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Stolz, charmant und mutig: »Der Kuss der Champagnerfürstin«, der mitreißende Historienroman von Katryn Berlinger jetzt als eBook bei dotbooks. Köstlich prickelnd garantiert er den vollkommenen Genuss – der Champagner, für den die Duharnais so berühmt sind. Um den makellosen Ruf ihrer Familie zu wahren, hat Amélie viel geopfert – und sogar einen Mann geheiratet, der so alt ist wie ihr Großvater, der gestrenge Patriarch der Champagner-Dynastie … Doch nun ist sie nicht länger bereit, sich im goldenen Käfig einsperren zu lassen: Ganz auf sich allein gestellt reist Amélie nach St. Petersburg, um die prachtvolle Stadt der Zaren für die Duharnais‘ zu erobern. Doch in den feinen Salons ist man nicht nur vom perlenden Champagner begeistert, die schöne Französin bekommt ebenfalls viel Aufmerksamkeit – so auch von Fürst Alexander, auf dem ein dunkles Familiengeheimnis lastet … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bewegende historische Roman »Der Kuss der Champagnerfürstin« von Katryn Berlinger. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Über dieses Buch:
Köstlich prickelnd garantiert er den vollkommenen Genuss – der Champagner, für den die Duharnais so berühmt sind. Um den makellosen Ruf ihrer Familie zu wahren, hat Amélie viel geopfert – und sogar einen Mann geheiratet, der so alt ist wie ihr Großvater, der gestrenge Patriarch der Champagner-Dynastie … Doch nun ist sie nicht länger bereit, sich im goldenen Käfig einsperren zu lassen: Ganz auf sich allein gestellt reist Amélie nach St. Petersburg, um die prachtvolle Stadt der Zaren für die Duharnais‘ zu erobern. Doch in den feinen Salons ist man nicht nur vom perlenden Champagner begeistert, die schöne Französin bekommt ebenfalls viel Aufmerksamkeit – so auch von Fürst Alexander, auf dem ein dunkles Familiengeheimnis lastet …
Über die Autorin:
Katryn Berlinger arbeitete lange Zeit als Direktionsassistentin, entschied sich dann aber für ein Studium der Germanistik und Systematischen Musikwissenschaft. Nach ihrem Abschluss war sie in einem Hamburger Schallplattenunternehmen tätig. Einige Jahre später tauschte sie dann den Beruf gegen die Familie ein. Heute lebt und arbeitet die Autorin in Norddeutschland.
Bei dotbooks sind von Katryn Berlinger bereits die historischen Romane »Die Frauen von Ahlbeck«, »Die Malerin von Genua«, »Die Zuckerbäckerin von Riga« und »Die Liebe der Zuckerbäckerin« erschienen; letztere sind im Sammelband »Das Schokoladenmädchen« zusammengefasst.
Außerdem veröffentlichte sie bei dotbooks ihre Familiengeheimnis-Romane »Die Insel der Herzkirschen« und »Das Inselhotel der Träume« und sowie ihren heiteren Roman »Mit dem falschen Mann fing alles an«.
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Überarbeitete eBook-Neuausgabe November 2022
Dieses Buch erschien bereits 2005 unter dem Titel »Die Champagnerfürstin« im Knaur Taschenbuch.
Copyright © der Originalausgabe 2005 by Knaur Taschenbuch.Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nacht. GmbH & Co. KG, München
Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Vladimir Sazonov, Darya Komarova
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-98690-412-8
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Katryn Berlinger
Der Kuss der Champagnerfürstin
Roman
dotbooks.
»Ich trinke ihn, wenn ich froh bin
und wenn ich traurig bin.
Manchmal trinke ich davon,
wenn ich allein bin;
und wenn ich Gesellschaft habe,
dann darf er nicht fehlen.
Wenn ich keinen Hunger habe,
mache ich mir mit ihm Appetit,
und wenn ich hungrig bin,
lasse ich ihn mir schmecken.
Sonst aber rühre ich ihn nicht an,
außer wenn ich Durst habe.«
Lily Bollinger, Champenoise
Die Abendsonne überschwemmte die Weinberge der Champagne mit strahlend kupfergoldenem Licht. Sanft wellten sich Hügel aneinander, deren grüne Kordelreihen bis zum Horizont ein eintöniges, doch gleichzeitig friedvolles Muster bildeten. Amélie Suzanne Duharnais rief sich ins Bewusstsein, welcher Reichtum gerade in dem Unscheinbaren der Landschaft ruhte, doch schien es ihr, als wollte es ihr heute nicht recht gelingen, über diesen Gedanken froh zu werden.
Die Flügel der alten Windmühle von Verzenay, zu der Amélie hinüberschaute, standen still. Prüfend folgte ihr Blick den wenigen Frauen und Männern, die an diesem letzten Tag der Weinlese des Jahres 1896 die Rebstöcke noch einmal gewissenhaft nach übergangenen Trauben durchsuchten. Ein Eselskarren harrte ihrer auf der schmalen Landstraße, die Verzenay und Verzy miteinander verband. Ob der Pächter aus Mailly-Champagne bereits seinen Anteil pünktlich geliefert hatte? Ohne dass, wie im letzten Jahr, wieder Beeren aufgeplatzt waren und kostbarer Rebsaft verloren gegangen war? Großvater Jerome würde ihn mit der Axt spalten wie einen Holzscheit. Jede Beere war wertvoll, beinahe so wertvoll wie das eigene Blut.
Amélie sog die kühler werdende Abendluft ein. Sie glaubte Pilze unter feuchtkaltem Laub, Trüffel und frisch geschlagenes Eichenholz zu riechen und den üppigen, erdigen Geschmack eines tiefroten Burgunders zu schmecken. Warum ließ sie nicht den Dunst der Reben, das süßfruchtige Aroma ihrer kostbaren Chardonnay-Trauben zu? Sie schloss kurz die Augen vor der Kraft einer Septembersonne, die ihr zu befehlen schien, sich an das Geschehen der letzten Nacht zu erinnern. César hatte sie geküsst, César, der junge Lesehelfer aus dem Burgund. Gestern Nacht waren sie nach dem gemeinschaftlichen Abendessen und ausgelassenen Tänzen über den Rand der Duharnais’schen Weinberge hinausgewandert in die schrankenlose Dunkelheit des Waldes der Montagne de Reims.
Beinahe schien es Amélie, als ob sie sich vor dem starr hinüberschauenden Antlitz der alten Windmühle von Verzenay schämen müsste. Schließlich war diese das Wahrzeichen ihrer Heimat ‒ und sie Amélie Suzanne Duharnais, Tochter eines kleinen, doch angesehenen Champagnerhauses, das 1802 gegründet und seitdem mit unermüdlichem Fleiß erhalten wurde. Das Winzergewerbe glich einem Vabanquespiel, es gab Jahre des Überflusses, des Mangels, Verbitterung und Hoffnung wechselten einander ab wie Sonne und Mond. Wie oft hatte sie schon erlebt, mit welcher Wut ihr Großvater die Faust gen Himmel gereckt und Frost im Mai, Hagelschauer im Sommer und Dauerregen im Herbst verflucht hatte.
César kümmerte das alles nicht mehr, denn seine Familie hatte ihren Besitz verloren. Amélie wusste, warum.
Sie legte die Hand über die Augen, um zu schauen, ob sie ihn inmitten der langsam fortstrebenden Lesehelfer erkennen konnte. Doch statt seiner stieg schwerfällig ein leicht gebeugter Mann mit breiten Schultern und beinahe quadratischem Kopf unter einem flachen Hut den Hang zu ihr hinauf.
