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Seitenzahl: 94
E. T. A. Hoffmann
Der goldne Topf
Lektüreschlüssel XL für Schülerinnen und Schüler
Von Martin Neubauer
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
E. T. A. Hoffmann: Der goldne Topf. Hrsg. von Heike Wirthwein. Stuttgart: Reclam, 2016 [u. ö.]. (Reclam XL. Text und Kontext, 19233.)
Diese Ausgabe des Werktextes ist seiten- und zeilengleich mit der in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 101.
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Lektüreschlüssel XL | Nr. 15470
2017 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2017
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961784-8
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015470-0
www.reclam.de
Abb. 1: Umspringbild: Salvador Dalí, Studie zum Sklavenmarkt. – © Salvador Dalí. Fundació Gala – Salvador Dalí / VG Bild-Kunst, Bonn 2017.
Mit Vexier- oder Umspringbildern kann man in der Psychologie die Eigenarten des Gesichtssinns bei der Erfassung der Umwelt demonstrieren. Ein und dasselbe Bild erscheint einem einmal als Vase, das andere Mal als zwei einander zugewandte Gesichtsprofile – doch nie kann man beide Darstellungen zusammen wahrnehmen. Auch in die bildende Kunst haben solche optischen Täuschungen Eingang gefunden, etwa beim katalanischen Surrealisten Salvador Dalí: In der hier abgebildeten Studie erscheint der Durchgang zu einem orientalischen Sklavenmarkt auf einmal als Büste des französischen Philosophen Voltaire.
Ebenso ist E. T. A. Hoffmanns 1814 veröffentlichtes Märchen Der goldne Topf ein Der goldne Topf, ein literarisches UmspringbildUmspringbild, freilich ein literarisches, denn man kann es auf mehrerlei Art lesen. »Ein Märchen aus der neuen Zeit« verkündet der Untertitel, und als solches weist sich die Erzählung schon durch ihren Inhalt aus: Von einem Magier wird da berichtet und von seiner Feindin, einer Hexe; von Verwünschungen, wunderbaren Verwandlungen und Verzauberungen ist die Rede, von Salamandern und Erdgeistern, von verführerischen Schlangen und einem sprechenden Türklopfer, einem Zaubergarten und natürlich von einem goldenen Topf. Und am Schluss löst sich alles in einem Happy End auf, wie es sich für ein Märchen eben gehört.
Oder doch nicht? Muss man die ganze Geschichte wirklich ernst nehmen? Ist das, was den Figuren widerfahren ist, in Wirklichkeit nur Einbildung gewesen? Hat es sich bei all dem Wunderbaren in Wahrheit nur um Sinnestrug gehandelt? Hoffmanns Märchen spielt nicht im unbestimmten Irgendwo, sondern im zeitgenössischen Dresden, in einer aufgeklärten Zeit, die das Phantastische mit der Hilfe des Verstandes zu entzaubern versucht, in der die Welt von der Vernunft her gedeutet wird.
Alles ist logisch erklärbar – und auch wiederum nicht. Und so bleibt am Ende die Frage offen, was man eigentlich gelesen hat: tatsächlich ein Märchen oder die Geschichte eines Menschen, der sich in einem Märchen wähnt. Das Irritierende daran ist, dass der Autor Hoffmann darauf keine eindeutige Antwort gibt, vielmehr alles in der Schwebe lässt. Der Text bleibt offen für mehrere Lesarten – so wie ein Umspringbild nicht nur ein einziges Bild in sich vereinigt.
All das lässt vielleicht eine schwer verständliche Geschichte vermuten. Tatsächlich hat Der goldne Topf bis heute zahlreiche Interpreten zu Vielschichtigkeitunterschiedlichsten Stellungnahmen angeregt – doch sollte man sich davon als Leser nicht einschüchtern lassen: So wie ein Vexierbild vergnüglich anzusehen ist, so ist auch Hoffmanns Märchen dank seiner sprühenden Einfälle und der darin waltenden Ironie bis heute eine lohnende, unterhaltsame Lektüre geblieben – nicht trotz, sondern eben wegen seiner Vielschichtigkeit.
Erste Vigilie: Der Student Anselmus ist ein rechter Tollpatsch und Pechvogel, stolpert er doch vor dem Schwarzen Tor in Dresden aus lauter Ungeschicklichkeit in den Äpfel- und Kuchenkorb eines alten Marktweibes. Das ruft dem Davoneilenden seltsame Worte nach: »Ja renne – renne nur zu, Satanskind – ins Kristall bald dein Fall – ins Kristall!« (S. 5).
