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Alarcon, Pedro de

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The Project Gutenberg EBook of Der Dreispitz, by Pedro de AlarconThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Der DreispitzAuthor: Pedro de AlarconTranslator: Hulda MeisterRelease Date: October 14, 2015 [EBook #50216]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER DREISPITZ ***Produced by Norbert H. Langkau, Matthias Grammel, LaurentVogel and the Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net

Der Dreispitz

Aus dem Spanischen

des

D. Pedro de Alarcon

übersetzt von

Hulda Meister

Leipzig

Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.

Inhaltsverzeichnis

Seite

Vorrede

3

1.

Wann es geschah.

7

2.

Wie die Leute damals lebten.

9

3.

Do ut des.

10

4.

Eine Frau von außen besehen.

13

5.

Ein Mann von innen und von außen besehen.

16

6.

Fertigkeiten der beiden Ehegatten.

17

7.

Der Grund der Glückseligkeit.

19

8.

Der Mann mit dem Dreispitz.

21

9.

Hü, Esel!

24

10.

Vom Rebengeländer aus.

25

11.

Das Bombardement von Pamplona.

28

12.

Zehnten und Erstlinge.

35

13.

Da sagte die Krähe zum Raben.

38

14.

Garduñas Ratschläge.

41

15.

Abschied in Prosa.

46

16.

Ein Unglücksvogel.

50

17.

Ein Dorfschulze.

52

18.

Wie Tio Lucas nicht ans Schlafen dachte.

54

19.

Stimmen in der Wüste.

55

20.

Zweifel und Wirklichkeit.

57

21.

Achtung, Herr!

64

22.

Garduña vervielfältigt sich.

69

23.

Noch einmal die Wüste und die bewußten Stimmen.

72

24.

Ein König von damals.

73

25.

Garduña's Stern.

76

26.

Reaktion.

77

27.

Im Namen des Königs.

78

28.

Ave Maria purisima! Las doce y media, y sereno!

81

29.

Nach dem Gewölk ... Reveille.

83

30.

Eine Dame von Stande.

84

31.

Die Strafe der Wiedervergeltung.

85

32.

Der Glaube versetzt Berge.

90

33.

Nun, und du?

92

34.

Auch die Corregidora ist reizend.

96

35.

Kaiserliches Dekret.

99

36.

Schluß, Moral und Epilog.

102

Vorrede.

Es giebt wohl wenige Spanier, selbst wenn wir solche mitrechnen, die wenig wissen und lesen, welche die dem vorliegenden Werkchen zu Grunde liegende Erzählung nicht kennen.

Zuerst hörten wir sie von einem unwissenden Ziegenhirten, der nie aus dem versteckten Dörfchen, in welchem er das Licht der Welt erblickt, herausgekommen war. Er war einer jener ungelehrten, aber natürlich schlauen, lustigen Bauern, die in unserer Nationallitteratur unter dem Namen picaros (Schelme, Spitzbuben) eine so große Rolle spielen. Gab es eine Hochzeit, eine Taufe, oder kam die Herrschaft einmal zum Besuch, so wurden diese Ereignisse im Flecken natürlich gefeiert, und seine Aufgabe war es dann, die Possen und Pantomimen zu leiten, den Hanswurst zu spielen und Romanzen und Erzählungen vorzutragen; und bei einer solchen Gelegenheit war es (schon fast ein ganzes Menschenalter — das heißt, wohl mehr als fünfunddreißig Jahre — ist darüber vergangen), bei der er eines Abends unsere (relative) Unschuld mit der Erzählung in Versen: »Der Corregidor und die Müllerin«, oder auch »Der Müller und die Corregidora« blendete und entzückte. Wir übergeben sie heute unter dem anspruchsvolleren und philosophischeren Namen (denn so verlangt es der Ernst unserer Zeit) »Der Dreispitz« dem Publikum.

Zwar erinnern wir uns, daß an jenem Abende, an welchem der Ziegenhirt uns eine so angenehme Kurzweil verschaffte, die dort versammelten heiratsfähigen Mädchen sehr rot wurden, woraus die Mütter dann schlossen, daß die Geschichte etwas saftig sein müßte, und den Hirten gehörig zurechtsetzten; aber der arme Repela (so hieß der Hirt) war nicht auf den Mund gefallen und antwortete auf der Stelle, daß sie gar nicht nötig hätten, so aufgebracht zu sein, denn in seiner Erzählung wäre nichts, was nicht jedermann hören könnte, ja, was nicht sogar die Nonnen und die vierjährigen Mädchen wüßten...

