Der Krimidinnermord - Colleen Cambridge - E-Book

Der Krimidinnermord E-Book

Colleen Cambridge

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

»Heute Abend wird in Beecham House ein Mord geschehen« - so das Motto der Einladung, die gerade in das Haus von Agatha Christie geflattert kam: Als neue Nachbarn der Queen of Crime geben sich die Wokesleys mit einem Krimidinner die Ehre. Da ihre Herrin abwesend ist, wird Phyllida Bright, Agatha Christies energische Hausdame, zugegen sein. Offiziell, um der überforderten Haushälterin der Wokesleys unter die Arme zu greifen. Vor allem aber will Phyllida ihrer Leidenschaft für kriminalistische Rätsel frönen. Ihr besonderer Spürsinn kommt schon bald zum Einsatz, als der Hausherr in der Rolle der Leiche auch im wahren Leben - tot ist ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 390

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumZitat12345678910111213141516171819202122232425Dr. Bhatts bestes Erkältungsmittel

ÜBER DIESES BUCH

»Heute Abend wird in Beecham House ein Mord geschehen« – so das Motto der Einladung, die gerade in das Haus von Agatha Christie geflattert kam: Als neue Nachbarn der Queen of Crime geben sich die Wokesleys mit einem Krimidinner die Ehre. Da ihre Herrin abwesend ist, wird Phyllida Bright, Agatha Christies energische Hausdame, zugegen sein. Offiziell, um der überforderten Haushälterin der Wokesleys unter die Arme zu greifen. Vor allem aber will Phyllida ihrer Leidenschaft für kriminalistische Rätsel frönen. Ihr besonderer Spürsinn kommt schon bald zum Einsatz, als der Hausherr in der Rolle der Leiche auch im wahren Leben – tot ist …

ÜBER DIE AUTORIN

Colleen Cambridge ist das Pseudonym einer New-York-Times-Bestsellerautorin, die mit Romanserien in unterschiedlichen Genres international erfolgreich ist. Murder at Mallowan Hall ist der Auftakt einer Kriminalromanserie mit der scharfsinnigen Amateurermittlerin Phyllida Bright als Haushälterin von Agatha Christie. Colleen Cambridge lebt mit ihrer Familie und zwei Hunden im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Titel der englischen Originalausgabe:

»Murder by Invitation Only«

Für die Originalausgabe:Copyright © 2023 by Colleen GleasonPublished by Arrangement with Kensington Publishing Corp,New York, NY 10018, USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2024 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

Dieses Werk wurde vermittelt durch dieLiterarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Vervielfältigungen dieses Werkes für dasText- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

Einband-/Umschlagmotiv: © Getty Images Plus: schus | Logorilla | santima.studio; © shutterstock: Christos Georghiou

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-6112-3

luebbe.de

lesejury.de

»Man könnte mit vielem davonkommen, wenn man nur dreist genug wäre.«

Agatha Christie, Ein Mord wird angekündigt

1

Phyllida Bright war verärgert.

Mit strengem Blick musterte sie die zwei jungen Frauen, die vor ihr standen.

Die eine war tropfnass und verströmte einen äußerst unangenehmen Geruch.

Die andere war mit Ruß und Asche bestäubt.

Beide hatten das Pech, ihre Hausmädchen zu sein.

Keine brachte den Mut auf, ihr in die Augen zu sehen, ja sie schienen sogar vor ihrem Zorn zu zittern.

Zu Recht, denn sie würden sich gleich eine Standpauke anhören müssen … falls Phyllida sich das Lachen verkneifen konnte. Denn der Anblick der Mädchen war urkomisch.

»Schildern Sie mir, wie das passiert ist«, sagte sie, sobald sie sich gefasst hatte. »Ginny, Sie zuerst.«

Die honigblonde Ginny, die für die Salons zuständig war, schob sich schniefend eine Strähne aus der Stirn, von der es tropfte. Ihr sonst so makelloses, gestärktes Kleid hing nass und schlaff an ihr herab, die Haube war zusammengesackt, der Dutt derangiert.

»Ich bin nur rausgegangen, um den Aschekübel der Bibliothek zu leeren, und plötzlich kommt sie und kippt einen Eimer voll … voll Schmutzwasser über mir aus!« Ihre Stimme klang weinerlich, doch ihre Augen schossen tödliche Blicke auf das Küchenmädchen Molly.

»Und deshalb hielten Sie es für nötig, sich zu rächen, indem Sie den Aschekübel über ihr ausleeren«, schloss Phyllida in eisigem Ton.

»Nein, Ma’am, das war ein Verseh…«

»Ich wollte das nicht, Mrs Bright«, unterbrach Molly ernst, aber auch den Tränen nah. »Sie ist mir in die Quere gekommen, als ich den Eimer ausgekippt habe.«

»Bin ich gar nicht!«, schrie Ginny. »Sie hat so getan, als hätte sie mich nicht gesehen, hat sie aber, das weiß ich genau!«

»Das war keine Absicht, Mrs Bright«, beteuerte Molly mit überschnappender Stimme. »Ich schwöre!« Sie hatte offensichtlich versucht, sich die Asche aus dem Gesicht zu wischen, hatte es jedoch nur verschlimmert, denn die Wangen und die schmale Nase waren schwarz beschmiert. Die Spitzenhaube, die noch auf ihren hellbraunen Haaren saß, war eingedrückt, und in der Mulde lag eine beträchtliche Menge Asche.

Sie müsste nur einmal niesen oder nicken oder – Gott bewahre – knicksen, und die Asche würde herabfallen. Tatsächlich hatten die Mädchen bereits eine Aschespur in Phyllidas Wohnzimmer getragen, von den Tropfspuren ganz zu schweigen. Und sie waren zweifellos auf Anweisung von Mr Dobble zu ihr gekommen.

Der Butler von Mallowan Hall, ein erklärter Feind von Chintz und Spitze, hatte dabei einen Hintergedanken gehabt, davon war Phyllida überzeugt. Und deshalb gab sie sich keiner Illusion hin, Mr Dobble könnte die schmutzigen Zimmermädchen nur aus Gedankenlosigkeit zu ihr geschickt haben. Sicher war das einer seiner wenig subtilen Versuche, ihre Chintz- und Spitzenkissen zu verderben oder somit ganz aus der Welt zu schaffen.

Und vermutlich hatte er auch ihre zwei Katzen aufstören wollen. Im Augenblick saß Stilton auf der Rückenlehne ihres bevorzugten Sessels. Rye dagegen blickte spöttisch von seinem erhöhten Platz auf dem Regal herab, in dem die Detektivromane und Bücher zu Gartenpflege, Hauswirtschaft, Mode und anderen interessanten Sachgebieten standen.

»Das war wirklich ein Versehen, Mrs Bright«, beteuerte Molly weiter. »Und dann hat sie …«

»Das war kein Versehen!« Ginny, bei der die Tränen strömten, kreischte nun. »Sie hat das absichtlich getan! Und alles nur wegen …«

»Überhaupt nicht!«, schrie Molly und wandte ihr wütend den Kopf zu … und da passierte es: Ihre Haube neigte sich abrupt und entließ den faustgroßen Aschehaufen in die Luft. Die dunklen Flocken flogen umher.

Phyllida wich vor der Aschewolke zurück … von der ein großer Teil zu Boden und in die Wasserlache schwebte, die sich rings um Ginny gebildet hatte.

»Hinaus!« Phyllida biss die Zähne zusammen, um nicht zu lachen. Was für ein Theater! »Säubern Sie sich sofort, und dann bringen Sie dieses Zimmer und den Flur in Ordnung. Sie werden mit niemandem sprechen, Sie werden nicht trödeln, und Sie werden innerhalb von zehn Minuten in tadellosem Zustand wieder hier sein.« Ostentativ blickte sie auf die Uhr, die an den gestärkten weißen Kragen ihres hellrosa Kleides geheftet war.

