Der goldne Topf - E. T. A. Hoffmann - kostenlos E-Book + Hörbuch

Der goldne Topf Hörbuch

E.T.A. Hoffmann

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Beschreibung

E.T.A. Hoffmanns "Der goldene Topf" (1814) erzählt vom Studenten Anselmus, der sich zwischen Fantasie und Realität hin- und herschwankend gegen eine Vernunftehe mit einer Beamtentochter entscheidet – und stattdessen durch die (imaginierte) Liebe zur Schlangenfrau Serpentina sein wahres Schicksal findet. Die Novelle war und ist mannigfaltige Inspirationsquelle für Autoren, Maler und Musiker geworden. Null Papier Verlag

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Zeit:3 Std. 50 min

Sprecher:Rufus Beck
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E.T.A. Hoffmann

Der goldne Topf

Eine romantische Novelle

E.T.A. Hoffmann

Der goldne Topf

Eine romantische Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 3. Auflage, ISBN 978-3-954185-57-3

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Ers­te Vi­gi­lie

Zwei­te Vi­gi­lie

Drit­te Vi­gi­lie

Vier­te Vi­gi­lie

Fünf­te Vi­gi­lie

Sechs­te Vi­gi­lie

Sie­ben­te Vi­gi­lie

Ach­te Vi­gi­lie

Neun­te Vi­gi­lie

Zehn­te Vi­gi­lie

Elf­te Vi­gi­lie

Zwölf­te Vi­gi­lie

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Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

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Die er­folg­reichs­te di­gi­ta­le Werk­samm­lung zu E.T.A. Hoff­mann

Don Juan, Die Eli­xie­re des Teu­fels, Der Sand­mann, Das stei­ner­ne Herz, Le­bens­an­sich­ten des Ka­ters Murr, Nuss­knacker und Mau­se­kö­nig, Das frem­de Kind, Das Fräu­lein von Scu­de­ri, Die Kö­nigs­braut u.v.m.

978-3-95418-359-3 (Kind­le) 978-3-95418-360-9 (Epub) 978-3-95418-361-6 (PDF)

0,99 €

null-papier.de/hoffmann

Erste Vigilie

Die Un­glücks­fäl­le des Stu­den­ten An­sel­mus. – Des Kon­rek­tors Paul­mann Sa­ni­täts­knas­ter und die gold­grü­nen Schlan­gen.

