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Wonach schmeckt Holz? Und wie wird es zum Kochen, Destillieren und Fermentieren verwendet, um einen einzigartigen Geschmack zu erzeugen? Auf der Suche nach dem wilden Aroma von Bäumen, von Wurzeln, Blättern, Saft und Rinde begibt sich der Waldökologe und Lebensmittelexperte Artur Cisar-Erlach auf eine kulinarische Entdeckungsreise um die Welt. Er lüftet das Geheimnis der neapolitanischen Holzofen-Pizza, geht im Piemont auf Trüffeljagd, probiert traditionellen Balsamico in Modena und erkundet, wie Walnussblätter den Geschmack von Spreewaldgurken beeinflussen. Er besucht indische Teeplantagen, Schweizer Käsemanufakturen, Ahornsirup-Produzenten in Kanada, spricht mit vietnamesischen Parfümentwicklern und kenianischen Joghurtherstellern. Von Rumhändlern, Whisky-Experten und Fassbindern lernt er alles über die lange Tradition des Spirituosenausbaus im Holzfass und geht auch bei Winzern und Bierbrauern der Fassreifung auf den Grund. Mit jeder Begegnung, jedem ungewöhnlichen Experiment in der eigenen Küche und jeder neuen Erkenntnis über die Herstellungsprozesse der von Holz beeinflussten Lebensmittel wird ihm klarer, dass jeder Baum sein ganz eigenes Aroma besitzt. Mit seiner verblüffenden Reise auf den Spuren dieser verschiedenen Aromen zeigt er, wie stark unsere beliebtesten und hochwertigsten Lebensmittel von Holz geprägt sind und welche Vielfalt an Holzaromen es noch zu entdecken gilt. Dieses unterhaltsame und lehrreiche Buch ist ein Muss für jeden Foodie, der auf Reisen am liebsten das lokale Essen probiert, für jeden Gastronom auf der Suche nach innovativen Ideen, für jeden Feinschmecker, Wein-, Bier- und Whiskyfreund, genauso wie für Fans von Wild Food und Menschen, die den Wald, die Bäume und die Natur einmal ganz neu erfahren wollen.
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Dieses Buch wäre ohne die unglaubliche Unterstützung meiner Freundin Carmen nie beendet worden; ohne die wunderbare Ermutigung meiner Eltern hätte ich es nie begonnen; und die einzelnen Seiten wären ohne die Hilfe der besten Freunde, die man sich vorstellen kann, nicht gefüllt worden.
Danke, Kira!
Aus dem Englischen von Stephan Pauli
© Artur Cisar-Erlach, 2019
Titel der englischen Originalausgabe: »The Flavor of Wood. In Search of the Wild Taste of Trees from Smoke and Sap to Root and Bark«, erschienen bei Abrams Press, einem Imprint von Harry N. Abrams, Inc., New York 2019
© Piper Verlag GmbH, München 2020
Bildteilfotos: Artur Cisar-Erlach, außer S. 10 unten: Caterina Montorsi
Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee
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Cover & Impressum
Einleitung
I. Teil
Holz, Leidenschaft, Geschmack
1. Kapitel
2. Kapitel
II. Teil
Bäume probieren
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
III. Teil
Köstliche hölzerne Zukunft
20. Kapitel
21. Kapitel
Dank
Bildhafte Eindrücke
Was ist Holz?
Was ist Holz?
Die Antwort auf diese Frage hängt sehr stark davon ab, wen man fragt.
Förster, Tischler und die breitere Öffentlichkeit verwenden üblicherweise die fachspezifische Definition, derzufolge Holz als Rohmaterial und lebendige Ressource mit vielen technischen und kunsthandwerklichen Anwendungsmöglichkeiten gilt.[1] Es wird eingesetzt, um alles Mögliche, von Brücken über Fachwerk bis hin zu kunstvoll gebauten Möbeln, Musikinstrumenten und Skulpturen, herzustellen. Verbrennt man es, wird die frei werdende Energie genutzt, um unsere Häuser zu heizen oder sogar Eisen und Glas zu schmelzen.
Biologen andererseits sprechen Holz eine Schlüsselrolle in der Welt der Pflanzen zu. Sie definieren es als das für die feste Beschaffenheit und den Nahrungstransport wichtigste Gewebe von Bäumen und anderen Pflanzen und eines der häufigsten und vielseitigsten Naturmaterialien. Holz verleiht Pflanzen Stabilität und Stärke, schützt sie und bildet die notwendige Basis für den Transport nährstoffreicher Flüssigkeiten. Vergleicht man es mit dem menschlichen Körper, würde Holz die Funktionen von Knochen, Fleisch, Blutgefäßen und Haut in sich vereinen.
Als Tischler und Biologe würde ich gern auf eine Kombination aus beiden Definitionen zurückgreifen.
Meiner Meinung nach umfasst Holz den Baum als Ganzes, mitsamt seinen Wurzeln, seinem Stamm, seinen Blättern, der Umgebung, in der er wächst, dem Ökosystem, das er erhält, und seiner Beziehung zu den Menschen, die mit ihm leben und arbeiten. Ich schlage vor, das Wort »Holz« in einem viel weiteren Sinn zu verwenden, der gleichzeitig seiner technischen Bedeutung, seiner entscheidenden Rolle in der Pflanzenwelt, seinem Einfluss auf die Umwelt und seiner gewaltigen sozioökonomischen Bedeutung gerecht wird.
Bäume haben uns Menschen schon immer geprägt. Wir haben unser Leben auf der Erde als kleine, auf Bäumen wohnende Insektenesser in den großen tropischen Wäldern des heutigen Nordamerika, Afrika, Asien und Europa begonnen. Erst später, als ein sich abkühlendes Weltklima die Wälder Afrikas in Savannen und offene Waldgebiete verwandelte, kamen wir von den Bäumen herunter und fingen an, uns zu jenen Stadt und Land bewohnenden Zweibeinern zu entwickeln, die wir heute sind. Nichtsdestotrotz müssen diese offenen Waldlandschaften und Savannen bei uns einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Wir versuchen, sie in unseren Parks und Gärten neu zu erschaffen – weite, grüne Flächen mit sorgfältig ausgewählten und positionierten Bäumen und Sträuchern.
Die enge Verbindung von Bäumen und Menschen zeigt sich auch in religiösen Zusammenhängen mehr als deutlich. In schamanischen Religionen wird der Baum regelrecht als Symbol des Lebens selbst betrachtet. Bibel wie Thora verorten einen symbolischen Baum in der Mitte des Gartens Eden. Der Koran kennt dasselbe Narrativ; dort wird er als »Baum der Ewigkeit« bezeichnet. Interessanterweise geht das Wort »Eden« auf das alte sumerische Wort edin-na zurück, das so viel wie »Ebene« oder »Steppe« bedeutet. Eine Steppe ist per definitionem eine weite, offene Grassavanne mit nur wenigen Bäumen, die um eine Wasserquelle herum gruppiert sind. Was also religiöse Schriften als Garten Eden beschreiben, entspricht erstaunlicherweise genau jener Landschaft, in der wir Menschen uns zuerst entwickelt haben. Ähnlich verehren Hinduismus und Buddhismus eine große und eindrucksvolle Feigenbaumart, die den passenden wissenschaftlichen Namen Ficus religiosa trägt. Im Hinduismus symbolisiert dieser Baum eine Trinität: Die Wurzeln sind Brahma (der Schöpfer), der Stamm ist Vishnu (der Bewahrer), und die Blätter sind Shiva (der Zerstörer oder Verwandler). Im Buddhismus nennt man den Feigenbaum »Bodhi« oder »Baum der Erleuchtung«, da Buddha gerade unter einem solchen saß, als er den Zustand der Erleuchtung erlangte. Aus diesem Grund stehen in den meisten buddhistischen Klöstern Feigenbäume.
