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Eine kleine bunte Welt der Geborgenheit: Der Feelgood-Sammelband »Der kleine Strickladen des Glücks« von Marie Bostwick jetzt als eBook bei dotbooks. Aller Anfang ist schwer – aber alles geht sehr viel leichter, wenn man gute Freundinnen hat! Nach dem Ende ihrer unglücklichen Ehe wagt Evelyn im malerischen New Bern an der amerikanischen Ostküste einen Neuanfang und eröffnet einen kleinen Strickladen. Doch erst mit Hilfe ihrer neuen Freundinnen Margot, Abigail und Liza kann sie ihr Geschäft in ein kleines Paradies des Glücks verwandeln … Einen Ort der Ruhe und Geborgenheit sucht auch die junge Ivy, die auf der Flucht ist vor ihrem gewalttätigen Ehemann. In Evelyns Laden kann sie endlich wieder in Frieden das Leben genießen – bis eines Tages ihr Schicksal sie einzuholen droht. Doch diesmal ist Ivy nicht allein und kann sich auf ihre neuen Freundinnen verlassen! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der warmherzige Sammelband »Der kleine Strickladen des Glücks« von Marie Bostwick enthält ihre beiden Freundinnen-Romane »Der kleine Laden des Glücks« und »Sommer im kleinen Laden des Glücks«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 1081
Über dieses Buch:
Aller Anfang ist schwer – aber alles geht sehr viel leichter, wenn man gute Freundinnen hat! Nach dem Ende ihrer unglücklichen Ehe wagt Evelyn im malerischen New Bern an der amerikanischen Ostküste einen Neuanfang und eröffnet einen kleinen Strickladen. Doch erst mit Hilfe ihrer neuen Freundinnen Margot, Abigail und Liza kann sie ihr Geschäft in ein kleines Paradies des Glücks verwandeln … Einen Ort der Ruhe und Geborgenheit sucht auch die junge Ivy, die auf der Flucht ist vor ihrem gewalttätigen Ehemann. In Evelyns Laden kann sie endlich wieder in Frieden das Leben genießen – bis eines Tages ihr Schicksal sie einzuholen droht. Doch diesmal ist Ivy nicht allein und kann sich auf ihre neuen Freundinnen verlassen!
Über die Autorin:
Marie Bostwick lebt mit ihrem Mann, ihren drei Söhnen und ihren Enkelkindern in Oregon. Erst in einem Urlaub mit ihren Freundinnen ist sie durch Zufall auf einen Schreibworkshop und so auf ihre Liebe zum Schreiben gestoßen. Wenn sie nicht an ihrem neusten Roman arbeitet, liest, kocht oder quiltet sie.
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eBook-Sammelband-Originalausgabe Juli 2020
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Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
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Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / Andrew F. Kazmierski / Muzhik / melnikof / Deanna Laing / elenamiv / Yuliia Hurzhos / Paul Shang / John 1179 / Aygul Bulte / Kwanbenz / Jones M / cdrin / Francesco Faconti / Akasha
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (tw)
ISBN 978-3-96655-343-8
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Marie Bostwick
Der kleine Strickladen des Glücks
Zwei Romane in einem eBook
Aus dem Amerikanischen von Carola Kasperek und Ulrich Hoffmann
dotbooks.
Aus dem Amerikanischen von Carola Kasperek
Was tust du, wenn dein Herz gebrochen wurde? Die frisch geschiedene Evelyn wagt in dem malerischen New Bern an der Ostküste der USA einen Neuanfang. Mit Stoffen in wundervollen Farben und Mustern eingedeckt verwirklicht sie hier endlich ihren Lebenstraum vom eigenen Laden. Doch aller Anfang ist schwer! Die Bewohner begegnen der Fremden und ihrem Quilt-Laden skeptisch und warten scheinbar nur auf die Pleite … bis Evelyn auf eine zündende Idee kommt: Handarbeitskurse! Und obwohl ihre neuen Kundinnen kaum unterschiedlicher sein könnten, findet Evelyn in Abigail, Margot und Liza wahre Freundinnen. Doch dann stellt das Schicksal die vier auf eine harte Probe …
Für meine Schwester Elizabeth Walsh
Evelyn Dixon
Was für mich zu meinen schönsten Erinnerungen zählt, war für meine Mutter einer der schlimmsten Augenblicke ihres Lebens.
Es war Sommer. Ich war fünf Jahre alt und sollte in wenigen Wochen in den Kindergarten kommen. Meine Mutter hatte beschlossen, mir zu diesem Anlass neue Schuhe zu kaufen. Sie setzte sich hinter das Steuer unseres Ford Fairlane und kurbelte das Fenster herunter, damit wir nicht vor Hitze umkamen und ihr Zigarettenrauch abziehen konnte. Ich kletterte auf den Beifahrersitz, dann ging es los.
Der Sicherheitsgurt, den die vorausschauenden Gesetzgeber von Wisconsin zwei Jahre zuvor zur Pflicht gemacht hatten, lag nachlässig in den Spalt zwischen den Sitzen gestopft, zusammen mit alten Tankquittungen, Kaugummipapier und einer Mischung aus Sand und Kekskrümeln – den Überresten unseres jährlichen Strandurlaubs in der Door County. Es wäre meiner Mutter nicht im Traum eingefallen, für die kurze Fahrt zu J. C. Penneys Warenhaus den Gurt herauszufummeln und ihn über meinem Schoß festzuzurren. Im Jahr 1963 hatte man noch nicht so viel zu befürchten.
Penney war das einzige Geschäft in unserer Stadt, das eine Rolltreppe vorzuweisen hatte, und diesen Status konnte es noch weitere acht Jahre behaupten. Als später ein großes Einkaufszentrum am Stadtrand gebaut wurde, zog auch J. C. Penney dorthin und gab den Standort in der Innenstadt auf. Zurück blieb ein ganzer Gebäudekomplex auf der Main Street, mit zugeklebten Schaufenstern und einem leeren Parkplatz. Das neue Einkaufszentrum besaß drei Rolltreppen und einen zentralen gläsernen Fahrstuhl mit goldfarbener Innenverkleidung und weißer Neonbeleuchtung. Die vier Kaufhäuser dort waren mindestens zweimal so groß wie unser altes J. C. Penney. Doch damals, 1963, war Penney noch das größte Geschäft der Stadt, und ich war davon überzeugt, dass es dort alles zu kaufen gab, was man sich nur denken konnte.
Nachdem wir ein Paar weiß-braune Schuhe erstanden hatten, die haargenau jenen glichen, aus denen ich herausgewachsen war, fiel meiner Mutter ein, dass sie einen von diesen neuen elektrischen Kaffeebereitern brauchte. Also fuhren wir mit der Rolltreppe nach oben in die Haushaltswarenabteilung.
Normalerweise hielt ich mich immer dicht bei meiner Mutter, und ich weiß nicht, was mich an jenem Tag überkam. Jedenfalls schlich ich mich heimlich davon, um die Bad- und Bettenabteilung zu inspizieren, während sie noch überlegte, ob sie das Modell für acht oder zehn Tassen nehmen sollte.
Während ich so zwischen den hohen Regalen voller Bettwäsche herumspazierte, bewunderte ich die feinen Borten und die Stickerei an den Ecken der Kopfkissenbezüge und bohrte mit dem Finger Löcher in die Zellophanverpackungen, damit ich über den frischen, glatten Stoff streichen konnte. Dabei staunte ich über die riesigen Stapel von Wäsche rings um mich her und stellte fest, dass ihr Weiß nicht einfach weiß war, sondern die unterschiedlichsten Nuancen aufwies, von Schneeweiß über Alabaster- und Marshmallowweiß bis hin zu einem zarten Perlton. Es war verblüffend.
Plötzlich hörte ich die Stimme meiner Mutter. Es klang wie der gleiche ruhige Singsang, mit dem sie mich jeden Abend zum Essen rief: »Eeeve-lyn.« Dabei lag die Betonung auf der ersten lang gezogenen Silbe, die in eine Art kurzes, tiefes Zirpen überging – der geheime Lockruf zwischen Henne und Küken. Ich folgte der Stimme meiner Mutter, doch als ich in der tiefen Schlucht zwischen den haushohen Wäschestapeln um eine Ecke bog, blieb ich plötzlich wie angewurzelt stehen.
Mein staunender Blick fiel auf Mitternachtsblau, bevor er weiter nach oben über Marine-, Königs- und Kobaltblau wanderte, um dann Aquamarin, Türkis, Avocado-, Moos- und Waldgrün zu streifen. An der Decke angelangt, senkten sich meine Augen erneut, an Reihen von Gelb – Zitronengelb, Neongelb und allen erdenklichen Schattierungen von Sonnengelb – entlang und weiter über Orange, Pfirsichrosa bis zu Rostrot, nur um vom Boden aus die Reise erneut in umgekehrter Richtung anzutreten. Ich stand vor einer Regalwand, vollgepackt mit Handtüchern. Sie leuchteten in allen Farben des Regenbogens. Beim Nähertreten hüllten mich die Farben förmlich ein, und auf einmal – warum, weiß ich bis heute nicht zu sagen – fühlte ich mich restlos glücklich.
