche Blasenbildung ging üblicherweise fast immer davon aus, dass im Bereiche der Basen, der anmutigen Schönwettermädchen in ihren putzigen Dirndln, und der alltagswettertauglichen Alltagswettermännchen in ihrem schweren, gelben Seemannszeug immer alles wie von selbst laufe, wenn die meteorologischen Umstände günstig standen oder die Vorhersagen zumindest zufriedenstellend erschienen, so dass sich die stets benachteiligt fühlenden Nachrichtenfeen gar nicht erst darum kümmern mussten, wenn der Nachmittag noch ziemlich lange andauern sollte und das allgemeine Wetterleuchten am Horizont noch nicht allzu kräftig ins spätere, nächtliche Geschehen eingriff. Aber haben die eine Ahnung, die Bananen aus dem örtlichen Angebot der Affenbrotbäume! musste sich der Musterkonkretivist des blasphemischen Symphonieorchesters aus der Provinz Saskatchewan leicht verbittert sagen.

Doch erst nur als lockeres Witzchen gedacht, hatte ihn der merkwürdige Fahrkartenkontrolleur recht spöttisch gefragt, ob er sich denn überhaupt eine Frühpenisierung in aller Globulierung erlauben, erleben, erfahren oder gar beschaffen wolle oder könne. Eine Frühpenisierung! Er sah sich zu seiner Verwunderung schnell mal eingeknickt, also richtiggehend ausgeklinkt und gelinkt und danach, also gleich anschließend, einfach abgesackt und rundweg erstunken und betrogen, also ertrunken und erlogen, verunstaltet und zerfleddert, reduziert und karamelisiert, als rasche Antwort auf diese zunehmend dumme Frage.

Doch der altersblinde Pharisäer hatte das sichtlich ernst genommen, denn er meinte dazu in aller Öffentlichkeit in einer banalen Eckkneipe ungebunden, ungehalten und ungehindert, das sei wohl doch noch etwas zu früh angedacht für einen notorischen Spätaufsteher wie er, zumal die Aufstandskontroller auf ihren bunten Plastikrollern gerade in dieser Beimessung im Bezug auf die Rekonstruktion der Drahtlinien und der förderlichen Berücksichtigung der Kreuzungspunkte an den Lötstellen in Anbetracht des reichlich vorhandenen Bimssteins doch recht rigoros seien, so wie sie üblicherweise auch rigoros handeln, wie er überdies schon mehrmals und von verschiedenen Seiten gehört hatte. Doch dies war selbst einem refraktären Eisvogel zuviel, ehrlich gesagt, denn er kümmerte sich nicht darum, was der Kontrolleur meinte oder zumindest zu glauben vorgab, falls er überhaupt etwas meinte, denn für ihn war es ganz bestimmt nicht zu früh, sondern eher bereits zu spät. Ja, richtig, eindeutig zu spät, viel zu spät, meine Damen und Herren!

Der nahezu ballastfreie und durchaus befugte Mitarbeiter und Veterinär der örtlichen Schweinezuchtbetriebe hatte zu seiner eigenen Verblüffung tatsächlich bis um halb zehn geschlafen. Das war ihm seit 1884 nie mehr zugestoßen, musste er verwundert feststellen, denn seit damals brauchte er keinen Wecker gegen die lästigen Zecken, gegen die recht aufsässigen Aeroplane und die wurmstichigen Warane mehr, weil er seitdem kistchensomatisch und palettenweise stets um halb sechs Uhr morgens erwachte, und dies pünktlich, und zwar jeden Morgen, manchmal sogar noch etwas früher, als hätte er 60 Kühe zum Melken im Stall stehen, wie sein alter Widersacher im Nachbardorf, der debile Planmeister, und nicht 7000 Schweine in den Koben und in den Suhlen hinter dem Ottomanenzentrum mit den vielen Ottomanen, Aeroplanen, Bananen und Karawanen.

Allerdings schluckte er jetzt bereits die zehnte und letzte Tablette gegen unerwünschte Albträume und neugierige Kammerzofen, nachdem er bereits eine ganze Stunde lang wach in seinem breiten Bette gelegen hatte und sich das Pfeifen im Ohr wiederum verstärkte, so dass er sofort wusste, dass er heute wohl nicht wieder werde einschlafen können. Immerhin: Bis um halb zehn Uhr morgens zu schlafen, hatte ihn doch echt verwundert. Jetzt, da die turbulenten Umstände ihn selbst betrafen, entdeckte er mit angemessener Verwunderung und Bewunderung zugleich – und auch mit einiger leicht angehauchter Enttäuschung bei aller Bemessung in aller Versessenheit, dass die Tagesauswürfe von zwei absurden Theorien längst voll bekleckert waren, die zudem keinesfalls rein zufällig sein konnten, sondern nur einen übermäßigen Stress am Arbeitsplatz und eine reichlich vorauswürfige Penisolierung zum Ausdruck brachten, dies indes mit voller, unlauterer Absicht, muss man gleich anfügen und zugleich betonen.

Er fand zudem voller Schadenfreude heraus, dass es für einmal und ausnahmsweise ganz am Zahn der Zeit und an den zeitweiligen Auswürfen der Nebenwirkungen liegen musste, wenn er sich übermedikamentierte, und zudem lief jetzt endlich die längst fällige Diskussion um das flexible Rennalter der Rennmäuse und der Rennschweine an. Die Züchter wollten im Kanon der kantabrischen Kanoniere tatsächlich bereits am 14. November allein für zwei weggelaufene Ferkel ihre ganze Unbedarftheit niederlegen, und die erschrockene Ferkeldirektion (sie hieß wirklich so) erwachte endlich aus ihrem Jahrhunderte alten Tiefschlaf und hatte bereits als bestandene Panzerknakkerbande vorsorglich ihr altes Brecheisen hervorgeholt und sich dabei ausführlich mit Schirm, Schmalz und Schande belastet. «HAR-HAR-HAR», lachte sie schadenfreudig.

Was für ein Schwartenzaun in all diesem bedauerlichen, doch unaufhaltsamen, ekklesiastischen Niedergang! Niemand wollte ihn haben, den Unzaun, zur Unzeit, am Unort, noch wünschte man, ihn überhaupt zur Kenntnis nehmen zu müssen; man wollte augenscheinlich jedem denkbaren Einschnitt ausweichen, wie immer in solch meeresströmungstechnischen Fällen einer seefahrerischen Heikelheit der Henkeltassen in aller Heiterkeit und gleichzeitig auch in aller Übelkeit, und ihn möglichst weiträumig umschiffen, genau wie die Skylla in der Charybdis draußen, zudem bei aller Umgehung der üblichen Gesetzeslagen und mit der Bestechung der massgeblichen Ämter und ihren Amtspersonen im Aufzuchtsregisterbereich.

Und wenn der mastodontische Wasserläufer an all die Züchter und an all ihre anerzogene, hündische Unterwerfung und devote Katzbuckelung dachte, musste er gleich loskaramellen und umgehend in die Schellen der schnellen Brüter bellen. Es gab dorten allerdings nichts Kehrtwendungswürdigeres als allzu umfangreiche Schneemannserweckungsbewegungen und hypernotorische Schweinetötungsabsichten von allerlei dahergelaufenem Gesindel, das in die gepflegt gewaschenen, getrockneten und dezent gefönten Büschlein am Wegesrand nur noch schnell ihr Wasser abschlagen wollten, wie sie erklärten, die Gebüschpisser.

Eine einzige Lachnummer war das Ganze, ehrlich gesagt, weil mit dieser beharrlich unzuverlässigen Schneeballmannschaft im Allgemeinen, dem dichten Schneetreiben und dem dichten Nebel im Besonderen in einer arktischen Nacht noch kein einziger Blumentopf zu gewinnen gewesen wäre, wenn man es genau nahm und doch nicht auf Ablenkungen oder Vergnügungen verzichtete. Zudem mochte er niemals mitstreiken müssen, denn er wollte mit den anderen Schweinezüchtern in Saskatchewan gar nichts mehr zu tun haben, nie mehr, ganz einfach und klar und, wie gesagt, nie mehr. Das unangemeldete Kurzstreiken war ihm im Übrigen einfach zu unsympathisch, zu abstrus in seiner ganzen rhetorischen Palaverisierung, eindeutig zu traktorlos und zu kompromissanfällig, also zu undienlich und zu garstig, wenn nicht gar zu penetrant in seiner Penetranz, mit andern Worten, eine reine Verblendungsmassnahme und eine völlig geistlose Selbstbefriedigung der ganzen Belegschaft gegenüber den Schweineoberen und in Sichtweite der Schweine selber, die sich sogleich fragten, was da eigentlich los sei. Das hatte er ihnen damals selbst mitgeteilt und dafür reichlich Schläge einkassiert.

Der Wassereimerzüchter in seiner langen Gummischürze und in seinen Gummistiefeln fand sich also in seiner ganzen Orientierungslosigkeit unvermutet im Orient-Express ein, kurz vor dem unübersichtlichen Entbindungsatelier des notorischen Besenbinders. Auch der Besenbinder kannte diese typischen Stress-Symptome, die allesamt ausschließlich von Seiten eines übersättigten Besenmarktes mit seinem notorischen Reisbesenmangel herrührten, den er ihm zuvor ausführlich geschildert und bunt bebildert hatte. Zweimal war er morgens um fünf mit schrecklichen Stechschaufeln in der Brust aufgewacht, erzählte er ihm, seinerseits sichtlich zu Tode erschrokken. Der Schweinezüchter erklärtete ihm im Gegenzug, er habe die schlammigen Suhlen hinter den langen, grauen Ställen mit den schmutzigen Schweinekoben bis obenhin satt; sie würden ihn erschrekkend gelassen kaputt konsumieren, wie er meinte. Zum Glück war auch er bereits zum Revisor aufgestiegen, hatte ihm aber nichts davon erzählt, auch nichts von der Inkarnation der Röhrichtröhrenbrütern im dichten Röhrichtgebüsch hinter den Schweinesuhlen, das ständig unüberhörbar röhrte, oder von den vielfältigen Abzweigungen und Einschränkungen der aufdringlichen Amöbenmassen auf den Amöbentrassen hinter den Supermarktkassen und in den Amöbentassen der vorgefassten Eiweißmassen.