»Amélie!«, rief er. »Sie lügen alle!« Wieder hörte Amélie in der Erinnerung Cesär erzählen, wie es zu dem Untergang seiner Familie gekommen war. »Amélie! Eine gute Ernte!« Amélie ergriff ein Gefühl bitterer Ohnmacht, weil sie wusste, dass ihr Großvater log. Die Ernte war mittelmäßig, die Trauben schwächer ausgebildet als in den Jahren zuvor. Er ist halsstarrig und unbelehrbar, dachte sie bekümmert. Jetzt war Jerome Patrique Duharnais auf gut dreißig Schritte herangekommen und blieb stehen, um Luft zu holen. Er breitete die Arme aus und berührte mit jeder Hand eine Rebreihe. »Der Sommerschnitt hat den Trauben gut getan. Fabien, deinem heißblütigen Bruder, habe ich immer wieder eingeschärft: Je weniger Reben am Rebstock hängen, desto besser ist ihre Qualität. Nichts wird uns daran hindern, weiterzumachen wie bisher. Auch wenn ich daran zweifle, dass dieser faule Lump ohne Prügel behält, was man ihm sagt.« Jerome Duharnais keuchte und begann zu husten. Er sah aus wie ein überalterter verwachsener Rebstock, den man seit Jahren beim Zurückschneiden übersehen hatte. Amélie wusste, dass der Sommerschnitt nur ein selbstbetrügerischer Versuch gewesen war zu retten, was nicht zu leugnen war: Die Reben hatten in diesem Jahr weniger und kleinere Trauben hervorgebracht.
Sie erhob sich und strich sich über den Hals. Die Berührung ihrer Hände löste das beklemmende Gefühl, das ihr das Atmen schwer gemacht hatte. Schweigend betrachtete sie ihren Großvater, der nun in ein Taschentuch spuckte. Sie ging ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen, doch als sie an ihn herangetreten war, packte er in einer ungestümen Bewegung ihre Handgelenke und legte ihre Hände auf seine Brust.
»Sag, was fühlst du? Sag die Wahrheit, Amélie. Die Rebstöcke hier rechts und links sind so alt wie du ‒ siebzehn Jahre. Ich habe sie im Jahr deiner Geburt 1879 eigenhändig gepflanzt. Sie sind Zeugen deiner Antwort.«
»Lass dir die Freude über die Ernte nicht verderben«, wich Amélie aus. Doch er schüttelte ärgerlich den Kopf und warf einen kurzen Blick gen Himmel.
»Du sollst mich nicht auch noch belügen, Kind. Nicht du.« Herausfordernd schaute er ihr ins Gesicht. »Nun sag schon, was fühlen deine Hände?«
Einen Moment zögerte Amélie, ihm mitzuteilen, was ihre Hände, die noch immer auf seiner Brust lagen, lasen. Es fiel ihr ebenso schwer wie Minuten zuvor die Erinnerung an César zu verdrängen.
»Es fühlt sich an, als ob mich …«, sie schaute unwillkürlich in Richtung des Waldes, »… als ob mich die Stacheln der Kastanien stächen.«
Seine kräftigen Augenbrauen hoben sich überrascht ‒ war es wegen ihrer Formulierung, war es, weil sie ausgesprochen hatte, was er längst schon wusste? Amélie bemerkte nur, dass sein Herz etwas schneller schlug. Einen kurzen Moment lang legte sich eine leichte Röte auf sein wettergegerbtes Gesicht.
»Du meinst also, ich bin dem Tode geweiht«, murmelte er. »So wie diese Rebstöcke …«
Ächzend stützte er sich auf ihre Schulter. Amélie schwieg. Wieder kam ihr César in den Sinn. Sie wäre am liebsten zu ihm, in die fröhliche Welt des Verliebtseins, des Tanzes geflüchtet, in seine Arme, die sie die Kraft seines lebenslustigen Körpers fühlen ließen.
Jerome Duharnais hustete wieder. Dann plötzlich sagte er: »Berühr sie. Fass sie an, die Reben. Sag, dass sie gesund sind. Sag, dass alles, was die anderen behaupten, Lüge ist. Nichts als Lüge.« Er stampfte mit einem Fuß auf und beschrieb einen Halbkreis. »Es ist mein Boden, hörst du, Amélie? Dein Vater ist ein noch größerer Dummkopf als dein Bruder. Er glaubt wie alle diese Hornochsen und Vaterlandsverräter diesem Abbe, diesem …«
»… Abbe Dervin«, beendete Amélie leise seinen Satz.
»Du weißt davon?« Er schüttelte sie heftig. »Du?«
»Die Reblaus hat bereits fast das ganze Burgund vernichtet, Großvater«, flüsterte sie und senkte errötend den Kopf. »Man sagt, sie wird bald die Marne überspringen.«
»Dieser Pfaffe lügt!«, schrie Jerome Duharnais. »Wir werden unsere Rebstöcke nicht herausreißen, als wären es Brennnesseln! Wir werden sie nicht verbrennen wie die heilige Jungfrau von Orleans! Ich werde es nicht zulassen, meine Weinberge aufs Schafott zu führen, um vor den Teufeln einen Kniefall zu machen, die uns dieses verfluchte Ungeziefer in den Pelz gesetzt haben!«
Er bebte vor Wut.
»Es stimmt, die Reblaus kommt aus Amerika. Händler führten sie auf ihren Schiffen mit, ohne es zu wissen. Versehentlich, verstehst du? Niemand hat sie absichtlich nach Europa gebracht.« Amélie bemühte sich um einen ruhigen Ton, der nichts bewirkte, denn Jerome Duhamais ballte die Faust.
»Wir wollen sie nicht!«, brüllte er. »Und sie ist nicht hier!« Er packte ihre Hände und drückte sie an einen der armdicken Rebstämme. »Nun sag, was fühlst du? Wie? Spürst du sie krabbeln? Nagen? Fressen?«
»Du führst dich auf wie ein Narr!«, rief Amélie. »Alle sagen es. César hat mir erst gestern erzählt, wie furchtbar das Sterben der Winzer im Burgund war. Und die wenigen, die sich noch dagegen wehren, die alten Rebstöcke gegen widerstandsfähige amerikanische auszutauschen, werden ebenso untergehen wie alle anderen.«
»Du Kindskopf glaubst das?«
»Ich glaube das, was ich verstehe«, entgegnete Amélie kühl. »Du willst nicht wahrhaben, dass die Reblaus schon seit Jahren Weinberge in unserem Land vernichtet. Sie begann in den Departements Rhone und Gironde. Jetzt ist sie bald bei uns, so wie sie sich schon in die Weinberge im Elsass und in Deutschland gefressen hat. Ihr schmecken nun einmal die Wurzeln unserer Rebstöcke. Sie saugt an ihnen und tötet den Weinstock. Wir werden nur überleben können, wenn wir das tun, was Abbe Dervin seit Monaten predigt: Vernichtet eure Rebstöcke, reinigt die Böden und pfropft auf eure eigenen Sorten die fremden Stöcke.« Dem alten Duharnais stockte der Atem. Seine Augäpfel traten hervor, mit dem Handrücken wischte er sich Speichel vom Mund.
»Du willst also die Saat deiner Geburt vernichten«, stieß er hervor. Amélie schüttelte schweigend den Kopf, hielt aber seinem forschenden Blick stand. Er bückte sich und zupfte eine Beere ab, auf der eine Wespe saß. Von unten blickte er sie an und fragte heiser: »Wer ist dieser César?« Amélie schaute in die Ferne. Weiter nördlich floss die Vesle und schickte in seichten Wogen abendliche Nebel in die Weinberge. Schon schimmerte wallendes Weiß zwischen den grünen Kordelschnüren der Rebreihen. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus raffte sie ihren Rock, sprang an ihrem Großvater vorbei, drehte, abwärts laufend, Pirouetten und winkte ihm, der immer kleiner wurde, zu. Doch die Gewalt seiner Stimme sprach der größer werdenden Distanz zwischen ihnen Hohn.
»Antworte mir!«
»Mon ami! Mon amour!«, rief sie ihm über die Schulter zu. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er wohl gehört hatte, dass sie ihm geantwortet hatte, doch er legte die Hand hinters Ohr und schüttelte den Kopf. Amélie frohlockte, ihm entkommen zu sein. Sie lief in großen Sprüngen den Weg entlang, als sie, atemlos geworden, innehielt, weil sie glaubte, an Waden und Nacken von etwas Feuchtem getroffen worden zu sein. Sie schaute sich um, sah aber außer den Weiten der Hügellandschaft mit ihren Rebzeilen nur einen halb verrotteten Holzschuppen und eine Reihe Espen mit zittrigen Blättern. Wieder traf sie etwas. Es fiel zu Boden und entpuppte sich als aufgeplatzte Weintraube. Sie drehte sich um. Aus einer kleinen Mulde am Rande des Weinbergs zeigte sich erst eine Lesewanne, dann Césars lachendes Gesicht.