Ich vergaß meine Mutter vollkommen, merkte überhaupt nicht, dass ihr Zirpen von einer Minute zur anderen lauter und dringlicher wurde. Wie ein Kunstliebhaber, der einen Schritt zurücktritt, um ein Gemälde besser auf sich wirken zu lassen, ging auch ich ein Stück rückwärts, bis ich gegen einen Schrank mit Duschvorhängen stieß. An ihm ließ ich mich langsam zu Boden gleiten, schlang die Arme um die hochgezogenen Knie und machte mich ganz klein. Vollkommen still hockte ich dort, hörte nichts und sah nur diese Farben vor mir, die ihre Pracht ganz allein für mich entfalteten.
Bis zu ihrem letzten Tag vergaß meine Mutter, wann immer sie die Geschichte erzählte, nie, ihre wachsende Panik zu erwähnen. Dann beschrieb sie, wie zahlreiche Verkäufer und Kunden die Gänge, Umkleidekabinen und Lagerräume nach mir durchkämmten, und schließlich, wenn sie ihre unsagbare Erleichterung schilderte, als ein Verkäufer für Spülmaschinen mich endlich fand, presste sie stets die Hände an die Brust, als schlüge ihr noch immer das Herz bis zum Hals. »Evelyn«, pflegte sie dann kopfschüttelnd zu sagen, »du warst immer so ein braves kleines Mädchen. Was ist damals bloß in dich gefahren?«
Ich fand nie die richtigen Worte, um es ihr zu erklären. Für meine Mutter war die Viertelstunde, in der ich »verloren gegangen« war, die reinste Hölle gewesen, für mich dagegen das Paradies auf Erden.
Diese Fülle an satten Farben schien zu mir zu sprechen. Es war, als ginge ich mit ausgestreckten Armen auf das Ende eines Regenbogens zu, nur um beim Näherkommen festzustellen, dass das, was ich von Weitem für bloße Lichtreflexe im Dunst gehalten hatte, in Wahrheit greifbar war, Substanz und Struktur besaß. Für mich lag etwas Tröstliches in der Art, wie die Farben in ihrer Anordnung dem Spektrum von Blau über Grün und Gelb nach Rot und wieder zurück zu Blau folgten. Besonders aufregend fand ich die Vorstellung, wie unendlich viele Kombinationen und neue Eindrücke sich ergäben, wenn man auch nur eine einzige Farbe (oder zwei oder zwanzig) von ihrem Platz entfernte und irgendwo anders wieder in die Reihen einfügte. Im Jahr 1963, als eine Schachtel Buntstifte gerade einmal vierundzwanzig Farben enthielt, war das eine Offenbarung für eine Fünfjährige.
Es gelang mir nie, meiner Mutter zu erklären, wie wichtig mir dieser Augenblick gewesen war, auch wenn ich später verstand, was meine Mutter empfunden hatte. Mein Verschwinden erinnerte sie daran, dass man in der kurzen Spanne, die es braucht, um sich zwischen zwei Kaffeemaschinen zu entscheiden – oder sich umzudrehen oder Luft zu holen –, das, was man am meisten liebt, für immer verlieren kann. Von einem Atemzug zum nächsten kann alles anders werden.
Vielleicht wacht man eines schönen sonnigen Morgens im Vorfrühling auf und ist glücklich. Man hat keine größeren Sorgen als die Qual der Wahl, was man dieses Jahr im Garten pflanzen soll oder welche Stoffe man im nächsten Quilt verarbeiten könnte. Und dann hat man eine Unterredung, oder das Telefon klingelt, oder der Laborbefund trifft ein, und alles, was so sicher schien, wird plötzlich infrage gestellt.
Das habe ich am eigenen Leibe erfahren, und eine Zeit lang sah es so aus, als sollte ich an dieser Erfahrung zugrunde gehen. Doch dann wurde mir etwas klar: Das Pendel schlägt immer in beide Richtungen aus.
Gerade noch steckt man so tief im Irrgarten der Verzweiflung, dass man die Hoffnung, jemals wieder glücklich oder auch nur zufrieden zu sein, schon fast aufgegeben hat. Und dann stolpert man mit unsicherem Schritt um die nächste Ecke und findet sich in einer völlig anderen Welt wieder. Zögernd, Schritt für Schritt, folgt man einem winzigen Gässchen mit Kopfsteinpflaster, das einem wie eine Sackgasse erscheint, biegt dann in das nächste ein – nicht hoffnungsfroh und zuversichtlich, sondern nur, weil es keinen anderen Weg gibt –, und plötzlich steht man zu seiner Überraschung in einem weiten, sonnenbeschienenen Hof, wo Topfgeranien in dichten scharlachroten Tuffs blühen und hinter Holztüren mit abgeblättertem Anstrich und rostigen Angeln die Träume schlummern.
Von einem Atemzug zum nächsten hat sich alles verändert. So schrecklich und so wunderbar ist das Leben. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Evelyn Dixon
Später sollte ich feststellen, dass auf dem Abschnitt der Autobahn 84 zwischen New York und Connecticut ständig Stau herrscht. Doch damals um ein Uhr nachts, noch rund achtzig Kilometer von meinem Ziel entfernt, war mein Wagen der einzige weit und breit auf der leeren Straße. Erst als ich den Streifenwagen im Rückspiegel sah, warf ich einen Blick auf den Tacho.
Hundertvierzig. Erwischt. Wütend über mich selbst trat ich auf die Bremse und fuhr rechts ran, noch bevor das flackernde Blaulicht nahe herangekommen war.
Der Polizist war ein nett aussehender junger Mann. Wenn er gelächelt hätte, wäre er Garrett auffallend ähnlich gewesen, doch seine Miene wirkte wie versteinert. Es war ein merkwürdiges Gefühl, einer Autoritätsperson im Alter meines Sohnes gegenüberzustehen, doch als er nach meinem Führerschein und dem Fahrzeugschein fragte, reichte ich ihm folgsam die Papiere.
»Ist Ihnen klar, wie schnell Sie gefahren sind, Ms Dixon?«
»Ungefähr hundertvierzig«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Schwindeln hatte keinen Sinn, da er es sowieso schon wusste; außerdem bin ich eine miserable Lügnerin. »Ich bin heute Morgen von Nashville aufgebrochen und wollte in einem Rutsch bis nach New Bern durchfahren, aber ich bin nicht absichtlich zu schnell gefahren. Die Straße war frei, und wahrscheinlich war ich in Gedanken versunken. Ich habe gar nicht gemerkt, wie schnell ich fuhr, bis Sie hinter mir auftauchten.«
Er blickte auf meinen Führerschein. »Sie sind aus Texas und fahren ganz allein die Strecke bis nach New Bern?« Ich nickte.
»Was führt Sie hierher?«
»Das ist eine ziemlich lange Geschichte.«
Drei Tage zuvor wäre mir der Gedanke, nach Neuengland zu fahren, so unwahrscheinlich vorgekommen wie die Vorstellung, ich sollte als Astronautin zur Internationalen Raumstation fliegen.
Doch als es an jenem Vormittag um Punkt halb elf an meiner Haustür klingelte, wusste ich, dass es der Mann von der Umzugsfirma Elite Moving and Storage war. Robs Sekretärin hatte mir einen Tag zuvor die Nachricht hinterlassen, dass ein Mr Lindsay mich wegen des Kostenvoranschlages und der Terminabsprache aufsuchen wollte. Er würde mir sagen, bis wann ich meine Sachen zu packen und das Haus zu räumen hätte, das während der vergangenen zwanzig Jahre mein Heim gewesen war. Wie Rob trug auch Mr Lindsay auf Hochglanz polierte braune Cowboystiefel und lächelte breit, als er sich an meinem Küchentisch niederließ, ein Clipboard aus der Aktentasche zog und Formulare auszufüllen begann. Er war mir auf Anhieb unsympathisch.
»Und zu welcher Adresse sollen wir Ihre Sachen bringen?«, fragte er, ohne aufzublicken.
»Das weiß ich nicht.«
Er hob den Kopf und zog irritiert die Augenbrauen hoch. »Mrs Dixon, ich kann Ihnen keinen Preis für den Umzug nennen, wenn ich nicht weiß, wie weit die Strecke ist.«
»Tut mir leid, Mr Lindsay, aber ich weiß es auch noch nicht!«, entgegnete ich schroff. »Und wenn Ihnen oder Ihrer Firma oder Rob Dixon das nicht passt, dann ist es mir, offen gestanden, schnurzpiepegal. Schließlich habe ich Sie nicht hergebeten!«
Unbeherrschtheit war eigentlich überhaupt nicht meine Art. Seit Wochen hatte ich praktisch ununterbrochen geweint, und jetzt raunzte ich hier einen vollkommen fremden Menschen an. Ich erschrak über mich selbst, doch Mr Lindsay, der offenbar zwei und zwei zusammenzählte, ließ sich nichts anmerken. Er senkte die Brauen wieder und setzte eine Miene routinierten und wenig überzeugenden Mitgefühls auf. Fälle wie meiner waren ihm schon öfter untergekommen.