»Und wenn nicht, so wollen wir doch einmal sehen,« fragte der Ziegenhirt, »was lernt man aus der Geschichte vom Corregidor und der Müllerin? Daß verheiratete Leute zusammenschlafen, und daß es keinem Gatten paßt, wenn ein anderer Mann bei seiner Frau schläft.... Mich dünkt, daß ist doch die reine Wahrheit!...«

»Freilich ist das wahr,« antworteten die Mütter, als sie das Gelächter ihrer Töchter hörten.

»Beweis dafür, daß der Onkel Repela recht hat,« bemerkte hierauf der Vater des Bräutigams, »ist, daß Groß und Klein, alle hier Gegenwärtigen sich schon überzeugt haben, daß, sobald heute der Tanz zu Ende ist, Juanete und Manolilla das schöne Ehebett einweihen werden, das die Tante Gabriela eben unseren Töchtern gezeigt hat, um die Stickereien an den Kopfkissen zu bewundern...«

»Mehr noch,« sagte der Großvater der Braut, »sogar in der Doctrin und in den Predigten wird den Kindern von diesen so ganz natürlichen Sachen erzählt, wie unsere liebe Frau Anna so lange unfruchtbar war, vom keuschen Joseph, von Judiths Kriegslist und vielen anderen Wundern, die mir jetzt nicht gerade einfallen... darum...«

»Ach was, Tio (Onkel) Repela,« riefen die Mädchen mutig aus, »erzählt Eure Geschichte noch einmal, sie ist doch sehr lustig!«

»Und sogar sehr anständig,« fuhr der Großvater fort, »denn sie lehrt euch nichts Schlechtes; — keinem wird darin angeraten, schlecht zu sein, und der schlecht gewesen ist, geht nicht ungestraft aus...«

»Nun, meinetwegen! wiederholt sie also!« sagte schließlich jede Familienmutter.

Tio Repela wiederholte die Romanze, und da alle sie nun im Lichte jener einfachen Kritik sahen, so gab es auch kein »aber« dabei, was ebenso gut war, wie wenn sie gesagt hätten: Wir geben die notwendige Erlaubnis!

Im Laufe des Jahres haben wir noch viele und sehr verschiedene Versionen desselben Abenteuers von dem Müller und der Corregidora gehört und immer von den Lippen eines Dorfgracioso nach der Art des schon verstorbenen Tio Repela; dann haben wir sie auch in den »Romanzen eines Blinden« gedruckt gesehen und sogar in den berühmten Romanzen des unvergeßlichen Don Agustin Duran.

Die Grundlage der Erzählung ist überall dieselbe: tragikomisch, spöttisch und entsetzlich epigrammatisch, wie alle dramatischen Morallehren, für die sich unser Volk begeistert; aber die Form, der zufällige Mechanismus, die eigentümlichen Vorgänge sind sehr, sind außerordentlich verschieden von der Erzählung unseres Hirten; so sehr, daß dieser keine der erwähnten Versionen in der Cortijada (Bauernhof) hätte vortragen können, ohne daß sich die anständigen Mädchen die Ohren zugehalten oder die Mütter ihm die Augen ausgekratzt hätten.

Bis zu solchem Grade haben die groben Tölpel anderer Provinzen die traditionelle Erzählung, die in des klassischen Repela Version so köstlich, anständig und rein erschien, aufgebauscht und entstellt.

So hatten wir denn schon seit langer Zeit den Plan gefaßt, die Wahrheit der Dinge ans Licht zu bringen, indem wir der stark entstellten Erzählung ihren ursprünglichen Charakter zurückgeben, denn ohne Zweifel war derjenige, in dem der Anstand am meisten gewahrt worden, der ursprüngliche. — Wie könnte man auch daran zweifeln? Diese Art von Erzählungen verlieren, wenn sie durch die Hände des Volkes gehen, ihre Eigentümlichkeiten nicht dadurch, daß sie schöner, zarter und anständiger gemacht werden, sondern indem sie durch die Berührung mit der Gemeinheit und Roheit verstümmelt und verdorben werden.

Das ist die Geschichte des vorliegenden Buches... So wollen wir denn loslegen, das heißt, wir wollen mit der Erzählung von dem Corregidor und der Müllerin beginnen, in der Hoffnung, daß du, ehrenwertes Publikum, in deinem gesunden Urteil, »nachdem du sie gelesen und mehr Kreuze geschlagen hast, als wenn du den leibhaftigen Gottseibeiuns gesehen hättest« (wie Estebanillo Gonzalez im Anfange der seinigen sagte), sie für würdig und wert erachten wirst, veröffentlicht worden zu sein.

Der Dreispitz.