Ginny und Molly eilten hinaus und hinterließen weitere Tropfspuren und Aschewölkchen.

Phyllida betrachtete die Bescherung in ihrem sonst so heiteren, blitzsauberen Wohnzimmer mit den rosa und gelben Farbtupfern. Überall lag Asche, und es roch nach dem Schmutzwasser aus Mollys Eimer, das sich mit der Asche auf dem Teppich zu einer schlammigen Masse verbunden hatte. Sie seufzte, und damit war ihre Belustigung vollends verflogen.

Sie würde Mr Dobble umbringen. Da sie schon längere Zeit in Mallowan Hall arbeitete, dem Haus von Agatha Christie und ihrem Mann Max Mallowan, und Agatha ihre Freundin und Vertraute war, hatte sie viele Ideen, wie sie vorgehen könnte … kreativ und schmerzvoll.

Zweifellos würde sie ein perfektes Verbrechen begehen, sollte es so weit kommen. Selbst ihr geliebter Hercule Poirot, der beste und gewiefteste von Agathas Detektiven, würde einen von Phyllida Bright begangenen Mord nicht aufklären können.

Doch anstatt ihrem gemeinen Drang nachzugeben und ins Butlerzimmer zu laufen, um den Mann mit einem Brieföffner zu erstechen oder mit einem Schürzenband zu erwürgen (Vergiften wäre in dieser Situation eine zu milde Option), besann sie sich. Bei dem heiklen Kampf um Selbstbeherrschung half ihr Stilton, die flauschige weiße Katze mit den blaugrauen Streifen, die ihr den Namen eingebracht hatten. Phyllida nahm sie in die Arme und barg einen Moment lang das Gesicht in ihrem Fell.

Das war ein sehr aufreibender Tag gewesen. Und dabei war es erst drei Uhr am Nachmittag. Zum Glück war der neue Staubsauger noch nicht geliefert worden, denn sonst wäre der Haushalt in heller Aufregung.

»Ja«, murmelte sie am Nacken der Katze. »Mir ist vollkommen klar, dass er das mit Absicht getan hat.«

Im Allgemeinen kamen Mr Dobble und sie ganz gut miteinander aus. Sie hatten dasselbe Ziel: Mallowan Hall so zu führen, dass Mrs Agatha und Mr Max sich wohlfühlten, zufrieden und stolz waren. Mr Dobble war für die Hausdiener und das Außenpersonal zuständig – den Chauffeur, den Gärtner und das Faktotum Piero – und Phyllida für die Zimmermädchen und das Küchenpersonal. Normalerweise bewältigten sie ihre Aufgaben, ohne dass es zu Reibereien kam.

Doch ab und zu stimmten der Butler und sie nicht überein. Erst an diesem Morgen hatte es einen Disput gegeben wegen der schweren Nussbaumstanduhr, die etwas verrückt werden sollte, um die Wand dahinter zu entstauben.

Phyllida hatte darauf bestanden. Wie sollte man denn sonst hinter und unter diesem Möbel putzen?

Mr Dobble jedoch, der in puncto Gründlichkeit genauso streng war wie sie, hatte es nicht für nötig gehalten, Stanley und Freddie das Monstrum wegrücken zu lassen.

So war es zu einer hitzigen Diskussion gekommen – zum Glück in der Abgeschiedenheit des Anrichtezimmers – und dann zu einer scharfen Kehrtwende, bei der Mr Dobble die Hände in die Luft geworfen hatte. Er schlug vor, die Standuhr nicht nur etwas zu verrücken, sondern gleich ganz zu entfernen und entweder zu verkaufen oder mit einer Axt zu zertrümmern, die er dazu eigenhändig herbeischaffen wollte … eine Lösung, die nicht nur lächerlich und untypisch für ihn, sondern auch in keiner Weise hilfreich war.

An dem Punkt war Phyllida wohlweislich hinausgegangen, um eine stärkende Tasse Earl Grey zu trinken. Denn andernfalls wäre sie laut geworden, und das erlaubte sie sich höchst selten … nicht einmal, wenn zwei schmutzige, tropfnasse Zimmermädchen auf Anordnung von Harvey Dobble in ihr Wohnzimmer einfielen.

Stattdessen hatte sie also Tee getrunken – leider ohne ihren bevorzugten Roggenwhisky – und dann nach Elton gerufen.

Elton war Mr Max’ Kammerdiener, hatte in dieser Eigenschaft jedoch selten viel zu tun und wurde daher häufig bei anderen Hausarbeiten in die Pflicht genommen. Tatsächlich hielten sich Mr Max und Mrs Agatha zurzeit in London auf, und Elton war zu Hause geblieben, weil sein Herr es für unnötig erachtet hatte, ihn mitzunehmen.

Das war nicht weiter überraschend, da Mr Max es von seinen archäologischen Grabungen gewohnt war, für sich selbst zu sorgen. Elton war nur eingestellt worden, weil Phyllida ihn kürzlich vom Verdacht des Mordes befreit und gleichzeitig seinen vorigen Arbeitgeber verärgert hatte, sodass er Elton in einem Anfall von Gereiztheit entlassen hatte. Mr Max war so freundlich gewesen, ihn zu übernehmen, obgleich ein Kammerdiener bei ihm überflüssig war.

Elton hatte nur zu gern geholfen, die Standuhr wegzurücken, wie er Phyllida eifrig versichert hatte.

Und das war ein Fehler gewesen, wie sie verspätet erkannte.

Hätte sie Elton aus der ganzen Situation herausgehalten, wären Ginny und Molly ihm heute nicht begegnet … und dann hätte sich das »Versehen« zwischen den beiden nicht ereignet. Phyllida unterlag keineswegs dem Irrtum, dass ein Missgeschick oder eine Unaufmerksamkeit zu dem Vorfall geführt hatten.

Seit der gut aussehende, ritterliche Elton dem Haushalt angehörte, war er der Schwarm ihrer Haus- und Küchenmädchen. Jede wollte seine Aufmerksamkeit erringen. Und der arme Stanley hatte seinen Thron eingebüßt und trauerte dem mit verblüffter Miene nach. Zum Glück befehdeten sich die jungen Männer nicht, wie es die Mädchen nun taten – jedenfalls noch nicht.

Liebe, vor allem jugendliche Liebe und insbesondere jugendliche Schwärmerei, war in einem Haushalt mit jungem Personal unvermeidlich.

Phyllida entließ Stilton auf den behaglichen goldgelben Sessel und das in Gelb und Frühlingsgrün gemusterte Chintzkissen – das trotz Dobbles gegenteiliger Absicht von Ascheflocken und Schmutzwasser verschont geblieben war. Sie konnte sich kaum erinnern, so jung schon so vernarrt gewesen zu sein – und selbst wenn, dann wäre sie nicht so tief gesunken, einen Eimer Schmutzwasser oder Asche über einer Rivalin auszuleeren.

Sie wäre viel subtiler vorgegangen.

Alte Erinnerungen tröpfelten hervor und brachten sie zum Lächeln, während sie an der Schmutzlache vorbeiging, die bereits in den Teppich sickerte. Oh, sie wäre entschieden subtiler vorgegangen …

Als sie ihre Räume verließ, hörte sie auf der Hintertreppe eilige Schritte vom Dachboden herunterpoltern, wo die Mädchen ihre Zimmer und Waschbecken hatten. Die grün bespannte Tür, durch die man aus dem »öffentlichen« Teil des Hauses zu den Gängen des Personals gelangte, schwang auf, und Molly und Ginny stürmten heraus.

