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Einmal mehr zu Hause eingeschlossen und mit Wein begossen, verliert sich Maximilian in jenen kognitiven Gedankenketten, in denen die Kontrolle über die Distanz zum eigenen Ableben flöten geht. Als er melancholisch verstimmt und von den Schuldgefühlen gefoltert durch den von Schallplattenklang und Rauschschwaden durchwaberten Raum aus dem Fenster blickt, kann er seinen Augen nicht trauen: ...eine Sternschnuppe! - Dabei war und blieb er doch wunschlos unglücklich. Aus einem morbid-zynischen Weltekel heraus erwächst die in völliger Niedertracht gipfelnde Forderung, die Großmächte mögen die Bombe doch endlich schmeißen...; - nur damit dieses Gefühl einmal aufhört. Wie konnte es so weit kommen? Der von Krankheit gegeißelte Maxi resümiert sein kurzes Leben, vom ersten Auftreten dieses "Gefühls" in fernen Kindertagen bis hin zu einem schicksalsschweren Morgen am Vorabend der Kuba-Krise. Ein fiktiver Entwicklungsroman, autobiographischer Aufarbeitung geschuldet. "Der große Knall" nimmt den Leser mit auf eine psychologische Reise über das Erwachsenwerden und die Entstehung von Krankheit und Sucht. Für jeden, dem mal wieder nach einer richtigen Tragödie ist.
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Seitenzahl: 227
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Für Opa
Nulltes Kapitel
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Vielleicht… die andere Seite des Kissens? Manchmal taugte es ja etwas, das Ding umzudrehen und seine Birne an die kühlere Seite des Textils zu schmiegen… nach einigen Minuten war jedoch klar, dass auch die Kehrseite des Textils keine Wendung im Kampf gegen die Schlaflosigkeit bringen würde. Mich rastlos von einer Seite auf die andere drehend, blinzelte ich und sah mit einem schielenden Blick auf den sich erbarmungslos weiterdrehenden Zeiger des Weckers. Bereits halb sechs Uhr morgens… den durch die Gardinen scheinenden Lichtkegeln diverser ihrem Tagewerk entgegenbrausender Automobile nach hatte der Tag schon damit begonnen, Fahrt aufzunehmen. Der Schädel brummte, die Wände schaukelten und drehten sich immer noch munter! Im zentralen Nervensystem herrschte weiterhin Seegang. Na großartig, jetzt hatte ich den Salat! Dies war nun einmal das Resultat dessen, wenn man bereits um halb zehn auf dem Sofasessel in ein Stadium der absoluten Bewusstlosigkeit versank...
…nun war ich dazu verdammt, in Selbstzerwürfnissen und zur Schwermut verurteilt, bis zum Aufstehen dort zu liegen, und zu schmoren… einem in eigenem Sud und Selbsthass brutzelndem Steak gleich, wendete ich mich wieder und wieder unter dem gnadenlos schneidenden und die Luft zerteilendem Tick-Tack-Tick-Tack-Tick-Tack der Uhr…
Momentan schien ich nur für die ersten zwei Sekunden nach dem Augenaufreißen zu leben, die es brauchte, bis es mir einfiel. Doch unmittelbar nach dem ersten Zucken neuronaler Impulse war mir, als würde ich in Treibsand versinken. Kaum schien die Betäubung einmal nachzulassen, war dem wiederkehrendem Schmerz Tür und Tor geöffnet: Ein Presslufthammer aus Stresshormonen begann im Brustkorb loszuhämmern, und höhlte ein gigantisches, bis zur Magengrube reichendes Loch aus. Irgendetwas roch … verbrannt? Ungläubig sah ich mit zugekniffenen Augen an mir herunter zu dem Brandloch in meinem Unterhemd und zu der halb gerauchten Zigarette… zittrig entzündeten meine vom Nikotin gelben Finger ein Streichholz, und gierig füllten sich meine Lungenflügel mit Qualm.
