Der Brand der Cheopspyramide - Hans Dominik - E-Book

Der Brand der Cheopspyramide E-Book

Hans Dominik

0,0

Beschreibung

Die Zukunft: Drei islamische Reiche bedrohen Europa. Die einzige Hoffnung ist eine Erfindung des Magnaten und Erfinders Elias Montgomery. Diese soll endlich die Atomenergie entfesseln können. Doch die Anleitung nahm der Erfinder mit ins Grab. Und schließlich wird sein Apparat auch noch gestohlen. Bereits 1925, zwanzig Jahre vor Hiroshima, wagte der Autor einen visionären Ausblick auf die Gewalt, die politischen Auswirkungen und den Schrecken der Atomwaffen. "Es war ein Paradoxon stärkster Art. Da stand der Apparat, und keiner Hand war es gegeben, ihn zu bedienen. Es schien der letzte Trumpf dieses ironischen Spötters und Menschenverächters zu sein, daß er der Welt sein Werk unversehrt hinterließ, und daß es doch ebenso war, als hätte er es vor seinem Tode vernichtet." Hinweis für den Leser: Die Unterschiede des Originaltextes zu den zensierten Nachkriegsveröffentlichungen sind kommentiert. Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 379

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hans Dominik

Der Brand der Cheopspyramide

Kommentierte Originalfassung

Hans Dominik

Der Brand der Cheopspyramide

Kommentierte Originalfassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-954186-70-9

null-papier.de/332

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Der Au­tor

Zum Buch

Hin­weis für den Le­ser

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

61

62

63

64

65

66

67

68

69

70

71

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Der Autor

Hans Do­mi­nik war der Pio­ni­er des uto­pi­schen Ro­mans in Deutsch­land und ei­ner der er­folg­reichs­ten deut­schen Po­pu­lär­schrift­stel­ler des 20. Jahr­hun­derts. Er wur­de 1872 in Zwickau ge­bo­ren und starb 1945 wäh­rend des Kriegs­en­des in Ber­lin. Ne­ben Science-Fic­ti­on hat Do­mi­nik auch Sach­bü­cher und Ar­ti­kel mit tech­nisch-wis­sen­schaft­li­chen In­hal­ten ver­fasst.

Sei­ne Ju­gend­jah­re wie auch den größ­ten Teil sei­nes Le­bens ver­brach­te er in Ber­lin. Am Gym­na­si­um in Go­tha be­geg­ne­te er dem Leh­rer Kurd Laß­witz (null-pa­pier.de/au­t­hor/kurd-lass­witz/), selbst ein frü­her Ver­fas­ser uto­pi­scher Ro­ma­ne. Man kann da­von aus­ge­hen, dass die­se Be­geg­nung nicht ohne Ein­fluss auf Do­mi­nik und sein spä­te­res Werk blieb.

Ab 1893 stu­dier­te Hans Do­mi­nik an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Ber­lin Ma­schi­nen­bau und Ei­sen­bahn­tech­nik. Spä­ter war er für meh­re­re Un­ter­neh­men im Be­reich der Gro­ß­in­dus­trie und des Berg­baus tä­tig, u.a. auch für Sie­mens.

Nach 1901 mach­te er sich als Fach­au­tor selb­stän­dig. Für Auf­trag­ge­ber aus der In­dus­trie ver­fass­te er Wer­be­bro­schü­ren und Pro­spek­te. Sei­ne Lei­den­schaft galt aber der auf­kom­men­den Science-Fic­ti­on Li­te­ra­tur oder bes­ser den „tech­ni­schen Aben­teu­er­ro­ma­nen“, wie die­se in Deutsch­land noch ge­nannt wur­den. Do­mi­nik war auch ab­seits der Li­te­ra­tur sehr um­trie­big, er grün­de­te ein Un­ter­neh­men und er­hielt meh­re­re Pa­ten­te auf dem Ge­biet der Au­to­mo­bil­tech­no­lo­gie.

Sein ers­ter uto­pi­scher Ro­man „Die Macht der Drei“ er­schi­en 1922 als Fort­set­zungs­ge­schich­te und wur­de kurz dar­auf als Buch ver­öf­fent­licht. Ab 1924 wid­me­te sich Do­mi­nik ganz der Schrift­stel­le­rei, in Jah­res­ab­stän­den er­schie­nen wei­te­re Ro­ma­ne.

Ne­ben den rei­nen Aben­teu­er­ge­schich­ten für eine er­wach­se­ne Le­ser­schaft ver­öf­fent­lich­te er auch die (im­mer noch sehr stark vom tech­ni­schen Fort­schritt ein­ge­färb­ten) Ju­gend­ge­schich­ten um den Auf­stieg des John Work­man vom Zei­tungs­jun­gen zum Mil­lio­när: „John Work­mann, der Zei­tungs­boy“ (1925).

Die wich­tigs­ten Wer­ke:

Die Macht der Drei, 1921

Die Spur des Dschin­gis-Khan, 1923

At­lan­tis, 1924/25

Der Brand der Che­ops­py­ra­mi­de, 1925/26

Das Erbe der Ura­ni­den, 1926/27

Kö­nig Lau­r­ins Man­tel (Al­ter­na­tiv­ti­tel: Un­sicht­ba­re Kräf­te), 1928

Kaut­schuk, 1929/30

Be­fehl aus dem Dun­kel, 1932/33

Der Wett­flug der Na­tio­nen. Prof.-Eg­gerth-Se­rie. Teil 1, 1932/33

Ein Stern fiel vom Him­mel. Prof.-Eg­gerth-Se­rie. Teil 2, 1933

Das stäh­ler­ne Ge­heim­nis, 1934

Atom­ge­wicht 500, 1934/35

Him­mels­kraft, 1937

Le­bens­strah­len, 1938

Land aus Feu­er und Was­ser. Prof.-Eg­gerth-Se­rie. Teil 3, 1939

Treib­stoff SR. (Al­ter­na­tiv­ti­tel: Flug in den Wel­ten­raum oder Fahrt in den Wel­traum.) 1939/40

Zum Buch

Die Zu­kunft: Drei is­la­mi­sche Rei­che be­dro­hen Eu­ro­pa. Die ein­zi­ge Hoff­nung ist eine Er­fin­dung des Ma­gna­ten und Er­fin­ders Eli­as Mont­go­me­ry. Die­se soll end­lich die Atom­ener­gie ent­fes­seln kön­nen. Doch die An­lei­tung nahm der Er­fin­der mit ins Grab. Und schließ­lich wird sein Ap­pa­rat auch noch ge­stoh­len.

Be­reits 1925, zwan­zig Jah­re vor Hi­ros­hi­ma, wag­te der Au­tor einen vi­sio­nären Aus­blick auf die Ge­walt, die po­li­ti­schen Aus­wir­kun­gen und den Schre­cken der Atom­waf­fen.

»Es war ein Pa­ra­do­xon stärks­ter Art. Da stand der Ap­pa­rat, und kei­ner Hand war es ge­ge­ben, ihn zu be­die­nen. Es schi­en der letz­te Trumpf die­ses iro­ni­schen Spöt­ters und Men­schen­ver­äch­ters zu sein, daß er der Welt sein Werk un­ver­sehrt hin­ter­ließ, und daß es doch eben­so war, als hät­te er es vor sei­nem Tode ver­nich­tet.«

Hinweis für den Leser

Die Un­ter­schie­de des Ori­gi­nal­tex­tes zu den zen­sier­ten Nach­kriegs­ver­öf­fent­li­chun­gen sind kom­men­tiert.

1

Von der großen Uhr her drei hel­le Schlä­ge. Ein Vier­tel vor elf… die Lon­do­ner Bör­se er­öff­net. Die Mak­ler für Koh­len­wer­te und Kraft­werks­ha­res tra­ten auf ih­ren ge­wohn­ten Plät­zen zu­sam­men, fin­gen an, ihre Or­ders zu ver­glei­chen und die ers­ten Kur­se fest­zu­set­zen.

Nichts Be­son­de­res. Der Markt ver­sprach nicht an­ders zu wer­den wie an den vor­an­ge­gan­ge­nen Ta­gen.

Plötz­lich an ei­ner Stel­le ein Mak­ler, große Ver­kaufs­auf­trä­ge in Koh­len- und Kraft­wer­ten… un­mit­tel­bar da­nach an ei­ner an­de­ren Stel­le ein zwei­ter… dem fol­gend ein drit­ter. Und dann mit ei­nem Schla­ge bei al­len Mak­lern ein rie­sen­haf­tes An­ge­bot in die­sen Pa­pie­ren. Eine un­ge­heu­re Auf­re­gung im Raum. Tau­send Stim­men durch­ein­an­der… Ein Bör­sen­ma­nö­ver? Bais­se!… Ein Coup von nie da­ge­we­se­nen Aus­ma­ßen?! Bais­se? Auf den ers­ten Blick schi­en es so… Haus­se? Vi­el­leicht die im Hin­ter­grun­de? Von wem ging das Ma­nö­ver aus?…

Rät­sel. Alle mög­li­chen Ver­mu­tun­gen wur­den laut, kei­ner, der et­was Be­stimm­tes zu wis­sen schi­en.

Die Kur­se der Kraft- und Koh­len­wer­te fin­gen an zu sin­ken… San­ken im­mer mehr, je stär­ker die wei­te­ren Ver­kaufs­or­ders drück­ten. Die Mak­ler stan­den in dem Ge­drän­ge der Bör­sen­be­su­cher wie in ei­nem Stru­del. An­dert­halb Mil­lio­nen Sha­res wa­ren schon um­ge­setzt, die Kur­se teils bis zu 40 Pro­zent ge­wi­chen.

Da plötz­lich be­gann bei ei­nem Mak­ler… dann bei ei­nem zwei­ten… bei ei­nem drit­ten der Kur­s­stand sich zu hal­ten, zu he­ben. Im Nu war es in den wei­ten Bör­sen­sä­len be­kannt.

»Eine Haus­se! Nichts an­de­res steckt da­hin­ter!« Ei­ner hat­te es ge­schri­en.

Die Kur­se stie­gen, stie­gen im­mer wei­ter. Te­le­gram­me jetzt von den an­de­ren Bör­sen­plät­zen, von Ber­lin, Pa­ris, Pe­ters­burg. Über­all die glei­chen Er­schei­nun­gen.