Phyllida sah, wie Molly im Zuge dessen Ginny einen Ellbogen in die Seite rammte und Ginny sie mit dem Knie am Bein stieß, sodass Molly taumelte. Aber das Küchenmädchen fing sich ab und hetzte mit wütendem Blick hinter Ginny her.

Doch was zu einem fortlaufenden Gerangel hätte werden können, endete, sobald Molly Phyllida bemerkte. Sie riss die Augen auf und kam abrupt zum Stehen, straffte die Schultern und führte die Hände zur Leibesmitte. Ginny gelang es fast genauso schnell, Richtung und Absicht zu ändern, und so sah sich Phyllida zwei keuchenden, aber ordentlich gekleideten und frisierten jungen Frauen gegenüber.

Bewusst schwieg sie ein paar Augenblicke lang bedeutungsvoll und unterdrückte dabei ein gereiztes Lächeln. »Ich bin von Ihnen beiden enttäuscht. Mit Ihrem Dienstgrad sollten Sie den anderen ein Vorbild sein. Und all das nur wegen eines Mannes. Oh, denken Sie nicht, ich wüsste nicht, was zu Ihrem Missgeschick geführt hat«, fuhr sie fort, als Ginny widersprechen wollte. »Glauben Sie mir: Männer sind es nicht wert, so viel Kraft an sie zu vergeuden. Und nun beseitigen Sie, was Sie angerichtet haben.«

Damit drehte sie sich um und ging.

Es war Zeit, sich mit Mr Dobble zu befassen.

Doch ehe Phyllida zum Butler gelangen konnte, der sich wahrscheinlich in seinem Anrichtezimmer versteckte und sich diebisch über sein Attentat auf ihre Chintz- und Spitzenkissen freute, wurde sie von Stanley angesprochen.

»Mrs Bright«, rief er und eilte auf sie zu. Er war ein gut aussehender Bursche und hatte das vor Eltons Erscheinen gehörig ausgenutzt, indem er auf Teufel komm raus mit den Hausmädchen flirtete. Inzwischen war er kleinlauter, und wenn Phyllida die Anzeichen richtig deutete, hatte er Liebeskummer, weil Ginny sich unübersehbar für Elton interessierte. »Das ist gerade gekommen.«

»Ist das von der Staubsaugerfirma?«, fragte sie, sah dann jedoch den teuren Briefumschlag in seiner Hand. Der stammte sicherlich nicht von Vac-Tric, der Londoner Firma, die heute den neuen Staubsauger liefern sollte.

»Glaube ich nicht, Ma’am. Aber ich habe von Mr Wheatley gehört, dass zwischen hier und London eine Brücke ausfällt und sich deshalb der Verkehr staut. Es könnte noch einen Tag dauern, bis sie repariert ist, heißt es.«

»Ich verstehe. Das erklärt wahrscheinlich die Verzögerung.«

Stanley räusperte sich und trat von einem Bein aufs andere.

Phyllida blickte ihn fragend an. »Gibt es noch etwas, Stanley?«

»Ähm … ja, Ma’am. Ich … wollte nur sagen, dass ich sehr gern geholfen hätte, die Standuhr zu verrücken, Ma’am. Es ist nur, Mr Dobble … Er hat mich angewiesen, wieder die Tee- und Kaffeekannen zu polieren.«

»Natürlich, Stanley. Ich bin sicher, er hat seine Gründe.« Die natürlich darin bestanden, sie zu ärgern.

»Danke, Ma’am.« Er verbeugte sich dezent.

Nickend wandte Phyllida sich dem cremefarbenen Brief zu. Überrascht stellte sie fest, dass er nicht vollständig adressiert war. Es stand lediglich Mallowan Hall darauf. Er trug ein blaues Wachssiegel, aber weder ein Wappen noch einen Schriftzug im Stempel.

»Wie seltsam.« Sie rief den Diener zurück. »Stanley, wer hat den Brief abgegeben? Wurde gesagt, für wen er bestimmt ist?«

»Nein, Ma’am. Der Bote hat ihn übergeben und ist gegangen, bevor ich fragen konnte. Er war mit einem Fahrrad da.«

»Nun gut.« Phyllida betrachtete den Umschlag von beiden Seiten, doch nichts gab einen Hinweis auf den Adressaten oder den Absender.

Das Problem mit Mr Dobble musste für den Augenblick hintanstehen. Sie entließ Stanley und fand, es sei zu rechtfertigen, wenn sie den Briefumschlag öffnete. Wer schließlich einen nicht näher adressierten Brief überbringen ließ, sollte damit rechnen, dass er von einer beliebigen Person gelesen wurde. Falls er an Mrs Agatha oder Mr Max gerichtet war, würde sie sie in London anrufen und über den Inhalt in Kenntnis setzen.

Der Umschlag enthielt eine Karte, augenscheinlich mit einer Einladung. Phyllida las staunend den gedruckten Wortlaut:

ANKÜNDIGUNG

Ein Mord wird geschehen

Heute Abend

Beecham House

Punkt 19 Uhr

Antwort nur bei Absage

2

Wie ungewöhnlich, dachte Phyllida angesichts der befremdlichen Einladung. Obschon erschrocken, war sie sofort fasziniert.

Sollte das ein Spiel sein?

Eine Warnung?

War das der unbeholfene, wenn auch einfallsreiche Versuch eines Journalisten oder Kriminalschriftstellers, Mrs Agatha auf sich aufmerksam zu machen?

Oder war das eine Drohung? Und wenn ja, wem galt sie?

Und, noch wichtiger: War die Einladung an jemand Bestimmten oder an mehrere Personen gerichtet?

Eingedenk dessen, dass sich in den vergangenen Monaten in Mallowan Hall und im benachbarten Dorf mehrere Morde ereignet hatten, konnte Phyllida nur hoffen, dass es sich um ein Spiel oder um einen Scherz handelte. Und obwohl sie mit Begeisterung Detektivromane las, hielt sie einen Mord oder andere Todesfälle nicht für unterhaltsam und fand, man sollte damit keine Späße treiben.

Nachdenklich ging sie den Flur hinunter zum Telefon und rief bei Mrs Agatha und Mr Max in London an. Es war fast Zeit für den Tee, also würden sie vermutlich zu Hause sein.

»Guten Tag, Phyllida!« Agathas fröhliche Stimme kam durch die Leitung. »Ist in Devonshire alles bestens?«

Phyllida versicherte ihr, dass man in Mallowan Hall alles gut im Griff habe, trotz derangierter Hausmädchen und deren Missgeschicke. Dann berichtete sie von der anonymen Einladung.

»Eine Mordankündigung?«, rief Agatha aus. »Also, das ist recht ungewöhnlich, nicht wahr?«

Da Phyllida das Gleiche gedacht hatte, brummte sie zustimmend. »Ich kann nicht feststellen, ob das ein Scherz oder ein Spiel sein soll … oder etwas noch Schlimmeres.«

»Du wirst natürlich hingehen«, sagte Agatha, als käme keine andere Entscheidung infrage. Als Phyllida zum Widerspruch ansetzte, ging Agatha entschieden darüber hinweg. »Nun, irgendjemand muss hingehen, und da Max und ich in London sind und ich an wirklichen Morden nicht interessiert bin, bist du sicherlich die geeignetste Person, um dem Mord beizuwohnen.« Sie lachte auf. »Immerhin machst du meinem versnobten kleinen Poirot allmählich Konkurrenz, wenn es um die Lösung von Mordfällen geht.«

Da es niemand sehen würde, erlaubte sich Phyllida ein stolzes Lächeln. Wohlwollend mit Hercule Poirot verglichen zu werden war für sie das größte Kompliment.

