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Als der Berufspilot und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry im Jahr 1943 seinen ‘Kleinen Prinzen’ erfand, konnte er nicht ahnen, welch gewaltiger Welterfolg sein Büchlein werden sollte. Die philosophisch-poetische Geschichte vom kleinen Prinzen, der auf der Suche nach Freunden allerlei seltsame Planeten bereist, übt ungebrochene Faszination aus. Das moderne Märchen berührt mit seinem Plädoyer für Menschlichkeit Leserinnen und Leser jeden Alters und wurde vom Autor selbst mit Illustrationen versehen. Das ideale Buch zum Verschenken oder Geschenktbekommen.
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Seitenzahl: 74
Ich glaube, bei seiner Abreise war ihm eine Scharwilder Zugvögel behilflich.
Antoine de Saint-Exupéry
Mit den Zeichnungen des Verfassers
Aus dem Französischen
von Marion Herbert
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 Anaconda Verlag GmbH, Köln
Alle Rechte vorbehalten.
eISBN 978-3-7306-9091-8
ISBN 978-3-7306-0228-7
www.anacondaverlag.de
Für Léon Werth
Ich bitte alle Kinder um Verzeihung dafür, dass ich dieses Buch einem Erwachsenen widme. Aber ich habe eine gute Entschuldigung: Dieser Erwachsene ist mein bester Freund auf der ganzen Welt. Und ich habe noch eine Entschuldigung: Dieser Erwachsene kann alles verstehen, sogar Kinderbücher. Und ich habe auch noch eine dritte Entschuldigung: Dieser Erwachsene wohnt in Frankreich, wo er hungert und friert.
Er braucht dringend Trost. Falls all diese Entschuldigungen dennoch nicht ausreichen, möchte ich das Buch dem Kind widmen, das dieser Erwachsene einmal war. Alle großen Leute waren früher Kinder.
(Aber nur wenige von ihnen erinnern sich noch daran.) Ich korrigiere also meine Widmung:
Für Léon Werth
als er ein kleiner Junge war
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Kapitel XV
Kapitel XVI
Kapitel XVII
Kapitel XVIII
Kapitel XIX
Kapitel XX
Kapitel XXI
Kapitel XXII
Kapitel XXIII
Kapitel XXIV
Kapitel XXV
Kapitel XXVI
Kapitel XXVII
Als ich sechs Jahre alt war, sah ich einmal in einem Buch über den Urwald mit dem Titel Erlebte Geschichten ein grandioses Bild. Es zeigte eine Riesenschlange, die ein wildes Tier fraß. Oben seht ihr eine Wiedergabe der Zeichnung.
In dem Buch stand: »Boas verschlingen ihre Beute am Stück, ohne zu kauen. Danach können sie sich nicht mehr bewegen und halten einen sechsmonatigen Verdauungsschlaf.«
Die Abenteuer des Dschungels beschäftigten mich so sehr, dass ich daraufhin mit einem Buntstift selbst meine erste Zeichnung anfertigte. Meine Zeichnung Nummer 1. Sie sah so aus:
Ich zeigte den Erwachsenen mein Kunstwerk und fragte sie, ob meine Zeichnung ihnen Angst mache.
Sie antworteten: »Warum sollte ein Hut uns Angst machen?«
Meine Zeichnung zeigte keinen Hut. Sie zeigte eine Riesenschlange, die einen Elefanten verdaute. Also zeichnete ich das Innere der Riesenschlange, damit die Erwachsenen verstehen konnten, was ich meinte. Sie brauchen immer Erklärungen. Meine Zeichnung Nummer 2 sah so aus:
Die Erwachsenen rieten mir, mit dem Zeichnen von offenen oder geschlossenen Riesenschlangen aufzuhören und mich stattdessen mit Geografie, Geschichte, Rechnen und Grammatik zu beschäftigen. Also hängte ich im Alter von sechs Jahren eine großartige Malerkarriere an den Nagel. Die Misserfolge meiner Zeichnung Nummer 1 und meiner Zeichnung Nummer 2 hatten mich entmutigt. Erwachsene verstehen nie etwas von selbst und für Kinder ist es ermüdend, ihnen immer wieder alles erklären zu müssen.