Neben dem großen, stattlichen Baum, der in vielen Glaubensgemeinschaften das Leben symbolisiert, werden in denselben Religionen oft auch Teile des Baums, etwa Zweige, Blätter, Blüten und Früchte, als Metaphern verwendet. Als Beispiele seien nur die christlichen Motive des Olivenzweigs (ein Friedenssymbol) und der verbotenen Frucht (sie symbolisiert die Versuchung) oder die Kirschblüten im Schintoismus (ein Symbol für das vergängliche irdische Leben) erwähnt. Darüber hinaus verkörpert der Baum »Yggdrasil« der nordischen Mythologie nichts weniger als das ganze Universum. Sein weltlicher Einfluss ist bis heute auf vielen Bauernhöfen in den skandinavischen Ländern sichtbar, wo genau in die Mitte des Hofs ein großer Baum gepflanzt wurde. Sich um ihn zu kümmern bedeutet, den Vorfahren Respekt zu erweisen, und er gemahnt daran, für den Hof und das Land zu sorgen.
Ähnlich greift man auf Stammbäume zurück, um die eigene Abstammung zu veranschaulichen. Bildliche Darstellungen und Baumdiagramme werden ebenfalls verwendet, um die zunehmend komplexen Strukturen von Unternehmen, Organisationen und Regierungen schematisch zu veranschaulichen.
Der berühmte Schweizer Psychiater und Psychotherapeut C. G. Jung erforschte über viele Jahre Symbole des Unbewussten aus unterschiedlichen Kulturen. Ein häufig vorkommendes Bild in Träumen war der Baum. Jung stellte fest, dass sich die Bedeutung von Bäumen in Träumen mit deren Verwendung in alten Schriften, Mythen und Gedichten deckte, von denen die Träumenden keine vorherige Kenntnis haben konnten. Hieraus schloss er, dass der Baum ein menschlicher Archetyp ist, ein Symbol, das sich in die Gehirne von Menschen aus allen Kulturkreisen eingeschrieben hat.[2] Mehrere Studien behaupten darüber hinaus, dass man sich schon dann entspannt und bessere Laune bekommt, wenn man nur auf Bilder von Wäldern und grünen Landschaften blickt. Selbst die Verwendung von Holz als dekoratives Element für Häuser, Innenräume und Einrichtungsgegenstände scheint einen positiven Einfluss auf Menschen zu haben. Experimente mit Studenten, Kranken und Büroangestellten zeigen, dass sich das Stressniveau in Räumen, die Holz enthalten, bedeutend verringert und sich das allgemeine Wohlgefühl steigert. Japanische Wissenschaftler untersuchten auch die Auswirkungen von Waldspaziergängen, »Shinrin-yoku« oder »Waldbaden« genannt, und fanden heraus, dass Bäume natürliche chemische Verbindungen ausschütten, die das Immunsystem stärken.[3]
Das dringliche Problem das Klimawandels hängt fraglos mit dem weltweiten Schwund bedeutender Waldgebiete wie der Regenwälder im Amazonas und der russischen Nadelwälder zusammen. Umweltorganisationen wie der WWF (World Wide Fund For Nature) und Greenpeace setzen in ihren Kampagnen regelmäßig auf Bilder von entwaldeten Regionen und betonen, wie wichtig Bäume und Wälder sowohl für die Reduktion von CO2 in der Erdatmosphäre als auch für die weltweite Artenvielfalt und Verfügbarkeit von Wasser sind. Bäume sind auch für die sozioökonomische Entwicklung insgesamt entscheidend. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen schätzt den jährlichen Wert von Brennholz und Holzprodukten weltweit auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei einer Wachstumsrate von jährlich 2,5 Prozent.[4] Außerdem profitieren etwa eine bis eineinhalb Milliarden Menschen direkt oder indirekt von den Wäldern der Erde – sei es aufgrund ihres Berufs, durch Waldprodukte oder wegen des Beitrags, den der Wald unmittelbar oder über Umwege zu ihrer Lebensgrundlage oder ihrem Einkommen leistet. Das ist ungefähr ein Siebtel der Weltbevölkerung. Anders als fast alle anderen Wirtschaftszweige versorgen Wälder und eine nachhaltige Waldwirtschaft den Menschen also nicht nur mit Arbeit, Ressourcen und Produkten. Wenngleich in wirtschaftlichen Begriffen nur schwer zu messen, tragen Bäume darüber hinaus auf entscheidende Weise zu sauberem Wasser, frischer Luft und gesunden Böden bei – alles Dinge, die für die Menschheit unverzichtbar sind.[5]
Schlicht gesagt: Bäume und Holz sind überall. Sie sind ein ständiger Begleiter des Menschen, sei es in Form von religiösen Symbolen, als Baumaterialien, Energiequellen, Stimmungsaufheller oder als außerordentlich wichtiger Faktor unserer Wirtschaft. Sie tauchen sogar in unseren Träumen auf.
Doch finden wir sie auch in unserem Essen?
Und falls ja, wie schmeckt Holz? Kann sein Geschmack überhaupt beschrieben werden? Handelt es sich um einen einzigen einfachen Geschmack wie süß oder sauer? Oder ist es ein komplexer, exotischer Geschmack, der aus vielen verschiedenen Komponenten besteht? Welche Lebensmittel werden von Holz beeinflusst? Wer sind die Menschen, die solche Lebensmittel herstellen? Und wie würde man vorgehen, wollte man diese Fragen beantworten?
Als ich während meines Studiums der Lebensmittelkommunikation an einem Aufsatz über Whisky und Wein saß, musste ich plötzlich an das Holzfass denken.
Warum drehen sich Gespräche über Wein und Whisky immer nur um die Qualität der Zutaten, das Wissen der Hersteller und die Bedeutung der Alterungsprozesse, analysieren aber nur selten das Gefäß, in dem die einzelnen Bestandteile zusammenkommen, das Holzfass? Schließlich benötigt man jede Menge Wissen und handwerkliches Können, um eines herzustellen. Da Holz ein lebendiges Material ist, muss doch das Fass den Geschmack der Flüssigkeiten, die es enthält, beeinflussen. Entwickeln Holzfässer, einmal abgesehen vom bekannten Vanillegeschmack, einem Nebenprodukt der chemischen Transformationen der in Alkohol getränkten Holzanteile,[6] auch eigene Aromen? Ist ihnen ein bestimmtes Geschmacksprofil gemein? Und warum verwendet man nur Fässer aus Eiche, obwohl es doch noch so viele andere Baumarten gibt?
Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass nicht nur Wein und Whisky mit Holz oder Teilen von Bäumen in Berührung kommen. Einige Lebensmittel, wie Ahornsirup oder Tee, werden sogar aus Bäumen hergestellt. Andere, darunter Fleisch, Fisch und sogar Schokolade oder Pasta, werden durch den Rauch eines Holzfeuers sowohl haltbar gemacht als auch gewürzt. Und da Geruch und Geschmack miteinander zu tun haben, musste ich, wenn ich schon über den Geschmack von Holz nachdachte, auch über den Duft von Holz nachdenken. Gibt es Parfüms, deren Aroma von Bäumen stammt?
Ich musste permanent an Holz denken und wusste sofort, dass mein Aufsatz die maximal erlaubte Wortgrenze von tausend Wörtern weit überschreiten würde.
Im Rückblick war mein plötzlich aufkeimendes Interesse am Geschmack von Holz nur der natürliche Gang der Dinge, da ich beinahe mein ganzes Leben in Waldgebieten verbracht hatte. Ich war im nördlichsten Teil Österreichs, im Waldviertel, aufgewachsen und verbrachte meine Sommer in der waldreichen ostkanadischen Provinz Nova Scotia. Viele meiner liebsten Kindheitserinnerungen spielen in Wäldern unterschiedlichster Größen und Formen. Meine Schule, das Werkschulheim Felbertal bei Salzburg, wählte ich, weil ich dort die seltene Gelegenheit hatte, neben dem Gymnasium eine Zusatzausbildung zum Tischlergesellen zu absolvieren.
Später an der Universität Wien machte ich meinen Bachelorabschluss in Biologie und spezialisierte mich auf Waldökologie. Während meines Masterstudiums in Lebensmittelkommunikation an der Universität der Gastronomischen Wissenschaften im italienischen Pollenzo fand ich schließlich einen Weg, meine beiden Leidenschaften miteinander zu verbinden: Holz und Lebensmittel.
Für den oben erwähnten Aufsatz benötigte ich weitaus mehr als tausend Wörter, um über meine Idee einer Jagd nach dem so flüchtigen Geschmack von Holz zu schreiben. Dann galt es erst einmal herauszufinden, wo ich mit dieser Jagd beginnen sollte. Damals lebte ich in Italien und Österreich und ahnte nicht, auf welche gedanklichen und tatsächlichen Weltreisen ich mich aufgrund der Fragen begeben würde, auf die ich beim Verfassen meines Aufsatzes gestoßen war.
In den nächsten drei Jahren sollte ich mich mit gewitzten neapolitanischen Pizzabäckern, Balsamico-Herstellern aus Modena, Trüffeljägern aus dem Piemont, Südtiroler Winzern, Chefköchen mit Vorliebe für Latschenkiefern, österreichischen Whiskybrennern, bayerischen Braumeistern, ostdeutschen Gewürzgurkenproduzenten und Teehändlern aus der Londoner Innenstadt treffen. Über Europa hinaus lernte ich indische Teebauern, kenianische Joghurthersteller, kanadische Produzenten von Ahornsirup, argentinische Forstingenieure und rebellische vietnamesische Duftjäger kennen. Meine Reise war voller faszinierender Begegnungen, unerwarteter Wendungen, wunderschöner Landschaften, wissenschaftlicher Entdeckungen und historischer Verbindungen – und immer war ich auf der Suche nach dem flüchtigen Geschmack von Holz. Würde ich ihn finden?
Von Bibern inspiriert
Nach meiner Eichenfass-Epiphanie nahm meine Entdeckungsreise auf der Suche nach dem Geschmack von Holz leicht obsessive Züge an. Wochenlang recherchierte ich jede Quelle, die mir in den Sinn kam. Ich durchsuchte das Internet und sprach mit Freunden und Kollegen, aber auch mit Lebensmittelherstellern und Wissenschaftlern. Jedes Gespräch führte zu neuen Ideen, Einsichten und Anhaltspunkten. Schon bald wurde mir klar, dass ich auf keine einfachen Antworten stoßen würde. Einige der Quellen vertraten vehement die These, dass Holz die Lebensmittel, mit denen es in Berührung kommt, tatsächlich verändert; andere lehnten dies rundheraus ab. Um die Angelegenheit noch komplizierter zu machen, teilten sich jene, die einen Einfluss von Holz auf den Geschmack anerkannten (und sich, nebenbei bemerkt, ausschließlich auf dem Gebiet von Wein und Spirituosen bewegten), in zwei Lager: Das eine erachtete den Einfluss von Holz als etwas sehr Positives, das andere bescheinigte ihm einen ganz und gar negativen Effekt, der den Geschmack eines bestimmten Lebensmittels nur ruiniere. Nach einer Weile stellte sich auch heraus, dass die meisten an »Eiche« dachten, wenn sie von »Holz« sprachen; über andere Baumarten wurde nicht gesprochen, insbesondere wenn es um Lagerfässer ging.
Fest entschlossen, einen schlüssigen Beweis für den Geschmack von Holz zu finden, forschte ich weiter, immer in der Hoffnung, den einen Hinweis zu finden, der meine Hypothese, dass der Geschmack von Holz sich tatsächlich in unseren Lebensmitteln wiederfindet, definitiv bestätigte – oder widerlegte. Stattdessen führte mich jede meiner Quellen in eine unterschiedliche Richtung.
Enttäuscht über meinen mangelnden Fortschritt, beschloss ich, meine Eltern in der kanadischen Provinz Nova Scotia zu besuchen, wo ich die Sommer meiner Kindheit mit Wandern und Kanutouren verbracht hatte. Aufgrund seiner riesigen Wälder sowie der scheinbar endlosen Wasserstraßen und Seen erwies sich diese Umgebung als der perfekte Ort, um den Kopf frei zu bekommen: Es gibt nichts Schöneres und Entspannenderes, als unter dem wohlriechenden, immergrünen Dach der hochragenden Weimutskiefern, Hemlocktannen und Ahornbäume an rauschenden Bächen und glasklaren Seen entlangzuwandern – vor allem an einem klirrend kalten Herbstmorgen, wenn man noch vor Sonnenaufgang mit dem Kanu auf den See hinauspaddelt und lautlos durch die Landschaft gleitet. Umgeben vom Nebel, der aus dem Wasser aufsteigt, kann man erleben, wie die Natur um einen herum erwacht. Vögel begeben sich auf ihre ersten kurzen Morgenflüge von Baum zu Baum. Hirsche stehen am Ufer, um zu trinken. Eine Familie von Flussottern, zurück von der nächtlichen Jagd, planscht laut im See.
Auf einer besonders malerischen frühmorgendlichen Kanufahrt traf ich auf eine vierköpfige Biberfamilie, die sich durch die Ufervegetation fraß. Ich war entzückt, sie zu sehen, doch stieß meine Begeisterung auf wenig Gegenliebe, wie mir die Biber unmissverständlich mitteilten, indem sie ihre Schwänze kräftig gegen die Wasseroberfläche schlugen, bevor sie vor mir abtauchten. Bei meinen Ausflügen war ich regelmäßig auf ihre Dämme gestoßen. Sie waren so kunstvoll angelegt, dass alle Eingänge in ihr Reich unter Wasser lagen und Feinde wie kalte Luft es schwer hatten hineinzugelangen. Die Dämme, die aus nahe gelegenen Baumstümpfen, Stöcken, Schlamm, Steinen und weiteren Pflanzen errichtet waren, können Jahrhunderte überdauern und Landschaften tief greifend verändern. Die landschaftsarchitektonischen Fähigkeiten von Bibern, überlegte ich, werden wohl von keinem Tier dieses Planeten übertroffen, ausgenommen natürlich – und leider – vom Menschen. Und dabei erledigen sie die ganze schwere Arbeit im eiskalten Wasser und ernähren sich fast ausschließlich von Bäumen!
