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"Liebe Pernille Rygg: Bitte schreib mehr!" - Vårt Land br br Als Kristin nach einer unglücklichen Liebe die ältere Ragne kennen lernt und mit ihr ein abgelegenes Haus im Wald zieht, scheint sich alles zum besten zu wenden. Doch Ragne entpuppt sich als eine herrische und Besitz ergreifende Frau, und Kristin kann die Schatten ihrer Vergangenheit nicht abschütteln und einen folgenschweren Entschluss fasst ... br br Ein raffinierter Psychothriller von der Autorin des Erfolgstitels 'Der Schmetterlingseffekt'. br br REZENSION br "Nach Peter Høegs Bestseller Fräulein Smillas Gespür für Schnee haben wir nun endlich wieder ein neues Kultbuch gefunden, das den Vergleich mit dem ersteren nicht zu scheuen braucht: Pernille Ryggs Roman 'Der Schmetterlingseffekt'!" - L'Express br br "Man kann sie nicht kopieren. Ihr Tonfall ist unverwechselbar." -Klassekampen br br AUTORIN br Die Norwegerin Pernille Rygg, geboren 1963, studierte Geschichte und Ethnologie und arbeitete lange Zeit als Kulissenmalerin für Filmproduktionsgesellschaften und für den norwegischen Rundfunk. Ihr erster Roman "Der Schmetterlingseffekt" begeisterte sowohl Kritiker wie Leser in zahlreichen Ländern. "Der goldene Schnitt" knüpft an diesen Erfolg an und stellt wiederum die unkonventionelle Psychologin Igi Heitmann in den Mittelpunkt der Geschichte. br br --- br br DAS BUCH br Kristin ist an einem Wendepunkt in ihrem Leben angelangt. Nach einer unglücklichen Liebesbeziehung zu einer Frau namens Silje kündiht sie ihren Job als Geschichtslehrerin am Gymnasium und zieht kurzerhand um. Bald darauf lernt sie die ältere Ragne und deren Hung Frigg kennen. Zu dritt ziehen sie in ein abgelegenes Haus im Wald, wo Kristin nur schwer die schmerzhaften Erinnerungen an Silje vergessen kann. Auch Ragne macht ihr das Leben schwer und behandelt sie wie eine Dienstmagd, die putzen, kochen und den Hund Ausführen muss. Als sich Siljes Vater bei Kristin meldet und sie bittet, Kontakt zu seiner kranken Tochter aufzunehmen, kommt es zum Eklat: Ragne ist wütend, straft Kristin mit Liebesentzug und wendet sich scheinbar Amund, dem einzigen Nachbarn, zu. Doch Kristin ist fest entschlossen, sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen. Mutig und verzweifelt zugleich, mit der Hoffnung auf einen Neuanfang, fährt sie zu Silje ... br -
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Seitenzahl: 375
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Saga
Bei der Abzweigung zu seinem Haus bleibe ich stehen. Der Nieselregen hat aufgehört, der Wald für einen Moment alle Geräusche verloren, so, wie er durch Feuchtigkeit und Nebel fast seine Farbe verloren hat. Alles hier ist Grau und verwaschenes Grün, träges Umbra, schmutziggelbes Rindenbraun. Mit Ausnahme von den Brettern seiner abgenutzten Südwand, die ab und zu zwischen den Bäumen zu sehen ist. Streifen von etwas schwerem Rotem in diesem vielen Grau, vom Alter gezeichnetes Messingrot zwischen den dichten Tannen.
Ich halte den Atem an. Nichts zu hören. Aber er ist zu Hause, das weiß ich, denn ich habe seinen Wagen auf den Kiesweg abbiegen sehen, als ich an den Feldern entlang zur Kreuzung ging. Sein blauer Pritschenwagen kam aus der Gegenrichtung, bremste unten an der Kreuzung und fuhr in den Wald.
Vielleicht hat er mich entdeckt. In diesem leichten Regen mit Helly-Hansen-Anzug, Gummistiefeln und gelbschwarzem Rucksack. Es ist möglich. Dass er mich gesehen hat und trotzdem in den Wald abgebogen ist, ohne anzuhalten.
Aus seinem Haus und aus dem Wald ist kein einziges Geräusch zu hören. Kein Rufen. Kein heiseres Jammern. Alles ist einfach still.
So wollen wir es vermutlich auch. Was sonst sollten wir hier suchen, wenn nicht diese Stille?
Amunds Haus liegt nur dreihundert Meter von unserem entfernt, aber es sind dreihundert Meter mit dichtem Wald, ein dunkler und ziemlich lebloser Puffer; einem Pflanzenfeld in unterschiedlichen Wachstumsstadien. Er ist den Weg zu uns nie entlanggegangen, soviel ich weiß. Wann habe ich ihn eigentlich zuletzt gesehen? Vor zwei, drei Wochen? Auch damals ist er nicht stehen geblieben. Er zerrte seinen Hund weiter und war kreideweiß im Gesicht, seine Augen waren schwarz und schauten ins Leere. Der Schnürsenkel an seinem einen Turnschuh hatte sich gelöst und schleifte durch den Kies. Der Hund erhob sich auf die Hinterbeine und kläffte wütend und heiser, als er mich sah, aber er riss das Tier zurück. Die kurze funkelnde Kette zeichnete einen glitzernden Bogen, ehe sie sich wieder wie ein Draht zwischen ihnen spannte. Wie ein Stahldraht zwischen Cäsars anschwellendem Hals und Amunds fest geballter Faust.
