Der Letzte Fang - Jean-Pierre Kermanchec - E-Book

Der Letzte Fang E-Book

Jean-Pierre Kermanchec

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Beschreibung

Während eines Orkans verliert ein Containerschiff ein Teil der Ladung auf dem Weg durch die Meerenge der Île de Sein. Fischern aus Concarneau geht am nächsten Tag ein Aluminiumkoffer ins Netz. Sein Inhalt ist ein Vermögen wert und bringt das Leben der Fischer durcheinander. Der Besitz des Koffers wird zu einer tödlichen Gefahr.

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Seitenzahl: 244

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Jean-Pierre Kermanchec

Der Letzte Fang

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Epilog

Bisher erschienen von Jean-Pierre Kermanchec:

Impressum neobooks

Kapitel 1

Jean-Pierre Kermanchec

Der letzte Fang

Der letzte Fang

Jean-Pierre Kermanchec

Impressum

© 2023 Jean-Pierre Kermanchec, Ulrike Müller

ISBN 978-3-****-***-*

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Er liebte seinen Trawler, der inzwischen in die Jahre gekommen war. Wie viele Anstriche waren dem Boot schon verpasst worden? Er wusste es nicht mehr. Es war ihm im Grunde genommen auch egal. Er liebte die dunkelblaue Farbe mit den hellblauen Aufbauten, das blaue Netz der Fischer aus Concarneau und das Fischwappen, das er am Bug angebracht hatte. In den letzten zwanzig Jahren war er beinahe jeden Tag aufs Meer gefahren und hatte Sardinen vor der Küste gefischt. Früher hatte sein Fang aus Thunfisch bestanden aber die Thunfischschwärme gehörten schon lange der Vergangenheit an. Zu viele hatte man aus dem Meer vor der Küste der Bretagne mit den Schleppnetzen rausgezogen, sodass die Bestände geschrumpft waren und an einen lohnenden Fang nicht mehr zu denken war. Er konnte sich noch gut erinnern, dass Concarneau zu den wichtigsten Fischereihäfen Frankreichs zählte. Beim Thunfisch war der Hafen einmal die Nummer eins gewesen. Die Hafenstädte Le Guilvinec und Lorient hatten Concarneau inzwischen überholt. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis auch diese Häfen an Bedeutung verlieren würden. Auch die Sardinen blieben nicht ewig, wenn der Fang so weiterging. Aber noch gehörte der Hafen zu den wichtigsten Fischereihäfen Frankreichs.

Er musste sich umstellen, wie seine Kollegen auch, und sich auf das Fischen von Sardinen und dem üblichen Beifang beschränken.

In wenigen Monaten hätte das Boot ausgedient. Er wusste noch nicht, was er mit dem Trawler anfangen würde. Ein Verkauf brächte sicherlich keine große Summe ein, dafür war das Schiff zu alt und die Interessenten zu rar. Langsam wurde es auch Zeit für ihn, an seine Pensionierung zu denken. Für seine Mannschaft war demnächst ebenfalls Schluss. Seine Crew bestand aus vier Männern, die inzwischen auch vor dem Ausstieg aus dem Fischerdasein standen. Drei würden in den nächsten Monaten die Altersgrenze erreichen und einer hatte noch drei Jahre vor sich. Für Fischer hieß es, sich mit 55 auf das Altenteil zu begeben. Aber noch hatten sie einige Fahrten, die sie mit dem Trawler zurücklegen mussten. Dann würde es einen Trawler weniger mit der Kennung CC für Concarneau im Hafen geben. Die Kennung CC, so hatte seiner Frau immer gesagt, stand für Claude und Chantal. Chantal war seit dreißig Jahren die Frau an seiner Seite.

Claude Troalen stand auf der Brücke und steuerte das Schiff an die Kaimauer vor der großen Lager- und Verkaufshalle, der Criée, um seinen Eisbestand aufzufüllen. Die Stadt hatte vor etlichen Jahren am nördlichen Ende der Criée einen 18 Meter hohen Eisturm gebaut. Täglich konnten seither 40 Tonnen Eis produziert werden, sodass die Fischer es deutlich einfacher hatten, sich mit dem nötigen Eis zu versorgen. Claude hätte das Anlegemanöver mit verbundenen Augen hinbekommen, so oft hatte er diesen Ort schon aufgesucht, lediglich die Zapfsäule für das Betanken des Schiffes hatte er ähnlich häufig angesteuert. Marc stand bereit, um das schwere dicke Schiffstau um den eisernen Poller zu legen, der dem Schiff Halt gab.

