Der Enkel der Gräfin Neuenriedt - Margarete Klimsch - E-Book

Der Enkel der Gräfin Neuenriedt E-Book

Margarete Klimsch

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Beschreibung

Die Tür flog auf. Ein junges Mädchen wirbelte mit fröhlichem Lachen ins Zimmer und flüchtete sich hinter den Sessel, in dem die Mutter lesend saß. »Kerstin, ich wette, dass du wieder etwas angestellt hast«, meinte Frau Vera Zeller. Sie legte ihr Buch aus der Hand und schaute zärtlich in das erhitzte Gesicht ihrer Tochter. Noch bevor die Achtzehnjährige antworten konnte, ging abermals die Tür auf. Ein hochgewachsener Mann mit dunkelblondem, gewelltem Haar und grauen, wachen Augen erschien auf der Schwelle. Er blieb stehen, schob lässig seine Hände in die Hosentaschen seiner grauen Sporthose und sah das Mädchen von unten herauf an. »Gib mir sofort den Wagenschlüssel, du kleine Kröte«, knurrte er und ging mit wiegenden Schritten auf seine Pflegeschwester zu. Kerstin Zeller hielt den Autoschlüssel in der hochgehobenen Hand und lachte ihm spitzbübisch entgegen. »Hol ihn dir doch, du Feigling«, erwiderte sie und trat rasch einige Schritte zurück. »Aber dazu müsstest du mich erst haben.« Ein perlendes Lächeln begleitete ihre Worte. »Ich habe dich noch immer überrumpelt, mein Schatz«, ließ sich der junge Mann vernehmen. In seinen grauen Augen nistete der Schalk, während er mit einer raschen Bewegung einen Sessel beiseiteschob. Ein fröhliches Treiben begann, das Frau Vera mit wachsender Begeisterung verfolgte. Und schon fühlte sich Kerstin in die Höhe gehoben und gegen die Wand gedrückt!

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Fürstenwelt – 1 –

Der Enkel der Gräfin Neuenriedt

Unveröffentlichter Roman

Margarete Klimsch

Die Tür flog auf. Ein junges Mädchen wirbelte mit fröhlichem Lachen ins Zimmer und flüchtete sich hinter den Sessel, in dem die Mutter lesend saß.

»Kerstin, ich wette, dass du wieder etwas angestellt hast«, meinte Frau Vera Zeller. Sie legte ihr Buch aus der Hand und schaute zärtlich in das erhitzte Gesicht ihrer Tochter.

Noch bevor die Achtzehnjährige antworten konnte, ging abermals die Tür auf. Ein hochgewachsener Mann mit dunkelblondem, gewelltem Haar und grauen, wachen Augen erschien auf der Schwelle. Er blieb stehen, schob lässig seine Hände in die Hosentaschen seiner grauen Sporthose und sah das Mädchen von unten herauf an.

»Gib mir sofort den Wagenschlüssel, du kleine Kröte«, knurrte er und ging mit wiegenden Schritten auf seine Pflegeschwester zu.

Kerstin Zeller hielt den Autoschlüssel in der hochgehobenen Hand und lachte ihm spitzbübisch entgegen.

»Hol ihn dir doch, du Feigling«, erwiderte sie und trat rasch einige Schritte zurück. »Aber dazu müsstest du mich erst haben.« Ein perlendes Lächeln begleitete ihre Worte.

»Ich habe dich noch immer überrumpelt, mein Schatz«, ließ sich der junge Mann vernehmen. In seinen grauen Augen nistete der Schalk, während er mit einer raschen Bewegung einen Sessel beiseiteschob.

Ein fröhliches Treiben begann, das Frau Vera mit wachsender Begeisterung verfolgte. Und schon fühlte sich Kerstin in die Höhe gehoben und gegen die Wand gedrückt!

Jetzt stand Andreas mit funkelnden Augen vor Kerstin, die ihm nicht mehr ausweichen konnte. Er packte sie und griff nach ihrer Hand. Jetzt warf sie den Schlüssel der Mutter zu.

Frau Vera fing ihn geschickt auf und reichte ihn Andreas. Seine Arme hielten noch das schöne blonde Mädchen. Sein Blick bohrte sich in ihre dunkelbraunen Augen, die das ebenmäßige Gesicht beherrschten und in einem guten Kontrast zu dem lichtblonden Haar standen, das sie schulterlang trug.

