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Vor vielen Jahren ist der Ich-Erzähler aus Griechenland nach Schweden ausgewandert. Dort lebt er mit Ehefrau und Tochter und arbeitet als inzwischen erfolgreicher Schriftsteller. Aber Erfolg und Familie sind für ihn nicht ausreichend, um glücklich zu sein. Er hat seine Jugendliebe nie vergessen. Seit vielen Jahren denkt er an eine Frau in Griechenland, deren Name hinter jedem seiner gesamten Sätze steht, ohne dass er wagt, ihn auszusprechen. Er denkt auch an seinen Freund, Andreas. Eine tiefe Freundschaft, die nicht frei von Neid und nicht frei den er bewunderte und der sein Nebenbuhler war. Eines Tages taucht dieser Freund in Stockholm auf. Sehnsüchte, Erinnerungsfetzen und weit in der Ferne deponierte Gefühle verlieren ihre Unverbindlichkeit. Der Freund ist die Wirklichkeit, der sich der Erzähler stellen muss. AUTORENPORTRÄTTheodor Kallifatides wurde 1938 in Griechenland geboren. 1963 emigrierte er nach Schweden. Bevor er an der Universität von Stockholm Philosophie zu studieren begann, schlug er sich als Tellerwäscher, Postbote und Nachtportier durch. In der Zeit von 1972 bis 1976 war er Herausgeber der angesehenen Literaturzeitschrift "Bonnier Literary Magazine". Sein eigener literarischer Durchbruch gelang ihm mit einer autobiographischen Trilogie. Es folgten Romane, Erzählungen, Gedichte und ein Kinderbuch. Er erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, seine Werke liegen in mehrere Sprachen übersetzt vor. REZENSION von 'Die Sieben Stunden im Paradies'"Wie immer stellt Kallifatides das Problem der Moral mit Leichtigkeit und Scharfsinn in den Mittelpunkt; so dass das Lesen dieses Romans zu einem Genuss wird." - Magnus Eriksson, Svenska Dagbladet REZENSION von Der Kalte BlickTheodor Kallifatides schreibt eine moderne Version der griechischen Tragödie und einen literarischen Krimi der Spitzenklasse-
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Seitenzahl: 224
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Für GunillaMarkusJohanna
Stockholm 1981
Zu Unrecht beklagt sich der Mensch darüber,daß er wegen seiner Gebrechlichkeit und Vergangenheit mehr vom Zufall beherrscht sei als von sich selbst.
Sallust
Ich lag im Gras und dachte: Wie werde ich frei? Wie kann ich es vermeiden, mich noch länger räumlich einzurichten, wie kann ich die Szenerie wechseln? Tätigkeit oder Ruhe?
Es war ein milder Nachmittag, Anfang April. Über mir breitete sich der alte knorrige Apfelbaum, darüber himmlisch-reines Licht.
Das Kind spielte ein bißchen weiter drüben in dem erwachenden Garten. Seine nackten, flaumigen Beine reflektierten das warme Licht des Nachmittags. Das Kind lief zum Kirschbaum, blieb dort einen Augenblick stehen und rannte dann zurück.
Das Kind ist meine Tochter.
Vor einer Woche ist sie fünf geworden. Ich habe Ohrringe für sie gekauft, kleine Lapissteine, die mir in einem unscheinbaren Geschäft in einer Nebenstraße Kopenhagens aufgefallen waren. Ich bin in das Geschäft gegangen und habe die Ohrringe gekauft, ohne eigentlich zu wissen weshalb, aber jetzt, wie ich so im Garten lag, irgendwie ausgeliefert – wußte ich es. Sie, deren Namen ich nun seit mehreren Jahren nicht in den Mund genommen habe, trug ähnliche Ohrringe, blaue Lapissteine, die sie ebenfalls von ihrem Vater bekommen hatte, im gleichen Alter wie meine Tochter, und vermutlich war sie dabei ebenso verlegen.