Marc Le Grel gehörte genauso zum Schiff, wie das blaue Netz auf der großen Trommel am Heck. Marc hatte mit etwas über dreißig Jahren bei ihm angefangen und war mit ihm durch dick und dünn, durch gute und durch schlechte Zeiten gegangen. Marc war mit Leib und Seele Fischer. Es störte ihn nicht, dass sie abends gegen 22 Uhr ausliefen und erst am Morgen kurz vor sechs mit dem Fang in den Hafen zurückkamen. Manche Fahrten dauerten auch mal zwei Tage, wenn sie den benötigten Fang von fünf Tonnen nicht zusammenbekommen hatten.

Die Umgebung der Criée zog die Möwen ständig an, auch jetzt am späten Nachmittag. Für die Möwen gab es um diese Uhrzeit nur noch die Fischabfälle, die aus der Halle in die großen Container gebracht wurden, und um die sich die Möwen rissen. Ihr Anflug auf die Container, die auf der Landseite der Halle standen, führte über das Hafenbecken und damit über die Fischerboote, die hier vor Anker lagen. Claude sah den Möwen gerne zu, während er darauf wartete, dass sich der Eisraum des Schiffes füllte.

Das Eis war schnell gebunkert und er konnte jetzt zum Auftanken fahren, knappe zweihundert Meter entfernt vom Eisturm, dann war der Trawler wieder klar für den Abend. Claude Troalen sah auf die Uhr. Bis zum Auslaufen aus dem Hafen hatte er noch einige Stunden Zeit.

Er bugsierte das Schiff wieder an seine Liegestelle und überließ seinen Angestellten die Beladung des Trawlers mit den Kisten für den gefangenen Fisch. Das große, auf der Hecktrommel aufgewickelte Schleppnetz war bereits inspiziert und kleinere Mängel behoben worden. Claude wollte noch ein Gespräch mit seiner Bank führen, die ihm einen Kredit gewährt hatte, den er frühzeitig zurückbezahlen wollte. Er wollte sein Fischerdasein ohne Schulden abschließen.

Danach plante er, mit seiner Frau eine längere Reise mit ihrem Wohnmobil. Sie sollte durch ganz Europa gehen, immer an der Küste entlang. Das war schon immer sein großer Traum gewesen, Europas Küste zu umrunden. Er hatte keine Vorstellung von der Zeit, die eine solche Reise benötigte aber als Rentner spielte Zeit keine Rolle. Chantal bereitete sich auf ihre Art auf die Pensionierung vor. Seit einigen Jahren besuchte sie die Abendschule und lernte Spanisch, Italienisch und Englisch. Sie hatte Claude immer gesagt, dass man ohne andere Sprachkenntnisse nicht durch ganz Europa reisen kann. Claude ging davon aus, dass er sich auch in seiner Sprache verständlich machen könnte.

Das Gespräch mit dem Filialleiter der Bank hatte er erledigt, die Kündigung seines Darlehens war nicht das Problem, eher die Forderung der Bank, die für eine frühzeitige Auflösung des Vertrags eine Gebühr verlangte, die bei annähernd 6% der geliehenen Summe lag. Es brauchte einiges an Überzeugungsarbeit, um die Auflösung mit einem geringeren Betrag durchzubekommen. Schließlich einigte man sich auf eine 1,5%ige Gebühr. Claude Troalen war etwas entschädigt, da er die Gebühr um 75% senken konnte. Er machte sich auf den Weg zu seinem Schiff.

Das Wetter schien zu halten. Am Morgen hatte es noch so ausgesehen, als könnte es ein regnerischer Tag werden, aber dann hatte sich der Himmel aufgehellt. Wenn die Nacht ruhig blieb, dann könnten sie einen guten Fang machen, ohne beim Einholen des Netzes von den Wassermassen des aufgewühlten Ozeans überspült zu werden. Trotz ihrer Gummianzüge war es unangenehm, das Netz an Bord des Trawlers zu hieven und die Fische aus dem Netz zu holen, wenn alle paar Minuten ein Brecher über das Heck des Schiffes hereinbrach.

Es war kurz vor 22 Uhr als der Trawler vom Kai ablegte. Mit halber Kraft steuerte Claude das Schiff zwischen der Ville Close und der gegenüberliegenden Werft durch die engste Stelle der Hafeneinfahrt. Die kleine elektrisch betriebene Fähre kreuzte ihren Weg. In den Sommermonaten verkehrte sie bis 23 Uhr zwischen der Ville Close und Le Passage Lanriec.

