Der grüne Bogenschütze - AA. VV. - E-Book

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aa.vv

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Beschreibung

Ein altes Schloss, umgebaut zu einer Festung. Ein seltsamer Amerikaner als Schlossherr. Eine Frau, die 8 Jahre lang privat gefangen gehalten wird. Eine junge Frau, auf die nicht nur ein Attentat verübt wird, ...

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Titel

Edgar Wallace

Der grüne Bogenschütze

Titel des englischen Originals: The Green Archer

Table of Contents

Titel

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1

Spike Holland schrieb das letzte Wort seines Artikels und zog zwei dicke Linien quer über die Seite, um damit den Schluß des Aufsatzes anzudeuten. Dann warf er seine Feder wütend fort. Der Halter blieb zitternd im Fensterrahmen stecken.

»Keine unwürdige Hand soll jemals wieder dies Schreibinstrument berühren, das meine phantasievollen Gedanken zu Papier brachte,« sagte er zornig.

Der andere Reporter schaute auf. Sie waren beide allein in dem Raum.

»Was haben Sie denn für einen schönen Artikel geschrieben, Spike?«

»Einen Bericht über die gestrige Hundeschau,« erwiderte Spike eisig. »Ich verstehe von Hunden nur so viel, daß das eine Ende bellt und das andere wedelt. Aber der verfluchte Syme hat mich auf die Geschichte gehetzt. Obendrein hat er mir noch gesagt, daß sich ein Kriminalist mit Bluthunden anfreunden müsse! Der Mann ist nicht ganz richtig im Kopf. Er sieht nichts so, wie es wirklich ist, er lebt in einer Welt von Vorstellungen, die er sich selbst zurechtgelegt hat. Kommt man ihm mit der funkelnagelneuen Geschichte eines großartigen Bankraubes, dann springt er einem mit der Zumutung ins Gesicht, man solle einen Artikel darüber schreiben, was Bankdirektoren gern zu Mittag essen!«

Der andere schob seinen Stuhl zurück.

»Hierzulande finden Sie fast nur solche Einstellung. Ich möchte beinahe sagen, daß unsere Landsleute im Vergleich zu den Amerikanern verrückte Dickschädel sind.«

»Sie können jede Wette darauf eingehen, daß das nicht stimmt,« unterbrach ihn Spike schnell. »Die Leute am grünen Redaktionstisch sind eine Rasse für sich, sie sind von Natur aus vollständig unfähig, das Leben vom Standpunkt eines Berichterstatters zu sehen. Das heißt, sie haben irgendwie ein minderwertiges Gehirn. Jawohl, mein Herr, das ist ganz gleich, ob sie in den Vereinigten Staaten oder in England leben, das macht gar keinen Unterschied – sie haben alle einen Klaps!«

Er seufzte tief, lehnte sich in den Stuhl zurück und legte seine Füße auf den Tisch. Spike war noch jung. Sein sommersprossiges Gesicht zeigte gesunde Farbe und seine rötlichen Haare hingen etwas wirr durcheinander.

»Hunde-Ausstellungen sind sicher sehr interessant –« begann er gerade wieder, als plötzlich die Tür heftig aufgerissen wurde und ein Mann hereinschaute. Er war in Hemdärmeln und trug eine außergewöhnlich große Hornbrille.

»Spike ... brauche Sie. Haben Sie was zu tun?«

»Ich bin gerade im Begriff, Wood aufzusuchen, den Mann mit den Kinderhäusern – ich habe eine Verabredung zum Essen mit ihm.«

»Der kann warten.«

Er winkte und Spike folgte ihm in sein kleines Bureau.

»Kennen Sie Abel Bellamy aus Chicago ... den Millionär?«

»Abel? Ja ... ist er tot?« fragte Spike hoffnungsfroh. »Aus dem Kerl kann man nur eine gute Geschichte drehen, wenn er das Zeitliche gesegnet hat.«

»Kennen Sie ihn gut?« fragte der Redakteur.

»Ich weiß, daß er aus Chicago stammt, Millionen beim Bauen verdient hat und ein furchtbar grober Kerl ist. Er lebt schon seit acht oder neun Jahren in England, glaube ich ... er bewohnt eine richtige Burg ... und hat einen tauben Chinesen als Chauffeur –«

»Das Zeug weiß ich auch schon. Was ich wissen will, ist nur: Gehört Bellamy zu der Sorte Menschen, die gern von sich reden machen? ... Mit anderen Worten: Ist der Grüne Bogenschütze wirklich ein Gespenst oder eine Erfindung?«

»Ein Gespenst?«

Syme nahm einen Briefbogen und reichte ihn dem erstaunten Amerikaner über den Tisch. Die Mitteilung war augenscheinlich von jemand geschrieben, dem die Regeln der englischen Sprache tief verborgene Mysterien waren.

»Liberr Herr,

Der grüne Bogenschütze is wider da in Schlos Garre. Mr. Wilks, der Hausmeister hat ihm geseen. Liber Herr der grüne Bohgenschitze is in Mr. Bellamys Zimmer gekommen und hat die Türe offen gelassen. Alle Dinstleute gehn wech. Mr. Bellamy sacht er schmeist alle raus die davon sprechen aber sie geen alle wech.«

»Und wer zum Donnerwetter ist denn der Grüne Bogenschütze?« fragte Spike erstaunt.

Mr. Syme rückte seine Brille zurecht und lächelte. Spike war ganz verdutzt, daß er etwas so Menschliches tun konnte.

»Der Grüne Bogenschütze von Garre Castle war früher einmal die berühmteste Geistererscheinung Englands. Lachen Sie nicht, Spike, es ist kein Märchen. Der wirkliche grüne Bogenschütze wurde von einem de Curcy – dieser Familie gehörte früher Garre Castle – im Jahre 1487 gehängt.«

»Sehen Sie mal an! Daß Sie sich darauf noch besinnen können!« sagte Spike voll Hochachtung.

»Ziehen Sie die Sache nicht ins Lächerliche! Er wurde gehängt, weil er gewildert hatte. Heute noch können Sie den Eichenbalken sehen, an dem er hing. Seit Jahrhunderten ist er in Garre umgegangen, das letztemal wurde er 1799 gesehen. In Berkshire kennt jedes Kind die Geschichte. Diesen Brief hat offenbar ein Dienstmädchen geschrieben, das hinausgeworfen wurde oder aus Furcht freiwillig den Dienst verließ. Jedenfalls geht daraus hervor, daß unser grüner Freund irgendwie wieder auf der Bildfläche erschienen ist.«

Spike zog die Stirne kraus und schob die Unterlippe vor.

