Der blaue Gorilla - Alexander Schüssler - E-Book

Der blaue Gorilla E-Book

alexander schüssler

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Beschreibung

Der junge Texter Fritz ist klamm und nimmt jeden Job, den er kriegen kann. Auch einen wie die Penispumpenkampagne. Mit seinem Vater als Model. (Un-) angenehmer Nebeneffekt: Seine Kundin, die hübsche Trixi Stroh, hat es auf Fritz abgesehen. Anne aber auch. Sie rettet Fritz vor dem finanziellen Ruin und verschafft ihm einen Job bei einer Frankfurter Werbeagentur. Dort erfindet Fritz den blauen Gorilla, mit dem sein chinesischer Kunde Kindern Kreditkarten andrehen will. Glück im Job, Stress in der Liebe: Seine Eskapaden mit Trixi machen Anne furchtbar eifersüchtig. Als Spezialist für große Werbegesten macht Fritz Anne deshalb einen Heiratsantrag. Natürlich nur pro forma, quasi zur Deeskalation. Leider nimmt Anne den Antrag an. Der Ausflug zum Junggesellenabschied endet im Desaster und Fritz in der Gefängniszelle. Über die Hochzeit wollen wir gar nicht erst reden. Und seine beiden geschwätzigen Gehirnhälften machen alles nur noch schlimmer.

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Für euch

Inhalt

1 Stroh-Feuer.

2 Fahrt ins Glück.

3 Hugos Welt.

4 Superstress.

5 The big sorry.

6 Ab nach Shangri-La!

7 Zurück im Leben.

8 Leichte Geburt.

9 Gewonnen!

10 A gorilla is born.

11 Trixi unchained.

12 Unter Palmen.

13 In der Höhle des Gorillas.

14 Down and out in Sachsenhausen.

15 Pumpe on air.

16 Es lebe der Spot!

17 The future is golden.

18 Es wird ernst.

19 Um Kopf und Kragen.

20 Hochzeitsfantasien.

21 Neuigkeiten.

22 Noch mehr Neuigkeiten.

23 Watt mutt, dat mutt.

24 Bachelorprüfung.

25 Just in time.

26 Brautsuche.

27 Strandgut.

1 Stroh-Feuer.

Trixis Blick fährt mir bis in den Schritt. Es ist unser erstes Treffen seit der Firmenfeier von StrohCom vor einer Woche. Die Firmenfeier, auf der sie mich verführt hat. Tauche nie deinen Füller in Firmentinte, hat ja schon Stromberg gesagt. Aber was will man machen? Andererseits könnte es schlechter laufen. Denn Trixi Stroh ist die Tochter des Agenturinhabers und meine Kundin. Und wir sind mitten in einem Geschäftstermin.

„Also, der Text ist mir zu frech“ , sagt Trixi, während ihre Finger Ballett auf der Tischplatte tanzen. „Das muss verbindlicher, und an die Headlines solltest du vielleicht auch nochmal ran, Fritz. Ich weiß nicht, ob Anglizismen zu dem Thema passen. Wir reden hier über ein deutsches, medizinisches Produkt, da sollte man auch ernsthaft und auf deutsch kommunizieren.“

Wir reden über die Penispumpe, meinen aktuellen Job. Und natürlich ist eine Penispumpe ein medizinisches Hilfsmittel, das man mit der gebotenen Ernsthaftigkeit bewerben sollte. Wobei ich mich frage, wozu man im Zeitalter von Viagra noch Penispumpen braucht. Aber mal ehrlich, Leute: Penispumpen! Da poppen doch sofort alle möglichen zotigen Assoziationen auf, bevor man überhaupt einen ernsthaften Konzeptgedanken fassen kann! Man will ja auch noch ein bisschen Spaß bei der Arbeit haben. Also versucht man, die Grenzen beim Kunden auszuloten. In diesem Fall hatte mich unser nächtliches Tête-à-Tête inspiriert.

„PUMP IT UP hat dir nicht gefallen?“ frage ich.

„Fritz …“ Trixi lächelt mich verknallt an. „Wir müssen die Zielgruppe berücksichtigen. Für die lösen wir mit der … Penispumpe ein echtes Problem. Darüber sollte man sich nicht lustig machen.“

„Na ja, ich beschreibe ja eigentlich nur den Prozess“, sage ich.

