Der Kontrolleur - Ron Monaco - E-Book

Der Kontrolleur E-Book

Ron Monaco

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Beschreibung

Kurzgeschichten für Erwachsene über Kontrolleure auf der Jagd nach scheinlosen Fahrgästen. Unter der Gürtellinie. Hier und da politisch inkorrekt, aber stets mit gesellschaftskritischem Augenzwinkern. Der erste Band mit sechzehn Geschichten. Von Ron Monaco, notorischer Schwarzfahrer aus dem Ruhrpott. Liebt frittierte Fleischkroketten mit Mayo, dazu Roggenwhiskey. Ansonsten wie du und ich.

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Seitenzahl: 155

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DER KONTROLLEUR

von Ron Monaco

Band 1

1. Auflage

Veröffentlicht bei Psychedelic Dungeon Records

Tonhallenstr. 61, 47051 Duisburg

Copyright © 2023 by Ron Monaco

Umschlagsfoto: CSA-Printstock

Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

www.derkontrolleur.shop

INHALT

Browarius – Der Einschiss

Rico und Nazz – Die dreiste Braut

Harry Windfort – Der Bulle

Kemal Yildiz – Kemal und der Student: Teil 1

Browarius – Der Schläferhund

Rico und Nazz – Der fliehende Holländer

Harry Windfort – Die Täuschung

Kemal Yildiz – Kemal und der Student: Teil 2

Browarius – Der Selbstbrenner

Harry Windfort – Das Sommerloch

Rico und Nazz – Die Bahnolympiade

Kemal Yildiz – Kemal und der Student: Teil 3

Harry Windfort – Der Adel

Rico und Nazz – Der Einstecker

Kemal Yildiz – Kemal und der Student: Teil 4

Browarius – Der verlorene Vierkant

Browarius – Der Einschiss

Zu spät:

Noch bevor Browarius die Hose unten hatte, schoss es aus ihm.

Übler Schmierschiss.

Er besemmelte die ganze Unterhose. Von da aus gelangte der Schiss in seine Diensthose. Der flüssige Teil lief an seinen Waden herunter.

Browarius kapitulierte. Er ließ den Scheiß einfach laufen. Er stöhnte und presste sich mit seinen Ellenbogen gegen die engen Plastikwände der Zugtoilette.

»Kurrrrrrrrwa!«, knurrte Browarius.

Nach zwei ewigen Minuten war es vorbei. Aus Reflex drückte Browarius die Toilettenspülung. Erst als die ohnehin schon verstopfte Toilette ein kümmerliches Sauggeräusch von sich gab, sah er, wie sinnlos die Aktion war.

Es hatte schon gestunken, als Browarius die Toilette betreten hatte. Jetzt gesellte sich noch seine eigene Scheiße hinzu. Der ranzige Gestank überkam ihn. Jedes Würgen presste seine blutunterlaufenen Augen aus ihren Höhlen. Tränen liefen seine roten Wangen herunter.

Browarius griff nach seinem Vierkantschlüssel und öffnete das kleine Fenster. Ein wenig besser, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zumal es ein warmer Maitag war, der die Luft in der kleinen Zugtoilette anheizte – und damit auch den Gestank.

»Kurwa, was soll ich jetzt nur machen?«, sagte Browarius, als er auf seine eingeschissenen Beine guckte. Quetschte er die Zehen, spürte er, wie viel Flüssigschiss in seinen Schuhen steckte.

Er zog sich bis auf das weiß gebliebene Feinripp-Unterhemd aus.

»Kurwa, zumindest Hose. T-Shirt ist egal. Nur Hose sauber machen und ich kann ruhig nach Hause fahren, kurwa.«

Er griff nach seiner vollgekackten Diensthose und warf sie ins Waschbecken. Browarius wedelte mehrmals mit seiner Hand vor dem Sensor, bis das Wasser anfing zu tropfen.

So beträufelte er die Hose nur. Als Browarius ein wenig Handseife an die bekackten Stellen schmierte, wurde alles noch schlimmer. Wegen des Toilettenpapiers staute sich das Wasser im Waschbecken und wurde immer brauner. Die Seife ließ das Siffwasser schäumen.

Browarius gab auf.