Auf den Boden aschend, gebot die einsetzende Übelkeit und ein Schwindelgefühl sondergleichen, mit der Hand nach der Wasserkaraffe zu suchen:
Nichts, außer… den ganzen herumkugelnden Bier- und Weinflaschen. Dehydriert und entkräftet setzte ich erst den linken Fuß, und schließlich auch sein rechtes Pendant vorsichtig auf den Fußboden. Uff… an den herumwirbelnden Sternchen vorbei und mit den Händen an der Wand entlang stolperte ich zum Badezimmer, gefühlt einige Hektoliter Urin und viele Spritzer auf der Klobrille später, beugte ich mich über das Waschbecken…
Beim Nachfüllen meines ausgetrockneten Zellverbandes blickten wir uns einmal tatsächlich, ganz kurz jedenfalls, in die Augen: Ich und mein Spiegelbild, die Reflexion der Lichtstrahlen, die dieses mitleiderweckende Bild von einem Häufchen Elend ablieferte, in dessen verquollenen Augen, die da aus dem aufgedunsenen Gesicht hervorlugten, ich keine noch so kleine Restmenge einer menschlichen Seele wiedererkennen konnte. Auch er schien mich nicht mehr wieder zu erkennen… durch meine Iris erspähte ich einen Fremden, vielleicht war es inzwischen Jahre her, mich im Spiegel erkannt zu haben. Welch eine naive Torheit musste das gewesen sein, zu denken, es könnte schon nicht mehr viel schlimmer werden! Während ich meine miesepetrige, unrasierte Visage mit kaltem Wasser wusch, geschah der Fehler, der das Fass meines instabilen Nervenkostüms bereits so früh am Tag zum Überlaufen brachte:
mit dem Ellenbogen streifte ich flüchtig jenen Gegenstand, den ich seit Wochen nicht mehr zu berühren gewagt hatte, der mich bei jedem Wasserlassen und Zähneputzen unbarmherzig daran erinnerte, hatte ich je einmal gedanklich einen viertel- bis halbstündigen Abstand durch Ablenkung gewonnen:
Ihre Haarbürste! Von allen Gegenständen, ob Fotografien, Kleidung, Geschirr, Regenschirm oder ihrem mittlerweile völlig von den Tränentropfen verschmierten geschriebenem Wort ging von ihm die größte Sehnsucht nach ihr aus, denn mit den vereinzelten blonden Härchen daran war nun auch ein kleiner restlicher Teil von ihr mit hiergeblieben. Mit sofortiger Wirkung suchte es mich vollumfänglich heim…
Als wäre die Luft aus dem Raum gesaugt worden, schnürte sich mir der Brustkorb zu, schnaufend und keuchend hielt ich mich am Waschbecken fest…. - im Schnelldurchlauf durchlief ich den emotionalen Kreislauf einer Trennung, bevor ich mich dann den Tag über mehrere Stunden hinweg durch die einzelnen Phasen quälen dufte:
BITTE KOMM ZURÜCK! ICH HASSE DICH! ES TUT MIR LEID! DU BIST MIR EGAL!
Bettelphase. Schmerzphase. Schuldzuweisungsphase. Resignationsphase… - wieder und wieder!
Oh, wenn man es doch nur rückgängig machen könnte, irgendwie. Wenn ich mir die Dinge, die ich gesagt habe, verkniffen, und stattdessen all die Dinge, die mir jetzt vorschwebten, gemacht hätte! Warum fielen sie mir jetzt erst ein, all die romantischen im Kopf herumschwirrenden Ideen, denen wir uns in all den alltäglichen Nachmittagen hätten widmen können? Oh, wenn sie mir doch einen einzigen Tag, eine einzige Stunde, eine einzige Minute gewähren würde, um ihr zu beweisen, dass ich mich wirklich ändern wollte… Ach, oh je, oh je… herzergreifend wimmernd nahm ich die Bürste und sperrte sie außer Sichtweite in das kleine Badezimmerschränkchen unter dem Waschbecken! Hach, diese süße Alltäglichkeit, die da in diesem Utensil mitschwang! Wieso hatte ich dieses Paradies auf Erden, in welchem ich existieren dufte, nie ausreichend wertgeschätzt? Wie konnte ich mir der Ewigkeit so sicher sein? Nun… malträtierte jeder Erinnerungsschnipsel aus der damaligen Epoche im Garten Eden meinen aus ihm verbannten Geist…:
Oh, wie schön war es, in der gleichen wohlig warm geborgenen Umschlingung aufzuwachen, in der man am Abend in transzendentem Wohlbefinden ins Reich der Träume geglitten war. In dieser Position dann noch eine Stunde verharrend, wortlos und wunschlos zufrieden, glücklich wie im Mutterbauch, bevor sie dann mit einem simplen Streicheln andeutete, dass sie nun über meinen Körper verfügen wollte... nach diesem phänomenalen Start in den Tag, sich auf dem Balkon beim frische Brötchen mit Marmelade und Butter bestreichen von den Sonnenstrahlen die Köpfe streicheln lassen, sich gegenseitig herzförmige Brotkrümelchen oder Apfelstückchen aus dem Müsli überreichend… dann dieses unfassbar schöne Gefühl der Gewissheit, wenn man nach dem Abschiedskuss das Treppenhaus heruntersegelte, um den Bus zur Arbeit zu nehmen, dass