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Eine tragische Familiengeschichte um einen Adoptivsohn: Antonio Piachi ist ein reicher Immobilienhändler und reist mit seinem Sohn, Paolo, nach Ragusa, wo jedoch die Pest ausgebrochen ist. Aus Mitleid nimmt er daher Nicolo, einen infizierten Waisenjungen, mit. Als Paolo stirbt, adoptieren Piachi und seine Frau Nicolo. Doch was zunächst wie eine heile Familie aussah, gerät immer mehr in Unordnung und führt schließlich zu einem schrecklichen Ende... Heinrich von Kleist (1777-1811) gehörte einem altpommerschen Adelsgeschlecht an, hatte jedoch trotz günstiger Voraussetzungen Zeit seines Lebens mit Problemen zu kämpfen und beging schließlich Selbstmord. Einerseits als Vertreter der Aufklärung verstanden, wird er auch oft der Weimarer Klassik und Romantik zugeordnet. Seine bekanntesten Werke sind u.a. "Die Marquise von O...", "Der zerbrochene Krug", "Michael Kohlhaas" und "Das Erdbeben von Chili".
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Seitenzahl: 31
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Heinrich von Kleist
Saga
Der FindlingCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1811, 2020 Heinrich von Kleist und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726755695
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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Antonio Piachi, ein wohlhabender Güterhändler in Rom, war genötigt, in seinen Handelsgeschäften zuweilen grosse Reisen zu machen. Er pflegte dann gewöhnlich Elvire, seine junge Frau, unter dem Schutz ihrer Verwandten daselbst zurückzulassen. Eine dieser Reisen führte ihn mit seinem Sohne Paolo, einem elfjährigen Knaben, den ihr seine erste Frau geboren hatte, nach Ragusa. Es traf sich, dass hier eben eine pestartige Krankheit ausgebrochen war, welche die Stadt und Gegend umher in grossen Schrecken setzte. Piachi, dem die Nachricht davon erst auf der Reise zu Ohren gekommen war, hielt in der Vorstadt an, um sich nach der Natur derselben zu erkundigen. Doch da er hörte, dass das Übel von Tage zu Tage bedenklicher werde und dass man damit umgehe, die Tore zu sperren; so überwand die Sorge für seinen Sohn alle kaufmännischen Interessen: er nahm Pferde und reiste wieder ab.
Er bemerkte, da er im Freien war, einen Knaben neben seinem Wagen, der nach Art der Flehenden die Hände zu ihm ausstreckte und in grosser Gemütsbewegung zu sein schien. Piachi liess halten, und auf die Frage: was er wolle? antwortete der Knabe in seiner Unschuld: er sei angesteckt; die Häscher verfolgten ihn, um ihn ins Krankenhaus zu bringen, wo sein Vater und seine Mutter schon gestorben wären; er bitte um aller Heiligen willen, ihn mitzunehmen und nicht in der Stadt umkommen zu lassen. Dabei fasste er des Alten Händ, drückte und küsste sie und weinte darauf wieder. Piachi wollte, in der ersten Regung des Entsetzens, den Jungen weit von sich schleudern, doch da dieser in eben diesem Augenblick seine Farbe veränderte und ohnmachtig auf den Boden niedersank, so regte sich des guten Alten Mitleid: er stieg mit seinem Sohn aus, legte den Jungen in den Wagen und fuhr mit ihm fort, obschon er auf der Welt nicht wusste, was er mit demselben anfangen sollte.
Er unterhandelte noch in der ersten Station mit den Wirtsleuten über die Art und Weise, wie er seiner wieder los werden könne: als er schon auf Befehl der Polizei, welche davon Wind bekommen hatte, arretiert und unter einer Bedeckung, er, sein Sohn und Nicolo, so hiess der kranke Knabe, wieder nach Ragusa zurücktransportiert ward. Alle Vorstellungen von seiten Piachis über die Grausamkeit dieser Massregel halfen zu nichts; in Ragusa angekommen, wurden nunmehr alle drei unter Aufsicht eines Häschers nach dem Krankenhause abgeführt, wo er zwar, Piachi, gesund blieb und Nicolo, der Knabe, sich von dem Übel wieder erholte; sein Sohn aber, der elfjährige Paolo, von demselben angesteckt ward und in drei Tagen starb.