Sie fuhren vorbei an dem monumentalen Gebäude der CEFCM, dem Centre Européen de Formation Continue Maritime, eine der größten Ausbildungsstätten für alle Belange rund um die Schifffahrt. Hier hatte auch Claude seine Auffrischungskurse und Fortbildungen gemacht und in den vergangenen Jahren Kurse über spezielle Fangmethoden besucht. Seit der Gründung des Institutes im Jahre 1998 waren bereits mehr als 28.000 Schüler von den 140 Lehrern ausgebildet worden. Das Institut lehrte alles Wissenswerte über die Schifffahrt, von der Navigation über den Schutz- und die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Meer bis zum Fischfang.

Die Schiffsbewegungen wurden stärker als der Trawler das offene Meer erreichte. Claude steuerte das Schiff auf die Île de Sein zu. Sie wollten ihr Netz hinter der Insel auslegen. Claude hatte bereits vor einigen Tagen das Gebiet ansteuern wollen, konnte es aber nicht, weil ein heftiger Sturm in der Region gewütet hatte. Ein Containerschiff war in den Sturm geraten und hatte dabei mehrere Container verloren. Es wäre nicht das erste Mal, dass er Treibgut aus Containerschiffen aus dem Netz herauszog. Auch der viele Plastikmüll machte ihm zu schaffen. Immer mehr davon sammelte sich im Netz und musste entsorgt werden. Heute konnten sie Fahrt aufnehmen. Seine Mannschaft hatte noch etwas Zeit, bis die Arbeit begann.

Marc Le Grel kam auf die Brücke und sprach Claude an.

„Claude, ich muss morgen ein paar Dinge erledigen und kann mich auch am Nachmittag nicht ums Schiff kümmern. Antoine hat zugesagt, dass er sich um alles kümmert. Bis zum Auslaufen bin ich wieder an Bord. Bist du einverstanden?“

„Klar Marc, ich kann auch Hand anlegen, wenn es nötig sein sollte“, antwortete Claude seinem Kollegen.

„Danke Claude! Wir kommen gut voran, das Meer ist ruhig“, meinte er, bevor er sich wieder auf den Weg zu den anderen machte.

Die Fahrt verlief gut und der Trawler erreichte schon nach wenigen Stunden sein Zielgebiet. Claude suchte mit Hilfe des Sonars und Radars nach einem Sardinenschwarm. Als er ihn lokalisiert hatte wurde das Netz ausgelegt. Sie fischten mit einem pelagischen Schleppnetz, das deutlich größer war als ein Grundschleppnetz und den Vorteil hatte, dass sie nahe der Oberfläche fischen konnten, wo sich die Sardinen, Makrelen und der Kabeljau aufhielten. Der Fang würde gut werden, so er das Sonar richtig deutete. Nach einer Stunde war es so weit und sie konnten das Netz einholen. Das Netz kam prall gefüllt dem Heck näher.

Die Fische wurden herausgeholt, sorgfältig sortiert und in die Kisten verteilt. Neben Sardinen waren zahlreiche Makrelen, Kabeljau, Seelachs und vereinzelte Seeteufel im Netz.

Sie hatten gerade den letzten Teil des Netzes eingeholt, als Marc einen Metallkoffer im Netz entdeckte. Ein Koffer aus Aluminium in einem Schleppnetz konnte nur bedeuten, dass sie etwas aus einem verlorenen Container aus dem Meer gefischt hatten. Marc nahm den Koffer an sich, stellte ihn zur Seite und widmete sich erneut dem Fang. Nach einer weiteren Stunde hatten sie das Netz komplett geleert, aufgerollt und konnten sich auf die Rückfahrt nach Concarneau machen.

Den Koffer hatte Marc schon beinahe vergessen als er ihn beim Treppenaufgang zur Brücke stehen sah. Er nahm den Koffer und versuchte ihn zu öffnen aber die Schlösser waren verschlossen. Er brachte ihn zu Claude.