Er hoffte, die Schicht in der Toilette bis zur Endstation zu überstehen. Wenn alle Gäste ausgestiegen waren, könnte er die Toilette verlassen. Noch besser wäre es, so lange zu warten, bis der Zug wieder in die Maschinenhalle einfuhr. Dort stand auch sein Auto. Er wäre schnell und sicher auf dem Heimweg. Hauptsache, sein Chef blieb ahnungslos.

Plötzlich fiel ihm die Toilettentür ein. Das andauernde Besetzt-Zeichen würde spätestens dem zusteigenden Zweitkontrolleur auffallen.

Browarius fingerte einen gelben Zettel aus seiner Umhängetasche. Dann zog er zwei Klebestreifen heraus, die er auf die Rückseite des zusammengefalteten Zettels klebte.

Er atmete dreimal durch.

Mit einem Ruck schloss er die Tür auf und zog sie zu sich. Hastig klebte Browarius den Zettel an die Tür: »Toilette DEFEKT«. Der Wisch hielt nur mit Mühe. Erst als Browarius die Tür wieder schließen wollte, bemerkte er braune Fingerabdrücke auf dem gelben Zettel. Für Feinheiten war keine Zeit. Browarius drückte die Tür zu.

Während Browarius wartete, rauchte er Zigaretten, die er aus der bekackten Dienstjacke kramte. Das Rauchen tat gut, da es den Gestank in der Toilette übertünchte. Den Qualm blies er aus dem Fenster. Hoffnungsvoll drückte er noch ein paar Mal auf die Spülung. Vergeblich. Browarius verteilte die Papiertücher und das restliche Toilettenpapier im Raum, um es halbwegs menschlich einzurichten.

Auch wenn er weiterhin würgte, gewöhnte er sich an das Dixi-Klo auf Gleisen. Er war stolz, dass er nicht gekotzt hatte. Polnische Säufer-Ehre.

Und alles, weil er am Wochenende auf einer schlesischen Hochzeit gewesen war. Ein entfernter Cousin hatte geheiratet.

Auf der Hochzeit gab es schlesische Schweinereien, zu denen Bier als Beilage gereicht wurde. Zudem der für Polen bekannte, unendlich fließende Schnaps. Und zwischendurch konstant Kuchen, Torten und Gebäck.

Wer nicht aß, tanzte. Wer nicht tanzte, war fertig mit der Welt – und trank noch immer weiter. Browarius machte so drei Tage durch. An diesem Morgen kämpfte er sich müde und halbstramm zum Schichtbeginn im Regionalexpress.

Er wollte einen Gelben nehmen, aber Duvenbrecht, der neue Chef der Kontrolleure, hätte direkt Bescheid gewusst. Da die Hochzeit Donnerstagabend begann, hatte Browarius sich den Freitag frei genommen. Sein letzter freier Tag in diesem Jahr. Bei einem Fehlen durch Krankheit am Montag nach der Hochzeit, hätte der Chef Browarius einen Einlauf verpasst. Ohnehin bereitete ihm die harte Nuss Duvenbrecht seit seinem Amtsantritt ständig Probleme. Und jetzt noch so eine Scheiße.

Eine halbe Schachtel und zwei Stunden später. Der Zug hielt.

»Kurwa, hier ist Schichtende«, flüsterte Browarius und schaltete sein Kontrollgerät ordnungsgemäß ab.

Er blickte aus dem kleinen Kipp im Toilettenfenster und sah die vielen Unterkörper der Menschenmasse, die auf dem Bahnsteig verteilt war. Browarius bewegte seinen Kopf auf und ab. Aus Reflex suchte er nach dem Kollegen, der die Schicht übernehmen sollte.

Doch dann erinnerte Browarius sich an den gelben Zettel und entspannte sich. Denn der Zettel, der auf der Toilettentür klebte, sagte: DEFEKT. Damit käme auch kein Kontrolleur auf die Idee, die Toilette zu kontrollieren. Es sei denn, er war selbst auf einer mehrtägigen Hochzeit gewesen.

Der Zug fuhr weiter.

Nun heizte die Mittagssonne den Kübel richtig ein. Durch das Fenster sah Browarius den wolkenlosen Himmel. Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn und tropften aufs nasse Unterhemd.

Mit der Hitze quoll der Gestank weiter auf. Browarius musste immer stärker würgen, viel schlimmer als vorher. Selbst die Kippen verloren ihre Wirkung.

»Kurwa, diese Kleidung. Alles stinkt nach Scheiße und ist mit Scheiße«, sagte Browarius angewidert.