1. Wann es geschah.

Es war zu Anfang dieses langen Jahrhunderts, das sich schon seinem Ende zuneigt. — Ganz genau weiß man das Jahr nicht, nur, daß es nach dem Jahre 4 und vor dem Jahre 8 war.

Damals regierte Don Carlos der Vierte von Bourbon in Spanien; von Gottes Gnaden, wie die Münzen besagten, aus Vergeßlichkeit nur von Bonapartes besonderer Gnade, wie die französischen Bulletins es erklärten. Die übrigen europäischen Herrscher, Abkömmlinge Ludwigs XIV., hatten schon ihre Krone (und ihr Haupt seinen Kopf) verloren in dem rasenden Sturme, der über diesen alten Teil der Welt seit 1789 dahinfegte.

Doch darin bestand die Eigentümlichkeit unseres Vaterlandes in jener Zeit nicht allein. Der Soldat der Revolution, der Sohn eines unbekannten korsischen Advokaten, der Sieger von Rivoli, von den Pyramiden, Marengo und hundert anderen Schlachten, hatte sich soeben die Krone Karls des Großen aufs Haupt gesetzt und ganz Europa umgewandelt, hatte Nationen geschaffen, Nationen ausgelöscht, Grenzen aufgehoben, Dynastien geschaffen, und den Städten, durch welche er auf seinem Streitroß gleich einem Erdbeben, oder gleich dem Antichristen, wie ihn die Mächte des Nordens nennen, kam, andere Formen, andere Namen, Lage, Sitte, ja sogar ein anderes Ansehen gegeben. — Und doch waren unsere Väter (Gott habe sie selig!) weit davon entfernt, ihn zu hassen oder zu fürchten; im Gegentheil gefielen sie sich darin, seine außergewöhnlichen Thaten zu bewundern, wie wenn es sich um den Helden eines Ritterromanes oder um Dinge gehandelt hätte, die sich auf einem anderen Planeten zugetragen, und nicht im entferntesten fiel es ihnen ein, daß er auch hierher kommen könne, um dieselben Grausamkeiten, die er in Frankreich, Deutschland, Italien und anderen Ländern verübt, auch hier zu versuchen. Einmal wöchentlich, höchstens zweimal kam die Post aus Madrid nach dem größten Teile der bedeutenderen Städte der Halbinsel und brachte eine Nummer der Zeitung (die auch keine tägliche war) mit, und durch sie erfuhren die hauptsächlichsten Personen (wir wollen einmal annehmen, daß die Zeitung über diese Geringfügigkeiten berichtete), ob jenseits der Pyrenäen ein Staat mehr oder weniger existierte, ob wieder eine Schlacht geschlagen worden war, in der sechs oder acht Könige und Kaiser gekämpft, und ob Napoleon sich in Mailand, Brüssel oder Warschau befand. Im übrigen aber lebten unsere Vorväter ganz nach der alten spanischen Weise, äußerst langsam, an veralteten Gebräuchen klebend, im Frieden und der Gnade Gottes, mit ihrer Inquisition und ihren Mönchen, ihrer malerischen Ungleichheit vor dem Gesetz, mit ihren Privilegien, Gerechtsamen und persönlichen Vorrechten, mit ihrem Mangel an jeder politischen oder munizipalen Freiheit, wurden gleichzeitig von ihren berühmten Bischöfen und mächtigen Corregidoren, deren respektive Machtvollkommenheiten nicht leicht zu umgrenzen waren, da sich die einen wie die anderen mit dem Zeitlichen und Ewigen befaßten, regiert, und bezahlten Zehnten, Erstlinge, Handelsabgaben, Unterstützungsgelder, Almosen und gezwungene Vermächtnisse, Renten, Rentchen, Kopfsteuern, königliche tercias,[1] Abgaben, Steuern und wohl fünfzig Tribute mehr, deren Aufzählung hier nicht notwendig ist.

Und hiermit ist alles gesagt, was die vorliegende Erzählung mit dem militärischen und politischen jener Epoche zu thun hatte; denn unser alleiniger Zweck, wenn wir vorführten, was damals in der Welt geschah, war: zu konstatieren, daß in dem bewußten Jahre (sagen wir so um 1805) in Spanien noch das alte System in allen Kreisen des öffentlichen und privaten Lebens vorherrschte, wie wenn die Pyrenäen sich inmitten all dieser Neuerungen und Umwälzungen in eine andere chinesische Mauer verwandelt hätten.