Meine Tochter hatte mich lange angesehen, in ihren Augen sah ich die Schatten ihrer Gedanken, aber dann hatte sie mich auf den Mund geküßt und sie schmeckte nach Mandel. Am selben Abend, als sie glücklich und zufrieden allein in der Badewanne lag – sie bestand seit einiger Zeit darauf, allein in der Badewanne zu sein –, sah ich sie zufällig für einen Moment. Sie hatte sich aufgesetzt, vor ihr stand ein Spiegel mit rotem Rahmen, ihr Blick war weit weg und langsam strich sie ihr weiches Haar zurück, um die Ohrringe besser sehen zu können und gleichzeitig sich selbst, viele Jahre voraus.
Ach diese Träume von einer Zeit, die immer vor uns liegt!
Ich hatte den Blick gesenkt, ich war nicht in die Welt meiner Tochter eingedrungen – aber es hat weh getan in meinem Herzen, sehr weh. Ich dachte an meine Mutter, ich hatte in einem unbewachten Moment auch sie gesehen, wie sie vor einem Spiegel alterte, es war der kleine Spiegel mit dem goldenen Rahmen, der auf ihrem Nachttisch stand. Ich habe meine Mutter nie anschauen können ohne Furcht, ohne das Zittern, das man vor einem unterirdischen Gang bekommt, das gleiche Zittern, das ich immer ihr gegenüber verspürte, deren Namen ich seit mehreren Jahren nicht in den Mund genommen habe.
Ich dachte an den sonnigen Tag, an dem sie und ich allein hinuntergestiegen sind in das Königsgrab auf Zypern. Wir waren damals Kinder oder fast noch Kinder. Die alte Insel, des Dichters «graugrünes, ins Meer geworfenes Blatt», war eben befreit worden, die englische Besatzungsmacht zog sich gerade zurück und der englische General räumte die Sommerresidenz, an deren Einrichtung Arthur Rimbaud als Schreiner mitgewirkt hatte.
In dem königlichen Grab war es sehr still und dort oben, wo die Welt sich öffnet, war eben ein Krieg mit demselben traurigen Ergebnis wie immer zu Ende gegangen: da ist einer zum Sieger gekürt und ein anderer zum Verlierer gestempelt worden, aber eine Niederlage haben wir alle erlitten, auch sie und ich, so versteckt wir waren vor dem zyprischen Licht und dessen glänzenden Düften nach Zitrone, Pinie und Schießpulver.
Im Grab war sonst niemand, nur sie und ich und noch eine Eidechse, die uns anstarrte, unbeweglich und aus weiter Ferne wie ein orientalisches Schicksal. Der Gesang der Nachtigall, der den Dichter nicht schlafen ließ, den Dichter, den wir so liebten, war nicht zu hören. Und sie fragte mich: «Woran denkst du?»
Ich hatte nicht geantwortet, ich hatte nur ihre Hand gesucht in der kühlen Dunkelheit. Ihre Hand war geschlossen, sie fürchtete die Stille, die Zeit, das duftende Licht draußen, das uns eines Tages weggenommen würde; ihre Hand umschloß das letzte Sandkorn einer Zeit, die noch ihr und mir gehörte.
Sie hatte mich gefragt: «Woran denkst du?» Ich hatte nicht geantwortet, dachte aber an meine Mutter. Das königliche Grab war wie eine Gebärmutter, ein wortloser und stummer Raum, in dem ich furchtbar lebendig war, ohne atmen zu müssen.
An diesem Tag hatte ich sie noch nicht geküßt, an diesem Tag hatte sie mich noch nicht geküßt. An diesem Tag wußte ich noch nicht, daß es noch eine Gebärmutter gab, in der ich mein Leben leben konnte. Aber an diesem Tag, in der stillstehenden Zeit im königlichen Grab, küßte ich ihre Pulsader, die «kostbare Uhr» ihres Blutes, und sie duftete genau wie meine Tochter: nach Mandel.
Seit diesem Tag habe ich mich immer nach ihr gesehnt, obwohl ich mehrere Jahre ihren Namen nicht in den Mund genommen habe, aber ihr Name stand vor und hinter jedem Satz, den ich geäußert hatte, ihr Name zitterte unter allen meinen Worten, war wie ein Vulkan, auf dessen Spitze ich mein Leben ein wenig einsam verbrachte, ein wenig mutig, aber stets zitternd; ich verbrachte mein Leben auf einem ungesagten Wort.