Plötzlich traf es mich aus heiterem Himmel – dies könnte der Schlüssel sein, nach dem ich schon so lange gesucht hatte! An wen sonst als an Biber sollte man sich mit Fragen wenden, die mit Essen und Bäumen zu tun haben? Sie kauen sozusagen um ihr Leben gern an Bäumen – und können, dem einen oder anderen Foto nach zu urteilen, dabei ziemlich fett werden.
So perfekt die Informationsquelle Biber auch zu sein schien, hatte sie doch einen entscheidenden Nachteil. Wie sollte ich mit einem Tier ins Gespräch kommen, das am liebsten mitten in der Nacht ausgiebig in kalten Gewässern schwimmt, mit seinen kräftigen, eisenhaltigen Zähnen Bäume annagt, seine Fäkalien zur optimalen Nahrungsverwertung wiederkäut und voller Absicht das eigene Zuhause überflutet? Das Verhalten von Bibern und Menschen entbehrt buchstäblich jeder gemeinsamen Grundlage.
Nach einer Weile kam ich also zu dem Schluss, auf das Studium ihrer Verhaltensweisen zurückgreifen zu müssen, um Annahmen darüber treffen zu können, welche Bäume sie mochten und welche nicht. Auf den ersten Blick waren sie, den kleinen Bäumen und Sträuchern nach zu urteilen, die um ihre Dämme herum abgeholzt waren, nicht sehr wählerisch. Statt Geschmack schien ihnen die örtliche Nähe zum Damm bei der Wahl ihrer Hölzer wichtiger zu sein. Als ich mir jedoch genauer anschaute, welche Baumarten sie für ihre Dämme tatsächlich verwendeten, und diese mit jenen verglich, die am Ufer abgenagt waren, stellte ich eindeutige Unterschiede fest. (Später las ich, dass Biber kleine Bäume, Zweige und Sträucher nicht auf der Stelle fressen, sondern zum Verzehr zunächst an einen bestimmten zentralen Ort – ihren Bau – transportieren. Dies bedeutet, dass sie die Bäume, die ihren Geschmack treffen, in ihren Bau bringen, und jene, die sie nicht fressen wollen, für ihre Dämme verwenden.)
Einigen großen, schweren Bäumen, die sie unmöglich in ihr Revier bringen konnten, hatten sie die gesamte Rinde abgenagt, während die Rinde anderer (wahrscheinlich weniger wohlschmeckender) Bäume noch intakt war. Indem ich ein bestimmtes Bauprojekt genauer unter die Lupe nahm – einen Damm, der nach starken Regenfällen beschädigt war und zum Teil neu errichtet werden musste –, konnte ich genauer eingrenzen, welche Bäume fehlten und welche entrindet waren. Amerikanischer Schneeball und Hartriegel schienen die einzigen zu sein, die sie als Baumaterialien verwendeten, immergrüne Bäume wie Lärchen, Fichten und Balsamtannen hingegen mieden sie ganz. Warum? Stellen Sie sich vor, Sie müssten einen Baum allein mit Ihren Zähnen fällen. Welchen würden Sie bevorzugen: den klebrigen, der zwar Ihren Atem erfrischt, Ihnen aber tagelang verbietet, den Mund zu öffnen, oder jenen, der Ihre Zähne nicht gleich zusammenklebt? Wie sich herausstellte, wurden meine nicht sehr wissenschaftlichen Beobachtungen an einem einzelnen Damm von der wissenschaftlichen Literatur und von Internetquellen gleichermaßen bestätigt. Ich hatte die von Bibern zum Verzehr bevorzugten Bäume gefunden: Weiden, Pappeln, Ahorne und Birken.
Nun zur Frage des Geschmacks. Wie probiert man einen Baum? Auch in diesem Fall ließ ich mich von den Bibern inspirieren. Sie essen nur die Rinde und das darunterliegende Kambium, also die Schicht zwischen der äußeren Rinde und dem inneren Hartholz, die die Nährstoffe transportiert. Darüber hinaus gelten sie als ausgemachte Baum-Feinschmecker; tatsächlich probieren sie seine Rinde, bevor sie entscheiden, ob sie einen Baum verwenden.[7] Dieses Verfahren wollte auch ich mir zu eigen machen. Da ich wusste, dass die Rinde von ausgewachsenen Bäumen recht zäh sein würde und ich sie nicht schädigen wollte, probierte ich lieber von jungen Bäumen, die in Gräben wuchsen und ohnehin regelmäßig gerodet wurden. Dank eines Messers (mein Ersatz für die eisenharten Zähne der Biber) besorgte ich mir ein Stück Rinde samt Kambium von allen vier Bäumen und probierte sie einfach.
Ich war auf ein ziemlich unerquickliches Experiment gefasst, doch zu meiner großen Überraschung war es das nicht. Die Pappelrinde schmeckte anfänglich wie Rhabarber und wurde dann bitterer, behielt jedoch einen Hauch Süße, der mich stark an Manuka-Honig erinnerte (ein Honig aus den Blüten der neuseeländischen Südseemyrte mit antibakteriellen und antioxidanten Eigenschaften). Die Birkenrinde war von sehr knuspriger Textur und schmeckte überraschend eindeutig nach Salat. Die Ahornrinde hatte wider Erwarten überhaupt kein Aroma. Am unangenehmsten war die Weidenrinde, die an grüne Kartoffeln erinnerte, die noch von ein wenig Erde bedeckt sind. Insgesamt fand ich es erstaunlich, wie unterschiedlich Baumrinden schmecken können und wie abwechslungsreich die Geschmackslandschaft von Bibern also tatsächlich ist.
Allerdings bin ich sicher nicht der Erste, der Tiere dabei beobachtete, wie sie Rinde fressen, und es ihnen nachmachte. Überhaupt spielte Baumrinde in der Geschichte der Menschheit eine enorm wichtige Rolle. Die meisten Ureinwohner Afrikas, Asiens, Australiens, Europas und der amerikanischen Subkontinente verwendeten sie für unzählige Zwecke, darunter die Herstellung von Kleidung, Schalen, Papier, Medizin, Fasern für Fischerleinen und -netze sowie Verpackungen für Lebensmittel. Es ist wohl allgemein bekannt, dass die Ureinwohner Amerikas Birkenrinde als äußere Haut ihrer Kanus und Tipis nutzten, doch auch die australischen Aborigines bauten aus Eukalyptusrinde Kanus und Unterkünfte. Die amerikanischen Ureinwohner stellten ihren eigenen Tabak aus Weidenrinde her (sie machten sich gleichzeitig deren schmerzstillende Eigenschaft zunutze, die sie aufgrund der in ihr enthaltenen Acetylsalicylsäure, auch »Aspirin« genannt, besitzt) und färbten ihre Kleidung mit Erlenrinde rotbraun.