«Warum nicht?» fragte der ahnungslose Wassertreter überflüssigerweise. Er glaube, so fuhr der Besenbinder zögernd fort, solange er selbst nicht wisse, wie es mit dem Besenmarkt, der eigentlich bereits in Trümmern liege, weitergehen soll, scheue er davor zurück, anderen von seiner deplorablen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Lage zu erzählen, und zudem fehle es allerorten an Reisstroh, das man aus Vietnam importieren müsse, das man aber für die Besenproduktion unbedingt benötige.

Dieses flüssige Argument war indes durchaus nachvollziehbar, wenn auch im Großen und Ganzen reichlich irrational, musste man gleich enttäuscht hinzu fügen, denn der Zeckenmeister unter den Schweinemästern hatte eine sehr merkwürdige und ungewöhnliche Teesorte zum Nachmittagstee ausgesucht. Dazu faselte er ausführlich von nichts anderem als von dieser skurrilen Erhitzung im Schnellverfahren, etwas ironisch zwar, aber man konnte die unglaublich peinliche und absurde Szene wirklich nur mit einer ganzen Vollpackung Franzbranntwein zum Einreiben ertragen und solcherart vielleicht überhaupt erst verstehen.

Wie er bereits dem Dirigenten und jetzt auch ihm geschildert habe, erklärte er, sei es ihm nach wie vor völlig unverständlich, dass die erbrochenen Erwekkungen derart verloren und umbauartig gestrandet sein konnten, wie zum Beispiel diese beiden diagonalen Kürassiere, die buchstäblich in den Seilen hingen, und mit ihnen die gesamte, längst mumifizierte Totenstarre der ganzen, reichlich nebulösen kastanischen Unterwelt selber, allen voran der lächerliche Totenstarregeneralspräsident mit seiner unvermeidlichen, länglichen und blässlichen Giftspritze in der Hand, die präzise einer unreifen Schlauchaubergine glich.

Nun denn, er wusste ja längst, dass ihm niemand glauben würde, und zwar nur deshalb nicht, weil ihm niemand glauben wollte, doch das war ihm gleichzeitig reichlich egal, auch wenn diese Haltung völlig unverständlich sein mochte: Sein angedachter Rotschwänzchensekt bestand einzig darin, dass er vorauswürfig penisiert werden wollte, mehr nicht, auch wenn er die betrefenden und durchaus zutreffenden Erweckungen jetzt nicht gut herumerzählen konnte, denn es bestünden heute keine eindeutigen Grenzwerte mehr, erklärte er selbstbewusst und selbstbestimmt.

Die Torrefaxe hatten diese massiven Grenzwertüberschreitungen ja selber erst erschaffen und ausreichend bewaffnen müssen, bevor sie damit überhaupt umgehen konnten. Wenn aber der Mastermanometerlehrling an all die natürlichen Suhlen hinter den Schweinekoben vor dem Hintergrund eines dichten Röhrichts zurückdachte, dachte er gleichzeitig und unweigerlich daran wie an einen enormen Abmagerungskäse und gleichermaßen wie an eine abgrundtief schmutzige und dunkelklebrige, beispiellose Schmerzens-Suhle zurück.

Doch endlos währte dieser Abmagerungskäse allerdings zum Glück nicht, denn jetzt hatten dieser kariöse Schmerz und diese schwartenartige Qual endlich ihre verdiente Falle an der Quelle entdeckt und insbesondere auch an der Wurstpelle gefunden. Er wollte es nur nicht unnötig verschreien, denn er wünschte sich lediglich, doch inniglich, dass der ganze, endlos lange Prozess der Abspaltung, der Ablösung und der finalen Auflösung und Abtrennung möglichst reibungslos vor sich gehe und zügig ablaufe.

Die nötigen und unvermeidlichen Vollbärte dazu waren jetzt endlich und letztendlich geschaffen und flott begafft und von allen Affen der polarkreismässigen Umgebung von Tundrastadt in Saskatchewan fix ausgeglotzt und flott angekotzt worden. Im Übrigen arbeitete er bereits seit einer ganzen Socke beharrlich an der neuen Sache mit der Lache, am „neuen Beifall“, wie die Spießer dazu jeweils lakonisch sagten, dieselben Leute, die eigentlich vorwiegend vom neuen Liberalismus schwärmten, dem Untergang aller Inuit-Kultur, aller Todes-Elefantistik und aller landesweiten Sozialgeometrie.

Er schaffte zwar nicht mehr als eine halbe Tasse Erkältungstee täglich, aber immerhin das. Sein Ziel waren damals rund zweiundzwanzig mal zwanzig Klappen jährlich. Das ergaben 880 Tagesportionen, und das waren immerhin fast zweieinhalb Bauanleitungen voll davon, was durchaus seinen Wünschen und Vorstellungen entsprach.

„Adjektives Blut“ bedeutete mittlerweile provisorisch „Kalte Ausverkäufe“. Die Titten gefielen ihm zwar immer noch nicht so recht, aber er nahm das nicht so wichtig, wie man hätte meinen können; die Titten würden sich sowieso noch ein paarmal ändern, wie immer, wenn es um richtige Altmännertitten ging, und er nahm unterdessen an, dass ihm Titten eigentlich nie wichtig genug gewesen waren, denn sie änderten sich in ihrer Form und Farbe eigentlich ständig und hielten nie, was sie im Übrigen auch nie versprachen. Sie waren somit eigentlich kein Thema mehr für Schweinezüchter und solche, die es vielleicht noch werden wollten oder sollten.

Gestern Abend weilte der Trigonometer bei den Dobermännern zum Abfallfressen, in einer offenen und großzügigen Atmosphäre, wie sie schon immer gewesen war. Er hatte ihnen nichts von seinen üblichen Maulaffen erzählt, aber sie hatten schnell gemerkt, dass er ungewohnt bedrückt und verstört und kummerbetroffen war. Man war vorauswürfig nach Hause aufgebrochen, weil er keine Lust mehr hatte, dort zu bleiben und sich all die Umzäunungen von Sinneszerfall und das ganze Implosionsgegacker anzupedalisieren und auszuverbalisieren.

Gleich anschließend hatte er sich indessen vorgenommen, sie bald, vielleicht sogar bereits am nächsten Nachmittag, wieder zu besuchen und ihnen dabei etwas offener als heute zu begegnen, doch er konnte immer noch nicht ohne Schafschuren fermentieren und ohne ständiges Schafezählen lokomotivieren. Täuschte er sich, oder bemerkte er neuerdings aus den Nasenlochwinkeln heraus ihm unbekannte Pferdekasten mitten auf der Straße und in der örtlichen Klitsche, die ihn plump androsselten oder in aller Armseligkeit gierig musterten? Er ging davon aus, dass ihn in diesem Mäster- und Züchterkaff am Polarkreis eine Menge Pferdekasten kannten, ohne dass er selbst gewusst hätte, wer sie waren, all die Habenichtse, all die Falknerstalker, all die Weißkopfadlerradler und all die kirchlichen Weihen in den vielen Kirchtürmen und Klosterruinen der Mustermetropole der fünftausend Scheinheiligen von Saskatchewan und Umgebung.

Er konnte sich sowieso keine fahlen Käsegesichter merken, auch keine kahlgeschorenen Arschgesichter von hässlichen Arschgeigen mit leeren Gesichtsausdrücken und üppigen Hirschgeweihen am Arsch und riesigen Walrosszähnen auf der Brust und eindeutigen Zeichen der peinlichsten Unterwerfung an nackten, bleichen und verfetteten Oberarmen, die sie sommers wie winters stolz zur Schau stellten und dazu von der «weißen Rasse» träumten, aber auch keine beziehungslose Hackfressen und auch keine übergewichtige Hahnenkämme aus den Chefetagen mehr.

Der Grund dafür war ganz einfach: Sie interessierten ihn nicht mehr. Für ihn personalisierten sich all diese Hühnerkackergackerer und Hahnenkämpferdämpfer in diesem elenden Gewimmel von unbekannten Leuten wie einheimischer Abfall, alle gleich unbedeutend in ihrer ganzen, frappanten Bedeutungslosigkeit, wie ein Haufen Seehunde oder Seelöwen auf dem trokkenen, flachen Kiesstreifen der Uferzonen.

Sie hatten für ihn allesamt dieselben bedeutungslosen Gesichter von angefaulten Pizzen aus dem Abfallkübel, und hinzu kam, dass „Wuchtige Unwucht“ ab jetzt „Katalogischer Wasserfall“ hieß, denn das gefiel ihm wesentlich besser, weil das eindeutig wichtiger klang als „Wuchtige Unwucht“ oder „Zuckender Stacheldraht“, wie vordem.

Mit all den schweren Gedanken über all die unwuchtigen Dinge des Lebens ging er hernach in der Tundra in der wärmenden Sonne spazieren. Diese enge Vertrautheit mit dieser flachen, öden und tief verschneiten Umgebung war so heilsam für ihn! Über ihm nur der weite Himmel Kastaniens, den er als Ballonfahrer so schätzte! Er merkte, wie sehr er darauf angewiesen war, der ausgebuffte Tarokmischler mit der Tarokmähne, der aber immer noch brav und vor allem zur Sicherheit jeweils eine halbe Schlaftabourette zum Einschlafen schluckte.

Ohne diese groben Hufeisenschuhe schien es heute nicht mehr zu gehen, denn wenn er damit zuwartete, schlief es einfach nicht mehr ein, das arme Schwein.

Seltsamerweise hatte er das allen verheimlicht, oder anders, etwas milder ausgedrückt: Er hatte gar nicht daran gedacht, sein Schlafproblem irgendwo zu erwähnen, und er hätte auch nicht gewusst, wozu er das überhaupt machen sollte, und dazu konsultierte er sorgenvoll eine merkwürdig blasse Zukunft ohne jegliche Strahlkraft, die gewiss nicht die Seine sein konnte, so hoffte er zumindest. Nicht die Seine! Und dazu erst noch ohne Beine! Eine Zukunft ohne Beine! Wie sollte das gehen?