Trixi schaut mich lange an. „PUMP IT UP, Fritz – das geht nicht. Echt nicht.“

Die verschlingt dich ja mit Blicken kabelt Eddy. Klar. Die Merkmale eines Geschäftstermin zerbröseln mehr und mehr. Eddy, meine rechte Gehirnhälfte, ist in ihrem Element und schießt mir sofort ein Bild rüber. Ich sehe Trixi mit ihrem Alabasterkörper splitternackt auf mich zukommen, während ich mir den Zylinder der Unterdruckpumpe über mein edelstes Teil stülpe und hektisch den Gummibalg zusammenquetsche. Eine in diesem Augenblick vollkommen unpassende Vorstellung. So, wie die dich eben angesehen hat … schiebt der Eddy nach, da könnte heute noch was laufen.

„Quatsch“, antworte ich und beiße mir sofort auf die Zunge, weil ich doch nicht mit meinen Gehirnhälften in der Öffentlichkeit reden will. Aber Trixi hat nichts gemerkt.

„Außerdem sind die Allermeisten ja schon älter“, fährt sie leise fort, „und da ist Englisch einfach ein Problem. Verstehst du?“

Die letzten beiden Worte hat sie beinahe gehaucht, und eigentlich hätte sie mit „Schatz“ enden müssen. Es wird ernst.

Als freier Texter muss man nehmen, was kommt, und man muss beim Geben von Widerworten vorsichtig sein. Allzu schnell ist der kostbare Geldgeber vergrault. StrohCom ist ein fetter Fisch. Und gerade jetzt mein einziger Auftraggeber, auch wenn es hier um einen scheiß Penispumpenjob geht, den ich mir weiß Gott nicht ausgesucht habe. Der allerdings sehr gut bezahlt wird. Mit Trixi darf ich es mir nicht verderben, auch wenn ich PUMP IT UP noch immer ziemlich geil finde. Ich muss nur irgendwie versuchen, die Distanz zu wahren. Denn ehrlich gesagt war die Verführung letzte Woche echt ein Ausrutscher. Trixi ist überhaupt nicht mein Typ.

Also sage ich betont sachlich: „Klar Trixi, da schleif ich nochmal drüber. Kriegen wir hin. Wann brauchst du den Kram?“

„Bis übermorgen reicht“, antwortet Trixi und öffnet ihre Schreibtischschublade. Sie holt eine pinkfarbene, längliche Schachtel heraus.

„Ich hab dir nochmal ein Anschauungsobjekt mitgebracht, das hilft dir vielleicht … also beim Texten, meine ich.“ Sie streicht über meine Hand und sieht mich hungrig an. „Du kannst mir den Text auch gern persönlich vorbeibringen, bei mir zu Hause. Wir könnten …“

„Ähm, gute Idee, aber ich muss mein Auto morgen in die Werkstatt bringen“, lüge ich, „da bin ich für den Rest der Woche ans Büro gefesselt.

Trixi sieht enttäuscht aus. „War schön, letztes Mal,“ sagt sie.

„Ja, total“, antworte ich lahm. Ich muss aus der Sache rauskommen. „Du, ich hab noch einen Termin …“

„Schon klar, aber trotzdem schade“, sagt Trixi, und dann Themawechsel, ganz unvermittelt: „Wir wollen ehrliche Werbung machen, Fritz. Ehrliche Werbung für ein ehrliches Produkt.“

Das kommentiere ich jetzt mal besser nicht.

Wir könnten ja nochmal im Blech vorbeischauen, ist schon nach sechs meint Eddy. Das Gewebe hat Recht. Warum nicht? Ich dirigiere meinen alten Mercedes durch Aschaffenburg. Der V8 spotzt und pröttelt, weil er nur auf sechs Töpfen läuft. Wenn StrohCom bezahlt hat, muss ich das unbedingt machen lassen. Ich werfe einen Blick auf die Penispumpenschachtel neben mir auf dem Sitz. Die pinke Packung leuchtet mir entgegen.

Die Stroh hat Recht meldet sich Meier, Eddys Kollege auf der linken Seite, wir müssen das Wording an die Zielgruppe anpassen. Die allermeisten sind ja schon älter. Deshalb müssen wir es ganz simpel darstellen. So was wie: Mit dem Teil kann jeder seine Erektionsprobleme beheben. Weil, das ist so einfach zu bedienen, dass das auch ein Demenzkranker hinbekommt – na ja, der wohl eher nicht, aber egal. Tatsache ist doch, dass der User jetzt wieder seinen Mann stehen kann, und …

Weiter kommt Meier nicht, weil Eddy in diesem Augenblick einen Geistesblitz abfeuert.