Agathas Stimme wechselte zu einem nachdenklicheren Ton, als sie ihre Gedanken weiterspann. »Die Ankündigung eines Mordes … Das ist äußerst faszinierend, auf eine grausige Art.«

»Hoffen wir, dass es kein echter Mord wird«, mahnte Phyllida.

»Vielleicht ist das eines dieser Detektivspiele«, meinte Agatha. »Wo alle um einen Tisch sitzen und einer der Mörder ist und jemandem zuzwinkert, um ihn quasi umzubringen, und man versuchen muss, den Mörder zu ermitteln.«

»Hoffen wir es«, sagte Phyllida, doch Agathas geistesabwesender Ton verriet kurz darauf, dass sie nicht mehr an das vorliegende Problem dachte.

»Stell dir vor: Ein Mord wird angedeutet – oder angekündigt! – bevor er begangen wird … Ein Mord wird angekündigt … Nun, das wäre doch ein fesselnder Titel für einen Roman, nicht wahr? Gütiger Himmel! Warum bin ich nicht längst darauf gekommen?«

Obwohl es in der Leitung knisterte, konnte Phyllida hören, dass Agatha hastig in eines ihrer allgegenwärtigen Notizbücher schrieb. Trotz der Situation musste Phyllida schmunzeln. Ihre Arbeitgeberin kam häufig durch Alltagsgespräche auf die Ideen für ihre Kriminalromane.

»Der würde sicher Aufsehen erregen – solch ein Titel.« Phyllida hütete sich, Agatha bei ihren Notizen zu unterbrechen.

»Ja, ja, ich muss mir das aufschreiben, damit ich es nicht vergesse … Ein Mord wird angekündigt. Vielleicht könnte man sogar eine Kleinanzeige aufgeben«, murmelte sie. »Das würde ziemliche Aufregung hervorrufen, nicht wahr? Besonders in einem Dorf, wo jeder die Zeitung liest.«

»Das würde ich auch sagen.« Phyllida wartete ab, während Agatha schrieb.

»Na schön. Ja. Das ist ganz gut. Recht spannend.« Agatha klang noch immer ein wenig geistesabwesend. Dann schien sie sich zu sammeln. »Also, wo waren wir? Ach ja, der Mord. Du solltest wirklich hingehen, Phyllida. Ich bestehe sogar darauf. Nur um herauszufinden, worum es da eigentlich geht.«

»Als Ort wird Beecham House genannt«, sagte Phyllida, erleichtert, wieder die volle Aufmerksamkeit ihrer Freundin zu haben. »Kennst du die Leute dort?«

»Beecham House … Sie sind neu, nicht wahr? Sie haben das Anwesen kürzlich erst gemietet, wenn ich mich recht entsinne. Ich komme nicht auf den Namen … Verflixt, mir gehen schon zu viele Namen für Verdächtige durch den Kopf, und Max ist ausgegangen, sodass ich ihn nicht fragen kann. Aber du wirst sicher mehr über die Leute erfahren können. Ich weiß doch, dass die Bediensteten der verschiedenen Häuser untereinander reden«, sagte Agatha glucksend. »Man darf wohl annehmen, dass deine Mädchen schon allen Klatsch mit deren Hausmädchen ausgetauscht haben.«

Phyllida war geneigt zuzustimmen. Sie würde sicher mit ihrem Personal sprechen und fragen, was sie über die neuen Bewohner von Beecham House wussten. »Demnach habt ihr beide die Leute noch nicht kennengelernt?«

»Nein, nein, ich glaube nicht …« Agatha klang nachdenklich. »Glaubst du, die Einladung dient dem Zweck, mich kennenzulernen?«

Sie war die berühmteste Persönlichkeit in Listleigh und Umgebung und äußerst bemüht, ihr Privatleben zu schützen, vor allem seit ihrem berüchtigten elftägigen Verschwinden während der schwierigen Trennung von ihrem ersten Mann Archie. Seitdem scheute sie die Öffentlichkeit und gab der Presse nur selten Interviews – wofür Phyllida größtes Verständnis hatte.

Wenn man eine Vergangenheit mit mysteriösen oder fragwürdigen Begebenheiten hatte, lebte man lieber anonym … und zog vielleicht sogar aufs Land und nahm eine dienende Stellung an.

»Ich dachte, ich rufe bei einigen Nachbarn an und erkundige mich, ob sie auch so einen Brief erhalten haben.« Phyllida fragte sich, ob Mr Dobble deshalb in dieser Verfassung war. Vielleicht hatte Mr Billdop beschlossen, an dem »Mordabend« teilzunehmen, anstatt wie jede Woche mit ihm Schach zu spielen. Doch sie verwarf den Gedanken sogleich als unwahrscheinlich. Das Schachspiel stand so unverrückbar in seinem Wochenplan wie Weihnachten.

»Ein exzellenter Plan. Ich hoffe mal, dass die Ankündigung nicht auf den Mallowan’schen Haushalt beschränkt war«, bemerkte Agatha trocken.

»Hoffentlich nicht«, erwiderte Phyllida. »Wer weiß, was sie denken werden, wenn ich anstelle der berüchtigten Agatha Christie durch die Tür komme?«

»Oh, das dürfte recht unterhaltsam werden.« Agatha lachte. »Ich wünschte nur, ich könnte dabei sein. Du wirst mich morgen anrufen und mir alles erzählen, ja?«

»Gewiss doch«, versprach Phyllida, und in dem Moment wurde ihr bewusst, dass ihr nur noch drei Stunden blieben, bis sie das Haus verlassen musste, um zu dem »Mordabend« zu gehen, und vorher gab es noch einiges zu erledigen.

So viel zu einem ruhigen Abend mit einem Detektivroman und ihren Katzen, den sie eigentlich im Sinn gehabt hatte.

»Sie gehen zu einem was?« Mr Dobble richtete seine hohe schlanke Gestalt noch ein wenig gerader auf. Die flache Delle an seinem haarlosen Kopf, die sich über dem linken Ohr befand, schien heute ausgeprägter zu sein. »Nun, das ist anmaßend, Mrs Bright. Sie denken doch sicher nicht …«

»Wäre es Ihnen lieber, an meiner Stelle hinzugehen?«, fragte sie überaus liebenswürdig. »Oh, das hätte ich fast vergessen … Heute ist ja Ihr Schachabend mit dem Pfarrer. Da sind Sie natürlich verhindert.«

Er bedachte sie mit einem halb vernichtenden, halb gequälten Blick. »Ich werde den Pfarrer heute Abend nicht besuchen«, entgegnete er steif.

Phyllida war überrascht. Da lag offenbar etwas im Argen.

Dennoch ging sie darauf nicht ein, behielt das aber im Hinterkopf. Vielleicht erklärte das Mr Dobbles ungewohnt launenhaftes, absurdes Benehmen von vorhin.

»Jedenfalls verlangt Mrs Agatha, dass ich an dem … hm, Abend in Beecham House teilnehme. Die Bewohner sind offenbar neu hier. Haben Sie etwas über die Leute gehört?«

Der Themawechsel schien Mr Dobble zu erleichtern. »Jeremy Trifle ist dort seit vielen Jahren Butler. Soweit ich weiß, hat das Ehepaar das Anwesen nur gemietet und zusätzlich neues Personal mitgebracht.«

»Wissen Sie die Namen oder etwas anderes über den Haushalt?«, hakte Phyllida nach.