Ich blieb stehen, grüßte. Er zog den Hund bis zum Wegrand, um mich vorbeizulassen, ließ den Schnürsenkel durch den Dreck schleifen, registrierte wohl, dass ich stehen geblieben war, ging aber selber weiter. Er sah krank aus, kraftlos, abgesehen von dem Arm, der die Kette festhielt.
Er ist jetzt tot, dieser Hund.
Ich will nach Hause. Dreihundert Meter Kiesweg, vorbei an Amunds Haus. Hier wohne ich jetzt. Hier wohnen wir, Ragne und ich. Ich staune noch immer darüber. Und wir haben einen Hund. Ragne hat einen Hund, wir haben einen Hund, ich wohne in einem Haus mit einem Hund tief im Wald, und wer im Wald wohnt, legt sich oft einen Hund zu, denn die Nächte dort sind dunkel, und sollte jemand kommen, während es dunkel ist, würde der Hund aufwachen.
Er wartet jetzt auf mich, steht zitternd bei der Tür und kämpft gegen den Drang zu bellen, denn er erkennt meine Schritte und weiß, dass ich komme.
Es war ein schneearmer Winter, und wir haben das Gestrüpp vor dem Wohnzimmerfenster schon entfernt. Wir können jetzt den See sehen. Er liegt blank vor und unter uns, unterhalb der Böschung, auf der niedrige, aber dichte Büsche stehen. Da unten werden wir sicher auch fällen müssen. Weiter als bis zum See, der eigentlich nur ein Tümpel ist, können wir nicht blicken. Am anderen Ufer beginnt wieder das Unterholz, es streckt sich den ganzen See entlang und vermischt sich dann mit dem wirklichen Wald, dem unordentlichen und verwucherten, in dem sich Brennholz schlagen lässt, zu viel mehr taugt er nicht. Die Felder sehen wir nicht, aber sie liegen hinter den Bäumen, sie sind weit und sanft.
Im Sommer müssen die Wände des Hauses abgekratzt und neu angestrichen und die Fenster gekittet werden. Aber das Gestrüpp ist zum Glück schon verschwunden. Bei meinem ersten Besuch hier stand es ganz dicht und schwarz vor dem Wohnzimmerfenster. Das ist jetzt über ein halbes Jahr her, und es war auch an einem Sonntag. Das gehört wohl zu den Ragne-Tricks mit dem ersten Besuch, darin zeigt sich vielleicht ihr bisweilen ziemlich seltsamer Sinn für Humor. Doch es war außerdem ein Kristin-Trick, denn auch ich habe gespielt. Das weiß sie nicht.
Irgendjemand – Nikolas, glaube ich – hat mir einmal erzählt, dass er sich zuerst die Bücherregale ansieht, wenn er neue Leute besucht. Auf diese Weise glaubt er, sich ein Bild von den Besitzern machen zu können. Eine bestimmte Sorte von Büchern verrät den Charakter der Besitzer; ich weiß nicht mehr, welche Bücher er meinte, vielleicht Buchclubausgaben, oder waren es Taschenbücher? Aber ich weiß noch, wie empört ich bei der Vorstellung war, wie er mit zusammengekniffenen Augen dastand und Buch um Buch addierte, daraus einen Charakter erhielt, eine entblößte Persönlichkeit sozusagen, die von einem Teil ihrer Habseligkeiten verraten worden war. Seither habe ich versucht, mir fremde Bücherregale nicht zu genau anzusehen, so als könnten sie etwas Intimes enthalten, etwas, mit dem ich lieber nichts zu tun haben will. Wie schmutzige Unterhosen in einem Kleiderschrank oder zwischen zwei Sofakissen versteckte private Briefe.
Ich wüsste gern, ob einzelne Titel seiner Meinung nach auf diese Weise entlarvend wirken, oder ob es die Sammlung an sich sein muss. Vielleicht ist es ja beides.
Wenn jetzt jemand das Haus sähe, zum ersten Mal herkäme, wie ich vor einem halben Jahr, wenn jemand zufällig oder scheinbar zufällig herkäme, wie würde diese Person dann die Baumstümpfe deuten? Würde sie sich die gelblichen Schnittflächen ansehen, die noch die Überreste von Gestrüpp und Unterholz aufweisen, oder würde sie eher auf die Wandbretter achten, auf die undichten Fenster, und sich vorstellen, dass jemand eine Arbeit angefangen und aufgegeben hätte, resigniert, weil es zu viel war? Vielleicht würde diese Person denken, dass das Unterholz entfernt worden sei, weil jemand – eine abwesende Besitzerin, ein Nachbar – Holz benötigt hätte?