„Claude, im Netz habe ich diesen recht schweren Koffer gefunden, er ist verschlossen und lässt sich nicht öffnen. Bestimmt stammt er aus einem der verlorengegangenen Container beim letzten Sturm.“

„Sieht aus wie ein Koffer von einem Bürohengst. Vielleicht ist er so schwer, weil er sich Arbeit mit nach Hause genommen hat“, scherzte Claude und fuhr dann ernsthafter fort: „Ich nehme auch an, dass er aus einem der verlorenen Container stammt. Stell ihn einfach ab, wir sehen ihn uns an, wenn wir in Concarneau sind“, meinte Claude und sah auf die Radaranzeige, auf dem seit einigen Minuten ein weiteres Schiff zu sehen war. Claude hatte den Eindruck, dass sich das Schiff auf ihren Trawler zubewegte. Claude beobachtete den Radar und bemerkte, dass sich der Abstand zu dem anderen Schiff vergrößerte, aber es schien ihnen zu folgen. Noch drei Stunden und sie würden wieder in den Hafen von Concarneau einlaufen

Kapitel 2

Archie Byrne hatte Pech gehabt; er hatte sich beim letzten Transport für die Verschiffung seiner Ware für dieses Containerschiff entschieden. Ein furchtbarer Sturm hatte vor der bretonischen Küste gewütet und den Frachter erwischt. Ein Teil der Container war dabei ins Meer gespült worden. Das Schiff konnte die Fahrt nach Southampton und Antwerpen zwar fortsetzen aber ausgerechnet den Container, in dem sich seine versteckte Fracht befand, hatte es erwischt. Er hasste diese Aufträge, weil er sich jedes Mal einen neuen Transportweg aussuchen musste, der sicher vor dem Zugriff der diversen Zollbehörden war. Aber sie brachten ihm ein enormes Honorar ein, wenn die Fracht ordnungsgemäß eintraf. Im anderen Fall musste er für die Verluste seiner Auftraggeber geradestehen. Diese Verluste konnten schnell astronomische Summen erreichen.

In den vergangenen sechs Jahren hatte er seinen Kontostand auf die stolze Summe von 65 Millionen Euro gebracht. Aber selbst diese Summe reichte nicht aus, um den aktuell entstandenen Schaden zu bezahlen. Der kleine unscheinbare Koffer, den er in einem der Container versteckt hatte, hatte einen Wert von 250 Millionen amerikanischer Dollar. Eine Summe, die er niemals auftreiben konnte. Er hätte für den Transport und die ordnungsgemäße Ablieferung ein Honorar von 6 Millionen erhalten. Aber um die Summe kassieren zu können, hätte der Koffer in Antwerpen sicher eintreffen müssen. Seine Auftraggeber kannten kein Pardon, wenn es um ihre Ware ging.

Der Koffer enthielt Diamanten, die in Antwerpen in den Verkauf gehen sollten. Das Geld aus dem Erlös der Diamanten stellte die Finanzierung neuer Waffen und Munition für diverse Bürgerkriege in Afrika sicher. Wie immer hatte er den Koffer vor dem Transport präpariert. Im Griff des Koffers war ein Peilsender eingebaut worden, eine Spezialanfertigung. Der Koffer war wasserdicht und überstand einen Wasserdruck bis zu einer Tiefe von 125 Metern. Um sicherzugehen, dass der Koffer nicht in den Tiefen des Ozeans verschwand, hatte er zwischen der äußeren und inneren Schale eine leicht schwimmfähige Füllung einbringen lassen.

Er war nach London geflogen und dann mit dem Auto nach Southampton gefahren. Das Schiff sollte dort im Hafen anlegen. Er hatte vom Kapitän, gegen ein Entgelt von 20.000 Euro, die Zusage bekommen, dort aufs Schiff gehen zu können, um den restlichen Weg bis nach Antwerpen auf dem Schiff zurückzulegen. Dadurch hätte er die Möglichkeit, vor der Ankunft im Hafen, den Koffer aus dem Container zu holen und ihn an Land zu schmuggeln.

Als die Nachricht vom Verlust des Containers bei ihm eingetroffen war, hatte er sofort den Tracker eingeschaltet, um den Koffer zu lokalisieren. Der Koffer mit den Diamanten schien nicht mehr im Container zu sein. Wenigstens ein Lichtblick, dachte er. Mit dem Container wäre auch der Koffer in den Tiefen des Meeres verschwunden. Wenigstens hatte er noch eine Chance, den Koffer zu finden. Der Sender gab ihm eine Position an, die etwa 500 Kilometer von seinem Standpunkt entfernt lag.