Ich lag also an diesem milden Nachmittag Anfang April im Gras und dachte an meine Mutter, ich dachte an die ungenannte Frau und an meine Tochter: Grotten aus Fleisch und Blut, aus ersterer bin ich gekommen, zu letzterer bin ich geworden und in der mittleren sollte ich mein Leben leben.
Die Hände auf den Kopf gestützt, sah ich dem Kinde zu, das meine Tochter ist und scheinbar ohne jede Absicht hin und her lief, wie ein Tagtraum, eine optische Täuschung. Das Gras hatte noch die aschgraue Tönung des beginnenden Frühlings, die grüne Farbe war noch nicht durchgebrochen, aber wenn man genau hinsah, konnte man den Farbansatz ahnen, die Grashalme wölbten sich unmerklich, wie eine Frau an dem Tag, an dem sie empfängt; aber noch war das Gras aschgrau, der Winter war lang und kalt gewesen, und der alte Apfelbaum mit seinen nackten Zweigen warf seinen dünnen Schatten auf mich.
Mein Herz war stumm vor Sehnsucht und meine Gehirnzellen waren blockiert von einem einzigen Wort, das ich nicht laut auszusprechen wagte.
Ein älteres Pärchen radelte an dem Garten vorbei, ich achtete nicht besonders auf sie, aber ich hörte die Frau: «Guck mal, wie die Knospen springen!» rief sie dem hinter ihr fahrenden Mann zu und in ihrer Stimme klang sowohl Triumph wie Rache, und ich weiß nicht, ob der Mann es bemerkte, aber er fuhr noch langsamer und beugte den Kopf tiefer. Der Frühling war nichts für ihn, seine Tür war verschlossen, er verschwand aus meinem Gesichtsfeld, noch ein Tagtraum, noch eine optische Täuschung.
Die nackten Beine des Kindes standen auf einmal vor meinem Kopf. Die noch nicht völlig ausgeformten Zehen versanken im Gras, ich streichelte sie vorsichtig, die Haut war straff.
«Warum rennst du so hin und her?»
«Ich spiele!»
«Was spielst du?»
«Verstecken!»
Ich hob den Kopf und begegnete dem Blick des Kindes. Sie warf den Kopf zurück, sie lachte, das schräge Licht verfing sich in ihrem Mund.
«Und wen suchst du?»
«Ich suche mich selber!»
Dann lachte sie wieder und lief davon. Ich wollte ihr nachrufen, aber es war nicht der Name meiner Tochter, den meine Lippen formen wollten. Es war ein anderer Name und eine Zehntelsekunde lang glaubte ich, er würde aus mir herausbrechen – aber noch einmal verließ mich der Mut.
Ich blieb still liegen. Der Schatten des alten Apfelbaumes zog sich langsam in die Länge, um allmählich zu verschwinden. Das Kind war hineingegangen.
Es wurde kühl. Unmerklich hatte sich die Luft um mich verändert, kleine kristallene Teilchen reizten meine Haut, ich fror. Ich erhob mich, im Garten war kein Laut. Das Haus, eingerahmt von zwei hohen Birken, schwebte in dem Dämmerlicht. Eine Lampe wurde entzündet, ich sah, wie sich die junge Frau über etwas beugte, ihr schmaler, unschuldiger Rücken verriet, daß es etwas Lebendiges sein mußte, in ihrer Bewegung nach vorne lag ein Zurückzucken, ein Zögern, mit dem sich ein scheuer Mensch allem Lebenden nähert. Die junge scheue Frau war meine Ehefrau.
Ich blieb unter dem Apfelbaum stehen und das Haus, mein Haus, setzte sanft seine Luftfahrt fort, mit der Frau und dem Kind an Bord.