Dann würde sie durchs Fenster schauen. Und etwas finden, was sie in ihrer Vorstellung bestärken würde. Oder diese entkräften würde. Vielleicht würde das graue Wetter ihre Gedanken lenken. Das graue Wetter und der Hund, der bellt, weil er nicht weiß, wer da kommt. Meine Schritte kennt er und kann sich deshalb beherrschen, aber auch das ist oft ein harter Kampf.
Natürlich kannte ich den Inhalt von Ragnes Bücherregalen schon, als ich zum ersten Mal mit ihr hier war, so, wie das der Fall ist, wenn man sich im Laufe der Zeit häufiger an einem Ort aufhält, und es sich nicht vermeiden lässt, dass man diese Dinge registriert, auch wenn man nicht sucht, nicht forscht.
Wenn ich gewollt hätte, hätte ich ausgiebig in ihren Habseligkeiten herumstöbern können, um etwas zu finden, was immer neue Züge an ihr entlarven könnte, im Bücherregal oder anderswo. Ich hätte mit einem solchen Ziel vor Augen ihren Küchenschrank durchsuchen, hätte aus den Brotkrümeln ganz hinten Zeichen und Bedeutung herauslesen oder dem Fehlen von Brotkrümeln einen besonderen Sinn beimessen können.
Dazu geben wir uns die Möglichkeit, wenn wir lange schlafen, wie Ragne das an ihren freien Wochenenden tut. Oder wenn wir uns gegenseitig Zugang zu den Gegenständen gewähren, die uns umgeben. Wir deuten. Sagt es etwas über Ragne aus, dass der kleine Tisch in ihrer Küche eine Resopalplatte hatte statt einer aus Holz? Dass der Sessel vor ihrem Wohnzimmerfenster mit verschlissenem grünem Velours bezogen war? Erzählte das etwas über ihren Charakter? So, wie ich es vermied, die Bücher in ihrem Regal zu einem einzigen Buch zusammenzuziehen, das ihre Person beschrieb, vermied ich es auch, die Gegenstände, die sie umgaben, als Installation zu betrachten, als Ragne, beschrieben als räumliche Form.
Die Wohnung war immer tadellos aufgeräumt, wenn ich Ragne in der Jac Aalls Gate besuchte, so, wie auch dieses Haus hier aufgeräumt ist. Damals war ich zumeist an den Wochenenden bei ihr. Manchmal auch mitten in der Woche, meistens aber an den Wochenenden. Es wäre also denkbar, dass sie den Hausputz gemacht hat, ehe ich kam, dass sie meinen Besuch vorbereitete. Aber das konnte ich nicht wissen, auch wenn ich oft dort war.
Einmal kam ich auf jeden Fall unerwartet, in der ersten Nacht. Aber vielleicht auch nicht. Das ist eine ulkige Vorstellung. Möglicherweise hatte sie die Wohnung geputzt, für den Fall, dass sie nicht allein nach Hause käme. Es machte mir Freude, sie so vor mir zu sehen, wie sie die Wohnung für einen möglichen nächtlichen Gast in Schuss brachte. Dieser Gast war dann also ich.
An diesem Morgen in der Jac Aalls Gate, vor über einem halben Jahr, erwachte ich wie üblich vor ihr. Sie verfügt über diese Eigenschaft, die Leute mit Schichtdienst häufiger haben, und konnte sich den nötigen Schlaf zu allen möglichen Zeitpunkten holen. Sie hatte sich von mir weggedreht, das macht sie immer, und lag ganz still und vollständig begraben unter der Decke. Nur eine dunkle Haarsträhne war von ihr zu sehen. Ich konnte ihren Atem nicht hören, nicht einmal, wenn ich mich darauf konzentrierte. Das kommt manchmal vor, es ist dann fast so, als sei sie gar nicht da. Ihr Schlafzimmerboden war mit Vinyl belegt und immer eiskalt unter meinen Fußsohlen, wenn ich aufstand.
Im Wohnzimmer war ihr Hund, der in diesem Augenblick gegen den Drang zu Bellen ankämpfte. Er erhob sich von seiner Decke in der Ecke, als ich aus dem Schlafzimmer kam, er beschnupperte meine Hand, ließ aber kein Geräusch hören, er trottete nur vorsichtig hinter mir her in die Küche und trank dort Wasser aus seinem Blechnapf. Es war sehr früh, und er musste noch nicht nach draußen, denn am späten Abend war er noch ausgeführt worden, ehe wir uns hingelegt hatten.
Ich bewege mich immer ganz leise, um sie nicht zu wecken, wenn sie ausschlafen kann. Schon damals wusste ich diese ganz frühen Morgenstunden sehr zu schätzen. Solche Stunden sind sich alle ähnlich, egal, wo sie verbracht werden. Sie gehören gewissermaßen zu keinem bestimmten Tag, sondern bilden eine eigene, unveränderliche Kette aus Stunden, die nur mit anderen frühen Morgen zusammenhängen, mit nichts sonst. Sie sind in gewisser Hinsicht ein ganz eigenes Universum, befreit von den Nächten, die sie abschließen, und von den Tagen, die ihnen folgen. Frühe Morgen sind vielleicht das einzig wirklich Unveränderliche, das ich kenne.
