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Der "liebe Augustin" ist eine Gestalt, die von vielen Legenden umwoben ist. Um 1670 war er ein beliebter Bänkelsänger, der für seinen Humor bekannt war. Er pries die Stadt Wien, verfasste aber auch Spottlieder auf die Sitten und Unsitten am Wiener Hof. Sie machten ihn beim Volk beliebt, wenn er sie auf den Gassen oder in der Schenke "Zum süßen Löchl" zum Besten gab. Seine Schmählieder richteten sich hauptsächlich gegen die Mätresse des Kaisers, die "Polsterkatz", wie sie im Volksmund genannt wurde. Um sich zu rächen, schickt ihm die Marquise vergiftete Pasteten und vergifteten Wein. Augustin wird jedoch rechtzeitig gewarnt.-
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Seitenzahl: 238
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Roman
Saga
Hanns Saßmann schrieb den Roman „Der liebe Augustin“ nach dem gleichnamigen Wien-Film im Verleih der Terra, den E. W. Emo inszenierte. Saßmann ist auch der Verfasser des Drehbuches für den Film.
Wien liegt in einer gar lustigen Ebene und auf einem an Getraid, Wein und allerhand Früchten sehr fruchtbarn Boden. Und wird sonderlich viel Wein herum gesammlet und in die Stadt geführet, daher auch das Wort Vienna versetzt und in diese zwei: en Vina verwandelt und Wien zu Wein gemacht wird. Und zwar hat man dessen vonnöten, weil die Stadt gar volkreich und sechs mächtiger Nationen, der Teutschen, Welschen, Hungarn, Böhmen, Polen und Slovacken gemeine Herberg zu seyn scheinet, also dass vor der Belagerung und dem Krieg, den König Matthias Corvinus mit dem Kaiser Friedrich IV. geführt, fünffzigtausend Menschen ohne die Kinder allda seynd gezählet worden, und offt allein an die siebentausend Studenten sich allhie befunden. Und wird derzeit die Anzahl der Seelen auff sechzigtausend geschätzt, wiewol man die Gewissheit dessen nicht eigentlich erfahren und wissen kann, weilen es da grosse und weitschichtige Vorstädte hat, in welchem viel herrlich und schöne Gärten mit ihren Lusthäusern, auch andern Gemachen und Losamenten seyn.
Jenseits der Thonau wohnen, gleichsam in einer Insul, die Juden besonders; in der Stadt aber haben sie zu ihrer Handtierung gewisse Orte, da sie des Tages ihre Waren verkauffen, aber über Nacht in der Stadt nicht bleiben dürffen.
Inwendig ist die Stadt Wien schön erbaut und seynd viel Häuser allda, so vor fürstliche Palläst anzusehen, wiewol sie mehrers zur Pracht als zur Bequemlichkeit und Nutzbarkeit gemeiniglich gebauet. Haben sehr tiefe und ansehnliche Keller, in welchen man Stuben findet, daher gesagt wird, dass zu Wien nicht weniger Gebäude unter als ober der Erden seyen.
Von weltlichen Gebäuden ist insonderheit die Kaiserliche Burg oder Residentz zu sehen, so zwar nicht sonderlich prächtig erbaut und für einen solchen mächtigen Potentaten und eine so grosse Hofhaltung ziemlich eng ist. In der Residentz ist die Guardarobbia und die Galeria mit unterschiedlichen Zimmern, so man den Schatz nennt und in demselben allerhand köstliche Sachen zu sehen. Darunter die Kaiserlich Kron mit dem Scepter und Reichs-Apffel, so auch Gold und köstlichen Diamanten gezieret, die man auf ein Millionen Goldes Werth schätzet, und Kaiser Rudolph II. sich hat machen lassen. Item ein Einhorn, so 12 oder 13 Spannen lang ist, das seinesgleichen in solcher Formschöne und Grösse nicht in der ganzen Welt haben solle.
Von denkwürdigen Sachen, die sich allhie zugetragen, wollen wir der Kürtze halber etliche wenige erzählen. Als der letzte Hertzog von Österreich aus dem Bambergischen Stammen, Friedericus Bellicosus, in des Kaisers Friedrichs II. Ungnade gefallen, so ist er, der Kaiser, Anno 1236 auf Wien kommen, den die Bürger daselbst stattlich empfangen, der auch allda drey Monate verharret ist und Wien zu einer Reichs-Stadt gemacht und ihr das Wappen, so sie noch heutig Tags führet, nämlich einen güldenen und gekrönten Adler in schwartzen Feld, gegeben. Sie ist aber nur vier Jahre eine Reichs-Stadt geblieben, da besagter Hertzog, als der Kaiser anderswo zu tun hatte, sie belagert und also geängstigt, dass sie sich ihm wieder hat ergeben müssen. Anno 1286 belagerte die Stadt Kaiser Rudolph I. Anno 1408 seynd der Bürgermeister Conrad Vorlauff und andere des Raths allhie enthauptet worden, und stunde es damaln gar übel in Wien. Anno 1485 belagerte diese Stadt König Corvinus aus Ungarn und nahm sie ein, und kam solche erst nach seinem Tode wieder an Österreich und unter Kaiser Maximilian I. Anno 1529 kam der türkische Kaiser Soliman selbsten dafür und liess über 25 000 Gezelte aufschlagen, musste jedoch, nachdem er wenigst auf die zwanzigtausend Personen verloren, unverrichteter Sachen wieder abziehen. Anno 1590 erhub sich allhie ein erschröckliches Erdbidem, dass kein Haus so starck gefunden, an welchem von unten hinauf nicht ein Spalt zu sehen gewesen wäre. Anno 1619 hatte Graf Heinrich Matthes von Thurm sein Böhmisch Kriegsvolck vor die Stadt gebracht, hat aber nichts ausrichten können.