»Ich glaube, die Leute heißen Wokesley.« Mr Dobble zog die Brauen zusammen und überlegte. »Und möglicherweise hat er mit dem Theater zu tun. Ja, ich glaube, das hat Mr Trifle gesagt. Ein Theatermensch … Aber auch etwas mit Schafen, wenn ich mich recht entsinne.«

Theatermensch? Nun, das passte zu der theatralischen Mordankündigung. Auf die Schafsache konnte sie sich dagegen keinen Reim machen.

»Vielleicht könnten Sie ihn anrufen und herausfinden, ob auch andere oder nur Mrs Agatha und Mr Max eingeladen worden sind«, sagte sie, wohl wissend, dass die Namen ihrer Arbeitgeber bei ihm jede Widerrede im Keim ersticken würden. »Mrs Agatha fürchtet, das könnte ein Trick sein, um sie kennenzulernen.«

»Das könnte ich wohl tun«, antwortete Mr Dobble gnädig.

»Das wäre sehr hilfreich. Um sechs Uhr werde ich das Haus verlassen, um in jedem Fall pünktlich zu sein«, informierte sie ihn. »Natürlich benötige ich den Wagen.«

»Natürlich.« Er kräuselte die Lippen, als schmeckte er etwas Saures. »Es steht auch ein Fahrrad zur Verfügung, Mrs Bright. Vielleicht möchten Sie von diesem Transportmittel Gebrauch machen.«

»Definitiv nicht.« Sie erhob sich von dem Stuhl vor seinem Schreibtisch, auf dem sie kühnerweise unaufgefordert Platz genommen hatte.

»Und was ist mit dem Staubsauger?« Er sah sie von oben herab an.

Mr Dobble hielt überhaupt nichts von Geräten, die der Dienerschaft die Arbeit erleichtern oder sie effektiver machen konnte. Vielleicht hatte er sich deshalb bei der Standuhr quergelegt: Er fühlte sich auf die Füße getreten, weil die Ankunft des Staubsaugers Aufregung und nervöse Unruhe ausgelöst hatte. Die Hausmädchen redeten seit Wochen über nichts anderes – außer über Elton.

»Der ist noch nicht gekommen, wie Sie sicherlich wissen«, antwortete sie.

»In der Tat … denn der Lärm des Geräts wäre in allen Winkeln des Hauses zu hören gewesen.« Seine Miene war so säuerlich wie sein Tonfall.

»Nun, wir werden es erfahren, wenn er eintrifft, nicht wahr?«, entgegnete Phyllida fröhlich. »Eins noch, Mr Dobble. Sollte sich in Zukunft jemand vom Personal bei einem Missgeschick besudeln, wäre es im besten Interesse aller Beteiligten, denjenigen nicht in schmutzigem Zustand in meine Räume zu schicken.«

»Du meine Güte«, murmelte Mr Dobble, und sein Bedauern war eindeutig gespielt. »Wie konnte ich so kurzsichtig sein? Das muss ein Desaster gewesen sein.«

»Machen Sie sich keine Sorgen«, erwiderte sie. »Chintz und Spitze sind unbefleckt geblieben.«

Sein Gesicht nahm einen zitronensauren Zug an, dann glättete es sich. »Ausgezeichnet.« Er hob ein wenig den Kopf, und sein Blick schnellte zu einer Stelle über ihren Brauen und verweilte dort, wobei ein verdächtiges Funkeln in seine Augen trat. »Um Himmels willen, Mrs Bright. Das ist doch wohl kein Ruß in Ihren Haaren … Oje, es ist welcher. Am besten, Sie halten ganz still, sonst rieselt er Ihnen in die Augen.«

Phyllida erstarrte und versuchte mit aller Kraft, die Röte zurückzudrängen, die in ihre blassen Wangen strömte. Zwar hatte sie nicht die Sommersprossen, die häufig mit roten Haaren einhergingen, aber eine sehr helle Haut, die ihre Gefühle schnell preisgab.

»Natürlich. Ich habe meinen Standpunkt klargemacht. Beim nächsten Mal finden sich die Verursacher«, sie deutete beiläufig auf ihre Haare, »vielleicht in Ihrem Anrichtezimmer ein.« Mit dieser Drohung verließ sie hoheitsvoll den Raum.

Sie ging sofort zum nächsten Spiegel und war bei ihrem Anblick entsetzt. Molly hatte es irgendwie geschafft, eine große Portion Asche auf Phyllidas leuchtendes Haar zu transferieren. Es hatte einen einzigartigen Farbton, ein golden schimmerndes Erdbeerrot. Die Farbe und auch ihre modische kinnlange Frisur sorgten bei Mr Dobble für Bestürzung, denn er war der festen Ansicht, dass sich jede Frau kleiden und frisieren sollte wie die trauernde Königin Viktoria.

Da die Königin seit Langem tot war und Phyllida sich keinen Deut um Mr Dobbles Modeansichten scherte, setzte sie noch eins obendrauf und steckte sich funkelnde Kämme oder Klammern ins Haar, anstatt es unter einer Haube zu verstecken, wie der Butler es wünschte.

Leider hatte er ihr zu Recht empfohlen, den Kopf nicht zu schütteln, denn ein kirschgroßer Ascheklumpen lag in einer Haarwelle über der linken Augenbraue. Leise fluchend löste sie ihn behutsam und war froh, dass sie gerade niemand sah. Vor allem nicht Bradford, der Chauffeur.

Er hätte zu ihrer zerzausten Erscheinung allerhand zu bemerken.

Der Gedanke, mit ihm nach Beecham House zu fahren, versetzte ihr in dieser Situation einen weiteren Dämpfer.

Sie rief bei den Rollingbrokes in Wilding House an und dann bei Miss Pankhurst, der Lebensmittelhändlerin im Dorf. Beide hatten die gleiche seltsame Ankündigung auf die gleiche Art erhalten, und anscheinend wollten sie an dem Abend teilnehmen.

Zufrieden, weil die Einladung keine List war, um Agatha Christie kennenzulernen, kehrte Phyllida in ihre Wohnung zurück und sah, dass Ginny und Molly inzwischen dort gewesen waren und alles wieder tadellos glänzte.

Was sie wegen ihrer Rivalität unternehmen sollte, würde sie sich später überlegen, denn bis sie das Haus verlassen musste, gab es sehr viel anderes zu erledigen.

Jemand klopfte an die offene Tür. »Mrs Bright?«

»Kommen Sie herein«, bat sie, während sie sich an den Schreibtisch setzte.

Es war Molly, und sie trug ein Tablett herein. Vermutlich als Wiedergutmachung, denn darauf standen nicht nur eine kleine rosa Teekanne und eine dazu passende zarte Porzellantasse, sondern auch eine Schale mit verschiedenen Gebäckstücken, darunter einer der Erdbeer-Sahne-Scones, die Phyllida am Morgen in der Küche gesehen hatte. Die aß sie besonders gern, wie die Köchin Mrs Puffley und jedes andere Mitglied des Haushalts wussten.

Zusätzlich lagen zwei Katzenminzeplätzchen auf dem Tablett.

Das war eindeutig eine Wiedergutmachung.

»Danke«, sagte sie lebhaft. »Stellen Sie es bitte dort hin.«

Phyllida achtete sehr darauf, keine ihrer Angestellten zu bevorzugen, gab im Stillen jedoch zu, dass Molly zu ihren Lieblingen gehörte. Denn normalerweise war die junge Frau aufmerksam, ordentlich und tüchtig und klatschte selten. Aus demselben Grund gehörte auch Ginny zu ihren Lieblingen, wenn sie ganz ehrlich war, und gerade deshalb war sie über die Rivalität der beiden verärgert.

»Ja, Ma’am«, antwortete Molly bei einem raschen Knicks. Sie tat wie geheißen und wandte sich zum Gehen, doch Phyllida hielt sie auf.