Bald würden die Frau oder das Kind nach mir rufen. Im Wohnzimmer sah ich einen bläulichen, unwirklichen Schein, jemand mußte den Fernseher eingeschaltet haben. Der Tisch war sicher bereits gedeckt. Ich sah vor mir zwei gleiche Teller, die einander gegenüberstanden und dazwischen einen dritten, etwas kleineren. Die Lampe über dem runden Kiefernholztisch war noch nicht angemacht, aber das würde nun gleich geschehen. Ich würde mich der Frau, die meine Ehefrau ist, gegenübersetzen und wir würden einen Augenblick warten, bis sich das Kind seine Hände gewaschen hätte, eine Maßnahme, die sich selten als zweckmäßig erwies. Das Kind würde mit allen möglichen Dingen in den Händen aus dem Bad kommen: Puppen, Schiffen, Bällen, und alles würde sie gewaschen haben, nur nicht die Hände. Dann würde das Kind Geschichten erzählen: von dem Floh, der zu einem Pfefferkuchen wurde, vom Pfefferkuchen, der zum Gespenst wurde; sie würde mit den Augen rollen vor Entsetzen und Entzücken. Ab und zu würden die Frau mir gegenüber und ich uns schweigend anblicken, ich würde Wein in ihr Glas schenken, sie würde mir den Käse reichen; das Haus um uns würde eins werden mit dem Raum in uns und in der Nacht würden wir nebeneinander liegen, die Frau mir gegenüber, die meine Ehefrau ist, und der Mann ihr gegenüber, der ich bin. Wir würden dem Geplapper des Kindes zuhören, bis es eingeschlafen ist, wir würden uns vielleicht anfassen oder wir würden es bleiben lassen.
All dies würde innerhalb der nächsten Stunden passieren und ich würde einschlafen, belagert von dem unsagbaren Wort, von dem Namen, den ich seit mehreren Jahren nicht in den Mund genommen habe. Die Belagerung dauerte nun schon lange, meine Vorräte gingen zur Neige und die Wirklichkeit machte sich davon. Ich wollte wirklich sein, aber das würde ich erst werden, wenn es mir ein anderer gesagt hat. Das war meine Bedingung: ich mußte für einen unbekannten Gott sterben, und ich mußte für unbekannte Menschen leben.
Ich stand im Garten, und die Dunkelheit um mich nahm zu. Ich war müde, ich war sehr müde, ich konnte nicht klar denken. Alle meine Gedanken wurden früher oder später zu Metaphern. Sogar die absolute Sinnlosigkeit wurde zu einer Metapher, sogar die völlige Absichtslosigkeit.
Ich war überzeugt davon, daß die Welt nicht dreidimensional ist, ich war überzeugt davon, daß es eine vierte Dimension gibt: eine Bedeutung, ein Sinnen. In Stunden selbst aufgezwungener Abgeschiedenheit bildete ich mir ein, ich könne die Welt fotografieren, ich könne einen Baum, ein Kind, einen Stein sehen, aber eigentlich betrog ich mich selbst. Ich war nie imstande, irgend etwas oder irgend jemanden auf andere Weise zu sehen als irgend etwas oder irgend jemand. Warum sollte man mich dann anders sehen können als irgend jemanden?
Ich zündete mir eine Zigarette an. Das Feuer meines Feuerzeugs, sie hat es mir einmal vor zweiundzwanzig Jahren geschenkt, setzte ein Stück Dunkelheit in Brand, aber der Sieg war nur zufällig. Rasch nahm die Nacht das verlorene Gebiet wieder ein und ich ging sang- und klanglos darin unter. In dem Moment bemerkte ich den Abendstern; er blinkte wie eine Ampel auf den Autostraßen der Galaxien.
Was geschieht eigentlich, wenn etwas geschieht? Warum fange ich bei der bloßen Erinnerung an einen Namen zu zittern an? Warum hören alle meine Träume da auf, wo sie beginnen sollten? Welcher Trost läge darin, wenn es eine Absicht gäbe, ich beneide Ptolemäus um sein Almagest, um sein geozentrisches Weltbild, in dem die Absichten ebenso deutlich sind wie ihre Konsequenzen. Aber ich lebe nicht in der Zeit des Ptolemäus, ich lebe in einer Welt, die zufällig und sinnlos zu sein scheint, obwohl mein Gewißheitsdurst sicher ebenso groß ist wie seiner.