Archie Byrne musste so schnell wie möglich in das Seegebiet gelangen, in dem der Koffer schwamm. Er machte sich sofort auf die Suche nach einem Boot. Die Suche gestaltete sich schwieriger als er gedacht hatte. Schließlich fand er einen Freizeitskipper, Jake Roberts, der bereit war, mit ihm in das Seegebiet vor der Einfahrt in den Ärmelkanal zu fahren. Er bot dem Yachtbesitzer ein Honorar von 10.000 Euro pro Tag. Wobei er davon ausging, dass sie nicht länger als zwei Tage unterwegs sein würden. Der Mann war mit dem Honorar einverstanden, und so legten sie bereits einige Stunden später ab.

Nach mehreren Stunden hatten sie das Seegebiet erreicht, in dem sich der Koffer befinden musste, nach Aussage des Peilsenders. Er suchte den Tracker auf seinem Laptop und sah den kleinen roten Punkt auf dem Bildschirm tanzen. Die Wellenbewegungen verursachte dieses hin und her. Doch plötzlich war der Punkt weg. Die Yacht war noch höchstens 25 Kilometer vom Koffer entfernt, doch der Koffer schien sich zu entfernen. Nach weiteren 10 Minuten war der Punkt wieder zu sehen, aber er bewegte sich jetzt noch schneller. Was war passiert? Er legte den Laptop zur Seite, griff zum Fernglas und suchte den Horizont ab. Er konnte nichts entdecken. Er ging zu Roberts und fragte ihn, ob er auf dem Radar ein Schiff gesehen hatte.

„Na klar, wir kommen in ein Seegebiet, in dem gefischt wird. Da ist eine ganze Anzahl von Trawlern unterwegs. Sehen Sie nur hier…“, der Mann zeigte auf einen grünen Punkt, der immer wieder aufblitzte, wenn der Radarstrahl darüber hinwegging.

„Das ist ein Fischtrawler, der sein Netz eingeholt hat und wieder Fahrt aufnimmt“, meinte der Mann.

Archie holte seinen Laptop und betrachtete den Bildschirm. Tatsächlich, sein Koffer bewegte sich mit demselben Tempo wie der Trawler. Für Archie stand fest, dass der Koffer auf dem Schiff sein musste. Hatten die Fischer den Koffer bereits entdeckt oder steckte er noch in ihrem Netz? Er musste dem Schiff folgen.

„Folgen Sie dem Fischtrawler, wir müssen ihn einholen“, rief er Jake zu.

„Das werden wir nicht schaffen, meine Yacht ist deutlich langsamer als dieses Schiff.“

„Ich lege noch 10.000 drauf, wenn Sie es schaffen“, rief er Jake Roberts zu.

„Das Schiff zu verfolgen dürfte nicht das Problem sein. Aber es kann passieren, dass wir es erst in seinem Zielhafen einholen. Sehen Sie, es entfernt sich weiter von uns und ich gebe schon Vollgas.“

Archie sah auf dem Radar, wie sich der Punkt weiter von ihnen entfernte.

„Können wir das Schiff auf dem Radar verfolgen?“, fragte Archie.

„Ich glaube, dass wir das hinbekommen“, wiederholte Jake.

„Gut dann fahren wir ihm hinterher“, entschied Archie.

„Ich hoffe nur, dass wir genügend Sprit an Bord haben. Ansonsten müssen wir einen Hafen anlaufen und unseren Tank auffüllen“, antwortete Roberts.

„Dann könnten wir das Schiff verlieren. Ich muss es aber unbedingt erreichen“, sagte Archie und verfolgte den roten Punkt auf seinem Laptop weiter.

„Wenn der Trawler nicht bis nach St. Nazaire fährt haben wir noch genügend Treibstoff“, meinte Jake nach einem Blick auf die Anzeige.

Der Wind frischte auf und die Wellen wurden heftiger. Archie fühlte sich nicht wohl bei dem Schaukeln, den nächsten Transport würde er auf keinen Fall mit einem Schiff organisieren, falls es für ihn noch einmal ein nächstes Mal geben sollte. Jetzt mussten zuerst einmal diese verdammten Steine wieder her.

Jake Roberts hätte am liebsten laut gelacht beim Anblick des Gesichts von Archie. Von dem selbstsicheren Mann blieb jetzt ein Häufchen Elend übrig. Er verkniff sich jede Bemerkung. Jake steuerte die Yacht weiter durch die Wellen, deren weiße Schaumkronen sich über die Yacht ergossen.

„Gehen Sie lieber in die Kajüte. Wenn die See noch rauer wird, dann werden sie komplett durchnässt“, rief er Archie zu.