»Kätzchen! Kätzchen!«, rief er fröhlich und lief auf sie zu. »Es sind unsere Trauben! Verschwende sie nicht!«, herrschte ihn Amélie ungeachtet seines Charmes an.
»Du meinst, ich sollte sie lieber zwischen den Rebzeilen liegen und von anderen zertreten lassen, als sie aufzusammeln und dich mit ihnen anzulocken?« Er schüttelte sich vor Lachen. »Ach Kätzchen, es sind doch nur eine Hand voll. Du bist stehen geblieben, also haben sie ihren Zweck erfüllt.« Er beugte sich vor und küsste sie, bevor sie etwas entgegnen konnte, voller Überschwang auf den Mund.
»Nenn mich nicht Kätzchen, César, sonst…«
Sie bückte sich, nahm eine Hand voll Sand vom Weg und bewarf ihn. Er wich geschmeidig aus, griff nach ihrer Taille und zog sie an sich. Da sie sich über ihn ärgerte, wand sie sich und beugte sich zurück, doch César hielt sie fest, und sie merkte, wie sehr sie die sehnige Härte seiner Arme genoss.
»Weißt du nicht, dass man bei uns in Burgund sagt, dass, wenn der Wein gärt, die Keller sich mit Gasen füllen, ein munteres Kätzchen in den Fässern an den Eichenwänden kratzt? Wenn aus den Fässern der rosa Schaum emporsteigt und aus dem Spundloch kriecht, dann ist die Zeit des Kätzchens gekommen, das drinnen im Fass wild gärt.« Er küsste sie. Er schmeckte nach Trauben, frischer Luft und unbändiger Lebensfreude. »Es macht mich trunken, dieses wilde Gärkätzchen«, flüsterte er und presste ihren Leib an sich. Amélie schwindelte vor Verliebtsein.
»Und du… du bist gefährlicher als eine ganze Armee Rebläuse.« Sie zauste sein dichtes lockiges Haar, dann schob sie ihn von sich. »Man könnte uns sehen. Großvater ist noch oben am Berg.«
César ergriff ihre Hände und sah ihr tief in die Augen. »Treffen wir uns heute Abend wieder? Gib mir ein Zeichen, ja?«
Dann lief er zu der leeren Lesewanne zurück, hob sie über seine Schultern und rannte Staub aufwirbelnd an Amélie vorbei, dem Weingut entgegen.
Über den Hof des Weinguts Jerome Patrique Duharnais et Fils wurden gerade die letzten Lesekörbe und Bütten voller Chardonnay-Trauben zum Kelterraum getragen. An der Längsseite, im Schutz der Hofmauer, standen lange Tische mit Holzbänken. Schon hatten sich einige der Lesehelfer auf ihnen niedergelassen, schauten Amélie neugierig entgegen, rauchten oder drehten durstig Gläser in den Händen. César lag pfeifend im Schatten der Hofkastanie und wippte mit dem Fuß. Amélie tat, als sähe sie ihn nicht, und folgte der letzten Bütte, die zur Kelter getragen wurde. Es war eigenartig, doch mit jedem Schritt in die Tiefe des Gewölbekellers schien sie sich auch mit ihrer Seele von César zu entfernen.
Im halbdunklen kühlen Keller beugten sich ihr Vater und ihr Bruder über die alte Korbpresse, die Marmonnier. Amélie war mit ihrer ächzenden Drehmelodie aufgewachsen. Sie erinnerte sich wieder daran, dass sie als kleines Mädchen statt Marmonnier Marman gesagt hatte. Ihren Großvater hatten ihre stolpernden Sprechversuche so begeistert, dass er sie oft auf den Arm genommen und in die riesige Kelter hatte schauen lassen, in der den reifen Trauben kostbarer Most abgepresst wurde. »Sie ist deine Marman und ich dein Parpan«, hatte er gescherzt ‒ ein Wortspiel, das sie damals immer wieder hören wollte. Erst als sie älter geworden war, hatte sie gespürt, wie sehr sich ihre Eltern darüber ärgerten, dass sie derart vom Großvater vereinnahmt wurde und er die Wahrheit mit diesen Worten schlichtweg umrührte wie die Trauben in der Presse.
Es schien Amélie jetzt, als ob er schon damals die Absicht gehabt hätte, ihr mit seinen Worten einen Most einzutrichtern, der im Laufe der Jahre gären sollte, denn ihr war, als hätte sie nie zuvor eine so starke Verbundenheit zu diesem alten Gerät empfunden. Die Marmonnier ächzte und seufzte ihr altes Lied, dass auf sie Verlass sei und alles gut werde. Doch ihr Gesang tröstete Amélie nur für einen kurzen Moment, denn sie war gerade einmal halb voll, und zudem floss der Most nur in dünnen Rinnsalen unter dem Stempel hervor. Nachdenklich betrachtete sie diese wenig ergiebige erste Pressung. Sie würde die beste Weinqualität, die Cuvee, ergeben und war jetzt kostbar wie selten zuvor. War es der letzte Most jener Rebstöcke, durch deren Reihen sie soeben verliebt gelaufen war?
»Heute Abend werde ich mir den Alten vorknöpfen«, sagte ihr Vater Hippolyte und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.
»Ja, tu das. Vorknöpfen … eine gute Sache ist das«, knurrte Fabien und warf Amélie einen bösen Blick zu.
»Die Trauben geben kaum Saft. Ihr werdet sehen, im nächsten Frühjahr bleiben die Augen geschlossen.« Hippolyte lehnte sich erschöpft gegen einen Wandpfeiler und starrte vor sich hin, denn das hieß nichts anderes, als dass die Pflanzen keine Kraft haben würden, Knospen zu bilden. Ohne Knospen keine Blüte, ohne Blüte keine Fruchtknoten, ohne Fruchtknoten keine Beeren ‒ ohne Beeren leere Fässer und leere Kassen.
Mit einem Korb voller Herbstastern, Sonnenhut und Dahlien betrat Amélies Mutter Marthe Duharnais den Kelterraum. »Es wäre besser gewesen, du hättest damals, als wir heirateten, die Winzerei aufgegeben, Hippolyte. Was haben wir bisher von unserem Leben anderes gehabt als Mühsal und Angst ums tägliche Brot?«
»Ich weiß. Mein ganzes Leben steht unter einem Unstern«, zischte Hippolyte wütend.
»Wärst du damals nur in unser Tuchgeschäft eingestiegen«, sagte sie. »So bist du der Büttel deines Vaters geblieben. Sprichst du mit ihm, demütigt er dich. Ich habe ihm mein ganzes Erbe gegeben ‒ für Weinberge, die nun dahinsiechen. Wo bleibt mein Zins, wo mein Gewinn?«
»Hast du dich nicht lang genug mit meinem Namen geschmückt?«, meinte Hippolyte aufgebracht. »Zins, Gewinn! Du hast eine Krämerseele, Marthe Chevillon, Elle für Elle.« Er schwieg abrupt und schien unter ihrem strafenden Blick nach anderen Worten zu suchen. Versöhnlich fuhr er fort: »Eines Tages wird dir Fabien deinen Einsatz schon lohnen. Glaub nur fest daran. Noch kann ich für ihn kämpfen. Ich muss nur mit dem Alten reden.«
»Du wirst es tun, und er wird dich verhöhnen. Er schlägt dich mit Worten, so wie der Ochsenziemer Kinder erzieht.«
»Schweig!«
»Und dann greifst du zur Flinte und gehst in den Wald«, redete sie unbeeindruckt weiter.