Ein solcher Morgen. Der Hund kehrte auf seine Decke zurück und beobachtete mich von dort aus, während ich in der Küche Kaffee kochte, und er betrachtete mich schweigend, als ich mit der Tasse ins Wohnzimmer ging. Ich war ihm auch damals keine Fremde, aber es wäre ihm leichter gefallen weiterzuschlafen, wenn auch Ragne ins Wohnzimmer gekommen wäre. Ich stelle mir jedenfalls vor, dass er mich deshalb nicht aus den Augen ließ. Aber ich habe keine Ahnung von Hunden, ich habe mich immer ein wenig vor ihnen gefürchtet.
Ein solcher Morgen. Weinflasche und Gläser hatten wir schon am Vorabend weggeräumt, aber die Tischplatte wies noch einen Halbmond aus getrocknetem Wein auf. Ich holte einen Lappen und wischte ihn weg, dann setzte ich mich in den Sessel am Fenster, der mit grünem Velours überzogen war. Von dort konnte ich auf einen kleinen Springbrunnen und einige Ulmen blicken. Im Springbrunnen war kein Wasser, glaube ich. Jedenfalls war er oft leer. Ich trank Kaffee, schaute auf die glasblauen Schatten und auf die beginnenden Sonnenstreifen auf dem Asphalt hinaus.
Die Zeitung lag ordentlich zusammengefaltet auf dem Tischchen zu meiner Linken, die Anzeige war mit Kugelschreiber eingerahmt. Das kam mir fast gekünstelt vor, gibt es wirklich Menschen, die Anzeigen auf diese Weise einrahmen, außer im Film? Ragne hatte es getan und die Zeitung dann so zusammengefaltet, dass die Anzeige ganz oben lag. Am Vortag hatte sie nicht dort gelegen, oder es war mir nicht aufgefallen. Warum glaubte ich, dass sie nicht dort gelegen hatte, als wir diese Weinflasche geteilt hatten, warum stellte ich mir für einen Moment vor, wie Ragne sie irgendwo hervorholt und auf das Tischchen legt, während ich mir die Zähne putzte oder als ich schon im Bett lag? War sie ins Wohnzimmer gegangen und hatte das Licht ausgeknipst, ehe sie zu mir gekommen war?
Ich trank Kaffee. Ich sah den leeren Springbrunnen und die glasblauen Schatten an. Ich dachte an Nikolas, daran, wie er vorging, wenn er sich die Bücherregale anderer Leute ansah. Irgendwie zufällig, verstohlen, während der Besitzer in der Küche oder auf dem Klo war. Nikolas, der den Kopf ein wenig schräg legte, um die Titel lesen zu können. Vielleicht machte er es ganz offen, trat vor das Regal und zog ein Exemplar hervor, liest du so was?
Es war ihre Zeitung. Nicht meine. Ordentlich zusammengefaltet, mit der Anzeige nach oben. Sie beunruhigte mich, mitten an diesem angerissenen Morgen in einer Wohnung, die nicht meine war, wo der Inhalt des Bücherregals und der Standort der Möbel etwas über Ragne erzählen konnten oder auch nicht, und durch sie über mich, vielleicht, sie beunruhigte mich, diese Zeitung, mitten in der Freiheit, die ein früher Morgen bedeutet.
An und für sich wusste ich ja, dass sie gern Immobilienanzeigen las. Sie konnte sich dann auf seltsame Weise aufregen, rote Wangen und eine helle Stimme bekommen. Das faszinierte mich, das weiß ich noch.
»Neunhunderttausend«, konnte sie rufen. »Für sechzig Quadratmeter. Also echt!«
So ging das. Eins-Komma-zwei-Millionen, zwei-Komma-vier! Sie errötete und ihre Augen glänzten, sie las die Preise mit heftiger und für mich unerklärlicher Erregung vor, es irritierte sie, dass sie die Preise ebenso verrückt fand wie die Käufer. Es ist auch möglich, dass sie ein wenig schadenfroh war.
Nun war da diese Anzeige. Noch dazu im Østlandets Blad. Wo, dachte ich, hat sie bloß Østlandets Blad her, das wird hier in der Gegend doch gar nicht verkauft?
Ich sollte sie wecken, dachte ich. Fragen. Fragen, ob es bei ihrer Arbeit ein langweiliges Paar gibt, das sich aus irgendeinem Grund ein Ferienhaus wünscht, oder – es ist ja nicht unmöglich, auch dort wohnen schließlich Leute – sogar eine Wohnung in der Gegend von Vestby. Und Ragne als gute Kollegin notiert sich die Nummer, wenn sie rein zufällig über eine düster aussehende Bruchbude stolpert. Und lässt die Zeitung dann zu Hause liegen.
Ich hätte sie wirklich wecken müssen. Das wäre das einzig Richtige gewesen. Aber ich tat es nicht. Es ist mein Morgen, dachte ich wahrscheinlich. Ich wollte ihn nicht aus einem Grund ruinieren, der mir töricht und außerdem ein wenig peinlich vorkam.