Hektisch parke ich direkt vor dem Halteverbotsschild gegenüber dem Blech. Vergesslich wie ich bin, muss ich mir den Spruch unbedingt aufschreiben. Dann ist er aus dem Kopf, und ich kann mich auf den Abend konzentrieren. Die drei Stufen zum Eingang nehme ich auf einmal und stürme in den Laden. Ich bin der einzige Gast.

„Hi Karl“, rufe ich und blocke seine Begrüßungsversuche ab, „gib mir zuallererst mal schnell einen Stift und ’nen Zettel.“

Verwundert schiebt Karl mir die Schreibwaren rüber, damit ich endlich meinen Gedanken aufs Papier bringen kann:

STEH DEINEN MANN!

Karl liest mit und fragt mich: „Ist das ’ne Botschaft für mich, oder was?“

„Nee, für ’ne Penispumpe“, antworte ich und merke sofort, dass das ein Fehler war.

„Penispumpe!“ brüllt Karl und prustet los. „Ist nicht dein Ernst! Mein Gott, du bist dir ja für nix zu schade!“

Und noch jemand lacht. Erst jetzt bemerke ich das Mädchen, das hinter der Theke steht. „Ach ja“, schnauft Karl zwischen zwei Lachern, „das ist Anne, die hilft mir heute mal. Anne, das ist Fritz.“

Wow! Als ich Anne realisiere, ist mein Kehlkopf plötzlich irgendwie außer Betrieb und fühlt sich an wie ein ausgetrockneter Pfirsichkern. Gleichzeitig plumpst mein Herz auf den Magen und wird von dort schuppdiwupp wieder in seine ursprüngliche biologische Position zurückkatapultiert. Ich bin offenbar nicht mehr ganz Herr der Lage und halte mich mal vorsichtshalber an der Theke fest.

Goddamnfuckin’! höre ich Eddy keuchen, ich glaub´, ich brauch ´nen Schnaps!

Kein Wunder: Annes Gesicht ist eine echte Augenweide. Mit Betonung auf Augen. Sie sind so wasserblau, dass ich spontan an Wick Blau-Bonbons denken muss. Aber nicht wegen der Kälte! insistiert Meier, und ja: Diese Augenfarbe ist nicht kalt, sondern das Erfrischendste, was ich seit langem gesehen habe. Geigen erklingen. Die schaut dich im Hochsommer nur an, und du hörst auf zu schwitzen schwärmt Eddy. Annes Augen sind wie aus einem Kontaktlinsenprospekt. Eine Augenbank würde sich die Finger danach lecken.

„Alles ok?“ fragt Karl belustigt. Scheinbar sehe ich ziemlich doof aus, so mit halboffenem Mund, wie ich jetzt bemerke. Langsam werde ich wieder cooler. Ich zünde mir mit zitternden Fingern eine Zigarette an und versuche zu verstehen, was Karl mir gerade erzählt. Endlich stellt er mir mein Bier hin. Ich nehme einen kräftigen Schluck und decke Anne im Schutz des Glases mit Blicken zu. Der Rest von ihr ist auch durchaus präsentabel. Aber die Augen und das Gesicht haben schon einen ziemlichen Vorsprung. Anne hat verdammt gute Chancen, die Entdeckung der letzten fünf Jahre zu werden.

Ich muss mit Anne ins Gespräch kommen, und es wird Zeit, dass sich meine beiden Gehirnhälften etwas einfallen lassen. Wie wär’s mit Beruferaten? Geht immer.

Doch Anne kommt mir zuvor. „Penispumpen“, sagt sie. „Bist du Vertreter? Oder brauchst du die selber?“

Sie lacht mich an und strahlt. Besser kann’s nicht laufen! jauchzt Eddy.

„Nee, ich bin Texter“, antworte ich und lege dabei ein möglichst verschmitztes Pinocchio–Grinsen auf. „Muss ’ne Kampagne machen und grade eben ist mir der Claim eingefallen.“

Junge, lass mal das Fachchinesisch ranzt mich der Meier an, die Dame hat doch keine Ahnung von der Materie! Da hat er Recht.

„Sorry, das kannst du ja nicht wissen. Also eine Kampagne, das sind die Maßnahmen …“

„Schon ok“, unterbricht mich Anne, „ich bin auch aus der Branche.“

Das läuft ja immer besser. Jetzt bin ich natürlich ehrlich interessiert.