»Schweig endlich!«
Hippolyte wandte sich ab. Der gebrochene Klang seiner Stimme berührte Amélie. Sie kannte ihren Vater, der zeit seines Lebens versuchte, mit der Härte anderer mitzuhalten und doch im Innersten weich und nachgiebig war. Sie fing den Blick ihrer Mutter auf, der wie ein Wink war: »Geh nach Reims, bevor es zu spät ist«, sagte sie leise, kehrte allen den Rücken und verließ den Kelterraum. Erleichtert nahm Amélie wahr, dass sich mit ihrem Weggang wieder die vertraute heimelige Atmosphäre im Dunstkreis der Korbpresse herstellte. Hier fühlte sie sich wohl. Nie würde sie nach Reims zu den reichen Händlern, Geschäftsleuten und Immobilienbesitzern gehen. In den Büroetagen Korrespondenz in fremdem Namen schreiben, Stoffballen vor Kunden vorführen wie im Tuchgeschäft ihres Onkels Jean-Noel oder gar einen jener reichen jungen Söhne heiraten, die die Tapetenmuster im Moulin Rouge besser kannten als die Lebensgeschichte ihrer Ehefrau.
Wenn Mutter das Winzergewerbe nicht aus dem gleichen vollen Herzen liebte wie Großvater, dann hätte sie eben einen wohlhabenden Rentier, Bankvorsteher oder Drogisten heiraten sollen, dachte sie verärgert. Reims, die Krönungsstadt der französischen Könige, war für sie nur als Lagerstätte und Handelszentrum für ihren Champagner wichtig ‒ sonst nicht.
Das provozierend laute Klappern von Holzpantinen unterbrach Amélies Gedanken. Es war Jeanne, die alte Waschfrau, die sich mit der Putzbürste in der schwieligen Hand näherte. Sie kniff ihre Augen zusammen und witterte genüsslich die angespannte Atmosphäre.
»Es riecht nach Essig«, meinte sie lauernd.
»Geh an deine Arbeit, Jeanne«, sagte Amélie, griff nach zwei ausgeleerten Lesekörben und drückte ihr diese in die Hand. Selbst wenn sie sich entblößen müsste, sie würde jetzt alles tun, um ihren Vater vor weiterer Selbstanklage und Schwermut zu schützen und von seinem Aberglauben, unter einem Unstern geboren zu sein, abzulenken.
»Monsieur soll sich beeilen, sagt Madame«, zischte Jeanne. »Die Leute draußen haben Hunger.«
»Jaja, jetzt mach dich an die Arbeit«, wiederholte Amélie und füllte das Becken, in dem Körbe, Wannen und Bütten nach jeder Lese sorgfältig gereinigt wurden, mit Wasser. Sie schob die Alte, die Hippolyte noch immer mit bösen Blicken bedachte, weiter, doch bockig wie ein kleines Kind blieb diese nach ein paar Schritten stehen.
»Ich will auch erst essen«, zeterte sie. »Denn so jung und kräftig wie der junge Trieb da draußen bin ich nicht mehr.« Sie zeigte auf César, der soeben den Hof überquerte, um sich einen Platz an den Tischen zu suchen. »Der wäre recht für ein junges Früchtchen wie dich.« Sie kicherte, stieß Amélie in die Seite und sagte dann zu ihrem Vater: »Und fürs Haus, Monsieur. Neuer Wind käm dann in die Stube. Ich seh’s doch. Der brodelt wie junger Wein. Kraft hat er. Glauben Sie mir, der stampft schneller Trauben, als Sie in die Hände spucken können.«
Ihr Lachen klang wie raschelndes Stroh.
»Du glaubst, wir schaffen es nicht allein, wie? Was maßt du dir an!«, rief Fabien wütend.
Auch Hippolyte Duharnais zischte, Jeanne solle den Mund halten, und wandte sich wieder der Marmonnier zu, unter deren wuchtigem Holzstempel den Trauben von Minute zu Minute mehr Most abgetrotzt wurde.
»César!«, rief Amélie laut. »Sei so gut und schenk dieser Schwärmerin ein Glas Wein ein!«
Alle Köpfe wandten sich ihr zu. Das Gesicht ihres Vaters hellte sich auf, und er warf seiner Tochter einen anerkennenden Blick zu. Die Alte kreischte und schüttelte sich widerstrebend, doch Amélie entging nicht, dass sie dabei César unablässig im Auge behielt, so als hätte dieser sie hypnotisiert. Der kam denn auch schnell mit einem Glas Wein in der Hand in den Kelterraum, zwinkerte Amélie zu und machte vor der Alten einen übertriebenen Kratzfuß.
»Auf Euer Wohl, holde Dame. Seid mir geneigt und nehmt meinen Trunk an.«
Er bot ihr das Glas. Die Alte trippelte unruhig von einem Fuß auf den anderen, so als wüsste sie nicht, ob sie sich geschmeichelt fühlen oder sich ärgern sollte.
»Trink, trink!«, riefen die Umstehenden und jene, die vom Hof aus zuschauten. Da man sah, wie sehr sie mit sich kämpfte, nach dem Glas zu greifen, begann Hippolyte Duharnais ein altes Trinklied zu singen, zunächst noch mit tonloser, von Schwermut belegter Stimme, doch mit jedem Takt freier und spöttischer.
»Oho, wie gemein ihr seid!«, heulte die Alte. Noch einmal verbeugte sich César mit breitem Lächeln, fasste dann nach ihren abgearbeiteten Fingern, legte sie ums Glas und schloss seine Hände um sie. Die Alte wurde rot, als hätte er unter ihre Röcke geschaut. Willig ließ sie es sich gefallen, dass er das Glas an ihren fast zahnlosen Mund führte.
»Trink, trink nur, es wird dir gut tun«, murmelte César mit gespielt ernster Miene. Zur allgemeinen Überraschung leerte die Alte den Wein zur Hälfte und spuckte ihn aus. »Verfluchte Hexe!«, schrie Hippolyte auf. »Hast du den Rest deines verschrumpelten Verstandes verloren?«
»Warum? Der erste Schluck gilt dem Haus!«, kreischte Jeanne übermütig und trank den Rest in einem Zug. »Gib mir noch etwas, junger Hahn.« Sie hakte sich bei César unter und ließ sich von ihm in den Hof hinausführen, in das Johlen, Klatschen und Lachen der Lesehelfer.
»Bist eine Brave«, sagte Marthe Duharnais.
»Wen meinst du? Mich?«, fragte Amélie.
Doch ihre Mutter, die der alten Jeanne entgegenschaute, winkte nur mit den Händen ab. Schließlich aber sah sie ihre Tochter an und lachte gequält auf. Amélie schlug die Augen nieder. Doch sie war nicht gewillt, sich die Stimmung verderben zu lassen. In diesem Moment war allein César wichtig.
Spät am Abend, als der tiefblaue Himmel von einem glitzernden Sternennetz überzogen war, die Duharnais und ihre Helfer Schinken, Blätterteigpasteten, Eintöpfe mit Wurst, Gemüse, Puddinge, Windbeutel mit Schlagsahne, Kuchen, Äpfel, Birnen und Trauben gegessen, der Rotwein der Coteaux und etliche Flaschen Champagner für Frohsinn und Unbekümmertheit gesorgt hatten, erhob sich der alte Duharnais von seinem Platz.
»Hört zu! Hört mir zu.« Überrascht schwiegen alle. »Und du, Jeanne, wach gefälligst auf, wenn ich spreche.« Man stieß der schlafenden Waschfrau in die Seite, woraufhin diese ihre Augen aufriss, sie wieder zukniff und zu schmatzen begann. »Still!« Erschrocken blieb ihr der Mund offen stehen. »Nun denn«, fuhr der Alte fort, »hebt eure Gläser. Seht ihr, wie der Wein funkelt? Schmeckt ihr seine Reife? Bemerkt ihr den vollen, runden Abgang nach jedem Schluck? Fühlt ihr, wie er eurem Herzen Kraft zuführt?« Er hielt inne und schnupperte am Glas. »Er ist aus unserer Pinot-Noir-Rebe gewonnen. Hat all ihre Süße, ihr fruchtiges Aroma, doch wir haben ihm Eleganz und sinnliche Grazie gegeben. Wir haben zwei Kaiserreiche, zwei Republiken überlebt, Dürre, Fröste, Mehltau, sogar die Pechsträhne von 1847 bis 1856. Und doch schauen wir voller Stolz auf die großen Jahrgänge TI, ’34, ’46, ’57, ’58, ’61, ’62.«
Bei jeder Jahreszahl hob er prostend sein Glas in die Höhe wie ein alter Feldherr, der die siegreichen Schlachten seines Lebens rühmt Hippolyte unterbrach den Alten mit lakonischer Stimme. »Und natürlich die Jahrgänge 74,78, ’80, ’84, ’92. Lass gut sein, Vater. Die Zukunft wird düster.«
»Lasst mich mit der Reblaus und diesem schwarzen Teufel, diesem Abbe, in Ruhe«, wies ihn der Alte zurecht, wobei feine Schweißperlen sein gerötetes Gesicht benetzten. Er schaute Amélie an. »Steh auf, mein Kind.« Amélie löste ihre Hand aus der Césars und erhob sich. »Vor all diesen Mündern und Ohren, die hier versammelt sind, gelobe mit mir, dass dieses Haus seine besten Jahre noch erleben wird. Stoßt mit mir an ‒ auf den Segen unserer Arbeit, auf die Tradition unseres Hauses, auf unseren Wein, auf unseren Champagner. Vivat!«
Murmelnd erhoben sich alle, prosteten einander zu und tranken. Selbst die alte Jeanne hatte sich von ihrem Stuhl erhoben, doch es war Hippolyte Duharnais, der als Erster auf seinen Platz zurücksank und in einen unangemessenen Schluckauf verfiel.