Aber wie er es drehte und wendete und gleich anschließend heftig an die Wand knallte: Er wusste es nicht. Er wusste nicht, wie es weitergehen würde mit ihm und der ganzen Schweinemast im Ottomanenzentrum, ehrlich gesagt wo überall diese abgewetzten Ottomanen herumstanden.

Wie auch? Er hatte den Bettel ja längst hingeworfen, denn der Regenrinner steckte in den üblichen Restziegenkötteln fest, die er so intensiv noch nie erlebt hatte und wohl auch nie mehr erleben würde, musste er inzwischen leicht verbittert annehmen, denn die schrecklichen Erinnerungen an die schmutzigen und stinkenden Schlammsuhlen oder an die schlammigen Pfuhle und an die dreckigen Koben mit ihrem beissenden Gestank waren nach wie vor mit einem enorm dreckstarren Schrecken verbunden, abgesehen von der delikaten Frage, wohin jetzt all die Schweinejauche zu fliessen hätte, zumal die Jauchegruben alle längst voll waren.

Er versuchte damals noch verzweifelt, sich ständig einzureden, dass er sich jetzt endlich entspannen könne und nicht mehr länger darüber nachdenken und nachgrübeln müsse; aber wie hätte er sich in einer derart angespannten Karbonisation überhaupt entspannen können, fragte er sich beklommen und benommen und wie gewonnen, so zerronnen und entsponnen und benommen. Die anderen Züchter mussten sich jetzt darum kümmern; das war auch nicht mehr sein Problem.

Doch wenn er schon nur an all die geschwätzigen Pferdekasten dachte, mit denen er bisher höchstens als Futtermittellieferanten zu tun gehabt hatte und die jetzt auch für die Jauche zuständig sein mussten, dann waren selbige praktisch alle von einer derart abgrundtiefen Unartigkeit und von einer derart grenzenlosen Einfältigkeit, dass er unverzüglich vor dieser fatalen Absicht erschrocken zurückwich, denn alles war einzig zu einer bodenlosen Flaschenpfandhaftigkeit geworden und gleichzeitig von einer schier endlos unbeschaulichen Folgenlosigkeit geprägt, Ehrenwort!

Und das alles geschah fast ausschließlich im Dativ, musste er händeringend einschränken und gleichzeitig nahtlos einschenken, denn die Pferdekasten waren ja schon immer fast ausnahmslos kahlschorig und futschig verwurmt, genauso blamabel wie die kahle Sängerin im gleichnamigen Theaterstück; sie lagen meist offen und hemmungslos herum, hechelten laut, verheimlichten nichts und verdrehten gleichzeitig fast alles Heilsame auf der Stelle in ihr Gegenteil und somit in die unverbindliche Heillosigkeit.

Sie verleumdeten und intrigierten ohne Ende, und dazu immer anonym und immerzu nur hinten herum, also auch rückseitig verdeckt und nie offen vor ihm und vor seinen weit aufgesperrten Augen und Ohren, denn noch nie war jemand vor ihn hingetreten und hatte ihn jemals auf seine angeblichen Verfehlungen hingewiesen, hatte ihn auf blanke Fehler oder nackte Irrtümer aufmerksam gemacht, wären sie nun wahr gewesen oder nicht, hätten sie nun zugetroffen oder voll daneben gezielt; noch nie hatte ihm jemand ins Gesicht gesagt, was ihm oder ihr an ihm nicht gefalle, dem Knieausschütter, dem betrieblichen Gefälligkeiter, oder was ihm oder ihr an ihm nicht passe, dem Gürtelroser und gemeinen Wasserhoser aus Entenhausen, also an ihrem Betriebsveterinär.

Er hatte somit von ihrer Seite Offenheit noch nie erfahren und auch noch nie erlebt, musste er sich selber schon nach kurzer Zeit der abgrundtiefen Langeweile gestehen, auch Ehrlichkeit nicht, und das keinesfalls, und Vertrauen schon gar nicht, denn Vertrauen war ungefähr das Letzte vom Letzten und noch weniger vorhanden als das Zustrauen.

Von Vertraulichkeit war also keine einzige Spur vorhanden, niemals; vor allem die fundamentale Unaufrichtigkeit der verdeckten Pseudozüchter und deklarierten Schneefrauen fiel ihm deshalb erst jetzt richtig und erschreckend deutlich auf. Er war allerdings erst im Nachhinein etwas überrascht, dass ihm dies in seiner angeborenen Glutgläubigkeit, Ahnungslosigkeit, Gutmütigkeit, Nonchalance und Naivität nicht schon früher aufgefallen war – oder vielleicht gerade deshalb nicht. Man konnte sich auch inkarnieren ob allem Deklamieren und sich dazu ernsthaft fragen: Spinnt einer, der sein ganzes Umfeld nur noch als eine gewaltige, undurchsichtige Masse an infantiler Betrogenheit, debiler Erschrockenheit und automobilisierter Feldkäserei wahrnahm?

Er wusste natürlich, dass er nicht von Sinnen war, aber er verstand jetzt seinen bedenklichen Zustand von schlimmster Karbonisation im Endstadium, in der einer steckte, wenn er sich unartigen und groben Verleumdungen ausgesetzt sah, so wie er, und gegen die er sich in seiner Gelähmtheit nicht zur Wehr setzen konnte oder, wie in seinem Fall, gar nicht erst aussetzen wollte.

Wie auch immer – der Mosteingang schüttete nichts aus, noch ein, und die Schweinetröge blieben eines Tages einfach leer. Es hatte zudem keinen verfügbaren Elektrozaun mehr, der die offensichtliche Sachlage ausreichend umspannt hätte, und es brachte dem Leichtmatrosen überhaupt nichts mehr ein, sich weiterhin den Kochtopf darüber zu zerbrechen und dabei erst noch die ganze Orientierung auf hoher See zu verlieren, nur um sich durchsetzen zu können. Jahrelang plagten ihn deswegen schaflose Hautflechten an Händen und Füssen, und hinzu kamen auch noch zahllose, durchwachte Nächte mit ständigen, kalten Schweißausbrüchen unter und über der Kopfhaut, an Armen und auf der Brust. Nur deshalb musste er sich ständig kratzen beim Schwatzen.

Sollte er jetzt damit weiterfahren, hörte er sich sagen, oder sollte er endlich damit aufhören? Doch natürlich hörte es nie mehr auf, so dass er sich eines Morgens sagte: «Nein, nie mehr mit den Schweinen von den Koben in die Suhlen und von den Pfuhlen in die Koben zurück!» Genau das hörte er sich laut und deutlich auf Inuit ausrufen: «Nie mehr Schweinemast!» Also «pitaqakkannirunniiqtuq!»

Der nächste Frühling war schon da, und die Schneeschmelze hatte längst eingesetzt. Das Eis auf den breiten Flüssen und auf den vielen Seen brach auf, die Eisschollen trieben dahin, und die vielen silbrigen Lachsschwärme konnten oder mussten wieder weiterströmen und weiterdrängen, denn niemand würde ihm noch jemals auf die Kappe scheißen können, sagte er sich trotzig, ohne aber zu riskieren, selbst eins auf die Nuss zu kriegen.

Der Trostsucher stellte sich damals nicht nur erleichtert vor, niemals mehr mit diesen bösen Erweckungen reden zu müssen, er stellte sich auch vor, niemals mehr solch dreckigen Erweckungen in die verschlagenen Augen schauen und ihnen die Hand reichen zu müssen. Dazu musste er aber wohl erst seine alten Reflexe besser kontrollieren können, damit ihm das nicht mehr passieren konnte, was ihm bislang jahrelang, jahrzehntelang gegen seinen eigenen Wunsch und Willen zugestoßen war. Überhaupt musste er dringend seine alten Angewohnheiten ablegen, wie das träge Beigeraffel seiner ganzen Zuvorkommenheit, seiner Liebenswürdigkeit und seiner durchgängigen Hilfsbereitschaft, seiner angeborenen Freundlichkeit und seiner hinzugelernten Aufrichtigkeit. Die waren allesamt im Eimer, zunächst allerdings nur für die beschissenen Eisfüchse und die verdammten Schneehühner, wie der Einheimische damals sagte, und natürlich nicht für die moderne Schweinezucht als solcher.

Schon am nächsten Morgen traf er einen alten Mondscheinsonater im Bordsteinhaus. Er erzählte ihm die ganze Geschichte in groben Zügen. Dieser gab ihm dafür einige sehr wertvolle Hinweise zum ganzen Filmablauf. Er merkte aber gleichzeitig, dass er nicht die Kühnheit hatte, ihm die Dinge chronologisch korrekt zu erklären; er musste sich zudem sehr anstrengen, überhaupt etwas auf die Reihe zu kriegen und sich angemessen konzentrieren zu können, um sich somit überhaupt erst all des massiven Druckes und all seiner Ersatzschweine zu erinnern.

Der Mondscheinsonater hatte in seinem eigenen Film «Heidi im Wunderland» in Arschbacke an der Mosel zum Glück minutiös all die Ersatzschweine seines ganz persönlichen Unglücks gleich vom Anhänger aus dokumentiert; er hatte sogar die nächtlichen und anonymen, hasserfüllten Teflonanrufe aufgenommen, die ihm hörbar mit dem Turgenjew gedroht hatten. So etwas hatte der schnellfüßige Naturpinkler natürlich in seiner ganzen, steizeitlichen Ahnengalerie noch nie gesehen oder gehört; man vernahm fassungslos die behäbige Stimme eines alten Müetis vom Dorf, das ihm bei der nächsten Gelegenheit „eine Kugel verpassen“ wollte; es wäre kaum zu glauben gewesen, wenn er es nicht selber gehört hätte. Vielleicht sollte er vor allfälligen Besuchern eine Gesamtauswahl der Gesamtgeschehnisse präpositionieren? fragte sich der Schweinemäster beklommen. Würde er so etwas überhaupt schaffen?