Jetzt wur­den den Mak­lern die Ver­kaufs­or­ders fast aus den Hän­den ge­ris­sen. Sen­sa­ti­on! Der alte Kur­s­stand wie­der er­reicht. Ein Tau­mel hat­te die Bör­sen­be­su­cher er­grif­fen. Hö­her, im­mer hö­her gin­gen die Kur­se.

1 Uhr 43 Mi­nu­ten: »Eli­as Mont­go­me­ry ge­stor­ben!…« Ein Schrei aus dem Te­le­gra­fen­zim­mer.

Se­kun­den­lan­ge Stil­le… Die Stil­le vor dem Sturm. Dann brach das Un­wet­ter los. Wie auf ein ge­ge­be­nes Zei­chen stürm­te al­les auf die Mak­ler zu. Ver­kau­fen!… Ver­kau­fen!

Ein­ge­keilt in die sich wü­tend drän­gen­den Mas­sen die Mak­ler… un­fä­hig, sich zu rüh­ren, die Or­ders ent­ge­gen­zu­neh­men. Der wei­te Raum ein An­blick, als ob die­se Tau­sen­de plötz­lich in Tob­sucht ver­fal­len sei­en. Man schrie auf die Mak­ler ein, zerr­te, stieß sie. Je­der woll­te der ers­te sein, der sei­ne Or­ders an den Mann brach­te. Hei­ser, mit ver­zwei­fel­tem Angst­ge­heul brüll­te al­les durch­ein­an­der. Die Hin­ten­ste­hen­den, die nicht zu den Mak­lern durch­drin­gen konn­ten, schwan­gen in wahn­sin­ni­ger Wut ihre Ver­kaufs­zet­tel in der Luft… eine Ka­ta­stro­phe, wie sie die Lon­do­ner Bör­se seit ih­rem Be­ste­hen noch nicht er­leb­t…

Wie­der drei Schlä­ge der großen Uhr. Bör­sen­schluß. Das Schrei­en und To­ben war schwä­cher ge­wor­den. Nur hier und da noch ein An­ge­bot. Flucht­ar­tig hat­ten die meis­ten die Bör­se ver­las­sen. Kaum ei­ner, der nicht Tau­sen­de oder al­les ver­lo­ren hat­te.

»Eli­as Mont­go­me­ry ge­stor­ben!« In den Stra­ßen al­ler Haupt­städ­te der Welt schri­en die Ver­käu­fer die Ex­trablät­ter aus, brüll­ten die Laut­spre­cher von den Dä­chern der Zei­tung­s­pa­läs­te und Ho­tels die Wor­te wie­der und im­mer wie­der in die Ohren der Passan­ten­mas­sen. Über­all bil­de­ten sich Grup­pen, die in leb­haf­tes­ter Un­ter­hal­tung das Er­eig­nis be­spra­chen.

»Eli­as Mont­go­me­ry ge­stor­ben!« Von Mund zu Mund gin­gen die drei Wor­te. Der Na­me… kaum ein Be­woh­ner der zi­vi­li­sier­ten Welt, der ihn nicht kann­te. Schon bei sei­nen Leb­zei­ten ein Sa­gen­kreis um ihn. Eli­as Mont­go­me­ry, der große Er­fin­der, dem es ge­lun­gen, das Pro­blem der Atom­ener­gie zu lö­sen.

Die Atom­ener­gie, jene rie­sen­haf­te, über alle Vor­stel­lun­gen ge­wal­ti­ge Ener­gie­quel­le… schon seit Jahr­zehn­ten das höchs­te Ziel der Er­fin­der in al­len Kul­tur­staa­ten der Welt. Eli­as Mont­go­me­ry hat­te das Pro­blem ge­löst, muß­te es ge­löst ha­ben. Schon seit Jah­ren wa­ren die Be­wei­se da­für un­be­streit­bar. Frei­lich, er selbst hat­te nie­mals das Ge­rings­te über sei­ne Er­fin­dung ver­öf­fent­licht oder auch nur im Ge­spräch mit an­de­ren of­fen­bart. Erst als Vor­komm­nis­se ge­heim­nis­volls­ter Art sich häuf­ten, de­ren Er­klä­rung je­der mensch­li­chen Er­kennt­nis spot­te­te, als sich Er­schei­nun­gen wie­der­hol­ten, die nur mit der Atom­ener­gie zu er­klä­ren wa­ren, ge­wann der Ver­dacht fes­te Ge­stalt, daß die Lö­sung die­ser Rät­sel in Mont­go­me­ry-Hall, je­nem al­ten, noch aus der Stuart­zeit stam­men­den Schloß im schot­ti­schen Hoch­moor, zu su­chen sei.

Doch Eli­as Mont­go­me­ry blieb mit sei­ner Er­fin­dung im Dunklen.

Er wünsch­te we­der Stö­run­gen noch Be­su­che. Er um­gab sein Haus mit ei­nem Sys­tem raf­fi­nier­tes­ter und wir­kungs­volls­ter Si­che­run­gen. Elek­tri­sche Wech­sel­span­nun­gen zwi­schen schein­bar harm­lo­sen Pfos­ten und Bäu­men, die auf je­den, der die Lücke pas­sier­te, einen töd­li­chen Blitz war­fen. Spä­ter noch, als über­zu­dring­li­che Ame­ri­ka­ner1 sich nicht scheu­ten, von oben her ein­zu­drin­gen… sich aus still­ste­hen­den He­li­ko­pter­flie­gern in Späh­kör­ben2 in die Höfe des Schlos­ses nie­der­zu­las­sen ver­such­ten, auch in der Höhe ein hoch­ge­la­de­nes Netz, das tö­ten­de Fun­ken auf je­des Fahr­zeug warf.

Ein voll­kom­me­nes Si­che­rungs­sys­tem, durch wel­ches das Ge­heim­nis un­be­dingt ge­wahrt wur­de. Und nun war es doch ei­nem ge­lun­gen, ge­gen den Wil­len des Er­fin­ders ein­zu­drin­gen. Der Kno­chen­mann war ge­kom­men und hat­te ihm die Hand auf die Schul­ter ge­legt. Hat­te ihn mit­ten aus der Ar­beit an dem klei­nen Ap­pa­rat hin­weg­ge­ris­sen, der das Ge­heim­nis barg.

Als si­cher galt es, daß er das Ge­heim­nis bis zu sei­nem letz­ten Atem­zu­ge für sich be­wahrt hat­te. Mit­ten in sei­ner Ar­beit war er ver­schie­den, ganz plötz­lich, vom Herz­schlag da­hin­ge­rafft. Am Ar­beit­s­tisch, die Hän­de noch an dem Wun­de­r­ap­pa­rat, hat­te man den To­ten ge­fun­den. Sonst, man trau­te es ihm wohl zu, hät­te er viel­leicht beim Her­an­na­hen des To­des noch im letz­ten Au­gen­blick den Ap­pa­rat, mit dem er die Wun­der voll­brach­te, zer­stör­t… die Er­fin­dung mit ins Grab ge­nom­men.

Jetzt!… Der Meis­ter tot… Sein Werk un­ver­sehrt da… Der Au­gen­blick ge­kom­men, es in den Dienst der Welt zu stel­len… die Pe­ri­ode des Koh­len­zeit­al­ters vor­über! Alle Ener­gie­quel­len, die die Mensch­heit bis­her kann­te, jäm­mer­lich klein, ver­schwin­dend ge­gen die neue Ener­gie­quel­le, die der Zer­trüm­me­rung der Ato­me ent­sprang. Die Re­ak­ti­on an al­len Bör­sen der Welt gab den an­schau­lichs­ten Be­weis da­für. Alle Koh­len­wer­te… die Ak­ti­en al­ler Kraft­wer­ke so gut wie wert­los.

Wie­der war es wie da­mals, als die ers­ten Gerüch­te von Mont­go­me­rys Ent­de­ckung in die Welt dran­gen, als die Po­li­ti­ker und Volks­wirt­schaft­ler die Köp­fe zu­sam­men­steck­ten… be­rie­ten, wie dem Cha­os zu be­geg­nen sei, das bei der Um­stel­lung auf die neue Ener­gie ent­ste­hen muß­te.

Wirt­schafts­kri­sen schwers­ter Art, Kri­sen, wie sie die Mensch­heit bis­her kaum je er­lebt, wa­ren zu er­war­ten. Und… be­deu­te­te die Er­fin­dung nicht auch gleich­zei­tig eine fürch­ter­li­che Waf­fe, die in ge­wis­sen­lo­ser Hand schreck­lichs­tes Un­heil über die Mensch­heit brin­gen konn­te?

Da­mals schon, gleich nach dem ers­ten Be­kannt­wer­den von Mont­go­me­rys Ent­de­ckung, wa­ren in den Par­la­men­ten Stim­men laut­ge­wor­den, die den Er­fin­der un­ter staat­li­che Auf­sicht stel­len woll­ten. Schi­en doch das Pro­blem, die Er­fin­dung an­zu­wen­den, noch viel schwie­ri­ger als das, die Er­fin­dung zu ma­chen.

Jetzt, beim Tode des Er­fin­ders, tauch­ten alle die­se Fra­gen und Ide­en wie­der von neu­em auf. Und von Tag zu Tag spann­te sich die Er­war­tung. Von Tag zu Tag hoff­te man auf die Nach­richt aus Mont­go­me­ry-Hall:

»Die Kräf­te des ge­heim­nis­vol­len Ap­pa­ra­tes sind er­kannt, es ist ge­lun­gen, ihn in Tä­tig­keit zu set­zen.« Doch die Tage ver­ran­nen, und kei­ner brach­te die Nach­richt.

Wohl hör­te man, daß es ge­lun­gen sei, das Si­che­rungs­sys­tem aus­zu­schal­ten, in das Ge­bäu­de ein­zu­drin­gen und die Ar­beits­stät­te des Ver­stor­be­nen zu ver­sie­geln. Wohl hör­te man, daß eine Kom­mis­si­on der her­vor­ra­gends­ten eng­li­schen Phy­si­ker mit der Hin­ter­las­sen­schaft des Er­fin­ders be­schäf­tigt sei. Aber die Nach­richt, die man mit stei­gen­der Un­ge­duld er­war­te­te, blieb aus.

Es war ein Pa­ra­do­xon stärks­ter Art. Da stand der Ap­pa­rat, und kei­ner Hand war es ge­ge­ben, ihn zu be­die­nen. Es schi­en der letz­te Trumpf die­ses iro­ni­schen Spöt­ters und Men­schen­ver­äch­ters zu sein, daß er der Welt sein Werk un­ver­sehrt hin­ter­ließ, und daß es doch eben­so war, als hät­te er es vor sei­nem Tode ver­nich­tet.