»Es tut mir leid, Mrs Dixon. Ich wusste nichts von den Begleitumständen Ihres Umzugs. Ich weiß, wie schwer das alles für Sie sein muss; eine Scheidung ist immer unangenehm. Aber bitte glauben Sie mir, ich möchte Ihnen nur helfen. Soweit ich weiß, wollen die neuen Besitzer am Fünften einziehen, und das bedeutet, Sie müssten das Haus bis Ende nächsten Monats geräumt haben. Wann werden Sie voraussichtlich alles geplant haben?« Er sprach mit gleichmäßiger Stimme und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
Ich seufzte. »Ich habe mir schon mehrere Eigentumswohnungen in der Nähe angesehen, aber noch keine Entscheidung getroffen. Nicht, dass es da große Unterschiede gäbe. Sie sehen alle gleich aus – eine winzig kleine Küche mit Arbeitsplatten aus unechtem Granit, weiß gestrichene Wände, gläserne Schiebetüren, durch die man auf eine triste, fünf mal fünf Meter große Betonfläche guckt, die als Patio bezeichnet wird. Eine Wohnung ist so deprimierend wie die andere.«
»Wissen Sie, es gibt da eine Wohnanlage, in der wir schon mehreren Damen in Ihrer Situation eine Wohnung vermittelt haben. Sie fühlen sich dort sehr wohl«, erwiderte er strahlend.
»Ich verstehe. Sie meinen wohl ein Zentrallager für verlassene Frauen. Eine Art Speicher, wo man Frauen ablädt, die ihr Verfallsdatum überschritten haben und durch neuere Modelle ersetzt wurden. Wie praktisch.« Es war sinnlos, meine Wut an diesem Mann auszulassen, doch ich konnte mich einfach nicht beherrschen. Es schien ihm jedoch nichts auszumachen. Er ignorierte meine sarkastischen Bemerkungen und fuhr fort: »Meine Schwägerin arbeitet in einem Maklerbüro. Kennen Sie die Anlage Rolling Hills am River's Edge? Wenn Sie wollen, rufe ich Beverly an und ...«
Ich schüttelte den Kopf. »Meinen Sie die Häuser drüben am Alamo Drive? Wo es – anders, als der Name vermuten lässt – weder Hügel noch einen Fluss gibt? Nein danke.«
Mr Lindsay lachte leise. »Na ja, was den Namen angeht, haben sie sich vielleicht ein bisschen dichterische Freiheit erlaubt, das muss ich zugeben. Zwischen hier und Austin liegen wirklich keine nennenswerten Hügel, aber einen Fluss wird es bald geben. Beverly sagte mir, dass sie nächste Woche mit den Ausschachtungsarbeiten anfangen.«
»Ein künstlicher Fluss?« Ich lachte. »Danke, Mr Lindsay, aber von solchen Sachen habe ich die Nase voll – Plastikblumen, Schränke aus Spanplatten, Siedlungen vom Reißbrett, Freunde, die sich nicht mehr blicken lassen, gebrochene Versprechen, ein verlorenes Zuhause. Ich will etwas Echtes. Imitationen habe ich satt und diese Unterhaltung übrigens ebenfalls.« Die Stuhlbeine scharrten über den Fußboden, als ich aufstand. Mr Lindsay wirkte überrascht und ein wenig verwirrt.
»Mrs Dixon, ich weiß, dass Sie verärgert sind, aber wir müssen jetzt wirklich zu einer Entscheidung kommen ...«
»Nein.« Erneut schüttelte ich den Kopf. »Wir müssen gar nichts. Und ich werde auch nichts tun. Jedenfalls nicht heute. Es tut mir leid, dass Sie sich umsonst herbemüht haben, Mr Lindsay, aber das hier ist immer noch mein Zuhause.«
Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen, doch meine Stimme hatte ich noch einigermaßen in der Gewalt. »Sie sollten jetzt besser gehen.«
Als ich vorausging und ihm die Haustür öffnete, dachte ich, dass für mich das Gleiche galt.
Bald darauf fand ich mich am Steuer meines Wagens auf dem Weg nach Nordosten wieder. Im Kofferraum lag mein Gepäck. Ich hatte keinen Schimmer, wohin ich überhaupt wollte, doch als ich mich der Stadtgrenze näherte, fiel mir ein, dass ich lieber jemandem Bescheid sagen sollte. Ich rief also das Büro meines Sohnes in Seattle an.
»Claremont Solutions. Garrett am Apparat.«
»Hallo, Schatz, ich bin's, Mom.«
»Hallo, Mom. Ist mit dir alles in Ordnung?« Garrett ist mein einziges Kind. Er ist ein guter Sohn und hat sich nach der Scheidung noch mehr um mich gekümmert als zuvor schon.
»Ja, mir geht's gut, Schatz. Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich verreise.«
»Das ist ja großartig«, erwiderte er vorsichtig. »Ich rede dir ja schon seit Monaten zu, mal Urlaub zu machen, damit du nicht dauernd zu Hause herumsitzt und Trübsal bläst. Aber das kommt jetzt doch ein wenig überraschend. Wo soll's denn hingehen?«
Plötzlich wusste ich es. »Nach Neuengland, das bunte Herbstlaub ansehen. Ich wollte schon immer mal dorthin, aber dein Dad hatte keine Lust. Seine Vorstellung von Urlaub beschränkte sich darauf, am Strand in der Sonne zu braten, auch wenn ich die ganze Zeit unter einem Sonnenschirm hocken musste.«
Ich habe eine sehr helle Haut. Zwanzig Minuten in der prallen Sonne genügen, und ich bekomme einen scheußlichen Sonnenbrand. Selbst nachdem mir vor einigen Jahren ein bösartiges Muttermal an der Schulter entfernt werden musste, buchte Rob weiterhin Strandurlaub. Ich wusste, dass ich meinen Sohn nicht mit meiner Verbitterung über seinen Vater belasten sollte, doch manchmal konnte ich meine Wut einfach nicht hinunterschlucken.
Als Garrett nach seinem Collegeabschluss eine Stelle als Programmierer in Seattle annahm, war ich sehr enttäuscht. Ich hatte gehofft, er würde näher bei uns leben, sodass er im Urlaub und an den Wochenenden ab und zu vorbeikommen könnte. Doch nun war ich beinahe froh darüber, dass er so weit weg wohnte. Auf diese Weise bekam er es wenigstens nicht mit, wenn Rob und ich einander mit Vorwürfen bombardierten und unsere Kämpfe mithilfe von Anwälten austrugen. Wie schlimm es auch sein mochte, ich wollte doch nie, dass Garrett mit hineingezogen wurde.
»Das klingt wirklich toll, Mom«, antwortete Garrett, ohne auf meine spitze Bemerkung einzugehen. »Weißt du schon, wann du zurückkommst? Wo wirst du wohnen?«
Ich lächelte vor mich in. »Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Ich werde wohl bleiben, wo es mir gefällt, und zurückkommen, wenn ich Lust dazu habe.«
Ich hörte, wie Garrett mit dem Finger gegen den Telefonhörer tippte. »Hallo, Vermittlung? Entschuldigen Sie, aber da stimmt etwas nicht mit der Leitung. Mir war so, als hätte ich meine Mutter sagen hören, dass sie keine Pläne gemacht hat. Und das ausgerechnet von Evelyn Dixon, Vorsitzende der jährlichen Versteigerung zugunsten des Jugendclubs, aktives Mitglied des Presbyteriums, des Beirats der Kinderbücherei, der Nachbarschaftshilfe und anerkannt beste Organisatorin von ganz Texas. Das muss ich einfach falsch verstanden haben.« Als er lachte, musste ich ebenfalls lächeln. Wie miserabel es mir auch ging, Garretts Lachen hatte es noch jedes Mal geschafft, mich aufzuheitern.
»Ich weiß, das sieht mir nicht ähnlich, aber wie du wahrscheinlich bemerkt hast, bin ich mit meinem normalen Verhalten in letzter Zeit nicht gut weggekommen. Da dachte ich mir, ich probiere mal was Neues aus und werde spontan und unberechenbar.«
»Ich verstehe«, sagte Garrett mit gespieltem Ernst. »Und wie läuft das bisher so?«
»Na ja, da ich noch nicht einmal aus Texas raus bin, ist die Frage noch ein wenig verfrüht. Im Moment fühle ich mich besser als seit Langem, aber das wird wohl kaum so bleiben. Genau jetzt erfährt dein Vater wahrscheinlich von so einem Speditions-Cowboy, dass ich ihn an die Luft gesetzt und mich geweigert habe, einen Termin für meinen Umzug zu machen. Und dann dauert es bestimmt nicht mehr lange, bis Rob mich auf dem Handy anruft und mich fragt, ob ich den Verstand verloren habe.« Ich kicherte. »Ich weiß nicht, vielleicht habe ich das ja wirklich. Meinst du, ich sollte es ihm verraten?«
»Nicht nötig. Ich wette, er weiß es schon. Er weiß ja immer alles im Voraus«, erwiderte Garrett scherzhaft, doch dann wurde er ernst.
»Hör mal, Mom, ich muss jetzt wieder an die Arbeit, aber ich finde es ganz großartig, dass du mal für ein paar Tage wegfährst. Bis zum Umzug bleibt dir noch jede Menge Zeit, und wenn alle Stricke reißen, setze ich mich ins Flugzeug und komme runter, um dir beim Packen zu helfen.«
»Danke, mein Liebling, aber das wird nicht nötig sein. Ich bin bestimmt rechtzeitig zurück, aber trotzdem vielen Dank für das Angebot.«
Ich drückte die »Beenden«-Taste. Im Rückspiegel sah ich, wie die Skyline der klimatisierten Hochhaustürme, die aus der flachen Landschaft ragten, sich langsam in der Ferne verlor.