»Jedes Gespenst, das Abel Bellamy zum Besten hat, soll sich nur vor ihm in acht nehmen. Ich vermute aber, daß die ganze Sache halb Märchen und halb hysterische Einbildung ist. Soll ich wirklich zu Abel hingehen?«

»Gehen Sie zu ihm und überreden Sie ihn, daß er Sie eine Woche lang in seiner Burg wohnen läßt.«

Spike schüttelte energisch den Kopf.

»Da kennen Sie ihn schlecht. Wenn ich ihm mit einer solchen Zumutung komme, wirft er mich sofort hinaus. Aber ich werde zu seinem Sekretär, dem Savini, gehen. Der ist ein Mischblut oder so etwas Ähnliches – möglich, daß der mir helfen kann. Aber bisher scheint der Grüne Bogenschütze doch nicht mehr angestellt zu haben, als daß er die Tür in Abels Zimmer offenstehen ließ?«

»Also sehen Sie zu, was Sie bei Bellamy erreichen können – erfinden Sie irgend etwas, um in sein Schloß hineinzukommen. Nebenbei bemerkt hat er eine Unsumme dafür gezahlt. Und dann suchen Sie so unter der Hand die ganze Geschichte herauszubringen. Eine gute sensationelle Geistergeschichte haben wir schon seit Jahren nicht mehr drucken können. Außerdem hindert Sie ja gar nichts daran, mit Wood zu speisen, denn die Geschichte über den brauche ich auch. Wo werden Sie denn zu Mittag essen?«

»Im Carlton. Wood ist nur ein paar Tage in London und fährt heute abend nach Belgien zurück.«

Der Redakteur nickte.

»Das paßt ja gut. Bellamy wohnt auch im Carlton-Hotel. Da können Sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«

Spike trollte sich zur Tür.

»Gespenstergeschichten und Kleinkinderbewahranstalten!« rief er vorwurfsvoll und bitter. »Und ich bin doch schon so lange scharf auf eine ordentliche Mordgeschichte mit allen Schikanen! Aber ich weiß schon, diese Zeitung braucht keinen Kriminalisten, die braucht nur einen Märchenerzähler.«

»Da sind Sie ja gerade der richtige Mann!« sagte Syme und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

2

Der Klang von Stahl gegen Stahl, das Staccato-Trommelfeuer elektrischer Nietmaschinen und Bohrer, der Höllenlärm von Hämmern und Meißeln waren eine liebliche Musik für Abel Bellamys Ohren.

Er stand am Fenster seines Wohnzimmers, die Hände auf dem Rücken. Unverwandt schaute er auf die andere Seite der Straße, wo sich dem Hotel gegenüber ein ungeheuer großes Gebäude im Bau befand. Das Stahlgerippe erhob sich türmhoch über die kleinen, niedrigen Häuser der Nachbarschaft zu beiden Seiten.

In den Straßen hatte sich eine kleine, neugierige Menschenmenge angesammelt. Ein schwerer, eiserner Träger wurde durch einen Flaschenzug an einem Drahtseil aufgewunden. Höher und höher hob der große Kran die schwere Last, die majestätisch und langsam hin- und herpendelte. Abel Bellamy brummte. Er war nicht zufrieden damit. Er wußte genau auf den Bruchteil eines Zolls, wo der richtige Aufhängungspunkt lag, und der Träger war schlecht ausbalanciert.

Wenn die bösen Werke der Menschen in blutiger Schrift an den Tatorten aufgezeichnet wären, wie die Alten glaubten, so würde der Name Abel Bellamys an vielen Stellen in brennendem Rot erscheinen: Auf einer kleinen Farm in Montgomery County in Pennsylvania und in einer grauen Halle im Pentonville-Gefängnis, um nur diese beiden Orte zu nennen.

Aber Abel Bellamy hatte keine schlaflosen Nächte wegen seiner Vergangenheit. Reue und Furcht kannte er nicht. Er hatte viel Böses getan und war damit sehr zufrieden. Die Erinnerung an das Entsetzen der Menschen, deren Leben er rücksichtslos zerbrochen hatte, an die Qualen, die er ihnen mit Vorbedacht zugefügt hatte, konnte ihm nichts anhaben. Das Bewußtsein, unschuldige Kinder in Not und Elend gestoßen und eine Frau durch seinen Haß zu Tode gehetzt zu haben, nur um dem Moloch seiner Selbstsucht ein Opfer zu bringen, verursachte ihm nicht eine Sekunde lang Gewissensbisse.

Wenn er sich überhaupt jemals an diese Dinge erinnerte, dachte er nur mit Befriedigung daran. Es erschien ihm vollständig richtig, daß alle niedergetreten wurden, die sich ihm in den Weg stellten. Das Glück hatte ihn stets begünstigt. Mit zwanzig Jahren war er noch ein einfacher Arbeiter gewesen, mit fünfunddreißig hatte er schon eine Million Dollars zusammengebracht und mit fünfundfünfzig war dieses Vermögen verzehnfacht. Er verließ die Stadt, in der er sich heraufgearbeitet hatte, siedelte sich auf einem Adelssitz in England an und wurde der Herr einer Besitzung, die die Blüte der englischen Ritterschaft durch das Schwert erobert und mit dem Schweiß und der Furcht der Unterdrückten erbaut hatte.

Seit dreißig Jahren war er mächtig genug, andere zu verfolgen, und warum sollte er sich auch selbst verleugnen? Er bereute nichts und handelte ganz nach seinen Wünschen. Er war von ungewöhnlicher Körpergröße, maß über sechs Fuß und hatte noch im Alter von sechzig Jahren die Kraft eines jungen Stieres. Auf der Straße sahen sich alle Leute nach ihm um, aber nicht wegen seiner außerordentlichen Größe, sondern wegen seiner ins Auge springenden Häßlichkeit. Sein rotes Gesicht war von unzähligen Falten durchzogen, seine Nase war groß und knollenartig. Dicke Lippen umrahmten den großen Mund, dessen eine Seite etwas in die Höhe gezogen war, so daß er ständig höhnisch zu grinsen schien.

Er kümmerte sich nicht im mindesten um sein Aussehen und nahm es als eine Tatsache hin, wie ihm auch seine Leidenschaften etwas Selbstverständliches waren.

Das war Abel Bellamy aus Chicago, der jetzt in Garre Castle in Berkshire wohnte. Ein Mann, der weder Liebe noch Mitleid kannte.

Noch immer stand er an dem großen Fenster seines Hotels und beobachtete die Bauarbeiten. Wer der Erbauer oder was das für ein Bauwerk war, wußte er nicht und kümmerte sich auch nicht darum. Aber einen Augenblick schien es ihm, als ob die Männer, die sich drüben auf schmalen, gefährlichen Stegen bewegten, seine eigenen Arbeitsleute seien. Er stieß einen halbunterdrückten Fluch aus, als sein wachsames Auge eine Gruppe von drei Schmieden entdeckte, die von dem Polier nicht gesehen werden konnten und müßig umherstanden.