Die Pres­se wur­de mit An­schrif­ten über­schüt­tet, soll­te Er­klä­run­gen dar­über ge­ben, wie das mög­lich sei. Sie wuß­te nichts an­de­res, als ihre Le­ser zur Ge­duld zu mah­nen.

Und je wei­ter die Zeit vor­schritt, de­sto ge­rin­ger wur­de die Hoff­nung, de­sto mehr zer­ran­nen die Träu­me, die sich an das große Pro­blem der Atom­ener­gie knüpf­ten. Eine neue Welt soll­te sie brin­gen… ein Pa­ra­dies auf Er­den, den Be­ginn ei­nes neu­en Zeit­al­ters. Das Ende der Koh­len­zeit… neu­es Le­ben, neue Le­bens­mög­lich­kei­ten, den Be­ginn ei­ner neu­en Wirt­schaft. Mög­lich­kei­ten, die das Auge blen­de­ten, Mög­lich­kei­ten, die die kühns­te Phan­ta­sie über­tra­fen, bot ja der Be­sitz die­ser Ener­gie. Doch wenn nicht ein Wun­der ge­sch­ah, war die Er­fin­dung Mont­go­me­rys der Mensch­heit ver­lo­ren.

Un­be­greif­lich, un­ver­ständ­lich… un­sin­nig nann­ten die einen die Hand­lungs­wei­se des to­ten Er­fin­ders. Wie konn­te er das ein­mal Er­reich­te, das durch Glück und Ge­schick Ge­fun­de­ne wie­der in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten und der Mensch­heit ver­lo­ren­ge­hen las­sen?

Er er­schrak vor den Fol­gen sei­nes Wer­kes, sag­ten die an­de­ren. Alle Koh­len­grä­ber der Welt brot­los! Alle Koh­len­ze­chen, alle Kraft­wer­ke der Welt wert­los! Vi­el­leicht durch die mit der Atom­ener­gie so eng ver­bun­de­ne Um­wand­lung der Me­tal­le eine all­ge­mei­ne Goldin­fla­ti­on schlimms­ter Art?

Fra­gen und Mög­lich­kei­ten, die auch die Op­ti­mis­ten nach­denk­lich stim­men konn­ten. Man ent­sann sich der pro­phe­ti­schen Wor­te, die Lord Ramsay vor bei­na­he 100 Jah­ren ge­spro­chen hat­te: Hof­fent­lich ist die Mensch­heit wei­se ge­nug, wenn ihr die­se Er­fin­dung ein­mal ge­lingt. Man be­gann die Grün­de zu be­grei­fen, we­nigs­tens zu ah­nen, die Eli­as Mont­go­me­ry zur Ge­heim­hal­tung sei­ner Ent­de­ckung ver­an­laßt hat­ten.

Aber der Ap­pa­rat war ein­mal da. Man wuß­te, daß er ge­ar­bei­tet hat­te, und un­abläs­sig ver­such­te man es, ihn in Be­trieb zu brin­gen. Ein­mal muß­te es ge­lin­gen. Über den Ge­brauch der Er­fin­dung ließ sich im­mer noch re­den, wenn man sie erst wie­der hat­te.

In der Nach­kriegs­fas­sung (NKF): »Be­su­cher« statt »Ame­ri­ka­ner«  <<<

NKF: »Hub­schrau­bern« statt »He­li­ko­pter­flie­gern in Späh­kör­ben«  <<<

2

Am Os­ter­ley-Park in Lon­don die ge­schmack­vol­le Cot­ta­ge der Baro­nes­se1 Jo­lan­the von Kars­küll. Die Tee­stun­de ging ih­rem Ende zu, und schon be­gan­nen hier und da Teil­neh­mer der Ge­sell­schaft sich zum Auf­bruch zu rüs­ten. Hier wie über­all in ganz Lon­don der Zau­ber­kas­ten Eli­as Mont­go­me­rys Haupt­ge­gen­stand des Ge­sprä­ches.

Ein Be­die­ner schob die Por­tie­re zu­rück:

Sei­ne Lord­schaft,2 Sir Ar­thur Perm­bro­ke!

Jo­lan­the von Kars­küll er­hob sich und ging am Arm der Lady Perm­bro­ke dem Ein­tre­ten­den ent­ge­gen, emp­fing und er­wi­der­te freund­schaft­lich sei­ne Be­grü­ßung, blick­te ihn fra­gend an, wäh­rend er sei­ne Ge­mah­lin be­grüß­te.

»Mei­ne Da­men, ich will Sie nicht län­ger in Un­ge­wiß­heit las­sen. Ich kann Ih­nen die an­ge­neh­me Nach­richt brin­gen, daß es mir ge­lun­gen ist, auch für Sie, gnä­digs­te Baro­nin,3 die Er­laub­nis zum Be­such von Mont­go­me­ry-Hall zu er­lan­gen.«

Ein Auf­leuch­ten der Be­frie­di­gung lief über die Züge der Baro­nes­se.

»Oh, Sie ha­ben die Er­laub­nis, Sir Ar­thur? Mei­nen herz­lichs­ten Dank.«

»Ich habe sie. Es war nicht ein­fach, sie zu be­kom­men. Jetzt habe ich sie. Aber se­hen Sie, mit wel­chen For­ma­li­tä­ten.« Er zog ein amt­li­ches sie­gel­ge­schmück­tes Schrei­ben aus der Ta­sche und las mit halb­lau­ter Stim­me: »Die Baro­nin Jo­lan­the von Kars­küll, 28 Jah­re alt, Toch­ter des ver­stor­be­nen rus­si­schen4 Obers­ten Alex­an­der Baron von Kars­küll und sei­ner Ehe­frau Si­nai­de, ge­bo­re­nen Fürs­tin Irak­lis, rus­si­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge, zur­zeit wohn­haft in Lon­don, Os­ter­ley-Park 12, er­hält hier­mit die Er­laub­nis, Mont­go­me­ry-Hall in Beglei­tung von Sir Ar­thur Perm­bro­ke am 15. Juni zu be­su­chen.«

»Sie se­hen, Baro­nin, wie for­mal man hier vor­geht. Selbst Da­men gel­ten als ver­däch­tig, dür­fen den Zau­ber­kas­ten nur un­ter Wah­rung al­ler Vor­sichts­maß­re­geln be­sich­ti­gen. Auch der Um­stand, daß ich die Ehre habe, Sie schon von Mos­kau her seit mei­ner Tä­tig­keit bei der dor­ti­gen Bot­schaft ge­nau zu ken­nen, wäre al­lein noch nicht hin­rei­chend für die Er­tei­lung der Er­laub­nis ge­we­sen. Muß­te ich doch auch für mei­ne Gat­tin einen sol­chen Pas­sier­schein aus­stel­len las­sen.«

Wie­de­r­um griff Lord Perm­bro­ke in die Ta­sche, und Jo­lan­the von Kars­küll über­flog ein zwei­tes, dem ih­ri­gen ganz ähn­li­ches Do­ku­ment: Lady El­len Perm­bro­ke, Ge­mah­lin des Lord Ar­thur Perm­bro­ke, right ho­no­ra­ble5 usw.

»Ich sehe, Sir Ar­thur, es ist nicht ein­fach ge­we­sen, die Er­laub­nis zu er­hal­ten. De­sto mehr freue ich mich auf die­sen Be­such. Au­ßer­or­dent­lich ge­spannt bin ich auch auf den Er­folg, den Pro­fes­sor Synd­ham mit sei­nen neu­en Ar­bei­ten ha­ben wird. Ich hör­te, daß der Pro­fes­sor schon wie­der seit acht Ta­gen in Mont­go­me­ry-Hall sitzt. Er soll sich recht hoff­nungs­voll aus­ge­spro­chen ha­ben. Ich bin ge­neigt, die­se Hoff­nung zu tei­len. Ist er doch ei­ner un­se­rer fä­higs­ten Ge­lehr­ten.«

Lord Perm­bro­ke schüt­tel­te den Kopf.

»Ich muß Sie lei­der ent­täu­schen, Baro­nin. Nach den letz­ten ver­trau­li­chen Nach­rich­ten scheint auch Pro­fes­sor Synd­ham mit sei­ner Kunst am Ende zu sein. Es ist schon so weit ge­kom­men, daß man alle die­se Ver­su­che ge­heim­hält, um die Öf­fent­lich­keit nicht noch mehr auf­zu­re­gen und zu ent­täu­schen. Mi­ßer­fol­ge, Mi­ßer­fol­ge und im­mer wie­der Mi­ßer­fol­ge… eine ein­zi­ge lan­ge Rei­he von Mi­ßer­fol­gen sind alle die­se Ver­su­che un­se­rer klügs­ten Köp­fe, das Rät­sel von Mont­go­me­ry-Hall zu lö­sen.«

»Aber wie ist das mög­lich, Sir Ar­thur, daß es kei­nem ge­lin­gen will, das Erbe Mont­go­me­rys…?«

»Wie es mög­lich ist, Baro­nin… ich weiß es nicht. Fast möch­te ich mich der An­sicht ei­ni­ger Ge­lehr­ten zu­nei­gen, die be­haup­ten, die­ser hin­ter­las­se­ne Ap­pa­rat wäre über­haupt nicht der, mit dem Mont­go­me­ry die er­staun­li­chen Wir­kun­gen er­zielt hat.«

Ein Schat­ten flog über die Züge der Baro­nin.