Dann drehte ich das Radio lauter, um die scheppernde elektronische Version von Your Man zu übertönen, die immer dann erklang, wenn Rob mich auf dem Handy anrief, und setzte meinen Weg nach Nordosten fort.
Der junge Polizist starrte mich an und wartete auf meine Antwort.
»Was mich nach Connecticut führt? Ach, nur so eine Idee. Ich wollte schon immer mal den Indian Summer sehen.«
Er nickte langsam. Vermutlich überlegte er, ob er mich ins Röhrchen pusten lassen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Vielleicht erinnerte ich ihn an seine Mutter.
»Tut mir leid, dass Ihre Reise gleich mit einem Strafzettel beginnt, aber so schnell, wie Sie gefahren sind, bleibt mir nichts anderes übrig«, sagte er, während er etwas auf seinen Block kritzelte. Dann riss er das Blatt ab und reichte es mir.
»Willkommen in Neuengland, Ms Dixon.«
Evelyn Dixon
Als ich an jenem Tag im Ortskern stand und mich langsam um die eigene Achse drehte, dachte ich, dass New Bern in Connecticut genau so aussah, wie ein Städtchen in Neuengland aussehen sollte. Dieser Meinung bin ich noch immer.
Das höchste Gebäude im Ort ist die Kirche der Kongregationalisten, die sich an der schmalen Westseite der Grünanlage befindet. Mit ihrer imposanten Fassade wirkt die Kirche wie ein Bindeglied zwischen Himmel und Erde, das an die Allgegenwart Gottes gemahnt. Ihre Türen und Fenster, in regelmäßigen Abständen unter dem weißen hölzernen Glockenturm in der Mitte angeordnet, sind ein Muster an Symmetrie. Neben der Kirche – und mit den gleichen einfachen weißen Holzschindeln verkleidet – erstreckt sich eine Reihe alter Wohnhäuser, die vermutlich aus dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts stammen und auf ziemlich kleinen Grundstücken stehen. Sie ähneln einander sehr, denn sie haben allesamt rechteckige Grundrisse, sind zwei Stockwerke hoch und mit einer breiten Veranda und einem steilen Dach versehen. Verglichen mit den Villen, welche die Elm Street, die wichtigste Wohnstraße des Ortes, säumen, nehmen sich die alten Häuschen recht bescheiden aus.
An der Elm Street sind die Grundstücke groß, zuweilen sogar riesig, und die Häuser decken die ganze Bandbreite der Baustile ab – vom Kolonialstil über den Federal Style bis hin zu griechischen und viktorianischen Anklängen. Auf den Plaketten an den Häusern findet sich das jeweilige Baujahr, das im Wesentlichen vom späten achtzehnten bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts datiert. Das neueste Gebäude stammt aus dem Jahr 1902. Geht man an einem Herbstnachmittag den Bürgersteig entlang, im Schatten der goldroten Ahornbäume, durch deren Blätterdach vereinzelte Sonnenstrahlen dringen, dann rechnet man fast damit, dass jeden Augenblick ein Herr mit Gehrock und Zylinder oder eine Dame mit Reifrock und Handschuhen aus Klöppelspitze das kleine Tor eines der weißen Staketenzäune öffnet und einem einen guten Tag wünscht. In New Bern zeigt sich auf Schritt und Tritt, wie rührig und einflussreich der örtliche Denkmalschutzverein ist.
In diesem Ort sind Wohnen und Gewerbe nicht streng voneinander getrennt. Daher haben es die Einwohner auch zu Fuß nicht weit bis zu der kleinen, aber vielfältigen Auswahl an Restaurants, Galerien, Antiquitätenläden und Boutiquen, die in zweistöckigen Backsteinhäusern mit handgemalten Ladenschildern untergebracht sind. Auf der Einkaufsstraße von New Bern, die sinnigerweise Commerce Street heißt, gibt es keine einzige Neonreklame, und obgleich die Dorfläden sich auf das Geschäft mit den Touristen spezialisiert haben,. vermittelt der Ort eine ursprüngliche Atmosphäre. (Allerdings hätte man Schwierigkeiten, im Ortskern einen Liter Milch oder ein Päckchen Schnürsenkel zu bekommen, da derart profane, aber unverzichtbare Artikel durchweg in schmucklosen Betonklötzen entlang der Ausfallstraße angeboten werden.)
Auf meinem Rundgang durch das Städtchen, bei dem ich Pläne für den restlichen Tag schmieden wollte, stellte ich zufrieden fest, dass die Waren in den Schaufenstern weder überteuert noch allzu kitschig waren. Nirgendwo wurden T-Shirts angeboten, deren Aufdruck verkündete, dass die Freundin, Oma oder Ehefrau des Trägers in New Bern gewesen war und ihm nichts als ein lausiges T-Shirt mitgebracht hatte. Auch hatten die Ladeninhaber darauf verzichtet, ihre Geschäfte mit der altertümelnden Bezeichnung shoppe zu versehen. Ich freute mich auf einen kleinen Bummel, doch vorerst erinnerte mich mein knurrender Magen daran, dass ich noch nichts gegessen hatte.
Mir standen drei oder vier Restaurants zur Auswahl, die alle einen guten Eindruck machten. Schließlich entschied ich mich für eins mit dem Namen »Grill am Anger«. Trotz der frühen Stunde war es brechend voll, und es dauerte einige Minuten, bis man mir einen Tisch zuwies. Während ich wartete, fiel mir auf, dass zwar viele der Gäste Touristen waren (sie verrieten sich durch die Tragetaschen und Fotoapparate), doch der gut aussehende grauhaarige Herr, der die Gäste zu ihrem Platz führte, begrüßte viele von ihnen mit Vornamen, wobei er den Damen einen Kuss auf die Wange gab und den Männern lachend die Hand schüttelte. Offensichtlich war das Lokal bei den Einheimischen ebenso beliebt wie bei Fremden. Der Grund dafür war unschwer zu erkennen: Die Atmosphäre hier war gediegen, aber nicht steif, und die in einem warmen Gelb gehaltenen Wände mit ihrer halbhohen ziegelroten Vertäfelung sowie die schlichten schwarzen Windsorstühle an den weiß gedeckten Tischen strahlten Gemütlichkeit aus. Und das Essen war einfach göttlich! Der Endiviensalat mit Hühnchen, den ich bestellte, war mit das Leckerste, das ich jemals gegessen hatte. Normalerweise esse ich höchst ungern allein, weil ich mich dabei immer unbehaglich fühle, doch hier, mit einem großen Glas Pinot Grigio vor mir auf dem Tisch, während eine laue Herbstbrise durch die geöffneten Türen zum Innenhof wehte und im Hintergrund angenehm leises Stimmengemurmel ertönte, konnte ich nur zufrieden lächeln.
Als Abschluss des Mahls brachte mir die Kellnerin einen Cappuccino. »Sind Sie für einen Tag von New York hergekommen?«, erkundigte sie sich.
»Nein, aus Texas. Ich habe mir für ein paar Tage ein Zimmer im Gasthof genommen. Ich wollte schon immer mal Neuengland im Herbst sehen.«
»Texas?«, fragte sie und blickte mich interessiert an, während sie die Tasse abstellte. »Das ist aber ein weiter Weg. Auf jeden Fall sind Sie genau zur rechten Zeit gekommen. Das Wetter ist herrlich, und am Wochenende wird es hier bestimmt brechend voll.«
»Das kann ich mir vorstellen. Sind hier immer so viele Touristen?«
Sie schüttelte den Kopf und stellte eine kleine Keramikschüssel mit rosa, blauen und weißen Zuckertütchen neben meine Tasse. »Wir haben regelmäßig Wochenendgäste aus New York, aber für ein richtiges Touristenziel sind wir zu weit von der Stadt entfernt – hier geht es nicht so zu wie in den Hamptons oder so. Mir kann das nur recht sein.« Sie grinste. »Ich war einmal übers Wochenende in East Hampton und konnte gar nicht schnell genug wieder nach Hause kommen – zu viele Menschen! Hier ist es im Sommer recht belebt, und natürlich kommen auch viele Besucher während des Indian Summers, aber der dauert ja nur ein paar Wochen. Die meisten Geschäfte machen siebzig Prozent ihres Umsatzes in nur etwa drei Monaten. Danach wird es hier ziemlich ruhig.«
»Ist es dann nicht schwierig, seinen Lebensunterhalt zu verdienen?«, fragte ich.
Die Kellnerin zuckte die Achseln. »In gewisser Weise schon. Wenn wir im Sommer schlechtes Wetter haben und die Touristen wegbleiben, kann es schwierig werden. Aber ich habe mein ganzes Leben hier verbracht und bin immer irgendwie durchgekommen. Wahrscheinlich würde ich woanders mehr verdienen, aber New Bern ist ein guter Ort, um meine Kinder großzuziehen. Außerdem glaube ich nicht, dass ich mit mehr Geld glücklicher wäre. Also werde ich wohl hier bleiben.«
Wir unterhielten uns eine ganze Weile, bis der Inhaber, der in der Nähe der Theke stand, die Kellnerin mit einem Blick an ihre Pflichten erinnerte.
»Darf ich Ihnen sonst noch etwas bringen?«, fragte sie rasch.