Am Him­mel­fahrts­ta­ge, nach­mit­tags um drei Uhr, rann­te ein jun­ger Mensch in Dres­den durchs Schwar­ze Tor, und ge­ra­de­zu in einen Korb mit Äp­feln und Ku­chen hin­ein, die ein al­tes häss­li­ches Weib feil­bot, so­dass al­les, was der Quet­schung glück­lich ent­gan­gen, hin­aus­ge­schleu­dert wur­de, und die Stra­ßen­jun­gen sich lus­tig in die Beu­te teil­ten, die ih­nen der has­ti­ge Herr zu­ge­wor­fen. Auf das Ze­ter­ge­schrei, das die Alte er­hob, ver­lie­ßen die Ge­vat­te­rin­nen ihre Ku­chen- und Brannt­wein­ti­sche, um­ring­ten den jun­gen Men­schen und schimpf­ten mit pö­bel­haf­tem Un­ge­stüm auf ihn hin­ein, so­dass er, vor Är­ger und Scham ver­stum­mend, nur sei­nen klei­nen, nicht eben be­son­ders ge­füll­ten Geld­beu­tel hin­hielt, den die Alte be­gie­rig er­griff und schnell ein­steck­te. Nun öff­ne­te sich der fest­ge­schlos­se­ne Kreis, aber in­dem der jun­ge Mensch hin­aus­schoss, rief ihm die Alte nach: »Ja ren­ne – ren­ne nur zu, Sa­t­ans­kind – ins Kris­tall bald dein Fall – ins Kris­tall!« – Die gel­len­de, kräch­zen­de Stim­me des Wei­bes hat­te et­was Ent­setz­li­ches, so­dass die Spa­zier­gän­ger ver­wun­dert still­stan­den, und das La­chen, das sich erst ver­brei­tet, mit ei­nem­mal ver­stumm­te. – Der Stu­dent An­sel­mus (nie­mand an­ders war der jun­ge Mensch) fühl­te sich, un­er­ach­tet er des Wei­bes son­der­ba­re Wor­te durch­aus nicht ver­stand, von ei­nem un­will­kür­li­chen Grau­sen er­grif­fen, und er be­flü­gel­te noch mehr sei­ne Schrit­te, um sich den auf ihn ge­rich­te­ten Bli­cken der neu­gie­ri­gen Men­ge zu ent­zie­hen. Wie er sich nun durch das Ge­wühl ge­putz­ter Men­schen durch­ar­bei­te­te, hör­te er über­all mur­meln: »Der arme jun­ge Mann – Ei! – über das ver­damm­te Weib!« – Auf ganz son­der­ba­re Wei­se hat­ten die ge­heim­nis­vol­len Wor­te der Al­ten dem lä­cher­li­chen Aben­teu­er eine ge­wis­se tra­gi­sche Wen­dung ge­ge­ben, so­dass man dem vor­hin ganz Un­be­merk­ten jetzt teil­neh­mend nachsah. Die Frau­en­zim­mer ver­zie­hen dem wohl­ge­bil­de­ten Ge­sich­te, des­sen Aus­druck die Glut des in­nern Grimms noch er­höh­te, so­wie dem kräf­ti­gen Wuch­se des Jüng­lings al­les Un­ge­schick so­wie den ganz aus dem Ge­bie­te al­ler Mode lie­gen­den An­zug. Sein hecht­grau­er Frack war näm­lich so zu­ge­schnit­ten, als habe der Schnei­der, der ihn ge­ar­bei­tet, die mo­der­ne Form nur von Hö­ren­sa­gen ge­kannt, und das schwarz­at­las­ne wohl­ge­schon­te Un­ter­kleid gab dem Gan­zen einen ge­wis­sen ma­gis­ter­mä­ßi­gen Stil, dem sich nun wie­der Gang und Stel­lung durch­aus nicht fü­gen woll­te. – Als der Stu­dent schon bei­na­he das Ende der Al­lee er­reicht, die nach dem Lin­ki­schen Bade führt, woll­te ihm bei­na­he der Atem aus­ge­hen. Er war ge­nö­tigt, lang­sa­mer zu wan­deln; aber kaum wag­te er den Blick in die Höhe zu rich­ten, denn noch im­mer sah er die Äp­fel und Ku­chen um sich tan­zen, und je­der freund­li­che Blick die­ses oder je­nes Mäd­chens war ihm nur der Re­flex des scha­den­fro­hen Ge­läch­ters am Schwar­zen Tor. So war er bis an den Ein­gang des Lin­ki­schen Ba­des ge­kom­men; eine Rei­he fest­lich ge­klei­de­ter Men­schen nach der an­de­ren zog her­ein. Mu­sik von Blas­in­stru­men­ten er­tön­te von in­nen, und im­mer lau­ter und lau­ter wur­de das Ge­wühl der lus­ti­gen Gäs­te. Die Trä­nen