Den 2. May dieses Jahres ist in St. Stephans Kirchen der grosse Glockenschwengel ohn einige Bewegung entzwei gebrochen, hat sich der Adler, welcher gantzer 15 Jahr am Kaiserlichen Hof gehalten worden, von seiner Stangen zu Tod gefallen. Den 22. Martii Anno 1642 hat ein ungarisch Weib allhie drey gesunde Kinder zur Welt gebracht.
Der Frühlingsmorgen lag trüb und dunstig über Wien. Einem gen Himmel gereckten schwarzen Zeigefinger gleich stach der Turm des Stephansdomes in das Graugewölk. Seit den grossen Überschwemmungen des Herbstes waren die Wasserdämpfe über den Donauniederungen verblieben, und ihr ungesunder Hauch schlich sich immer wieder in die sonst so lichtfrohe, lustige Stadt.
Die hohen Kamine über den spitzen Giebeldächern qualmten gelben Rauch in die üblen Dünste der engen Gassen, von denen eine der Sauwinkel hiess. Über das nebelnasse bucklige Pflaster im Neu-Schottenviertel trabten zwei Männer. Der eine, zaundürr und ganz windschief gewachsen, trug den kleinen Kopf mit dem spitzen Nasenschnabel zur Seite geneigt, als wollte er immerzu einer drohenden Maulschelle ausweichen. An den schmächtigen Gliedern schlotterte eine aschgraue, geflickte Pluderhose, die dürren Beine sahen darunter aus wie die Waden eines aufgeplusterten Welschhahnes. Auf dem etwas krummen Rücken schleppte er eine Harfe. Manchmal blieb er stehen und sah den andern verängstigt an. Der hatte ein rotes, breites Gesicht über den Fettwülsten, die ihm hinten und vorn über den Jackenkragen hingen; unterm Arm trug er eine grosse Geige. Wenn der Dürre neben ihm stehen blieb, puffte ihn der Dicke mit jener Roheit weiter, mit der in aller Welt die Feisten die Dürren traktieren; denn mit Missachtung und Feindschaft sehen die Fetten auf die Mageren herab, seit die Erde den Menschen Nahrung gibt.
So puffte auch der Dicke den Dünnen des Weges dahin, dass dieser fast in den schwarzen Brei flog, der im engen Schlossergassel das Pflaster zollhoch bedeckte. Doch bald konnten sie nicht mehr weiter, denn oben in dem engen Durchgang hielten zwei Sänften. Ihre Träger standen bis zu den Knöcheln im Kot. Zwischen den Vorhängen steckten die Köpfe zweier alter Herren mit mächtigen Perücken, wahren Löwenmähnen.
Einer der zwei Kavaliere hatte den Stock mit dem blitzenden Goldknauf durchs Sänftenfenster gesteckt und rührte damit wie mit einem Rührlöffel in dem Kotbrei, wobei ihm sein Gegenüber in der Sänfte interessiert zusah. Denn schon eine Weile lang greinte Seine Magnifizenz, der Rektor der Wiener Universität, der Alma mater Rudolfina, Herr Paul de Sorbait: „Das ist der wahre Pestzunder, der das Gift der Pestilencia asiatica jahrelang bei uns festhält, denn so lange liegt wohl schon dieser – Eure Exzellenz verstatten mir das üble Wort – so lange liegt wohl schon dieser Dreck hier.“
Seine Exzellenz, der Staatsminister und Obersthofmeister Johann Michael Graf Sinzendorf lächelte mit schmalen Lippen. Dieses Lächeln schien den Rektor zu empören, denn sein Stock rührte noch wütender in der schwarzen zähen Masse.