Plötzlich schaute er wieder auf den großen hängenden Träger und witterte sofort die Gefahr. Er hatte den Unfall, der sich jetzt ereignete, vorausgesehen. Das freie Ende des Doppel-T-Trägers schwang nach innen und schlug gegen ein Gerüst, auf dem zwei Leute arbeiteten. Er konnte das Krachen trotz des lärmenden Straßenverkehrs deutlich hören, er sah einen Augenblick einen Mann, der sich verzweifelt am Gerüst festhielt, dann in die Tiefe stürzte und in dem großen Wirrwarr von Ziegelhaufen und Mörtelmaschinen hinter dem großen hohen Arbeitszaun verschwand.

»Hm!« sagte Abel Bellamy.

Er war gespannt, was der Bauunternehmer wohl jetzt tun würde. Wie mochten die Gesetze dieses Landes sein, in dem er sich seit sieben Jahren niedergelassen hatte? Wenn es sein Bau gewesen wäre, würde er seinen Rechtsanwalt losgeschickt haben, um die Witwe aufzusuchen, bevor sie die Nachricht erreichen konnte, und sie zu veranlassen, alle ihre Anforderungen aufzugeben, ehe sie den Betrug wirklich gemerkt hätte. Aber diese Engländer waren dazu viel zu langsam.

Die Tür des Wohnzimmers öffnete sich, und er wandte sich um. Julius Savini war schon daran gewöhnt, nur durch ein Brummen gegrüßt zu werden, aber er merkte, daß er heute etwas mehr abbekommen würde als den gewöhnlichen Rüffel, der sein regelmäßiger Morgengruß war.

»Savini, ich habe seit sieben Uhr auf Sie gewartet. Wenn Sie Ihre Stellung behalten wollen, will ich Sie wenigstens vor Mittag sehen. Haben Sie mich verstanden?«

»Es tut mir sehr leid, Mr. Bellamy, aber ich sagte Ihnen bereits gestern abend, daß ich heute später kommen würde. Ich bin erst vor ein paar Minuten von außerhalb zurück.«

Die Haltung und die Stimme Savinis waren sehr unterwürfig. Er war schon ein ganzes Jahr Bellamys Privatsekretär und hatte gelernt, daß es zwecklos war, seinem Herrn zu widersprechen.

»Würden Sie einen Vertreter vom ›Globe‹ empfangen?« fragte er.

»Einen Zeitungsmenschen?« sagte Abel Bellamy verächtlich. »Sie wissen doch, daß ich niemals solche Leute empfange. Was will er? Wie heißt er denn?«

»Es ist Spike Holland, ein Amerikaner,« antwortete Julius, als ob er um Entschuldigung bitten wollte.

»Deswegen ist er mir nicht angenehmer,« brummte Bellamy. »Sagen Sie ihm, daß ich ihn nicht empfangen kann. Ich kümmere mich überhaupt nicht darum, was in den Zeitungen steht. Weshalb kommt er denn? Sie sind doch mein Sekretär!«

Julius machte eine Verlegenheitspause, bevor er antwortete.

»Er kommt wegen des Grünen Bogenschützen.«

Abel Bellamy fuhr wild herum.

»Wer hat denn etwas über den Grünen Bogenschützen ausgeplaudert? Das können doch nur Sie Esel gewesen sein!«

»Ich habe mit keinem Zeitungsmann gesprochen,« sagte Julius mürrisch. »Was soll ich ihm denn sagen?«

»Sagen Sie ihm, er soll sich zum – na, lassen Sie ihn meinetwegen heraufkommen.«

Bellamy hatte sich schnell überlegt, daß der Journalist wahrscheinlich irgendeine Geschichte erfinden würde, wenn er ihn nicht empfing, und er hatte gerade genug von den Zeitungen. Hatte nicht neulich solch ein Blatt den ganzen Lärm in Falmouth inszeniert?

In diesem Augenblick führte Julius den Besucher herein.

»Ihre Anwesenheit ist nicht notwendig,« fuhr Bellamy seinen Sekretär an. Als Savini gegangen war, brummte er: »Nehmen Sie sich eine Zigarre.«

Er stieß die Zigarrenkiste mit einem heftigen Ruck über den Tisch, wie wenn er einem Hund einen Knochen hinwürfe.

»Danke,« sagte Mr. Spike Holland, »ich rauche niemals Millionärzigarren. Ich bin nachher nur mit meinen unzufrieden.«

»Nun, was wollen Sie?« fragte Bellamy rauh und betrachtete Spike mit zusammengekniffenen Augen.

»Man erzählt sich da eine Geschichte, daß ein Geist in Garre Castle umgeht – ein Grüner Bogenschütze –«

»Das ist eine gemeine Lüge!« erwiderte Bellamy viel zu schnell und viel zu prompt. Hätte er sich dieser Äußerung gegenüber gleichgültig gezeigt, so hätte er Spike wahrscheinlich täuschen können. Aber die Schnelligkeit, mit der er alles ableugnete, machte dem Zeitungsmann die Geschichte sofort interessant.

»Wer hat Ihnen denn das erzählt?« fragte Bellamy.

»Wir haben es aus einer ganz sicheren Quelle.« Spike war vorsichtig. »Man hat uns mitgeteilt, daß der Grüne Bogenschütze von Garre in dem Schloß gesehen wurde und offensichtlich in Ihrem Zimmer aus- und eingegangen ist.«

»Ich sagte Ihnen doch, daß das gelogen ist!« Abel Bellamys Stimme hatte einen verletzenden und beleidigenden Ton. »Diese verrückten englischen Dienstboten haben nichts anderes zu tun, als sich nach Geistern umzusehen! Es stimmt, daß ich die Tür meines Schlafzimmers eines Nachts offen fand, aber ich habe vermutlich vergessen, sie zu schließen. Wer hat Ihnen denn diese Auskunft gegeben?«

»Wir haben die Nachricht von drei verschiedenen Seiten,« log Spike frech darauf los. »Und alle drei Berichte ergänzen sich, Mr. Bellamy,« meinte er lächelnd, »es wird schon was daran sein. Außerdem erhöht doch so eine Geistererscheinung den Wert einer Burg oder eines Schlosses!«

»Da sind Sie aber sehr im Irrtum,« erwiderte Abel Bellamy, der die günstige Gelegenheit wahrnahm, das Thema zu ändern. »Es bringt eine solche Besitzung nur in schlechtes Gerede. Wenn Sie auch nur eine Zeile von Geistern und Gespenstern in Ihre Zeitung setzen, dann werde ich gerichtlich gegen Sie vorgehen – denken Sie daran, junger Mann!«

»Es ist möglich, daß auch der Geist noch irgend etwas unternimmt,« sagte Spike äußerst liebenswürdig.