»Soll­te das wirk­lich mög­lich sein, Sir Ar­thur?«

Lord Perm­bro­ke zuck­te die Ach­seln. »Noch kann ich mich der An­sicht nicht an­schlie­ßen, daß Eli­as Mont­go­me­ry doch noch Zeit fand, sei­ne Er­fin­dung vor sei­nem Tode zu ver­nich­ten, und uns nur einen Ve­xier­ap­pa­rat zu­rück­ließ. Aber schließ­lich, un­se­re eng­li­schen Phy­si­ker ha­ben stets einen gu­ten Ruf in der Welt ge­habt. Ich fin­de kei­ne Er­klä­rung da­für, wenn sie jetzt den Ap­pa­rat nicht in Be­trieb zu set­zen ver­mö­gen, mit dem schon so lan­ge er­folg­reich ge­ar­bei­tet wur­de.«

»Sir Ar­thur! Das wäre aber doch…«

»Es wäre ein schwe­rer Schlag für Groß­bri­tan­ni­en, Baro­nin. Nach mei­ner Mei­nung bleibt uns nur noch die ul­ti­ma ra­tio, an­de­re eu­ro­päi­sche Ge­lehr­te zur Lö­sung des Rät­sels her­an­zu­zie­hen. Ich den­ke in ers­ter Li­nie an die Phy­si­ker der Rig­gers-Wer­ke in Deutsch­land,6 die seit Jah­ren auf dem glei­chen Ge­bie­te ar­bei­ten. Wäre es auch nur zu dem Zweck, um fest­zu­stel­len, ob wir den wirk­li­chen Ap­pa­rat Mont­go­me­rys vor uns ha­ben oder nur ein Ve­xier­stück,7 das die­ser… die­ser Son­der­ling uns hin­ter­las­sen hat.«

»Ich kann mir den­ken, Sir Ar­thur, daß die eng­li­sche8 Re­gie­rung sich zu ei­nem sol­chen Schritt nur sehr un­gern ent­schlie­ßen wür­de. Be­deu­tet er doch zum min­des­ten für die eng­li­schen9 Phy­si­ker das Ein­ge­ständ­nis ei­ner schwe­ren Schlap­pe. Ganz ab­ge­se­hen von an­de­ren Grün­den, die ge­gen einen sol­chen Weg sprä­chen.«

Lady Perm­bro­ke, die der Un­ter­re­dung bis­her schwei­gend ge­folgt war, misch­te sich jetzt ins Ge­spräch.

»Und ich kann nicht ein­se­hen, wes­halb man die­sen Weg nicht schon längst be­schrit­ten hat. Bei der un­ge­heu­ren Wich­tig­keit, die der Be­sitz der Er­fin­dung für Eu­ro­pa, ich be­to­ne: nicht nur für Eng­land,10 son­dern für ganz Eu­ro­pa hat, dürf­te es doch ganz ei­ner­lei sein, wer das Ge­heim­nis löst, ein Eng­län­der oder ein Deut­scher.11

Aber da ha­ben wir wie­der ein­mal das jäm­mer­li­che Schau­spiel der eu­ro­päi­schen Un­ei­nig­keit, der Ei­fer­süch­te­lei­en klein­li­cher Köp­fe. Der Ge­dan­ke, daß es sich heut bei den po­li­ti­schen Welt­kon­stel­la­tio­nen nicht mehr um Eng­land oder Deutsch­land oder ir­gend­ei­nen an­de­ren Teil des eu­ro­päi­schen Staa­ten­bun­des dreht, son­dern nur noch um Eu­ro­pa auf der einen, die an­de­ren Welt­tei­le auf der an­de­ren Sei­te… der Ge­dan­ke ist lei­der im­mer noch so vie­len fremd ge­blie­ben. Selbst die letz­te, größ­te Schmach,12 die Be­set­zung Spa­ni­ens bis zu den Py­re­nä­en durch das mau­re­ta­ni­sche Reich, hat es nicht ver­mocht, die­sen Staa­ten­klün­gel zu spren­gen,13 die eu­ro­päi­schen Staats­män­ner zu eu­ro­päi­schem Den­ken zu er­zie­hen.«

Lord Perm­bro­ke lä­chel­te, aber es war ein bit­te­res Lä­cheln.

»Du bist wie­der bei dei­nem be­lieb­ten The­ma, El­len. Aber so recht du auch hast, eher wird die Them­se auf­wärts flie­ßen, ehe die Mit­glie­der des eu­ro­päi­schen Staa­ten­bun­des eu­ro­pä­isch den­ken ler­nen, ehe sie ihre In­ter­es­sen auf das eine ge­mein­sa­me In­ter­es­se der Er­hal­tung und Fes­ti­gung Eu­ro­pas ver­ei­ni­gen.«

Die Wor­te Lord Perm­bro­kes wa­ren nicht ge­eig­net, den Ei­fer der Lady zu dämp­fen. Noch leb­haf­ter fuhr sie fort:

»Es ist ein Jam­mer, Ar­thur. Hier das un­ei­ni­ge, in sich zer­ris­se­ne Eu­ro­pa und dort als un­mit­tel­ba­re Nach­barn in Afri­ka und Asi­en die drei mäch­ti­gen is­la­mi­ti­schen Rei­che. Mit wel­cher Freu­de hat man sei­ner­zeit die ers­ten Schrit­te zur Ei­ni­gung Eu­ro­pas be­grüßt! Wel­che Hoff­nun­gen setz­te man auf die Grün­dung des eu­ro­päi­schen Zoll­ver­ban­des, der alle In­dus­tri­en Eu­ro­pas zu ei­nem ein­zi­gen mäch­ti­gen Block ver­schmel­zen soll­te! Was er­war­te­te man al­les von ei­nem eu­ro­päi­schen Staa­ten­bund!

Und jetz­t…? Seit fünf Jah­ren ist Spa­ni­en in mau­ri­scher Hand. Seit bei­na­he fünf Jah­ren sit­zen die Di­plo­ma­ten Eu­ro­pas und Mau­re­ta­ni­ens in Rom zu­sam­men. Sit­zen und ver­han­deln… doch nur, um eine Phra­se, eine For­mel zu fin­den, die den be­ste­hen­den Zu­stand sank­tio­niert, ohne der Ehre Eu­ro­pas all­zu­viel zu ver­ge­ben.

Das Schick­sal bot uns eine Chan­ce. Die Er­fin­dung Mont­go­me­rys um­faßt auch die Mit­tel, Spa­ni­en von mau­re­ta­ni­schem Joch zu er­lö­sen. An­statt alle Kräf­te Eu­ro­pas her­an­zu­zie­hen, an­statt mit al­len nur er­denk­li­chen Mit­teln das Ge­heim­nis des To­ten schnells­tens zu lö­sen, ver­schlie­ßen wir sei­nen Ap­pa­rat hin­ter Pan­zer­mau­ern. Wa­chen ei­fer­süch­tig dar­über, daß nur ja nie­mand ihn sieht, der ihn viel­leicht in Be­trieb set­zen könn­te…

Und dar­über ver­strei­chen Wo­chen und Mo­na­te… und die Welt lacht über das schwa­che Eu­ro­pa.«

Jo­lan­the von Kars­küll war den tem­pe­ra­ment­vol­len Aus­füh­run­gen der Freun­din schwei­gend ge­folgt. Nur ein leich­tes Ni­cken des blon­den Haup­tes drück­te bis­wei­len ihre Zu­stim­mung aus. Jetzt sprach sie.

»Sie ha­ben recht, Lady El­len. Nur all­zu recht. Eu­ro­pa, das alte mor­sche Eu­ro­pa spielt dem afri­ka­ni­schen Ka­li­fen­reich ge­gen­über kei­ne gute Rol­le. Bis­wei­len über­kom­men mich Zwei­fel an sei­ner Zu­kunft. Dann muß ich mich fra­gen, ob sei­ne Rol­le als füh­ren­der Welt­teil nach ei­ner drei­tau­send­jäh­ri­gen Ge­schich­te nicht viel­leicht ih­rem Ende ent­ge­gen­geht, ob nicht an­de­re, jün­ge­re, kräf­ti­ge­re Rei­che an sei­ne Stel­le tre­ten sol­len.«

Lady El­len fuhr auf.

»Nein, Jo­lan­the, nein und noch­mals nein. Noch liegt die Füh­rung der Welt bei den Eu­ro­pä­ern. Als eine Gabe des Schick­sals be­trach­te ich die­se Er­fin­dung des To­ten. Aber wehe uns, wenn wir die Gabe nicht zu nut­zen wis­sen.«

Lord Perm­bro­ke nä­her­te sich sei­ner Gat­tin.

»Es wird spät, El­len. Wir müs­sen ge­hen. Die­se Fra­gen, die dich… die uns alle be­we­gen, wer­den wir heu­te abend nicht mehr be­ant­wor­ten kön­nen.«

Er wand­te sich an Jo­lan­the. »Gnä­digs­te Baro­nin, wir tref­fen uns am kom­men­den Mitt­woch mor­gen auf dem Flug­platz in Wem­bley.«

Die letz­ten der Ge­sell­schaft wa­ren ge­gan­gen. Jo­lan­the von Kars­küll stand am Fens­ter und be­ob­ach­te­te die Ab­fahrt ih­rer Gäs­te. Sie sah den Kraft­wa­gen mit Lord und Lady Perm­bro­ke fort­fah­ren. Ihre Bli­cke folg­ten, bis das Ge­fährt ent­schwand. Dann trat sie in den Raum zu­rück. Ein tiefer Atem­zug… wie eine Be­frei­ung.

»Der ers­te Schritt!«

In der ge­sam­ten Nach­kriegs­fas­sung ver­liert Frau Jo­lan­the von Kars­küll ih­ren Ti­tel »Baro­ness«  <<<

NKF »Sei­ne Lord­schaft« ent­fällt  <<<

NKF: »gnä­digs­te Baro­nin« ent­fällt  <<<

NKF: »rus­si­schen« ent­fällt; wie auch im wei­te­ren Text je­der Hin­weis auf eine rus­si­sche Ab­stam­mung ge­stri­chen wird.  <<<

Ehren­de An­re­de für bri­ti­sche In­ha­ber hö­he­rer Adels­ti­tel.  <<<

NKF: »in Deutsch­land« ent­fällt  <<<

Rät­sel- oder Ge­duld­spiel  <<<

NKF: »un­se­re« statt »die eng­li­sche«; wie auch im wei­te­ren Text jede geo-po­li­ti­sche Ei­n­ord­nung, wo nicht un­ver­meid­bar, ge­stri­chen wur­de  <<<

NKF: »un­se­re« statt »die eng­li­schen«  <<<

NKF: »Eng­land« ge­stri­chen; die Ge­fahr be­steht nun nur noch für Eu­ro­pa al­lein  <<<

NKF: »ein Eng­län­der oder ein Deut­scher« ent­fällt  <<<

NKF: »letz­te, größ­te Schmach« ent­fällt  <<<

NKF: »die­sen Staa­ten­klün­gel zu spren­gen« ent­fällt  <<<

3

Ein ra­sen­der Nord­ost­sturm jag­te über die nie­der­säch­si­sche Hei­de, riß an den Zwei­gen der Bäu­me und rüt­tel­te an den Mau­ern und Dä­chern der zer­streu­ten Ge­höf­te. In tie­fem Dun­kel das alte Hei­de­dorf, nur in dem ein­sa­men Haus dort ne­ben dem Er­len­kamp noch Licht. Weit­hin fiel sein war­mer Schein durch die klap­pern­den Lä­den in die Dun­kel­heit.