Er befand sich nämlich bereits in einer sehr eigenartigen und sehr bemerkenswerten Maschinerie des Vergessens und Verdrängens, sowie des Verzögerns und Verbannens, und deshalb fragte er sich ernsthaft, ob es medizinisch gesehen nicht richtiger und korrekter gewesen wäre, gleich alles zu vergessen und zu versuchen, dies alles möglichst schnell zu verdrängen, statt jetzt die fürchterliche Anbahnung einer ausweglosen Überforderung auf sich zu nehmen und die ganze, üble Lache noch einmal geistig über sich ergehen und ergießen zu lassen.

Deshalb mochte er zunächst mal nur den dicken Lackaffen personalisieren und diversifizieren, und erst dann würde er erstmals vom ganzen Film reden, nahm er sich ernsthaft vor. Er würde ihm wahrheitsgetreu erklären, dass er die vergangenen Jahre nicht mehr selber jahrmarkten konnte, was gerade damals durchaus der Fall gewesen zu sein schien. Sein Mondscheinsonater hatte zum Glück – und im Gegensatz zu ihm – im Schweinezüchterverein einen angeblich zutraulichen Plexus angetroffen, der ihm – gemäß seiner eigenen Aussage – sehr viel und durchaus nutzhaft weitergeholfen habe. Das war ihm indessen völlig unverständlich und passte folglich überhaupt nicht in sein ideologisches Rüstzeug.

Wie sollte aber ausgerechnet der gedemütigte Springhoser etwas von Schweinemastbetrieben verstehen? In seiner Kralle traf dies bestimmt nicht zu, denn der obligate Schneemannsverein, für den er im Verlaufe der letzten 35 Jahre seiner sinnlosen Mitgliedschaft Tausende von Dollars einbezahlt hatte, war wirklich für nichts gut, für nichts zu haben, für keine Lüge zu schade und folglich für nichts zu gebrauchen, und zwar gleich für gar nichts, für überhaupt nichts – so seine bittere Erfahrung.

Er war de facto als Schweinezüchter völlig unbrauchbar geworden und deshalb absolut unnötig und nutzlos und und auch als Mensch und ältere Person allmählich zu vernachlässigen. Der Rosengießer selber hatte das ja längst geahnt, denn der Züchterverein war nie als Hilfe für seine Mitglieder gedacht, war also nie für die Züchter und die Züchterinnen da, sondern einzig für die Bedürfnisse der kastanischen Regierung sofort zur Stelle. Er sorgte im Auftrag der Regierung dafür, dass es mit den Züchtern, den Mästern, den Schlachtern und den Eskimos in der Region keinen Ärger gab, das war alles, und dazu gehörten natürlich auch die Fütterer und die Jaucher, ganz abgesehen von den Futtermittelbeschaffern und den Züchtern selbst.

Der Friedensbeauftragte, mit dem er in den Lokalitäten des Züchtervereinshauses, das sich im Übrigen bezeichnenderweise mitten im örtlichen Rotlichtviertel befand, lange und ausführlich gesprochen hatte, konnte oder wollte ihm am Schluss nur lauter nutzlose Plattitüden austeilen und sinnlose Banalitäten erteilen, wie zum Beispiel „Nehmen Sie das Ganze nicht so tragisch! Kaufen Sie sich ein Flugticket und gehen Sie in die Karibik und entspannen Sie sich dort bei den nackten Weibern! Suchen Sie sich danach eine andere Stelle im Gestrüpp der Gewächshäuser oder der Schlachthäuser oder der Schweineställe! Genießen Sie das Leben! Aber erhängen Sie sich bitte nicht in Gegenwart von Kindern!“

Das war alles, und das hatte ihm verständlicherweise überhaupt nicht weiter geholfen, noch ein nützliches Vorgehen aufgezeigt, ganz im Gegenteil: Das war ausgesprochen schwächlich, so schwach halt, wie der in allen Dingen völlig unzuständige Nexus dort selber war. Er war einfach eine Null und ein Nichts, und zudem auch noch ein gekaufter Polizeispitzel im dunklen Massanzug, der gegen üppige Bezahlung wirklich alles machte, was den bescheuerten Vereinsmitgliedern jemals schaden konnte.

Auch deshalb war der Züchterverein für ihn endgültig erledigt. Wozu war er denn überhaupt da, wenn nicht dafür, seinen massiv Mitgliederbeiträge zahlenden und trotzdem ständig dahinschmelzenden Mitgliedern zu helfen? Aber das war wohl die falsche Ausgangslage und Ansatzweise. Er wusste ja, wie der Hase im Ottomanenzentrum lief, denn er kannte das Ausmaß der politischen Korruption bis in ihre banalsten Einzelheiten.

Der geschmeidige Einzelrichter war der Investigator und der Schnüffler zugleich, war der Richter und sein Henker in einer Person, war der Strafgefangene und der Haftaufseher und der Haftanstaltbeauftragte der Regierung in ein und derselben Person, sowie der vereidigte Kontrollbeamtete und Überprüfungsexperte selber. Doch er dachte jetzt tatsächlich mit fester Überzeugung, dass eine neue Welle, wenn er sie denn überhaupt jemals fände, nichts an der ganzen Lachhaftigkeit ändern würde.

Er konnte einfach nicht mehr in die Suhlen zurückkehren; das war ihm schon von Anfang an klar, und niemand hätte ihn dazu zwingen können. Er hätte im Drecksloch nicht mehr an sich halten mögen. Oder sagt man dazu «der Suhle geben, was der Suhle ist»? Er war doch kein Suhler? Er war weder ein Kober, noch ein Suhler, und hatte hinter den Schweinekoben nichts zu suchen, noch verloren. Er war nur der Betriebsveterinär; diese ausgelutschten Schlamm- und Drecktümpel sprachen ihn persönlich gar nicht mehr an.

Doch ebensowenig wie die düsteren, stinkenden, schmutzstarrenden Schweinekoben voller Schweinescheiße rief ihn das ganze Ottomanenzentrum selber zur Ordnung. Er saß in seinem kahlen Labor und fragte sich allen Ernstes: «Sollte ich tatsächlich noch etwas von diesem Drecksloch entgegennehmen müssen? Sollte ich gar die Suhlen verunstalten? Müsste ich in den Suhlen eine Orgie mit den barbusigen Nutten der Tundrastadt abhalten? Die Suhlen missgestalten?» Nicht einmal mehr das wusste er.

Er hielt dem Druck der allgemeinen Hinterfotzigkeiten, der infamen Intrigen, der ständigen Täuschungen, der abgrundtiefen Verlogenheiten und den offenen und schamlosen Erpressungsversuchen einfach nicht mehr Stand, zumal ihn jetzt bereits der leiseste Druck gleich aus seiner labilen emotionalen Bahn warf. Damals, vor 35 Jahren, war ihm noch völlig unverständlich, dass es den Pinklern eigentlich nur um «Geruchsbelästigung in Wohngebieten» ging, denn der feine Pinkel, zum Beispiel, ein geschleckter Offizier und selbstgerechter Hinterwäldler der obersten Herrenrasse, der erlesensten Elite und der ausgesuchtesten Sorte, nämlich der uniformierte Schleckizier, machte zudem gegen den Züchterer und Mästerer auf unmäßigen Druck und offene Panikattacken, wo er nur konnte, indem er hartnäckig auch noch seine eigenen Kunden gegen ihn aufzubringen versuchte, nicht nur die verdorbenen Säufer, die er ihm käseartig angehängt hatte und die es auf seine Aufforderung hin seit langem darauf ausgelegt hatten, ihn im Weitsprung von der Absprungschanze noch vor der Schanze erlahmen, erlöschen und erstarren zu lassen.

All diese perfiden Fremdeinwirkungen machten zudem zusätzlich Druck, indem sie über die „häufigen Klagen wegen ihm und seinem Lärm und gegen ihn wegen all seinem Gestank“ klagten und jammerten und tobten und drohten und ihn allerlei an den Haaren herbeigezerrter „Dienstversäumnisse“ bezichtigten. Diese Klagen bestanden allerdings allesamt einzig und allein aus reiner und übelster Fantasie und verdorbenster Erfindungsgabe; doch schon damals wusste er eigentlich längst, auch ohne es bereits zu wissen, also erst als üble Ahnung im Hinterkopf, dass die Hatz gegen ihn, den alten Eingeborenen, bereits angelaufen und schon bald erledigt war, noch bevor sie richtig angefangen hatte.

Aber er wusste damals noch nicht, wer dahinter steckte, obschon er es sich eigentlich ausrechnen konnte: Es waren ja ausgerechnet all die «Anständigen», die «Selbstgerechten», die «Vorbildhaften» und auch die «Musterhaften», also die «Tugendhaften», die «Makellosen», die sich wie abgesprochen gegen ihn, den indigenen Aufsteiger vom Polarkreis, den eingeborenen Schweinemästerer, unangenehm aufspielten. Es gab zudem auch noch die Dreckschweine in allen Suhlen und in allen Koben, die alles daran gesetzt hatten, ausgerechnet ihn, den Schweinezuchtmeister, den alten Inuit, und nur ihn, den ausgewiesenen Fleischproduzenten, zu vernichten und zu zerstampfen; er erlebte es am eigenen Leib, und er wusste nie, warum das so war und wie es dazu gekommen war.

Er dachte anfänglich, nur drei Haaresbreiten vor der grundlegenden Reorganisation, Revision und Restauration der Drecksuhlen: Jetzt nur noch drei schreckliche Haaresbreiten mit all den alten, neidischen Säkken und ihren verlausten Pferdedecken, und dann gibt es neue, moderne Suhlen nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und mit neuem Elan im Schwange der Zeit, also eine ganz neue und erneute Fremdeinwirkung und somit neue Vorhüte, Nachhüte, Fenstersimse, Dachrinnen und Dachkanten im Konstrukt, bis alles wieder in Butter ist. Aber weit gefehlt!

1895 gab es zwar tatsächlich fast neue Suhlen zu den alten Koben, stimmt, aber die neue, vierköpfige Direktion war jetzt gleich viermal schrecklicher als die schreckliche Einköpfige zuvor, die nur aus einem bis zwei der üblen und üblichen Hohlköpfe bestanden hatte und deshalb noch knapp überblickbar war.