„Und was machst du so?“ Die Standardfrage.

„Kundenbetreuung in einer Frankfurter Agentur. Neppsteiner und Partner heißen die.“

Da könnte man ja das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.

„Neppsteiner und Partner, aha“, sage ich so interessiert wie möglich. Von dem Laden hab ich noch nie gehört.

„Ist doch egal, in welcher Agentur man arbeitet.“, antwortet Anne, „das Ziel ist doch immer das gleiche bei uns: Leute verarschen.“

Höre ich da zarte Kritik an der Werbebranche? Klar, als Werbefuzzi steht man nicht gerade an der Spitze der Beliebtheitsskala, aber eine gewisse Berufsehre habe ich mir erhalten. Obwohl mir natürlich klar ist, dass 99,9 Prozent von dem Zeug , das ich schreibe, nie gelesen wird. Wobei, Schweinebauchanzeigen – das sind die Blättchen mit den Sonderangeboten – werden ja gelesen. Ja, und auch das muss irgendein armes Schwein texten. Zarter Rinderbraten, frisch von der Keule: fünfneunundneunzig. Für Geld macht unsereiner echt alles.

„Willst du noch ‘n Bier?“ reißt mich Anne aus meinen Gedanken.

„Wie?“

„Ob du noch ein Bier willst?“

Wie sie strahlt! Ihre Augen kitzeln meinen Magen. Das Mädel scheint sich ja wirklich für mich zu interessieren. Na ja, du bist auch der einzige Gast dämpft Meier meine Euphorie.

„Klar will ich noch´n Bier,“ antworte ich, vielleicht eine Idee zu überschwänglich. So langsam komme ich in Fahrt. „Und, wie läuft’s so bei Neppsteiners?“

Da kommt Karl wieder in den Laden. Er haut mir auf die Schulter, als sähe er mich heute zum ersten Mal. Klar: Karl hat sich im Kuckuck diverse Schnäpse genehmigt und ist sternhagelvoll. Er hängt sich an meine Schulter und brüllt mich an:

„Was machen die Frauen? Irgendwelche Neuigkeiten?“

Dieses Arschloch. Mir ist die Sache unheimlich peinlich. Den braunen Tequila, den Karl mir ausgibt, stürze ich runter und beiße in die Orangenscheibe, bevor es anfängt zu brennen. Meine Gedanken kreisen um Anne wie die Motten ums Licht.

„Du hast ja ‘n geilen Wagen“, sagt Anne plötzlich. „Ich mag so alte Dinger“.

Wow, Volltreffer! Eddy und Meier machen eine Flasche Sekt auf. Anne hat sich von allen denkbaren Gesprächsthemen das beste ausgesucht. Auf meinen Benz bin ich mächtig stolz.

„Ist´n einundsiebziger Benz mit sechskommadrei-Liter-Maschine,“ sage ich so cool wie möglich, um zu verbergen, wie geschmeichelt ich bin. „Hab‘ ich erst seit vier Wochen angemeldet. Vorher bloß dran rumgeschraubt. Letzte Woche hab‘ ich die schwarzen Lederpolster bekommen. Scharfe Sache.“

Klar, weil sie nach ‘ner Nummer abwaschbar sind. Und weil die Schamhaare auf schwarzem Leder nicht so auffallenfeixt Meier. Er muss einfach immer seinen Senf dazugeben, vor allem, was mein Auto betrifft. Denn als rational denkendes Gewebe war Meier immer gegen den Mercedes gewesen.

„Wenn du willst, können wir ja nachher mal ´ne Runde drehen“, höre ich mich zu meiner Überraschung sagen – vermutlich hat Eddy wieder mal das Sprachzentrum manipuliert. Meier ist regelrecht schockiert: Mit ´nem dicken Benz Frauen anmachen, wie primitiv. Das ist doch gar nicht deine Art. Außerdem bist du jetzt schon besoffen! Aber Eddy jubelt. Genial, das ist ja wie im Film!

Doch Anne setzt noch einen drauf. „Du kannst mich ja später nach Hause fahren. Wenn du noch fahren kannst.“

Das kann doch unmöglich so glatt gehen! Ich schaue so unauffällig wie möglich auf meine Uhr: Fünf vor zehn – noch drei Stunden bis Buffalo! Doch Karl zeigt sich unerwartet kulant. Der Laden ist noch immer fast leer, und die paar Nasen, die inzwischen im hinteren Teil der Kneipe sitzen, sind von der genügsamen Sorte. Außerdem ist Karl nicht entgangen, dass sich zwischen uns einiges anbahnt.