»Raus damit, kurwa, raus!«

Er schützte seine Hände mit Papiertüchern. Dann griff er nach der bekackten Dienstkleidung, die auf dem Toilettensitz lag. Browarius presste die Kleidung durch den schmalen Fensterspalt.

»Ach kurwa – mein Schnaps!«

Hastig zog Browarius die Kleidung zurück. Er fummelte einen silbernen Flachmann aus seiner Dienstjacke. Dann rollte er die klebrige Kleidung zusammen und presste sie wieder durch das Fenster.

Das Sakko und das Hemd flogen direkt raus, aber die Hose blieb im Fenster stecken. Da der Zug auf offener Strecke Vollgas gab, wedelte die Hose im Fahrtwind hin und her. Die Hosenbeine knallten abwechselnd gegen das milchverglaste Fenster, an dem braune Bäche heruntersifften.

»Kurrrwa, raus!«, schrie Browarius und riss an dem eingeklemmten Hosenbein.

Jetzt flog auch die Hose aus dem Fenster. Anschließend warf er seinen Schlips hinterher.

»Endlich, schon besser, kurwa.«

Der Gestank legte sich ein wenig. Vor der Tür hörte Browarius, wie der zugestiegene Wechseldienst die Fahrgäste kontrollierte.

»Guten Tag, einmal die Fahrausweise bitte.«

Plötzlich presste sich ein unkontrollierter Furz aus Browarius.

Es war ein langer, flattriger Furz. Einer, der nur nach Mischkonsum entsteht.

Browarius fasste sich an seinen Bauch. Adrenalin schoss durch seinen Körper. Puuuh. Es war bloß ein Furz. Zum Glück, denn einen zweiten Einschiss konnte er sich nicht mehr leisten.

Es klopfte an der Tür. Browarius zuckte zusammen.

»Hallo? Ist da jemand? Hallo, hier auf der Toilette?« 

Es war der Kontrolleur, der nun vor dem WC stand. Die Türklinke ging zweimal nach unten.

»Baah, was zum Teufel?! Das riecht nach Überstunden für den Putzdienst.«

Der Zweitkontrolleur verschwand in den nächsten Wagen.

Browarius verbrachte die dreistündige Reststrecke auf der Toilette. Dabei rauchte er seine polnischen Marlboros und trank aus seinem Flachmann.

Der Zug stoppte. Endstation. Die Fahrgäste stiegen aus. Der Putzdienst säuberte den Zug. Aber selbst der Reiniger hielt sich wegen des Gestanks von der Toilette fern.

»Nein, das lasse ich lieber für deutsche Kollegen morgen«, lachte der ausländische Putzmann und flüchtete würgend vor der Toilette.

Gegen Abend fuhr der Zug endlich in die Maschinenhalle. Als er hielt und die Lichter im Zug ausgingen, sah Browarius aus dem Toilettenfenster. Er war allein. Er stieg aus der Toilette, ging durch den Wagen und öffnete die Zugtür mit seinem Vierkantschlüssel. Dann sprang er aus dem Zug und rannte durch die Maschinenhalle zur Umkleidekabine.

In der leeren Umkleide der Hallenarbeiter fand Browarius einen offenen Spind. Darin hing der Overall eines Elektromechanikers. Das Teil roch muffig, aber immerhin besser als der Gestank in der heißen Toilette.

»Kurwa, lieber Schweiß als Scheiß!«

Browarius zwang sich in den Overall. Dieser passte jedoch nur untenrum. Die Ärmel des Overalls baumelten latzhosenartig an seinem Arsch herunter.

»Egal, kurwa. Das ist schon wie Hose«, sagte Browarius.

Sein Atem dampfte in der kalten Kabine. Er schüttelte sich und rieb die Oberarme.

»Aber ich brauche T-Shirt, kurwa.«

Browarius sah sich um. Alle anderen Spinde waren verschlossen und er hatte nicht die Zeit, sie zu knacken – zumal er seine Kollegen nicht beklauen wollte. Zumindest nicht so.

Auf einem der Schränke in der Umkleide sah er einen Erste-Hilfe-Kasten. Browarius schnippte mit den Fingern.

»Folie, kurwa!«

Browarius nahm den Kasten vom Schrank und öffnete ihn. Er kramte in der Box herum, griff nach der Rettungsdecke, zerriss die Plastikverpackung und zog die silber-goldene Folie heraus.