Stattdessen ging ich mit dem Hund spazieren, obwohl ich mir schon denken konnte, dass damit der Morgen im Grunde schon zu Ende war, dass diese Stunden nicht der unveränderlichen Kette angehörten, die ich so wichtig fand.
Der Hund zeigte Interesse an seinem eigenen oder an fremdem Urin an den Bäumen um den leeren Springbrunnen, wie sich das bei einem Morgenspaziergang gehört. Dann gingen wir weiter. Während er an Hausecken und Wagenrädern schnüffelte, registrierte ich zwei Dinge. Die ungeheuer demütigenden und konspirativen Gedanken, die ich mir wegen der Zeitung machte. Und die Tatsache, dass ich sie besser nicht fragen sollte, warum die Zeitung auf dem Tischchen links neben dem Sessel lag. Diese Erkenntnis machte mich nervös und froh. Jetzt lassen wir die Sache ausscheren, dachte ich, jetzt bewegen wir uns in eine richtig fiese Richtung.
Sie zu fragen, ihr dieses plötzliche Interesse an ihren Zeitungsgewohnheiten zu signalisieren, wäre natürlich peinlich. War es wichtig, eine Peinlichkeit zu vermeiden? Vielleicht. Ich konnte mir versteckte Möglichkeiten vorstellen, es zu tun; ich stellte mir vor, wie ich die Zeitung hochhob und belustigtes Staunen darüber vortäuschte, dass sie Østlandets Blad las, wie ich sie so ganz nebenbei fragte, ob sie dort Verwandte habe, oder bisher nie erwähnte Bekannte. Das wäre doch legitim und nicht einmal besonders schwierig, obwohl ich eine schlechte Schauspielerin bin.
Aber nicht deshalb wollte ich nicht fragen. Sondern, weil ich neugierig war und mitmachen wollte, falls es sich hier um ein Spiel handelte. Bei der Vorstellung, dass das Ganze ein kleines Spiel sein sollte, wurde ich richtig wach. Wach und besorgt.
Denn natürlich hatten wir darüber gesprochen. Vor allem sie, aber ich auch. Über rote Hütten und Tümpel und Stille, hatten über das andere, reine Leben gesprochen. Es hatte, wie das bei roten Hütten nun einmal so ist, etwas Unwirkliches und Unverbindliches gehabt. Das hatte ich zumindest geglaubt, und deshalb hatte ich die roten Hütten nicht als unpraktisch und zu weit weg abgeschrieben, sondern nach keinerlei Prinzip eingeordnet. Ich wäre überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass das nötig werden könnte.
Als ich langsam mit dem Hund Frigg an der Leine über die weite Grünfläche zwischen dem Kirkevei und dem Rundfunkgebäude ging, registrierte ich auch noch Folgendes: Ich stellte mir durchaus nicht vor, dass mich das nichts anging. Ich kannte Ragne seit einem halben Jahr, und ohne darüber gesprochen zu haben, wohnte jede von uns noch immer in ihrer eigenen kleinen Wohnung, auch wenn wir die Wochenenden zusammen verbrachten, vor allem die Wochenenden, und das mit Vorliebe in ihrer Wohnung. Trotzdem hatte ich keine Zweifel daran, dass auch ich betroffen war, egal, welche Bedeutung diese Bruchbude in Vestby haben mochte.
Ich war allein auf der grünen Wiese vor dem Rundfunkgebäude. Es war noch kühl. Die Sonne schien. Der Hund fand kleine gefrorene Schneckenhäuser aus Kot, an denen er schnüffeln konnte. Und was empfand ich? Ich war erfüllt von einer brodelnden Panik. Das hier war nicht nötig. Es war nicht schön. Trotzdem war ich von dieser Panik erfüllt, wie vor einem zukünftigen Geschenk, dessen Inhalt man nur ahnt und wofür man nicht dankbar sein muss. Auf dem Heimweg war ich wach, und mir war warm.
Sie hatte nicht vor, etwas zu sagen. Es bestand natürlich die theoretische Möglichkeit, dass sie nichts zu sagen hatte, aber das glaubte ich nicht. Während sie noch immer im Bett lag, machte ich Frühstück und zeigte auf unterschiedliche Weise meine Häuslichkeit. Vor allem, indem ich die Zeitung vom Tischchen nahm und auf den Stapel der alten Zeitungen legte, noch immer mit der Anzeige nach oben. Dabei lächelte ich. So was tue ich wirklich, dachte ich, ich gehe mit Østlandets Blad in der Hand an der offenen Schlafzimmertür vorbei, lächele sie an und gehe dann mit der Zeitung in die Küche und lege sie oben auf den Stapel neben der Tür zur Hintertreppe.
Wir frühstückten am Küchentisch. Ragne wie immer ziemlich schnell, aber nicht hektisch, das konnte ich sehen. Aus dem Wohnzimmer kam die Musik der CD, die sie aufgelegt hatte. Wir lasen die Samstagszeitungen und überlegten, wohin wir unseren Ausflug machen wollten. Ich schlug Vestby vor.