»Nein, danke. Nur die Rechnung.«
Sie zog die bereits ausgedruckte Rechnung aus der Tasche ihrer schwarzen Schürze und legte sie auf den Tisch. »Es war nett, mit Ihnen zu plaudern«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Aufenthalt. Wenn Sie Zeit haben, müssen Sie unbedingt ins Naturschutzgebiet fahren und dort einen Spaziergang machen. Um diese Jahreszeit ist es da wirklich schön.«
»Danke, das werde ich tun.«
Ich hatte eigentlich vorgehabt, nach dem Essen einen Schaufensterbummel zu unternehmen. Doch als neben mir ein ganzer Schwarm kamerabewehrter Senioren aus einem Reisebus quoll, überlegte ich es mir anders. Stattdessen überquerte ich die Straße und flanierte über den Dorfanger, in der Hoffnung, die Senioren würden sich bis zu meiner Rückkehr zerstreut haben.
»Dorfanger«, so erfuhr ich bald darauf, war eine nette, altmodische Bezeichnung für eine städtische Grünanlage, die in den meisten Dörfern Neuenglands den Ortskern markiert. In New Bern erstreckt sie sich in der Breite über einen Straßenzug und in der Länge über drei. An ihrer Längsseite, in Ost-West-Richtung, verlaufen die Commerce und die Elm Street, während sich Maple und Church Street an den Schmalseiten befinden. Diese vier Straßen sind die wichtigsten Verkehrswege des Ortes, während – wie ich später herausfand – an der Proctor Street, die parallel zur Elm Street verläuft, die stattlichsten Villen liegen. Die Anwesen, die im Besitz von alten, begüterten Yankeefamilien sind, machen von der Straße aus gesehen nicht viel her, da sie hinter Bäumen und Hecken vor neugierigen Blicken verborgen sind. Betritt man jedoch eines dieser Grundstücke, so entdeckt man, kaum dass man die Sichtschutzgehölze hinter sich gelassen hat, Tennisplätze, Swimmingpools und alte Remisen. Sie sind um große, stattliche Wohnhäuser gruppiert, die nur höchst selten den Besitzer wechseln. Die Familiennamen der Bewohner finden sich auf den ältesten Grabsteinen des Friedhofes wieder. In diesem Teil der Welt gilt es als bewundernswert, ein großes Vermögen anzuhäufen, doch man stellt es nicht zur Schau.
Gemächlich schlenderte ich durch den Park und blickte hinauf zu den leuchtend bunten Baumkronen. Einige der hohen Bäume standen dort gewiss schon seit Jahrzehnten, wenn nicht gar seit Jahrhunderten. Andere, mit noch schlanken, biegsamen Stämmchen, die man offensichtlich erst vor Kurzem gepflanzt hatte, waren ein wenig wahllos auf den Rasenflächen verstreut. In den unregelmäßig angelegten Beeten wuchsen winterharte gelbe und orangefarbene Chrysanthemen neben voll erblühten lila Hortensien und beinahe schon verwelkten langstieligen Geranien. Man hätte meinen können, die Natur dürfte sich in diesem Park nach Belieben austoben, wären da nicht die geraden gepflegten Wege gewesen, die den Park rechtwinkelig durchschnitten, bevor sie an dem Granit-Mahnmal für die Gefallenen des amerikanischen Bürgerkrieges zusammenliefen. So hatte man den Eindruck, der Mensch hätte der Natur eine gewisse Ordnung auferlegt und nutze sie für seine Zwecke, jedoch stets respektvoll und mit leichter Hand. Es schien, als wären die Einwohner von New Bern nicht so vermessen zu glauben, sie könnten die Natur vollkommen beherrschen.
Es sieht aus wie ein Quilt, dachte ich bei mir, während ich auf das Kriegerdenkmal zuschritt. All die Flecken in unterschiedlichen Grüntönen bilden zusammen ein Ganzes. Deshalb fühle ich mich hier auch so wohl.
Meinen ersten Quilt hatte ich vor fünfundzwanzig Jahren gefertigt, als ich mit Garrett schwanger war. Von dem Augenblick an ließ mich das Quilten nicht mehr los. Ich liebe Quilts, ihre geometrischen Muster mit den unendlichen Kombinationsmöglichkeiten, die sich durch die unterschiedliche Anordnung von simplen geraden Linien ergeben. Die Ordnung und Präzision des Quiltens sprechen die Seite in mir an, die dem Chaos des Lebens entfliehen will, wogegen die unbegrenzten Möglichkeiten der Farben, Stoffe und Muster meinem Verlangen nach einem Leben in Fülle entsprechen. Das Herrlichste am Quilten ist die Tatsache, dass ein ganzes Stadion voller Menschen ein und dasselbe Muster verwenden könnte, und doch kämen dabei am Ende keine zwei völlig gleichen Quilts heraus. Ganz egal, wie ungeübt oder zaghaft eine Frau auch sein mag, beim Quilten ist jede eine Künstlerin. Ob mit Bedacht oder unabsichtlich – immer enthüllt ein Quilt ein Stückchen Wahrheit.
Als ich die Parkanlage verließ und mich den spärlicher werdenden Grüppchen der Touristen anschloss, um die letzten Strahlen der Spätnachmittagssonne auszukosten, ging mir durch den Kopf, dass ich auch hier auf ein Stückchen Wahrheit gestoßen war – auf ein Städtchen, das sich einfach gab, wie es war. Hier wäre niemand auf die Idee gekommen, einen Fluss an einer Stelle anzulegen, wo die Natur keinen vorgesehen hatte. Niemand würde die Landschaft mit irgendwelchem süßlichen Kitsch verschandeln, nur weil die Umfragen eines Meinungsforschungsinstituts behaupteten, die Leute wollten es so haben. Hier waren die Gehsteige stellenweise uneben, und aus den Ritzen zwischen den Pflastersteinen spross das Gras. Als ich am Grill am Anger vorüberkam, wo noch immer zahlreiche Gäste bei Kaffee oder Dessert saßen, blickte ich auf und sah, dass das handgemalte hölzerne Gasthausschild schadhafte Stellen aufwies, wo es vermutlich einst von Hagelkörnern getroffen worden war. Keinem Menschen war es in den Sinn gekommen, die Farbe aufzufrischen, um die Spuren des Winters zu tilgen und so zu tun, als wäre das Schild neu und unversehrt. Die Bewohner und Geschäftsleute von New Bern strebten nicht nach Perfektion, denn sie wussten sehr wohl, dass es gerade das Unvollkommene war, das ihrem Ort seine Authentizität verlieh.
Eine der ersten Weisheiten, die eine Anfängerin über das Quilten lernt, ist, dass die Amischen, deren schlicht gemusterte Quilts zu den kunstvollsten der Welt gehören, stets einen Fehler in ihre Werke einbauen, da sie der Meinung sind, menschliches Streben nach Vollkommenheit sei eine Beleidigung Gottes. Selbstverständlich wissen die meisten Quilterinnen, dass man sich keine Mühe zu geben braucht, um die Arbeit unvollkommen zu machen, denn das wird sie von ganz allein. Ich kann also nicht beurteilen, ob es sich bei der Amischen-Geschichte vielleicht nur um eine Legende handelt. Doch die Vorstellung, die dahintersteckt, klingt überzeugend.
Wenn es so etwas wie menschliche Vollkommenheit gäbe, dann würde das die Existenz eines allgemeingültigen Schönheitsideals voraussetzen – die Existenz einer einzigen Antwort auf alle Fragen. Und vielleicht gibt es das auch für Menschen wie Mr Lindsay, die keinen Unterschied zwischen einem natürlichen und einem künstlich angelegten Fluss erkennen können und nicht einsehen, warum man einen Quilt mühsam von Hand nähen sollte, wenn es mit der Maschine doch so viel schneller geht oder man ihn gleich fix und fertig für neunundvierzig fünfundneunzig beim Discounter kaufen kann. Schließlich bezahlt man allein schon für den Stoff mehr. Vielleicht können Leute wie er einfach nicht begreifen, welche Schönheit und Erhabenheit im Unvollkommenen liegt. Aber ich möchte wetten, die Amischen verstehen es, ebenso wie die junge Kellnerin, die für ein glückliches Leben ein geringeres Einkommen in Kauf nimmt, und auch der Inhaber des Restaurants, der sein Ladenschild nicht ausbessern lässt, weil er weiß, dass der Weg zur Vollkommenheit über Tradition und Beständigkeit führt. Sie alle verstehen es. Und ich auch.
Das war vielleicht auch der Grund dafür, dass ich mich nach wenigen Stunden in diesem Städtchen wohler fühlte als in den zwanzig Jahren, die ich in einer am Reißbrett entworfenen Schlafstadt verbracht hatte.
Wie merkwürdig, dass ich mich unter Fremden so zu Hause fühle, dachte ich, als ich mich anschickte, das Antiquitätengeschäft zu verlassen, in dem ich gestöbert hatte, und den Abschiedsgruß des Inhabers mit einem Winken beantwortete. Wenn ich an Wiedergeburt glauben würde, könnte ich auf die Idee kommen, ich hätte schon einmal in New Bern gelebt. Das ist natürlich unmöglich, denn hier gibt es keinen Quiltladen, und für mich wäre es undenkbar, an einem Ort ohne Stoffgeschäft wiedergeboren zu werden. Wenn dieser kleine Makel nicht wäre, würde ich hier nie wieder wegwollen.