Anselmus zieht sich an eine abgeschiedene Stelle nahe der Elbe zurück, wo er, unter einem Holunderbaum Pfeife rauchend, seine bisher durchlittenen Unglücksfälle Revue passieren lässt und unerfüllbaren Karriereträumen nachhängt. Anselmus begegnet SerpentinaPlötzlich geschieht etwas Wunderbares: Er vernimmt in der Einsamkeit liebliche Klänge und geheimnisvolle Worte, und im Baum erspäht er drei kleine grüngoldene Schlangen. Eine davon fesselt ihn mit ihrem zutiefst irritierenden, hypnotischen Blick. Mit dem Untergang der Sonne lässt eine raue Stimme aus der Ferne den zauberischen Spuk jäh verschwinden.
Zweite Vigilie: Anselmus, von einer promenierenden Bürgerfamilie dabei überrascht, wie er gerade mit dem Holunderbaum spricht, ergreift peinlich berührt die Flucht und Anselmus begegnet Veronika Paulmanntrifft zufällig auf den mit ihm befreundeten Konrektor Paulmann, der in Begleitung seiner beiden Töchter sowie des Registrators Heerbrand am Elbufer unterwegs ist. Gemeinsam setzt man über den Fluss, da glaubt Anselmus, im Widerschein eines nächtlichen Feuerwerks die goldenen Schlänglein im Wasser zu erkennen, und geht vor Aufregung fast über Bord. Das seltsame Verhalten des Studenten liefert der kleinen Gruppe Gesprächsstoff über die rationale Erklärung von Wachträumen.
Der Einladung ins paulmannsche Haus Folge leistend, begleitet Anselmus die ältere Tochter des Hausherrn, die hübsche Veronika, auf dem Klavier. Der Konrektor und der Registrator machen Anselmus das Angebot, beim Archivar Lindhorst, einem alten, verschrobenen Gelehrten, Manuskripte zu kopieren.
Es scheint, als sei die Unglücksserie unterbrochen. Doch als sich der Student am folgenden Mittag bei seinem neuen Brotherrn vorstellen möchte, bemerkt er mit Entsetzen, dass sich der Klopfer an dessen Haustür vor seinen Augen in die Fratze des alten Äpfelweibs und die Klingelschnur in eine Würgeschlange verwandelt. Anselmus verliert das Bewusstsein und erwacht zu Hause in Gegenwart seines besorgten Gönners Paulmann.
Dritte Vigilie: Im Laufe des Kapitels erfährt man, wie sich der Vorfall aus der Sicht des Konrektors zugetragen hat. Ein altes Äpfelweib habe sich bereits um den besinnungslosen Anselmus begegnet dem ArchivariusAnselmus gekümmert, als ihn der zufällig vorbeikommende Paulmann vor dem Haus des Archivars vorfand. Der Konrektor und der Registrator beschließen, für den Abend in einem Kaffeehaus ein Treffen zwischen dem Studenten und dem Archivar Lindhorst zu arrangieren.
Dieser entpuppt sich als recht seltsamer Zeitgenosse, der mit seinen märchenhaften, aber ernst gemeinten Geschichten über seine Familie die versammelte Runde unfreiwillig in ungläubige Heiterkeit versetzt: So sei er selbst niemand anderer als ein Abkömmling einer königlichen Feuerlilie, der sich am Totenbett seines Vaters vor 385 Jahren mit seinem Bruder zerstritten habe, welcher bis heute in Gestalt eines Drachens in der Gegend von Tunis über einen geheimnisvollen Edelstein wacht. Trotz des merkwürdigen Eindrucks, den Lindhorst nicht nur deswegen auf ihn macht, beschließt Anselmus, tags darauf bei ihm unter allen Umständen vorstellig zu werden.
Vierte Vigilie: Melancholie und brennender Anselmus’ LiebeskummerLiebesschmerz zerreißen Anselmus zu sehr das Herz, als dass er ohne weiteres seine Stelle als Kopist antreten könnte. Stattdessen streift er in der Zeit um Sonnenuntergang regelmäßig in der Gegend des Holunderbaumes herum und vergeht vor Sehnsucht nach dem Schlänglein mit den blauen Augen.