Ich stehe von dem Barhocker auf und merke erst jetzt, dass ich offenbar doch breiter bin, als ich dachte. Mein Schwerpunkt scheint sich in den Füßen zu befinden und nietet mich am Boden fest. Okay, umfallen kann ich schon mal nicht. Außerdem habe ich ja noch einen halbwegs klaren Kopf.

„Kannst du eigentlich noch fahren?“ fragt mich Anne, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

Um zu beweisen, wie fit ich noch bin, springe ich die drei Stufen zur Straße mit einem Satz hinunter.

Die Landung verläuft planmäßig glatt, lediglich mit den Armen muss ich ein bißchen ausbalancieren.

„Du solltest Skispringer werden.“

2 Fahrt ins Glück.

Kühle Nachtluft tut mir normalerweise unheimlich gut, ich liebe sie. Doch jetzt und hier bewirkt sie einen Sauerstoffschock, der meine Alkoholisierung ordentlich beschleunigt, gefühlt jedenfalls. Ich fische meinen Schlüssel aus der Tasche und visiere das Türschloss an. Ich wette, er trifft nicht ätzt Meier. Tatsächlich geling es mir nicht auf Anhieb, den Schlüssel einzuführen. Ich kreise mein Ziel ein, indem ich mit der Schlüsselspitze über den taufrischen, stahlblauen Metalliclack kratze. Jetzt weiß ich, warum sich Funkschlüssel durchgesetzt haben. Scheiß drauf, ärgern kann ich mich auch morgen noch. Harald macht mir bestimmt einen Sonderpreis für die Tür. Im Moment gibt’s jedenfalls Wichtigeres als sich über ein paar VERDAMMTE SCHEISSKRATZER im Lack AUFZUREGEN!!! Nach einer gefühlten Ewigkeit finde ich die Öffnung, und ich ramme den Schlüssel rein. Als ich im Wagen sitze, werfe ich zuerst die Schachtel mit der Penispumpe drin auf den Rücksitz, bevor ich den Türknopf der Beifahrertür hochziehe. Anne lässt sich in den Sitz fallen und füllt den Innenraum meines Autos sofort mit einem standesgemäßen Geruch.

„Ist eigentlich ‘n Achtzylinder,“ sage ich, als ich den Motor anlasse, „läuft aber nur auf sechs Töpfen.“

„Achtzylinder find ich irgendwie sauerotisch“, haucht sie.

Ihre Tonlage erregt mich bis in die Fußspitzen und ich liebkose das Gaspedal. Wir werden sanft, aber bestimmt in die Sitze gepresst, und ich schwelge in einer verheißungsvollen Duftwolke aus neuen Lederpolstern und Annes Parfum.

„Wo soll‘s denn hingehen, gnädige Frau?“ frage ich mit sonorer Chauffeurstimme.

„Vielleicht solltest du erstmal das Licht einschalten.“

Klar. In dem Moment, als ich den Lichtschalter drehe, entdecke ich zwei Lichtfinger, die am Ende der Straße um die Ecke biegen. Das ist garantiert ein Bullenauto warnt Meier. Ich lenke den schweren Mercedes blitzschnell auf den Gehsteig und stelle den Motor ab.

„Ist nicht so, wie du denkst“, raune ich Anne zu, bevor ich mich zu ihr hinüberbeuge und stürmisch an ihr herumschmuse. Annes weiche Haut und der betäubende Duft ihres Parfums rauben mir beinahe die Besinnung.

Prima eingefädelt! jubelt Eddy, jetzt brauchst du bloß noch den Mund zu öffnen. Na los, beiß ihr in den Hals, schleck‘ sie ab – Mann, die Gelegenheit kommt nie wieder!

Aber als Ehrenmann nutze ich Notsituationen nie zu meinem Vorteil aus. Deshalb schmuse ich nicht richtig, ich tue nur so, damit die Polizei uns für ein Liebespaar hält. Doch Anne, die von meinem Plan ja keinen Schimmer hat, mag nicht so recht mitspielen.

„Hey, bist du noch ganz dicht?“

„Keine Panik“, murmele ich gegen ihren Hals. „Ist wegen der Bullen. Wenn die mich erwischen, ist der Lappen weg.“

„Polizei? Im Taxi?“

Ich gucke aus dem Fenster. Tatsächlich: Das leuchtend gelbe Hütchen auf dem Dach des Autos ist unübersehbar.