Der sinnliche Mund stand ein wenig geöffnet und gab eine Reihe weißer Zähne frei.

»Was soll ich jetzt mit dir machen, du kleine, freche Rübe«, raunte er ihr zu.

Kerstin versuchte sich, aus seinem festen Griff zu befreien. Ihre Lippen teilten sich, ihr roter Mund näherte sich seinem Arm, als ob sie zubeißen wollte.

Aber der junge Mann durchschaute sie und zuckte zurück. »Kleine Wildkatze, das könnte dir so passen, was? Du hast mich schon einmal gebissen, als du noch ein kleines Mädchen warst. Ich kenne dich genau. Wenn du deine Hände nicht gebrauchen kannst, versuchst du es mit deinen Zähnen. Aber nicht bei mir!« Ein lustiges Lachen folgte seinen Worten.

Er hielt sie ein Stück von sich ab.

Kerstin atmete schwer und pustete eine blonde Locke aus der Stirn. Ihre dunklen Augen schimmerten fast schwarz.

Endlich lockerte sich ihr Körper. Sie lächelte ihn an: »Na schön, ich gebe auf, Andreas.«

Er hielt sie noch umklammert, während er von der Mutter den Wagenschlüssel entgegennahm.

»Für alle Fälle«, meinte er und steckte ihn in seine Hosentasche.

Erst dann ließ er das schwer atmende Mädchen los. »Okay, Ihr Süßen, ich muss mich beeilen, sonst komme ich noch zu spät zum Gymnasium. Der kleine Teufel hat mich genug aufgehalten!«

Er zog die Mutter, seine Pflegemutter, in die Arme und küsste sie zärtlich auf die Stirn.

Kerstin zog einen allerliebsten Schmollmund: »Willst du mich nicht mitnehmen, Andreas? Du kannst mich am Theater absetzen, von dort aus gehe ich zu meiner Freundin.«

Sie schaute ihn so lieb an, dass er gar nicht anders konnte, als zu sagen: »Komm schon!« Er warf einen raschen Blick auf seine Armbanduhr und fügte hinzu: »Vielleicht kann ich dich noch bei deiner Freundin absetzen.«

Frau Vera trat zum Fenster und beobachtete, wie sie in den Wagen stiegen, ihr noch einmal zuwinkten und dann davonfuhren.

Sie wusste nicht, warum ihr das Herz plötzlich so schwer in der Brust lag. Sie ging zurück ins Zimmer und ließ sich in einen Sessel gleiten.

Ihre Gedanken gingen um viele Jahre zurück: Es war vor achtundzwanzig Jahren gewesen, als sie die blasse, überschlanke Beate Neuenriedt kennengelernt hatte. Bald schon hatten sich die Mädchen angefreundet, und Beate vertraute ihr, Vera, an, dass sie ein Kind unter ihrem Herzen trug. Der Mann, den sie zu lieben glaubte, hatte sich von ihr getrennt, weil ihre Eltern sie um dieser Liebe willen enterbt hatten. Genaueres hatte ihr Beate nicht von ihrer Familie berichtet, auch nicht, wo ihre Heimat war. Beate hatte in Armut gelebt und einem gesunden Jungen das Leben geschenkt. Sie war schwach und krank, sie wusste, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte! Damals hatte sie Vera gebeten, sich ihres Kindes anzunehmen, wenn ihr Leben verlöschen würde.

Vera war einige Jahre mit ihrem Mann verheiratet gewesen. Da sich noch kein eigener Nachwuchs eingestellt hatte, nahm sie den kleinen Andreas nach dem Tode seiner Mutter in ihre Familie auf. Auch ihr Mann, Hans, war dem Jungen ein guter und verständnisvoller Vater gewesen. Doch zehn Jahre später bekam Frau Vera ein eigenes Baby. Andreas aber war ihnen so sehr ans Herz gewachsen, dass sie ihn nicht wieder hergeben wollten. So blieb er bei ihnen und wuchs in Geborgenheit zu einem aufrechten, fleißigen und gut aussehenden Mann heran. Nie hatte sie Kummer wegen des Jungen, im Gegenteil, er entwickelte Fähigkeiten und Ehrgeiz, dass die Lehrer rieten, ihn studieren zu lassen. Seltsamerweise interessierte sich Andreas für alles, was mit Bodenbewirtschaftung und Viehaufzucht zu tun hatte, sodass er jetzt Landwirtschaft studierte. Sein sehnlichster Wunsch war es, später ein großes Gut zu verwalten. Wie konnte er auch ahnen, dass ihn die Liebe zur Scholle diesen Beruf erlernen ließ. Zur Scholle, die schon seine Vorfahren seit langen Zeiten bewirtschaftet hatten!