Überraschenderweise fiel mir dieses Versteckspiel nicht weiter schwer: Während wir in Richtung der Kobberhaugshütte gingen, vergaß ich immer wieder Østlandets Blad und mein illoyales Gemüt. Es tauchte nur in seltenen Momenten auf – als wir bei Blankvannsbråten stehen blieben, als ich hinter ihr unterhalb von Kobberhaugene an einem Moor vorbeiging –, es tauchte für einen Moment auf, war entsetzlich komisch und dann verschwunden. Später beim Essen erkundigte ich mich, zufällig, lässig, ob Jon und Irene – Kollege und Kollegin von Ragne und außerdem ein Paar – noch immer in Holmlia wohnten. Das taten sie und es kostete sie sechstausenddrei, sagte Ragne und kicherte kurz. Ich war aufgeräumt, als ich fragte, aufgeräumt, als sie antwortete. Ich hatte ihr einen Eingang geboten, dachte ich, aber den hatte sie nicht benutzt. Ich glaube, das registrierte ich mit einem Gefühl, das Ähnlichkeit mit Freude hatte.
Später, in ihrem Bett, schmiegte sie ihr Gesicht an meinen Hals und ihre Brüste an meine, und ich streichelte ihre Haare, während sie mir zuflüsterte. Da wäre es ganz einfach gewesen, die Sache zu einem Ende zu bringen. Aber das tat ich nicht. Stattdessen schlief ich an sie geschmiegt ein und als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich still und mit großen Augen angesichts der alltäglichen Verlogenheit da, an der ich mich beteiligte. Sie war seltsam und auf irgendeine Weise größer als wir.
Am Sonntagvormittag wollte sie wie üblich einen Spaziergang machen. Wir nehmen das Auto, sagte ich. Ach, jetzt kommt es, dachte ich und wagte nicht, von der Thermoskanne aufzublicken, die ich gerade in meinen Rucksack steckte. So hat sie sich das also ausgedacht. Ich spielte das Spiel, und als ich von der Thermoskanne aufblickte, sie ansah, sie anlächelte und sie zurücklächelte, lächelten wir über unterschiedliche Dinge. Sahen einander in die Augen und lächelten über unterschiedliche Dinge. Das müsste doch eigentlich verboten sein. Aber es ging sehr gut.
Dann fuhren wir in die falsche Richtung. Der Hund stand hinter mir auf dem Sitz und hatte seine Pfoten auf die Rückenlehne gelegt und berührte manchmal mit der Zunge meinen Nacken, er hechelte und war aufgeregt, weil wir einen Ausflug machten, so wie auch ich es war und Ragne es gewesen sein muss. Denn in meinem konspirativen Gemüt nahm die Sache die Form eines Ablenkungsmanövers an, sie macht aus Jux einen Umweg, dachte ich, dreht die blinde Kuh immer wieder im Kreis, um ihr den Orientierungssinn zu nehmen. So dachte ich.
»Woran denkst du?«, fragte sie, nachdem wir lange geschwiegen hatten und nachdem die Stille vom Radio überdeckt worden war.
»Wohin wir fahren«, antwortete ich.
»Das ist eine Überraschung.« Sie sah mich schräg von der Seite an und lächelte.
Das war es wirklich, denn wir fuhren tatsächlich nicht nach Vestby, auch nicht in die Nähe von Vestby, und irgendwann musste ich mir das vor Augen halten, musste ich akzeptieren, dass es nun einmal so war, dass sie ihre seltsamen Pläne geschmiedet hatte, dass ich nicht wie einst Hänsel und Gretel in den Wald gelockt werden sollte. Es war eine Erleichterung, es war viel leichter, diesen ganzen konspirativen Müll mir zuzuschreiben und nicht ihr, und als der Wagen langsam einen Kiesweg hochfuhr, das letzte Stück, ehe wir aussteigen und einen ganz normalen Spaziergang machen würden, stand ich kurz vor dem großen Geständnis, hätte ich sie fast Einblick in meine verborgenen und verschrobenen Gedanken gewähren lassen und Vergebung oder Strafe hingenommen.
Aber inzwischen war der Hund vor Aufregung außer sich, er zerkratzte die Sitzlehne mit den Pfoten und musste zur Ordnung gerufen und getadelt werden, und da Ragne fahren musste, wurde das meine Aufgabe, ich musste streng auf ihn einreden, ihn im Nacken packen und ihm kurz auf die Schnauze hauen. Als wir dann aus dem Auto stiegen, war er vor Freude hysterisch und konnte sich nicht halten, musste seine Kräfte gebrauchen, musste an Urin und Kot und Moos riechen, und deshalb liefen er und ich schon los, während Ragne uns mit dem Rucksack folgte.
»Warte!«, rief sie. »Warte da vorn an der Kurve.«
In der Kurve nahm sie die Leine und schob ihre freie Hand in meine, ich fühlte mich noch immer ganz leicht, weil das Spiel abgesagt worden war. Wir ließen unsere Hände schwingen, wie kleine Mädchen das tun, und wenn ich sie anlächele, dachte ich, dann lächeln wir über dieselben Dinge, über dieselben richtigen Dinge. Über den Duft des Waldes und den dummen Hund vor uns und darüber, dass wir uns an den Händen halten und gern losrennen würden, nachdem wir so lange stillgesessen haben, genau wie der Hund. Ich hatte das Gefühl, vor etwas gerettet worden zu sein.
