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Der gekreuzigte Teufel wurde von Ngũgĩ heimlich im Gefängnis - er wurde wegen eines Theaterstücks in Gĩkũyũ verhaftet, aber nie vor Gericht gestellt - auf Toilettenpapier niedergeschrieben. Erst kurz vor seiner Entlassung wurde das Manuskript entdeckt und beschlagnahmt, ihm jedoch wieder zurückgegeben. Die Publikation dieses Romans auf Gĩkũyũ war ein (nicht nur literarisches) Ereignis.
Wariinga verläßt aufgrund einer verzweifelten Situation Nairobi und will in ihrem Heimatdorf Ilmorog Zuflucht suchen. Sie fährt mit einem Matatu-Taxi zu einer Einladung - einer Einladung zu einem Fest der Diebe, das vom Teufel organisiert wird. Diese Diebe (lokale und ausländische Geschäftsleute) veranstalten einen Wettkampf in der Prahlerei damit, wie sie reich wurden. Durch dieses Feiern von Korruption in all ihren Formen wird Wariinga zu der Einsicht gebracht, daß ihr Leben nichts anderes war als die Duldung von Korruption.
Ngũgĩ kehrt in Der gekreuzigte Teufel den westlichen Symbolismus um. Er konfrontiert Illusion und Wirklichkeit, Träume und harte Tatsachen. Die Erzählung verwendet die alten Rhythmen des traditionellen Geschichtenerzählens als Gegengewicht zum Schreibstil. Aus dieser Verbindung des Alten mit dem Neuen ergibt sich ein leidenschaftliches Plädoyer für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Unabhängigkeit des kenianischen Volkes.
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Seitenzahl: 534
Der gekreuzigte Teufel wurde von Ngũgĩ heimlich im Gefängnis – er wurde wegen eines Theaterstücks in Gĩkũyũ verhaftet, aber nie vor Gericht gestellt – auf Toilettenpapier niedergeschrieben. Erst kurz vor seiner Entlassung wurde das Manuskript entdeckt und beschlagnahmt, ihm jedoch wieder zurückgegeben. Die Publikation dieses Romans auf Gĩkũyũ war ein (nicht nur literarisches) Ereignis.
Wariinga verläßt aufgrund einer verzweifelten Situation Nairobi und will in ihrem Heimatdorf Ilmorog Zuflucht suchen. Sie fährt mit einem Matatu-Taxi zu einer Einladung – einer Einladung zu einem Fest der Diebe, das vom Teufel organisiert wird. Diese Diebe (lokale und ausländische Geschäftsleute) veranstalten einen Wettkampf in der Prahlerei damit, wie sie reich wurden. Durch dieses Feiern von Korruption in all ihren Formen wird Wariinga zu der Einsicht gebracht, daß ihr Leben nichts anderes war als die Duldung eines unmenschlichen Zustandes.
Ngũgĩ kehrt in Der gekreuzigte Teufel den westlichen Symbolismus um. Er konfrontiert Illusion und Wirklichkeit, Träume und harte Tatsachen. Die Erzählung verwendet die alten Rhythmen des traditionellen Geschichtenerzählens als Gegengewicht zum Schreibstil. Aus dieser Verbindung des Alten mit dem Neuen entsteht ein leidenschaftliches Plädoyer für die Befreiung von der kolonialen westlichen Vorherrschaft und für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Unabhängigkeit der kenianischen Bevölkerung.
Ngũgĩ wa Thiong’o, 1938 in Limuru (Kenia) geboren, studierte am Makarere University College (Uganda) und an der University of Leeds. Er gilt als einer der bedeutendsten Autoren Afrikas.
Ngũgĩ wa Thiong'o
Der gekreuzigte Teufel
Roman
Aus dem Englischen von Susanne Koehler
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2013
Hinweise zur Textgrundlage:
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage 1981 der Ausgabe der edition suhrkamp 1199, Neue Folge Band 199.
© Ngũgĩ wa Thiong’o 1981
© der deutschen Übersetzung Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1988
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Umschlagentwurf: Willy Fleckhaus
eISBN 978-3-518-73593-0
www.suhrkamp.de
Manche Leute aus Ilmorog — unserem Ilmorog — sagten mir, diese Geschichte erzähle von so viel Schmach und so viel Schande, daß sie besser in der Tiefe immerwährender Finsternis verborgen bliebe.
Andere meinten, diese Geschichte enthalte nur Leid und Tränen, und deshalb sei es besser, davon zu schweigen, damit nicht ein zweites Mal Tränen vergossen werden müßten.
Ich fragte sie: Glaubt ihr denn, wir könnten die Gruben in unserem Hof mit Blättern und Gräsern überdecken und uns dann einreden, unsere Kinder könnten nun frei im Hof herumspielen? Und das nur, weil wir die Gruben nicht mehr sehen?