„Saubere Strassen sind bei der Gefährlichkeit unserer Zeit unerlässlich. Der Saturn steht in Konjunktion zum Mars. Das ist stets ein Vorbote hitziger Krankheiten!“
Auf einen Wink des Grafen bewegten sich die beiden Sänften nebeneinander weiter. Aus dem Fenster gelehnt, hörte Sinzendorf gelassen dem Rektor zu, dessen Löwenhaupt bei jedem Satz aus den Vorhängen seines Tragsessels fuhr: „Marsilius Finicus und Quercestanus haben die Gefährlichkeit dieser Konjunktion vorausgesagt. Und seit dem zehnten August vergangenen Jahres haben die Astronomen sie beobachtet. Die Krankheitsfälle in den Vorstädten mehren sich. Die sanitären Gesetze aus der letzten Pestzeit sind in Vergessenheit geraten. Wir bekommen dieses Jahr einen Seuchensommer, oder es gibt keine Sternenkunde mehr!“
Sinzendorf hatte noch immer sein schmales Lächeln um den Mund; Wien sei ohnehin übervölkert, so meinte er. Unter der Fuchtel des Bettelrichters stünden an die tausend Bettler und Landstörzer. Eine kleine Pestilenz würde es dem Magistrat ersparen, sie in Band und Eisen aus der Stadt zu bringen.
Die beiden Sänften, mit denen die Träger jetzt im Zotteltrab liefen, nahmen die ganze Strassenbreite ein, so dass der dürre Harfenist und der dicke Geiger sich an die Mauer drücken mussten. Der Dürre zog artig das Spitzhütl, der Dicke rührte kaum daran, und als die Sänften vorbei waren, spuckte er ihnen nach. Dann schimpfte er mit breitem Maul: „Vergoldeter Madensack! Du Erdschrollen mit Silbertressen! Zierlicher Höllfrass, du! Leimlümmel und Krätzenfink. Dich seh ich noch geschunden und gehenkt, wenn’s einmal aufgeht in der Wienstadt!“
Martl Bleimschein, der Geiger, sprach diesen Unflat, weil er in der einen Sänfte den Grafen Sinzendorf erkannt hatte, der den Wienern verhasst war als der schamloseste aller Diebe und Tellerlecker, die jemals einen kaiserlich-deutschen Hof ausgeplündert hatten.
Während die beiden Sänften ihre Insassen auf dem kürzesten Weg in die Burg trugen, patschten die beiden Musikanten durch den Schmutz der Löwelkordina zu, um von dort über die Basteimauer in den Burghof zu schleichen. Die Träger der Sänften liefen immer rascher, denn alle Turmuhren der Stadt schlugen die Stunde, in der dort drüben in dem mächtigen grauen Bau ein Halbgott zu erwachen pflegte: der deutsche Kaiser aus dem Habsburger Geschlecht.
Die kaiserliche Hofburg mit ihren dicken Mauern, den dunklen Treppen und dämmerigen Sälen wirkte an diesem Tage noch düsterer. In der zweiten Antikamera drängten sich bereits die Minister und Kavaliere, um dem Kaiser ihre Aufwartung zu machen. Das kaiserliche Lever war für acht Uhr angesagt worden, aber schon zweimal hatte der Oberstkämmerer, der in der ersten Antikamera Dienst tat, in den vorgeschriebenen Abständen an die Tür der kaiserlichen Schlafstube geklopft, es war ihm aber noch kein Zeichen des kaiserlichen Erwachens zuteil geworden. Fröstelnd standen die Mitglieder des kaiserlichen Hofstaates herum im flüsternden Klatsch der Hofgesellschaft.
Der Obersthofmeister Graf Sinzendorf unterhielt die Herren mit den Befürchtungen des Rektors: „Seine Magnifizenz der Herr Rektor meint, dass uns die unheilvolle Stellung des Saturns und des Mars zueinander eine ganze Reihe von hitzigen Fiebern bringen werde!“
Die etwas hohe Stimme des Marquis de Valais riss den Rektor schrill aus seinen schweren Gedanken: „Sie sagen, der Konstellassion von die Gestirn kann bringen Fieber? Sie müssen mir mehr sagen davon.“
Die Grafen Harrach und Lamberg blieben stehen und hörten zu. Graf Lamberg war ein lebenslustiger Kavalier, dem der Spott über die Bemühung des geleckten Parisers, Deutsch zu sprechen, nur so um den Mund zuckte. Er kannte den geheimen Grund dieses Zungenkrampfes.
„Die Gestirne haben zweifellos Einfluss auf die Erdatmosphäre“, gab der Rektor dem Marquis ausweichend zur Antwort, neigte sein Haupt um kaum einen halben Zoll und schritt weiter, den Stock mit ausgestrecktem Arm weit vor sich hinsetzend, wie es die steifen Schösse seines breiten Rockes aus starrem Brokat erforderten.
„Viel Fremdländisches am Wiener Hof“, sagte der Graf Weissenwolf, der gestern aus Villach angekommen war, zum jungen Grafen Lamberg. Er wies dabei auf die zwei Gruppen der Hofmusizi, die mit ihren Instrumenten wartend standen.