2. Wie die Leute damals lebten.

In Andalusien zum Beispiel (denn das, was ich erzählen will, trug sich gerade in einer andalusischen Stadt zu) erhoben sich die Leute von Stand sehr früh, gingen zur Frühmesse in die Kathedrale, wenn es auch kein verordneter Festtag war, frühstückten um neun Uhr einen Eierkuchen und eine Tasse Chokolade mit picatostes (in Öl geröstetes Brot), aßen um ein oder zwei Uhr nachmittags puchero[2] und principio, [3] wenn es Wild gab, wenn nicht, dann nur puchero allein, hielten nach dem Essen ihre Siesta, machten darauf einen Spaziergang durchs Feld, gingen in der Dämmerung in ihrem respektiven Kirchspiel zum Rosenkranz; zum Avemaria tranken sie noch eine Tasse Chokolade, diesmal jedoch mit Zwieback, und die vornehmsten unter ihnen gingen dann zur Abendgesellschaft beim Corregidor, dem Dekan, oder welcher Titel gerade der vorherrschende in der Stadt war. Beim Abendläuten zog man sich zurück, schloß die Hausthür beim Zapfenstreich, aß Salat und guisado (Geschmortes) aus Autonomasie, wenn nicht etwa frische Fische angekommen waren, zum Abendbrot und legte sich sogleich mit seiner Frau zu Bett, doch nicht, ohne daß während neun Monaten im Jahre das Bett vorher gewärmt worden wäre...

Das waren glückliche Zeiten, in denen unser Land im ruhigen, friedlichen Besitz aller Spinnengewebe, allen Staubes, aller Motten, allen Respektes, aller Glaubensmeinungen, aller Traditionen, Gebräuche und durch die Jahrhunderte geheiligten Mißbräuche dahinlebte! Glückliche Zeiten waren es, in denen es in der menschlichen Gesellschaft verschiedene Klassen, verschiedene Meinungen, verschiedene Gebräuche gab! Glückliche Zeiten! sage ich... und besonders für die Dichter, die hinter jeder Ecke eine Legende, eine Erzählung, eine Komödie, ein Drama, eine Novelle, ein Lustspiel, ein Zwischenspiel, ein Mysterium oder ein Epos fanden an Stelle dieser prosaischen Gleichförmigkeit und des geschmacklosen Realismus, den uns die französische Revolution als Erbteil hinterließ. — Glückliche Zeiten, wenn...

Aber da falle ich ja wieder in die alte Gewohnheit zurück. Genug also mit Allgemeinheiten und Umschweifen und laßt uns mutig beginnen mit der Geschichte vom Dreispitz.

3.Do ut des.

Zu jener Zeit gab es in der Nähe der Stadt *** eine prächtige Mühle, die jetzt nicht mehr existiert, ungefähr eine Viertel Legua vom Orte entfernt, zwischen zwei mit Weichsel- und anderen Kirschbäumen bewachsenen Hügeln und einem sehr fruchtbaren Obstgarten, der einem verräterischen, intermittierenden Flusse als Rand — zuweilen auch als Bett — diente.

Seit einiger Zeit schon war die Mühle aus verschiedenen und unterschiedlichen Gründen der bevorzugte Ziel- und Ruhepunkt der angeseheneren Spaziergänger aus der vorerwähnten Stadt. Erstens führte eine Landstraße dorthin, die weniger unbefahrbar war als alle übrigen der Gegend. Zweitens befand sich vor der Mühle ein kleiner, gepflasterter Platz, von einer riesigen, mit Wein überzogenen Laube überschattet, in der man in sehr angenehmer Weise, dank dem immerwährenden Wechsel der Weinblätter, die Kühle des Sommers und die Sonne im Winter genießen konnte.... Drittens war der Müller ein sehr achtbarer Mann, sehr zurückhaltend, sehr schlau, der, was man so sagt, Menschenkenntnis besaß und die Leute zu nehmen wußte, und die großen Herren, die ihn zur Vesperstunde mit ihrem Besuche zu beehren pflegten, bewirtete, indem er ihnen anbot, was gerade die Jahreszeit so mit sich brachte, jetzt grüne Bohnen, dann Kirschen und Weichselkirschen, rohen Salat ohne Zuthaten (der ganz ausgezeichnet ist, wenn man ihn mit Röllchen von in Öl geröstetem Brote ißt, welche die Herrschaften gewöhnlich vorauszuschicken pflegten), Melonen, darauf Weintrauben von demselben Weinstock, der ihnen als Baldachin diente, dann Maiskolben und, wenn es Winter war, gebratene Kastanien, Mandeln und Nüsse und zuweilen an sehr kalten Tagen ein Schlückchen guten Weines (dann aber schon im Hause und beim wärmenden Feuer), dem man zu Weihnachten ein wenig Gebäck, eine Butterschnitte, eine Brezel oder eine Schnitte Schinken aus den Alpujarras hinzufügte.