Er ging die Treppe hinunter und war sich noch nicht klar, was er tun sollte.

Abel Bellamy war nicht der gewöhnliche Millionär, der sich in England ansiedelt und dann von selbst in der englischen Gesellschaft Zutritt findet. Er war von niederer Herkunft, nur halb gebildet und ohne irgendwelchen gesellschaftlichen Ehrgeiz.

Als Spike in die Hotelhalle eintrat, fand er Julius, der mit einem großen Herrn mit grauem Bart sprach, der dem besseren Handwerkerstand anzugehören schien. Julius gab Holland ein Zeichen, zu warten.

»Sie wissen, in welchem Zimmer er ist, Mr. Creager? Mr. Bellamy erwartet Sie.«

Als der Mann gegangen war, wandte sich Julius an den Reporter.

»Nun, was hat er gesagt, Holland?«

»Er hat die ganze Geschichte abgestritten. Aber in allem Ernst, Savini, ist etwas daran?«

Julius zuckte die schmalen Schultern.

»Ich weiß nicht, woher Sie die ganze Geschichte haben und Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihnen unter keinen Umstanden etwas erzähle. Der Alte hat mir sowieso die Hölle heiß gemacht, weil er dachte, ich hätte Ihnen den Tip gegeben!«

»Dann stimmt die Geschichte also. Irgendein grauenerregendes Gespenst hat in Ihren Mauern herumgespukt. Hat es auch irgendwie mit Ketten gerasselt?«

Julius schüttelte den Kopf.

»Von mir werden Sie nichts herausbekommen, Holland. Ich kann höchstens meine Stellung dadurch verlieren.«

»Wer war denn der Mensch, den Sie eben hinaufgeschickt haben? Er sah aus wie ein Polizist.«

Julius grinste.

»Er hat genau dieselbe Frage über Sie an mich gestellt, als Sie herunterkamen. Er heißt Creager und ist ein –« Er zögerte. »Nun ja, ich will nicht gerade sagen, Freund, er ist so eine Bekanntschaft von dem Alten. Wahrscheinlich bezieht er eine Art Pension von ihm. Er kommt in regelmäßigen Zwischenräumen, und ich bilde mir ein, daß er nicht umsonst erscheint. Bis der andere herunterkommt, ruft mich Bellamy sicher nicht. Kommen Sie und trinken Sie einen Cocktail mit mir.«

Spike schüttelte den Kopf.

Während sie noch sprachen, kam Creager zur sichtlichen Überraschung von Julius die Treppe wieder herunter. Er sah böse und verbissen aus.

»Er will mich nicht vor zwei Uhr sehen,« sagte er mit unterdrückter Wut. »Glaubt er denn, daß ich auf ihn warte? Wenn er sich das einbildet, irrt er sich gewaltig! Sagen Sie ihm das nur, Mr. Savini.«

»Was ist denn los?« fragte Julius.

»Er sagte zwei Uhr. Gebe ich zu. Aber ich bin doch nun in die Stadt gekommen, – warum sollte ich denn bis zum Nachmittag warten? Warum kann er mich nicht vormittags empfangen?« fragte Creager wütend. »Er behandelt mich wie einen Hund, er glaubt, er hat mich so –« Er machte eine bezeichnende Geste mit dem abwärts gerichteten Daumen. »Außerdem tobt er über einen Zeitungsreporter – das sind Sie wohl, wenn ich nicht irre.«

»Das stimmt genau,« entgegnete Spike.

»Also Sie können ihm sagen,« wandte sich Creager wieder am Julius und tippte dem jungen Mann mit dem Finger auf die Brust, um seinen Worten mehr Nachdruck zu geben, »daß ich um zwei Uhr komme. Und ich werde eine lange Unterredung mit ihm haben oder ich werde mich selbst mit einem Zeitungsreporter ein wenig unterhalten.«

Mit dieser Drohung ging er fort.

»Savini,« sagte Spike sanft, »ich wittere eine gute Geschichte!«

Aber Savini sprang die Treppe hinauf und nahm immer zwei Stufen zu gleicher Zeit, um schnell zu seinem aufgebrachten Herrn zu kommen.

3

Spike sah auf die Uhr – es war fünf Minuten vor eins. Aber kaum hatte er sich in einem bequemen Sessel in der Eingangshalle niedergelassen, um auf John Wood zu warten, als dessen schlanke Gestalt sich schon im Hoteleingang zeigte. Die Erscheinung dieses hochgewachsenen Mannes fiel allgemein auf. Er war vor der Zeit ergraut, aber sein Gesicht war von einer eigenartigen Schönheit, die sich besonders in den lebhaften Augen konzentrierte. Sein ausdrucksvoller Mund schien zu sprechen, auch wenn er schwieg.

Er reichte Spike die Hand und drückte sie freundlich.

»Ich komme doch nicht etwa zu spät? Ich war den ganzen Vormittag sehr beschäftigt, und ich möchte den Zug um halb drei nach dem Kontinent nehmen. Deshalb bin ich so eilig.«

Sie gingen zusammen in den großen Speisesaal, und der Oberkellner führte sie zu einem reservierten Tisch in einer Ecke. Spike war durch das interessante Gesicht des anderen gefesselt und stellte unwillkürlich Vergleiche mit der abstoßenden Häßlichkeit des Mannes an, den er soeben verlassen hatte. Wood war aber auch das gerade Gegenteil von Abel Bellamy. Sein gütiger Charakter spiegelte sich in seinem seelenvollen Blick wider, und ein freundliches Lächeln lag ständig in seinen Augen. Alle seine Bewegungen waren gewandt und lebhaft, und seine langen, weißen, zarten Hände schienen niemals zu ruhen.

»Nun, was wollen Sie von mir erfahren? Vielleicht kann ich Ihnen alles erzählen, bevor die Suppe serviert wird: Ich bin Amerikaner –«

»Das hätte ich nicht vermutet.«

John Wood nickte.

»Ich habe lange Zeit in England gelebt, ich bin –« er machte eine Pause – »lange Jahre nicht daheim gewesen. Ich möchte nicht viel von mir selbst erzählen und meine bescheidenen Verdienste mit möglichst wenig Worten abtun. Ich lebe jetzt in Wenduyne in Belgien und leite dort ein Heim für schwindsüchtige Kinder. Ich will die Anstalt aber noch dieses Jahr nach der Schweiz verlegen. Die Woodsche Lungenheilmethode stammt von mir – nebenbei bin ich Junggeselle – aber das ist alles, was von mir zu berichten ist.«

»Ich möchte gerne wegen der Kinderheime mit Ihnen sprechen. Wir haben einen längeren Artikel darüber in einer belgischen Zeitung gefunden. Dort stand auch, daß Sie die Absicht haben, große Summen zusammenzubringen, um in jedem Lande Europas ein Mutterhaus zu errichten. Was verstehen Sie darunter?«

Mr. Wood lehnte sich in seinen Stuhl zurück und dachte einen Augenblick nach, bevor er antwortete.