Eines Abends wird er von derselben Stimme erschreckt, die seine schicksalhafte Begegnung so plötzlich hat enden lassen. Niemand anderer als Lindhorst ist es, der Anselmus überrascht und sich von ihm seine bisherigen Abenteuer erzählen lässt. Der Archivar zeigt sich über das, was ihm Anselmus berichtet, allerdings wohlinformiert, stellt er sich bei ihm doch als Vater der drei bezaubernden Schlänglein vor, deren eine – Serpentina mit Namen – es dem Studenten so angetan hat. Zu dessen Entzücken lässt er seine Töchter mithilfe seines magischen Ringes erscheinen und gibt, bevor er sich von Anselmus verabschiedet, ihm noch eine Essenz mit auf den Weg, die ihn gegen die Hexereien des bösen Äpfelweibs schützen soll.
Fünfte Vigilie: Zukunftsspekulationen und Zukunftshoffnungen stehen im Mittelpunkt dieses Kapitels.
Zunächst äußert sich Registrator Heerbrand voll Lob über Anselmus, dem er eine erfolgreiche Beamtenlaufbahn verheißt. Das führt dazu, dass Veronika sehnsuchtsvoll von einem bürgerlichen Idyll an seiner Seite träumt.
Die Träumereien werden jedoch zunächst von Anselmus selbst gestört, schließlich von einer spukhaften Erscheinung, die Veronikas LiebeskummerVeronikas Hoffnungen verhöhnt und nur von ihr, nicht aber von ihrer Schwester wahrgenommen werden kann. Entsprechend verunsichert, wird Veronika von zwei zu Besuch kommenden Freundinnen vorgefunden. Eine berichtet von einer Weissagung, mit der sie sich von einer alten Frau Beruhigung über das Schicksal ihres Geliebten geholt hat, der im Krieg verschollen ist.
Veronika will ebenfalls einen Blick in die Zukunft riskieren und eilt noch am selben Abend in die unheimliche Behausung der Alten, die sich zunächst als das Äpfelweib, dann als die alte Liese, die frühere Wärterin bei Paulmanns, herausstellt. Sie verspricht dem Mädchen, Anselmus dem Einflussbereich des ihr verhassten Lindhorst und der grünen Schlange zu entziehen.
Sechste Vigilie: Anselmus findet sich zum neuerlichen Dienstantritt vor dem Im Haus des ArchivariusHaus des Archivarius ein. Dank dessen magischer Flüssigkeit macht ihm der dämonische Türknauf diesmal keine Schwierigkeiten, und so kann der junge Student schon bald staunend durch die üppig eingerichteten Gemächer spazieren. Seine Sinne scheinen sich dabei auf recht wunderliche Art zu verwirren: Weshalb nimmt er das Studierzimmer zunächst als prunkvollen, exotischen Saal wahr? Warum kommt ihm seine eigene Schrift auf der Kopie eines Manuskripts aufs Erste elegant und gelungen vor, auf den zweiten Blick aber ziemlich elend? Warum erscheint ihm Lindhorst zunächst als Feuerlilienbusch, dann wieder als Geisterfürst mit goldenem Reif und Königsmantel – oder handelt es sich dabei doch nur um einen Schlafrock aus Damast? Auch die Worte des Archivarius sind geheimnisvoll: Anselmus werde sein Glück nur nach läuterndem Kampf erreichen. Der goldene Topf, der in der Mitte der Bibliothek steht und in dessen Spiegelungen der Student seine Geliebte wiederzuerkennen meint, ist dabei als Mitgift ausgesetzt.
Siebente Vigilie: Wie mit der alten Liese vereinbart, bricht Veronika des Nachts auf, um an einem Kreuzweg an einer geheimnisvollen Beschwörung teilzunehmen, die ihr Anselmus’ Liebe sichern soll. Veronika und der Hexenspuk der AltenDas furchterregende magische Spektakel, das die Alte bei schauerlichem Wetter inszeniert, raubt dem Mädchen fast den Verstand, und als eine unheimliche Erscheinung aus den Lüften dem Treiben plötzlich ein Ende setzt, fällt Veronika in Ohnmacht. Sie erwacht in ihrem Zimmer, unsicher, ob sie Opfer eines fiebrigen Traums geworden sei. Das spiegelnde Metallmedaillon, das die Hexe am Kreuzweg gegossen hat, lässt Anselmus’ Gestalt im Zimmer des Mädchens erscheinen – oder handelt es sich wieder um eine Fiebervision?
Achte Vigilie: Anselmus hat sich durch seine gewissenhafte Tätigkeit Lindhorsts Wohlwollen erworben, so dass er mit der Kopie eines heiklen Manuskripts betraut wird, das auf keinen Fall beschädigt werden darf. Die Lebensgeschichte des Archivarius