Für dieses Buch ist es jedoch wichtiger und interessanter, dass mehrere nordamerikanische Stämme Baumprodukte nicht nur auf viele verschiedene Arten verwendeten, sondern dass sie Bäume oder Teile von ihnen tatsächlich auch aßen. Diese Tradition, die erstmals im Jahr 1792 von dem Händler und Forscher Alexander MacKenzie, wenig später auch von Teilnehmern der berühmten Lewis-und-Clark-Expedition beschrieben wurde, fand sogar ihren Weg in die moderne englische Sprache: »Adirondack« leitet sich von dem alten Wort atirú:taks der Mohawk ab und bedeutet so viel wie »Baumesser«. Die Mohawk verwendeten diesen Ausdruck eher abschätzig, wenn sie von einigen Stämmen der Algonkin sprachen, die für ihren Konsum von Baumrinde bekannt waren. Genauer gesagt, aßen sie nicht die Rinde selbst, sondern das weiche Kambium darunter, welches große Mengen Kohlenhydrate, Vitamine, Ballaststoffe und Mineralien enthält. Geerntet wurde die Rinde nur im Frühjahr (das Volk der Coeur d’Alene bezeichnete den Mai als den Monat, in dem »die Rinde lose an den Bäumen hängt«) und auch dann vor allem die Rinde von Kiefernarten. Andere Indianerstämme waren auch dafür bekannt, das Kambium von Hemlocktannen und Fichten zu trocknen, um es anschließend zu einer Art Mehl zu verarbeiten, aus dem ein spezieller Kuchen gebacken wurde.
Die Tradition, Kiefernkambium als Nahrungsmittel zu verwenden, wurde auch von den indigenen Samen in Skandinavien praktiziert. Es galt als Delikatesse, die man Verwandten, die in Gegenden ohne Kiefernwälder lebten, als besonderes Geschenk mitbrachte. Für ihre proteinreiche Ernährungsweise bedeutete das Kiefernkambium die perfekte Ergänzung. Zudem bewahrte es die Menschen aufgrund seines hohen Vitamin-C-Gehalts davor, an Skorbut zu erkranken.[8] Nach heutigen Maßstäben hätte man es mit Sicherheit als »Superfood« bezeichnet.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die ersten Ureinwohner Amerikas und ihre skandinavischen Gegenspieler zunächst einmal das natürliche Verhalten der Biber beobachtet hatten. Im Grunde genommen hatten sie am selben Punkt begonnen wie ich, offensichtlich hatten sie jedoch deutlich mehr Zeit gehabt, die besten Methoden zum Verzehr von Holz zu finden. Sie aßen nämlich nicht die Rinde als Ganze, sondern nur das weiche Kambium auf ihrer Innenseite, und selbst dieses nur im Frühjahr, wenn es besonders zart ist.
Ich wollte das Kambium natürlich sofort kosten. Allerdings hätte ich es nicht richtig gefunden, eine Kiefer ganz oder teilweise zu fällen, nur um einen kleinen Teil von ihr zu essen. Noch dazu war der Frühling recht fern. Und da die Genießbarkeit von Kiefernkambium bereits in einer Fülle von Quellen bewiesen worden war, wollte ich sowieso etwas anderes probieren. Ich wandte mich also wieder den vier Setzlingen zu, die ich bereits angeschnitten hatte, und trennte vorsichtig etwas weiches Kambium von der harten äußeren Rinde. Es schmeckte leider nicht erkennbar anders als der Rest der Rinde. Der Geschmack war etwas milder und die Konsistenz weicher und einfacher zu kauen, was mich an eine Überlebenstechnik erinnerte, von der ich vor vielen Jahren einmal gehört hatte: Sollte man sich ohne Nahrung in einer entlegenen Waldgegend wiederfinden, ist es angeblich möglich, eine Art Spaghetti aus Streifen von Birkenkambium zu kochen. Würde diese Methode den rohen Geschmack der Rinde oder des Kambiums verändern?
Glücklicherweise hatte ich das Kambium bereits in dünne Streifen geschnitten, und schnell hatte ich mir einen Topf mit kochendem Wasser besorgt. Ich warf das Birkenkambium hinein und probierte es in regelmäßigen Abständen, um zu sehen, ob es weicher wurde. Nach geschlagenen eineinhalb Stunden Kochzeit waren jedoch immer noch keine nennenswerten Unterschiede in Textur und Geschmack festzustellen, weshalb ich das Experiment für gescheitert erklärte und über andere Zubereitungsmöglichkeiten nachdachte. Da Kochen nichts half, fragte ich mich, ob ich mit Braten nicht mehr Erfolg haben würde. Ich holte eine meiner älteren gusseisernen Pfannen hervor und beträufelte sie mit etwas Rapsöl, das nur sehr wenig Eigengeschmack hat und sich deshalb hervorragend für Geschmacksexperimente eignet. Sobald das Öl die notwendige Brattemperatur erreicht hatte, gab ich etwas frisch geschnittenes Birkenkambium in die Pfanne. Nach kurzem und ziemlich wohlriechendem Brutzeln hielt ich die ersten goldbraun gebratenen Streifen Birkenkambium in Händen.
Sie zu probieren kam einer wahren Erleuchtung gleich. Knusprig und zart ließen sie sich letztlich genauso angenehm essen wie Gemüsechips. Sie schmeckten überhaupt nicht mehr nach grünem Salat, sondern süß und nach Stärke. Dazu kam eine zarte Note von recht angenehmer Bitterkeit. Nachdem ich die Streifen leicht gesalzen hatte, hielt ich sie durchaus für eine echte Alternative zu der Packung Kartoffelchips, die ich mir hin und wieder gönne. Nur einige winzige hölzerne Stückchen, die vereinzelt im Kambium steckten (so ähnlich wie jene in Birnen) fühlten sich beim Schlucken etwas seltsam an, hielten mich aber nicht davon ab, weiter an den Streifen zu knabbern. Hätte ich das Kambium zur besten Zeit im Frühjahr geerntet, hätte es die hölzernen Teilchen wahrscheinlich auch gar nicht enthalten.
Nachdem ich offenbar die ideale Methode gefunden hatte, Baumkambium zuzubereiten, wollte ich unbedingt auch die anderen Sorten – also Weide, Ahorn und Pappel – probieren. Als ich jedoch aus allen drei Bäumen frisches Kambium herausgeschnitten und in Öl angebraten hatte, musste ich schnell feststellen, dass meine Erwartungen enttäuscht wurden: Sie schmeckten nur immer zäher und bitterer. (Dies war wohl der Grund, warum die Ureinwohner Amerikas sie gar nicht erst verwendet hatten.)
Nachdem ich viele verschiedene Baumrinden auf unterschiedliche Weisen zubereitet und probiert hatte, war ich sehr überrascht, wie verschieden sie tatsächlich schmeckten. Versuchte ich jedoch, eine gemeinsame Geschmacksnote zu finden, fiel mir nur »bitter« ein. Nun ist dies kein Geschmack, den man normalerweise anstrebt. Bei uns Menschen schrillen sofort die Alarmglocken, da auch viele giftige Pflanzen bitter schmecken. Und doch ist bitter nicht immer gleich schlecht.