man nach dem Feierabend wieder zu dieser wunderbaren jungen Frau zurückkommen durfte… den gesamten Arbeitstag hindurch fieberte man pochenden Herzens auf den Moment zu, in ihre warmen Arme zurückzukehren, die gesamten letzten drei Stunden glichen einen tröstlichen Traum mit dem Inhalt, endlich wieder diese Wärme zu spüren! Der gesamte Weg zum Bus, nach Hause und das Treppenhaus wieder hoch fühlte ich mich wie auf dem Weg zu einer Preisverleihung, bei der ich zum glücklichsten Kerl der Welt gekürt werden sollte. Als würde sie mit einem Schlüssel das Schloss zu meinem Herzen aufsperren, klickte unsere Wohnungstür und durch einen kleinen Spalt begann ihre Schönheit sofort das Treppenhaus zu fluten:
Unmittelbar waren die gewöhnlichen physikalischen Gesetze der Gravitation außer Kraft gesetzt. Statt der Anziehungskraft unserer Mutter Erde wurde ich in ihre Umlaufbahn gezogen… (Nicht, dass sie den Umfang eines Planeten gehabt hätte, im Gegenteil, ich sprach von diesem magischen Kraftfeld, dass auf mich und so viele andere eine so große Anziehung ausübte.) Unsere Lippen wollten das, was sie wiedererlangt hatten, gar nicht mehr loslassen. Wir besahen, schmeckten, rochen und betasteten uns, vernahmen akustisch nichts mehr als den stockenden Atem des anderen… wie ein Süchtiger schnüffelte ich an ihren Haaren, und warf mich in die verschlingenden Arme jener menschgewordenen Heizung, die dasselbe Wunder für mich empfand. Was konnte sie stets an einem völlig gewöhnlichen Nachmittag immer so feingemacht, so herausgeschmückt aussehen? Mir regelmäßig den Atem raubend, ihren Körper in einem die öffentliche Ordnung gefährdenden Cocktailkleid präsentierend, wenn dann noch ihre Petticoat-Frisur ihr verführerisch-frech ins Gesicht hing, und man ihren leidenschaftlich funkelnden Augen, die die unter dem Pony hervorlinsten, hoffnungslos ausgeliefert war, konnte man nichts anderes tun als dahin zu schmelzen. Immer wieder verfiel man dem magnetischen Sog ihres knallroten Kussmundes, dessen komplette Schönheit man nur mit geschlossenen Augen vollumfänglich erfassen konnte. Ausgelassenheit, geboren unter dem Rundfunkgerät, dass tanzbare Rock’n’Roll-Hits spielte, ließ uns, wirbelnd und tapsend, federnden Schrittes durch die Wohnung schaukeln und steppen, wir sausten und bollerten lachend gegen das Mobiliar. Wie oft hatte sie kichernd zwei Rotweingläschen gefüllt, mich erst spielerisch weggeschoben, und dann wieder an mich ran gezogen, bevor sie nippte, während ich das erste Glas herunterstürzte. Dann konnte man sie grinsend von hinten umschließen, und ihr die Haare aus dem Gesicht streichen, während sie verträumt aus dem Küchenfenster blickte, bis sie sich irgendwann umdrehte, und mich mit diesem Lichtblitz aus ihren Augen ansah!
Dieses verliebte, blitzende Funkeln in ihren Augen? Wann hatte es aufgehört? Wann kam der Zeitpunkt, von dem an sie für mich nur noch ein gelegentliches Aufflackern davon übrighatte, und wann begann es, nur noch zu einem schwachen Glimmen verkommen zu sein? Es ging viel zu schnell, nichts konnte ich tun, um die Flamme noch einmal zum Auflodern zu bringen! Nun war eh alles zu spät!
Kehle, Magen und Brustkorb schnürten sich noch weiter zu. Und dann: PAM! – wie ein Todesurteil und aus der Pistole geschossen, überwältigte es mich:
Mit diesem Funkeln sieht sie jetzt ihn an. Oh nein, oh nein oh nein, ohneieiein! – er fieberte pochenden Herzens darauf, durch das mit ihrer Schönheit geflutete Treppenhaus zu eilen, und sich in ihre heizenden Arme zu werfen! – sie zu schmecken, sie zu riechen und zu hören, von ihrer lieblichzuckrigen Art verhext zum Radio zu tanzen, leiblich und seelisch versorgt zu sein, um schließlich am Ende; … von diesem geheimnisvollen Glitzern absorbiert zu werden… bevor man… dann… bevor man dann… von ihren Gravitationszaubern… in ihr Schlafzimmer gesaugt wurde… und dann… oh Gott! Oh nein!
Wie ein Damokles-Schwert hing das in dem Geist eingebrannte Bild, wie die beiden sich küssen, vor meiner Stirn, und begleitete mich durch den Tag. Aus dem Nichtrealisierenwollen und der großen Sehnsucht, dass sie zurückkommen möge, glitt ich in Hass und Schmerz. Sämtliche Netzwerke an Erinnerungen und schönen Erfahrungen, und an das Gute und wichtige im Leben, was wir geteilt hatten, wurden überschrieben. Jegliche Verästelungen und Abzweigungen in meinem Verstand, die sich in diesen paradiesischen anderthalb Jahren gebildet hatten, gingen ein unter der Trauer.