wä­ren dem ar­men Stu­den­ten An­sel­mus bei­na­he in die Au­gen ge­tre­ten, denn auch er hat­te, da der Him­mel­fahrts­tag im­mer ein be­son­de­res Fa­mi­li­en­fest für ihn ge­we­sen, an der Glück­se­lig­keit des Lin­ki­schen Pa­ra­die­ses teil­neh­men, ja er hat­te es bis zu ei­ner hal­b­en Por­ti­on Kaf­fee mit Rum und ei­ner Bou­teil­le Dop­pel­bier trei­ben wol­len und, umso recht schlam­pam­pen zu kön­nen, mehr Geld ein­ge­steckt, als ei­gent­lich er­laubt und tun­lich war. Und nun hat­te ihn der fa­ta­le Tritt in den Äp­fel­korb um al­les ge­bracht, was er bei sich ge­tra­gen. An Kaf­fee, an Dop­pel­bier, an Mu­sik, an den An­blick der ge­putz­ten Mäd­chen – kurz! – an alle ge­träum­ten Genüs­se war nicht zu den­ken; er schlich lang­sam vor­bei und schlug end­lich den Weg an der Elbe ein, der ge­ra­de ganz ein­sam war. Un­ter ei­nem Ho­lun­der­bau­me, der aus der Mau­er her­vor­ge­spros­sen, fand er ein freund­li­ches Ra­sen­plätz­chen; da setz­te er sich hin und stopf­te eine Pfei­fe von dem Sa­ni­täts­knas­ter, den ihm sein Freund, der Kon­rek­tor Paul­mann, ge­schenkt. – Dicht vor ihm plät­scher­ten und rausch­ten die gold­gel­ben Wel­len des schö­nen Elbstroms, hin­ter dem­sel­ben streck­te das herr­li­che Dres­den kühn und stolz sei­ne lich­ten Tür­me em­por in den duf­ti­gen Him­mels­grund, der sich hin­ab­senk­te auf die blu­mi­gen Wie­sen und frisch grü­nen­den Wäl­der, und aus tiefer Däm­me­rung ga­ben die nackich­ten Ge­bir­ge Kun­de vom fer­nen Böh­mer­lan­de. Aber fins­ter vor sich hin­bli­ckend, blies der Stu­dent An­sel­mus die Dampf­wol­ken in die Luft, und sein Un­mut wur­de end­lich laut, in­dem er sprach: »Wahr ist es doch, ich bin zu al­lem mög­li­chen Kreuz und Elend ge­bo­ren! – Dass ich nie­mals Boh­nen­kö­nig ge­wor­den, dass ich im Paar oder Un­paar im­mer falsch ge­ra­ten, dass mein But­ter­brot im­mer auf die fet­te Sei­te ge­fal­len, von al­lem die­sen Jam­mer will ich gar nicht re­den; aber ist es nicht ein schreck­li­ches Ver­häng­nis, dass ich, als ich denn doch nun dem Sa­tan zum Trotz Stu­dent ge­wor­den war, ein Küm­mel­tür­ke sein und blei­ben muss­te? – Zie­he ich wohl je einen neu­en Rock an, ohne gleich das ers­te­mal einen Talg­fleck hin­ein­zu­brin­gen oder mir an ei­nem übel ein­ge­schla­ge­nen Na­gel ein ver­wünsch­tes Loch hin­ein­zu­rei­ßen? Grü­ße ich wohl je einen Herrn Ho­frat oder eine Dame, ohne den Hut weit von mir zu schleu­dern oder gar auf dem glat­ten Bo­den aus­zuglei­ten und schänd­lich um­zu­stül­pen? Hat­te ich nicht schon in Hal­le je­den Markt­tag eine be­stimm­te Aus­ga­be von drei bis vier Gro­schen für zer­tre­te­ne Töp­fe, weil mir der Teu­fel in den Kopf setzt, mei­nen Gang ge­ra­de­aus zu neh­men wie die La­min­ge? Bin ich denn ein ein­zi­ges Mal ins Kol­le­gi­um oder wo man mich sonst hin­be­schie­den, zu rech­ter Zeit ge­kom­men? Was half es, dass ich eine hal­be Stun­de vor­her aus­ging und mich vor die Tür hin­stell­te, den Drücker in der Hand, denn so­wie ich mit dem Glo­cken­schla­ge auf­drücken woll­te, goss mir der Sa­tan ein Wasch­be­cken über den Kopf oder ließ mich mit ei­nem Heraustre­ten­den zu­sam­men­ren­nen, dass ich in tau­send Hän­del ver­wi­ckelt wur­de und dar­über al­les ver­säum­te. – Ach! ach! wo seid ihr hin, ihr se­li­gen Träu­me künf­ti­gen Glücks, wie ich stolz wähn­te, ich