Glücklich ist der Mann, der die Fallgruben auf seinem Weg erkennt, denn er kann sie meiden oder sie zuschütten, auf daß er nicht hineinfalle.
Glücklich ist der Reisende, der der Baumstümpfe gewahr wird, die ihm den Weg versperren, denn er kann sie forträumen oder sie umgehen, auf daß er nicht strauchle.
Der Teufel, der uns dazu verführen will, daß unser Herz blind und unser Geist taub wird, muß ans Kreuz geschlagen werden; man wird Sorge tragen müssen, daß ihn seine Gehilfen nicht vom Kreuz herabnehmen, da er sonst fortfahren würde, den Menschen die Erde zur Hölle zu machen …
Selbst ich, ich, Prophet der Gerechtigkeit, fühlte, wie mich diese Last zuerst schwer darniederdrückte, und ich sagte: Die Wildnis des Herzens wird niemals von allem Gestrüpp befreit sein. Die Geheimnisse des Hauses sind nicht für die Ohren Fremder bestimmt. Ilmorog ist unser Zuhause.
Und dann, als der Tag anbrach, kam Wariingas Mutter zu mir und flehte mich unter Tränen an:
»Gicaandispieler, erzähle die Geschichte des Kindes, das meinem Herzen so nahe war.«
»Bringe Licht in alles Geschehene, so daß jeder erst dann urteilen möge, wenn er die volle Wahrheit kennt.«
»Gicaandispieler, offenbare, was in der Finsternis verborgen liegt!«
Erst zögerte ich, fragte mich: Wer bin ich — der Mund, der bereits zu viel geredet hat? Heißt es nicht, daß die Antilope nicht den haßt, der sie findet, sondern vielmehr jenen, der sie verrät?
Da drang das flehentliche Rufen vieler Stimmen an mein Ohr: »Gicaandispieler, Prophet der Gerechtigkeit, offenbare, was in der Finsternis verborgen liegt!«
Dann fastete ich sieben Tage, weder aß ich noch trank ich, denn jene flehenden Stimmen hatten mein Herz mit Kummer erfüllt. Und immer noch fragte ich mich: Sehe ich etwa Dinge, wie sie in Wirklichkeit gar nicht sind, oder höre ich das Echo des Schweigens? Wer bin ich — der Mund, der bereits zu viel geredet hat? Heißt es nicht, daß die Antilope den größeren Haß für jenen hegt, der sie durch seinen Ruf verrät?
Und nachdem sieben Tage vergangen waren, erbebte die Erde, und das Licht des Blitzes zerriß den Himmel, und ich wurde emporgehoben auf das Dach des Hauses und sah viele Dinge und hörte eine Stimme gleich dem mächtigen Grollen des Donners, die mich mahnend warnte: Wer sagt, daß das prophetische Wort dein eigen sei, allein für dich bestimmt? Warum bedienst du dich leerer Ausreden? Wenn das deine Absicht ist, werden Tränen und flehentliches Rufen dich für immer begleiten.
Die Stimme schwieg, und im selben Augenblick wurde ich von einer Hand ergriffen, die mich emporhob, um mich alsbald in die Asche der Feuerstelle zu stürzen. Ich aber nahm die Asche, rieb sie mir ins Angesicht und auf die Beine und schrie laut:
Ich nehme den Auftrag an!
Ich nehme den Auftrag an!
Stille das Rufen des Herzens,
Trockne die Tränen des Herzens …
Ich, Prophet der Gerechtigkeit, berichte hier, was auf dem Dach des Hauses meine eigenen Augen geschaut, und meine Ohren gehört haben …
Ich habe den Auftrag angenommen.
Ich habe den Auftrag angenommen.
Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes.
Darum habe ich den Auftrag angenommen.
Darum habe ich den Auftrag angenommen.
Aber warum säume ich eitel am Ufer des Stromes?
Baden heißt, sich aller Kleider zu entledigen.
Schwimmen heißt, sich in den Strom zu stürzen.
Und es ist gut so …
Komm,
Komm, mein Freund,
Komm, wir wollen alles bereden,
Komm, wir wollen jetzt darüber reden,
Komm, wir wollen uns über Jacinta Wariinga unterhalten,
Ehe du über unsere Kinder urteilst …
Der Teufel erschien Jacinta Wariinga an einem Sonntag auf dem Golfplatz der Stadt Ilmorog im Distrikt Iciciri und sagte zu ihr …
Aber halt — ich greife der Geschichte vor. Wariingas Schwierigkeiten begannen keineswegs erst in Ilmorog. Verfolgen wir unseren Weg zurück, bis dahin, wo alles begann …
Lange bevor Wariinga Nairobi verließ, war ihr ein Mißgeschick widerfahren, und das Unglück hatte sie verfolgt. Wariinga arbeitete in Nairobi als Sekretärin (Steno und Schreibmaschine) in den Büros der Champion Construction Company, in der Tom Mboya Street, in der Nähe des Nationalarchivs.