»Du liebst mich, Kätzchen?« Ein Tropfen Burgunderwein rollte von Césars Fingerspitze auf Amélies Lippen.
Sie gurrte zustimmend, und er küsste sie innig.
»Du liebst nur mich?« Das gleiche Spiel. »Mich ganz allein? Für immer?«, fragte er, und Amélie zog ihn an den Ohren zu sich hinab. »Ich liebe dich, Kätzchen«, flüsterte er. »Bis in alle Ewigkeit, bis es keinen Tropfen Wein mehr auf Erden gibt.« Und mit jedem Wort netzte er ihren Mund bis hinunter zu ihren Brüsten mit Burgundertropfen. Hingebungsvoll umspielte er diese mit seiner Zunge, schlürfte sie auf, liebkoste ihre Haut. Plötzlich setzte sie sich auf.
»Weißt du, was du da gesagt hast, César? Bis es keinen Tropfen Wein mehr gibt …«
»Es wird ihn immer geben, und immer und ewig werde ich dich lieben.«
»Immer?«, wiederholte Amélie gedankenvoll und rückte ihr Mieder zurecht. »Immer? Eure Weinberge sind bereits tot. Die Wurzeln abgefressen von der Reblaus. Ich spüre geradezu, wie sie auf uns, unsere Rebstöcke zuwandert.«
»Sie ist gierig so wie ich«, murmelte César, zog mit einem festen Handgriff ihr Mieder auseinander und umfasste ihre Brüste. »Sie sind schön, deine Brüste, Amélie, so schwer wie eine einzige eurer Champagnertrauben. Doch die sind dem Tod geweiht, du aber lebst.« Er schmiegte sich an sie. »Komm, überlass die Weinberge Sauerwurm, Reblaus, Graufäule und Mehltau. Lass uns auswandern, Kätzchen. Hier gibt es keine Zukunft mehr. Und dein Großvater ist ein sturer alter Narr. Dein Gelöbnis ist so viel wert wie ein graues Haar auf seinem Rücken.«
Er hat stachlige Kastanien in seiner Brust, dachte Amélie im Stillen. Die Erinnerung kehrte in ihre Handflächen zurück. Das, was sie gefühlt hatten, war Besorgnis erregend. Ihr Großvater war Knecht einer Krankheit, gegen die nur sein Wille und sein Herz auftrumpften. Solange er atmete, würde er sich vom Schicksal nicht brechen lassen. Doch so wie er sich verhielt, würde auch sie Opfer seiner Uneinsichtigkeit werden, mittellos wie César.
Sie griff nach der Burgunderflasche, hielt sie gegen das Mondlicht und sagte: »Sie ist leer, deine Flasche, César. Es gibt keinen Burgunder mehr.«
»Diese letzte ist leer, Kätzchen.« Er kitzelte sie. »Die köstlichsten Tropfen ruhen noch in Kellern, von denen nur die Winzer wissen. Komm mit mir an die Côte d’Or, das Herzstück von Burgund. Ich habe viele Freunde, jeder kennt Winzerkeller, die ihre Schätze verschlossen halten ‒ bis wir in sie eindringen. Dann ziehen wir weiter zu den Weinen an der Loire und Rhone, über den Midi bis zur Provence, bis Korsika. Mit meinen Küssen folge ich dir, wohin du auch gehst. Ich liebe dich, Kätzchen, ich bin Winzersohn und weiß deine Süße zu schätzen.«
Amélie lächelte. Wie treuherzig, wie vor Liebe vernarrt er ausschaut, dachte sie, wie süß er ist. Ihr Blick streifte die leere Burgunderflasche, und sie hatte das Gefühl, dass ihr mondbleiches Schimmern sie an eine Wahrheit ermahnte, die tief in ihrem Herzen saß. Sie stützte sich mit den Armen nach hinten auf, legte den Kopf in den Nacken und betrachtete eine Weile das Himmelszelt.
»Oder schmecken dir meine Küsse nicht?«, fragte César schließlich im Ton gespielter Besorgnis.
»O doch, César.« Sie überlegte einen Moment. »Aber könnte es sein, dass ich unter deinen Küssen verdurste, ausdörre?«
Überrascht betrachtete er sie, breitete dann seine Arme aus und kniete vor ihr nieder. Er sieht aus wie ein orientalischer Prinz, dachte Amélie, blass vor Anmut, dunkel vor Glut.
»Ich werde dir einen Teppich aus silbernen Taufäden weben. Er wird von Spindeln der Liebe rollen und deinen Durst löschen. Blüten aus Nektar, so nahrhaft wie Honigkuchen, werden deinen Hunger stillen. Dieser Teppich wird uns von Morgenröte zu Morgenröte tragen.«
»Du bist ein trunkener Bacchus!«, sagte Amélie und lachte ihn aus.
Gekränkt hielt er inne. »Warum willst du mich nicht ernst nehmen, Kätzchen?«
»Nenn mich nicht Kätzchen, César«, erwiderte sie. »Dein Burgunderwein hat einen feinen, festen Geschmack. Er ist sehr männlich.«
»Gut erkannt, Mademoiselle Duharnais. Man sagt, er vereint die muskulöse Art von Gevrey und die Eleganz von Chambolle. Gefällt er dir nicht?«
»O mein Prinz, Euer Trunk ist Labsal für mein Leiden.« Amélie beugte sich vor und nahm sein Gesicht in ihre Hände. »Doch in Wahrheit sehne ich mich nach dem edelsten aller Weine ‒ nach Champagner. Hier, jetzt, morgens, abends, zu jeder Stunde. Ich bin süchtig nach den Sternen, so sagt man bei uns, weil ich sie am liebsten trinke. Die Sterne, das sind die Perlen im Champagner.« Sie tippte ihm auf die Nasenspitze. »Könnte mich dein Traumteppich aus Nektar und Taufäden zu diesen Sternen bringen?«
»Du kannst deine Sterne überall auf der Welt trinken«, erwiderte César heiser. »Komm mit mir, Amélie.«
Er zog sie an sich und küsste sie so leidenschaftlich, dass all ihre Gedanken fortgespült wurden und es ihr vorkam, als ob sich mit diesem Kuss in ihr die Süße der Liebe sammeln würde wie der Zucker in einer überreifen Traube.
Betäubt von Césars drängenden Küssen, hatte sich Amélie angezogen auf ihr Bett geworfen und war kurz darauf eingeschlafen. Fontänen von gleißenden Lichtsprenkseln schleuderten sie in die Höhe, trugen sie fort und tauchten sie unter, bis sie um Luft zu ringen begann. Dann krochen Wogen schwarzer Erde auf sie zu, die nach Humus und welkem Laub duftete. Sie sah sich mit César in einer Pfütze aus rotem Wein wälzen und vermeinte weingetränkten Schlamm im Mund zu schmecken. Als sie zu sprechen versuchte, blähten sich ihre Wangen und sie spie aus, schlug Purzelbäume den Weinhang hinunter und landete auf einem uralten, abgeschlagenen Rebstamm. Wirbelnd schoss er mit ihr in die Höhe, von wo aus sie auf das Land hinuntersehen konnte. Sie fror, fühlte sich unendlich einsam, und als ihr schwindlig wurde, bog sich der Stamm, und sie stürzte in die Tiefe.