kön­ne es wohl hier noch bis zum Ge­hei­men Se­kre­tär brin­gen! Aber hat mir mein Uns­tern nicht die bes­ten Gön­ner ver­fein­det? – Ich weiß, dass der Ge­hei­me Rat, an den ich emp­foh­len bin, ver­schnit­te­nes Haar nicht lei­den mag; mit Mühe be­fes­tigt der Fri­seur einen klei­nen Zopf an mei­nem Hin­ter­haupt, aber bei der ers­ten Ver­beu­gung springt die un­glück­se­li­ge Schnur, und ein mun­te­rer Mops, der mich um­schnüf­felt, ap­por­tiert im Ju­bel das Zöpf­chen dem Ge­hei­men Rate. Ich sprin­ge er­schro­cken nach und stür­ze über den Tisch, an dem er früh­stückend ge­ar­bei­tet hat, so­dass Tas­sen, Tel­ler, Tin­ten­fass – Sand­büch­se klir­rend her­ab­stür­zen, und der Strom von Scho­ko­la­de und Tin­te sich über die eben ge­schrie­be­ne Re­la­ti­on er­gießt. ›Herr, sind Sie des Teu­fels!‹ brüllt der er­zürn­te Ge­hei­me Rat und schiebt mich zur Tür hin­aus. – Was hilft es, dass mir der Kon­rek­tor Paul­mann Hoff­nung zu ei­nem Schrei­ber­diens­te ge­macht hat, wird es denn mein Uns­tern zu­las­sen, der mich über­all ver­folgt! – Nur noch heu­te! – Ich woll­te den lie­ben Him­mel­fahrts­tag recht in der Ge­müt­lich­keit fei­ern, ich woll­te or­dent­lich was dar­auf­ge­hen las­sen. Ich hät­te eben­so gut wie je­der an­de­re Gast in Lin­kes Bade stolz ru­fen kön­nen: ›Mar­kör – eine Fla­sche Dop­pel­bier – aber vom bes­ten bit­te ich!‹ – Ich hät­te bis spät abends sit­zen kön­nen und noch dazu ganz nahe bei die­ser oder je­ner Ge­sell­schaft herr­lich ge­putz­ter schö­ner Mäd­chen. Ich weiß es schon, der Mut wäre mir ge­kom­men, ich wäre ein ganz an­de­rer Mensch ge­wor­den; ja, ich hät­te es so weit ge­bracht, dass wenn die­se oder jene ge­fragt: ›Wie spät mag es wohl jetzt sein?‹ oder: ›Was ist denn das, was sie spie­len?‹ da wäre ich mit leich­tem An­stan­de auf­ge­sprun­gen, ohne mein Glas um­zu­wer­fen oder über die Bank zu stol­pern; mich in ge­beug­ter Stel­lung an­dert­halb Schrit­te vor­wärts­be­we­gend, hät­te ich ge­sagt: ›Er­lau­ben Sie, Ma­de­moi­sel­le, Ih­nen zu die­nen, es ist die Ou­ver­tü­re aus dem Do­nau­weib­chen‹ oder: ›Es wird gleich sechs Uhr schla­gen.‹ – Hät­te mir das ein Mensch in der Welt übel deu­ten kön­nen? – Nein! sage ich, die Mäd­chen hät­ten sich so schalk­haft lä­chelnd an­ge­se­hen, wie es wohl zu ge­sche­hen pflegt, wenn ich mich er­mu­ti­ge, zu zei­gen, dass ich mich auch wohl auf den leich­ten Welt­ton ver­ste­he und mit Da­men um­zu­ge­hen weiß. Aber da führt mich der Sa­tan in den ver­wünsch­ten Äp­fel­korb, und nun muss ich in der Ein­sam­keit mei­nen Sa­ni­täts­knas­ter –« Hier wur­de der Stu­dent An­sel­mus in sei­nem Selbst­ge­sprä­che durch ein son­der­ba­res Rie­seln und Ra­scheln un­ter­bro­chen, das sich dicht ne­ben ihm im Gra­se er­hob, bald aber in die Zwei­ge und Blät­ter des Ho­lun­der­baums hin­auf­glitt, der sich über sei­nem Haup­te wölb­te. Bald war es, als schütt­le der Abend­wind die Blät­ter, bald, als kos­ten Vö­ge­lein in den Zwei­gen, die klei­nen Fit­ti­ge im mut­wil­li­gen Hin- und Her­flat­tern rüh­rend. – Da fing es an zu flüs­tern und zu lis­peln, und es war, als er­tön­ten die Blü­ten wie auf­ge­han­ge­ne Kris­tall­glöck­chen. An­sel­mus horch­te und horch­te. Da wur­de, er wuss­te selbst nicht wie, das Ge­lis­pel und Ge­flüs­ter und Ge­klin­gel zu lei­sen halb­ver­weh­ten Wor­ten:

»Zwi­schen­durch – zwi­schen­ein – zwi­schen Zwei­gen, zwi­schen schwel­len­den Blü­ten, schwin­gen, schlän­geln, schlin­gen wir uns – Schwes­ter­lein – Schwes­ter­lein, schwin­ge dich im Schim­mer – schnell, schnell her­auf – her­ab – Abend­son­ne schießt Strah­len, zi­schelt der Abend­wind – ra­schelt der Tau – Blü­ten sin­gen – rüh­ren wir Züng­lein, sin­gen wir mit Blü­ten und Zwei­gen – Ster­ne bald glän­zen – müs­sen her­ab – zwi­schen­durch, zwi­schen­ein schlän­geln, schlin­gen, schwin­gen wir uns Schwes­ter­lein.« –

So ging es fort in Sin­ne ver­wir­ren­der Rede. Der Stu­dent An­sel­mus dach­te: »Das ist denn doch nur der Abend­wind, der heu­te mit or­dent­lich ver­ständ­li­chen Wor­ten flüs­tert.« – Aber in dem Au­gen­blick er­tön­te es über sei­nem Haup­te wie ein Drei­klang hel­ler Kris­tall­glo­cken; er schau­te hin­auf und er­blick­te drei in grü­nem Gold er­glän­zen­de Schläng­lein, die sich um die Zwei­ge ge­wi­ckelt hat­ten und die Köpf­chen der Abend­son­ne ent­ge­gen­streck­ten. Da flüs­ter­te und lis­pel­te es von neu­em in je­nen Wor­ten, und die Schläng­lein schlüpf­ten und kos­ten auf und nie­der durch die Blät­ter und Zwei­ge, und wie sie sich so schnell rühr­ten, da war es, als streue der Ho­lun­der­busch tau­send fun­keln­de Sma­rag­de durch sei­ne dunklen Blät­ter. »Das ist die Abend­son­ne, die so in dem Ho­lun­der­busch spielt«, dach­te der Stu­dent An­sel­mus, aber da er­tön­ten die Glo­cken wie­der, und An­sel­mus sah, wie eine Schlan­ge ihr Köpf­chen nach ihm her­ab­streck­te. Durch alle Glie­der fuhr es ihm wie ein elek­tri­scher Schlag, er er­beb­te im In­ners­ten – er starr­te hin­auf, und ein Paar herr­li­che dun­kelblaue Au­gen blick­ten ihn an mit un­aus­sprech­li­cher Sehn­sucht, so­dass ein nie ge­kann­tes Ge­fühl der höchs­ten Se­lig­keit und des tiefs­ten Schmer­zes sei­ne Brust zer­spren­gen woll­te. Und wie er voll hei­ßen Ver­lan­gens im­mer in die hold­se­li­gen Au­gen schau­te, da er­tön­ten stär­ker in lieb­li­chen Ak­kor­den die Kris­tall­glo­cken, und die fun­keln­den Sma­rag­de fie­len auf ihn her­ab und um­span­nen ihn, in tau­send Flämm­chen um ihn her­fla­ckernd und spie­lend mit schim­mern­den Gold­fa­den. Der Ho­lun­der­busch rühr­te sich und sprach: »Du lagst in mei­nem Schat­ten, mein Duft um­floss dich, aber du ver­stan­dest mich nicht. Der Duft ist mei­ne Spra­che, wenn ihn die Lie­be ent­zün­det.« Der Abend­wind strich vor­über und sprach: »Ich um­spiel­te dei­ne Schlä­fe, aber du ver­stan­dest mich nicht, der Hauch ist mei­ne Spra­che, wenn ihn die Lie­be ent­zün­det.« Die Son­nen­strah­len bra­chen durch das Ge­wölk, und der Schein brann­te wie in Wor­ten: »Ich um­goss dich mit glü­hen­dem Gold, aber du ver­stan­dest mich nicht; Glut ist mei­ne Spra­che, wenn sie die Lie­be ent­zün­det.«