»In allen Ländern Europas, besonders in England, wird eine Frage immer brennender – ich möchte sie das Problem der ungewünschten Kinder nennen. Vielleicht ist ungewünscht nicht das richtige Wort. Nehmen wir einmal an, eine Witwe bleibt nach dem Tod ihres Mannes ohne Mittel zurück und muß ein oder zwei Kinder ernähren. Sie kann unmöglich einem Beruf oder einer Beschäftigung nachgehen, es sei denn, daß sich jemand um ihre Kinder kümmert, und das kostet wieder Geld. Dann gibt es andere Kinder, deren Geburt man fürchtet, deren Existenz Schande und Verlegenheit bringt, die versteckt werden müssen und dann in solche verrufenen Kinderheime kommen, deren Inhaberinnen es für ein paar Dollars die Woche übernehmen, nach ihnen zu sehen und sie großzuziehen. Es vergeht kein Jahr, in dem nicht in dem einen oder anderen Lande die Leiterinnen solcher Heime unter schwerer Anklage vor Gericht gestellt werden, sei es, daß sie die Erziehung dieser Kinder vernachlässigt oder daß sie direkt beschuldigt werden, sie beiseite gebracht zu haben.«

Dann begann er in großen Zügen seinen Plan über die Errichtung von Mutterhäusern zu entwerfen, in denen solche unerwünschten Kinder Aufnahme finden könnten und sorgfältig von besonders zu diesem Beruf vorgebildeten Pflegerinnen betreut werden sollten.

»Allmählich könnte man dann Schülerinnen annehmen, die für ihre Ausbildung in der Kinderpflege ein Lehrgeld zahlen. Meiner Meinung nach könnte man im Lauf der Zeit diese Anstalten so organisieren, daß sie sich selbst unterhalten. Dann würde man der Welt gesunde Knaben und Mädchen schenken, die fähig wären, den Kampf ums Dasein erfolgreich zu bestehen.«

Während des Essens sprach er nur über kleine Kinder. Ihre Pflege war sein Lebensinhalt. Er erzählte des langen und breiten von einem kleinen deutschen Waisenkind, das er in seinem Heim besonders hegte und schilderte es so lebhaft, daß die Gäste an den anderen Tischen sich nach ihm umwandten.

»Seien Sie nicht böse, daß ich Ihnen das sage, Mr. Wood, aber Sie haben doch eine sonderbare Liebhaberei.«

Der andere lachte.

»Das ist schon möglich,« meinte er. »Wer sind diese Leute?« fragte er dann plötzlich.

Zwei Herren und eine junge Dame hatten den Speisesaal betreten. Der erste war hochgewachsen, schlank und hatte weiße Haare. Über seine Gesichtszüge breitete sich eine stille Melancholie. Sein Begleiter war ein elegant gekleideter junger Mann, dessen Alter zwischen neunzehn und dreißig liegen konnte. Er schien von der tadellosen Frisur bis zu den Lackschuhen eine lebende Reklame für seinen Schneider zu sein. Aber am meisten fesselte die Erscheinung der jungen Dame.

»Sie ist von unwirklicher Schönheit, als ob sie aus einem Gemälde gestiegen sei,« sagte Spike.

»Wer ist sie denn?«

»Miß Howett – Valerie Howett. Der ältere Herr ist Mr. Walter Howett, ein Engländer, der viele Jahre in den Vereinigten Staaten in dürftigen Verhältnissen lebte, bis Petroleum auf seiner Farm gefunden wurde. Auch dieser elegante junge Mann ist Engländer – Featherstone. Er treibt sich überall herum – ich habe ihn schon in fast allen Nachtklubs von London getroffen.«

Die kleine Gesellschaft nahm an einem Tisch in ihrer Nähe Platz, und Wood konnte von da aus die junge Dame genauer betrachten.

»Sie ist in der Tat außerordentlich schön,« sagte er mit leiser Stimme. Aber Spike war vom Tisch aufgestanden, zu den anderen hinübergegangen und begrüßte den älteren Herrn mit einem Händedruck.

Nach kurzer Zeit kam er zurück.

»Mr. Howett hat mich eben gebeten, nach Tisch auf sein Zimmer zu kommen. Dürfte ich Sie vielleicht bitten, mich nachher einen Augenblick zu entschuldigen?«

»Natürlich.«

Die junge Dame vom Nebentisch schaute während des Essens zweimal mit fragenden, ungewissen Blicken zu ihnen herüber, als ob sie John Wood schon früher gesehen hätte und sich nun überlegte, wo und unter welchen Umständen.

Spike hatte die Unterhaltung auf ein Thema gebracht, das ihn im Augenblick viel mehr interessierte als kleine Kinder.

»Mr. Wood, ich vermute, daß Sie auf Ihren vielen Reisen noch niemals einem wirklichen Geist begegnet sind?«

»Nein,« erwiderte der andere mit einem ruhigen Lächeln. »Ich glaube wirklich nicht.«

»Kennen Sie Bellamy?«

»Abel Bellamy – ja, ich habe von ihm gehört. Er ist doch der Mann aus Chicago, der Garre Castle kaufte?«

Spike nickte.

»Und in Garre Castle treibt der Grüne Bogenschütze sein Wesen. Der alte Bellamy freut sich gerade nicht so sehr über den Spuk, obwohl viele andere recht stolz sein würden über einen solchen Schloßgeist. Er hat versucht, mich vollständig auszuschalten und mir diese schöne Geschichte vorzuenthalten.«

Er erzählte alles, was er von dem Grünen Bogenschützen von Garre wußte, und Mr. Wood hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen.

»Es ist merkwürdig. Ich kenne die Legende von Garre Castle auch und habe auch von Mr. Bellamy gehört.«

»Kennen Sie ihn genauer?« fragte Spike schnell. Aber der andere schüttelte den Kopf.

Gleich darauf brach Mr. Howetts Gesellschaft auf. Mr. Wood winkte dem Kellner und zahlte. Dann erhoben sie sich.

»Ich muß einen Brief schreiben,« sagte Wood. »Haben Sie lange mit Mr. Howett zu tun?«

»In fünf Minuten bin ich wieder hier. Ich weiß nicht, was er von mir will, aber ich glaube nicht, daß es länger dauern wird.«

Howetts Zimmer waren auf demselben Flur wie die Bellamys. Als Spike hinaufkam, wurde er schon von Mr. Howett erwartet. Mr. Featherstone hatte sich scheinbar schon vorher verabschiedet. Nur der Millionär und seine Tochter waren in dem Zimmer.