Eines Morgens hörte sie, wie ihr Vater und ihr Großvater miteinander stritten. In den vergangenen Tagen hatte sich der trübe gelbgrüne Most geklärt, Fruchtfleischstückchen, Schalenfetzen, Stielreste und Erdkrumen waren auf den Boden des Eichenfasses niedergesunken. Angesichts des duftenden Mostes hoffte jeder in der Familie, die wenigen geernteten Trauben würden zum Ausgleich gute Qualität bringen, aber dennoch konnte niemand die Tatsache leugnen, dass daraus letzten Endes nur wenig Champagnerwein zu gewinnen war.
Amélie schlich die Treppe in die Wohnküche hinab und lauschte ein wenig an der Tür. Jemand schlug auf die Tischplatte. Geschirr klirrte. Dann war es einen Moment still. Sie trat im selben Augenblick ins Zimmer, als ihr Großvater zornig rief: »Und ich sage dir, in gut zehn Jahren werden die Reben ihr Bestes geben.«
»Nein! Sie werden nicht so alt. Sie sterben schon jetzt«, erwiderte ihr Vater aufgebracht. »Du setzt leichtfertig den Wert der Arbeit unserer Vorväter aufs Spiel, tust, als würdest du ihren Einsatz nicht mehr schätzen, indem du die Augen verschließt.«
»Noch schließe ich sie nicht.«
»Vor der Wahrheit, meine ich.« Hippolytes Stimme wurde noch lauter.
Daraufhin stampfte Fabien, der ebenfalls zugegen war, mit dem Fuß auf und rief: »Vater hat Recht! Du versündigst dich an uns, deinen Enkeln, Großvater.«
»Und an dem Schatz, der noch immer in unseren Kalkstollen lagert«, fügte Amélie hinzu.
Überrascht sahen alle sie an. Einen Moment lang herrschte Stille.
»Aber diesen Schatz haben eure Vorfahren in Zeiten viel größerer Not erarbeitet«, sagte der Alte und schlug mit der Faust auf die Tischplatte.
»Glaub mir, es ist alles vergebens, wenn du mir jetzt nicht zuhörst, Vater«, entgegnete Hippolyte. »Und du wirst mich nicht unterbrechen, weil ich die Wahrheit sage. So höre also. Mein bisheriges Leben steht unter dem Unstern meines Geburtsjahres, dieses unglückseligen Jahres 1847 mit seinem verfluchten Mehltau. Ganze Ernten hat er damals in unserem Land vernichtet. Und jetzt wird die Reblaus mein Leben vollends zerstören. Mein Unstern heißt Misserfolg. Misserfolg, hörst du? Alles bei mir ist so armselig wie die 48er Revolution oder die Zweite Republik. Drei Jahre später kam ihr Untergang, so wie jetzt meiner. Du weißt doch selbst, dieser Halunke von Napoleon betrog alle. War es nicht Heimtücke, dass er durch einen Staatsstreich das Zweite Kaiserreich gründete? Die Republik ging unter, wie jetzt unser Besitz untergehen wird, wenn wir nicht die Rebstöcke austauschen. Dies soll mein letzter Versuch sein, gegen meinen Unstern aufzubegehren. Also, Vater, höre auf mich.«
»Wie denn! Die Reben sind gesund. Stark wie ich. Außerdem ist diese verfluchte Laus nicht bei uns!«, brüllte der Alte. »Merkt euch ein für alle Mal, unsere Reben haben Charakter und Seele. Sie sind klug und wissen selbst am besten, wie viel Frucht sie hervorbringen wollen. Sie fühlen das Wetter und richten sich nach der Lage. Ja, sie sind wie ich. Also lasst sie in Ruhe!«
Ein Rasseln aus der Tiefe seiner Brust begleitete seine Worte. Und wäre nicht der schwere Hustenanfall gekommen, er hätte noch weitergesprochen.
»Wenn du meinst, deine Reben richten sich nach der Lage, dann mach es ihnen nach. Noch haben wir Zeit, das zu tun, was nötig ist«, sagte Hippolyte mit fester Stimme.
»Nein! Noch bin ich der Patron.«
Der Alte schüttelte den Kopf und sah in die Runde wie ein Feldherr, der den Befehl zum Angriff gegeben hatte. Amélie bemerkte den Blick zwischen ihren Eltern, der besagte, dass das Schicksal des Hauses damit besiegelt war. Ihre Mutter erhob sich und zog eine Gans aus einem Eimer, aus deren kopflosem Hals noch Blut tropfte. Sie setzte sich schweigend auf einen Schemel, das Tier zwischen ihren Knien. Mit jedem Tropfen Blut erzitterte die rote Lache in der weißen Emailleschüssel, die zwischen ihren Füßen stand. Verbissen riss sie dem Tier die Federn aus, während die beiden Männer Brotkanten brachen und mit der Messerspitze Schinkenstreifen zum Mund führten.
Wie sehr sie sich hassen, dachte Amélie bekümmert, und doch bewegen sie sich gleich. Sie stemmen ihre Arme im gleichen Winkel auf. Ihre Hände führen das Messer, als hätten sie die Bewegung in der Schule gelernt. Sie versteifen ihre Nacken wie knurrende Hunde. Es ist eine Farce. Amélie trat hinter ihren Vater und legte ihm ihre Hände auf den Kopf. »Du stehst unter keinem Unstern, Vater. Vergiss, was du gesagt hast.«
»Nein, ich weiß es besser. Aber nun ist es gleich, denn es ist zu spät.«
Der Alte spie aus und sah Amélie an. »Du hast dein Gelöbnis nicht vergessen, hoffe ich?«
»Nein, Großvater«, antwortete sie einsilbig, weil ihre Hände etwas wahrnahmen, das sie wie einen mäandernden Strom empfand, der seine Richtung nicht finden konnte. Sie hielt die Luft an und versuchte, sich von Fabiens bösem Blick nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Ihr Bruder war eifersüchtig, weil sie ihrem Vater so nahe war. Jetzt suchte er nach etwas, womit er sie kränken konnte. »Sie treibt es mit einem Burgundischen«, sagte er schließlich voller Heimtücke.
Ihr Vater jedoch entgegnete: »Lass sie verliebt sein. Du bist nur eifersüchtig, Fabien.«
Marthe hielt abrupt im Federrupfen inne und sah auf. Amélie hielt dem Blick ihres Großvaters stand. Sie spürte, wie sehr er mit sich kämpfte, nicht sofort aufzuspringen und sie zu schütteln.
»Ja, César stammt aus dem Burgund. Die Reblaus hat die Güter seiner Familie vernichtet. Er verdient sich seinen Lohn überall dort, wo es für ihn Arbeit gibt.«
»Er ist ein Schmarotzer, der sich über deinen Körper in unser Haus hineinbohrt«, fuhr Fabien fort. Er schob seinen Stuhl ein Stück zurück und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Ich werde ihn mir wohl einmal vorknöpfen müssen. Als Hüter deiner Jungfernschaft. Oder ist es schon zu spät?«
»Amélie?«
»Nein, Mutter, nein«, seufzte Amélie.
Marthe Duharnais senkte den Kopf und rupfte weiter. Von Zeit zu Zeit jedoch warf sie ihrer Tochter anklagende Blicke zu.
»Ein Burgundischer«, ergriff der Alte wieder das Wort, so als hätte er das Vorherige nicht gehört. »Wie heißt er?«
»César Mallinguot«, antwortete Amélie und strich ihrem Vater über den Rücken, wobei ihr nicht bewusst war, ob sie ihn wegen dem trösten wollte, was sie gespürt hatte, oder ob sie für ihre Gefühle Schutz bei ihm suchte.