Es war kurz vor fünf, und die ersten Geschäfte schlossen. Ich war beinahe am Ende der Commerce Street angelangt, auf der ich mir jeden einzelnen Laden angesehen hatte. Für den nächsten Tag nahm ich mir vor, den Rat der jungen Kellnerin zu befolgen und das Naturschutzgebiet zu erkunden. Es wäre also vernünftig gewesen, zum Gasthof zurückzukehren und früh schlafen zu gehen, aber dazu hatte ich einfach noch keine Lust. Der Tag sollte noch nicht zu Ende sein. In der Bäckerei an der Ecke, wo ein Schild für frische Plätzchen und starken Kaffee warb, herrschte noch immer ein lebhaftes Kommen und Gehen. Eigentlich hatte ich keinen Hunger, doch es erschien mir verlockend, den Nachmittag bei einer Tasse Kaffee ausklingen zu lassen.
Die Sonne stand bereits tief am Himmel, und es wurde langsam kühl. Die Hände in den Manteltaschen vergraben, eilte ich zu der Bäckerei. Ich war schon fast an der Tür, da hörte ich ganz in der Nähe einen Vogel zwitschern. Wenn der Vogel nicht in diesem Augenblick gerufen hätte, wäre es mir nie aufgefallen, doch so drehte ich den Kopf, um zu sehen, woher der Laut kam, und erblickte zwischen den beiden Häusern, an denen ich soeben vorübergegangen war, eine Lücke. Es war ein schmaler Durchgang mit altmodischem Kopfsteinpflaster, gerade breit genug für Fußgänger, doch zu schmal für ein Auto. Ein verwittertes Schild an einer der Backsteinmauern trug die Aufschrift »Cobbled Court« und darunter einen Richtungspfeil.
Das Gässchen war unbeleuchtet, und selbst wenn es dort weitere Geschäfte geben sollte, hatten sie bestimmt schon geschlossen. Doch dann siegte meine Neugier. Ohne Rücksicht auf die Schäden, die das Pflaster meinen hohen Absätzen zufügte, machte ich mich daran, den Durchgang zu erkunden, der wahrscheinlich nur zu den Hintertüren einiger Läden führte, wo es nichts weiter zu sehen gab als leere Kisten und Abfalleimer. Aber man sollte eben nicht immer auf die Wahrscheinlichkeit vertrauen, sondern manchmal auch seinem Instinkt folgen.
Die dunkle, enge Passage mündete in einen weiten, gepflasterten Hof, groß genug, dass das Sonnenlicht hineinfallen konnte. Als ich aus dem dämmrigen Gässchen in das lichtdurchflutete Karree trat, war mir, als beträte ich eine verborgene Welt, die es vor meiner Ankunft noch gar nicht gegeben hatte.
Im rechten Winkel zu dem Gässchen, durch das ich gekommen war, zweigte ein weiterer Durchgang von dem Hof ab, der, wie ich annahm, zur Maple Street führte. Auf diese Weise wäre der Hof von den beiden Hauptstraßen des Ortes aus zu erreichen. Der kleine Platz wurde von einigen Läden gesäumt; es gab einen Geschenkeladen, eine Kunstgalerie und eine Anwaltskanzlei. Doch wie ich mir schon gedacht hatte, waren sie alle bereits geschlossen.
Ein Ladenlokal war wesentlich größer als die anderen; es nahm das gesamte Erdgeschoss eines Hauses ein. Seinem Aussehen nach zu urteilen, stand es schon seit geraumer Zeit leer. Die rote Farbe der Holztür war abgeblättert, und das große in einen Erker eingelassene Schaufenster, das aus Dutzenden kleiner Einzelscheiben bestand, war verdreckt und voller Spinnweben. Als ich näher trat, entdeckte ich ein verblichenes »Zu vermieten«-Schild am Fenster.
Mit dem Ärmel wischte ich eine der Scheiben sauber und warf einen Blick in den Laden, der innen noch größer wirkte als von außen. Ich konnte den Steinboden erkennen und eine verschrammte Ladentheke mit einer altmodischen schwarzen Kasse darauf, die bestimmt seit Jahrzehnten nicht mehr geklingelt hatte.
Das Ganze war schrecklich heruntergekommen. Wasserflecke an den Wänden zeugten von geborstenen Wasserrohren, einem undichten Dach oder beidem. Mehrere Fensterscheiben waren zu Bruch gegangen, und eine fehlte ganz. Als ich mich vorbeugte, schlug mir ein feuchter, muffiger Geruch entgegen, und an einigen Stellen waren die Fensterrahmen morsch von Termitenfraß. Doch trotz allem sah ich, dass es früher einmal ein ganz entzückendes Geschäft gewesen sein musste. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie die kleinen Scheiben blitzten und funkelten, als sie noch neu waren, und wie einladend die frisch gestrichene rote Tür gewirkt haben musste. Im Geiste roch ich statt des Moders den Duft von Geranien, die in Töpfen unter dem Fenster wuchsen, und hörte das fröhliche Klingeling der Türglocke, die dem Ladeninhaber einen weiteren Besucher ankündigte. In meiner Fantasie konnte ich es alles genau sehen, doch als ich die Augen öffnete, stand ich wieder vor dem verfallenen Haus mit seinen vergessenen Erinnerungen.
Es muss einmal sehr hübsch gewesen sein, aber das ist schon lange her. Um es wieder so herzurichten, ist bestimmt einen Haufen Geld und jede Menge Arbeit nötig.
Aber das war mir egal.
Ich trat einen Schritt vom Fenster zurück und kramte in meiner Handtasche nach Zettel und Stift, um mir den Namen und die Telefonnummer des Maklers zu notieren. Das hier war es. Danach hatte ich gesucht, ohne es überhaupt zu wissen. Meine Stadt, mein Laden, mein Zuhause. Mein fast vergessener Traum hatte am Ende einer kleinen Sackgasse auf mich gewartet.
Erneut schloss ich die Augen, und wieder sah ich die glänzenden Fensterscheiben, die schimmernde Holztür und darüber ein handgemaltes Schild:
COBBLED COURT QUILTS
Ich hatte Glück. Obwohl ich außerhalb der Bürozeiten im Maklerbüro anrief, ging jemand ans Telefon. Wendy Perkins war gerade im Begriff zu gehen, doch da ihr Büro nicht weit entfernt war, wollte sie auf mich warten.
»Aber sind Sie auch sicher, dass wir beide von ein und demselben Haus sprechen?«, fragte sie zweifelnd. »Dieses große Ladenlokal am Cobbled Court? Das mit den zerbrochenen Scheiben?«
»Ja«, bestätigte ich ihr. »Ich stehe gerade davor. Rote Tür und Erkerfenster. Wie hoch ist die Miete?«
»Das weiß ich, ehrlich gesagt, gar nicht mehr. Es ist schon so lange her, dass sich jemand danach erkundigt hat. Ich müsste in den Unterlagen nachsehen, aber bis Sie hier sind, habe ich es herausgefunden.«
Als ich das Büro betrat, wurde ich überschwänglich von einer älteren Frau mit weißen hochtoupierten Haaren begrüßt. Sie trug eine mit Glitzersteinen besetzte Sonnenbrille und eine dazu passende Halskette, und ihre Hose war ihr eine Nummer zu klein. Immer wenn sie lachte – und das tat sie häufig –, zog sie die Nase kraus, schob unwillkürlich die zu einem U gerollte Zunge zwischen den Lippen hervor und stieß ein prustendes Geräusch aus. Sie erinnerte mich an die boshaft-witzige Telefonistin Ernestine, in einer wöchentlichen Fernsehserie, über die ich mich als junges Mädchen immer vor Lachen gekringelt hatte. Lily Tomlin hatte sie gespielt. Ich mochte Wendy Perkins vom ersten Augenblick an.
»Es muss hier irgendwo sein, Evelyn«, sagte sie mit gerunzelter Stirn und schob sich die Brille höher auf die Nase, während sie in ihrem Aktenschrank wühlte. »Ich werde es gleich haben. Die Unterlagen zu diesem Haus sind wahrscheinlich älter als ich.« Prust, prust!
Ihr Lachen war so unwiderstehlich, dass ich einfach einstimmen musste.
»Was hat das Haus für eine Geschichte?«
»Na ja, ursprünglich, um die Jahrhundertwende, war es eine Apotheke. Fielding Drug Emporium. Bis in die Sechzigerjahre hielt sich der Familienbetrieb, aber dann starb Jim Fielding plötzlich an einem Herzinfarkt, und das Geschäft musste schließen. Danach versuchten noch ein paar Boutiquen ihr Glück, aber dafür ist der Laden einfach nicht ideal. Zu groß und zu abgelegen, verstehen Sie? Man weiß gar nicht, dass es ihn überhaupt gibt, sofern man nicht zufällig durch das Gässchen geht. Am besten würde sich da ein Laden für die Katzen und Ratten im Hof halten.« Prust, prust! »Aber eine Futtermittelhandlung wollen Sie wohl eher nicht aufmachen, oder?« Prust!