Die Weltraumdecke wickelte er sich um den Oberkörper. Die goldene Seite zeigte nach außen. Die Enden der Folie klemmte er sich unter die Träger seines Feinripps.

»Perfekt – wie Polsat-Antenne, kurwa!«

Browarius leerte seinen Flachmann und rülpste. Dann ging er zu seinem Wagen auf dem Parkplatz neben der Halle.

Auf dem Parkplatz standen nur noch wenige Autos. Der Platz war mit einer Schranke versehen, die Mitarbeiter nur mit Dienstausweis öffnen können. Browarius sah einen Hallenarbeiter, der anscheinend als Letzter den Parkplatz verließ.

Browarius stieg in sein Auto. Er griff nach den Zigaretten auf dem Armaturenbrett und zündete sich eine an. Dann startete er die Karre. Der Motor kotzte krank vor sich hin.

»No kurrrwa, nicht das noch. Komm schon, Baby, komm schon!«, schrie Browarius und schlug auf das Lenkrad.

»Brrrr. Brrrrr. Brrrrrrrr.«

Die Karre sprang an. Die Lichtmaschine heulte auf. Browarius fuhr, ohne sich umzusehen, rückwärts aus dem Parkplatz. Es hupte.

Browarius sah in den Rückspiegel und schrie:

»Kurwa, kannst du nicht fahren?«

Das schwarze Auto hinter ihm setzte nach links und folgte gleichauf. Die getönten Scheiben fuhren runter. In dem Mercedes saß der neue Chef der Kontrolleure, Herr Joris Duvenbrecht.

»Goedenavond, Herr Browarius. Was haben Sie gerufen? Ich habe Sie leider nicht gehört«, sagte Duvenbrecht mit verzogenem Mundwinkel.

»Ist schon ok, Herr Duvenbrecht.«

»Was machen Sie noch hier? Was stinkt hier so? Warum sehen Sie so komisch aus? Haben Sie getrunken, Browarius?«

»Nein, bloß lange gearbeitet, Chef. Wie Sie sagen: Nur wer lange arbeitet, fängt die meisten Schwarzfahrer.«

Browarius sah zur Ausfahrt. Er fummelte an seinem halbhängenden Astronautenanzug herum.

»Oh kurwa, nein! Wo ist mein Ausweis, kurwa?«, dachte er.

Browarius sah seine Dienstjacke aus dem Zugfenster fliegen.

Browarius ließ den Motor aufheulen. Er sah zum Hallenarbeiter, der auf die offene Schranke zufuhr. Dann schaute er zu Duvenbrecht.

»Guten Abend, Duvenbrecht!«

Browarius presste das Gaspedal. Die Reifen drehten durch. Schotter schoss in die Luft. Er schnippte seine Kippe aus dem Fenster und knallte die Kupplung. Der Hallenarbeiter fuhr durch die Schranke vom Platz. Browarius folgte ihm und raste auf die sich schließende Schranke zu.

Fast hätte die Schranke die Rücklichter von Browarius alter Karre gekappt. Browarius schaltete und schoss davon. Im Rückspiegel sah er Duvenbrechts Mercedes vor der nun geschlossenen Schranke.

Browarius zündete sich eine weitere Zigarette an. Dann fummelte er ein Dosenbier aus dem Handschuhfach und öffnete es einhändig.

Während der Heimfahrt fragte er sich, ob sein Dienstausweis in der Jacke gewesen war, die er heute aus dem Fenster geworfen hatte, oder ob er überhaupt noch einen Ausweis besaß. Oft vergaß er seinen Ausweis zu Hause. Schon mehrmals hatte er ihn verloren. Er wusste es nicht mehr genau.

»Ach kurwa, egal …«

Browarius trank einen guten Schluck aus der Dose und ballerte an einer Kreuzung über Rot nach Hause.

Rico und Nazz – Die dreiste Braut

Während der Fahrer den Bus durch den Stadtverkehr zwängte, blinkten die Lesegeräte von Rico und Nazz pausenlos. Freitagabend, Partyzeit. Der Bus war voller Feiernasen.

»Der Typ da vorne, der da«, sagte sie kaugummikauend und zeigte mit ihrem tätowierten Finger auf einen jungen Kerl im vorderen Abteil des Busses. »Das ist mein Freund. Ich fahre bei dem mit drauf.«

Sie lächelte und winkte dem Typen zu, der kurz verdutzt guckte und dann der attraktiven Frau mit einem Zwinkern zurückwinkte.