Der Alte aber warf das Messer quer durch die Küche, sodass es den Hund, der in einer Ecke schlief, am Hinterbein traf. Er jaulte auf und begann die Wunde zu lecken. Amélies Großvater erhob sich drohend und schrie: »Ein Mallinguot, ein Mallinguot! Ja, wollt ihr mich endgültig ins Grab bringen?«
Er zuckte, bebte, schnappte pfeifend nach Luft. Fabien drohte Amélie mit der Faust, ging zu seinem Großvater und reichte ihm ein Glas Schnaps. Unwillig stieß dieser die Hand fort.
»Was soll er getan haben, Großvater?«, fragte Amélie empört.
»Du bist dumm wie das tote Federvieh«, herrschte dieser sie an. »Ich scheine der Einzige zu sein, der Bescheid weiß. Hundert Jahre haben wir uns bekämpft. Einhundert Jahre Streit zwischen dem Burgund und der Champagne, zwischen unseren Vorfahren und diesen blasierten Rotweinpanschern. Spottverse haben sie auf uns gedichtet …«
»… und die Champenois wohl auch auf sie«, warf Amélie belustigt ein.
»Was verstehst du davon, he? Was ist besser, Rotwein oder Weißwein, wie? Unsere stillen Weißweine hatten schon vor dem Champagnerverfahren einen großen Ruf, und diese Rotschaumköpfe da unten waren nur neidisch. Bauern sind sie! Kleben Etiketten auf Grand Crus, die wie dürrer Landwein schmecken.«
»Das stimmt doch nicht«, entgegnete Amélie. »Sag die Wahrheit, Großvater. Wie ging der Streit aus, der heute längst niemanden mehr interessiert?«
»Niemanden mehr interessiert?«, erboste sich der Alte. »Unsere Ehre müssen wir erhalten. Unsere Würde.« Er hielt erschöpft inne.
»Da bin ich ganz deiner Meinung, Großvater«, sagte Fabien.
Amélie ging über seinen provozierenden Blick hinweg. »Das Ende des Streits, ich möchte es wissen.«
Der Alte schwieg und hustete. »Die Ehre … es geht um die Ehre«, murmelte er schließlich, starrte Hippolyte und Amélie an und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Diese Dummköpfe irgendeiner Pariser Fakultät behaupteten, so wie der Mensch auf zwei Füßen stehe, so brauche er beides, den Roten wie den Weißen.«
Es klopfte an der Küchentür, die sich auf Marthes Zuruf öffnete. Mit Herzklopfen sah Amélie César über die Schwelle schreiten.
Der Alte guckte grimmig und fuhr unbeeindruckt fort: »Schon seit 496 sind die Weine der Champagne hoffähig. Seit dem Tag, an dem Chlodwig, unser erster französischer König, hier in der Nähe von Saint Remi, dem Bischof von Reims, getauft wurde. Wir können stolz auf unser Land sein. Und wir sind stolz darauf, es geschafft zu haben, unseren Schaumwein, den es bei uns schon im 17. Jahrhundert gab, zu feinstem Champagner zu veredeln. Wir sind etwas Besonderes. Die anderen sind nur mediokre Kreaturen.«
»Damit meinen Sie doch wohl nicht mich, oder?« César deutete eine leichte Verbeugung an.
»Mallinguot, lassen Sie die Hände von meiner Enkelin. Sie trägt meinen Namen!«, blaffte der Alte.
»Ich liebe sie, Monsieur Duharnais. Das ist alles.«
»Ha, spielen Sie mir nichts vor. Ihre Existenz ist vernichtet, und nun glauben Sie sich über ein süßes Spundlöchlein in kostbare Gefilde zu bohren, wie?«, griff der Alte Fabiens Anspielung auf.
Amélie trat zu César, der sich mühsam beherrschte. »Mein Vater hat sich wegen der Reblausplage in unserem Keller vergiftet, Monsieur Duharnais«, sagte er. »Meine beiden Brüder sind wie viele andere auch nach Amerika ausgewandert. Sie sind nicht der Allmächtige. Wenn Sie glauben, mich gering schätzen zu können, dann schauen Sie sich lieber das hier an, denn es scheint hier noch weit niedrigere Wesen als mich zu geben.«
Er warf ein Bündel zwischen Schinken und Brotreste auf den Tisch und sah Amélie einen kurzen Moment tief in die Augen. Marthe sprang auf und ließ die Gans in die Emailleschüssel fallen, die ein Stück weit scharrend über den Steinfußboden rutschte.
»Ich tue es für dich, Amélie«, fuhr César fort. »Ich bringe dir deine Rettung.« Er knüpfte das Bündel auf. Es enthielt eine Rebwurzel, an der für alle deutlich sichtbar einen Millimeter große, gelb-rot gestreifte Insekten hingen. »Sie ist bereits hier.«
»Du Teufel!«, brüllte der Alte.
Und auch Fabien rief: »Halunke! Er betrügt uns.«
»Herrgott im Himmel, steh uns bei«, murmelte Hippolyte. »Nein, ich beuge mich nicht. Niemals«, brüllte der Alte. »Hinaus, Bursche! Du hast dich an meiner Erde vergriffen, du burgundischer Teufel!«
Amélies Mutter dagegen bekreuzigte sich und rief: »Du bist wahnsinnig, Jerome Duharnais. Der junge Mann will uns doch nur helfen. Er zeigt, was wir alle längst befürchtet haben.«
»Eben! Jetzt müssen wir umpflanzen, Großvater«, sagte Amélie und hielt César zurück, der sich entfernen wollte. Pfeifend zog der Atem des Alten durch den Raum. Hippolyte nickte. »Amélie hat Recht, Vater, wir müssen umpflanzen.«
»Aber allein, ohne diesen Burgundischen«, fügte Fabien hinzu.
»Ja, denn er hat sich an meiner Erde, meinem eigenen Fleisch und Blut vergriffen. Ein Burgundischer, der dies wagt, betritt meine Erde kein zweites Mal.«
»Großvater, ich liebe César«, rief Amélie. »Ich verlasse euch, wenn du ihn nicht wertschätzt.«
Der Alte ballte die Fäuste. »Verlassen willst du uns?«
»So wie dich deine Reben verlassen«, schrie Amélie zurück und wies auf das Tuch mit dem Wurzelstock.
»Du starrsinniger Alter! Du zerstörst mir meine Familie!« schrie nun auch Marthe, die vor Aufregung rote Flecken am Hals hatte. »Du hast meine Mitgift aufgefressen, hältst meinen Mann wie einen Knecht, und nun tust du alles, damit mich meine Tochter verlässt! Erst hast du sie mir entfremdet, jetzt will sie wegen dir fortgehen. Du bist wahnsinnig, du solltest ins Irrenhaus nach Reims.«
»Mein Unstern, Marthe, ich fühl ihn deutlich«, flüsterte Hippolyte.
Sie schlang ihre Arme um ihn und begann zu weinen. »Der Alte ist schuld, er allein«, schluchzte sie.
»Und ich werde Recht behalten«, tobte dieser und warf den Tisch samt reblausbenagtem Wurzelstock, Gläsern, Messern, Brot und Schinken um. Heulend sprang der verletzte Hund auf. »Der Herrgott weiß, dass ich Recht habe. Nur unsere wurzelechten Vinifera-Reben schenken uns einen Wein, wie er unvergleichlich in der Welt ist. Die Pfropfrebe ist nichts als eine neumodische Krücke, die angeberisch verspricht, was sie nie halten kann. Nie! Mit ihr geht eine Tradition unserer Weinbaukultur unter. Wartet ab.«
»Es geht ums Überleben, Großvater, nicht um Ehre oder Tradition«, warf Fabien ein. »Lass uns vernünftig handeln. Bitte.«
Einen Moment lang starrte der Alte einen nach dem anderen an. Schließlich blieb sein Blick an Marthe hängen.
»Du wirst deinen Bruder um Geld bitten müssen.«
»Nein«, wimmerte diese, als hätte er sie geschlagen.
»O doch, Marthe Chevillon: Bezwinge deinen Stolz ‒ und rette dieses Haus.«
»Warum nur? Warum ich? Warum immer ich?« Weinend wiegte sie sich vor und zurück, die Hände vors Gesicht geschlagen.