»Molly, wissen Sie etwas über die neue Familie in Beecham House?«

Augenblicklich ließ das Mädchen die hochgezogenen Schultern sinken und schaute erleichtert. »Klar … Ich meine, ja, Ma’am. Sie scheinen ganz nett zu sein, hab ich gehört … aber nicht so nett wie Mrs Agatha und Mr Max. Es ist ein Mann und seine Frau. Keine Kinder … Zumindest sind sie nicht da. Wokesley ist der Name.«

»Was hält das Personal von ihnen?« Phyllida rührte unvernünftig viel Zucker in ihren Tee, doch es war ein sehr herausfordernder Tag gewesen, und der Abend hielt einen Mord für sie bereit, also musste sie für ihr leibliches Wohl sorgen.

»Die Haushälterin ist aus London, und die meisten Hausmädchen sind von hier. Louise, die vorher in Gothing Hall war, arbeitet da jetzt – sie ist für den Salon zuständig –, und sie findet es ganz in Ordnung und meint, die Wokesleys sind nicht so übel wie manch andere. Doch sie hat erzählt, dass einmal der Bruder der Frau zu Besuch war und ein bisschen grapschig wurde. Darum passt sie auf, wenn er da ist, dass er sie nicht in einem Zimmer beim Bettenbeziehen erwischt.«

Phyllida kniff die Lippen zusammen. Wenn sie eins nicht dulden konnte, dann waren es »grapschige« Männer, die sich an Dienstmädchen vergriffen. Oder an anderen Frauen. Davon abgesehen stellte sich die Frage, wieso das Salonmädchen in den Schlafzimmern die Bettwäsche wechselte. »Fällt Ihnen sonst noch etwas ein?«

»Nein, Ma’am. Eigentlich nicht. Die Haushälterin … Na ja, sie ist in Ordnung, sagt Louise, obwohl sie von einer Agentur in London kommt und keine Ahnung vom Leben auf dem Land hat. Und der Diener ist zu klein für die Stellung, arbeitet aber trotzdem da.« Molly zuckte mit den Schultern. Dann schaute sie verwundert. »Aber wussten Sie schon, dass Opal ein Diener werden will?«

Phyllida führte die Teetasse ohne Stocken zum Mund, zog jedoch überrascht die Brauen hoch. »Tatsächlich?«

Opal Stamm war noch verhältnismäßig neu im Haushalt. Sie hatte das Küchenmädchen Rebecca ersetzt, das erst vor einem Monat im Obstgarten hinter dem Haus ermordet worden war. Opal war ein kräftiges Mädchen von vierzehn Jahren mit einem ernsten Gemüt. Wenn Phyllida dazu neigen würde, ihre Lieblinge zu haben, würde sie Opal wahrscheinlich dazu zählen, denn das Mädchen erledigte seine Aufgaben in der Spülküche stets sorgfältig. Außerdem war sie rücksichtsvoll und gepflegt und hatte Verstand.

Molly schüttelte den Kopf über die befremdliche Idee. »Ich hab ihr gesagt, dass ein Mädchen kein Diener werden kann, doch sie wollte nicht hören. Sie werden mit ihr reden müssen, Mrs Bright. Sie hat sich in der Waschküche Freddies Livree angesehen, hat sie an sich gehalten, weil sie fast gleich groß sind, und sie hätte sie bestimmt angezogen, wenn ich nicht dabei gewesen wäre.«

»Gut, Molly. Danke für die Auskunft. Sicher werden Sie inzwischen in der Küche gebraucht.« Phyllida blickte sie vielsagend an. »Auch wenn Mrs Agatha und Mr Max außer Haus sind, muss ein Abendessen zubereitet und serviert werden.«

»Ja, Mrs Bright.« Molly knickste und ging hinaus.

Phyllida gab Stilton ein Katzenplätzchen und hielt das andere Rye hin, der sich sogar von seinem Bücherregal herabbemühte. Dann genoss sie ihren Erdbeer-Sahne-Scone … mit den Gedanken bei einer Mordankündigung.

Ob es sich nun um ein Spiel oder eine Theateraufführung handelte – eines war sicher: An diesem Abend würden allerhand Leute nach Beecham House kommen.

»Ein Mord, Mrs Bright?« Bradford lenkte den Daimler der Mallowans die Auffahrt hinunter. Es war fünf Minuten nach sechs. »Das ist doch genau das Richtige für Sie.«

Phyllida saß vorn anstatt auf der Rückbank, wo sie derlei banale Bemerkungen hätte ignorieren können, und ging dennoch nicht darauf ein. Sie hatte eigentlich hinten einsteigen wollen, doch Bradford hatte bereits die Beifahrertür aufgehalten, als sie aus dem Haus getreten war.

Sie hatte es für klüger gehalten, auf Einwände zu verzichten. Außerdem wurde ihr auf den schmalen, kurvigen Landstraßen häufig unwohl, und das noch mehr, wenn sie hinten saß. Sie wollte nicht unpässlich in Beecham House ankommen.

Doch nach kurzem Schweigen hielt sie es für nötig, auf Bradfords ärgerlich provokante Bemerkung etwas zu erwidern. »Ich bin mir sicher, es geht nicht um einen wirklichen Mord. Vielmehr dürfte es sich um eins jener Gesellschaftsspiele handeln. Denn wer kündigt einen Mord schon im Voraus an?«

»Ein Verrückter«, murmelte er nachdenklich. »Oder auch jemand, der sehr gerissen und intelligent ist. Aber so oder so wird die stets tüchtige Mrs Bright dabei sein und herumschnüffeln … äh, ermitteln.«

»Machen Sie nur Ihre kleinen Witze«, gab sie zurück. »Ich gehe jedenfalls davon aus, dass meine Ermittlerfähigkeiten heute Abend nicht gebraucht werden.«

Nach den jüngsten Vorkommnissen bei dem Mordbasar – als zwei Menschen vergiftet und ein dritter erstochen worden waren und Phyllida den Täter schließlich überführt hatte – hatte sie es aufgegeben, ihr Faible fürs Ermitteln Bradford gegenüber zu leugnen. Das wäre schlichtweg Kraftverschwendung.

»Die arme Myrtle war ziemlich deprimiert, als ich ihr eröffnet habe, dass sie heute Abend nicht mitfahren darf.« Er blickte Phyllida von der Seite an. »Aber ich habe ihr erklärt, dass Mrs Bright ganz sicher nicht voller Hundehaare an der Kleidung bei dem Mordabend eintreffen möchte.«

»Oder mit zerrissenen Strümpfen.« Finster dachte sie an seinen Hund, dieses ungezogene, schwarze, kläffende Fellbündel mit der aufdringlichen nassen Zunge. »Ich habe enorm viele Strümpfe ersetzen müssen, seit dieses Tier auf der Bildfläche erschienen ist.« Ganz zu schweigen davon, die nasse Zunge durch ihre Seidenstrümpfe zu spüren. Sie unterdrückte ein Schaudern.

»Genau. Das habe ich ihr auch gesagt«, bekräftigte Bradford. »Dass Mrs Bright das einfach nicht dulden würde. Doch ich habe ihr versprochen, dass sie mitfahren darf, wenn ich Sie abhole. Um wie viel Uhr wird das sein, was meinen Sie, Mrs Bright?«

Sie wusste, er sprach ihren Namen mit diesem ironischen Unterton aus, um sie auf die Palme zu bringen. Und das, wo er sich partout nicht mit Mr Bradford anreden lassen wollte, obwohl sich das gehörte. »Ich weiß nicht, wie lange sich der Mordabend hinziehen wird«, antwortete sie geringschätzig. »Vielleicht sollten Sie der Einfachheit halber warten, für den Fall, dass ich mich hastig verabschieden muss.« Auf diese Weise könnte er auch nicht nach Mallowan Hall zurückfahren und die ungestüme Myrtle mitbringen.