»Danke. Schönen Abend noch«, sagte Nazz.

Kurz warf Nazz einen Blick auf die prallen Brüste der Rothaarigen, die im Takt der Bushydraulik mitwippten. Auf ihrem Dekolletee zischte eine Schlange in einem Geflecht aus Dornen und Diamanten.

Im Bus klirrten Bierflaschen. Nazz quetschte sich durch eine Traube Besoffener zu dem Kerl, dem die Frau gewinkt hatte.

»Ich habe mein Ticket gerade schon Ihrem Kollegen gezeigt«, sagte der Kerl. Er hielt seine Hände schützend in die Luft.

»Ja, aber ich will das Ticket noch einmal sehen – wegen deiner Freundin da hinten.«

»Meiner Freundin?«

»Die Frau da hinten sagte, du wärst ihr Freund. Du hast doch gerade zurückgewinkt.«

»Ha, Scheiße. Nee, ich kenn’ die nicht. Ich dachte schon, was will die Geile denn von mir. Alter, krasse Titten. Und die ganzen Tattoos.«

Nazz drehte sich um. Rico stand in der Nähe der Mitteltür. Der Bus hielt und die Frau, die sich schon vor der Mitteltür positioniert hatte, sprang heraus.

»Hermano«, rief Nazz und zeigte auf die Rothaarige.

Gerade als sich die Tür schloss, quetschte sich Rico noch aus dem Bus.

Nazz hörte den ganzen Abend lang nichts mehr von Rico. Auf Anrufe und Nachrichten reagierte Rico nicht. Nazz beendete die Tour allein, stempelte aber für Rico ab. Das taten sie immer, wenn einer der beiden »verhindert« war.

Am nächsten Tag erschien Rico wieder an der Dienststelle.

»Bruder, wo bist du gewesen? Ich habe den ganzen Abend versucht, dich zu erreichen.«

»Hermano, es tut mir leid. Aber verstehe, was passiert ist.«

Rico landete mit einem wackeligen Schritt auf der Straße. Beinahe fiel er in die Schwarzfahrerin, die ihm vorausgeeilt war.

»Dios mío – Glück gehabt!«, sagte Rico und lächelte sie an.

Sie lächelte zurück und fuhr sich durch ihre wild frisierten Haare. An ihrem Ohrläppchen baumelte ein goldener Totenkopf.

»Das kannst du laut sagen. Fast hat der mich auch gehabt. Der war allein, oder?«

»Ja, anscheinend. Mit ’nem Kollegen hätte der uns gehabt.«

Sie gingen gemeinsam von der Haltestelle weg.

»Übrigens, ich heiße Rico. Und du?«

Rico streckte ihr die Hand entgegen.

»Luna«, sagte sie und schüttelte ihm die Hand. Dann strich sie ihre zerrissene Netzstrumpfhose zurecht.

»Spanier?«

»Argentinier«, sagte Rico und zwinkerte ihr zu.

»Mhhh, das liegt ungefähr hier, oder?«, sagte Luna und zog ihre Hotpants am Unterbauch runter.

Sie zeigte mit langen Fingernägeln auf eine tätowierte Weltkarte. Argentinien lag in der Nähe ihres Venushügels, an dem sich ein Streifen feinrasierter Schamhaare zeigte.

»Genau, das liegt da unten. Und auch wenn Argentinien nah ist, war ich leider noch nie in der Antarktis«, sagte Rico zu ihr.

»Ist es kalt dort?«

Luna trat näher an Rico. Sie beugte sich auf und lehnte sich an sein Ohr.

»Manche wundern sich, wie heiß es da unten werden kann«, flüsterte sie.

»Ja, und dann?«, fragte Nazz.

»Ja, ja. Warte. Wird besser«, sagte Rico.

»Sie hat dreckig gelacht und ich habe sie in eine Bar an der Ecke eingeladen. Nach ein paar Drinks sind wir zu ihr und haben gebumst.«

Rico lachte und klatschte.

»Aber als ich sah, dass es drei Uhr war, machte ich mich vom Acker.«

»Du bist einfach abgehauen?«

»Boludo, natürlich nicht«, sagte Rico und kramte in seiner Jackentasche.