War der Müller denn so reich, oder seine Gäste so anspruchsvoll? werdet ihr, mich unterbrechend, ausrufen. Weder eins noch das andere. Der Müller hatte nur gerade sein Auskommen, und jene Herren waren das personifizierte Zartgefühl und Stolz. Aber in einer Zeit, in der man der Kirche und dem Staat einige fünfzig verschiedene Abgaben bezahlte, da setzte ein so verständiger und hellsehender Mann wie jener nicht viel aufs Spiel, wenn er sich die Gunst der Regidoren, Canonici, Mönche, Schreiber und anderer einflußreichen Personen zu erwerben suchte. Darum fehlte es auch nicht an Leuten, die da behaupteten, daß der Tio Lucas, denn so hieß der Müller, jedes Jahr ein hübsches Sümmchen zurücklegte, weil er alle Welt bewirtete.

»Euer Gnaden könnten mir wohl ein altes Thürchen von dem heruntergerissenen Hause geben,« sagte er zu dem einen. »Euer Herrlichkeit,« sagte er zu dem andern, »könnten doch wohl Befehl geben, daß man mir die Unterstützungsgelder oder die Kopfsteuer oder den Steueraufschlag etwas erniedrigt.« — »Ehrwürden erlauben mir wohl, daß ich im Klostergarten ein bißchen Laub für meine Seidenwürmer abpflücke.« — »Durchlaucht geben mir wohl Erlaubnis, ein bißchen Brennholz im Walde X. zusammenzulesen.« — »Euer Väterlichkeit wird mir wohl ein paar Worte schreiben, damit man mir erlaubt, im Walde H. ein wenig Nutzholz abzuhauen.« — »Euer Wohlgeboren muß mir da so ein kleines Schriftchen aufsetzen, das nichts kostet.« — »In diesem Jahre kann ich den Zins nicht bezahlen.« — »Ich hoffe, daß der Prozeß zu meinen Gunsten entschieden werden wird.« — »Heute habe ich einem ein paar Ohrfeigen gegeben, und mich dünkt, der muß ins Gefängnis gesteckt werden, weil er mich dazu herausgefordert hat.« — »Hätten Euer Gnaden das wohl übrig?« — »Brauchen Sie das noch zu irgend etwas?« — »Könnten Sie mir Ihr Maultier leihen?« — »Brauchen Sie morgen Ihren Wagen?« — »Was meinen Sie, darf ich wohl den Esel ein wenig holen lassen?« — Und dies Liedchen wiederholte sich stets und in allen Tonarten und erhielt immer die großmütige Antwort: »Wie Sie wünschen.«

Daraus seht ihr wohl schon, daß Tio Lucas nicht auf dem Wege war, sich zu Grunde zu richten.

4. Eine Frau von außen besehen.

Der letzte und vielleicht der stärkste Grund, den die Herrschaften aus der Stadt hatten, alle Nachmittage die Mühle des Tio Lucas zu besuchen, war wohl der, daß sowohl die Geistlichen wie die Laien, vom Herrn Bischof und dem Herrn Corregidor (denn auch diese verachteten es nicht, sie zu besuchen) an, ganz nach ihrer Bequemlichkeit eines der schönsten, anmutigsten, bewundernswürdigsten Werke betrachten konnten, die je aus der Hand Gottes oder, wie man damals mit Jovellanos und der ganzen französischen Schule unseres Vaterlandes sagte, des höchsten Wesens hervorgegangen.

Dies Werk war die Seña Frasquita.[4]

Vor allen Dingen will ich erst sagen, daß die Seña Frasquita, die rechtmäßige Frau des Tio Lucas, eine vortreffliche Frau war, und das wußten alle illustren Besucher der Mühle. Ich sage noch mehr: keiner von ihnen wagte es, sie auch nur mit begehrlichen Blicken oder in sündhafter Absicht zu betrachten. Sie bewunderten sie, und Mönche und Herren, Canonici und obrigkeitliche Personen beliebten, sie zuweilen, natürlich in Gegenwart ihres Mannes, als ein Wunder von Schönheit, das seinen Schöpfer ehrte, und als eine kleine Teufelin voll Übermut und Koketterie, die unbewußt die schwermütigsten Geister aufheiterte, zu preisen. »Sie ist ein schönes Tierchen,« pflegte der sehr tugendsame Prälat zu sagen. — »Sie ist wie eine Statue des hellenischen Altertums,« bemerkte ein sehr gelehrter Advokat, ein korrespondierendes Mitglied der Akademie der Geschichte. — »Sie ist wahrhaftig