»Hastig verabschieden?« Ihr Versuch, seinen Plan zu vereiteln, rief bei ihm ein kurzes Kichern hervor, und er schüttelte den Kopf. »Sie wollen doch sicher nicht, dass meinesgleichen vor dem Haus herumlungert, während Sie bei einem Mord dabei sind, Mrs Bright.«

»Sie müssen nicht herumlungern«, erwiderte sie steif. »Sie könnten … zum Beispiel den Wagen polieren oder sich mit dem Chauffeur der Wokesleys unterhalten. Sofern sie einen haben.«

Er lachte laut auf. Danach sprach er sie nur noch auf die verspätete Lieferung des Staubsaugers an und blieb für den Rest der Fahrt nach Beecham House wunderbar still.

Phyllida war noch nie dort gewesen und hatte das elegante weiße Haus nur im Vorbeifahren durch die Bäume blitzen sehen. Die Zufahrt führte durch ein Waldstück, das sich schließlich zu einem Park lichtete.

Das Anwesen war nicht halb so beeindruckend wie Mallowan Hall, und dennoch hatte Beecham House ein stattliches dreigeschossiges Wohnhaus mit vielen Giebeln und Dachgauben, war aus weiß getünchten Ziegeln statt aus Stein gebaut und die Front dicht mit Efeu bewachsen.

Ein Steinplattenweg führte zu den drei Stufen vor dem breit überdachten Eingang, und gepflegte Gärten mit Bäumen, Büschen und niedrig gestuften Terrassen erstreckten sich zu beiden Seiten. Es gab reichlich Platz für Automobile, was ein Glück war, denn da standen bereits fünf hintereinander vor dem Haus.

»Anscheinend sind nicht nur Sie entschlossen, bei dem Mord dabei zu sein, Mrs Bright.« Bradford parkte den Daimler.

Als Phyllida ausstieg, überdachte sie ihre Optionen. Sollte sie versuchen, den Vordereingang zu nehmen, als Gast? Oder sollte sie zum Dienstboteneingang gehen und dort ins Haus schlüpfen?

Bradford schien ihre Gedanken zu lesen. »Was werden Sie tun, Mrs Bright? Unverfroren mit den anderen Gästen hineingehen oder hinters Haus schleichen, wo der Metzger und der Milchmann ein und aus gehen?«

»Ich schleiche niemals«, murmelte sie, worauf er leise lachte.

»Schleichen zu können dürfte für eine Privatdetektivin von Vorteil sein«, meinte er und schloss die Wagentür hinter ihr.

»Monsieur Poirot würde um keinen Preis schleichen.« Sie wünschte wirklich, Bradford würde sich entfernen und aufhören, sie zu beobachten. Sie verabscheute es, so unschlüssig zu sein, und erst recht im Beisein anderer.

Schließlich nahm sie sich zusammen und ging hinter einem Mann und einer Frau, die gerade aus ihrem Wagen gestiegen waren, forsch auf die Haustür zu. Sie hatte die Aufgabe, die Mallowans zu vertreten, und war nicht als Haushälterin hier. Sie hoffte nur, man werde sie nicht an der Tür abweisen – zumal Bradford dabei zusah.

Aber heutzutage handhabte man die Trennung zwischen Dienerschaft und Oberschicht nicht mehr so streng wie früher. Diese Grenzen waren seit dem Krieg ein wenig verblasst, vor allem weil Bürgerliche wie die Mallowans alte Herrenhäuser kauften und somit Scharen von Hausangestellten beschäftigen mussten, die sich der Adel nicht mehr leisten konnte. Natürlich war die Beziehung von Phyllida und Agatha einzigartig, nämlich von beiderseitigem Respekt geprägt und weniger eine zwischen Arbeitergeberin und Angestellter als vielmehr die zweier Freundinnen, die einander unterstützten und beistanden.

Zum Glück folgte Bradford ihr nicht oder kommentierte ihre Entscheidung. Sie verbannte den Mann energisch aus ihren Gedanken und hielt auf die Haustür zu.

»Guten Abend.« Der Butler, vermutlich Mr Trifle, der mit Mr Dobble befreundet war, ließ sie und die beiden anderen Gäste herein. Vor ihrem Aufbruch hatte Mr Dobble ihr gesagt, dass er mit ihm gesprochen, aber nichts über den »Mord« aus ihm herausbekommen habe, und dass ihm der Butler erschöpft und geistesabwesend vorgekommen sei.

»Willkommen in Beecham House. Wir sind hocherfreut, dass Sie es einrichten konnten, an unserem Mordabend teilzunehmen.« Mr Trifle lachte mit einer dunklen Bassstimme, die ein wenig unheimlich … und unecht klang. Er war älter als Dobble und hatte dichtes weißes Haar und buschige schwarze Brauen, die aussahen, als würden sie sich gleich in die Lüfte schwingen.

»Danke«, murmelte Phyllida und gesellte sich zu einer kleinen Gruppe von Leuten, die im Foyer standen. Es war so groß, dass weitere zehn, fünfzehn Gäste bequem darin Platz fänden. An der Seite führte eine Treppe nach oben, die nach drei Stufen im rechten Winkel nach links abknickte und an der Wand entlang zu einer Empore verlief, die das gesamte Foyer überblickte.

Eine große Standuhr nahm einen markanten Platz ein und erinnerte Phyllida an ihren Streit mit Mr Dobble. Diese war allerdings größer und noch reicher verziert als jene, an die der Butler eine Axt hatte anlegen wollen. Sie zeigte zwanzig Minuten vor sieben an.

Da sich niemand als einer der Wokesleys vorgestellt oder sich jemand anderes als Gastgeber zu erkennen gegeben hatte, schaute Phyllida sich neugierig um.

Sie kannte einige der Gäste, darunter Sir Paulson Rollingbroke, der unter Freunden Sir Rolly genannt wurde, und seine Frau Vera, die als Kriminalautorin dilettierte und vergangenen Monat an dem Schriftstellerwettbewerb beim Mordbasar teilgenommen hatte. Sie hatte nicht gewonnen, war aber auch nicht wegen Mordes verhaftet worden.

Miss Pankhurst, die Besitzerin des Lebensmittelgeschäfts, war gekommen, ebenso Bartholomew Sprite, der Apotheker des Dorfes. Da sie fortwährend um Kunden konkurrierten, mieden sie einander. Zu Phyllidas Freude war Dr. John Bhatt auch dabei, und als sie neben ihn trat, begrüßte er sie mit einem strahlenden Lächeln.

»Phyllida! Welch wunderbare Überraschung, Sie hier zu sehen!« Er führte ihre Hand zu einem flüchtigen Kuss an die Lippen. Sein üppiger schwarzer Schnurrbart war fast so hinreißend wie der, den Poirot in ihrer Fantasie trug, und die perfekt geschnittenen, leicht gewachsten Spitzen strichen über den dünnen Stoff ihres Handschuhs. Phyllida und er trafen sich regelmäßig in dem Café in Listleigh. Bislang war es jedoch bei einer herzlichen Freundschaft geblieben … weil sie es so wollte.

»Das wird ein Erlebnis. Ein angekündigter Mord!« Sein Englisch war exzellent, wenn auch gefärbt vom Klang seiner indischen Muttersprache.

»Recht ungewöhnlich«, pflichtete sie lächelnd bei.