Ein Wan­de­rer, der dem Dor­fe zu­schritt, warf einen scheu­en Blick dort­hin, schi­en froh, als er dar­an vor­bei war. In Ver­ruf war das Haus ge­kom­men, seit der dar­in haus­te. Ein blü­hen­der Hof einst, der El­lern­hof, ein rei­ches An­we­sen mit wei­ten Fel­dern und Wie­sen. Bis auf die Fran­ken­zeit führ­ten die Ei­se­n­e­cker vom El­lern­hof ih­ren Ur­sprung zu­rück. Als Mei­er1 des Gro­ßen Karl soll­ten sie einst hier­her in die Hei­de ge­kom­men sein. Vie­le Jahr­hun­der­te hin­durch hat­te das Ge­schlecht auf dem El­lern­hof ge­blüht, hat­te Kriegs­stür­me und schlim­me Zei­ten glück­lich über­stan­den.

Doch als der vor­letz­te Be­sit­zer starb, weil­te sein Sohn in der Fer­ne, in Län­dern, die man hier in der Hei­de kaum dem Na­men nach kann­te. Frem­de Hän­de ver­wal­te­ten den Hof… ver­wal­te­ten ihn schlecht, bis ei­nes Ta­ges der Sohn zu­rück­kam. Aber auch dann wur­de es nicht bes­ser. Der Letz­te aus dem Ge­schlechts der Ei­se­n­e­cker war kein Hei­de­bau­er mehr. Ein ge­heim­nis­vol­les… un­heim­li­ches Werk schi­en der da zu be­trei­ben. Ein Werk, bei dem der El­lern­hof zu­grun­de­ging. Ei­nen Acker nach dem an­de­ren, eine Wie­se nach der an­de­ren ver­kauf­te er, bis ihm schließ­lich nur noch der Hof blieb. Leer die Stäl­le, ver­rot­tet das In­ven­tar, ver­fal­len das Haus. Un­heim­lich das Gan­ze. Jah­re wa­ren dar­über ver­stri­chen.

An ei­nem mit Re­tor­ten be­deck­ten Tisch saß in dem ein­zi­gen er­leuch­te­ten Raum ein Mann. Die hohe Ge­stalt weit vor­ge­beugt über einen roh­ge­ar­bei­te­ten höl­zer­nen Kas­ten, zu dem zahl­rei­che Dräh­te führ­ten. Ein un­ge­pfleg­ter Bart wu­cher­te um das Kinn des Ein­sa­men. Seit vie­len Mo­na­ten schi­en kei­ne Sche­re an sein Haupt­haar ge­kom­men zu sein. Mit zit­tern­den Hän­den lös­te er die Schrau­ben des De­ckel­ver­schlus­ses. Weit ge­öff­net strahl­ten sei­ne Au­gen in über­na­tür­li­chem Glanz, starr­ten auf den Kas­ten, harr­ten, was der ge­öff­ne­te De­ckel ent­hül­len wür­de. Jetzt scho­ben sei­ne Fin­ger den zu­rück. Frei lag der In­halt vor sei­nen Bli­cken, und ein Schrei ent­fuhr sei­nen Lip­pen. Die ha­ge­re, hohe Ge­stalt tau­mel­te em­por, wank­te zu­rück.

»Gold! Gold!« Er schrie es. Noch ein­mal mit ei­nem Sprung war er wie­der am Tisch, griff nach dem glei­ßen­den Stück, hob es em­por und sah, wie die Strah­len der Lam­pe sich dar­in in gel­bem Schim­mer bra­chen und spie­gel­ten. Und dann, als ob die Last des Gol­des ihn er­drück­te, stürz­te er zu­sam­men, den schim­mern­den Klum­pen krampf­haft an die Brust ge­preßt.

So lag er, bis das Licht der Mor­gen­son­ne in den Raum drang, bis die Son­nen­strah­len, glän­zend und schim­mernd von dem Me­tall zu­rück­ge­wor­fen, ihn zwan­gen, die Au­gen zu öff­nen. Schwer­fäl­lig rich­te­te er sich em­por, sah den Me­tall­klum­pen. Woll­te ihn mit ei­ner gleich­gül­ti­gen Fuß­be­we­gung zur Sei­te sto­ßen. Der rück­te nicht. Er beug­te sich, hob den schwe­ren Bro­cken auf und warf ihn in eine Ecke zu al­ler­hand zer­bro­che­nem Gerät und Ge­rüm­pel. Schritt dann zum Ar­beit­s­tisch. Sei­ne Hän­de um­faß­ten den schmuck­lo­sen Kas­ten, ho­ben ihn hoch, drück­ten ihn an sich mit ei­ner In­brunst, die un­be­greif­lich. Wie­gend, als hät­te er das köst­lichs­te Klein­od im Arm, trug er ihn durch den Raum.

Tri­umph je­der Schritt, je­der Blick, jede Ges­te!

So ging er in den Ne­ben­raum. Hier stan­den noch die Spei­sen vom gest­ri­gen Abend. Heiß­hung­rig stürz­te er sich dar­auf. Erst jetzt kam es ihm zum Be­wußt­sein, daß er seit vie­len Stun­den kei­nen Bis­sen ge­nos­sen hat­te. Gie­rig aß er das schlecht zu­be­rei­te­te Mahl. Dann sprang er auf. Vor ei­nem ge­sprun­ge­nen, er­blin­de­ten Spie­gel be­trach­te­te er sich selbst. Schä­big… ver­wil­der­t… ab­ge­ma­gert!

Er lach­te laut: »Ohne Kunst aufs bes­te ver­klei­det!«

Aus ei­nem Al­bum zog er eine Pho­to­gra­fie, hielt sie ge­gen das Licht, be­trach­te­te die Züge, die sie dar­stell­te.

Wie alt war das Bild?… Vier Jah­re… wie hat­ten die vier Jah­re ihn ver­än­der­t… vier Jah­re, in de­nen er Tag und Nacht nur auf ein ein­zi­ges Ziel hin­ge­ar­bei­tet.

Gold?… Das Gold dort in der Ecke?…

Nein! Ei­nem hö­he­ren… ei­nem un­end­lich viel hö­he­ren Ziel streb­te er nach. Ei­nem Zie­le, wel­ches das Gold wert­los ma­chen, der Mensch­heit an­de­ren, viel rei­che­ren Se­gen brin­gen muß­te. Ei­nem Zie­le, das ihm wie eine rei­fe Frucht in den Schoß fal­len muß­te, nach­dem das Gold nun da war.

Ein Zei­tungs­blatt lag ne­ben der kärg­li­chen Mahl­zeit auf dem ro­hen Ei­chen­tisch. Der An­zei­ger der nächs­ten Kreis­stadt.

Sei­ne Au­gen über­flo­gen die Zei­len. Nach­rich­ten aus Lon­don… Eli­as Mont­go­me­ry ge­stor­ben. Alle Ver­su­che der eng­li­schen Ge­lehr­ten, den hin­ter­las­se­nen Ap­pa­rat in Be­trieb zu set­zen, bis­her er­geb­nis­los… wahr­schein­lich für im­mer hoff­nungs­los.

Sei­ne Au­gen hin­gen an den Wor­ten. Im­mer wie­der über­flog er die we­ni­gen Zei­len. Dann lach­te er laut.

Wär’s mög­lich? Mont­go­me­rys Erbe, kei­ner, der es zu he­ben ver­mag! Er dreh­te das Blatt um, sah nach dem Da­tum. Es war schon über eine Wo­che alt.

Die Welt! Eu­ro­pa! Was hat­ten die dazu ge­sag­t… die Rig­gers-Wer­ke… Har­der, der Ge­ne­ral­di­rek­tor der Wer­ke. Er?…

In hef­ti­ger Er­re­gung durch­maß er das Zim­mer.

Mont­go­me­ry! Eli­as Mont­go­me­ry! Der Mann, der das Pro­blem der Atom­ener­gie ge­löst. Der die Ener­gie be­herrsch­te… und sie der Welt ver­bar­g… vor­ent­hielt.

Weil der nicht die Kraft be­saß, die Auf­ga­be zu lö­sen… die schwe­re­re… die grö­ße­re, das Er­run­ge­ne der Welt zu ge­ben, ohne die Wirt­schaft aus den Fu­gen zu rei­ßen… Statt des Pa­ra­die­ses ein Cha­os zu stif­ten.

Das al­lein der Grund. Des­halb Eli­as Mont­go­me­ry der Son­der­ling! Er ver­stand ihn wohl. Er…! Sei­ne Bli­cke gin­gen zu der klei­nen höl­zer­nen Tru­he. Er schritt dar­auf zu. Ver­schränk­te die Arme, starr­te lan­ge dar­auf. Se­gen und Fluch…

Die Arme fie­len nie­der. Der Kör­per sank in sich zu­sam­men, die Schul­tern krümm­ten sich.

Se­gen al­lein? Last un­ge­heu­re! Der trug sie nicht!… Ich?… Beim Klang der Wor­te ging es wie ein Ruck durch die Ge­stalt. Der Kör­per reck­te sich… den Kopf zu­rück­ge­wor­fen, das Auge wie in wei­te Fer­nen ge­rich­tet, die Lip­pen zu­sam­men­ge­preßt, Ener­gie, Kraft in je­dem Mus­kel…

»Ich will’s ver­su­chen!«

Die alte Wirt­schaf­te­rin trat ein. Hielt ihm ein amt­li­ches Schrift­stück hin. Er las… und lach­te… lach­te aus vol­lem Hal­se.

Da stand ge­schrie­ben, daß der El­lern­hof am nächs­ten Mitt­woch zur Ver­stei­ge­rung kom­men wür­de.

Er schrie das alte, halb tau­be Weib an: »Ich muß ver­rei­sen!«… Be­deu­te­te ihr, einen Kof­fer vom Bo­den zu ho­len, ir­gend­wo sonst zu su­chen, riß selbst die Tür ei­nes wack­li­gen Schran­kes auf, der sei­ne kar­ge Gar­de­ro­be ent­hielt.

Da hing eine Ho­se… ein prü­fen­der Blick dar­auf… Nein!… Un­mög­lich, weg da­mit! Die war ja noch schlech­ter als die, die er jetzt trug… Ein hel­ler Rock… ein wei­ßer Rock, mit dem er frü­her… lan­ge war es her… zum Ten­nis­s­piel ge­gan­gen war… da eine schwar­ze Hose, die er frü­her ein­mal beim Ex­amen ge­tra­gen… schwar­ze Ho­se… wei­ßer Rock… nein! un­mög­lich! Aber der Schrank war leer… halt!… Da noch eine grü­ne Jop­pe… noch vom Va­ter her… sie war ihm reich­lich weit, aber das muß­te ge­hen.