Beim Vergießen der Tränen war es wirklich, als würde dieses hübsche und prächtig gewachsene Bäumchen in meinem Gehirn eingehen und verwelken unter dem Niederschlag der salzigen Regenschauer. Und der Hass machte dann jedes Quäntchen an aufkeimender Hoffnung dem Erdboden gleich. Sie konnte ich nicht hassen! Doch das mit meinem allerbesten Kameraden gleich die zweite der allerwichtigsten Personen aus meinem Leben gerissen wurde, hinterließ Mordgelüste und Todessehnsucht gleichermaßen! Eifersucht zerteilte den Brustkorb in zwei Hälften. Ohne meine bessere Hälfte war ich nur ein halber Mensch, und dieses zwei, drei-, viergeteilte Ding wurde im peinigenden Trommelfeuer der emotionalen Ausnahmesituation dann noch in viele weitere kleine Splitterteile gefetzt.
Tonnenschweren Schrittes schleppte ich mich ins Wohnzimmer zurück. Irgendwo musste doch noch ein Tropfen sein! So dass ich beim Ansetzen der Flasche wenigstens kurz den Anschein erliegen würde, dass man danach weniger fühlte! Der Schein trog, verwandelte mich das Nervengift doch meist in eine noch viel größere selbstbemitleidende Heulsuse. Oha! Tatsächlich! Dort, gegen die Sofagarnitur geneigt, die noch halbvolle Flasche Billigwein, die ich gestern Abend außerstande war, mir noch vollständig hinter die Birne zu kippen. Zügig ploppte der Korken, und das überzuckerte Gesöff, das man auf dem Etikett noch mit dem wirklich gut gemeinten Euphemismus:
„Weinerzeugnis aus der europäischen Gemeinschaft“
zu beschönigen versuchte, berührte meine Lippen, und dies tat meinem Verstand sofort folgendes kund:
Heute wirst du wieder nicht auf Arbeit gehen. Um dich ist es doch eh geschehen…
Gluck, Gluck, Gluck! - während der Saft vergorener Trauben meine Kehle herunterrann, begann ich ins nächste Stadium der prozeduralen Kognitionsketten abzudriften… wenn es nicht mehr viel schlimmer hätte werden können, traf mich die immer wieder wiederkehrende und erschütternde Erkenntnis wie ein Schlag: An allem voll und ganz selbst schuld zu sein…
Der Wein begann sofort reinzuknallen. Und mit ihm die Selbstvorwürfe, die Selbstzerwürfnisse…
Verjagt hast du sie! Mit deinem scheiß Rumgebecher! Und deinem ausuferndem Rumgejaule! Hast du es nicht in ihren Augen gesehen? Dass sie dich vor die Wahl gestellt hatte? Sie oder die Flasche? Schätze ich als blöde Flasche allein reichte ihr völlig, da musste sie mich nicht die ganze Zeit auch noch an so einer Buddel nuckeln sehen…
Hätte ich… das letzte Mal gelassen, wären wir… vielleicht?
Einen kräftigen Schluck später entzündete ich die Kerze auf dem Wohnzimmertisch und inspizierte den Aschenbecher. Ich begann, was dem riesigen Gefühl von Räudigkeit keinen Abbruch tat, die Stummel, die noch einem rauchbaren Restfussel für meine suchtgetriebenen Griffel bereithielten, aufzulesen, und den bisschen schmandigen Tabak herauszupulen. Dieses aus der Not geborene Rauchgerät schließlich eingedreht und in den Mund gesteckt, setzte ich mich auf, und trank trotzig den letzten Schluck der europäischen Gemeinschaft aus.
Leer. Wie ärgerlich..