Hinter der Kurve, hinter einem Erlengestrüpp, stand eine rote Hütte, aber ich schaltete nicht. Wirklich nicht. Ich fand, dass sie idyllisch aussah, mit einem kleinen überwucherten Hofplatz und zwei baufälligen Schuppen, weißen Fensterrahmen und schiefer Tür.
»Zwei-tausend-drei«, sagte Ragne. »Muss im ersten Halbjahr ein bisschen renoviert werden. Wenn wir die Bäume wegnehmen, haben wir freie Sicht auf den See.«
Sie war schon einmal hier gewesen. »Aber nur ganz kurz«, sagte sie, und jetzt konnte ich sehen, dass sie unsicher war; sie wusste, dass sie hier ein Risiko eingegangen war, und ich kannte diese Unsicherheit. Ich hatte sie am Heiligen Abend gesehen, ausgerechnet, wenn Vater bis ganz zum Schluss damit gewartet hatte, Mutter sein Geschenk zu überreichen; er war allein zum Goldschmied gegangen, und als sie auspackte, sah er sozusagen frisch geschrubbt und verletzlich aus; hatte sie sich so etwas gewünscht oder hatte er wieder das Falsche ausgesucht, wie an diesem grauenhaften Weihnachtstag vor drei Jahren?
Ich fragte mich, was sie erwartet hatte, was sie sich in diesen vierundzwanzig Stunden vorgestellt hatte, während ich in meinem schlichten Gemüt nur vage an Østlandets Blad dachte, wie das doch auch bei ihr der Fall gewesen sein musste. Hatte sie sich schon alles en detail ausgedacht, hatte sie sich vorgestellt, wie wir einzogen, Bäume fällten und für Aussicht sorgten? Vermutlich nicht. Ich vermutete, dass sie sich bereits an dieser Stelle gesehen hatte, das Vorspiel, die Fahrt hierher, den Hund, der unbedingt aus dem Auto wollte, und mich, die nichts ahnend und sonntags zufrieden neben ihr saß, ihre Liebste, ja, Hand in Hand mit ihr, in der Kurve. Wir drei, das war eine Art Familie, ihre Familie, aber sie hat nicht bis zum Ende gedacht, hat vor der Vollendung versagt, wie das so oft der Fall ist. Das glaubte ich, als ich in ihr etwas verlassenes Gesicht schaute.
Während ich langsam auf die rote Hütte zuging, wusste ich, dass sie preisgegeben war, und dass mit jeder Minute die Heiligabendunsicherheit in ihr wuchs; doch das gönnte ich ihr nicht, wo ich doch rund um die Uhr mein konspiratives Gemüt gepflegt hatte. Aber den Heiligen Abend, der die Vorspielfantasien der Einzelnen zufrieden stellen kann, gibt es nicht, und deshalb fiel mir nichts Besseres ein, als mich vor dem Schuppen auf einen großen Stein zu setzen, eine Zigarette hervorzufummeln und sie die Sache richtig erzählen zu lassen.
Das machte sie sehr gut. Aber ich kannte sie ja schließlich. Mein Gemüt beging einen kleinen Verrat nach dem anderen, streifte Silje, und ich dachte, sie habe mich für diese Dinge zu empfänglich werden lassen, für sichtbare Wunden, für entlarvte Einsamkeit. Aber gerade das musste ich einfach lieben, egal, in welchem Zusammenhang.
Sie war mit dem Besitzer hier gewesen, hatte eines Tages früher Feierabend gemacht und war mit ihm hergefahren, einem Erben, der keine Verwendung für das Grundstück hatte und die Renovierung scheute, die es ihm ermöglicht hätte, es für einen höheren Preis zu vermieten (wie viel, fünftausendsechs, viertausendacht?). Er hatte bisher eine kleine Kolonie von Drogensüchtigen mit Idyllenträumen und Sozialamtsgarantie hiergehabt. So lange die Miete nicht in irgendwelchen Papieren auftauchte, konnten wir das Haus billig haben. Mit Plumpsklo hinter dem Haus. Heißes Wasser und Strom waren gesondert zu bezahlen.
Den Schlüssel hatte sie bei sich. Es dauerte aber noch einen Moment, ehe sie mich herumführte. Zuerst tranken wir den Kaffee aus der Thermoskanne, ich zauste ihre Haare und machte ihr auch ein paar Vorwürfe, denn das geht beim Haarezausen immer. Es habe eine Überraschung sein sollen, sagte sie noch einmal. Schon gut, sagte ich. Ich kann das doch verstehen.
Großartig, irgendwie. Großzügig.
Ich küsste sie auch, denn hier war ich nun einmal, auf dieser Felskuppe neben dem Schuppen; sie hatte vielleicht keine Angst gehabt, aber sie hatte sich doch Sorgen gemacht, und zwar um mich. Um mich, die mit ihr und dem Hund den Kiesweg hochgegangen war und zumindest große Ähnlichkeit mit einer Art Familie hatte.