„Hie italienisch – hie französisch!“ erklärte Graf Dietrichstein. „Zum Leide unseres lieben Inspectoris musicae kämpfen zwei Musikstile um des Kaisers Genie. Rechts sehen Sie alle, die noch auf Monteverdis Opern schwören, links alle, die den Balletten Lullys verfallen sind, weil sie eine gute Küche schätzen.“
„Gute Küche? Was hat die mit den Tonschöpfungen Lullys zu tun? Die sind zwar eine Mixtur von italienischer Messe und Pariser Tanzwut, aber ...?“ lächelte Graf Lamberg.
„Lully begann als Küchenmeister in Versailles. Man sagt, dass er jedem Kapo eines höfischen Orchesters, der seine Kompositionen fördert, auch seine Kochrezepte von einst dediziert“, spottete Graf Dietrichstein. „Doch im Ernst, Weissenwolf. Ich ertrage Lullys Musik nicht mehr. Sie schmeckt wie eine stark gewürzte Pastete. Pariser Kost. Leider haben wir keine deutsche Musik, und Seine Majestät behauptet sogar, dass wir nie eine haben werden.“
Graf Lamberg meinte daraufhin, dass der Herr Hofprediger erst gestern von einem hamburgischen Musikus namens Schütz gesprochen habe, der eine Oper komponiert habe, es sei schon vierzig Jahre oder noch länger her. Graf Lamberg hatte dies kaum geäussert, da kreischte auch schon der Halskrausentenor des Marquis de Valais in das halblaut geführte Gespräch: „Oh! Sie spreschen von Pater Abraham a Santa Clara? Das sein ein serr wortgewaltige Mann in deutscher Sprasch. Aber er misch immer swingen zu spreschen Deutsch. Er bereiten mir serr grossen Qual damit!“
Im ersten Vorzimmer standen die Kammerherren vom Dienst mit den Kammerdienern, die die Kleider des Kaisers zur Auswahl bereithielten. Der Oberstkämmerer stand mit der Uhr in der Hand an der Tür der kaiserlichen Kammer, neben ihm hielt sich der Inspector musicae, Graf Trautensberg, bereit, ins kaiserliche Schlafgemach zu treten. Er flüsterte dem Oberstkämmerer rasch noch zu: „Werden Sie das musikalische Thema, das ich Ihnen gab, auch unbemerkt auf den Nachtisch Seiner Majestät schmuggeln können, Exzellenz?“
Der Oberstkämmerer hob beschwichtigend die Hand. „Seien Sie ohne Sorge, mon cher! Es ist mir bis heute noch immer gelungen.“
Der Oberstkämmerer klopfte zum dritten Male an diesem Morgen, da ging endlich die Tür auf. Der Oberstkämmerer betrat mit der ersten Reverenz, die ihn in die Knie sinken liess, die Schlafkammer des Kaisers. Die zwei weiteren vorgeschriebenen Reverenzen brachten den Kavalier, der fast am Boden dahinkroch, bis an das Bett seines kaiserlichen Herrn. Im Halbdunkel, das im Raume herrschte, sah der Oberstkämmerer, dass die grossen Augen des Kaisers melancholisch geradeaus blickten, sie sahen irgendwohin ins Nichts. Rasch und unbemerkt legte der Oberstkämmerer das kleine Notenblatt auf den Nachttisch und überreichte Seiner Majestät das neue Hemd, das der Kaiser nach den Vorschriften des spanischen Zeremoniells im Bett anzog. Dann kroch der Hofkavalier wieder mit drei Reverenzen zur Tür zurück, um dem Kaiser Zeit zur Morgenandacht zu lassen, die Seine Majestät an einem in der Kammer stehenden Altar verrichtete.
Die im ersten Vorzimmer Wartenden hatten sich inzwischen zu ihrem Dienst bereitgemacht. Rektor Sorbait war zum kaiserlichen Leibmedikus Nikolaus Wilhelm Beckers von Wallhorn getreten, der ihm mit kühlen Blicken entgegensah.
„Wie ist das allerhöchste Befinden Seiner Kaiserlichen Majestät?“ so fragte der Rektor, unbekümmert um die Eiseskälte des Leibmedikus. Und fügte boshaft hinzu: „Ihre Kaiserliche Hoheit, die Kaiserinmutter Eleonora, bat mich gestern abend, dem heutigen Lever Seiner Majestät beizuwohnen. um den Kaiser unauffällig auf sein Aussehen hin zu observieren.“
Die Gestalt des Leibmedikus reckte sich in einer Art von Starrkrampf, als er erwiderte: „Seine Majestät klagten gestern über eine leichte Ermüdung. Kein Wunder bei der Anwendung von Mixturen, die für den zärteren Leib Seiner Majestät kaum heilsam sein können.“
Jetzt wurde die feiste Hinterseite des Oberstkämmerers, der in tiefer Verneigung rücklings ging, im Rahmen der Kammerrür sichtbar. Er war mit seinen drei Reverenzen wieder in die erste Antikamera zurückgelangt, die Tür wurde hinter ihm wie von Geisterhänden geschlossen. Die draussen Wartenden verharrten in ehrfürchtigem Schweigen. Nach kurzer Zeit ging die Tür der kaiserlichen Schlafkammer wieder auf, alle Anwesenden versanken in die grosse Reverenz. Man sah keine Köpfe und keine Gesichter mehr, sondern nur eine Front von goldbetressten Rückenteilen. Die Kaiserliche Majestät war eingetreten.