Er pack­te ein paar Hab­se­lig­kei­ten in den Ruck­sack. Prü­fend wog er den Gold­bar­ren… zehn Ki­lo… ge­nug, um die Schuld zu be­zah­len… und ge­nug blieb noch für die nächs­te Zeit dar­über hin­aus üb­rig.

So ver­ließ Fried­rich Ei­se­n­e­cker zum ers­ten­mal nach vier Jah­ren sein Haus. Am nächs­ten Tage war er zu­rück­ge­kehrt. So ver­än­dert, daß ihn die alte Wirt­schaf­te­rin kaum wie­der­er­kann­te. Bart und Haar ge­stutzt, mit ei­nem gu­ten neu­en An­zug be­klei­det. Er nick­te der Al­ten ein Will­kom­men zu, drück­te ihr einen Zet­tel in die Han­d… die Ver­stei­ge­rung des El­lern­ho­fes auf­ge­ho­ben… die Schuld be­zahl­t…

Wäh­rend die Alte noch auf den Zet­tel starr­te, saß er schon längst wie­der oben bei sei­nen Re­tor­ten und Ap­pa­ra­ten. War auch sei­ne Auf­ga­be in der Haupt­sa­che ge­löst, gal­t’s doch noch, die letz­te Hand an sei­ne Er­fin­dung zu le­gen, das Werk zu vollen­den. Nicht viel war’s und kei­ne schwe­re Ar­beit mehr. We­ni­ge Wo­chen nur.

Und dann war auch das ge­tan. An Stel­le des ro­hen un­ge­fü­gen Kas­tens stand eine zier­li­che klei­ne Kas­set­te auf dem Ar­beit­s­tisch. Be­quem und leicht mit­zu­füh­ren.

Jetzt fort! Mor­gen schon woll­te er hin­aus… hin­aus in die Welt.

Die Nacht… Feu­er­lärm durch das stil­le Hei­de­dorf. Noch be­vor die frei­wil­li­gen Hel­fer sich sam­mel­ten, be­vor sie die le­cke Feu­er­sprit­ze in Tä­tig­keit set­zen konn­ten, brann­te der gan­ze El­lern­hof in hel­len Flam­men…

Sein Be­sit­zer stand da­bei… ru­hig, un­be­wegt und sah mit un­ver­än­der­ter Mie­ne, wie das alte vä­ter­li­che Heim in Asche sank.

Mit Stau­nen… mit Miß­trau­en blick­ten die Dör­f­ler auf ihn. Schon lan­ge war er ih­nen un­heim­lich, jetzt wur­de er ih­nen rät­sel­haft. Sie wuß­ten, daß er nicht ver­si­chert war… nicht mehr die Mit­tel ge­habt hat­te, die Ver­si­che­rung zu be­zah­len. Soll­te ihn die Not so ab­ge­stumpft ha­ben, daß er das Un­glück nicht mehr emp­fand? Das Un­glück, das hier mit wa­bern­der Lohe sei­ne letz­te Habe ver­zehr­te…

Guts­ver­wal­ter  <<<

4

Als ihre Gäs­te sie ver­las­sen, trat Jo­lan­the von Kars­küll in ihr Bou­doir, drück­te auf einen Klin­gel­knopf und klin­gel­te in be­stimm­ten In­ter­val­len. Ihre alte Die­ne­rin er­schi­en. Eu­ro­pä­isch oder nicht eu­ro­pä­isch? Et­was Fremd­län­di­sches lag in ih­ren Zü­gen, aber nur ein sehr ge­nau­er Ken­ner der asia­ti­schen Ras­sen hät­te wohl den Ty­pus der Ge­or­gie­rin dar­in zu ent­de­cken ver­mocht.

»Zo­bei­de, ich wün­sche un­ge­stört zu sein, bis ich dich wie­der ru­fen las­se.«

Die Alte ver­neig­te sich stumm und ver­schwand. Jo­lan­the von Kars­küll schloß die Tür hin­ter ihr und schob den Rie­gel vor.

Das vil­len­ar­ti­ge Wohn­haus der Baro­nin stand auf drei Sei­ten frei in ei­nem ziem­lich ge­räu­mi­gen Gar­ten. Nur mit der einen Sei­te lehn­te es sich an das Nach­bar­ge­bäu­de. Jo­lan­the von Kars­küll nahm den Hö­rer von ei­nem Tisch­ap­pa­rat, sprach ein paar Wor­te hin­ein und leg­te ihn wie­der auf. Dann trat sie an einen großen in die Wand ein­ge­bau­ten Spie­gel­schrank und öff­ne­te die Tür. Der Schrank war dicht mit Klei­dungs­stücken ge­füllt. Doch auf einen Knopf­druck schwan­gen die Mes­sing­stan­gen mit den Klei­dern zur Sei­te, und die Hin­ter­wand lag frei. Ein Druck auf einen an­de­ren, kaum sicht­ba­ren Knopf, und die hin­te­re Schrank­wand roll­te sich ja­lou­sie­ar­tig auf.

Die Wand da­hin­ter war hohl. Eine zwei­te Holzwand wur­de dort sicht­bar. Auch die­se Holzwand teil­te sich.

Eine Hand streck­te sich ihr ent­ge­gen und ge­lei­te­te sie in den Raum. Es war das Pri­vat­ka­bi­nett des mau­ri­schen Bot­schaf­ters Mid­hat Pa­scha.

»Zu Ihren Diens­ten, gnä­digs­te Baro­nin. Ich bin ent­zückt, Sie hier zu se­hen.«

Der Bot­schaf­ter beug­te sich über ihre Hand und führ­te sie zu ei­nem Ses­sel.

»Ihr Be­such… ich lese in Ihren Mie­nen…«

»Ja, Ex­zel­lenz, ich freue mich, Ih­nen einen wei­te­ren Er­folg mel­den zu kön­nen. Am Mitt­woch früh fah­re ich mit dem Ab­lö­sungs­schiff nach Mont­go­me­ry-Hall.«

»Präch­tig, mei­ne gnä­digs­te Baro­nin!« Mid­hat Pa­scha war auf­ge­sprun­gen und schüt­tel­te die Hand der Jo­lan­the von Kars­küll.

»Ich bren­ne dar­auf, die Nach­richt nach Fez mel­den zu kön­nen.

Un­ser Herr, der Ka­lif, drängt in ei­ner Wei­se, die mir schlaflo­se Näch­te macht. Mei­ne Stel­lung hier… ich ge­ste­he es of­fen… hängt vom Ge­lin­gen un­se­res Pla­nes ab. Des­halb auch mei­nen herz­lichs­ten per­sön­li­chen Dank, gnä­digs­te Baro­nin. Nun, da un­ser ers­ter Schritt so gut glück­te, habe ich die fes­te Zu­ver­sicht, daß uns auch das Gan­ze ge­lin­gen wird.«

»So ganz ver­mag ich die Hoff­nung Euer Ex­zel­lenz nicht zu tei­len. Ich weiß nicht, ob mei­ne ge­rin­gen phy­si­ka­li­schen Kennt­nis­se ge­nü­gen wer­den, die raf­fi­nier­te Art des Si­che­rungs­sys­tems zu be­grei­fen, so daß ich un­se­ren Mann in­stru­ie­ren kann. Ich habe mich zwar in der letz­ten Wo­che Tag und Nacht mit die­ser mir ziem­lich frem­den Ma­te­rie be­schäf­tigt, aber…«

»Kei­ne Zwei­fel, gnä­digs­te Baro­nin! Die be­wun­derns­wer­ten Pro­ben Ih­rer In­tel­li­genz wäh­rend der letz­ten…«

»Kei­ne Schmei­che­lei­en, Ex­zel­lenz. Sie wis­sen, ich has­se das. Bin ich ein Weib wie…«

Der Bot­schaf­ter fiel ihr in die Rede.

»Es wa­ren die Wor­te, die un­ser Herr, der Ka­lif, sel­ber ge­brauch­te, Baro­nin, als er mir in sei­nem letz­ten Brief be­fahl, die An­ge­le­gen­heit zu be­schleu­ni­gen.«

Eine leich­te Röte husch­te über das Ant­litz der Jo­lan­the von Kars­küll. Der fes­te Zug um ih­ren Mund wur­de weich, ein Schim­mern der Freu­de blitz­te in ih­ren Au­gen.

»Sie ha­ben recht, Ex­zel­lenz.1 Es muss ge­lin­gen. Ha­lil Ri­faat ali­as Ma­colm muß mein phy­si­ka­li­sches Kau­der­welsch ver­ste­hen! Er ist ein fä­hi­ger Kopf, der si­cher­lich auch in je­der an­de­ren Po­si­ti­on Gro­ßes leis­ten wür­de.«

»Ha­lil Ri­faat ist ein treu­er Die­ner sei­ner sche­ri­fi­schen Ma­je­stät… wie Sie, Baro­nin, wie ich. Die Zeit wird kom­men, wo un­ser Herr be­loh­nen wird… ihn… und auch Sie, Baro­nin… kein an­de­rer, kei­ne an­de­re im Rei­che Ab­durr­ha­mans, die sich sol­cher Huld er­freu­ten wie Sie…«

Stär­ker brann­te die Glut auf den Wan­gen Jo­lan­thes.2 Ab­weh­rend hob sie die Hän­de.