Jetzt blieb nur noch dieses nach Aschenbecher stinkende, krüppelige Konstrukt einer Kippe. Tja, liebenswürdig war sicher etwas Anderes! Nichts in der Welt rechtfertigte es, mit einem Komplettversager wie mir zu verkehren! Der um halb sechs Uhr morgens mit den zitternden Fingern im Aschenbecher herumfuhrwerkte, um irgendwie den nächsten Kick zu bekommen! Alle anderen waren doch auch in der Lage, aufzustehen und ihre Brötchen verdienen zu gehen! Alle anderen standen nicht wankend und hustend in ihrer heruntergekommenen Drecksbude, deren Wände schon wieder Seegang hatten und überlegten, welche besonders melancholische Schallplatte sie auflegen könnten, um ihr letztes kleines bisschen Rauschmittel zu verknuspern… irgendetwas, was mich runterzog und im Selbstmitleid bestärkte? Tja, ich fiel von ganz alleine in die Grube, die da nie ward für wen anders gegraben als für mich selber! Mit den kitschigen Liebesschnulzen und dem Ausmaß an mich zerfressenden Anklagens und Schuldigsprechens würde sie sich bestimmt all zu leicht auf sechs Fuß Tiefe ausheben lassen. Also die Schallplatte lieber mit Bedacht gewählt! Nichts, wo allzu sehr der Glanz verlorener Tage anhaftete! Etwas, was ganz für sich alleinstand, vielleicht aus der Zeit, bevor wir uns kennenlernten? Uff. Wie…? Es fiel mir schwer, mich dieser Epoche zu entsinnen… auch die Zeit unserer Beziehung verblasste vor meinem inneren Auge. Nur dieses schwerwiegende, mit Dornen gespickte Niemandsland außerhalb der Raumzeit blieb, und das verschluckte jede Chance auf eine lichtvolle Erinnerung daran, einmal ein warmes Plätzchen im Universum gefunden zu haben…
Schließlich entschied ich mich für eine schon durchgelutschte Schallplatte, welche allerhand Instrumentalversionen schmalziger Liebeslieder enthielt. Bei dem auf einem Saxophon oder auf einer Steel-Guitar substituierten Melodiespuren würden mich keine Textzeilen quälen. Dementsprechend waren viele jüngere Gebrauchsspuren auf dem Plattencover. Antriebslos stellte ich die Wiedergabegeschwindigkeit auf 75 Prozent, um meine Schwermütigkeit noch zu unterstreichen:
Nach den ersten drei getröteten, langgezogenen Tönen von „Only You“ ließ ich mich auf den Sessel fallen. Verdammt noch mal, ich war ja vollkommen selbst schuld! Was wollte sie denn überhaupt mit so einem Penner wie mir? Ein Wunder, dass überhaupt, und wie lange… wie erwartet, schmeckte der giftige Qualm der Missgunst der Stunde nach einer Mischung aus verbrannten Arschhaaren und verrußtem Kaminofen. Hustend kämpfte ich mich durch den Glimmstängel zu der melancholischen Blechblasinstrument-Adaption des Liedes, in alles versengender Sehnsucht ausharrend, grübelnd, hoffend, es möge einen Weg, eine Möglichkeit, oder… vielleicht eine ausgelassene Unwahrscheinlichkeit oder irgendein argumentatives Schlupfloch geben, dass sie überzeugen könnte, zu mir zurückzukommen!
Doch ich hatte diese Chance auf meine traumhafte Zukunft an ihrer Seite verwirkt. Keine Hilfe angenommen, gegen das bedrohliche Ausmaß an Regenwolken, deren Schlechtwetter über mein Haupt schwebend sieben Tage die Woche Niedergeschlagenheit auf mich herabregnen ließ. Wie oft hatte ich ihr versprochen, keinen Sprit mehr anzurühren… was hatte sie mich gestützt im Kampf gegen die inneren Dämonen, aber es war ihr wohl irgendwann zu viel, mitanzusehen, wie sie mich niederrangen. Ein jämmerlicher Anblick, für den man kein Funkeln mehr erwarten konnte!
Da war diese Frohnatur doch der geeignetere Kandidat, um von ihr angefunkelt zu werden! Oh, ihr glockenhaftes Lachen, welches ich seinerzeit gern in ein Einmachglas konserviert eingefangen hätte, um es überall dabei zu haben! Wie viel besser passte wohl dieser aufgeweckte, quicklebendige junge Zeitgenosse, der mit seinen Späßen immer ein schallendes Gelächter aus den Mündern seiner Mitmenschen herauszuprovozieren wusste zu ihr, als ich miesepetriges Trauergespenst…
Wellen aus Hass und Trauer erlösten mich aus der Phase der Selbstschuldigsprechung. Bei dem Gedanken, auf wie viele mögliche Arten und Weisen er mit seinem sportlichen Boxerkörper noch besser zu ihr zu passen schien, im gedämpften Licht ihres Schlafzimmers, erteilte mein Herz mit einer emotionalen Guillotine den endgültigen Kahlschlag für die verwachsenen Netzwerke in meinem Gehirn. Das Bild ihrer verschwitzten, verschränkten Körper auf genau der Bettwäsche, auf der ich die schönste Nebensache der Welt erlernte, löschte den wieder aufgeloderten Brandherd der Sehnsucht nach ihr. Auf die mit stichelnder Eifersucht gepieksten Einstichstellen der Seele schmierte ich eine gehörige Portion Gleichgültigkeit. Es war einfach nicht mehr rückgängig zu machen! Dieses Gefühl, das mich nach der Haarbürste überwältigt hatte, war nicht mehr abrufbar. Dieses mysteriöse Gefunkel, ich dürstete nicht mehr danach. In den Spalt erst einmal schmerzhaft hineingefallen, der sich vor meinen Füßen auftat, bei der den Himmel und die Erde zerteilenden Vorstellung wie er… sie… küsst…, resignierte mein Herz, und es war unmöglich, noch weitere Gefühle für sie aufzubringen. Tja. Wo die Liebe hinfiel. Bumste Marie jetzt eben… uff. Gottes Wege waren unergründlich.