»Weil der 92er unser letzter wirklich guter Jahrgang war«, sagte der Alte lauernd und senkte die Stimme. »Unsere Kasse ist leer. Dein Bruder muss also das Geld für die neuen Wurzelstöcke aufbringen, an denen euch so viel liegt. Doch ich willige nur ein, wenn nur einzelne Parzellen bearbeitet werden und nicht der ganze Besitz.«
»Komm«, sagte Amélie leise, nahm César an die Hand und ging aus der Küche. »Zeig mir die Stelle, an der du gegraben hast.«
Am späten Nachmittag wurde der geklärte Most in ein anderes Fass umgefüllt, in dem er in den kommenden Wochen gären sollte. Jeanne spülte gerade mit viel Wasser die Schmutz- und Pflanzenreste aus dem Absetzfass aus, als sich Hippolyte Duharnais an einen Gewölbepfeiler lehnte. »Es ist zu wenig«, murmelte er immer wieder, wobei er dem Gärungsfass Blicke zuwarf, als könnte er nicht glauben, wie gering die Menge des Mostes war. »Es wird immer weniger. Der Unstern, mein Unstern.« Kurz darauf knickten seine Beine ein, und er rutschte den Pfeiler hinab auf den Boden.
Die alte Waschfrau bemerkte es nicht sofort, da Hippolyte lautlos zusammengebrochen und sie selbst mit Bürsten, Ausspülen und Schrubben des Fasses beschäftigt war. So lag Amélies Vater eine ganze Weile auf dem kalten Steinboden seines Weinkellers. Erst als über den Hof des Gutes ein kleines Fuhrwerk ratterte und Marthe Duharnais nach ihrem Mann rief, weil der Pächter Aubert Morot eine Fuhrladung Pinot-Noir-Trauben aus Mailly-Champagne brachte, machte die alte Jeanne mit wimmerndem Geheul auf sich aufmerksam. Statt eines launigen Schwätzchens musste Morot nun mithelfen, Hippolyte aus der Kälte seines Kelterraums zu tragen. Man setzte ihn in einen Korbstuhl. Das Gesicht wollte sich jedoch nicht entspannen. Sein Mund, offen und schief, wirkte in dem bleichen Gesicht wie eine traubenförmige Ausstanzung. Auch sein linker Arm, der wie ein Schal über der Korblehne hing, reagierte nicht. Entsetzt folgte Marthes Blick dem Körper in Richtung Füße. Die nassen Schuhspitzen, einander zugewandt, strahlten eine hilflose Weichheit aus, als hätten sie noch nie den schweren Männerkörper über die Erde getragen.
So glaubte zunächst auch Amélie, vom Weinberg zurückkehrend, jemand habe eine Strohpuppe in Anzug und Stiefeln in dem Korbsessel abgelegt. Doch das laute Weinen ihrer Mutter erinnerte sie an die unruhigen Strömungen, die sie vor kurzem an ihres Vaters Kopf wahrgenommen hatte. Es musste ein Gehirnschlag sein, der ihn, den Sohn des herrischen Winzers Jerome Patrique Duharnais, gefällt hatte. Hippolyte Duharnais’ Augäpfel rollten wie blind nach links, nach oben und schwammen weg. Speichel rann ihm aus dem Mundwinkel. Seinem willenlosen Körper entwich ein gurgelndes Stöhnen.
Amélie spürte ein seltsames Ziehen in ihrem Mund, so als hätte sie auf nackte saure Traubenkerne gebissen. »Kannst du nicht etwas tun, Kind?«, schluchzte Marthe. Amélie, die den Kopf ihres Vaters umfasste, hörte sich wie von ferne antworten: »Du weißt doch, ich bin keine Heilerin. Meine Hände können nur lesen.«
Aubert Morot sah Amélie neugierig an. »Dann sehen Sie also, was mit ihm ist.«
»Ja.« Amélie erholte sich von dem anfänglichen Schrecken und fuhr fort: »Sein Gehirn ist verwundet. Es blutet. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Monsieur Morot, laden Sie die Bütten und Lesewannen ab. Schnell. Wir fahren meinen Vater nach Reims. Willst du mitkommen, Mutter?«
Diese nickte nur, lief konfus hin und her und griff dann wie Aubert Morot nach den vollen Wannen und pflasterte mit ihnen den Hofplatz vor dem Eingang zum Kelterraum. Derweil streichelte Amélie unablässig Kopf, Schultern und Brust ihres Vaters. Sie hoffte, dass er ihre Wärme wahrnehmen und spüren würde, hoffte, dass er begriff, dass sie ihn nicht verloren gab.
»Wo ist Fabien?«, fragte ihre Mutter schließlich atemlos. »Bei Großvater im Weinberg.«
So schnell wie möglich luden sie einen langen Waschtrog auf das mit Erdkrumen und Weinblättern bedeckte Fuhrwerk. Decken und Kissen bildeten eine weiche Unterlage, auf die man nun den halb gelähmten Hippolyte bettete. Amélie hockte sich ans Kopfende und wärmte und tröstete ihn. Ihre Hände ruhten sanft auf seinem Kopf. Es tat ihnen beinahe weh, das disharmonische Energiefeld zu ertragen, doch schlimmer noch war es für Amélie, ihrem Vater ins Gesicht zu sehen. Seine verzerrte Miene spiegelte wider, dass sein Selbst zerstört war. Mit den Tränen ringend, wandte sie den Blick ab.
Der Pächter wendete hektisch und schlug die Richtung nach Reims ein. Amélie schaute verbissen auf Monsieur Morots Rücken, auf die auf und ab wippenden Köpfe der Pferde, Rebzeilen, Straßen, fernen Dächer und Kirchturmspitzen. Die Pferde schnaubten und schüttelten ihre Mähne.
Amélie versuchte ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben, eine Richtung, die sie von dem ablenkte, was ihre Hände ihr mitteilten. Sie dachte daran, wie wenig es den Tieren behagen musste, wieder nach Reims zu traben, selbst wenn sie schon unzählige Male Fässer zu den Duharnais’schen Kalkstollen unter der Stadt transportiert hatten, denn genau wie für sie war für die Pferde Reims ein unangenehmes Ziel. Morot hatte sie vor ein paar Tagen vom alten Duharnais ausgeliehen und sie in der Nähe einer Abdeckerei warten lassen, weil er einen Bekannten in einem Bistro entdeckt hatte. Wohl gut eine Stunde war ihnen der Geruch gemarterter, enthäuteter Artgenossen um die Nüstern gestrichen. Dazu hatten sie angstvolles Wiehern aushalten müssen und das scharfe Zischen von Peitschenhieben. Als Morot zurückgekehrt war, waren, wie er ihr erzählt hatte, ihre Pferde in eine Angststarre verfallen, hatten schweißnasses Fell und Schaum vor dem Maul gehabt. Er hatte ihnen daraufhin seinen alkoholgeschwängerten Atem in die Nüstern geblasen und lange auf sie einreden müssen, um sie von ihrer Todesangst zu befreien. Ob die Pferde jetzt wieder Angst hatten?
Amélie wandte sich erneut ihrem Vater zu. Seine Augen waren geschlossen. Er sah aus wie tot, nur ihre Hände sagten ihr, dass er noch lebte.
Hätte sie ihn nicht besser warnen sollen, als sie ihn vor einigen Tagen berührt hatte?
Wie ein Strom übler Galle stieg in ihr unvermittelt das Gefühl eigenen Versagens, mehr noch, von Schuld auf. Sie gestand sich ein, dass der Kampf um das Weingut, der Streit mit dem Großvater alles andere hatte nebensächlich werden lassen. Allein Césars Liebe war dagegen angekommen. War sie egoistisch?
Du bist jung, du bist verliebt, und du willst leben, schrie eine Stimme in ihr. Doch sogleich verstummte sie, als würde sie fürchten, für ihre Unbekümmertheit bestraft zu werden.
Je näher sie Reims kamen, desto stärker litt Amélie darunter, ihren Vater nicht heilen zu können. Zunehmend ängstigte sie, was ihre Hände ihr verrieten. Es war wie ein Entströmen, Pochen und Pressen von Energie in seinem Kopf zu spüren, der seine ureigensten Funktionen zunehmend einzubüßen schien.