Das wusste auch Frau Vera Zeller nicht, denn Beate Neuenriedt hatte über ihre Herkunft geschwiegen.

Vera Zeller dachte an die Zukunft ihres Kindes, ihrer Kerstin! Sie ahnte, dass diese ihren Pflegebruder liebte, wenn das Mädchen es auch noch nicht wahrhaben wollte. Aber die Mutter schaute ihr ins Herz.

Ein schwerer Seufzer entrang sich ihrer Brust.

*

»Sag mal, Mark, wie lange sollen wir denn noch warten, bis uns Tante Josephine als Erben einsetzt«, fragte das rothaarige Mädchen und sah den Bruder, der ebenfalls einen roten Haarschopf hatte, an.

Der hochgewachsene, dünne, junge Mann mit den harten Zügen blickte düster vor sich hin.

»Woher soll ich denn das wissen! Vielleicht will sie uns erst prüfen, ob wir geeignet sind, den Kasten hier zu führen!«

Er ließ ein unangenehmes Lachen hören.

»Bist du etwa auch der Meinung, Schwester, dass ich mich hier hinter den alten Mauern verkriechen würde? Ich tauge auch nicht dazu, die Wirtschaft zu führen. Und wenn mich die Alte tausendmal auf die Schule schicken will. Ich will nicht hier in der Einöde versauern! Ich nicht!«

»Was willst du denn machen? Däumchen drehen?«, fragte ihn seine Schwester. Ihr Gesicht war mit Sommersprossen bedeckt.

»Das weißt du ganz genau. Ich will meinen Anteil, nichts weiter. Vielleicht, wenn es dir gelingt, kannst du dir ja einen reichen Mann angeln, einen, der sich dazu bereit erklärt, diesen Kasten hier zu übernehmen. Aber …« Unverschämt schaute er seine Schwester an: »Wie gesagt, wenn dich einer nimmt! Warum lässt du dir nicht die Sommersprossen wegmachen?«

»Weil es keinen Sinn hat. Sie treten immer wieder auf, und eine Schönheitsoperation ist mir zu kostspielig«, gab das Mädchen leise zurück. Es maß den Bruder mit bösen Blicken. »Schön bist du auch nicht gerade! Ich finde, du bist viel zu schlaksig! Und dein Gesicht drückt den schlechten Charakter aus!« Evelin trat rasch einige Schritte zurück, denn ihr Bruder kam drohend auf sie zu.

»Ich warne dich!«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. Doch dann veränderte sich sein hartes Gesicht schlagartig.

Er brachte es sogar fertig, seine Schwester anzulächeln, bevor er zur Seite sah.

Auch die rothaarige Evelin errötete und zwang ein bezauberndes Lächeln auf ihre Züge. Sie näherte sich mit raschen Schritten der alten Dame, die schwer auf ihren Stock gestützt ihnen entgegenkam.

»Tante Josephine, du willst deinen Rundgang machen? Darf ich dich begleiten?«, fragte Evelin und legte allen Schmelz in ihre Stimme.

Die alte Dame blieb stehen und reckte sich. Mit einem prüfenden Blick sah sie auf Mark, der ihr noch immer zulächelte.

»Sag mal, mein Junge, bist du nicht auf dem Feld?« Sie warf einen flüchtigen Blick auf ihre Armbanduhr und fügte hinzu: »Ich hörte doch, wie dich Herr Weiser einteilte.«

Das Gesicht des jungen Mannes verzog sich mit brennender Röte. Arbeiten war nicht gerade seine Stärke. Wo er konnte, versuchte er sich davor zu drücken. Immerhin war er der zukünftige Erbe hier! Darum ließ er sich auch nicht viel von Herrn Weiser, dem Verwalter, sagen.