Ich lächelte. »Nein, ich fürchte nicht. Ich bin Quilterin. Vor Jahren, als ich jung verheiratet war, träumte ich davon, meinen eigenen Quiltladen in Wisconsin zu eröffnen. Dort sind mein Mann und ich nämlich aufgewachsen. Ich war sogar schon so weit, mich nach einem Darlehen zu erkundigen und einen Unternehmensplan auszuarbeiten. Ich wollte anfangen, sobald mein Sohn in der Schule wäre und ich ein bisschen mehr Zeit hätte. Aber Sie wissen ja, wie es so geht. Meinem Mann wurde eine wesentlich besser bezahlte Stelle in Texas angeboten, die er einfach nicht ablehnen konnte. Damals dachte ich, dann würde ich meinen Laden eben in Texas aufmachen, doch die Stadt, in die wir zogen, förderte keine kleinen Gewerbebetriebe. Während wir dort wohnten, machten zwei Quiltläden auf. Die Inhaberinnen baten mich, Kurse bei ihnen zu geben, was ich auch mit Vergnügen tat. Außerdem half ich stundenweise im Laden aus. Doch letztlich konnten sie sich gegen die großen Stoffgeschäfte nicht behaupten und mussten aufgeben. Und ich hatte genug damit zu tun, meinem Sohn bei den Schulaufgaben zu helfen und arbeitete außerdem ehrenamtlich in der Gemeinde mit«, fügte ich achselzuckend hinzu.
»Es ist meine eigene Schuld, aber irgendwann gab ich meinen Traum und in gewisser Weise auch mich selbst auf. Wann das geschah, kann ich selbst nicht genau sagen, aber jetzt gehe ich auf die fünfzig zu und bin wieder Single. Und als ich heute dieses leere Ladenlokal sah, da wusste ich ... ich wusste einfach, dass ...«
Wendy ließ mich nicht aus den Augen, während ich sprach. Plötzlich kam ich mir blöd vor, dass ich einer Wildfremden meine Lebensgeschichte erzählte.
»Na, Sie wissen ja, wie es so schön heißt: Besser spät als nie!«, fügte ich lachend hinzu, doch diesmal lachte Wendy nicht mit. Sie beugte sich vor, bis die Federn ihres Schreibtischstuhles quietschten, und legte mir die Hand aufs Knie.
»Glauben Sie mir, Evelyn, ich würde dieses Geschäft gern machen. Aber Sie scheinen mir eine nette Dame zu sein. Also überlegen Sie es sich lieber noch einmal. Sie haben gerade eine Scheidung hinter sich. Vielleicht ist das nicht ganz der richtige Zeitpunkt, eine so wichtige Entscheidung zu treffen oder in eine Stadt zu ziehen, in der Sie niemanden kennen. In einer solchen Situation brauchen Sie einen Freundeskreis, alte Bekannte, die wissen, was Sie durchgemacht haben. Menschen, die Sie unterstützen.
Es ist ein bedeutender Schritt, den Sie da vorhaben, und ein kostspieliger obendrein. Ich kenne ja Ihre finanzielle Lage nicht, aber wenn es Ihnen so geht wie den meisten frisch Geschiedenen, dann ist es ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, ein finanzielles Wagnis einzugehen. Ich weiß, wovon ich spreche. Glauben Sie vielleicht, ich würde an einem Donnerstagabend um halb sieben noch im Büro sitzen und versuchen, Häuser zu verkaufen, wenn ich nicht müsste? In meinem Alter sollte ich in Florida am Strand sitzen und per Telefon mit meinen Kindern schimpfen, weil sie mich nie besuchen kommen.« Sie prustete erneut, aber nur halbherzig. Ihre Augen wurden sogleich wieder ernst.
»Und selbst wenn Sie sich von der Scheidung schon wieder erholt haben, sollten Sie praktisch denken. New Bern ist nicht groß genug für einen Quiltladen. Sie werden sich damit kein halbes Jahr halten.«
Abigail Burgess Wynne
Die Leute mögen mich.
Mir ist klar, dass das für manche unbescheiden, ja sogar arrogant klingen mag. Doch Bescheidenheit wird allgemein überschätzt, finden Sie nicht auch? Und außerdem trifft es in meinem Fall nun einmal zu. Die Leute mögen mich wirklich. Das war schon immer so, und wenn ich noch eine Bestätigung dafür gebraucht hätte (was nicht der Fall war), dann hätte ich sie gestern Abend bekommen.
Gestern, am 14. März, war mein zweiundsechzigster Geburtstag. Franklin Spaulding, seit Jahrzehnten mein Anwalt, gab mir zu Ehren eine Party im Grill am Anger. Absolut jeder, den ich kenne, war da, und obendrein noch ein paar Leute, die ich nicht kannte: Pfarrer und Diakone der Kongregationalistengemeinde (deren neuen Gemeindesaal ich bezahlt habe und deren Gottesdienste ich an hohen Feiertagen besuche), die Leiter der Wynne-Memorial-Bibliothek, Vertreter des örtlichen Frauenhauses, der Denkmalschutzgesellschaft von New Bern, der Naturschutzstiftung, der Konzertvereinigung und einiger anderer lokaler Organisationen, die auf meinen Rat und meine finanzielle Unterstützung bauen. Ganz zu schweigen von den Inhabern zahlreicher Geschäfte – Antiquitätenläden, Kunstgalerien, Designstudios, Boutiquen, Juweliergeschäfte, Restaurants und Buchläden –, bei denen ich Stammkundin bin, und dazu alle diejenigen, die ich aus dem Tennis-, Golf- und Reitclub kenne. Selbstverständlich hatten sie alle ihre Frauen, Lebensgefährten und sonstigen Angehörigen mitgebracht.
Die Partygäste waren so zahlreich, dass sie das gesamte Restaurant mit Beschlag belegten, was für auswärtige Besucher ziemlich frustrierend hätte sein können. Doch die Gefahr war nicht sehr groß. Den Touristen ist es noch zu kühl, und außerdem war es Donnerstag und damit noch nicht die Zeit für Wochenendausflügler. Die einzigen potenziellen Gäste des Grills waren also die Einheimischen, und die befanden sich, wie gesagt, allesamt auf meiner Party.
Selbstverständlich ist mir bewusst, dass sämtliche Gäste aus gutem Grund gekommen waren. Schließlich bin ich die reichste Frau in New Bern, vermutlich sogar in diesem Teil des Bundesstaates. Doch da bin ich mir nicht sicher. Franklin, mein Anwalt, kümmert sich um meine Geldanlagen und sonstigen finanziellen Angelegenheiten. Für die Details interessiere ich mich nicht besonders, doch Franklin sagt, ich hätte ausreichende Mittel, um es mir gut gehen zu lassen und in der Gemeinde als freigiebige Wohltäterin aufzutreten. Also tue ich beides. Meine Großzügigkeit könnte Sie auf den Gedanken bringen, dass viele meiner Geburtstagsgäste nur aus Pflichtgefühl gekommen sind – was ich ihnen auch nicht übel genommen hätte. Schließlich ist nichts daran auszusetzen, wenn man seine gesellschaftlichen Pflichten erfüllt – doch so war es nicht. Und das kann ich auch beweisen.
Irgendwann im Laufe des Abends musste ich zur Toilette und, da beide Kabinen besetzt waren, ein wenig warten. Dabei wurde ich unfreiwillig Zeuge einer interessanten Unterhaltung zweier Partygäste. Es ist schon komisch, dass Frauen lange, tiefschürfende Gespräche auf der Toilette führen, nicht wahr? Bei Männern kann ich mir das nicht vorstellen. Und ich selbst würde es auch gewiss nie tun, aber wenn man einen günstigen Standort wählt und sich ruhig verhält, kann man auf der Damentoilette eine Menge erfahren. Nun soll niemand denken, ich würde absichtlich lauschen, aber mal ehrlich, wen interessiert es nicht, was die Leute von einem denken? Es ist doch nicht meine Schuld, dass Frauen sich praktisch in aller Öffentlichkeit unterhalten müssen.
Eine der beiden war Grace Kahn. Ich kenne Grace schon seit vielen Jahren. Dreimal die Woche arbeitet sie ehrenamtlich in der Bücherei, und sie gehört auch dem Vorstand an. Bis sie sich vor einigen Monaten einer Knieoperation unterziehen musste, spielten wir vierundzwanzig Jahre lange jeden Mittwoch ein Tennisdoppel.
Die andere Stimme gehörte Margot Matthews, einer Frau, die ich erst an diesem Abend kennengelernt hatte. Ihr gehört ein kleines Kutscherhaus an der Marsh Lane, das sie bis vor nicht allzu langer Zeit nur am Wochenende bewohnte. Leute wie sie gibt es etliche in New Bern. Meist sind es New Yorker, die sich für die Wochenenden und die Sommerferien ein Haus auf dem Land zugelegt haben. Manchen Einheimischen sind sie ein Dorn im Auge, doch mir nicht. Die meisten von ihnen sind recht nette Leute, und außerdem fördern sie den Einzelhandel im Ort. Was gibt es daran auszusetzen? Ich fahre ja auch wegen der Annehmlichkeiten der Großstadt nach Manhattan. Warum sollten dann die Städter nicht das Recht haben, das Landleben zu genießen? Jeder braucht doch hin und wieder mal einen Tapetenwechsel.
Aber ich schweife ab. Ich sprach gerade von Margot Matthews.
Bis vor Kurzem arbeitete sie in Manhattan in der Marketingabteilung einer großen Firma, die Halbleiter oder etwas Ähnliches verkauft. Ich habe nicht so genau aufgepasst, als sie mir von ihrer Arbeit erzählte. Geschäftliche Dinge sind absolut langweilig. Doch als ich erfuhr, dass Miss Matthews als Kind Ballettunterricht genommen hatte, wurde das Gespräch wesentlich interessanter. Die Hobbys anderer Leute sind viel faszinierender als ihre Berufe, finden Sie nicht auch? Grace flüsterte mir ins Ohr, dass man die Ärmste freigestellt – also gefeuert – hatte und sie nun ständig in New Bern wohnen müsse, da sie aus finanziellen Gründen gezwungen sei, ihr Apartment in der Stadt zu vermieten, bis sie eine neue Stelle gefunden hat.