Archie fühlte sich hundselend und konnte sich keinen Millimeter von der Reling entfernen. Er war völlig durchnässt und hatte das Gefühl, dass sich sein Magen gleich entleeren würde. Ohne Jake eine Antwort zu geben, blieb er ruhig liegen und hoffte, dass sich die Elemente wieder beruhigten und seinem Magen Ruhe gönnten. Das Meer zeigte ihm seine Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit im Vergleich zur Macht der Natur auf. Er erinnerte sich an seine erste Fahrt auf einem Ausflugsdampfer, die er als Kind mit seinen Eltern auf die Isle of Man unternommen hatte. Ein Stewart hatte damals Tüten verteilt und die Bemerkung fallen gelassen: ‚Für drei volle Tüten gibt es einen Freifahrschein.‘ Alle hatten bei der Bemerkung gelacht.

Es dauerte noch eine weitere Stunde, bis der Wind wieder nachließ und die Bewegungen des Bootes ruhiger wurden. Als er sich schließlich imstande fühlte seinen Platz an der Reling zu verlassen, ging er in die Kajüte und zog sich trockene Sachen an. Er ging zu Jake, der die ganze Zeit über gelassen am Steuer der Yacht gesessen hatte und von dem Wasser verschont geblieben war. Auf der Ablage vor dem Steuerrad stand eine Rumflasche.

„Kommen Sie Mr. Byrne, nehmen Sie einen kräftigen Schluck. Das wärmt sie auf, Sie müssen ja bis auf die Knochen nass geworden sein. Ich habe noch nie eine Seekrankheit gehabt aber ich kann mir vorstellen, dass es furchtbar sein muss“, meinte er und reichte Archie die Rumflasche.

Zuerst wollte er ablehnend auf das Angebot reagieren, dann aber griff Archie nach der Flasche und nahm einen kräftigen Schluck. Der Alkohol floss seine Kehle hinunter und brannte wie Feuer auf der gereizten Schleimhaut, gleichzeitig wärmte er ihn auf. Archie nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche, bevor er sie Jake zurückreichte.

„Was macht unser Trawler?“, fragte er Jake.

„Er hat seine Geschwindigkeit verringert und scheint sich auf den Hafen von Concarneau zuzubewegen. Wir werden wohl zwei Stunden nach ihm dort eintreffen“, antwortete Jake.

„Wie lange muss ich noch auf diesem Boot bleiben?“, fragte Archie.

„Wenn nichts dazwischenkommt, dann werden wir in zwei Stunden Concarneau erreichen. Dann können Sie wieder an Land gehen“, meinte Jake verständnisvoll lächelnd.

Kapitel 3

Claude Troalen sah die Ville Close im Licht der aufgehenden Sonne vor sich liegen. Er liebte diesen Blick auf die alten, hohen und Sicherheit ausstrahlenden Festungsmauern. Seit seiner Kindheit lebte er in Concarneau, und er konnte sich keinen anderen Ort auf der Welt vorstellen, wo er lieber wäre. Heute war die Altstadt überlaufen von Touristen. Mehr als eine Million Menschen jährlich besuchten den ältesten Teil von Concarneau. Im Sommer aß er ab und zu mit seiner Frau ein Eis in der Altstadt.

Durch die Ville Close streifte er schon lange nicht mehr so wie er es als Kind früher mit seinen Freunden gemacht hatte. Damals, das lag jetzt fast 45 Jahre zurück, war für ihn die Ville Close ein riesiger Spielplatz gewesen. Ein Ort, an dem er mit seinen Freunden auf die Mauerkrone klettern, sich verstecken oder Räuber und Piraten mit ihnen spielen konnte. Später, als sie etwas älter waren, kam das Vergnügen hinzu, von der Mauer ins Hafenbecken zu springen. Sobald der Sommer das Wasser des Hafens aufgewärmt hatte, kletterten sie auf die Mauer gegenüber des Yachthafens und sprangen aus mehr als 10 Metern Höhe ins Wasser. Es war das reine Vergnügen und eine Art Mutprobe für die jungen Burschen. Einer von ihnen wartete am Fuß der Mauer und signalisierte demjenigen, der dabei war ins Hafenbecken zu springen, ob er gefahrlos springen konnte. Denn von der Mauerkrone konnte man nicht aufs Wasser unter der Mauer sehen. Wenn sich ein Boot in der Nähe befand, musste der Springer warten bis die Stelle wieder frei war. Aber das lag jetzt schon alles weit zurück. Die Mauerkrone war heute so abgesichert, dass die Jugendlichen diesen, zugegebenermaßen nicht ganz ungefährlichen, Sprung nicht mehr machen konnten.