Dies zeigt die weltweite Beliebtheit von Tonic Water, einem wesentlichen Bestandteil jedes Gin Tonics, wohl am besten. Der Londoner Erasmus Bond ließ es sich ursprünglich auf den recht umständlichen Namen »improved aerated tonic liquid«, also in etwa »verbessertes, mit Kohlensäure versetztes kräftigendes Getränk«, patentieren, aber seine Erfindung geht auf britische Offiziere und Bürger zurück, die in Indien und an anderen tropischen Außenstellen des Britischen Weltreichs stationiert waren und lebten. Für sie handelte es sich indes keineswegs um ein Erfrischungsgetränk, das man zum Vergnügen zu sich nahm, sondern um eine medizinische Notwendigkeit, die das tägliche Überleben wahrscheinlicher machte. Siedler in den Tropen waren nämlich einer tödlichen Bedrohung durch einen unerwarteten Feind ausgesetzt: winzigen Mücken, oder genauer den Krankheiten, die sie übertrugen. Vor allem Malariaerreger wüteten hier um einiges heftiger als in Europa.
Die Tropen boten aber auch ein Heilmittel gegen diese gefährliche Infektionskrankheit: die Rinde des Chinarindenbaums. Ursprünglich von den eingeborenen Völkern des heutigen Peru entdeckt und deshalb als »Peruanische Rinde« bezeichnet (oder »Jesuitenrinde« nach jenen Mönchen, die die Rinde im 17. Jahrhundert nach Europa brachten), entwickelte sie sich schnell zum wirkungsvollsten Arzneimittel gegen Malaria. Zunächst zermahlte man einfach die Rinde als Ganzes, doch in den 1820er-Jahren gelang es, ihre aktive Komponente, die man Chinin nannte, zu isolieren und bereits wenig später als weißes Chininpulver in allen tropischen Kolonien zu verteilen. Als man in den 1840er-Jahren herausfand, dass es Malaria nicht nur heilen konnte, sondern auch zu verhindern half, verbrauchten britische Soldaten und Zivilisten jährlich 700 Tonnen Chinarinde. Das Chininpulver war jedoch so bitter, dass man schon bald nach Möglichkeiten suchte, es genießbarer zu machen – man vermischte es mit etwas Mineralwasser und Zucker. Damit war die erste rudimentäre Version von Tonic Water geboren – und höchstwahrscheinlich auch von Gin Tonic. Beide haben bis heute nichts an ihrer Popularität verloren, was beweist, dass Bitteres von Bäumen nicht immer Schlechtes bedeuten muss.[9]
Die Bitterkeit war freilich nur der eine gemeinsame Geschmack, der meine unterschiedlichen Rinden verband. Für sich genommen rangierten ihre Aromen auf einer Skala, die ich als Rhabarber, Manuka-Honig, grünen Salat oder sogar grüne Kartoffeln beschrieben habe. Diese Praxis funktionierte für meine persönlichen Aufzeichnungen ganz gut. Doch was, wenn ich einer Person, die noch nie Manuka-Honig oder grüne Kartoffeln probiert hatte, den Geschmack eines bestimmten Holzes beschreiben wollte? Wie sollte sie überhaupt wissen, wovon ich sprach? Das fehlende Vokabular westlicher Gesellschaften für die Beschreibung von Geschmack entpuppte sich für mein Unterfangen, dem Geschmack von Holz auf die Spur zu kommen, als ein großes Problem.
Die Sache mit dem Geschmack
Den Sprachen der westlichen Welt fehlt es (im krassen Gegensatz zu jenen vieler asiatischer, afrikanischer und südamerikanischer Kulturen) ernstlich an passenden Ausdrücken, wenn es um Fragen des Geschmacks geht. Uns stehen schlichtweg sehr wenige Wörter zur Verfügung, mit denen wir den Geschmack und den Geruch von Lebensmitteln – und übrigens auch von anderen Dingen – angemessen beschreiben könnten.
Wie kann das sein? Schließlich liegt es bereits 100000 Jahre zurück, dass unsere Vorfahren die notwendigen anatomischen Voraussetzungen entwickelten (Veränderungen an Kehlkopf und Stimmbändern), um sogar so komplexe Wörter wie »Worcestershiresauce« oder »Eichkätzchen« auszusprechen. Wie kann es sein, dass uns die Worte fehlen, um den Geschmack einer Erdbeere, geschweige denn einer Baumrinde adäquat zu benennen?
Bereits in der Antike entwickelten Philosophen seit Aristoteles eine Hierarchie der Sinne. Sinne wie Sehen und Hören, die Entfernungen überbrücken können, wurden bewundert und für objektiver gehalten. Solche, die eine Nähe zum untersuchten Gegenstand benötigten, darunter Schmecken, Berühren und Riechen, wurden vermieden und als körperlich, tierisch und subjektiv bezeichnet. Diese Einstellung dem Schmecken gegenüber hielt sich über die Jahrhunderte und hatte verheerende sprachliche Auswirkungen. Schmecken wurde als nutzlos für den Fortschritt des Wissens angesehen und bald mit Völlerei in Verbindung gebracht. Dies führte dazu, dass sich kein allzu umfangreiches Vokabular entwickelte, mit dem man den Geschmack von Essen hätte beschreiben können. Während Gelehrte wie Giorgio Vasari ganze Bücher verfassten, in denen sie ihren Ansichten über bildende Kunst oder Musik Ausdruck verliehen, geschah für Nahrungsmittel nichts dergleichen. Stattdessen erschienen Bücher über Manieren, denen zufolge es als äußerst unhöflich galt, über persönliche Vorlieben (also Geschmack) zu sprechen, während man zu Tische saß.
Womöglich als Ausnahme von der Regel gibt es doch ein bedeutendes historisches Ereignis, in dessen Anschluss Einzelne versuchten, den Geschmack von Essen zu beschreiben: Der Kontakt der Europäer mit dem amerikanischen Doppelkontinent ab 1492 brachte die Begegnung mit völlig neuen Früchten und Gemüsesorten wie Mais, Kakao, Kartoffeln und Tomaten mit sich. Mais etwa wurde zuerst von Guglielmo Coma, einem Begleiter von Christoph Kolumbus, einfach als »wohlschmeckend« beschrieben. In einem weiteren Bericht vergleicht ein anderer Mitreisender, Michele de Cuneo, den Geschmack von Mais recht negativ mit dem von »Eicheln« (die im Allgemeinen als Arme-Leute-Essen galten).
Solche Aufzeichnungen waren allerdings recht selten und blieben es über mehrere Jahrhunderte, obwohl sich viele Pflanzen aus der Neuen Welt, darunter Kartoffeln, Mais und Chilischoten, bald schon großer Beliebtheit erfreuten. Hatte man sie ursprünglich nur als teure Raritäten für die prächtigen königlichen Gärten europäischer Monarchen importiert, wurden aus diesen Pflanzen bald Grundnahrungsmittel, die so manche regionale Küche grundlegend veränderten (man denke nur an die Bedeutung der Tomate für die italienische Esskultur).