Du bist mir egal.
Egal.
EGAL!
Etwas in mir löste sich, starb ab, ging kaputt oder was auch immer. Das Verlangen schien wirklich langsam nachzulassen. Nicht, dass die Problematik sich lichten würde; sie war nur im Nebel der Gleichgültigkeit plötzlich nicht mehr zu sehen. Trotzig drückte ich die Kippe aus. Mein Schädel wummerte, wie katatonisch erstarrt saß ich zu dem Lied „Unchained Melody“ da und zerlöcherte die Rauhfasertapete mit meinem Draufgeschiele. Nun, die Welt schien mir ja ganz eindrücklich beweisen zu wollen, dass sie auch ganz gut ohne mich zurechtkam!
Vielleicht wäre es sogar besser gewesen, dieser Klumpen Fleisch und Knochen namens Maximilian Ahnert wäre nie geboren worden! Nach und nach setzte sich der mentale Prozess in Gang, in dessen weiteren Verlauf man die Distanz zum eigenen Ableben nicht mehr kontrollieren konnte. Der Weg in die Zukunft war für immer verbaut, und das Verweilen in der Gegenwart unter dem Diktum des Leidens schier unerträglich geworden… die Vergangenheit hielt nur schmachvolle Begierde und ein Lechzen nach schöneren Zeiten parat. Und so war jeder Augenblick im Hier und Jetzt, aus der vollumsorgten, lieblichen Vergangenheit für immer ausgeschlossen, zuzüglich des unaufhebbaren Einreiseverbots für die Zukunft, von Todesqualen ausgefüllt, derart von destruktiven Selbsthass geprägt, dass der Ausweg, einen Strick zu nehmen, sich als immer gefährlich annehmbarere Handlungsoption darbot…
Viele Jahre nach dem Tod unseres Vaters, als ich ein vollumfängliches Bild über die Art und Beweggründe seines Ablebens erlangt hatte, meinte mein Bruder einmal in einem glühweininduzierten Redeschwall: Ne, so hätte er nicht abtreten wollen. „Lieber mit einem großen Knall! Und dabei… möglichst viele mitnehmen.“ Ich bin da anders. Ein noch viel diskreteres und leiseres Dahinscheiden wäre mir recht. Man würde allerhöchstens ein klitzekleines Abschiedsbriefchen finden, der leblose Körper würde im Wald kompostiert, die Knochen vielleicht Jahrzehnte später vom Förster aufgelesen… jedenfalls wollte ich doch nicht auch noch im Tod meine Mitmenschen bekümmern! Doch so oft ich in all diesen Situationen zum Küchenmesser schielte, oder über das Herunterspülen einer ganzen Packung Barbiturate sinnieren mochte, es fehlte die ungeheure Portion Mut dazu, die es brauchte, um den Gedanken in die Tat umzusetzen. Denn, einen Mund voll Tabletten herunterzuschlucken, mochte vom mechanischen Gesichtspunkt einfach erscheinen… doch es war der allerletzte Schritt an der Schwelle, an der die Klinge schon ins Fleisch drückte, an der das letzte bisschen Stück Restvernunft doch noch Einhalt gebot. Wobei es weniger die Vernunft oder der Wille, doch am Leben zu bleiben war, als die Angst. Nein, weder den säuerlich-süßen Geschmack eines Apfels zu nie mehr vernehmen zu können oder vom Vogelgezwitscher an seinen Platz innerhalb des barmherzigen Schoßes von Mutter Natur erinnert zu werden, all die mannigfaltigen gedanklichen Regungen, die einen davon abhielten, die Barriere seiner körperlichen Unversehrtheit zu durchbrechen, all diese Sachen taten der Angelegenheit keinen Abbruch, es war schlicht und ergreifend: Angst.
Der blaue Phillips-Kofferplattenspieler spielte nun „Blue Moon“, und ich konnte es mir nicht verkneifen, einen Blick auf den Vollmond zu werfen der da hoch oben im Firmament thronte, um in dem letzten bisschen Stückchen Zeit vor der Dämmerung sein Licht auf die Landeshauptstadt zu werfen. Beim Fixieren des Erdtrabanten ergriff mich plötzlich ein gänzlich unbekanntes Empfinden. Statt der wuchtigen Selbstverachtung, die es mir dringend nahelegte, mich auf das nächste Gleisbett zu legen, erwuchs plötzlich ein hasserfüllter Ekel gegenüber der Welt im Allgemeinen. All die noch selig schlummernden Menschen, alle, die schon auf dem Weg zur Arbeit waren, wurden Adressaten meines missgünstigen Grolls. Warum durften sie alle so ein unbeschwertes und glückliches Leben führen? Was hatte ich verbrochen? In diesem Moment geschah es, dass eine Sternschnuppe in der Peripherie des Himmelszeltes erschien, um sich mit ihrem glühenden Schweif den Weg durch die obere Atmosphäre zu bahnen. Verdutzt gaffte ich ihr noch einen Moment nach. Mein Leben lang wollte ich so ein Ding schon sehen, hatte immer im entscheidenden Moment nicht hingeguckt, und nun!? Was sollte ich schon groß damit anfangen? Ich war und blieb wunschlos unglücklich...