»Ich … ich …«

»Mach, dass du an deine Arbeit kommst«, unterbrach ihn die alte Dame hart. Sie wartete, bis Mark aus dem Schlosshof war, dann wandte sie sich an Evelin: »Wenn dein Bruder schon ein Drückeberger ist, dann musst du ihm besser auf die Finger sehen. Ich kann keine Faulenzer gebrauchen, mein Kind. Merke dir das für die Zukunft. Wenn Mark nicht spurt, dann verkaufe ich! Denkt ja nicht, dass ihr dann einen Stein erbt. Oder ich vermache alles einem Altersheim! Also, überlegt es euch gut. Nur wer sät, der erntet. Wenn du mich begleiten willst, dann komm jetzt!«

Die Gräfin hatte hart gesprochen. Sie hatte vor einem Jahr die erwachsenen Kinder ihres verstorbenen Neffen aufgenommen, in der Hoffnung, aus ihnen brauchbare Menschen machen zu können. Sie waren die einzigen Verwandten, denen sie den Besitz der Neuenriedts in die Hände legen konnte. Aber nur dann, wenn sich die Geschwister bewährten!

Gräfin Josephine war eine verbitterte Frau geworden, seit ihr Gatte die einzige Tochter enterbt hatte. Beate hatte nie wieder etwas von sich hören lassen. Kein Lebenszeichen, nichts!

Sie war damals jung und begehrenswert gewesen, hatte viele Verehrer gehabt, aber sie hatte ihr Herz an den Gärtner, der ihr nichts bieten konnte, verschenkt. Mit ihm war sie geflohen und hatte ihre Eltern und somit ihr geborgenes Zuhause aufgegeben.

Gräfin Josephine hatte Jahr um Jahr gehofft, dass ihre einzige Tochter heimkehren möge. Sie hatte in unendlich vielen Gebeten den Himmel angefleht, aber Beate blieb verschollen. Zwei Monate, nachdem sie mit dem Gärtner durchgebrannt war, hatte sie sich kurz gemeldet. Sie bat um die Einwilligung der Eltern zu ihrer Eheschließung. Aber ihr Vater war hart gewesen und hatte ihr mitgeteilt, dass er sie enterbt habe. Die Einwilligung zur Eheschließung mit dem Gärtner hatte er ihr verweigert. Blutjung war sie gewesen, als sie ihr Elternhaus verlassen hatte. Die alte Gräfin hatte die Hoffnung längst schon aufgegeben, ihre Tochter jemals wiederzusehen.

Inzwischen war nun Josephine Gräfin von Neuenriedt alt und müde geworden. Ihr Gatte hatte vor zwei Jahren das Zeitliche gesegnet und sie mit all den Sorgen um die Zukunft von Neuenriedt allein zurückgelassen.

Die Gräfin setzte ihren Weg mit dem jungen Mädchen fort. Fast bereute sie es schon, die Kinder ihres Neffen auf ihrem Schloss aufgenommen zu haben. Sie hatte sich das Leben mit den beiden anders vorgestellt. Sie gefielen ihr nicht. Mark, das war ihr schon aufgefallen, drückte sich, wo er nur konnte. Evelin war langweilig und ungesellig.

Unweit des Schlosses befand sich ein Heim für behinderte, alte Leute. Dorthin schickte die Gräfin ihre Großnichte, damit sie sich etwas nützlich machen konnte. Sie wusste, dass Evelin diese Arbeiten nicht gern tat, aber trotzdem wünschte sie, dass das Mädchen täglich einige Stunden zu den bedauernswerten, alten Leuten ging, um sie zu betreuen.

Evelin aber graute vor dieser Arbeit in dem Heim. Diese Frauen waren zum Teil schwer behindert und brauchten Pflege. Einigen hatte das Alter das Gedächtnis geschwächt.

»Was macht Mutter Zierbold?«, erkundigte sich Gräfin Josephine, während sie die gepflegten Parkwege entlangschritten.

»Es geht ihr gut, Tante Josephine. Sie lässt dich grüßen. Frau Zierbold hatte gestern Besuch. Ihre Tochter war da. Denk dir, zwei Jahre hatte sie sich nicht um ihre alte Mutter gekümmert. Frau Zierbold weinte, als ihre Tochter wieder ging. Die alte Frau tat mir sehr leid.«

Das junge Mädchen warf einen raschen Blick in das vom Leben gezeichnete Gesicht der Großtante, dann fragte es unvermittelt: »Nicht wahr, du hast auch eine Tochter, die du viele Jahre nicht ge …«

»Schweig!«, fuhr die Gräfin auf. »Darüber möchte ich nicht reden. Mit dir schon gar nicht!«

*

Evelin biss sich auf die Lippen. Sie kannte die tragische Geschichte von ihrer Mutter. Sie hatte sich auch nichts dabei gedacht, als sie jetzt dieses Thema anschnitt, sondern eher geglaubt, Tante Josephine würde erleichtert sein, wenn sie mal über die Geschichte sprechen konnte, die sich vor vielen Jahren zugetragen hatte. Aber Evelyn hatte sich geirrt. Sie bat um Verzeihung und senkte den Kopf.