Claude steuerte den Trawler an den Kai der Criée. Das Schiff wurde festgemacht und sofort begannen seine Kollegen mit dem Entladen des Fangs. Die ersten Möwenschwärme kreisten bereits über dem Schiff in der Hoffnung, Beute machen zu können. Mit einem Kran wurden die Kisten mit den auf Eis liegenden Fischen aus dem Bauch des Schiffes gehievt und sofort in die Halle gefahren. Dort warteten die Kühltransporter auf die Ware, die sofort nach der Versteigerung weiter verladen und an die Käufer in ganz Frankreich, vor allem nach Paris, gebracht wurde.

Der Fang war entladen und Claude konnte das Schiff an seinen Liegeplatz bugsieren. Die Vorbereitungen für die nächste Ausfahrt würden erst am späten Nachmittag gemacht. Er verließ die Brücke, da sah er den Koffer an der Wand stehen. Den aus dem Wasser gefischten Koffer hätte er beinahe vergessen. Claude griff nach dem Koffer und versuchte ihn zu öffnen aber der Koffer war verschlossen. Er holte aus seinem Werkzeugkoffer eine Zange und einen Schraubenzieher und versuchte das Schloss zu entriegeln. Die Versuche gingen daneben. Er griff nach der kleinen Brechstange. Nach mehreren Versuchen gelang es ihm, die Stange zu platzieren. Er drückte die Brechstange nach unten und das Material des Kofferdeckels gab etwas nach. Er schob die Stange weiter hinein, und mit einem lauten Knall brach das erste Schloss auf. Nach wenigen Minuten hatte Claude auch die zweite Verriegelung gesprengt. Er hob den Deckel des Koffers auf. Im Koffer lag ein Beutel von der Größe eines Schuhbeutels, ringsherum mit Füllmaterial gepolstert. Claude nahm den Beutel heraus und öffnete ihn. Er war mit Diamanten von unschätzbarem Wert gefüllt. Der Koffer konnte nur aus einem der Container stammen, die vor einigen Tagen, als der schwere Sturm vor der Küste des Finistère tobte, verloren gegangen waren. Er hatte in den Nachrichten davon gehört. Dann wären die Steine Schmuggelware, Blutdiamanten, mit deren Erlös Waffen und Munition für irgendeinen Bürgerkrieg gekauft würde.

Claude überlegte nur kurz, dann steckte er den Beutel mit den Diamanten in seine Umhängetasche, nahm den Koffer in die Hand und verließ das Schiff. Er ging an der Halle vorbei in die Stadt. Am Ende der Halle standen Müllcontainer. Dort entsorgte er den Koffer.

Claude machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung in der Rue Bayard. Er sah die Motoryacht, die gerade die Ville Close umrundete und jetzt in das hintere Hafenbecken kam. Claude sah der Yacht nach, während er weiter über den Parkplatz vor der Criée ging. Er erkannte die relativ große Yacht nicht. Am Heck wehte eine englische Flagge. Das Schiffe musste die ganze Nacht über unterwegs gewesen sein, dachte er.

Er betrat seine Wohnung, begrüßte Chantal, stellte seine Umhängetasche neben die Garderobe und folgte seiner Frau in die Küche, wo das Frühstück bereits auf ihn wartete.

„Wie war der Fang?“, fragte Chantal ihren Mann.

„Sehr gut, wir haben das Netz bereits beim ersten Einholen so voll gehabt, dass wir uns sofort auf den Rückweg machen konnten. Wir haben dabei noch einen besonderen Fang gemacht, ich erzähle dir später davon“, sagte Claude und biss herzhaft in das mit Butter und Marmelade bestrichene Stück Baguette. Chantal brachte ihrem Mann eine Tasse Kaffee und Claude nahm einen Schluck.

Kapitel 4

Archie Byrne stand immer noch neben Jake und starrte auf seinen Laptop.

„Das Schiff muss hinter der Halle liegen“, sagte er zu Jake, ohne von seinem Laptop aufzusehen. „Scheiße, wir haben das Schiff verloren!“, brüllte Archie.

„Wir haben kein Schiff verloren“, antwortete Jake. „Was verfolgen wir eigentlich?“

„Ich verfolge einen Koffer, der sich auf dem Schiff befinden muss. Wenigstens war er bis vor Kurzem noch darauf.“

„Vielleicht hat man den Koffer bereits vom Schiff gebracht, und der Koffer steht jetzt dort neben der Halle“, sagte Jake und zeigte auf den roten Punkt auf dem Computerbildschirm.