Die schmächtige Gestalt des Kaisers umhüllte ein prunkvoller Schlafrock, und die goldbestickte Schlafmütze bedeckte noch das Haupt. Das Kinn trug einen schmächtigen schwarzen Bart, und die starke Unterlippe war nachdenklich vorgewölbt. In der Hand hielt der Kaiser ein Notenblatt und sah darauf. Mit den mechanischen Bewegungen der täglichen Gewohnheit schritt er zu seinem Armsessel und setzte sich.
Der Oberstkämmerer nahm des Kaisers Schlafmütze ab und hängte ihm den Haarmantel zum Barbieren um. Dann kroch er rücklings, den Hintern höher als den Kopf. Mit geschäftiger Devotion begann der Barbier sein Werk, verfolgt von den giftigen Blicken des Hofnarren und des Hofzwergs. Die Missgestalt des goldbordierten Zwerges begann sich in Tanzschritten zu bewegen, eine dünne, krähende Stimme sang ein Lied aus sinnlos zusammengefügten Worten. Der Kaiser winkte ungnädig ab.
Der Kammerdiener legte dem kaiserlichen Herrn die sechs Kleider zur Auswahl vor und zog sich mit den ausgewählten zurück, um sie zum Ankleiden herzurichten. Der Leibarzt näherte sich dem Kaiser, um den allerhöchsten Puls zu fühlen.
Der Kaiser liess die Prozeduren des Barbierens und des Pulsfühlens über sich ergehen und beantwortete die Frage seines Leibmedikus nach dem allerhöchsten Befinden mit einem gebrummten, ganz unverständlichen Satz in schlechtem Französisch. Der Leibarzt sprach Deutsch weiter: „Eure Majestät geruhten gestern über Müdigkeit zu klagen. Hochdero allerhöchste Gesundheit sind mir anvertraut. Wollen Eure Majestät nicht zu medizinieren geruhen?“
Der Kaiser knurrte, durch seine allzu starke Unterlippe am Sprechen etwas behindert: „Taisez vous! Silence! Chut! Pas un mot!“
Der Leibarzt zog sich mit tiefer Verbeugung an die Wand zurück, wo sein Kollege de Sorbait stand und den Kaiser mit aufmerksamen Augen beobachtete. Der Kaiser bemerkte den Rektor und winkte ihn heran. Sorbait beugte das Knie und kam näher. In tiefer Verneigung sprach er auf einen Wink des Kaisers: „Ihre Majestät die Kaiserinmutter hat mich geschickt, nach Euer Majestät Befinden zu sehen. Wolle Gott, dass kein Grund hierfür vorliegt. Haben Majestät wirklich über nichts zu klagen?“
Der Kaiser hob abwehrend die Hand mit dem Notenblatt. „Taisez vous! Silence! Paix! Chut!“
„Majestät sollten dennoch einen Tag medizinieren“, schlug der Rektor trotz des kaiserlichen Schweigegebotes ehrfurchtsvoll vor. „Der Rohitscher Sauerbrunnen ist ein Allheilmittel.“
Der Kaiser winkte ab: „Allez! Allez!“ Dann verschwand der Kopf des Kaisers unter der Allongeperücke, die der Barbier jetzt auf das kaiserliche Haupt stülpte. Und dann begann die Zeremonie des Ankleidens.
Der Kammerdiener reichte auf einem silbernen Tablett dem diensttuenden Kammerherrn die Hose des Kaisers. Sie war schwarz und unter den Knien zu binden. Ohne einen Finger zu rühren, liess sich der Kaiser die Hose überziehen und versank wieder in das Studium des Notenblattes.
„Graf Trautensberg“, brummelte der Kaiser jetzt in deutscher Sprache. Der Inspector musicae stürzte mit drei Kniebeugen vor.
„Sehen Sie sich diese Melodie an.“ Der Kaiser reichte seinem Inspector musicae das Blatt, während ihm die auf einer silbernen Platte gebrachten roten Strümpfe angezogen wurden, denen die roten Schuhe mit den grossen Schnallen folgten, wie es die spanische Mode vorschrieb.
Graf Trautensberg geriet in Verzückung. „Süperb, Majestät“, flüsterte er ergriffen. „Welche Feinheit der Melodieführung! Welch edler Sinn für Harmonie! Majestät haben wieder im Schlafe komponiert wie schon so oft!“
„Das Blatt lag auf meinem Nachttisch“, brummte der Kaiser mit melancholischem Nachsinnen. „Ich habe das Motiv wohl im Traum gehört und es mir im Halbschlaf aufgezeichnet.“
„Welche göttliche Gabe! Melodien zu träumen vermag nur das Genie!“ sprach der Graf.