»Treten Sie bitte näher, Holland.« Howett sprach mit einer müden Stimme und sah niedergedrückt aus. »Valerie, dies ist Mr. Holland, er ist ein Journalist und kann dir vielleicht helfen.«

Die junge Dame nickte ihm freundlich zu.

»In Wirklichkeit möchte nämlich meine Tochter Sie sehen, Holland,« sagte Howett zu Spikes Genugtuung.

»Es handelt sich um folgendes, Mr. Holland,« begann sie. »Ich möchte eine Dame ausfindig machen, die vor zwölf Jahren in London lebte.« Sie zögerte. »Es ist eine Mrs. Held, die in der Little Bethel Street, Camden Town, wohnte. Ich habe bereits Nachforschungen in der Straße selbst gemacht, es ist eine schrecklich armselige Gegend, und niemand kann sich dort an sie erinnern. Ich wüßte überhaupt nicht, daß sie sich jemals dort aufgehalten hat, wenn ich es nicht durch einen Brief erfahren hatte, der in meinen Besitz kam.« Wieder machte sie eine Pause. »Daß der Brief in meinem Besitz ist, ist dem Adressaten unbekannt. Er hat auch allen Grund, alle Nebenumstände möglichst geheimzuhalten. Einige Wochen, nachdem der Brief geschrieben wurde, verschwand Mrs. Held.«

»Haben Sie öffentliche Nachfragen in die Zeitungen eingesetzt?«

»Ja, ich habe alles getan, was nur irgend möglich war. Auch die Polizei unterstützt mich schon seit Jahren.«

Spike schüttelte den Kopf.

»Ich fürchte, ich kann Ihnen dabei nicht viel helfen.«

»Das dachte ich auch,« sagte Mr. Howett. »Aber meine Tochter glaubte, daß Zeitungsleute viel mehr hören als die Polizei –«

Plötzlich wurde sie durch Lärm auf dem Flur unterbrochen. Man hörte eine rauhe, erregte Stimme, dann einen Fall. Spike schaute auf und eilte sofort in den Korridor hinaus.

Dort bot sich ihm ein ungewöhnlicher Anblick. Der Mann mit dem grauen Bart, den der Sekretär Creager nannte, erhob sich langsam vom Boden. Auf der anderen Seite sah Spike die große, unförmige Gestalt Bellamys im Rahmen seiner Zimmertür stehen.

»Das wird Ihnen noch leid tun,« rief Creager erregt.

»Scheren Sie sich zum Teufel,« brüllte Bellamy. »Wenn Sie noch einmal hierherkommen, werfe ich Sie zum Fenster hinaus.«

»Das wird Ihnen teuer zu stehen kommen!«

Creager schluchzte beinah vor Wut.

»Aber nicht in Dollars und Cents,« fuhr der Alte böse auf. »Und hören Sie, Creager, Sie beziehen eine Pension von der Regierung – nehmen Sie sich in acht, daß Sie die nicht verlieren!« Mit diesen Worten drehte er sich um und warf die Tür heftig ins Schloß.

Spike wandte sich an den Mann, der den Gang entlanghinkte.

»Was ist denn los?«

Creager stand einen Augenblick still und rieb seine Knie.

»Sie sollen alles erfahren! Sie sind doch ein Reporter? Ich habe eine gute Sache für Sie.«

Spike war ein Zeitungsmann mit Leib und Seele, und irgendeine Geschichte, über die man einen guten Artikel schreiben konnte, war für ihn das halbe Leben und bedeutete Erfüllung seiner ehrgeizigen Wünsche. Er ging schnell zu Howett zurück.

»Würden Sie mich einen Augenblick entschuldigen? Ich muß diesen Mann sprechen.«

»Wer hat ihn so zu Boden geworfen – Bellamy?«

Valerie fragte ihn. Eine gewisse Erregung klang in ihrer Stimme, so daß Spike erstaunt aufschaute.

»Jawohl, Miß Howett – kennen Sie ihn?«

»Ich habe manches über ihn gehört,« sagte sie langsam.

Spike begleitete den wütenden Creager in die Hotelhalle. Er war bleich und zitterte, und es dauerte einige Zeit, bevor er seine Stimme wieder beherrschte.

»Es stimmt, was er sagte. Es ist möglich, daß ich meine Pension verliere, aber das will ich auf mich nehmen. Sehen Sie, Mr. –«

»Holland ist mein Name.«

»Hier kann ich Ihnen nicht alles erzählen, aber wenn Sie in mein Haus kommen wollen – Rose Cottage, Field Road, New Barnet –«

Spike notierte sich die Adresse.

»Ich habe Ihnen etwas zu erzählen, was eine große Sensation hervorrufen wird. Bestimmt!« sagte er mit Befriedigung.

»Das ist fein!« rief Spike. »Wann kann ich Sie sprechen?«

»Kommen Sie in ein paar Stunden.« Mit einem kurzen Gruße entfernte sich Creager.

Wood, der interessiert zugeschaut hatte, trat auf Spike zu.

»Der Mann sah ziemlich mitgenommen aus.«

»Ja, man hat ihm böse mitgespielt – aber er hat eine Geschichte zu erzählen, die ich brennend gern schreiben möchte.«

»Ich habe gehört, was er Ihnen mitteilte,« sagte Wood lächelnd. »Aber nun muß ich mich verabschieden. Besuchen Sie mich doch einmal in Belgien.« Als er Spike die Hand schüttelte, sagte er noch: »Vielleicht kann ich Ihnen eines Tages eine Geschichte über Abel Bellamy erzählen, die beste, die Sie jemals gehört haben. Wenn Sie noch genauere Nachrichten über die Kinderheime haben wollen, wenden Sie sich nur ruhig an mich.«

Als Wood gegangen war, kehrte Spike zu Howett zurück, aber dort erfuhr er nur, daß sich Miß Howett mit bösen Kopfschmerzen zurückgezogen hatte, und daß die Besprechung, wie er ihr bei ihren Nachforschungen vielleicht helfen könnte, auf unbestimmte Zeit verschoben war.

4

Als Spike sich am Nachmittag ins Bureau begab, schrieb er einen langen und glänzenden Artikel über die großartigen Kinderheime, die John Wood ins Leben rufen wollte. Dann nahm er ein Mietauto und fuhr nach New Barnet. Als er an Fleet Street vorbeikam, sah er ein Zeitungsplakat mit großen Buchstaben. Er klopfte dem Chauffeur und ließ den Wagen halten. Dann fluchte er leise Vor sich hin, denn dort stand zu lesen:

Der geheimnisvolle Spuk in Garre Castle.