Ich musste einen anderen Beruf wählen. Also lernte ich, Flugzeuge zu fliegen. Ich bin fast überall auf der Welt herumgeflogen. Und die Geografie hat mir dabei tatsächlich sehr geholfen. Ich konnte auf den ersten Blick China von Arizona unterscheiden. Das ist sehr nützlich, wenn man sich in der Nacht verirrt hat.
So kam ich im Lauf meines Lebens mit einer Menge ernster Leute in Kontakt. Ich habe lange unter Erwachsenen gelebt. Ich habe sie ganz aus der Nähe studiert. Das hat meine Meinung von ihnen nicht unbedingt verbessert.
Wenn ich einen Erwachsenen traf, der mir ein wenig gescheiter erschien, testete ich ihn mit meiner Zeichnung Nummer 1, die ich aufbewahrt hatte. Ich wollte wissen, ob er tatsächlich etwas begriff. Aber jeder sagte nur: »Das ist ein Hut.« Also unterhielt ich mich mit ihm weder über Riesenschlangen noch über Urwälder noch über Sterne. Ich begab mich auf seine Stufe. Ich sprach mit ihm über Bridge, Golf, Politik und Krawatten. Und der Erwachsene freute sich sehr, einen so vernünftigen Menschen getroffen zu haben.
Folglich lebte ich allein, ohne jemanden, mit dem ich wirklich reden konnte, bis ich vor sechs Jahren in der Sahara eine Panne hatte. Am Motor war etwas kaputtgegangen. Und da ich weder einen Mechaniker noch Passagiere dabeihatte, musste ich die schwierige Reparatur ganz allein in Angriff nehmen. Für mich ging es um Leben und Tod. Mein Trinkwasser würde nur knapp acht Tage reichen.
So schlief ich am ersten Abend auf dem Sand ein, tausend Meilen von jeder bewohnten Gegend entfernt. Ich war noch viel einsamer als ein Schiffbrüchiger auf einem Floß im Ozean. Ihr könnt euch meine Überraschung also vorstellen, als mich bei Tagesanbruch ein lustiges Stimmchen weckte. Es sagte:
»Bitte … zeichne mir ein Schaf!«
»Was?«
»Zeichne mir ein Schaf …«
Ich sprang wie vom Blitz getroffen auf. Ich rieb mir kräftig die Augen. Ich sah mich um. Und da erblickte ich ein ganz außergewöhnliches Männchen, das mich eindringlich musterte. Hier seht ihr das beste Porträt, das ich später von ihm erstellen konnte. Aber meine Zeichnung ist natürlich lange nicht so entzückend wie das Modell. Dafür kann ich nichts. Ich bin ja im Alter von sechs Jahren von den Erwachsenen entmutigt worden, meine Malerkarriere weiter zu verfolgen, und so konnte ich außer geschlossenen und offenen Riesenschlangen nichts weiter zeichnen.
Ich betrachtete diese Erscheinung also mit großen, runden, staunenden Augen. Vergesst nicht, dass ich tausend Meilen von jeder bewohnten Gegend entfernt war. Dennoch schien das Kerlchen sich weder verirrt zu haben, noch zu Tode erschöpft, hungrig, durstig oder verängstigt zu sein. Es wirkte überhaupt nicht wie ein verlorenes Kind mitten in der Wüste, tausend Meilen von jeder bewohnten Gegend entfernt. Als ich endlich wieder sprechen konnte, fragte ich:
»Aber … was machst du denn hier?«
Daraufhin wiederholte es ganz ruhig, als wäre das eine sehr ernste Angelegenheit:
»Bitte … zeichne mir ein Schaf.«
Wenn man zu überrascht ist, wagt man es nicht, sich zu widersetzen. So absurd es mir erschien, tausend Meilen von jedem bewohnten Ort entfernt und in Todesgefahr, ich holte tatsächlich ein Blatt Papier und eine Füllfeder aus meiner Tasche. Aber dann fiel mir ein, dass ich vor allem Geografie, Geschichte, Rechnen und Grammatik gelernt hatte, und ich sagte dem Männchen (ein wenig missmutig), dass ich nicht zeichnen könne. Es antwortete:
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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