Sie war Grace aufgefallen, weil sie tagein, tagaus am gleichen Computer in der Bücherei saß und den Stellenmarkt im Internet durchforstete.
»Sie wirkte so verlassen. Sie kennt doch hier niemanden«, flüsterte Grace mir zu, während sie der jungen Frau zuwinkte, die soeben an der Theke ein Glas Wein trank. »Also lud ich sie ein, heute Abend mitzukommen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, Abigail.«
Natürlich hatte ich das nicht. Warum auch? Schließlich musste ich ja nicht gleich mit Margot Matthews Freundschaft schließen, und außerdem lerne ich gern neue Leute kennen. Und sie freuen sich, mich kennenzulernen, wie ich erfuhr, als ich in der Damentoilette das Gespräch zwischen Margot und Grace mit anhörte.
»Danke, dass du mich heute Abend mitgenommen hast, Grace. Ich kann dir gar nicht sagen, wie schön es ist, endlich mal wieder rauszukommen! Nachdem ich so viel Zeit damit verbracht habe, E-Mails an Personalabteilungen zu schicken, die nicht antworten, ist es einfach herrlich, sich mit echten Menschen zu unterhalten – besonders mit Abigail. Sie ist wirklich faszinierend! Ich konnte es gar nicht fassen, dass sie tatsächlich Michail Baryschnikow persönlich kennt. Es ist schrecklich nett von ihr, dass ich einfach so auf ihre Party kommen durfte.«
»Ich wusste, dass es ihr nichts ausmachen würde. Abigail trifft gern neue Leute. Die fragt sie dann mit Wonne aus, bis sie ein gemeinsames Gesprächsthema gefunden hat.« Grace lachte. »Ich glaube, sie betrachtet es als eine Art Herausforderung. Als müsste sie ein Rätsel lösen. Sie sieht dich mit ihren braunen Augen so eindringlich an, als wollte sie sich keines deiner Worte entgehen lassen. Und am Ende bist du natürlich hin und weg. Du kannst gar nicht anders. Jeder Einzelne in diesem Lokal ist Abigail auf die eine oder andere Weise verpflichtet, doch das ist nicht der Grund, warum sie alle heute hier sind. Selbst wenn Abigail nicht die große Wohltäterin der Stadt wäre, würde es keinem einfallen, nicht zu ihrer Geburtstagsparty zu kommen. Die Leute mögen sie eben.«
Sehen Sie? Was habe ich Ihnen gesagt?
»Wie habt ihr beide euch kennengelernt?«, wollte Margot wissen.
»Beim Tennis. Ich war jahrelang ihre Partnerin beim Doppel. Bis letztes Jahr spielte sie Doppel und Einzel. Abigail ist zehn Jahre älter als ich, aber auf dem Tennisplatz läuft sie mir noch davon. Sie ist sehr sportlich. Wandern, Reiten, Segeln – in jeder Sportart, die du dir nur denken kannst, ist sie ein Ass.«
»Wenn du es mir nicht verraten hättest, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass sie schon zweiundsechzig ist.«
»Sie sieht noch fantastisch aus, nicht wahr? Ihre Haut schimmert regelrecht, und es ist alles echt an ihr. Glaube ich zumindest.«
Ist es. Ich halte nicht viel von Schönheitsoperationen oder überhaupt von Kosmetik. Jeder wird schließlich älter, und ich verstehe nicht, warum die Leute so viel Geld und Zeit darauf verwenden, das Unvermeidliche zu verhindern. In meinem Alter ist, was die Schönheit angeht, der Zug sowieso abgefahren. Bestenfalls gilt man noch als gut aussehend, und sosehr ich mich bemühe, fit zu bleiben, benutze ich doch nie mehr als ein wenig Puder und Lippenstift. Was Make-up und Kleidung betrifft, so geht nichts über Schlichtheit. Mein Kleiderschrank ist voll von klassischen Stücken bester Qualität – gut geschnittene Wollhosen, Seidenblusen, eine Reihe Kaschmirpullover und, für feierliche Anlässe wie heute Abend, eine Auswahl an schwarzen Cocktailkleidern. Oh, und natürlich Schuhe. Gute Schuhe sind einfach ein Muss. Ich persönlich bevorzuge die von Stuart Weitzman, in klassischem Design und gerade ausgefallen genug, um interessant zu wirken. Und außerdem sind die Absätze nicht zu hoch, um darauf zu laufen – nicht weit, wohlgemerkt, aber weit genug. Wenn man sich gut gehalten hat, braucht man, was Mode angeht, nicht mehr. Noch ein paar ausgesuchte Schmuckstücke: eine Perlenkette, passende Ohrringe, ein hochwertiges Diamantarmband zum Tennisspielen und vielleicht noch einen einzigen spektakulären Ring, wie den riesigen gelben Diamanten, den Woolley Wynne mir schenkte, als er mir seinen Heiratsantrag machte.
»Ja, sie ist wirklich eine sehr ansehnliche Frau«, erwiderte Margot.
Vielen Dank, Margot.
»Du hättest sie sehen sollen, als sie noch jünger war. Da war sie einfach umwerfend! Sie sah aus wie Katherine Hepburn. Eigentlich erinnert sie mich noch immer an die Hepburn. Sie hat die gleichen fantastischen Wangenknochen und diesen forschen, federnden Schritt. Man merkt gleich, dass sie das Leben in vollen Zügen genießt. Und, na ja, ich will damit nicht sagen, dass sie eingebildet ist, aber sie ist einfach schrecklich gern sie selbst. Wenn sie sich nicht so sehr für andere Menschen interessieren würde, könnte man sie wahrscheinlich für arrogant halten, aber das ist sie nicht. Sie ist nur außerordentlich selbstbewusst, und das, glaube ich, finden die meisten Leute attraktiv. Und außerdem ist sie natürlich sehr gebildet. Sie kann über fast jedes Thema eine angeregte Unterhaltung führen ...«
Nun ja, das ist nicht allzu schwierig. Wenn die Leute mehr lesen würden, anstatt ihre Zeit vor dem Fernseher zu verplempern, ginge es interessanter auf der Welt zu. Ich finde, wir sind es den anderen schuldig, anregend oder zumindest nicht langweilig zu sein.
»... Aus diesem Grund ist sie auch ein so gern gesehener Gast auf Partys. Kannst du dir vorstellen, dass es in New Bern tatsächlich Leute gibt, die ihre Feiern abgesagt oder verschoben haben, als sie hörten, dass Abigail nicht kommen konnte?«
»Tatsächlich? Du machst wohl Witze?«
Margot musste lachen, was ich vollkommen verstehen konnte. Es ist wirklich zu albern, eine Feier einfach so abzublasen, nur weil ein einzelner Gast nicht kommen kann. Aber es ist wirklich schon einmal vorgekommen.
»Es stimmt«, bestätigte Grace. »Ich weiß, es klingt lächerlich, aber ich kann es den Leuten nicht verdenken. Wo Abigail auftaucht, wird ein Fest ein Erfolg. Wie eine Hummel von einer Blüte zur anderen schwirrt sie zwischen den Gästen umher, lässt hier und dort ein paar Bemerkungen fallen und befruchtet auf diese Art sozusagen die Unterhaltung, bevor sie wieder davonsummt. Plötzlich reden und lachen alle und amüsieren sich prächtig.«
Als in einer der Kabinen Papier raschelte, zog ich mich ein wenig zurück und legte sicherheitshalber die Hand auf die Türklinke.
»Sie scheint ja wirklich nett zu sein«, ertönte noch einmal Margots Stimme. »Du hast Glück, sie zur Freundin zu haben.«
»Freundin? Ich kenne Abigail schon so viele Jahre, doch dass wir Freundinnen sind, würde ich nicht behaupten.«
»Nein? Mit wem ist sie denn dann befreundet?«
Grace schwieg einen Augenblick; sie schien zu überlegen. »Ich glaube, sie hat gar keine Freunde. Jedenfalls nicht im landläufigen Sinne. Wie jeder andere kann ich Abigail schrecklich gut leiden, und sie mag uns auch, aber ich glaube nicht, dass sie uns als ihre Freunde betrachtet. So nah lässt sie niemanden an sich heran.«
Das Geräusch der Wasserspülung verriet mir, dass es Zeit war zu verschwinden, also schlüpfte ich unbemerkt aus dem Raum. Es wäre vielleicht ganz interessant gewesen, noch länger zuzuhören, aber im Grunde war es nicht nötig. Grace' Worte waren keine Überraschung für mich gewesen. Sie hatte vollkommen recht.
Ich mag Menschen, und sie mögen mich. Und ich mag mich auch selbst. Aber enge Freunde habe ich nicht, und ich wüsste auch nicht, wozu.
Ich finde Freunde nämlich außerordentlich lästig. Nur weil sie sich unserer Zuneigung sicher sind, zählen sie auf unsere finanzielle und emotionale Unterstützung, und zwar meistens dann, wenn es uns besonders ungelegen kommt. Vermutlich ist das der Grund, warum ich Freundschaften stets aus dem Weg gegangen bin.