Eine absichtslose Wirklichkeit, in der alles metaphorisch ist, das ist die andere meiner Bedingungen. Und dann dieses Sehnen, diese offensichtlich von einem Namen abhängige Sehnsucht, die mich von meinem Platz unter dem knorrigen Apfelbaum und dem Abendstern wegätzen wollte. Die Lampe über dem Küchentisch brannte jetzt. Ich hörte, wie ein Fenster geschlossen wurde, die Nacht würde kalt werden; von der Erde stiegen leichte Dunstwolken auf – nein, keine Wolken, eine Wolke muß größer sein als ein Mensch – von der Erde stiegen leichte Dunstbälle auf, die langsam nach oben schwebten, sie rollten um meine Beine, meine Hüften, meine Brust; sie belagerten mich und für einen Augenblick fühlte ich mich zugehörig, fühlte ein Dasein und meine fürchterliche Sehnsucht schwemmte mich wie ein mächtiger Gezeitenstrom fort.
Ich begann völlig bewegungslos zu tanzen und ich sang ganz stumm, umgeben von leichten Dunstbällen, und die Erde unter meinen Füßen schaukelte gewaltig. «Du darfst nicht verschwinden!» schrie ich, ohne die Lippen zu bewegen, mein Herz pochte laut und mein Kopf zerbarst in Stücke, als ich die Frau zur Küchentür herauskommen sah, sie ließ sich einrahmen von der Nacht draußen und dem Licht drinnen – das lebenslängliche Spiel –, und sie rief meinen Namen der Gestalt zu, die ich bin. Meinen Schatten spürte sie besser als sie mich spürt, aber machte ich nicht dasselbe?
Das Kind kam und stellte sich neben die Frau. Sie standen im Licht. Ich stand in der Dunkelheit. Und die nie beim Namen genannte? Wo stand sie? Ich schritt auf das Haus zu, direkt durch die Dunstbälle – das führe ich nur als Beispiel für meine Entschlossenheit an –, als das schrille Signal des Telefons das Haus sprengte, das mein Heim ist.
Meine Freundschaft mit Andreas war tief gewesen, wenn sie auch nicht frei war von Neid und dem Gefühl der Unterlegenheit. Schon vom ersten Augenblick an wußte ich, daß er intelligenter war und außerdem die seltene Leidenschaft für die Wahrheit besaß, seine ganze Erscheinung strahlte das Vermögen aus, lange über alles nachzudenken. Die Rastlosigkeit hatte ihn nicht ergriffen, seine Bewegungen und Gesten waren harmonisch und ruhig, ein Mensch, eingebunden in einen Kampf, der die größte Niederlage garantierte. Ein Mensch vielleicht von vornherein besiegt, aber ohne die geringste Möglichkeit auszuweichen. Kurz, Andreas gehörte zu jener geringen Zahl von Menschen, die ein Schicksal haben, seine Existenz war weder zufällig noch unabsichtlich. Der unbegreifliche Gott hatte sich einen Spaß daraus gemacht, ihn und seinesgleichen zu erschaffen. Ich gehörte nicht zu seinesgleichen, und das wußte ich. Zum erstenmal wurde ich auf ihn aufmerksam während einer Logikstunde. Wir waren sechzehn und seit Jahren in derselben Klasse und in derselben Schule, ohne uns außer bei zufälligen Gelegenheiten nähergekommen zu sein, beim Fußballspielen oder bei Spaziergängen im Park, wo wir ungestört die Schweizer Au-pair-Mädchen mit den Nestlé-Backen in Augenschein nehmen konnten, ihre weißen Schürzchen und ihre transparenten Blicke. Manchmal hatten Andreas und ich zusammen auf derselben Bank gesessen, wir hatten sicher in einigen Fällen unsere kurzzeitigen Lüste auf dasselbe Mädchen gerichtet, aber wir hatten keine besonders tiefsinnigen Gespräche geführt.
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