Und im­mer in­ni­ger und in­ni­ger ver­sun­ken in den Blick des herr­li­chen Au­gen­paars, wur­de hei­ßer die Sehn­sucht, glü­hen­der das Ver­lan­gen. Da reg­te und be­weg­te sich al­les, wie zum fro­hen Le­ben er­wacht. Blu­men und Blü­ten duf­te­ten um ihn her, und ihr Duft war wie herr­li­cher Ge­sang von tau­send Flö­ten­stim­men, und was sie ge­sun­gen, tru­gen im Wi­der­hall die gol­de­nen vor­über­flie­hen­den Abend­wol­ken in fer­ne Lan­de. Aber als der letz­te Strahl der Son­ne schnell hin­ter den Ber­gen ver­schwand, und nun die Däm­me­rung ih­ren Flor über die Ge­gend warf, da rief, wie aus wei­ter Fer­ne, eine raue tie­fe Stim­me:

»Hei, hei, was ist das für ein Ge­mun­kel und Ge­flüs­ter da drü­ben? – Hei, hei, wer sucht mir doch den Strahl hin­ter den Ber­gen! – ge­nug ge­sonnt, ge­nug ge­sun­gen – Hei, hei, durch Busch und Gras – durch Gras und Strom! – Hei, – hei – Her u – u – u nter – Her u – u – u nter!« –

So ver­schwand die Stim­me wie im Mur­meln ei­nes fer­nen Don­ners, aber die Kris­tall­glo­cken zer­bra­chen im schnei­den­den Miss­ton. Al­les war ver­stummt, und An­sel­mus sah, wie die drei Schlan­gen schim­mernd und blin­kend durch das Gras nach dem Stro­me schlüpf­ten; ri­schelnd und ra­schelnd stürz­ten sie sich in die Elbe, und über den Wo­gen, wo sie ver­schwun­den, knis­ter­te ein grü­nes Feu­er em­por, das in schie­fer Rich­tung nach der Stadt zu leuch­tend ver­dampf­te.

Zweite Vigilie

Wie der Stu­dent An­sel­mus für be­trun­ken und wahn­wit­zig ge­hal­ten wur­de. – Die Fahrt über die Elbe. – Die Bra­vour-Arie des Ka­pell­meis­ters Graun. – Con­ra­dis Ma­gen­li­kör und das bron­zier­te Äp­fel­weib.