Da so viele Menschen damals mit völlig neuen Lebensmitteln in Berührung kamen, ist es nur schwer zu verstehen, dass deren Geschmack nicht viel öfter schriftlich festgehalten wurde. Selbst als im Europa des 16. Jahrhunderts Stillleben beliebt wurden, die Tische und Teller voller köstlich aussehender und exotischer Lebensmittel darstellten, war deren eigentlicher Geschmack nicht weiter von Interesse. Immer ging es nur um ihre Ästhetik, Geometrie und vor allem ihre symbolische Bedeutung.[10]
Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts änderte sich dies nach und nach. In dieser Zeit begannen italienische, deutsche, englische, spanische und später sogar französische Köche, Kochbücher zu schreiben, die sich an ein breiteres Publikum richteten und in ihren Vorworten und Rezepten allgemeine Überlegungen zum Geschmack anstellten. Davor hatte man Kochbücher äußerst kurz gehalten. Sie kamen gleich auf das Wesentliche zu sprechen, ohne sich mit solchem Unsinn wie Geschmack aufzuhalten, schließlich wurden sie von Profis für Profis geschrieben. Doch diese Haltung wandelte sich zunehmend, so etwa mit der Veröffentlichung des französischen Kochbuchs Le Cuisinier François von François Pierre La Varenne im Jahr 1651. Wenngleich sein Kochbuch immer noch als Anleitung für professionelle Köche galt, enthielt es doch ein Vorwort sowohl vom Autor als auch von seinem Herausgeber (der im Wesentlichen zu erklären versuchte, weshalb er sich zur Veröffentlichung eines einfachen Kochbuchs herabließ). Um es zugänglicher zu gestalten, hatte es eine leicht verständliche Struktur, ein Register und sogar nützliche Empfehlungen, wo man bestimmte Zutaten günstig kaufen konnte.
Etwa parallel zur Veröffentlichung des Cuisinier François bildete sich die übertragene Bedeutung des Wortes »Geschmack« heraus. Seither wurde es für einen echten Gentleman immer wichtiger, in allen Lebenslagen einen »guten Geschmack« zu beweisen. Zudem ging man dazu über, im Zusammenhang mit ästhetischen Urteilen über Kunstwerke von »Geschmack« zu sprechen.
Im 18. Jahrhundert schließlich wurden die Einführungstexte in Kochbüchern von professionellen Schriftstellern geschrieben, die in ihrem Lob auf Geschmack und Küche so weit gingen, dass sie diese mit den Künsten und der Wissenschaft auf eine Stufe stellten. Da hierfür jedoch immer noch kein rechtes Vokabular vorhanden war, konnten die Autoren lediglich Synonyme für guten und schlechten Geschmack sowie die grundlegenden Geschmacksbegriffe süß, sauer, salzig und bitter verwenden oder sie einfach nur mit anderen Lebensmitteln vergleichen.[11]
Heute spricht man natürlich viel positiver über Geschmack, doch wir, die Menschen, die über Essen und Geschmack schreiben, stehen immer noch vor denselben fundamentalen Problemen wie jene französischen Autoren des 18. Jahrhunderts: dem Mangel an allgemein akzeptiertem Vokabular sowie der weitverbreiteten (wenngleich glücklicherweise zurückgehenden) Abneigung, aufgrund kultureller Konditionierung überhaupt über Geschmack zu sprechen.
Mehrere andere Sprachfamilien zeigen faszinierende Alternativen zu den wenigen gewöhnlichen Begriffen, mit denen im Westen Geschmack beschrieben wird. So gibt es etwa die laotische Sprache (die in Laos, Nordostthailand und Kambodscha gesprochen wird), in der die Menschen im Alltag etliche Grundbegriffe für Geschmacksrichtungen verwenden. Neben süß, bitter, umami, sauer und salzig kennt sie genaue Bezeichnungen für »nicht salzig (genug), fade«, »scharf, mit Minzaromen« (etwa für Minzblätter), »beißend, kribbelnd« (etwa für einen sehr säuerlichen Apfel), »kalkhaltig, trocken im Mund« (etwa für eine unreife Banane oder einen zu starken Tee), »würzig, scharf« (etwa für Chili, Wasabi, Pfeffer oder eine starke Zahnpasta), »einen Juckreiz in den Zähnen auslösend« (etwa durch den Genuss zu vieler saurer Bonbons) und »ölig, stärkehaltig, intensiv«.
Schon mit diesen zusätzlichen Wörtern für Grundaromen vervielfältigen sich die Möglichkeiten, Geschmack zu beschreiben. Doch auch diese sind kein Vergleich zu den Optionen, die Siwu, eine Sprache aus Ghana, bietet. Siwu baut wie viele andere afrikanische, südamerikanische und asiatische Sprachen auf einer besonderen, Ideophone genannten Wortklasse auf. Diese in indoeuropäischen Sprachen so gut wie nicht existente Wortart (grammatikalisch von Substantiven, Adjektiven und Verben zu unterscheiden) wird genau dafür verwendet, sinnliche Erlebnisse wie das Schmecken zu beschreiben. Ideophone werden als »Lyrik der Alltagssprache« bezeichnet und verleihen sinnlichen Erfahrungen ein lebhaftes Vorstellungsbild. So bedeutet etwa das Wort tìtìrìtìì »klebrig wie die Zunge einer Katze«, und saaa drückt eine »kühle Empfindung« (etwa von Ingwer) aus. Am nächsten kommen ihnen womöglich onomatopoetische Ausdrücke wie »peng«, »seufz«, »schluchz«, die oft in Comics auftauchen. Sie sind jedoch nicht halb so ausgefeilt und in die Alltagssprache integriert wie die Ideophone des Siwu.[12] Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie im Deutschen für komplexere Empfindungen einfach nicht taugen würden. Wollte ich etwa den Geschmack der im vorhergehenden Kapitel beschriebenen gebratenen Chips aus Birkenkambium benennen, so müsste ich ein verrücktes Wort wie »knuspermehligbittersüßleckerschmatz« erfinden. So verlockend es sein mag, sich im Deutschen sinnliche Bildwörter auszudenken, um ein bestimmtes Aroma zu beschreiben, werde ich auf diese Möglichkeit wohl eher nicht zurückgreifen. Ich hätte zu große Angst, die Lesbarkeit dieses Buches zu beeinträchtigen.
Und doch, nachdem ich begonnen hatte, über die großen Sprachunterschiede nachzudenken, die im Reich des Geschmacks herrschen, fragte ich mich immer mehr, ob das einzige Wort der englischen Sprache, das auch nur entfernt mit dem Geschmack von Holz zu tun hat, woody, in anderen Sprachen überhaupt existiert. Und falls ja, bedeutet es dasselbe?
Um dies herauszufinden, fragte ich einige meiner Studienfreunde aus aller Welt. Innerhalb weniger Stunden erfuhr ich, dass woody tatsächlich in vielen Sprachen existiert, wenngleich das entsprechende Wort für die von mir Befragten unterschiedliche Primärbedeutungen besaß. In kanadischem Französisch, Afrikaans und Finnisch scheint es hauptsächlich in der Welt des Weins und Whiskys beheimatet zu sein und bezeichnet den typischen Geschmack, der durch den Alterungsprozess in einem (Eichen-)Fass entsteht. Im südamerikanischen Spanisch, im Ungarischen und in meiner Muttersprache Deutsch wird mit dem Wort »holzig« vor allem Wurzelgemüse beschrieben, das aufgrund später Ernte zäh und mit festen Stücken versetzt ist. Im Hebräischen wiederum bezeichnet das Pendant zu »holzig« eine etwas steife und verklemmte, womöglich gar leicht verdrehte Person, während das entsprechende Wort in Italien auf eine schwerfällige Bewegung ohne Eleganz verweist.