„Lass mich an Land gehen, ich muss das sofort überprüfen.“ Archie legte den Laptop zur Seite.

„Ich kann hier nicht anlegen, der Kai ist nur für die Fischkutter“, sagte Jake.

„Egal, wir bleiben ja nicht ewig“, antwortete Archie.

Jake steuerte die Yacht an den Pier. Sofort erschien ein Arbeiter, fuchtelte wild und rief Jake etwas zu, das er nicht verstand. Archie hatte keine Zeit, das Anlegemanöver abzuwarten. Als das Schiff nahe genug an der Mauer war sprang er von Bord und eilte zu der Stelle, die er auf dem Laptop gesehen hatte. Jake steuerte seine Yacht wieder von der Kaimauer weg und fuhr auf eine Landungsbrücke zu. Der Arbeiter schien zufrieden zu sein, er wandte sich ab und ging seiner weiteren Arbeit nach.

Archie Byrne stolperte beinahe über ein Tau, das er in der Eile übersehen hatte. Er fing sich noch rechtzeitig und lief weiter auf das Hallenende zu. Als er um die Ecke bog fiel sein Blick auf die Müllcontainer. Archie trat an die Müllcontainer und sah sich jeden einzelnen an. Er schob den Deckel vom letzten Container auf und blickte hinein. Hier lag der aufgebrochene Koffer. Der Beutel mit den Steinen war dem Koffer entnommen worden. Der letzte Rest Hoffnung, die Diamanten zu finden, schwand. Archie stellte sich bereits vor, was man mit ihm machen würde, wenn er seinen Auftraggebern erklären musste, dass die Diamanten verschwunden waren. Wer hatte die Diamanten an sich genommen? Wo konnte er sie noch suchen?

Archie war überzeugt, dass der Koffer auf dem Trawler war, den sie auf dem Radar gesehen hatten. Er musste die Besatzung des Schiffs ausfindig machen und jeden Einzelnen befragen. Aber die Besatzung welchen Schiffes? Archie ging zurück ans Hafenbecken und sah sich die Fischkutter an, die vor Anker lagen. Er könnte sich bei den Arbeitern der Fischhalle erkundigen, welches Schiff am Morgen, vor höchstens zwei Stunden, eingelaufen war und seine Ladung gelöscht hatte.

Archie ging auf den Mann zu, der ihnen noch vor wenigen Minuten wilde Handzeichen gegeben hatte, um sie vom Anlegen an die Kaimauer zu hindern. Er grüßte und stellte ihm die Frage. Leider verstand der Mann kein Englisch. Archie kramte in den hintersten Ecken seiner Erinnerung und versuchte, die wenigen französischen Worte zu finden, an die er sich aus der Schulzeit erinnerte. Als der Arbeiter verstanden hatte, dass er nach dem Trawler fragte der zuletzt ausgeladen worden war, zeigte er auf das Schiff mit dem blauen Anstrich, das an seinem Liegeplatz lag. Archie bedankte sich. Er notierte die Kennung des Schiffs und ging zur Capitainerie an der großen Fischhalle. Es war früh und der Posten war noch nicht besetzt. Archie würde warten.

Er überlegte sein weiteres Vorgehen. Dann beschloss er, Jake Roberts zu bezahlen und sich von ihm zu verabschieden. Er würde in Concarneau bleiben bis er seine Diamanten wieder hatte und danach von der Bretagne aus nach Antwerpen reisen. Dort würde er die Diamanten abliefern und sein Honorar kassieren. Er hoffte, so alles zu einem guten Ende bringen zu können.

Jake Roberts wunderte sich zwar, dass Archie in Concarneau bleiben wollte, er war davon ausgegangen, dass er seinen Auftraggeber wieder mit nach England nehmen würde. Als Archie ihm aber das versprochene Honorar gab und noch eine Prämie drauflegte, nahm er das Geld entgegen. Er würde einige Stunden auf dem Schiff schlafen und dann seine Rückreise antreten.

Archie Byrne hatte in den letzten Stunden an Bord mehr Zeit an der Reling zugebracht als in der Kajüte. Er brauchte dringend Schlaf. Archie saß auf einer Bank am Rande des Hafenbeckens und wartete geduldig auf die Öffnung der Capitainerie. Nach wenigen Minuten war er im Sitzen eingeschlafen.