Der Herr ist wohl nicht recht bei Tros­te!« sag­te eine ehr­ba­re Bür­gers­frau, die vom Spa­zier­gan­ge mit der Fa­mi­lie heim­keh­rend, still stand und mit über­ein­an­der­ge­schla­ge­nen Ar­men dem tol­len Trei­ben des Stu­den­ten An­sel­mus zu­sah. Der hat­te näm­lich den Stamm des Ho­lun­der­bau­mes um­fasst und rief un­auf­hör­lich in die Zwei­ge und Blät­ter hin­ein: »O nur noch ein­mal blin­ket und leuch­tet, ihr lieb­li­chen gold­nen Schläng­lein, nur noch ein­mal lasst eure Glo­cken­stimm­chen hö­ren! Nur noch ein­mal blicket mich an, ihr hold­se­li­gen blau­en Au­gen, nur noch ein­mal, ich muss ja sonst ver­ge­hen in Schmerz und hei­ßer Sehn­sucht!« Und da­bei seufz­te und ächz­te er aus der tiefs­ten Brust recht kläg­lich und schüt­tel­te vor Ver­lan­gen und Un­ge­duld den Ho­lun­der­baum, der aber statt al­ler Ant­wort nur ganz dumpf und un­ver­nehm­lich mit den Blät­tern rausch­te und so den Schmerz des Stu­den­ten An­sel­mus or­dent­lich zu ver­höh­nen schi­en. – »Der Herr ist wohl nicht recht bei Tros­te«, sag­te die Bür­gers­frau, und dem An­sel­mus war es so, als wür­de er aus ei­nem tie­fen Traum ge­rüt­telt oder gar mit eis­kal­tem Was­ser be­gos­sen, um ja recht jäh­ling zu er­wa­chen. Nun sah er erst wie­der deut­lich, wo er war, und be­sann sich, wie ein son­der­ba­rer Spuk ihn gen­eckt und gar dazu ge­trie­ben habe, ganz al­lein für sich selbst in lau­te Wor­te aus­zu­bre­chen. Be­stürzt blick­te er die Bür­gers­frau an und griff end­lich nach dem Hute, der zur Erde ge­fal­len, um da­von­zu­ei­len. Der Fa­mi­li­en­va­ter war un­ter­des­sen auch her­an­ge­kom­men und hat­te, nach­dem er das Klei­ne, das er auf dem Arm ge­tra­gen, ins Gras ge­setzt, auf sei­nen Stock sich stüt­zend, mit Ver­wun­de­rung dem Stu­den­ten zu­ge­hört und zu­ge­schaut. Er hob jetzt Pfei­fe und Ta­baks­beu­tel auf, die der Stu­dent fal­len las­sen, und sprach, bei­des ihm hin­rei­chend: »La­men­tier’ der Herr nicht so schreck­lich in der Fins­ter­nis, und ve­xier’ Er nicht die Leu­te, wenn Ihm sonst nichts fehlt, als dass Er zu viel ins Gläs­chen ge­kuckt – geh Er fein or­dent­lich zu Hau­se und leg’ Er sich aufs Ohr!« Der Stu­dent An­sel­mus schäm­te sich sehr, er stieß ein wei­ner­li­ches Ach! aus. »Nun nun«, fuhr der Bür­gers­mann fort, »lass es der Herr nur gut sein, so was ge­schieht den Bes­ten, und am lie­ben Him­mel­fahrts­ta­ge kann man wohl in der Freu­de sei­nes Her­zens ein Schlück­chen über den Durst tun. Das pas­siert auch wohl ei­nem Mann Got­tes – der Herr ist ja doch wohl ein Kan­di­dat. – Aber wenn es der Herr er­laubt, stopf’ ich mir ein Pfeif­chen von sei­nem Ta­bak, mei­ner ist mir da dro­ben aus­ge­gan­gen.« Dies sag­te der Bür­ger, als der Stu­dent An­sel­mus schon Pfei­fe und Beu­tel ein­ste­cken woll­te, und nun rei­nig­te der Bür­ger lang­sam und be­däch­tig sei­ne Pfei­fe, und fing eben­so lang­sam an zu stop­fen. Meh­re­re Bür­ger­mäd­chen wa­ren da­zu­ge­tre­ten, die spra­chen heim­lich mit der Frau und ke­cker­ten mit­ein­an­der, in­dem sie den An­sel­mus an­sa­hen. Dem