Ein Diener, der ihr gerade eben bis zur Schulter reichte, trug ein Tablett mit Getränken vorbei. Phyllida nahm sich einen Martini mit zwei Oliven und nippte daran, während sie leise mit Dr. Bhatt plauderte.

Das Stimmengemurmel der versammelten Gäste füllte das Foyer. Alle schienen darauf zu warten, dass etwas passierte.

Und kurz darauf war es so weit.

Ein Mann und eine Frau erschienen auf der Empore.

»Guten Abend!«, dröhnte der Mann und breitete theatralisch die Arme aus. Fehlte nur noch ein wallender Umhang. »Willkommen in Beecham House. Ich bin Clifton Wokesley, und das ist meine schöne Frau, Beatrice.« Er hielt einen Moment lang lächelnd inne und wartete, bis alle still waren.

Das gab Phyllida die Gelegenheit, die Wokesleys zu mustern. Er war ein Mann in den Vierzigern mit ebenmäßigen Zügen und einem kleinen, sauber geschnittenen Schnurrbart, der zu seiner blonden schulterlangen Löwenmähne passte. Klotzige Ringe glänzten an seinen Fingern – ihrer Ansicht nach zu viele –, und sein Auftreten erinnerte sie an einen Zirkusdirektor: laut, aufdringlich und nervös … und doch gewann man den Eindruck, das sei nur gespielt, so als wäre er ohne die Ringe und das Publikum ein stiller, unerschütterlicher Mensch.

Mit seiner Haarpracht und der markanten Nase war er sicher kein besonders gut aussehender Mann, schien sich jedoch gern in Szene zu setzen.

Dagegen war die Frau neben ihm glamourös wie ein Filmstar. Groß und gertenschlank mit schreiend roten Haaren, die nach Phyllidas Überzeugung gefärbt waren. Sie hielt sich für eine Expertin, was die verschiedenen Rottöne anging, da sie selbst mit einem seltenen Rotton zur Welt gekommen war. Und Mrs Wokesleys rubinroter Bob war nicht natürlichen Ursprungs.

Vielleicht passte das zu dieser Frau, die sich eine so laute Farbe ausgesucht hatte, denn sie schien sich im Rampenlicht genauso wohlzufühlen wie ihr Mann, und der teilte es offenbar gern mit ihr, denn er nahm ihre Hand und zog sie an seine Seite.

»Nochmals willkommen in Beecham House! Genießen Sie die letzten Augenblicke, denn … um Punkt sieben Uhr wird jemand sterben.«

Und mit schwungvoller Geste traten er und seine Frau vom Geländer zurück und verschwanden aus dem Blickfeld.

3

»Du lieber Himmel«, murmelte Phyllida und hätte ob der Theatralik beinahe mit den Augen gerollt.

Unter erregtem Stimmengemurmel drehten sich alle zur Standuhr um.

Es war sechzehn Minuten vor sieben.

»Eine ziemlich ausgefallene Art, sich mit seinen Nachbarn bekannt zu machen«, sagte John, und sein schöner Schnurrbart zuckte.

»Allerdings.« Phyllida war sich nun umso sicherer, dass ihnen ein Spiel oder eine Aufführung bevorstand.

Sie warteten darauf, dass die Uhr sieben schlug, tauschten Höflichkeiten aus und machten Bemerkungen über die anderen Gäste, die Auswahl der Cocktails, den Zierrat und anderes.

Plötzlich gellte ein Schrei durchs Haus. Die Frau neben Phyllida zuckte zusammen und schlug sich erschrocken an die Brust, sodass sie etwas von ihrem Martini verschüttete. Alle verfielen in erwartungsvolles Schweigen, nur einer murmelte noch etwas. Und als die Uhr sieben schlug, drehten sie sich um, weil hinter ihnen die Flügeltüren geöffnet wurden.

Der Raum dahinter lag im Dunkeln. Dann wurde – wie auf einer Bühne – das Licht eingeschaltet, und es zeigte einen gut eingerichteten Salon und fünf Leute, die reglos eine wirkungsvoll gruppierte Szene bildeten.

Gedämpftes Lachen und Geraune ging durch das Foyer, als die sechste Person bemerkt wurde, denn die lag auf dem Bauch ausgestreckt am Boden.

In ihrem Rücken steckte ein Messer.

Phyllida hörte Vera Rollingbroke flüstern: »Was für ein Spaß!«, während sich alle näher heranwagten.

Niemand glaubte, dass da wirklich ein Toter lag, auch Phyllida und Mrs Rollingbroke nicht. Vielmehr sah Phyllida, dass Mr Wokesley höchstpersönlich das Mordopfer mimte. Sein Gesicht war von ihr abgewandt, doch sie erkannte ihn an den langen Haaren, der Kleidung, die er bei der Begrüßung getragen hatte, und nicht zuletzt an den Ringen an seinen zusammengekrümmten Fingern.

Wer jedoch den Schrei ausgestoßen hatte … Es konnte einer der fünf Schauspieler gewesen sein, die im Salon verteilt standen. Es wirkte wie ein Schnappschuss von einer Cocktailparty. Jeder von ihnen hielt ein Glas oder etwas anderes in der Hand und blickte entsetzt zu der »Leiche«.

»Du meine Güte!«, rief einer. »Er ist tot!«

»In der Tat«, sagte eine Stimme, die Phyllida als die von Mr Trifle erkannte. Die Gäste drehten sich um und sahen den Butler auf einer Treppenstufe im Foyer stehen. »Mr Wendell Bowington wurde in seinem eigenen Salon erstochen. Aber wer kann das getan haben? War es sein Bruder, Dermott Bowington, der neidisch auf seinen Reichtum und sein Ansehen ist?«

Die Gäste richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Salon, als einer der fünf in dem Tableau sich aus seiner starren Haltung löste und sich mit seinem Gehstock und seinem bräunlichen Getränk in Positur warf. Offenbar stellte er Dermott Bowington dar.

»Oder kann Mr Bowingtons schöne junge Frau Caterina die Tat begangen haben, die, wie man hört, vor Kurzem noch mit ihm gestritten hat?«

Eine der zwei Frauen, die leicht als Mrs Wokesley zu erkennen war, erhob sich aus ihrem Sessel. Sie hielt einen perlweißen Fächer in der Hand, den sie elegant bewegte, während sie mit großen Augen entsetzt auf ihren »toten Gatten« blickte.

Mr Trifle fuhr fort, die Verdächtigen vorzustellen. »Mr Bowingtons früherer Geschäftspartner, Oscar Charles, war ebenfalls zugegen und kann den Mord begangen haben. Zwischen den beiden war es zu einem Zerwürfnis gekommen, das erst kürzlich behoben wurde … oder vielleicht doch nicht?«

Ein Darsteller mit offensichtlich angeklebtem Schnurrbart hob sein Glas und trank einen Schluck. Er rückte seinen Kneifer zurecht und schaute herablassend in die Runde, um dann in die Reglosigkeit zurückzukehren.

»Und jeder wusste, dass Mrs Hilary Charles dem ältesten Freund ihres Mannes nicht besonders gewogen war.«

Hilary Charles gab vor, an einem Glimmstängel zu ziehen, der in einer langen elfenbeinfarbenen Zigarettenspitze steckte. Dabei betrachtete sie den Toten höhnisch.

»Und zu guter Letzt Lionel MacGavity, Mrs Bowingtons verschollen geglaubter Bruder, der just am Tag des Mordes in Bowington Manor erschien. Kann das ein Zufall sein?«

Der Schauspieler in der Rolle MacGavitys erwachte zum Leben und schmauchte seine Pfeife, nahm sie jedoch kurz vom Mund, als er einen genaueren Blick auf den Toten warf.