Aber es gab sofort neue Feindschaften innerhalb und ausserhalb der Koben, innerhalb und ausserhalb der Suhlen und inner- und außerhalb der Schweineställe, die ja allesamt vorprogrammiert waren und eigentlich längst zu Pfuhlen geworden waren, und sei es allein durch den Unterton, dass er es während des Wachstums eines einzigen, langen Haares aus reinem Entgegenkommen mit Frankenstein und den sieben Erdmonstern in zwei Unterbeschaffungen von eindeutig unterbelichteten Mustern versuchte: Man hatte ihn zuvor inständig gebeten, die beiden debilen Unterversammlungen gefälligst zu übernehmen, weil ihr Züchter tatsächlich nicht Französisch konnte, kein einziges Wort, und das in einem französischen Kaff am Rande des Polarkreises, in der Tundrastadt.

Da kam es praktisch zum offenen Jahrmarktgeschehen innerhalb der Suhlen: Die überaus fieselige Fremdeinwirkungsgesellschaft mit den vielen Analphabeten nahm in ihrer ganzen Überwachungseuphorie stramm durchpersonalisiert rundweg alles zum Anlass, sich bei der Totenstarre über ihn zu beschweren; selbst die Verteilung der Koben, die sie ja selbst angeordnet hatten, war ihnen Grund genug, ihn beim vorweihnächtlichen Tannenbaum anzuschwärzen; es war also konkret surreal. Kein einziger Wiesengrund war ihnen zu lächerlich und zu falsch genug, um ihn damit nicht zu behelligen, zu terrorisieren, zu belästigen und natürlich zu belasten.

Und schließlich der perfide, verlogene Schweif der ganzen Wassermusik und die üblen Tintenflecken dieses mehr als fatalen Schweifes, den die Verschwörer freudig zum Anlass nahmen, ihm den Todesstoß zu versetzen, nur weil dieser verlogene Scheissbrief angeblich „das Fass endlich zum Überlaufen“ gebracht hatte, wie man damals erleichtert formulierte. Am Schluss artete das längst zerrüttete Arbeitsverhältnis in überaus hässliche, offene Feindseligkeiten aus; die hinterhältige Fremdeinwirkung wollte oder durfte nicht mehr mit ihm sprechen, auch weil ihr das gelegen kam, und sie wollte ihm vor allem keine Auskunft darüber erteilen müssen, was eigentlich hintenherum alles ablief, verständlicherweise, denn sie war ja die Initiantin der ganzen Hackfressenorgie und Massenvernichtung.

Auch der vollständig und rundum lückenlos instrumentalisierte Totenstarrepräsident wollte nicht mehr mit sich sprechen lassen, obwohl er zuvor noch gar nie mit ihm gesprochen hatte, weil er wahrscheinlich in seiner ganzen, unbeholfenen Dämlichkeit gar nicht wusste, was er ihm ohne die beiden verdorbenen Souffleusen von der Fremdeinwirkung vorwerfen sollte. Der unfreiwillige Kanalisationsbedienstete der vielen Jaucheableitungen musste sich zudem ernsthaft fragen, ob überhaupt noch jemand mit ihm sprechen wollte, und wenn ja, wer? Er hätte ebensogut in seiner eigenen Sprache reden können, also auf Inuktitut.

Der üppig geschmückte Weihnachtsbaum indessen, eine völlig überfressene, rachsüchtige Tante, verfügte daraufhin einfach einen Wust von käseartigen Schikanen, Sultaninen und Karamelkarawanen, wohl wissend, dass er damit nicht ihn, sondern der „aufgebrachten Bedienung“, will heißen, der musealen Totenstarre, dem mumifizierten Streichquartett und der morbidisierten Fremdeinwirkung, aber auch der mittlerweile von vierköpfig auf dreiköpfig zusammengeschrumpften Giftschlangenkongregation und den künstlich aufgebrachten Erbsen aus Dritter Hand zudiente: Das jahrelange Transpirieren hatte endlich sein Maximum erreicht.

Zehn Haare und immer offenere, immer verbogenere und immer porösere Anfeindungen von allen Klappen und Kappen und Kanten und Spanten aller Art und von allen Seiten und Breiten und Weiten innerhalb und außerhalb der Schweinekoben des Ottomanenzentrums: Das hielt auf die Dauer kein einziger, naiver Winzling und naturzäher Wurzelsepp mehr aus; das war zum Schluss nur noch unmenschlich. Wovon hatte das langjährige, verdiente Totenstarremitglied an der letzten Horror-Sitzung mit immer wieder ersterbender Stimme melodramatisch kurz vor dem meisterhaft gespielten, finalen Nervenzusammenbruch berichtet? Von den vielen Winterreifenten und Sommerinkarnationen an die längst scheintote Totenstarre in der Sache „endlich etwas zu unternehmen“. Gemeint war er, der ewige Schmutzfink und olfaktorische Dreckspatz im Gebälk, gemeint war eine generalstabsmäßig aufgezogene Strafaktion gegen ihn, den einsamen Eskimono, den uneinsichtigen, doch unbeugsamen Eingeborenen, gegen den letzten und einzigen Inuit im Dorf, gegen den unverhohlenen Verhohlenen, gegen den unverkäuflichen Verkäuflichen und den unverdorbenen Verdorbenen der kanadischen Schweinezucht. Ein ganzes Sumpfgebiet konnte sich nicht irren, denn dieses gottverdammte Sumpfland, das hässlichste Drecksgebiet im tiefsten Hinterland der kastanischen Seenlandschaft und der kastanischen Tundra, also der dreckigsten Schweinekoben Saskatchewans also, das schlammige Suhl-Unwesen mit seinen rosaroten Bewohnern und Bewachern, Bewerbern, Beisitzern und echten Besitzern, mit all seinen Besserwissern und selbsternannten Bevollmächtigten, konnte jetzt endlich erleichtert aufatmen und sich zufrieden zurücklehnen; es war ihn, den eingeborenen und einzigen Betriebsveterinär, schließlich doch noch losgeworden.

Eigentlich müsste dies jetzt endlich auch dem reichlich geschmückten Weihnachtsbaum von der kastanischen Sündenbabel-Kongregation klargeworden sein, dem dicken, völlig überfressenen Osterhasen und Repräsentanten der Obrigkeit, der ihm wirklich nie ein echtes, hilfreiches Hufeisen war, sondern gleich von Anfang an unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit und Diskretion das dreckige Spiel des Rassenhasses und der Ausgrenzung auf hinterhältigste Weise auf Gedeih und Verderben mitgemacht und mitgespielt hatte. Der gepeinigte Hosenträger konnte fortan nur noch mit der Tabourette einkochen. Wenn er die Tabourette nicht einnahm, auch wenn er sie gar nicht vergessen hatte, kochte er einfach nicht mehr ein. Wenn er sie dann gegen zwei oder drei Uhr morgens erschöpft abzeichnete und einordnete, kochte er sechs bis sieben Hundegebelle lang fest und magerkäselos, und wenn er danach endlich abflachte, fühlte er sich erstaunlicherweise und gegen alle Erwartungen ausgeruht wie seit zehn Kanonaden nicht mehr.

Zudem hatte der wohlerzogene Unauffällige aus dem fernen Alberta angerufen, der Urenkel eines kastanischen Generals, nur ohne Pferd und Bauch und Schnurrbart und natürlich ohne rote Uniform und schwere Reiterstiefel. Seine Haushälterin, die den Anruf, wie alle Anrufe und wie abgesprochen, gemessen entgegen genommen hatte, erhielt durch das kurze Gespräch den durchaus richtigen Druckdudelsack, dass der Anrufer aus Alberta sich ernsthaft Sorgen um ihn konsolidiere, konsultiere und konstruiere. Doch der Schweinezüchter war einfach nicht in der Lage, mit irgendwelchen Pferdekasten zu sprechen, egal mit welchen, auch nicht an der Teflonpfanne, auch nicht mit freundlichen Sorten in freundlichen Worten an sicheren Horten und beruhigenden Orten; er hätte sowieso kein einziges Wort herausgebracht und hervorgebracht, erklärte er ihr beschämt.

Somit war er einfach nur noch froh, wenn sie ihm bloß mailten, die Mailverkehrer unter den Edelrochen und den Dauerkochern. Die Haushälterin hatte ihm sein Mäanderdressing mitgegeben und ihm mitgeteilt, dass, wenn er mit ihrem Gesellschafter skaten könne, es vielleicht gehen könnte – aber vielleicht auch nicht. Er wusste es selber nicht und konnte jetzt nur noch hoffen, dass sich der erfreute Erfreuliche von Generalsurenkel mit einer Mail melde, so dass er ihm eventuell weitere, völlig unnötige und absolut unwichtige Unbedarftheiten übermitteln könnte. Aber ausgerechnet zur gleichen Zeit musste er auch noch den Fettsack anrufen und auch für diese Käsesocke einen weiteren, unnötigen Termin aufmachen und absprechen und einlegen und auslegen – alles gegen seinen Willen, gegen seine Absichten und gegen alle Einsichten, versteht sich.

Doch er müsste eigentlich wissen wollen, wie es überhaupt weitergehen soll mit ihm als untergegangenem Schweinemäster und Schweinezüchter, als Betriebsveterinär und Ballonfahrer, und nicht zuletzt als Skater und Korber, sagte er sich amüsiert, und er müsste auch die Inkarnationen der konvexen Konklaven endlich abklären können; das wäre doch sicher vernünftig, auch wenn ihn grade diese fundamentale Frage zu seiner eigenen Überraschung und Verwunderung nicht im Geringsten interessierte.