„Ja äh … also, das war jetzt aber echt kein Trick …“ Scheiße, wie komme ich da wieder raus? Eddy tobt: Ich kann‘s einfach nicht fassen! Du Riesenarschloch!

Doch Anne lässt ihre Mentholbonbonaugen leuchten und sagt: „Ach, irgendwie war‘s gar nicht so schlecht. Lass es uns nochmal probieren.“

Plötzlich klopft es an die Scheibe. Ich löse mich mühsam von Annes Zunge und blinzele rotäugig nach draußen. Der grelle, punktförmige Lichtstrahl einer Taschenlampe blendet mich. Ich kurbele die Scheibe runter.

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragt der Polizist sarkastisch, während sein Kollege schon mal das Kennzeichen überprüft. Die Bullen sind, so viel ist klar, nicht zum Spaßen aufgelegt. Wahrscheinlich sind sie neidisch. Kein Wunder, bei dem Job. Und den führen die Typen jetzt gnadenlos aus: „Führerscheinundfahrzeuchbabbierebidde“, schnarrt der eine Polizist – Eddy nennt ihn spontan Ludwich – in bestem Polizeifränkisch.

Ich reiche die Dokumente nach draußen. Ludwich studiert sie, während Annes Hand sich in meinen Schoß wühlt. Eine Aktion, die ich momentan reichlich unpassend finde.

„Steichen Sie bidde mal aus,“ befiehlt der Polizist, und ich hieve meinen bierschweren Körper aus dem Auto. Der Boden fühlt sich an, als sei er mit Luftballons gepflastert.

„Verbandkasten, Wanndreiegg“, leiert der Grüne herunter.

Betont locker schlurfe ich zum Kofferraum. Schon auf dem Weg dorthin fällt mir ein, dass der Verbandskasten in meiner Küche liegt.

„Ham Sie was gedrung’n?“ fränkelt der andere Polizist.

„Kaum, ein Bier vielleicht“, antworte ich unverbindlich.

„Und warum lauf‘n Sie dann wie auf Eiern?“

Du hattest erst vor kurzem eine Beinoperation und musst dich noch schonen, diktiert Meier und ich wiederhole brav:

„Ich hatte erst vor kurzem eine Beinoperation und muss mich noch schonen.“

Deshalb ist auch dein Verbandkasten zu Hause, weil da nämlich ‘ne Salbe drin ist, die du brauchst, souffliert meine linke Gehirnhälfte weiter. Ich habe echt Mühe, Meier zu verstehen.

„Deshalb ist auch mein Verbandkasten zu Hause in der Küche, weil da nämlich ‘ne Schwalbe drin ist, die ich brauche.

„So so“ meint der Wachtmeister, „eine Schwalbe.“

„Mein Freund muss starke Schmerzmittel nehmen“, schaltet sich Anne ein, die inzwischen ausgestiegen ist.

Ich bin wie vom Donner gerührt.

„Stagge Schmätzmiddl“, sagt der Polizist, „des wird ja immer besser.“

„Ppparazettamohl“ verbessere ich schnell, „wegen dem Phantomschmerz.“ Davon hab ich irgendwie mal gehört.

„Bassen Sie auf“, erwidert Ludwich „Sie setze sich jetzt schön brav auf den Beifahrersitz, un Ihrre Freundin fährt. Sie könne von Glück rreden, dass mir heut so gut gelaunt sin.“

Das ist ja grade nochmal gutgegangen, stöhnt Eddy.

Wir setzen uns wieder ins Auto. Jetzt gilt’s. Heute Abend schläfst du nicht allein!

Anne gleitet auf den Fahrersitz. Wo schiebt man den Sitz nach vorne?“ fragt sie, aber für mich klingt es wie: Jetzt kannst du ihn reinstecken.

Wie kann man nur so geil sein, meldet sich Meier. Sei froh, dass du heil aus der Sache rausgekommen bist. Und denk dran: Morgen musst du an die Penispumpen-Kampagne ran!

Schnauze Meier. Fritz muss dringend seine Samenblase entleeren. Ich hab’ da vorhin alarmierende Signale erhalten, gibt Eddy zu bedenken.

„Das kann bis zu ‘ner Hodenentzündung gehen, hab’ ich mal gelesen“, murmele ich gedankenverloren.

„Hodenentzündung? Von deinem Sitz?“ Anne guckt mich verständnislos an.