Während Rico sich die Kuppe mit einem Taschentuch abwischte, sprang Luna aus dem Bett und balancierte zwischen herumliegendem Kram ins Badezimmer.

»Warte schön hier, du frecher Ficker.«

Als sie die Tür zum Badezimmer schloss, rollte Rico aus dem Bett.

Das Zimmer glich einer rituellen Opferstätte. Mittendrin suchte Rico im Halbdunkel. Als die Dusche losspülte, entdeckte er Lunas Handtasche und hob sie vom Boden.

Das Innere der Tasche war so chaotisch wie das Zimmer selbst: Make-Up, Kaugummis, Pillen. Ein silbernes Springmesser und ein abgekämpftes Notizbuch, das mit Männernamen gefüllt war. Einige davon waren durchgestrichen. Als Rico das schwarze Notizbuch wieder in die Tasche warf, fand er Lunas Personalausweis.

Er nahm den Ausweis und ging zu seiner Jacke, die mühselig an einem Plastikstuhl hing. Das Display des Kontrollgeräts erleuchtete das Zimmer. Als Rico zur Badezimmertür schaute, sah er seine Boxershorts in einem Schrankspiegel schimmern.

Er übertrug die Daten von Luna, die laut Ausweis »Marie Zimmermann« hieß, in die Eingabemaske. Mit Ricos Bestätigung zuckte und zurrte der Drucker des Kontrollgerätes die Fahrpreisnacherhebung aus. Rico riss den Zettel aus dem Gerät, als die Dusche ausging.

Als ein Föhn im Bad loslärmte, schlenderte Rico zum Bett und legte die Quittung auf eines der Kopfkissen.

Dann sammelte Rico seine Hose und sein Shirt auf, zog sich ruhig vor dem Schrankspiegel an und sprang in seine Turnschuhe. Die Tür zog er leise hinter sich zu.

Rico wedelte mit der Kopie der Fahrpreisnacherhebung in der Luft.

»Komm Hermano, der Kaffee geht heute auf mich.«

Sie lachten und klatschten so laut ein, dass es im Dienstraum knallte. Vor der Kaffeemaschine grüßten sie den nigerianischen Putzmann, dessen Schicht begann und der den beiden entgegen grinste.

Harry Windfort – Der Bulle

Im vorderen Abteil sah ich einen dieser Apachen.

»Ticket?«

»Hää?«, stänkerte er heraus.

»Ticket! Fahrschein zeigen. Los, Öli!«

Ich wirbelte meinen Zeigefinger in die Luft.

»Avanti, avanti!«

Er zog ein miserabel aussehendes Monatsticket heraus. Es war gültig. Ein Häuptling mit Ticket – welch ein Wunder.

Ich drehte ab. Ich war verkatert und hatte eine mächtige Schmacht. Ich wollte keinen weiteren Fahrgast mehr kontrollieren. Drauf geschissen. Ich ging direkt zum Hinterwagen.

Als ich im vorletzten Wagen ankam, hörte ich eine bekannte Stimme.

»Aaaaah, Herr Windfort. Einmal den Fahrschein, bitte.«

Der Mann kicherte wie ein junges Weib.

»Ach, hallo Herr Matzke.«

Peter Matzke. Ich hasste dieses Bullenschwein. Er war sogenannter »Fahrausweisprüfer-naher Polizist«. Einer dieser Typen, die uns Kontrolleuren angeblich helfen sollen. Zum Beispiel unterrichtet er bei Eskalationskursen der Bahn oder leitet Einsätze, die wir Kontrolleure gemeinsam mit den Bullen unternehmen.

Zu den Kursen mussten wir alle neun Monate hin. Zum Kotzen. Matzke spielte sich immer auf. Erst recht, wenn Weiber beim Kurs waren.

Grinsend saß dieses Schwein auf einem der Vierer. Ich ging auf ihn zu.

»Wo iss’n ihr Kollege?«, fragte ich ihn.

»Welcher Kollege?«

Ich verschränkte die Arme.

»Na der Kollege, dem die Polizeijacke und die Tasche hier auf den beiden Sitzen vor Ihnen gehören.«

»Ach, die Sachen gehören mir.«

»Hörn’se ma, Matzke, nur weil Sie Polizist sind, gehört Ihnen nicht der Zug.«

»Ihnen ja auch nicht, Herr Windfort.«

»Und dennoch habe ich hier das Sagen.«