Der Kaiser winkte dem Hofzwerg. „Spiel die Melodie auf deiner Flöte!“ befahl er. Der Zwerg setzte sich in Positur und blies auf seiner Flöte das Motiv. Sanft erfüllte das kleine Musikstück mit seiner Anmut den Raum. Fröhliche Keckheit und melancholische Grazie paarten sich darin. Erstaunt lauschte der Kaiser, während ihm das Wämschen mit den kurzen Schössen angelegt wurde. Entzückt rief der Inspector musicae aus: „Wie schade, dass Eure Majestät kein Musikus von Beruf geworden sind!“
Er hielt sofort erschrocken inne, aber der Kaiser antwortete gemütlich: „Tut nichts! Hab’ es so besser!“
Die Toilette des Kaisers wurde durch das Goldene Vliess und den schwarzseidenen Mantel vervollständigt und der Hut mit den schwarzen und roten Federn auf sein Haupt gedrückt.
Der Kaiser stand auf und reichte dem Grafen Trautensberg das Notenblatt. „Verwahren Sie’s. Ich werde es durchkomponieren. Mit Fiorituren und Variationen. Es soll zum nächsten Hofkonzerto fertig sein.“
Der Kaiser machte ein paar Schritte vorwärts, die Tür der zweiten Antikamera sprang vor ihm auf, und er konnte über eine Art Teppich von tiefgebeugten Rücken hinwegsehen. Langsam trat der Kaiser hinaus, und der Tag nahm am kaiserlichen Hofe seinen Anfang. Die kleine zarte Gestalt des Kaisers bewegte sich schrittweise weiter, sein Gang war etwas schwankend, denn die Majestät war schwach in den Schenkeln. Der Kopf mit der mächtigen Allongeperücke erschien zu massiv, aber von der Stirn und besonders aus den Augen strahlte ein phantastischer Glaube an die Göttlichkeit seines Kaisertums, das gelbe Antlitz bekam dadurch etwas Unnatürliches, Geistleeres. Ein grelles Missverhältnis zwischen Erscheinung und Würde.
Hinter dem Kaiser schritten die Kammerherren vom Dienst, der Leibarzt und der Rektor de Sorbait.
Der Kaiser sah in der zweiten Antikamera die ersten Kräfte seiner Hofmusizi stehen. Er rief den Grafen Trautensberg heran und befahl: „Lassen Sie die französischen Musizi die kleine Komposition spielen, die Uns heute Nacht eingefallen ist.“
Während der Oberstkämmerer den diensttuenden Kammerherren die nötigen Befehle erteilte, nahm der Kaiser Platz, um die Musizi anzuhören, die sich im Halbkreis aufstellten. Wieder erklang die fröhlich kecke, leicht melancholische Melodie, und wieder sann ihr der Kaiser erstaunt nach. Der Hofstaat äusserte sein Entzücken im gedämpften Gemurmel.
Noch einmal liess der Kaiser das Thema spielen, und wieder legte sich Verzückung über die Hofgesellschaft. Der letzte Ton verklang.
Da! Kam es nicht wie ein Echo vom Hofe zum Saale heraufgezogen? Ganz leise erklang unten im Burghof die gleiche Weise, gespielt von einer Geige und einer Harfe.
Des Kaisers Augen suchten erstaunt den Inspector musicae. Graf Trautensberg war erbleicht.
„Haben kein Echo befohlen“, sagte der Kaiser streng. „Wer spielt hier?“
„Submissest Majestät, ich werde nachsehen“, lispelte der unglückliche Inspector musicae und wandte sich der Türe zu. Der Oberstkämmerer folgte ihm. Die Melodie vom Hofe unten erklang abermals. Jetzt mischten sich auch Gesangsstimmen ein. Ein Bass und ein Fisteltenor.
In der dritten Antikamera standen die Lakeien schon am Fenster und horchten grinsend in den Hof. Der Schritt der beiden Kavaliere verscheuchte sie. Der Oberstkämmerer zog den Inspector musicae an eins der Fenster.
„Da, sehen Sie, zwei Strassenmusizi singen und spielen Ihr famoses Opus“, zischte er dem bestürzten Inspector musicae ins Ohr. „Wo haben Sie diese vertrackte Melodie denn her?“
„Das muss mein Geheimnis bleiben, Erzellenz“, entgegnete der Graf und starrte hinunter. Im Hofe standen zwei verwegene Gestalten, die eine dürr und klein, mit der Harfe vor sich, die zweite feist und frech, die Geige unterm Kinn. Der Oberstkämmerer winkte den Obristen der Leibwache heran. „Lassen Sie die Leute dort unten fortjagen. Und jedem vorher fünfundzwanzig Stockprügel.“
Der Obrist stampfte seine sporenklirrenden Beine rechts und links gegrätscht auseinander und marschierte ab. Der Oberstkämmerer wandte sich wieder dem Inspector musicae zu.