Wenn ich nur einen letzten Wunsch frei hätte, dann natürlich…
Awrr. Aua!
Plötzlich versetzte mir die Eifersucht wieder einen Stoß. Der Gedanke, Marie zu küssen, auf den Mund, mit dem sie seine Lippen und weiß Gott was sonst noch berührte, geriet ins Stocken. Stattdessen erfasste ein absoluter, totaler Vernichtungswille für die Welt generell mein Herz:
Meinetwegen sollen sie die Bombe schmeißen! SOLL DOCH DER GESAMTE PLANET IN EINEM THERMONUKLEAREN INFERNO ZUR HÖLLE FAHREN! Mir nur recht! SOLLEN UNS DIE RUSSKIS UND AMERIKANER DOCH ALLE IN DIE LUFT SPRENGEN! MÖGE DIESE SCHNÖDE, SÄMTLICHEM ZAUBER ENTRISSENE WELT DOCH ENDLICH ZU GRUNDE GEHEN! AUF DASS SICH NACH ALLEM MEERESGETIER, REPTILIEN, SÄUGERN UND MENSCHENAFFEN DIE KAKERLAKEN ALS NÄCHSTES IN DER SCHÖPFUNG BEWEISEN KÖNNEN!!!
Auf einmal wurde mir ganz schlecht von dem ungewohnten neuen Ausmaß meiner Niedertracht.
Sich selber den Tod zu wünschen, das war ja schon eine Sache für sich. Aber nach dem Untergang sämtlichen Lebens des gesamten Planeten zu trachten, dies war neu. Meinte meine Mutter nicht einmal, zur Erfüllung eines Wunsches nach der Sichtung eines derartigen Himmelskörpers sei es essenziell, den Wunsch geheim zu halten? Stillschweigen zu bewahren? Den Inhalt niemanden zu erzählen? Eine solche seelische Verdorbenheit würde ich doch außerstande sein, einer anderen menschlichen Seele mitzuteilen! Das konnte ich doch keinem anderen preisgeben! Niemanden konnte ich es sagen!
Man sollte lieber aufpassen, was man sich insgeheim so wünschte… aber es war dieses Gefühl. Der Wunsch wurde entweder aus verzweifelter Krankheit oder krankhafter Verzweiflung geboren…
Alles wäre mir recht gewesen, damit dieses Gefühl aufhörte. Auch ein Atomschlag. Ich fragte mich, wann dieses Gefühl das erste Mal auftrat. Meines Wissens war es schon immer da gewesen, seit frühester Kindheit.
Strömender Regen. Ich stand sprichwörtlich wie bestellt und nicht abgeholt unter dem Vordach der Schule, Zuflucht suchend vor dem sintflutartigen Niederschlag, dessen Zerplatzen feine kleine Seenlandschaften und binnengewässerartige Ströme und Flussverläufe auf dem Schulhof hinterließ, um schließlich, am Kantstein subsumiert, zu einem reißenden Strom zu werden.
Meinen sechsjährigen Kinderleib an die kalte Backsteinmauer lehnend, fragte ich mich, wie spät es wohl war. Ich hatte meine Uhr nicht aufgezogen; mir war es neu, dieses Dings, den Tag in vierundzwanzig kleine Häppchen zu schneiden. Noch vor wenigen Tagen hatte Mutter Natur allein mir die Zeit bemessen, und dies hochpräzise:
Einmal am Morgen läutete die Sonne den Tag ein, und ihr abendliches Verschwinden die Nacht.
Nun wurde auch von mir verlangt, die Tageszeit exakt zu portionieren, und ihnen etwas von meiner abzugeben!
Schätze, so eine Viertelstunde, nachdem das letzte Kind abgeholt wurde, setzte der Hagel ein. Den fingernagelgroßen Geschossen vorausgegangen war ein Unheil verkündendes Donnergrollen. Es stammte von einer aus dem Norden hereinbrechenden Gewitterfront, die innerhalb weniger Augenblicke den Himmel über der Zwickauer Innenstadt verschlungen hatte. Nun schoss der Himmel nicht mehr wie ein elektrostatisch aufgeladenes Ungetüm mit Blitzen und gefrorenen Wasserstoffketten…
… es entlud sich nur immer weiter kubikliterweise Platzregen. Es goss wirklich wie aus Kübeln…
„Dor Vati hat sischer een trifftigen Grund, worum er misch net abholen gommt.“, sagte ich leise zu mir selbst.