Er kaufte das Blatt. Die Unterlagen für den Artikel stammten wahrscheinlich von derselben Persönlichkeit, die auch das Schreiben an den »Globe« geschickt hatte. Die eigentliche Neuigkeit war in fünf Zeilen abgemacht, aber darunter stand ein langer Artikel, der die ganze Geschichte von Garre Castle und alle die früheren Fälle, in denen man den Grünen Bogenschützen dort gesehen hatte, berichtete.

»Es gibt eine Überlieferung im Lande, daß der geheimnisvolle Geist von Kopf bis zu Fuß grün gekleidet ist. Auch sein Bogen und seine Pfeile sollen von derselben grünen Farbe sein!«

Die Fahrt nach New Barnet dauerte sehr lange und führte durch offene Felder. Rose Cottage lag von der Straße abseits hinter großen beschnittenen Hecken. Das ganze Gebäude war von Schlinggewächsen umzogen. Ein kleiner Garten lag davor und ein größerer, der zu einer kleinen Pflanzung führte, mußte offenbar auf der Rückseite liegen. Spike beobachtete dies alles vom Wagen aus. Er öffnete die kleine Gartentür, ging den gepflasterten Weg zum Hause entlang und klopfte an die Tür. Niemand antwortete ihm, obwohl sie unverschlossen und nur angelehnt war. Wieder klopfte er, aber niemand meldete sich.

Schließlich stieß er die Tür auf und rief Creagers Namen. Als er auch damit keinen Erfolg hatte, ging er zur Straße zurück, um sich umzusehen, ob er nicht irgend jemand fände. Endlich sah er auch eine Frau, die wohl aus einem der kleinen Häuser am Ende der Straße gekommen war.

»Mr. Creager? Ja, mein Herr, der wohnt hier, er ist um diese Tageszeit gewöhnlich zu Hause.«

»Aber er scheint jetzt nicht da zu sein. Wohnt sonst noch jemand bei ihm?«

»Nein, nur meine Schwester kommt morgens zu ihm und reinigt das Haus. Aber gehen Sie doch hinein und warten Sie auf ihn!«

Der Vorschlag erschien Spike gut, besonders da es zu regnen begann. Er ging in das Haus, den Gang entlang und kam zu einem Raum, der offenbar als Wohnzimmer diente. Als er sich umschaute, bemerkte er, daß es sehr gut eingerichtet war. Über dem Kamin hing ein Porträt Creagers. Er trug eine Art Uniform, die Spike aber nicht kannte.

Er setzte sich, nahm die Zeitung aus seiner Tasche und las noch einmal genau die Geschichte des Grünen Bogenschützen durch. Es war doch eigentlich unglaublich, daß derartige Überlieferungen sich noch im 20. Jahrhundert halten konnten und daß es Leute gab, die an solches Zeug glaubten.

Dann legte er die Zeitung hin und schaute lässig durchs Fenster, von dem aus man den Garten übersehen konnte. Plötzlich sprang er auf. Hinter einem Busch auf der anderen Seite des niedrigen Rasens sah er einen Fuß steif ausgestreckt.

Spike eilte aus dem Zimmer quer über den freien Platz und blieb starr vor Schrecken stehen.

Creager lag dort auf dem Rücken, mit halbgeschlossenen Augen, die Hände auf der Brust im Todeskampf zusammengekrallt. Dicht an den Händen ragte der lange grüne Schaft eines Pfeils aus seiner Brust.

Spike kniete nieder und untersuchte, ob noch Leben in Creager wäre, aber es war umsonst. Dann durchforschte er schnell die nächste, unmittelbare Nachbarschaft. Der Garten war von den Feldern, zwischen denen er lag, durch einen niedrigen, hölzernen Zaun abgetrennt, über den ein gewandter Mann leicht springen konnte. Spike vermutete, daß Creager durch den Schuß sofort getötet worden war.

Er sprang über die Hecke und setzte seine Ermittelungen weiter fort. Zehn Schritte von dem Zaun entfernt stand ein großer Eichbaum, der genau in der Schußlinie des Pfeiles lag.

Er ging um den Baum herum und prüfte den Boden eingehend, aber er entdeckte keinerlei Fußspuren. Den Baum selbst konnte man von der Straße aus genau sehen. Er schaute an dem Stamm empor, ergriff einen der niederen Äste und schwang sich hinauf. Er kletterte höher und kam schließlich zu einer Stelle, von wo aus er den Toten sehen konnte. Instinktiv wußte er, daß der tödliche Pfeil von dieser Stelle aus abgeschossen worden war. Der Baum war dicht belaubt und bot genügend Schutz, und sicher war der Mörder nicht sichtbar, als der Tote das Gesicht gerade dem Baume zugewandt haben mußte.

Nachdem er den Pfeil abgeschossen hatte, mußte der Schütze von hier hinuntergesprungen sein. Dieser Gedanke kam Spike plötzlich, und er kletterte wieder hinab. Unten fand er zwei deutliche Fußabdrücke, die der Mörder zurückgelassen hatte, als er auf den Boden sprang. Er hatte sogar etwas noch viel Wichtigeres zurückgelassen, aber Spike sah es nicht sogleich, erst später fand er es zufällig. Es war ein Pfeil, der genau dem in Creagers Brust glich. Der Schaft war glatt poliert und mit grüner Emaillefarbe gestrichen, die Federn waren neu, giftig grün und sehr gut befestigt. Der Pfeil sah eigentlich zu dekorativ aus, als daß man hätte annehmen können, er sei zu praktischem Gebrauch bestimmt, aber die Spitze war nadelscharf.

Spike ging zum Hause zurück und schickte den Chauffeur, um die Polizei zu holen. Kurze Zeit später kam dann auch ein Schutzmann und ein Polizeisergeant. Bald darauf erschien auch ein Beamter von Scotland Yard, der sofort die Überwachung des Hauses übernahm und den Abtransport des Toten anordnete.

Längst bevor die Polizei ankam, hatte Spike eine genaue Durchsuchung des Hauses vorgenommen. Vor allen Dingen durchsuchte er alle Papiere, die er irgendwie finden konnte. Er erkannte bald die Bedeutung der Uniform, die der Mann auf dem Bilde trug. Creager war früher ein Gefangenenwärter gewesen, hatte einundzwanzig Jahre gedient und dann seinen ehrenvollen Abschied genommen. Ein Zeugnis hierüber war eins der ersten Papiere, die Spike in die Hand fielen, als er den Schreibtisch durchsuchte. Aber besonders war er darauf aus, Papiere zu finden, die das Verhältnis Creagers zu Abel Bellamy aufklären sollten. Eine Schublade des altertümlichen Schreibtisches konnte er nicht öffnen, und Gewalt wollte er nicht anwenden.