Es hat mich überrascht, dass die entsprechenden arabischen und russischen Wörter primär auf einen bestimmten Duft anspielen, der in Parfüms vorkommt. Der bei Weitem erstaunlichste und witzigste Gebrauch des Wortes stammt aus Norwegen, wo die Menschen buchstäblich sagen »ich habe einen Holzgeschmack in meinem Hintern!«, wenn sie zu lange auf einem harten Holzstuhl gesessen haben. Eine bessere Demonstration von Sprachunterschieden kann ich mir kaum vorstellen.
Wenngleich es wirklich schön wäre, die riesige Werkzeugkiste der Geschmacksvokabeln, die andere Sprachen mir auf meiner Suche nach dem Geschmack von Holz zur Verfügung gestellt haben, zu öffnen, begreife ich langsam, dass unser Mangel an adäquatem Vokabular auch eine große Freiheit bedeutet. Ich kann mir aus der bereits existierenden deutschen Sprache Wörter heraussuchen, seien es solche, mit denen man Musik, Kunstwerke, Gefühle oder sogar Menschen beschreibt, und sie so lange neu anordnen, bis sie dem besonderen Geschmack, dem ich Ausdruck verleihen will, am besten entsprechen. In Wahrheit bin ich sogar froh darüber, dass es jenseits der Grundgeschmacksrichtungen keinen einzig gültigen universellen Standard für Geschmacksterminologien gibt. Würde man einen anwenden, ginge auch eine große Vielfalt verloren. Natürlich können die Wörter, die wir verwenden, zuweilen etwas künstlich und seltsam erscheinen, doch ist es nicht auch faszinierend zu sehen, wie lebendig und anpassungsfähig eine Sprache sein kann?
Pizza al Faggio
Als Johann Wolfgang von Goethe sich im Frühjahr des Jahres 1787 zum ersten Mal der alten Stadt Neapel am Fuß des damals noch aktiven Vesuvs näherte, war er von einer freudigen Erwartung erfüllt. Ihm stand eine paradiesisch anmutende Stadt vor Augen (eine Vorstellung, die von den Neapolitanern ganz entschieden geteilt wurde), deren Reiz durch die unmittelbare Nähe zum feuerspuckenden Schlund des Vesuvs nur erhöht wurde. Neapel war eine Stadt extremer Kontraste, in der sich unermessliche Schönheit und Bilder des Schreckens die Hand reichten. Im Vergleich dazu beschrieb Goethe, wohl zum Entsetzen vieler Römer, seine vorige Station Rom als »übelplaciertes Kloster«.[13]
Mit seinen Worten im Kopf fieberte ich meiner Reise nach Neapel entgegen, wenngleich die aktuellen Presseberichte über die Stadt ein ganz anderes Bild zeichnen. Obwohl Neapel im Wirtschaftsranking aller italienischen Städte auf Rang vier liegt und über einen der wichtigsten Häfen Europas verfügt, dominieren in den Medien Berichte über Chaos, Korruption und Verbrechen. Nichtsdestotrotz schwärmten meine Freunde von der Stadt und ihren Bewohnern auf eine Weise, die jener Goethes recht nahekam – nicht ohne die Empfehlung, dass ich während meiner Erkundungen meine Habseligkeiten im Blick behalten sollte. Vor die Wahl gestellt, Schreckliches oder aber Großartiges zu erwarten, entschied ich mich für Letzteres.
Noch ganz schläfrig und zerzaust von einer Nacht im Liegewagen, kam ich früh am Morgen auf dem Bahnhof Garibaldi an. Als ich aus dem Zug schaute und die schweren Regenwolken über dem neu erbauten Geschäftszentrum erblickte, erinnerte ich mich wieder an all die schrecklichen Geschichten, die ich über Neapel gehört hatte – warum in aller Welt war ich nur hierhergekommen?
Alles begann damit, dass einige meiner Arbeitskolleginnen (zu der Zeit arbeitete ich auf der Expo 2015 in Mailand) einen Kurzurlaub auf der schönen Insel Ischia vor der Küste Neapels planten und mich fragten, ob ich nicht mitkommen wolle. Die Insel reizte mich, wie Süditalien im Allgemeinen, schließlich war ich bisher noch nie weiter südlich als nach Rom gekommen. (Dazu war die Vorstellung, mit vier umwerfenden Frauen zu verreisen, alles andere als abschreckend.) Erst als wir ein paar Tage später unsere Tickets kaufen wollten, begriff ich, was für eine großartige Chance dieser Trip für meine Holzstudien darstellen könnte. Pizza! Dies war meine Gelegenheit, endlich die weltberühmte neapolitanische Pizza zu probieren.
Kurz entschlossen buchte ich ein Ticket, das es mir erlaubte, fast zwei volle Tage in Neapel zu verbringen, bevor ich mit meinen Kolleginnen die Fähre nach Ischia nehmen würde. Fest entschlossen, die absolut beste Pizzeria Neapels zu finden, bat ich über die Facebook-Gruppe der Uni meine Kommilitonen aus dem Gastronomiestudium, die meine erste Anlaufstelle für alle Fragen rund um Essen und Trinken waren, mich zu beraten. Innerhalb weniger Stunden hatte ich eine erhitzte Diskussion darüber entfacht, ob Da Michele (der Film Eat, Pray, Love mit Julia Roberts hat das Restaurant porträtiert und berühmt gemacht) oder das Sorbillo die beste Pizzeria in der Stadt war. Ein Studienfreund, der aus Neapel kam, entschied die Diskussion mit dem überzeugenden Argument, dass das Sorbillo einfach die besseren Zutaten verwende, insbesondere was das Öl und die Tomaten betreffe. Was sollte ich dagegen noch vorbringen? Ich musste ins Sorbillo!
Ich hoffte, mit einem der pizzaioli oder Pizzabäcker über den entscheidenden Einfluss der Holzöfen auf die neapolitanische Pizza zu sprechen, doch eine Bekannte, die sich mit Neapel und seinen Sitten auskannte, warnte mich, dass dies so gut wie unmöglich sein würde. Ich erfuhr, dass die pizzaioli, die in den berühmtesten Pizzerien Neapels arbeiten, an zwei Eigenschaften zu erkennen sind: Schnelligkeit, gepaart mit einer Unhöflichkeit, die einen dazu verdonnert, seine Pizza mit gleicher oder besser noch höherer Geschwindigkeit zu verzehren und zu bezahlen.
Trotzdem war ich entschlossen, mich mit einem Experten über die neapolitanische Pizza zu unterhalten. Ich bat deshalb eine italienische Arbeitskollegin, die Telefonnummer des Sorbillo herauszubekommen, in meinem Namen dort anzurufen – mein Italienisch war für eine derart heikle Aufgabe zu rudimentär – und um ein Gespräch mit dem Besitzer Gino Sorbillo zu bitten. Zu meiner großen Überraschung kamen wir tatsächlich an seine Handynummer; ein paar Anrufe und SMS später war es uns gelungen, einen Termin bei einem der besten Pizzabäcker der Stadt zu bekommen.
Ende der Leseprobe