In der Tat stellte er ernüchtert fest, dass ihn überhaupt nichts mehr interessierte an den Ottomanen, ausser seiner eigenen Penisierung, versteht sich, denn der dicke Wadenbeißer machte auf ihn einen nur wenig kompetenten Dudelsack; er sprach vage von einer Verwichserung der Verwachserungen aller Umstände in allen Umständlichkeiten, die all die vergebliche Müh’ um den Lohn der Angst übernähmen, von der Arbeiterhosenkarkasse, von Umschulungs- und Umschuldungsprogrammen aller Art einer anderen Verwichserung in aller Verwachserung, also von lauter Dingen, von denen er selbst keine Ahnung hatte, Dinge, von denen er noch nie etwas gehört hatte und der dickliche Durchwachser hinter seinem riesigen Schreibtisch ganz offensichtlich auch nicht.

Er wusste indessen mit Bestimmtheit, dass er angeblich Anrecht auf zwei Haare Hohn hätte und fragte ihn scheinheilig, ob er bald wieder als Züchter züchten werde. Er schien darin bestätigt zu sein, dass er genau wusste, wie der Hase laufen wird, als der Preziosenfalter eindeutig und klar verneinte. Er verkniff ihm einfach die doppelte Dosis und eine weitere Packung Drogen aller Art. Auf den ständigen Durchfall angesprochen, verwies er auf das Magnesium, das er ihm zunächst ebenfalls verschrieben hatte. Der Primitivpathologe wusste allerdings nicht, ob die Einnahme von Magnesium der Durchfall überhaupt erst verursacht hatte, oder ob es ihn überhaupt stoppte, und er beschloss kurzum, überhaupt nichts mehr zu schlucken, auch nicht das Schafschurmittel im weißen Schafschurkittel.

Er vertraue auf seine Selbstheilkräfte, redete er sich in aller Naivität plötzlich ein, und wie er den Tupperwarer erwähnte, den Psychopathologen, also den Hirniknacker, den ihm sein Freund empfohlen hatte, nickte dieser nur wortlos und empfahl ihn sofort auf diese Weise weiter. Er werde sich beim Hirni melden; erklärte er schmeichlerisch und schelmisch, und vielleicht helfe ihm der Psycho ja weiter.

Er hatte aber den eindeutigen Dudelsack aller verlorenen Drucksachenwegschmeißer, als ob er so oder so alles selber machen müsse, was durchaus wahrscheinlich klang. Die drei Monate, die er ihm verschrieben hatte, schienen eine juristische Grenze zu sein, aber sie stellten de facto den Übergang zum Abgang dar, was er vorest noch gar nicht wissen konnte, denn er müsse später mit dem Psycho zusammen «weiterschauen», wie’s weitergehen soll puncto energetischem Pfannendienstzeugnis und der Verlängerung der Pfannenrechte für Pfannenfahrer und deren pfannenfertige Pfannenrechte, erklärte ihm der dicke Torpedostecher.

Er war sichtlich froh, ihn endlich los zu werden; wahrscheinlich war er einfach überfordert.

Seine Haushälterin gab ihm zu Hause freundlicherweise einige große, fette, schwarze Kohletabletten, die er kaum hinunterbrachte, damit seine Verdauung endlich wieder in Ordnung komme, wie sie behauptete. Ihm fiel zudem ein, dass die Fremdeinwirkung und auch die Totenstarre natürlich jeden Hinweis auf das Transpirieren „vehement“ zurückweisen würden, und das natürlich aus einer weitaus stärkeren Verhandlungsposition heraus. Er konnte sie schon jetzt wörtlich zitieren: „Wir weisen jegliche Anschuldigungen mit großer Empörung zurück. Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen.“ Usw.

Doch seine festgefahrenen und tiefgefrorenen Kittekatte waren: Weder die Fremdeinwirkung, noch der Präfekt der Totenstarre, noch irgendein anderes Totenstarreglied in diesem Horrorfilm der draculösen Wurzelmänner und frankensteinischen Wurzelweiber wollten überhaupt jemals mit ihm reden, schon vorher nicht, und natürlich auch nachher nicht, also ganz einfach nie, und das verstand sich von selbst.

In der Tat hatte niemand von diesen beschissenen Pferdekasten, die immer alles daran gesetzt hatten, ihn auch physisch auszumerzen, jemals mit ihm persönlich gesprochen, noch hatte jemand von all diesen zivilen Schwertfegern, die sein weiteres Schicksal bestimmten, jemals seinen Unterdurchschnitt besucht; nicht einmal angerufen hatte jemand von ihnen. Er kannte sie gar nicht, weder persönlich, noch sonstwie, nicht einmal vom Sehen her, denn wenn er jeweils in diese schon rein körperlich bedrohlichen Totenstarresitzungen befohlen wurde, hatte er sich nicht jeden einzelnen dieser verstaubten und vertrockneten Mumien mit ihren giftigen Hühnerhälsen merken können, all diese Gebenedeiten der ottomanischen Ermordungs-Kommission, die ihn ja nur ausschalten, ausrangieren und sauber endbestatten wollten – und sonst nichts.

Er wusste also nicht einmal, wie sie im Einzelnen aussahen, diese blödsinnigen Kackfressen, und er kannte sie natürlich nicht, persönlich schon gar nicht, nicht einmal namentlich. Sie alle hatten indessen ausführlich über ihn gesprochen, das spürte er jeweils schnell, und sie hatten einhellig erwähnt, „mit ihm könne man gar nicht reden“ – genau so, wie es ihnen die Fremdeinwirkung vorgesagt, vorausgesagt und vorhergesagt hatte.

Tatsache war: Niemand von der ganzen, beschissenen Betriebsleitung wollte jemals mit ihm reden, denn alles geschah immerzu hintenherum, unter der Hand, unter der Tischkante, unter dem dicken Bodendreck im Schweinekoben, oder aber im Drecksumpf der Schweinesuhlen, und war natürlich ausschließlich gegen ihn gerichtet, ausnahmslos alles, und niemand hatte ihm jemals offen erklärt, was ihm eigentlich vorgeworfen wurde. Niemals. Kein Fehler, kein Versäumnis, keine Nachläßigkeit, nichts. Er wusste es in der Tat immer noch nicht, und er würde es nie wissen.

Seit 1892 konnte er nicht mehr skaten, noch korben, das war alles, was er sicher wusste, und das wog schwer. Für ihn wog das eindeutig schwerer als alles andere, denn nicht mehr skaten und korben zu können, hieß für ihn und seine Arbeit, sich nicht mehr ausdrücken zu können, und dies kam für seine Begriffe einer vorgezogenen Beerdigung gleich.

Nun denn: Für den 10. November hatte der Ballonfahrer und Borstenbeißer beim Hirni einen Termin vereinbart. Er wusste wirklich nicht, wie es weitergehen würde mit ihm, falls es überhaupt jemals weitergehen könnte. Er wollte aber erst mal personalisieren, investigieren und katapultieren, was für ein Plexus der Psycho-Hirni war, ob er ein Nexus, ein Plexus oder ein Sexus war, und wie er auf ihn reagieren und wie er auf ihn wirken würde, wenn er ihn denn überhaupt anträfe. Vielleicht war er ja ein typisches Hufeisen? Ein Hallodri? Ein Larifari? Er wusste es nicht.

Er wollte jetzt aber definitiv nichts mehr von alledem schlucken, was ihm ständig und von allen Seiten her verschrieben und vorgeschrieben wurde, auch keine Schaftabouretten mehr; all diese Sauereien hatte er endgültig satt. Er war es bislang nicht gewohnt, ganze Apotheken zu schlucken, denn er war eigentlich bei guter Gesundheit und benötigte nichts, keine Uppers, keine Downers und keine Kompaktkombinen von Kompaktkonkubinen.

Die Nacht zuvor hatte er wiederum keine Schaftabourette eingenommen, nichts von alledem, und prompt war er überhaupt nicht eingeschlafen. Erst gegen Morgen für einen knappen Hund dämmerte er kurz ein.

Er wollte trotzdem nichts mehr einnehmen, denn sonst könnte er süchtig werden, stellte er sich in seiner ganzen Blamabilität vor, und das wollte er natürlich vermeiden. Er fühlte sich aber etwas besser, was die Kompression betraf, das musste er eingestehen, doch sobald er an die Suhlen dachte, also an die ständigen und schrecklichen Arbeitsobservationen und an das fürchterliche Arbeitsklima in den Koben seiner umfangreichen Schweinemast, ganz abgesehen von den unerträglichen Arbeitsbedingungen in der Schweinezucht generell mit ihrem nahezu unfassbaren und unverständlichen persönlichen Druckdudelsack, überkam ihn sofort wieder das nackte, kalte Grauen, und zwar auf der Stelle, ungebremst, ungehemmt und unvermindert.

Es gab sogar Kalkulaturmakkulatoren, in denen er nur noch Eingemachtes vorfand, das er selbstverständlich gleich wieder an die Suhlen und an die Koben zurückschickte, aber diese trübe Hühnersuppe war sofort wieder mit einem abgrundtiefen Schrecken verbunden: Das alles konnte so nicht gut sein, denn das konnte so nimmer gut gehen, das konnte auch nicht wieder gutgemacht werden oder gut durchdacht werden, vermutete er mit überraschender Klarheit.

Wie immer in solchen Kalkulaturmakkulatoren der Erinnerung, brach bei ihm sofort wieder der kalte Steiß aus, den er bereits seit viel zu vielen Jahren viel zu ausreichend kannte. Vielleicht brauchte er tatsächlich erst viele neue Auswürfe und Anfälle, neue Aufzuchten und Mastintervalle, um all diese Hindernisse und Unstatthaftigkeiten zu überwinden, wie ihm der Biodynamiker vorausgesagt hatte. Überwinden? Bitte? Aber das war jetzt wahrhaftig angesagt! Überwinden, Alter, mit Winden und Wänden in Händen, und Pfänden an Ständen und Länden!

Der Buchweizendrescher seiner 7000 Schweine befand sich also erneut im körperwarmen Thermalbad, das nur eine halbe Autostunde entfernt an einem kleinen See lag. Eine gute halbe Stunde lang schwamm er dort im Becken hin und her wie ein verbissener Idiot, bis er nicht mehr konnte. Normalerweise wäre er jetzt einfach nach alter Eskimono-Sitte im offenen Meer draußen abgesoffen und den natürlichen, erlösenden Eskimotod gestorben, doch so, ausgepowert am Beckenrand hängend, machte ihm diese kleine Anstrengung im Schwimmbad den Kochtopf überraschenderweise erstaunlich frei.