Er fand das Bankbuch und sah zu seinem Erstaunen, daß Creager verhältnismäßig wohlhabend war – er hatte ein Bankdepot von über zweitausend Pfund. Eine schnelle Durchsicht der einzelnen Seiten zeigte, daß Creager am ersten jeden Monats vierzig Pfund erhielt, die in bar eingezahlt wurden, wie aus den Eintragungen zu ersehen war. Die Höhe der Pension konnte Spike leicht feststellen, da sie alle Vierteljahre gezahlt wurde. Außer der Pension und den monatlichen vierzig Pfund waren nur noch die Zinsen der Papiere auf der Kreditseite eingetragen, die in seinem Besitz waren.

Er war gerade damit fertig geworden, die nötigen Personalnachrichten aus dem Paß zu notieren, als auch die Beamten schon kamen. Gleich darauf kam der Polizeiarzt und untersuchte die Leiche.

»Er ist schon über eine Stunde tot,« sagte er. »Der Pfeil hat ihn vollständig durchbohrt, er muß furchtbar scharf sein.«

Spike gab dem Beamten von Scotland Yard den zweiten Pfeil und führte ihn auch zu der Stelle, wo er ihn gefunden hatte.

»Der Mann, der dieses Verbrechen ausgeführt hat,« sagte der Detektiv, »muß ein außerordentlich geschickter Mann in diesen Dingen sein. Er hatte die Absicht, zu töten, und war seiner Sache ganz gewiß. Das ist der erste Mord durch einen Bogenschuß, den ich persönlich erlebt habe. Es wäre ganz gut, wenn Sie stets mit uns in Verbindung blieben, Holland. Ich vermute, daß Sie jetzt in Ihr Bureau gehen und Ihre große Neuigkeit in die Zeitung setzen wollen. Aber vielleicht sagen Sie mir, wie Sie überhaupt hierhergekommen sind?«

Spike erzählte genau, was sich im Carlton-Hotel abgespielt hatte und fügte noch eine weitere Information hinzu, die den Detektiv in größtes Erstaunen fetzte.

»Der Grüne Bogenschütze! Sie wollen doch damit nicht sagen, daß diese Tat von einem Geist oder einem Gespenst ausgeführt wurde? Ich kann Ihnen nur sagen, daß dieser Geist sehr real und wirklich war, denn es bedurfte eines Armes von gewaltiger Kraft und eines stahlharten Bogens, um Creager von einer solchen Entfernung aus zu erschießen. Wir wollen jetzt zu Bellamy gehen.«

Mr. Abel Bellamy war eben im Begriff, nach Berkshire aufzubrechen, als die Polizeibeamten ankamen, und er zeigte weder Erstaunen noch Erschrecken, als er die Neuigkeit erfuhr.

»Ja, das stimmt, ich habe ihn hinausgeworfen. Creager war mir vor Jahren sehr nützlich, und ich gab ihm eine recht ansehnliche Unterstützung für die Dienste, die er mir erwies. Er rettete mein Leben – sprang ins Wasser für mich, als mein Boot auf dem Strom umschlug.«

Das ist eine infame Lüge, dachte Spike, der den Alten genau beobachtete.

»Weshalb haben Sie sich heute morgen gezankt, Mr. Bellamy?«

»Wir haben uns nicht gerade gezankt, aber er drängte mich, ihm Geld zu leihen. Er wollte nämlich ein Stück Land zu seinem Grundstück dazukaufen, auf dem sein Haus steht, und ich – lehnte es strikt ab. Heute wurde er direkt frech und drohte mir – nun ja, er hat mir nicht gerade gedroht,« verbesserte sich Bellamy mit einem rauhen Lachen – »aber immerhin, er wurde herausfordernd, griff mich an und ich warf ihn hinaus.«

»Wo hat er Ihnen denn das Leben gerettet, Mr. Bellamy?« fragte der Beamte.

»In Henley – letzten Sommer wurden es sieben Jahre,« antwortete Bellamy prompt.

»Das Datum haben Sie sich für immer eingeprägt und das ist auch die Erklärung, warum Sie diesen Mann dauernd unterstützt haben,« dachte Spike für sich.

»Zu jener Zeit war er noch im Gefängnisdienst,« sagte der Beamte.

»Vermutlich war es so,« entgegnete Bellamy etwas ungeduldig. »Aber als sich der Vorfall ereignete, hatte er gerade Ferien. Alles, was ich Ihnen erzähle, können Sie aus seinen Personalakten feststellen.«

Spike war auch vollständig davon überzeugt, daß man die Bestätigung finden würde, wenn die Papiere nachgesehen würden.

»Das ist wohl alles, was ich Ihnen mitteilen kann,« sagte Bellamy. »Sie erzählten eben, daß Creager erschossen wurde?«

»Er wurde durch einen Pfeil getötet,« antwortete der Beamte. »Es war ein grüner Pfeil.«

Nur einen Augenblick verlor Bellamy die Kontrolle über sein Mienenspiel.

»Ein grüner Pfeil?« wiederholte er ungläubig. »Ein Pfeil – ein grüner Pfeil? Was zum Teufel –« Er nahm sich plötzlich zusammen und langsam ging ein Lächeln über seine Gesichtszüge, das ihn noch abstoßender machte. »Also ein Opfer Ihrer Geistergeschichte, Holland,« brummte er. »Grüner Pfeil und grüner Bogenschütze, wie? Haben Sie eigentlich die Geschichte in die Zeitung gebracht?«

»Reporter bringen selten Geschichten in andere Zeitungen als ihre eigenen, aber Sie können wetten, Mr. Bellamy, wir werden morgen eine lange Geschichte in unserem Blatt bringen, und Ihr Bogenschütze wird eine besondere Spalte für sich haben.«

5

»Ist der Grüne Bogenschütze der Mörder Creagers?«

»Geheimnisvoller Mord folgt einem Streit mit dem Besitzer des Geisterschlosses.«

»Wer ist der Grüne Bogenschütze von Garre Castle? In welcher Beziehung steht er zu der Ermordung Charles Creagers, des früheren Gefängniswärters von Pentonville? Das sind die Fragen, die Scotland Yard zu beantworten versucht. Creager wurde gestern in seinem Garten von einem Berichterstatter des »Globe« aufgefunden, nachdem er eine heftige Auseinandersetzung mit Abel Bellamy hatte, dem Chicagoer Millionär, in dessen Schloß der Grüne Bogenschütze umgeht. Creager wurde von einem grünen Pfeil getötet, wie sie vor sechshundert Jahren in Gebrauch waren ...«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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