Wahrscheinlich arbeitete er wieder länger. So dass er spätabends zur Tür reintorkelte, dem Artikulationsvermögen entmächtigt an uns vorbei ins Bett wankte. Der Vati sagte manchmal, wir seien doch keine Engländer, Regenschirme bräuchten wir als deutsche Buben nicht! Man sei ja nicht aus Zucker! Kurz grinste ich schelmisch. Nein, aus Zucker zu sein, das wäre meiner kindlichen Naschbegierde und mir längst zum Verhängnis geworden. Von Kopf bis Fuß hätte ich mich selbst abgeknuspert und abgenagt, mich bis zur Selbstaufgabe selbst aufgegessen, lange bevor mir die faulenden Karieszähne hätten ausfallen können. Selbstbeherrschung lag mir nicht, ich war heilfroh, nicht aus Zucker zu sein, auch deswegen, weil mich der Platzregen bei Berührung nicht in einen klebrigen Glukoseberg verwandeln würde, und überlegte, die eiskalte Dusche in Kauf zu nehmen. Zeit war ja bekanntlich Geld, auch wenn sich das Geld nicht wirklich wieder in Zeit zurückverwandeln ließ. Den Weg kannte ich gut, es war nur die leise Hoffnung auf ein schwaches Anklingen früherer Tage, als die unbedarften Spaziergänge an den Fachwerkbauten entlang einen Vater bereithielten, dessen alles erklärende Anziehungskraft Schutz, Wissen und Fürsorge bot. Mein Grinsen verließ mich. Kurz dachte ich an meinen Vater, der da lallend schwor, unseren Leibern könne weder Regen noch Schnee irgendetwas anhaben, und dass seine Söhne vom gleichen Schlage seien. Bestimmte Schnapssorten wussten aus seiner griesgrämigen Abscheu vor der Welt verborgene Schichten freizulegen. Ein Mann aus einem ganz anderen Leben. Dem vor der auszehrenden, hungerleidig-fröstelnden Erfahrung, die Mutter, stets nur mythisch umschrieben, als den Grund aufführte, warum unser Vater auf tägliche Betäubung zurückgreifen musste. Mir war das alles noch ein riesiges Rätsel… dieses unausgesprochene Ding, welches den Alten umgab. Trotzdem zeigte sein mir eingebläutes Gebot Wirkung, und ich trat, den Rucksack schützend über den Kopf haltend, aus der Deckung. Bereits drei Sekunden später war ich pitschnass, und watete durch die Pfützen des Schulhofs, da die Sandalen eh keinen Schutz boten. Knöcheltief, nasse Socken, bibberdibidderdi… - es hinter mich bringen wollend, galoppierte ich die Hauptstraße entlang in Richtung Neubaugebiet!
Es sollte sich herausstellen, dass der Starkregen ungefähr eine Viertelstunde später schlagartig aufhörte… hätte ich nur ein Fünkchen mehr Geduld gehabt, wären meine Kleider und Leib trocken geblieben. So musste ich mich ernsthaft fragen, ob ich wirklich aus dem selbem Holz geschnitzt war, durchnässt bis auf die Knochen, unter den Flapp-Flapp-Geräuschen meiner mit Wasser vollgesogenen Sandalenschritte. Jahrelang Wind und Wetter trotzen, wo doch so ein bisschen Nässe auf dem halbstündigen Nachhauseweg mich schon so derart außer Gefecht setzen konnte.
… die vielen Stufen im Treppenhaus schleppte ich mich hoch, entkräftet, hungrig, tropfend, und in heißhungriger Erwartung auf unsere beheizte Mietswohnung. Stockwerk für Stockwerk befeuerten die leckeren Gerüche, die mir aus den quaderförmigen Biotopen unserer Nachbarn entgegenwaberten, meinen Appetit. Im vierten Stock trocknete ich schließlich meine Schuhe auf der Fußmatte, von den Ärmeln und der Nasenspitze rannen Tropfen herab. Einen Moment starrte ich noch auf das Türschild mit dem Namen:
„Ahnert“
… das kunstvoll geschwungen mit dem Brandmalgerät ins Lindenholz graviert war. Dann drückte ich die Klinke herunter und trat in den kastenförmigen Lebensraum, den ich andächtig unser Zuhause nennen durfte:
Bellend empfing mich Heino. Ich wuschelte von seiner mich abschlabbernden Schnauze bis zum wedelnden Schwanz durch sein Schäferhundefell, überglücklich, ihn wiederzusehen. Die zitternden Finger in sein goldbraunes Fellkleid versenkt, registrierte ich am leeren Hutständer und fehlendem sonstigen Schuhwerk, dass wir wohl noch zu zweit sein mussten.
Muttern war wohl noch in der Fabrik, Vater auch auf Arbeit und Wilhelm noch in der Schule, oder, noch wahrscheinlicher, am sich herumtreiben…