»Las­sen Sie, Ex­zel­lenz! Kom­men wir zu et­was an­de­rem. Die Bör­se­nen­ga­ge­ments Ed­hem Paschas, un­se­res Finanz­mi­nis­ters, dürf­ten all­mäh­lich ge­löst sein. Ein Coup von sol­chem Um­fan­ge ist wohl in der Ge­schich­te der Lon­do­ner Bör­se noch nicht da­ge­we­sen. Der Ge­winn für den mau­ri­schen Staats­schatz…«

»Die Kas­sen Ed­hem Paschas schwim­men im Gol­de. Un­ser Staats­schatz hat sich in­ner­halb ei­ner Stun­de ver­viel­fäl­tigt. Ein Er­folg, den selbst der größ­te Op­ti­mist kaum er­war­ten durf­te. Die Bör­se ist und bleibt un­be­re­chen­bar. Der Schrei die­ses Nar­ren: ›Es steckt eine Haus­se da­hin­ter!‹ brach­te das Uner­war­te­te, selbst in küh­nen Träu­men nicht zu Er­hof­fen­de, daß die Kur­se trotz un­se­res rie­sen­haf­ten An­ge­bo­tes stie­gen, bis über den ers­ten Stand hin­aus stie­gen. Da­durch erst wur­de die De­rou­te hin­ter­her so un­ge­heu­er.«

»Und man ahnt im­mer noch nicht, von wem das Ma­nö­ver aus­ging?«

»Nein, Baro­nin! Die En­ga­ge­ments wa­ren trotz der kur­z­en Zeit so ge­schickt un­ter­ge­bracht, daß nie­mand den ge­rings­ten Ver­dacht schöp­fen konn­te, auch kaum je­mals schöp­fen wird.«

»Hat der Tod Sai­ds nicht An­laß zu wei­te­ren Nach­for­schun­gen ge­ge­ben?«

»Nein! Sei­ne Lei­che ist bis zur völ­li­gen Un­kennt­lich­keit ver­brannt. Scha­de, sehr scha­de um den Mann.«

»Ha­ben Sie selbst, Ex­zel­lenz, sich jetzt ein kla­res Bild über die Vor­gän­ge je­ner letz­ten be­deu­tungs­vol­len Tage ma­chen kön­nen?«

»Ich den­ke: ja! Sie wis­sen, es war uns ver­hält­nis­mä­ßig leicht ge­lun­gen, Said un­ter dem Na­men Sni­ders als tech­ni­schen Hilfs­ar­bei­ter letz­ten Gra­des in Mont­go­me­ry-Hall un­ter­zu­brin­gen. Mo­na­te­lang war­te­ten wir ver­geb­lich auf Nach­richt von ihm. Auf die Nach­richt, daß es ihm ge­lun­gen wäre, Eli­as Mont­go­me­ry sei­ne Er­fin­dung ab­zu­se­hen, den Ap­pa­rat selbst nach­zu­kon­stru­ie­ren.

Jetzt, da sich die bes­ten eng­li­schen Phy­si­ker in wo­chen­lan­gen Ver­su­chen ver­geb­lich be­müht ha­ben, das Ge­heim­nis Mont­go­me­rys zu er­grün­den, kommt mir un­ser ei­ge­ner Plan naiv vor. Said war wohl ein gu­ter Tech­ni­ker, aber sei­ne phy­si­ka­li­schen Kennt­nis­se las­sen sich mit de­nen der eng­li­schen Ge­lehr­ten nicht ver­glei­chen. War es ein Feh­ler, so ist er je­den­falls zu ent­schul­di­gen. Die Aus­wahl bei uns ist na­tur­ge­mäß nicht groß. Die wei­te­ren Er­eig­nis­se müs­sen sich fol­gen­der­ma­ßen ab­ge­spielt ha­ben.

Durch einen Zu­fall kam Said an je­nem Tage zu­erst in das La­bo­ra­to­ri­um Mont­go­me­rys. Er sah den Er­fin­der tot ne­ben dem Ap­pa­rat lie­gen. Nun be­wies er einen ho­hen Grad von Um­sicht. Ohne den Be­woh­nern des Schlos­ses Nach­richt von dem Tode des Er­fin­ders zu ge­ben, te­le­gra­fier­te er mir so­fort in un­se­rem Ge­heim­co­de das Er­eig­nis. Ich gab es schnells­tens in die Hei­mat wei­ter und wies dar­auf hin, daß Said be­stimmt hof­fe, den Tod des Er­fin­ders bis in die Bör­sen­stun­den hin­ein ge­heim­hal­ten zu kön­nen. Ed­hem Pa­scha faß­te den Wink rich­tig auf und ent­rier­te je­nes be­rühm­te, selbst für die Lon­do­ner Bör­se au­ßer­ge­wöhn­li­che Ma­nö­ver.«

»So ging der Ge­dan­ke dazu von Ih­nen aus, Ex­zel­lenz? Ich gra­tu­lie­re. Die Idee war glän­zend.«

Der Bot­schaf­ter zuck­te die Ach­seln.

»Mag sein, Baro­nin. Die­se Ver­meh­rung des Staats­schat­zes ist ein be­deu­ten­des Ak­ti­vum für den Ka­li­fen. Sei­ne nächs­te De­pe­sche er­kann­te das auch an, wies aber gleich­zei­tig dar­auf hin, daß der Be­sitz des Ap­pa­ra­tes selbst nicht durch hun­dert sol­cher Bör­sen­trans­ak­tio­nen auf­ge­wo­gen wer­den kön­ne.«

»Dar­über be­steht wohl kein Zwei­fel, Ex­zel­lenz. Aber wie er­klä­ren Sie sich wei­ter den Tod Sai­ds?«

»Es gibt nur eine Er­klä­rung, Baro­nin. Bei der all­ge­mei­nen Ver­wir­rung, die nach dem Be­kannt­wer­den von Mont­go­me­rys Tod im Schlos­se aus­brach, hat­te Said un­zwei­fel­haft die Ab­sicht, den Ap­pa­rat kur­zer­hand fort­zu­neh­men… da­mit aus Mont­go­me­ry-Hall zu flie­hen. Dazu muß­te er zu­erst die Si­che­rungs­an­la­gen wir­kungs­los ma­chen. Den Ver­such, dies zu tun, hat er mit sei­nem Le­ben be­zahlt.«

»Ihre Wor­te ma­chen mich be­sorgt, Ex­zel­lenz. Was Said nicht ge­lang, der mo­na­te­lang in Mont­go­me­ry-Hall ge­lebt hat, wie soll­te es mir und Ha­lil Ri­faat ge­lin­gen?«

»Es wird ge­lin­gen, Baro­nin! Schon ein­fach des­halb, weil Sie da­bei sind. Nein, nein, gnä­di­ge Baro­nin, es ist so! Das ist kei­ne Schmei­che­lei. Ich stel­le zum Be­weis für mei­ne Wor­te die Fra­ge: Ist uns schon je­mals ein Un­ter­neh­men fehl­ge­schla­gen, bei dem Ihre klei­ne Hand im Spie­le war?… Sie schwei­gen, Baro­nin… und doch sagt mir die Spra­che Ih­rer Au­gen, daß Sie mir recht ge­ben.«

»Und der Ka­lif… ist der Ka­lif Ab­durr­ha­man der­sel­ben Mei­nung?«

Der Bot­schaf­ter mach­te eine be­ja­hen­de Ver­beu­gung. Jo­lan­the von Kars­küll hat­te sich er­ho­ben. Ei­nen Au­gen­blick stand sie, die ju­no­ni­sche Ge­stalt hoch­auf­ge­r­eckt, stumm. Das Auge wie ver­lo­ren in wei­te Fer­nen ge­rich­tet. Dann, als habe sie Mühe, sich in die Wirk­lich­keit zu­rück­zu­fin­den, sprach sie. Lang­sam… sto­cken­d… mit Un­ter­bre­chun­gen.

»Wenn es ge­lingt, Ex­zel­lenz… wenn uns der letz­te große Wurf ge­ling­t… wäre es mög­lich… gin­ge es, daß… ich selbst den Preis die­ses Kamp­fes… die Beu­te die­ses Un­ter­neh­mens un­se­rem Herrn…?«

»Un­mög­lich!« Der Bot­schaf­ter hob be­schwö­rend die Hän­de em­por. »Un­mög­lich, Baro­nin. Ihr Ver­schwin­den nach solch ei­nem Er­eig­nis… es wäre mög­lich, daß der Schim­mer ei­nes Ver­dach­tes… nein!… Das darf nicht sein. Auf kei­nen Fall. Es tut mir sehr leid, Ih­nen die­se Bit­te ab­schla­gen zu müs­sen, wenn ich auch…«

»Sie ha­ben recht, Ex­zel­lenz. Mein Wunsch war tö­richt. Ich be­grei­fe selbst nicht… auf Wie­der­se­hen denn.«

Der Bot­schaf­ter drück­te sei­ne Lip­pen auf ihre Rech­te und ge­lei­te­te sie zu der of­fe­nen Wand. Noch ein­mal eine tie­fe Ver­nei­gung des Mau­ren. Das Knacken ei­ner Fe­der, das Rau­schen ei­nes Ver­schlus­ses. Jo­lan­the von Kars­küll stand wie­der al­lein in ih­rem Bou­doir.

NKF: »Ex­zel­lenz« ent­fällt  <<<

NKF: »Stär­ker brann­te die Glut auf den Wan­gen Jo­lan­thes.« ent­fällt. Auch im wei­te­ren Text wird ger­ne auf jeg­li­che An­deu­tung kör­per­li­cher Er­re­gung ver­zich­tet - und sei sie auch noch so mi­ni­mal.  <<<

5

Eine Sit­zung in den Rig­gers-Wer­ken zu Ber­lin. Der Ge­ne­ral­di­rek­tor Har­der hat­te alle Her­ren te­le­gra­fisch hier­her­be­stellt, die auf der klei­nen Nord­seein­sel War­num dort drau­ßen am großen Pro­blem der Atom­ener­gie ar­bei­te­ten. Da sa­ßen sie um den großen Kon­fe­renz­tisch her­um, die ge­schick­tes­ten Phy­si­ker, die klügs­ten Köp­fe der Rig­gers-Wer­ke, die sich seit ei­nem Jahr­zehnt mit dem welt­be­we­gen­den Pro­blem der Atom­ener­gie her­um­schlu­gen. Ge­sich­ter, in die un­abläs­si­ges For­schen und Spü­ren… in die durch­son­ne­ne Tage und durch­wach­te Näch­te, in die so vie­le Ent­täu­schun­gen ihre un­ver­lösch­li­chen Ru­nen ein­ge­gra­ben hat­ten.