Die Ältere tätschelte ihre Hand. »Ist schon gut, mein Kind. Im Grunde bist du gar nicht schlecht. Ja, ich bin sogar sicher, dass in dir ein guter Kern steckt. Was mir Sorgen bereitet, das ist dein Bruder! Mark gefällt mir nicht.

Und ich habe den Eindruck, dass du unter seinem Einfluss stehst. Evelin, wenn ich nicht von dem Vergangenem sprechen will, dann nur, weil ich es nicht kann. Schau, mein Kind, es gibt Dinge im Leben, die ein Mensch niemals verkraften kann.«

»Du hast Beate, Verzeihung, Tante Beate, sehr geliebt, nicht wahr?«

Die alte Dame nickte, aber ihre Lippen pressten sich hart zusammen.

Sie erreichten eine Bank und ließen sich darauf nieder. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden ungleichen Frauen. Die Vögel sangen in den Zweigen der Lärchen und Ahornbäume. Hoch über ihnen am Himmelszelt näherte sich mit leisem Motorengeräusch ein Flugzeug und verschwand in der Ferne. Sonst war Stille um sie herum.

Die Gräfin erhob sich. »Lass uns zurückgehen. Ich werde dir noch einen Brief diktieren, den du zur Post bringst. Dabei kannst du noch einige Besorgungen machen.«

Das Mädchen nahm den Arm der alten Dame und führte sie davon. Eine Frage brannte auf ihren Lippen, die sie unbedingt beantwortet haben wollte. Jetzt war dazu der rechte Augenblick gekommen. Nicht immer war die Großtante so redselig wie heute.

»Tante Josephine, sag mir bitte, bin ich wirklich so hässlich?«

Die alte Dame blieb überrascht stehen und sah dem Mädchen in das errötete Gesicht. Dann glitt ihr Blick an der gertenschlanken Erscheinung entlang und heftete sich auf die wohlgeformten Beine.

»Hässlich? Wer behauptet das?«, fragte sie endlich.

»Mark meint, dass ich mit meinem Gesicht keinen Mann bekäme«, erwiderte Evelin verschämt.

»Mark, dieser Nichtsnutz«, meinte die alte Dame verächtlich. »Wenn du schon auf ihn hörst! Ich finde, dass du ein reizendes Mädchen bist. Du hast eine tadellose Figur, ein ebenmäßiges Gesicht. Dein Haar glänzt. Was willst du noch?«

»Ich meine die abscheulichen Sommersprossen. Ich habe schon verschiedene Cremes benutzt, um sie zu beseitigen, aber sie kommen immer wieder.«

»Mein Kind, wenn dich ein Mann liebt, dann fragt er nicht danach, ob du Sommersprossen hast. Ich zum Beispiel könnte sie mir bei dir nicht wegdenken. Sie verleihen deinem Gesicht etwas Keckes. Überdies bist du nicht das einzige Mädchen, das Sommersprossen hat.«

Evelin nahm die welke Hand der Großtante in die ihre und hauchte einen Kuss darauf. »Ich danke dir, Tante Josephine. Du gibst mir wieder Mut.«

*

»Andreas, wenn du Zeit hast, dann komm noch auf eine Stunde mit in meine Junggesellenbude. Magst du?«, erkundigte sich der junge Baron Wolfram von Schonitz. Die beiden waren Studienkollegen. Sie verstanden sich gut, und man konnte schon behaupten, dass sie eine Freundschaft verband. Wolfram von Schonitz störte sich nicht daran, dass Andreas aus einer Arbeiterfamilie kam.

Für ihn war Andreas ganz einfach ein guter Kamerad, mit dem man Pferde stehlen konnte.

»Gut, ich komme mit, mein Junge.« Sie schlenderten zu ihren Wagen und fuhren durch Berlins Straßen. Vor einem hohen Mietshaus hielten sie und stiegen aus.