„Neenee, war so’n Gedanke“. Ich muss mich zusammenreißen. Der Gedanke, dass jemand anderes als ich, myself, den Benz fahren sollte, macht mich nicht gerade superglücklich.

„Du weißt schon, dass dieses Auto mir sehr viel bedeutet?“

„Ich pass schon auf“, sagt Anne. „Schließlich hab’ ich meinen Führerschein jetzt schon ein Jahr!“

Der Wagen tut mir jetzt schon leid. Entgegen meinen Erwartungen steuert Anne den schweren Mercedes aber souverän durch die menschenleere Stadt.

Meine Hand ruht auf ihrem rechten Oberschenkel und arbeitet sich langsam zum Sperrgebiet vor. Da macht Anne eine Vollbremsung, dass ich mit dem Kopf voll gegen den Fensterrahmen knalle. Aua.

„Wir sind da“, sagt Anne.

„Ja und jetzt?“ frage ich. Der Crash hat mich wieder total aus dem Konzept gebracht.

„Jetzt geh’n wir Kaffeetrinken“, lacht sie.

„Wo denn, um diese Zeit?“ will ich gerade fragen, aber Eddy geht mich ihn scharf an: Halt die Klappe und geh’ einfach mit. Tu mir den Gefallen, ja, Arschloch?

„Ah, du wohnst hier“, stelle ich reichlich intelligent fest. „Schöne Gegend, ruhig.“ Hoffentlich schreit sie nicht so dabei.

Das Erste, was mir in Annes Wohnung ins Auge fällt, ist das riesige Bett. Das Teil steht mitten im Wohnzimmer und nimmt den halben Raum ein.

„Mein ganzer Stolz“, sagt Anne, „ein Wasserbett. Ich liebe es.“

Aha. Ich habe noch nie auf ‘nem Wasserbett. Mal sehen. Doch zuerst der Kaffee. Anne macht sich an der Kaffeemaschine zu schaffen und ruft über die Schulter: „Mach dir’s bequem, in der Dose auf dem Couchtisch ist was zum Rauchen.“

Ich lange in die Dose und hole die Utensilien raus.

Ein Pariser ist auch dabei. Superfeucht mit Noppen.

Ich zerbrösele das Gras mit den Fingerspitzen, schlitze eine Kippe auf und vermische das Ganze. Dann baue ich einen wunderschönen, kegelförmigen Joint. Fast zu schade, um ihn anzuzünden. Anne kommt rüber, ich reiche ihr das Ding und gebe ihr Feuer.

„Hoffentlich hast du nicht so viel reingetan, das ist nämlich ein echtes Teufelszeug. Genmanipuliert“, krächzt Anne heiser, nachdem sie dreimal gezogen hat.

Tja, das hättest du früher sagen sollen, denk ich mir.

Nichtsdestotrotz ziehe ich kräftig an dem Glimmstengel. „Keine Sorge, ich hab’ nur ‘nen Ladykiller gemacht.“ Entgegen meiner Einlassung bemerke ich schon jetzt, dass ich mal wieder einen Überflieger gebaut habe. Nach drei weiteren Zügen sind Annes Augen nur noch Schlitze, und mein Hinterkopf fühlt sich an, als sei er mit Blei gefüllt.

Treffer, versenkt, bemerkt Meier trocken, in dem Zustand wird’s mit dem Beischlaf nix!

Quatsch, jetzt erst recht! kontert Eddy: Auf zum Angriff! Ich wuchte mich aus dem Sessel und steuere das Sofa gegenüber an, auf dem Anne rumdämmert.

In dem Augenblick, als ich mich zu ihr runterbeuge, passiert es: Sie reicht mir den Joint – und rammt mir das Ding voll in die Nase.

Ein heißer Schmerz durchflutet mein Riechorgan, und meine Hand schnellt reflexartig zu der verbrannten Stelle. Was in dem Moment fatal ist, denn ein Teil der Glut ist in der Nase steckengeblieben und brennt sich nun durch den Druck schmurgelnd in die Schleimhäute. Es riecht nach verschmorten Haaren und verbranntem Fleisch. Baah, tut das WEH! Ich gehe in die Knie und haue mir auf die Nase, um die Glutnester rauszukriegen.

„Oh Gott Fritz, das tut mir ja so leid!“ ruft Anne, die die durch den Schock wieder voll da ist.