Mißgeschick kommt ungerufen, und ein Unglück kommt selten allein. Am Freitag vormittag wurde Wariinga entlassen. Sie hatte sich den Zudringlichkeiten ihres Chefs, Boss Kihara,1 Direktor der Firma, widersetzt. Am Abend desselben Tages trennte sich auch Wariingas Freund, John Kimwana, von ihr, nachdem er sie beschuldigt hatte, Boss Kiharas Geliebte zu sein.
Am Samstagmorgen bekam Wariinga Besuch von ihrem Vermieter, dem Eigentümer des Hauses in Nairobis Stadtteil Ofafa Jericho, in dem sie ein Zimmer gemietet hatte. Aber war es ein Zimmer, oder war es ein Mauseloch? Der Fußboden voller Löcher, in den Wänden klaffende Risse, undichte Decke. Er teilte Wariinga mit, daß er die Miete erhöhen werde. Sie weigerte sich, mehr zu bezahlen. Er forderte sie auf, das Zimmer auf der Stelle zu räumen. Sie widersprach und erklärte, sie werde sich an die Behörde für Mietangelegenheiten wenden. Der Vermieter stieg in seinen Mercedes und fuhr davon. Aber ehe sich's Wariinga versah, war er wieder da, dieses Mal aber in Begleitung von drei Schlägertypen mit dunklen Sonnenbrillen. Die Arme in die Seiten gestemmt, pflanzte er sich in einiger Entfernung von Wariinga auf und rief ihr höhnisch zu: »Da hast du deine Behörde für Mietangelegenheiten!« Wariingas Habseligkeiten wurden aus dem Zimmer geworfen, die Tür mit einem neuen Vorhängeschloß verriegelt. Einer der Gangster warf ihr einen Fetzen Papier zu, auf dem zu lesen stand:
DEVIL'S ANGELS - PRIVATUNTERNEHMEN
Bei dem geringsten Versuch, uns bei den Behörden zu verpfeifen, befördern wir Sie auf direktem Weg ins Jenseits — in den Himmel oder zur Hölle — ohne Rückfahrkarte!
Die Männer stiegen in den Mercedes und fuhren davon. Wariinga starrte eine Weile auf das Stück Papier, dann steckte sie es in ihre Handtasche.
Sie setzte sich auf eine Kiste und stützte den Kopf in die Hände. Warum immer ich? Welchen Gott habe ich beleidigt? grübelte sie. Sie nahm einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche und betrachtete zerstreut ihr Gesicht, während sie ihre unzähligen Probleme überdachte. Sie fand eine Menge an sich auszusetzen und verfluchte den Tag, an dem sie geboren wurde. Arme Wariinga, wohin soll ich nun gehen, fragte sie sich.
Da beschloß sie plötzlich, zu ihren Eltern zurückzukehren. Sie stand auf, suchte ihre Sachen zusammen, stellte sie in das Zimmer nebenan, das einer Mkamba gehörte, und begann, ihre Reise vorzubereiten. Noch immer schwirrte ihr der Kopf von ihren vielen Sorgen und Problemen.
Wariinga war davon überzeugt, daß ihre äußere Erscheinung die Wurzel allen Übels war. Wann immer sie sich im Spiegel betrachtete, fand sie sich sehr häßlich. Am meisten aber haßte sie ihre schwarze Hautfarbe, und so entstellte sie ihren Körper mit Hautaufhellern wie Ambi und Snowfire und vergaß dabei, daß es heißt: Einmal schwarz, immer schwarz. Ihr Körper war bald übersät mit hellen und dunklen Flecken, wie das Gefieder des Perlhuhns. Ihr Haar war brüchig geworden und hatte bereits die braune Farbe des Maulwurfs, denn es war mit glühend heißen Eisenkämmen geglättet worden. Wariinga haßte auch ihre Zähne. Sie sahen ein wenig verfärbt aus, und waren längst nicht so weiß, wie sie hätten sein sollen. Sie bemühte sich, ihre Zähne nicht zu zeigen, und selten lachte sie frei heraus. Tat sie es doch einmal, und erinnerte sich dann plötzlich ihrer Zähne, so verstummte sie augenblicklich oder verbarg ihren Mund hinter vorgehaltener Hand. Die Männer neckten sie bisweilen und nannten sie »Wariinga, die Schlechtgelaunte«, denn fast immer hielt sie ihre Lippen fest verschlossen.
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