„Sie müssen doch etwas vorsichtiger sein, wenn Sie auf die Suche gehen nach musikalischen Themen für den Kaiser“, sagte er etwas von oben herab zu dem verzweifelten Grafen Trautensberg. „Strassenmusizi spielen das Lied, das der Kaiser heute nacht komponiert hat! Blamabel für Sie, mon cher, sehr blamabel!“
„Mein Gott!“ seufzte der Musikgraf, „was sage ich nur Seiner Majestät?“
Der Oberstkämmerer zuckte unbekümmert die Achseln. „Ziehen Sie sich heraus, wie Sie können. Man sieht, wie frech dieses Volk geworden ist. Aber das kommt davon, dass die Musik am Hofe so geliebt und gepflegt wird. Seit Seine Majestät selbst mit seinen Musizi musiziert und für sie komponiert, hält ihn die ganze Wiener Bänkelsängergilde für einen von ihrer Zunft!“
Der Oberstjägermeister, der nun auch in die dritte Antichambre trat, stellte sich jetzt breitbeinig neben den Inspector musicae ans Fenster. „Überall Musik! Von oben, von unten!“ So schimpfte er: „Anstatt die Zeit mit fröhlichem Weidwerk zu verbringen, wird sie mit diesem welschen Gedudel vertan, das alles verweichlicht. Harfengezirpe und Geigengezupfe! Wir machen zuviel Musik! Das macht alles schlaff und verzärtelt, das ganze Leben hier wird zu einem übersüssen Brei. Wir machen zuviel Musik bei Hof!“
Aus der zweiten Antikamera zirpte jetzt ein Madrigal von Monteverdi. Dort sass der Kaiser mit hängender Unterlippe und lauschte dem Spiel seiner Hofmusizi, die ihn wie Schatten durch den Tag begleiteten. Mit Musik erhob sich Seine Majestät aus dem Schlaf, mit Musik speiste sie, mit Musik ging sie wieder zu Bett.
In den gewölbten Hallen der kaiserlichen Hofküche standen auf einem Tisch in einer der tiefen Fensternischen zwei derbe Männerbeine. Sie gehörten dem kaiserlichen Hofkoch Thomas Wolfsgruber, der durch die halbkreisrunden Küchenfenster knapp über den Boden des Burghofs sah. Er hatte mit Vergnügen dem Gesang der beiden Musikanten oben im Burghof gelauscht:
„Wer frisst im Land den Viehstand auf?
Ja, wer? Ja, wer?
Wer sauft den ganzen Keller drauf?
Ja, wer? Ja, wer?“
Es war ein bissiges Spottlied auf die schöne Marquise Hélène de Valais, das die zwei Bänkelsänger vor der Kaiserburg eben beendeten.
Jetzt stieg Thomas Wolfsgruber vom Tisch herab und maulte zu seinem Freunde, dem Tellermeister, dem er gerade die Speisenfolge des Tages diktieren wollte: „Wahr ist’s, die Wiener murren gegen die Verschwendung bei Hofe. Kein Wunder! Sie müssen sich den Ranzen immer enger schnüren, damit er nicht zu laut knurrt, und bei Hofe wird gewüstet!“
Der Tellermeister sah sich etwas ängstlich um, dann nickte er und sagte: „Verwüstet? Verludert wird alles für die futtergierigen Pariser Schmerbäuche. Der eine von den Musikanten war zwar auch wampert genug, aber der zweite war dürr.“
„Natürlich“, räsonierte der Hofkoch, „sie lassen nichts übrig, die französelnden Satansbuben, die alleweil um den Kaiser sind!“
Thomas Wolfsgruber rannte wieder zur Fensternische und bestieg den Tisch, denn im Burghof war jetzt ein Lärmen und Rufen von „Hussa und He“. Eine Rotte kaiserlicher Hatschiere war in den Burghof gestürmt. Der dicke Geiger hatte sie eher erspäht als sein Harfe zupfender Kumpan und nahm Reissaus. Dann hatte auch der Harfenist seine Harfe aufgenommen und war in grossen Sprüngen seinem Gefährten nachgerannt.
„Hoffentlich kommen sie ihnen aus“, sandte der Hofkoch den beiden Flüchtenden seine besten Wünsche nach. Sie erwiesen sich jedoch als vergeblich. Der Harfenist, behindert durch sein Instrument, fiel als erster in die Hände der Verfolger. Aber auch der Geiger wurde gefasst, obgleich er mit erstaunlicher Behendigkeit davongeschnellt war.