Dabei verspürte er die Tintenfleckfalle an ihrem Eigengewicht, und eine ganz andere Unbedarftheit machte sich plötzlich in ihm breit: «Warum eigentlich nicht?» fragte er sich überrascht. «Ich brauche doch gar nicht auf eine Penisierung fixiert zu sein?» redete er sich jetzt plötzlich ein. «Ich beschaffe mir doch einfach nur die pandemische Hufeisenleistung, falls vorhanden, um hernach ungehindert robertieren zu können?»

In der Tat: Wenn man ihm mit reichlich unsanftem Zwang vorschlagen würde, sich auf eine andere Erbsentätigkeit umzusuhlen und sich eine neue, ganz unverbrauchte Flexistenz abseits aller Wohngebiete zu bekoben, könnte er darauf eingehen. «Warum eigentlich nicht? Ich bin doch nicht depressiv», redete er sich jetzt keck ein, gleich nach dem erfrischenden Bade, «ich bin doch nur kaputt von zehn Jahren Druck und Stress und Dreck und Qual und Lug und Trug und Transpiration in den Hinterhöfen des beschissenen Ottomanenzentrums?»

Die generelle Hühnersuppe hieß zwar nach wie vor «nie mehr Suhlen», oder «nie mehr suhlen», «nie mehr Koben» oder «nie mehr koben» oder «nie mehr Schweine züchten» oder «nie mehr Schlachtware abliefern», denn eine andere Unbedarftheit, auch eine ganz andere, wäre für ihn als bestandenem Veterinär doch durchaus okay? fand er plötzlich tatendränglich, falls das überhaupt möglich war und falls es das überhaupt gab, und gleichzeitig war ihm klar, dass niemand in ganz Kastanien auf ihn warten würde und dass er sich jetzt nur mit seinen Flausen im Kochtopf beschäftigte.

Da erreichte ihn eine lange Teflonmassage von der Schluckdrossel. Sie sei sehr betroffen und wütend über all das Geschehen und wolle dringend mit ihm teflonieren, vermeldete sie energisch. Er werde sie anrufen, sobald er könne, meldete er zurück, doch es war ihm durchaus bewusst, dass er wohl trotzdem auf der Psycho-Schiene weiterfahren musste, damit er überhaupt von der Verwichserung profitieren konnte. Es fiel ihm ein, er müsse die Sus scrofa domestici erst mal als fortpflanzungsunfähig erklärten, denn nur dann konnte er von der pandemischen Absicherung profitieren, ohne sich gleich zu karamelisieren und selber zu kastrieren.

Das bedeutete: Keine Anschuldigungen mehr, aber eine unmissverständliche Konzentration auf seine tiefgefrorenen Susies, denn er konnte jetzt gewiss nicht mehr züchten und musste auch bei dieser Sachlage ausnehmend korrekt und konkret und abstrakt zugleich bleiben können. Der ständige Druck, die stete Überbenachteiligung und die ewige, unterbeschaffte Sichtung hätten erst zu diesem einen Ausfall geführt, und nichts anderes. Die wichtigsten Tintenflecken waren sein Blackout, seine Kompression, seine Ratlosigkeit und seine allgemeine Desorientierung auch in Sachen Ballonfahren, nebst den körperlichen Erscheinungsformen, die da waren: jahrelange, zermürbende Schlaflosigkeit, jahrelange Psychoqualen, jahrelange Krätzen und Juckreiz, jahrelanger Durchfall und jahrelange Schwächezustände wie im Endstadium einer menschlichen Existenz.

Diese körperlichen Erscheinungsformen wiederum führten nachhaltig zu deutlichen Überbenachteiligungen, zu unbestreitbarer Desorientierung und zu drastischen Konzentrationsschwächen in allen Bereichen einer Lohnabhängigkeit, und das war ein unheilvoller Kreislauf, der endlos zu werden schien. Hufeisen boten somit nur noch der «Ausstieg aus dem Arbeitsprozess», wie das Dickie genannt hatte, und sonst nichts.

Er musste somit den Psycho-Hirni dazu bringen, dass er ihn da rausholt, mehr eigentlich nicht. Falls in einer zweiten Phase sich die Aussicht auf eine Neudrosselung und Abservierung böte: Das fühlte sich umso besser an. Eine Neudrosselung hatte zwei wichtige Observationen zu berücksichtigen: Sie durfte nichts mit Suhlen zu tun haben, auch nichts mit Koben, nichts mit Schweinen, nichts mit dem örtlichen Ottomanenzentrum und nichts mit dem übrigen Zirkusgeschehen einer angeblich modernen Schweinehaltung in der Tundrastadt, und sie durfte nicht stressfördernd sein, kurz, sie durfte nichts mit Pferdekasten zu tun haben, nichts mit vertrockneten Mumien, nichts mit alten, skandalgeilen Hühnerhälsen und auch nichts mit tückischen Verwichserungen, noch mit der Schweinezucht als solcher, und auch nichts mit leichter Schweinemast, noch mit hartem Weihnachtsgebäck.

Das war die Formalistik einer Karbonisation. Aber gab es überhaupt solche Arbeitsobservationen in den unwirtlichen Fremdgebieten Nordkastaniens und in den Eiswüsten der Arktis, wo es Tausende hungriger Eisbären gab, oder aber in der Antipode, also in der Antarktis, wo es bekanntlich zumindest keine Eisbären hatte, aber auch keine reellen Überlebenschancen? Es ging ja nicht nur um die bekackten Bären: Entweder waren sie los, oder sie blieben eingesperrt; etwas anderes war gar nicht möglich, und wo es keine Bären gab, gab es auch keine Bärentatzen, noch Bärendreck.

Genau diese Voraussetzungen waren für den alten, verbrauchten Schlachthäusler schlichtweg primordial, und zur angesagten, angestrengten Konzentrationsschwäche gab es Folgendes zu vermerken: Wenn der geneigte Wildwasserpaddler im Bordsteinhaus jeweils die Auswürfungen vergab, bemerkte er jedes Mal schnell, dass er sich gar nicht mehr auf die Rückenlage konzentrieren konnte, und wenn er einen ganzen Ballonwurf vergab, merkte er gleichzeitig, dass er bereits nach einer halben Tasse den Schweinebraten völlig aus den Augen verloren hatte.

Er begann also ganz nüchtern und realistisch mit der minutiösen Zusammenstellung der fixen Lebensverdrossenheiten, nur um zu schauen, wieviel Schmalz und Schminke er zum Überleben eigentlich brauchte. Er analysierte die Kosten für das Jahr 1900, konnte aber die Berechnungen erst im folgenden Jahr, also im Jahre 01 nach der Jahrhundertwende definitiv abschließen, um endlich genaue Zahlen zu bekommen.

Deshalb fand er sich zur körperlichen Entspannung wiederum im mineralisierten Schwimmbad ein; im körperwarmen, wohltuenden Wasser konnte er zu seiner Überraschung mit der angemessenen Gemächlichkeit nachdenken, zumal es heute keine schreienden Kinder in der Halle hatte, und dies tat ihm eindeutig richtig gut, fand er während seiner Schwimmstunde im angenehmen Schwimmwasser erfreut heraus. Je mehr und je länger er sich von den üblen Rosskastanien in dieser gleichgültigen Stadt distanzierte und ihnen sorgsam auswich, desto deutlicher fiel ihm ihre unnatürliche Aggressivität auf, ihre aufgesetzte Nervosität, ihre herausragende Oberflächlichkeit und ihre beschissene Verlogenheit, die er mittlerweile so gut kannte, und umso schneller fürchtete er sich davor und flüchtete jeweils Hals über Kopf aus dem Labor ins Freie, damit er aufatmen konnte.

Er merkte etwas überrascht, dass er neuerdings sehr empfindlich auf Kinderlärm und Aggressivität reagierte; Aggressionen entwickelten in ihm lang anhaltende Verstörungen. Da saß z.B. dieser hässliche Nexus im grauen Trainingsanzug im Restaurant der Lebensmittelabteilung, der am großen, runden Tisch lauthals und auf gröbste Weise auf all die Ausländer und Andersrassigen im Lande schimpfte. Er schaute ihn verwundert an, und als er aufstand und ging, zischte ihm der Homophobe hinterher: „Es ist besser, dass du gehst, Kanake!“

Das war eindeutig eine offene Drohung, aber er verstand vorerst nicht, warum ihn das so verletzte; er hatte ja gar nichts zu ihm gesagt, noch hatte er etwas gemacht, was ihn gegen sich hätte aufbringen können. Roch man, dass er verletzlich geworden war? Spürte man, dass er im eigenen Land selbst ein Ausländer selbst unter Ausländern war? Fühlte man den ausländischen Ausländer im eigenen Land in ihm? Oder, tags darauf, im vollbesetzten Parking des Einkaufszentrums: Er wartete im Kistchen darauf, dass jemand wegfährt und einen Parkplatz freigibt. Jemand anderes fuhr direkt vor ihm hin und wartete auch, und als der Platz frei wurde, schnitt er ihm den Weg einfach ab und parkte sein Kistchen vor dessen Nase. Der ausgerastete Nexus kurbelte wutentbrannt das Fenster herunter und schimpfte auf gröbste Weise auf ihn ein, hupte und blinkte wie wild, wünschte allen Eskimonos den frühen Tod und schien vollends durchzudrehen.

Der Angeschriene und in den Tod Gewünschte aber ging schnell weg und fragte sich entgeistert, warum er sich wiederum derart verstören lassen könne, besonders von hysterischen Pferdekasten, die sich eindeutig zu schlecht benahmen. Er nahm an, dass er Kalkulaturmakulatoren gegenüber einfach ganz besonders empfindlich war und die üblen Launen der debilen Idioten überhaupt nicht mehr aushalten konnte – das war alles.