Schon da­mals, als die Nach­rich­ten von den ers­ten Er­fol­gen Mont­go­me­rys nach Deutsch­land dran­gen, wa­ren die Sit­zun­gen der Rig­gers-Wer­ke in recht er­reg­ten For­men ver­lau­fen. Da gab’s oft mut­lo­se Stim­men in der Ver­samm­lung, die frag­ten, wozu über­haupt noch einen Draht schal­ten, eine Klem­me fest­schrau­ben, wenn ein an­de­rer das Pro­blem schon ge­löst hat. Be­durf­te es doch ei­ner ganz be­son­de­ren Hin­ga­be, auf dem ein­mal be­schrit­te­nen Wege wei­ter­zu­ge­hen, wei­ter­zu­ar­bei­ten und ein Ziel zu er­stre­ben, das je­ner Eng­län­der1 schon er­reicht hat­te. Die Kun­de vom Tode Mont­go­me­rys, die Nach­richt, daß sei­ne Er­ben die Erb­schaft nicht zu he­ben ver­moch­ten, war hier mit ei­nem Ge­fühl der Er­leich­te­rung auf­ge­nom­men wor­den. Jetzt hat­ten die Rig­gers-Wer­ke auf dem Ge­bie­te der Atom­ener­gie wie­der die Spit­ze. Jetzt konn­ten sie viel­leicht als die ers­ten das Ziel er­rei­chen, das der üb­ri­gen Welt un­er­reich­bar war.

Schon seit ei­ner Stun­de wa­ren sie ver­sam­melt und er­war­te­ten mit im­mer noch stei­gen­der Span­nung das Er­schei­nen ih­res Ge­ne­ral­di­rek­tors. Jetzt riß der Die­ner die Tür auf. Har­der trat ein. Mit ei­nem kur­z­en Ni­cken be­grüß­te er die Ver­sam­mel­ten und nahm am Kon­fe­renz­tisch Platz.

»Mei­ne Her­ren, in Er­war­tung ei­ner wich­ti­gen Nach­richt habe ich mich ver­spä­tet. Bit­te, ent­schul­di­gen Sie das. Mei­ne Zeit ist jetzt so stark in An­spruch ge­nom­men, daß ich nicht selbst nach War­num kom­men konn­te, son­dern Sie hier­her bit­ten muß­te.

Es han­delt sich in die­sen Ta­gen in ers­ter Li­nie um un­se­re Stel­lung zu der eng­li­schen Er­fin­dung und… zu der eng­li­schen Re­gie­rung…«

Ge­spannt blick­ten die hier Ver­sam­mel­ten auf ih­ren Chef. Da war es ja wie­der. Je­nes The­ma, das sich in dem einen Na­men Mont­go­me­ry zu­sam­men­fas­sen ließ, und das ih­nen al­len schon so vie­le Tage vol­ler Auf­re­gun­gen, so vie­le Stun­den in­ne­ren Zwei­fels ge­bracht hat­te. Der Ge­ne­ral­di­rek­tor sprach wei­ter.

»Sie wis­sen, daß die deut­sche2 Pres­se es der eng­li­schen Re­gie­rung seit dem Tode Mont­go­me­rys sehr na­he­ge­legt hat, Phy­si­ker der Rig­gers-Wer­ke zum Stu­di­um und zur In­be­trieb­set­zung des Ap­pa­ra­tes her­an­zu­zie­hen. Ich kann Ih­nen wei­ter sa­gen, daß auch un­se­re Re­gie­rung mit ei­nem der­ar­ti­gen Schritt an die eng­li­sche Re­gie­rung her­an­ge­tre­ten ist. Heu­te mor­gen kam die Ant­wort: Nein!3

Mei­ne Her­ren, die Grün­de da­für sind durch­sich­tig ge­nug. Eng­land steht auf dem Stand­punkt, daß der Ap­pa­rat Mont­go­me­rys nur durch eng­li­sche Phy­si­ker in Be­trieb ge­setzt wer­den darf. Es be­trach­tet jede frem­de Mit­ar­beit als eine Schmä­le­rung eng­li­schen Er­fin­der­ruh­mes. Nach dem bis­her Er­leb­ten bin ich über­zeugt, daß die eu­ro­päi­sche Pres­se, we­nigs­tens die des Fest­lan­des, den eng­li­schen Stand­punkt auf das schärfs­te be­kämp­fen wird. Die Ant­wort der eng­li­schen Re­gie­rung wird im Lau­fe des heu­ti­gen Ta­ges be­kannt­ge­ge­ben, und wir wer­den da­nach mit ei­ner Hoch­flut von Pres­se­stim­men ge­gen die Ei­gen­brö­te­lei der Ein­zel­staa­ten des eu­ro­päi­schen Staa­ten­bun­des zu rech­nen ha­ben.

Na­tür­lich, mei­ne Her­ren, in mei­ner Ei­gen­schaft als Lei­ter der Rig­gers-Wer­ke be­daue­re ich die­se eng­li­sche Ent­schei­dung durch­aus nicht…«

Fra­gen­de Bli­cke aus der Ver­samm­lung rich­te­ten sich auf den Ge­ne­ral­di­rek­tor. Der fuhr fort.

»Ich hal­te es für durch­aus mög­lich… ja für wahr­schein­lich, daß es uns ge­lin­gen könn­te, den Ap­pa­rat Mont­go­me­rys in Tä­tig­keit zu set­zen. Was hät­ten wir da­mit er­reicht?…«

Die Faust Har­ders fiel schwer auf den Tisch.

»Wir hät­ten das Werk un­se­res ge­fähr­lichs­ten Kon­kur­ren­ten zu glück­li­chem Ende ge­bracht. Wir hät­ten die Früch­te un­se­rer ei­ge­nen jah­re­lan­gen Ar­bei­ten ver­nich­tet. Die Lö­sung des Pro­blems blie­be dann für im­mer ein Er­folg der bri­ti­schen Na­tur­wis­sen­schaft. In­so­fern ist es nur vor­teil­haft für un­ser Werk, daß Eng­land selbst die Zu­sam­men­ar­beit ab­lehnt.«4

Zu­stim­mung sprach aus den Mie­nen und Bli­cken der Ver­sam­mel­ten.

Har­der fuhr fort.

»Mei­ne Her­ren, das Schick­sal schenkt uns noch ein­mal eine Frist. Aber wir wis­sen nicht, wie lang sie sein wird… was mor­gen oder über­mor­gen schon ge­sche­hen kann. Wir müs­sen un­se­re Ar­bei­ten so for­cie­ren, be­son­ders die ma­gne­ti­schen Fel­der so ver­stär­ken, daß wir die von der Theo­rie ver­lang­te Grö­ße schnells­tens er­rei­chen…«

Er sah, wie der eine oder an­de­re aus der Ver­samm­lung den Kopf schüt­tel­te.

»…die­ser Gang der Ver­su­che mag man­chem von Ih­nen ge­wagt er­schei­nen. Aber es muß ge­wagt wer­den. In spä­tes­tens vier Wo­chen müs­sen wir un­ser Ziel er­rei­chen, falls uns… nicht schon frü­her der Er­folg be­schie­den sein soll­te…«

Er­staun­te Bli­cke rich­te­ten sich auf den Spre­cher. Was mein­te er mit die­sen rät­sel­haf­ten Wor­ten?

»Ja­wohl, mei­ne Her­ren, falls uns der Er­folg nicht schon frü­her in den Schoß fällt. Ich hege ernst­li­che Zwei­fel, ob Mont­go­me­ry die von der Theo­rie ver­lang­te ma­gne­ti­sche Feld­stär­ke über­haupt er­reicht hat. Ich hal­te es nicht für aus­ge­schlos­sen, daß wir die Atom­ener­gie schon durch eine ganz ge­rin­ge Ver­stär­kung un­se­rer jet­zi­gen Ver­suchs­an­ord­nun­gen frei­ma­chen kön­nen.

Da­rum noch­mals, mei­ne Her­ren, jetzt rück­sichts­los und mit al­len Mit­teln an das Pro­blem her­an. Es han­delt sich dar­um, daß wir es vor den Eng­län­dern5 lö­sen. In vier Wo­chen muß es ge­löst sein…«

Wie­der ging eine Be­we­gung durch die am Kon­fe­renz­tisch Ver­sam­mel­ten. Aber der her­ri­sche Blick des Ge­ne­ral­di­rek­tors, sei­ne be­fehls­ge­wohn­te Stim­me er­stick­ten je­den Wi­der­spruch im Kei­me.6

Der Ge­ne­ral­di­rek­tor Har­der schloß. »Ich fah­re auf ei­ni­ge Zeit nach Bi­ar­ritz, wer­de aber in vier Wo­chen wie­der zu­rück sein. Wäh­rend mei­ner Ab­we­sen­heit ver­tritt mich Herr Di­rek­tor Lar­sen für die Ar­bei­ten auf War­num. Wen­den Sie sich in al­len Zwei­fels­fäl­len an ihn.«

Ein kur­z­es Kopf­ni­cken. Der Die­ner schloß die Tür hin­ter dem Ge­ne­ral­di­rek­tor.

NKF: »Eng­län­der« ent­fällt  <<<

NKF: »deut­sche« ent­fällt  <<<

NKF: Im ge­sam­ten Ab­satz ent­fällt der Hin­weis auf Eng­land.  <<<

NKF: Der Satz »In­so­fern ist es nur vor­teil­haft für un­ser Werk, daß Eng­land selbst die Zu­sam­men­ar­beit ab­lehnt« ent­fällt voll­stän­dig.  <<<

NKF: »schnells­tens« statt »vor den Eng­län­dern«  <<<

NKF: Ab­satz kom­plett ge­stri­chen  <<<

6

Met­te Har­der war im Gar­ten bei den Blu­men be­schäf­tigt. Lang­sam schritt sie durch das Ro­sen­par­terre, das sich wie ein ein­zi­ger üp­pi­ger Flor um die Vil­la am Bis­mar­ck­damm leg­te. Hier und dort blieb sie ste­hen, trenn­te mit ge­schick­tem Schnitt eine er­blüh­te Rose vom Strauch und leg­te die Blu­me zu den an­de­ren in ein Körb­chen. In ihre Be­schäf­ti­gung ver­tieft, hat­te sie das An­schla­gen der Haus­glo­cke über­hört. Jetzt ließ ein Stim­men­ge­wirr sie auf­hor­chen.

Der Gärt­ner sprach mit ei­nem Frem­den, der an der Pfor­te stand.

»Der Herr Ge­ne­ral­di­rek­tor sind nicht hier. Sie müs­sen spä­ter wie­der­kom­men.«

»Aus­ge­schlos­sen, lie­ber Mann. Mei­ne Sa­che hat Eile. Ich muß den Herrn Ge­ne­ral­di­rek­tor schnells­tens spre­chen. Wann wird er denn kom­men?«

Die ener­gi­sche Wei­se des Be­su­chers schüch­ter­te den Gärt­ner ein. Ver­le­gen kraul­te er sich hin­ter dem lin­ken Ohr.

»Der Herr Ge­ne­ral­di­rek­tor wer­den… ich weiß nicht, wann der Herr Ge­ne­ral­di­rek­tor1