„Schade!“ meinte jetzt auch der Tellermeister, als die beiden Musikanten oben vorbeigeschleppt wurden. „Die armen Kerls werden nichts zu lachen haben.“
„Fünfundzwanzig Stockprügel wird jeder schon ausfassen“, meinte Wolfsgruber und wandte sich zur Arbeit des Tages zurück. Bevor er sie jedoch aufnehmen konnte, wurde er abermals unterbrochen. Seine Nichte, Mariandl Wolfsgruber, Kammerzofe der Marquise de Valais, kam die Treppe heruntergelaufen und schrie schon von weitem: „Das Bad für die Madame! Schnell! Schnell!“
Ärgerlich ging ihr Wolfsgruber entgegen. „Nur langsam, Demoiselle! Erst ansagen, in was die Madame heut baden wird!“
„In Bordeauxwein mit Rosenwasser“, erklärte das Mariandl wichtig. Sie übergab dem Oheim die grosse Kristallflasche mit der kostbaren Flüssigkeit. „Die Unze kostet zwei Dukaten.“
„So!“ erwiderte der Oheim trocken und besah die Flasche. „Mindestens fünfzig Unzen, also hundert Dukaten, und der Bordeaux dazu – ein kostspieliges Bad für die Madame.“ Er rief in die dämmrigen Hallen der Küche: „Den Bordeaux für das Bad der Madame!“
Eine Anzahl Küchengehilfen stürzten sich auf einige grosse Kannen, die in einem Winkel der Küche standen. Grinsend schleppten sie Kanne um Kanne zu dem grossen Kessel, um den schon seit geraumer Zeit ein Feuer brannte, und der rote Weinstrom ergoss sich in den Kessel. Die aufspritzenden Tropfen mit der Zunge aufzufangen, war ein beliebtes Spiel der Küchengesellen.
Wolfsgruber wandte sich einer Schar von Hilfsköchen zu, die jetzt die Spiesse herbeischleppten, auf denen die Hühner für den Kaiser staken. Hundert Hühner wurden jeden Tag gebraten, von denen Seine Majestät nur ein halbes ass.
„Knusprig und braun wie eine Haselnuss muss es sein!“ gab der Hofkoch seine Anweisungen. „Vorsichtig drehen!“
Dann begann Meister Wolfsgruber dem Tellermeister die Speisenfolge anzusagen: „Das Huhn für den Kaiser also als erstes! Klingt ganz einfach, wie? Ein Huhn! Sogar nur ein halbes Huhn, denn die Majestät isst nur die Hälfte. Aber was für ein Huhn! Unter den hundert Hühnern, die ich braten lasse, ist oft kein einziges da, das den Anforderungen entspricht. Die Hoftafel: eine Weinsuppe, dann als erster Gang Hecht, ferner Rindfleisch mit Klössen, Ochsenklauen, Sauerbraten; als zweiter Gang Kalbskaldaunen, Hirschbraten, Kalbsbraten; zum Schluss Spritzkuchen.“
Der Tellermeister verzeichnete sorgfältig die Speisenfolge und sah dann seinen Freund wartend an. „Und die Marquise?“ fragte er schliesslich, da der Hofkoch noch immer schwieg.
„Ja, die Marquise“, erwiderte Herr Wolfsgruber grimmig. „Schreib! Zwei Weinsuppen, als erster Gang Karpfen, Krebse, gebratene Vögel und gefüllte Lammbrust. Zweiter Gang: Rehrücken in Rosinensosse, Wildschweinschinken, Welschhuhn, Karauschen, Spanferkel. Zum Schluss Feigenrorte und Spritzkuchen.“
Der Tellermeister notierte eifrig. „Immer diese riesige Aufkocherei“, sagte er kopfschüttelnd. „Das kann sie doch unmöglich alles fressen!“
Der Hofkoch drosch seine Faust auf den Tisch. „Das frisst sie ja auch nicht! Aber gekocht muss es werden!“
Das Schlafgemach der Marquise Hélène de Valais war noch dunkel, der fahle Schein des Tages draussen lag auf den schweren Seidenhängen. Hélène de Valais war bereits wach, das schwache Pochen an der Tapetentür, mit dem ihre Kammerzofe Einlass begehrte, schien sie zu ärgern, denn sie überlegte eine kleine Weile, bevor sie ihr gereiztes „Entrez!“ rief. Hélène de Valais war heute nicht gut gelaunt. Es ärgerte sie, als sich die Tür öffnete und in dem helleren Licht, das vom Vorgemach her einfiel, Mariandl Wolfsgruber ihren fröhlichen „Guten Morgen“ knickste.
Träge öffnete die Marquise ihre Augen nun ganz dem Tageslicht. Was sie erblickte, ärgerte sie noch mehr. Die Zimmer, die ihr des Kaisers noch kühle Gnade angewiesen hatte, waren ein schwaches Abbild des Glanzes, den sie am Hofe Ludwigs XIV. verlassen hatte. Die Marquise seufzte leise, als sie die Gobelins betrachtete, hinter denen sie die kahlen Wände wusste; die schweren Moirévorhänge in zart rosa Farbe, die ihr Bett zierten, die Taburetts und Polstersessel, die umherstanden, das waren Geschenke der galanten Kavaliere am Versailler Hofe, Andenken, die ihr geholfen hatten, sich in der frostigen Wiener Hofburg einzuleben.