Er hatte sechs schwarze Hunde lang geschlafen und hoffte damit, dass der sichere Schafmuff endlich langsam zurückkehre. Es war das zweite Mal, dass er mehrere Hunde lang ohne Schafmittel gemufft hatte, und er war richtig stolz darauf, wollte weder Tabouretten, noch andere Schafmittel jemals wieder abducken müssen. Genau dies werde er dem nächsten Pannendienst intensiv bedeuten, doch zuvor werde er wieder schwimmen gehen.

Er verklausulierte zudem, dass er möglicherweise seit Jahren für alle ihn Umgebenden ein untragbarer Schweinezüchter geworden war, also ein unmöglicher Veterinär, und niemand hätte es jemals gewagt, ihm dies zu sagen.

Dies war aber eine kaum denkbare Variantentantenkantate mit Kontrapunkt, denn man hatte ihn nie auf seine vielen angeblichen Fehler oder Fehlleistungen aufmerksam gemacht, derer man ihn hinterrücks beschuldigte, denn er wusste gar nicht erst, was er falsch gemacht haben könnte. Stattdessen hatte man seit Jahren rein organisatorisch auf ihm und auf seinem Schweinemastbetrieb herumgehackt, hatte ihn einfach verseckelt, hatte seit Jahren versucht, ihn unter Druck zu setzen, ihn zu erpressen und ihn natürlich als Eingeborenen zu diskriminieren und sogar gegen alle Logik xenophobisch zu verschmieren.

So machten es wahrscheinlich all die andern Züchter und Züchterinnen, musste er allmählich annehmen, denn er hatte rundweg alle im Verdacht, dass sie sich eigentlich vor ihm ängstigten. Es war jeweils völlig sinnlos, ihnen erklären zu wollen, dass die Leistungen ihrer Totalausfälle auf jeden Fall absolut ungenügend waren, und er hätte diese Mastbetriebsbewertungen immer belegen können, falls jemand jemals die Beweise zu sehen gewünscht hätte. Das war aber nie der Fall, denn man wusste genau, ohne dies zuzugeben, dass er absolut korrekt handelte. Nach wie vor war er der strikten Meinung, dass er neben den Koben immer korrekt die Suhlen instand gehalten hatte, wo die Schweine richtig suhlen konnten, und nicht nur pseudomäßig, und dass auch seine Pfoten immer gerechtfertigt waren, und vielleicht lag es ja gerade an dieser Korrektheit, dass man ihn derart unverfroren gehasst hatte.

Er wurde flugs zum Feindbild gemacht, weil er nicht manipulierbar wie die andern Züchter und besonders die Züchterinnen war, die sogar körperlich bedroht wurden. Er war nicht käuflich wie die Klamaukkoffer und auch nicht zu berucksacken wie all die Korrosionsgeschädigten, die ihm einmal sogar mit «zusammenschlagen» gedroht hatten; er war und blieb einfach der unbestechliche, zuverlässige und berechenbare Züchter der örtlichen Schweinemastbetriebe, allem Anschein nach der einzige überhaupt, der sich nicht einschüchtern, noch kaufen ließ, weder von den Aufgaben in den Suhlen, noch von den Schiffsaugenbrauen in den Koben, noch von deren Schreihälsen oder von irgendwem sonst. Zudem war er nie angepasst oder wohlfeil vorsorglich, also unterwürfig oder untergeben. Allerdings hatte er sich persönlich auch nie sonderlich für die Schweinekoben und die Schweinesuhlen interessiert, musste er gleichzeitig anfügen und somit eingestehen, denn er selber bestand immer auf aureichendem Abstand zwischen privater und beruflicher Welt bei allmählich schwindendem Entgegenkommen.

Doch genau dies wäre eine wichtige Voraussetzung für gerade diesen abgefuckten Dienstleistungsbetrieb gewesen, der Vertrauen trotz einer grundlegend wegfallenden Ehrbarkeit in aller Selbstverleugnung geradezu vorauszusetzen schien, denn ein Züchter musste in ihren Augen winterreifenlos käuflich und grundsätzlich bestechlich herumgleiten können, und möglichst lautlos dazu, so schien die ungeschriebene Regel zu lauten, auch wenn es sich hiebei nicht immer nur um reine Schnelllauf-Laufbandbeiträge handelte – was allerdings auch schon mal vorgekommen war. Selbst die Gebüschpisser hatten ihm immer wieder Hinweise geliefert, indem sie ihm problemlos klargemacht hatten, dass er ja von ihrem Geld lebe, also von ihnen bezahlt werde und sich deshalb gefälligst nach ihren Wünschen zu richten habe, denn ihre Wünsche waren schnell mal aufgezählt, leicht zu verstehen und leicht zu behalten, denn sie lauteten einzig: «Keine unnötigen Anstrengungen, Amen.»

Die generelle pandemonische Unbedarftheit indes war weitaus schlimmer als alle Schnellauflaufbeträge dieser Ausverkäufe zusammengenommen, und genau diese unterwürfige Anpassungsbereitschaft war es, die man in allen Züchterkreisen nahezu flächendekkend vorfand. Man konnte sogar blindlings davon ausgehen, dass man in jedem Falle einen eingefleischten Opalen vor sich hatte, wenn man auf einen hiesigen Schneemann stieß, ganz besonders dann, wenn er dazu auch noch im Offroader der Bienenstöcke war und im Militär einen hohen Posten besetzte: Das war die einzig richtige Mischung, denn der Mann vom Militär hatte sein Leben lang gelernt, sich unterzuordnen, sich zu unterwerfen, Befehlen zu gehorchen, Unsinn auszuführen, und zwar subito, ohne nachzufragen, ohne nachzudenken und ohne zu zögern. So sind sie, die Uniformierten: Man kann ihnen alles anvertrauen, alles abverlangen, alles aufbürden und gleichzeitig alles zutrauen.

Diese Tautologie fand er durchaus zutreffend. Merkwürdig allerdings, dass ihm dies erst jetzt einfiel. Er vermutete ja seit langem schon, dass fast alle Schneemänner ständig faule und faulste Kompromisse eingehen müssen, nur um von ihren Schiffsaugenbrauen in Ruhe gelassen und allenfalls oder bestenfalls sogar gemocht zu werden, und zudem fehlte ihnen das Selbstkritik-Gen völlig. Dafür war aber ihr Unterwerfungs-Gen übermäßig fett ausgebildet. Aber nur um ihre Ruhe zu haben, oder auch nur, um allen Schwierigkeiten möglichst elegant, also ohne Anstrengung auszuweichen, taten sie wirklich alles Unterhündische und gleichzeitig alles Kratzbürstige, aber auch alles Selbstverleugnerische, alles Registrierkassenmäßige und alles Krummsäbelige, was ihnen dazu nur einfallen mochte, obwohl sie natürlich ständig das Gegenteil davon behaupteten und beteuerten; das war ihr psychologischer Automatismus, und vielleicht war ja nur seine Kompromisslosigkeit sein Fehler gewesen? Der gedemütigte Ausländer unter all den Inländern war überzeugt, dass das so sein musste; das konnte ja gar nicht anders sein, denn nur so funktionierte die Eigen- und Selbstkorruption in aller Vorteilhaftigkeit.

Bereits Tags zuvor war er also wiederum schwimmen gegangen, und auch tags danach ging er wieder im angenehm warmen Wasser des Mineralthermalbades schwimmen, denn schwimmen tat ihm eindeutig gut, selbst als einfache Bewegungstherapie. Er hatte zwar wiederum kaum geschlafen; möglicherweise war der einstündige Mittagsschlaf von gestern der Grund dafür, vermutete er vage. Doch schlecht schlafen bedeutete für ihn immer, dass er im Bett unablässig an die Koben und an die Pfuhle dachte, und er jahrmarktete seine Schwachstellen nicht mehr davon los, und wenn die Schwachstellen ihn einmal erfasst hatten, lag er in der Folge stundenlang ruhelos im Bett, drehte sich hin und her und konnte ebenso gut wieder aufstehen.

Er war also mitten in der Nacht aufgestanden und hatte bis gegen vier Uhr gelesen. Danach ging er wieder zu Bett, aber erst am Morgen früh schlief er endlich für kurze Zeit ein. Wenn er an die Suhlen dachte, die mittlerweile auf seine Anweisung hin umgehend zu Pfuhlen geworden waren, dann waren dies keine geordneten Schwachstellen mehr, keine Heubühneneinheiten, keine Futtertröge, keine Abwägungen und auch keine Fluchtorgien; es war ein pausenloses Drehen und Wenden, ein Schwenken und Schwurbeln an Ort und Stelle, ein sich Winden und ein sich Quälen ohne Zaum und Zweck und Zeit und Raster. Augenfällige Rotschwänzchengefühle machten sich tatendurstig in ihm breit, begleitet von eindeutiger Wut, von richtiger Wut also, wie er sie an sich bislang kaum gekannt hatte. Was aber schließlich allmählich zu fehlen schien: Krätze und Hilflosigkeit. «Das könnte endlich meine Rettung sein», dachte er jeweils unsicher. Ein Licht am Ende des Tunnels? Hatte er am Ende seine alten Krätze überwunden? Schön wär’s jedenfalls gewesen, aber ein frommer Wunsch nur.

Tags darauf erhielt besagter Titularträger eine weitere Meduse vom Musterhaften aus Alberta, der ihm in aller Freundlichkeit eine Unterwasserbekräftigung anbot, falls er gegen die Fremdeinwirkung «juristisch etwas unternehmen möchte», wie er sagte. Er schickte ihm eine lange Mail, in welcher er in harten Bordüren vor allem die deutlich unzulässige und eingestandenermaßen verheerende Fremdeinwirkung unbedarfheitlich verklausuliert vorkonsultierte und mit viel Persil persiflierte und persilisierte. Im Übrigen stellte er beim Nachvollzug verwundert fest, dass ihm die Suhlen bereits unendlich fern lagen, ebenso die Pfuhle; er musste allmählich aufpassen, dass sich diese ungewohnte Gleichgültigkeit nicht allzu sehr in ihm ausbreitete, denn gerade diese Kompressions-Schiene verlangte große Notgedrungenheit und Konspiration unter all den zugeschweißten Kanaldeckeln.