„Wo ist dein Klo?“ stöhne ich. Mein Gott, tut das weh! Zum Glück ist Anne nicht eines dieser konfusen Hühner. Sie zieht mich ins Badezimmer, und ich klemme meine angekokelte Nase unter den Wasserhahn.

Das tut gut.

Während das kalte Wasser meine Wunden kühlt, überlege ich, wie ich die Sache wohl meinem Arzt erklären soll. Koksen kannst du erstmal vergessen, höhnt Meier. Da taucht Anne mit einer Handvoll Eiswürfeln auf, und im Handumdrehen hat sie einen kunstvollen Verband gebastelt, der zwei Eiswürfel direkt an meiner Nase fixiert.

„Hey, gut!“ näsele ich, „bist du Krankenschwester oder so was?“

„War ich mal“, erwidert Anne. Dann lacht sie laut los. „Du siehst aus wie ein Schwein!“

Mein Spiegelbild betrachtend, muss ich Anne Recht geben: Meine Nase ist doppelt so groß wie vorher und sieht irgendwie eckig aus. Wie der Riechkolben von einem Schwein. Ich betaste den Verband.

„Hm, sieht echt scheiße aus.“

„Ach was“ lacht Anne. Sie umarmt mich und will mich küssen. Aber der Riesenverband steht erfolgreich im Weg.

„Dann warten wir eben, bis die Eiswürfel getaut sind“, sage ich leichthin und fange an, ungeduldig an Anne herumzufummeln.

„Wie ist das eigentlich auf so ‘nem Wasserbett?“

„Anders“ antwortet Anne, „am besten, wir probieren’s mal aus.“

Heidewitzga! jubelt Eddy, auf geht’s! Aber nicht, dass du wieder vorzeitig ejakulierst wie neulich! mahnt Meier.

„Nee, nee“, erwidere ich.

„Ooch, wir können’s auch lassen.“ Anne scheint beleidigt zu sein.

Mist, wieder nicht aufgepasst! Nicht! Mit! Den!

Hirnhälften! Reden!

„Nein, ich meinte, äh, das ist kein Problem.“

„Wie, kein Problem? Hast du sonst Probleme damit?“ Anne schaut mich plötzlich sehr neugierig an.

Mann, Mann, Mann. „Man kann Dinge auch totreden“ antworte ich sybillinisch und ziehe Anne aufs Bett.

Echt ungewohnt, dieser Wellengang. Wir starten durch, als sei das Wasserbett die Titanic kurz vor dem Untergang. Aber trotzdem: Irgendwie kann ich mich nicht so richtig gehen lassen. Ich muss an meinen ersten und letzten Segelurlaub denken, als ich zweiundzwanzig Stunden lang gekotzt hatte. In eine Tüte, die an beiden Seiten offen war. Insofern kenne ich das Gefühl, wenn es losgeht, und dieses Gefühl schleicht sich jetzt in meinen Magen.

Und gerade als Anne meine Hose öffnet und mir den Superfeuchtpariser aus der Shitdose überziehen will, muss ich kotzen.

„Sorry!“

Ich stürze ins Badezimmer und reihere auf den Klodeckel. Alles voll, Scheiße.

Genau stellt Meier nüchtern fest. Du hast es tatsächlich schon wieder verbockt. Du Versager.

Glücklicherweise hatte ich in den letzten Stunden wenig gegessen, so dass mein Mageninhalt eher von der flüssigen Sorte ist. Was wiederum den Nachteil hat, dass sich die Soße jetzt großflächig über den Fliesenboden verteilt.

Ich bin nicht der Typ, der sich aus unangenehmen Situationen stiehlt. Also zurück ins Wohnzimmer.

„Ähm, wo hast’n deine Putzsachen?“

Anne räkelt sich splitternackt auf dem Bett und hat sich eine Zigarette angesteckt.

Als Antwort ernte ich einen Lachanfall. Ich schaue an mir herunter und bemerke, dass der Superfeuchtpariser noch an meinem Pimmel hängt. Allerdings zeigt der jetzt traurig nach unten. Vielleicht solltest du nach unten und die Penispumpe holen, rät Meier sarkastisch. Und weil die Eiswürfel am Tauen sind, baumelt mein Nasenverband wie ein schlaffer Hodensack im Gesicht herum. Sieht wahrscheinlich ziemlich blöd aus.

Doch Anne scheint hart im Nehmen zu sein. Sie schmeißt die Bettdecke auf den Boden und sagt: „Das kriegen wir hin.“