Ich hatte natürlich ganze Ozeane von Freiheit darüber nachzudenken. Es war alles so ungeheuer unverbindlich, sie hatte nur einen Schlüssel geliehen, und jetzt lief sie herum und zeigte die Mängel auf, die schlechte Isolierung, sie entdeckte fast überall Mängel und Fehler. Hier ist ja alles zugewachsen, sagte sie, es wäre eine Riesenarbeit, allein die Birken am Haus zu beschneiden, und im Frühling müssen alle Wände abgeschliffen werden, bestimmt zieht es durch die Fenster, auch wenn es Doppelfenster sind.
So läuft es eben, in solchen Spielen gibt es nur die festgelegten Rollen, und deshalb wies ich darauf hin, dass doch eigentlich nur ein Strauch weggenommen werden musste. Jetzt, wo Ragne entlarvt war, fühlte sie sich gedemütigt, und zur Demütigung gehören Genugtuung, Trost. Das musste ich liefern. Denk doch an die Aussicht, die wir hier haben werden, sagte ich – ja, das sagte ich, ich sagte wir –, hier gibt es immerhin Holz genug, auch wenn die Fenster ziehen, und es ist doch auch lustig, abends mit einer Taschenlampe aufs Klo zu gehen und beim Pinkeln die Sterne zu sehen.
»Wie viel wettest du«, fragte ich, »dass da draußen ein Stapel Reader’s Digest liegt?«
Der war auch wirklich vorhanden, ich hob ihn hoch und schwenkte ihn. Schau her! Was habe ich gesagt? Weil Ragne preisgegeben war und weil es nur zwei Rollen gibt – die Preisgegebene und die Tröstende. Weil es keine Tochter gibt, die ihren Vater oder wen auch immer nicht dazu bringen will, das schreckliche Weihnachtsfest vor drei Jahren zu vergessen und den frisch geschrubbten Ausdruck von seinem Gesicht verschwinden zu lassen. Vor allem, wenn das konspirative Gemüt noch nicht entlarvt worden ist.
Aber es war brüchig, das feine und ziemlich unangenehme Gleichgewicht zwischen diesen beiden Rollen. Etwas an ihrer geraden Haltung verschob es, etwas zu Entspanntes, das plötzlich in ihrem Gesicht auftauchte. Das ärgerte mich, obwohl ich wusste, dass ich eigentlich kein Recht hatte, gereizt zu sein. Aber sie war zu kess, sie griff zu gierig nach dieser Genugtuung. Mir war hier eine Art Anspruch zugebilligt worden, der Anspruch auf Anerkennung meiner Großmut, und der Anspruch wurde von ihr nicht befriedigt; deshalb tauschten wir die Rollen, als wir die Schwelle überschritten und mit den Resten der Idylle der drogensüchtigen Kolonie konfrontiert wurden. Jetzt war ich es, die sich alles Mögliche leisten konnte, die einer vergammelten Matratze einen leichten Tritt versetzte, die mit zwei Fingern eine Bierflasche voller Kippen aufhob, die mit dem Fuß über eine lockere Linoleumplatte rieb. Die alle Mängel sichtbar und groß machte, die die Möglichkeiten offenbarte, sie durch bescheidene Gesten unüberwindlich zu machen. Die Bierflasche schlenkerte zwischen meinen Fingern hin und her, ein Pendel.
Ich brauche nicht auf meinen Ozeanen von Freiheit »mir die Sache durch den Kopf gehen zu lassen« zu bestehen, die waren jetzt selbstverständlich, jeder einzelne Ozean, und hier im Haus war es eindeutig Ragne, die nach etwas suchte, das an Reader’s Digest erinnern könnte, die auf den Kamin hinwies, auf das eigentlich ziemlich gemütliche Schlafzimmer und auf den Blick aus dem Wohnzimmerfenster, wenn nur das berühmte Gestrüpp ein wenig beschnitten würde. Außerdem deutete sie noch an, welche Wunder ein bisschen Salmiak wirken kann.
Wir drehten mit dem Hund eine Runde, ehe wir nach Hause fuhren, und ich war zu absolut nichts verpflichtet. Aber es war so, dass ich sie frisch geschrubbt vor Sehnsucht gesehen hatte. Diese Sehnsucht hatte keine klare Form, sie war nicht abhängig von einer roten Hütte oder einer bestimmten Halsgrube, sie war natürlich flexibel, sonst wären wir nicht hier gewesen, keine von uns. Aber jetzt war sie sichtbar. Es gab Mechanismen, die es mir erlaubten, sie zu übersehen, so wie es auch zahllose kleine Wunden gab, die wir uns gegenseitig zufügen konnten.
So muss Silje mich gesehen haben, dachte ich, Hunderte von Malen, ehe sie gegangen ist. Sie muss mich so richtig frisch geschrubbt gesehen haben, auch zu Gelegenheiten, wo ich das gar nicht wollte. Bilde dir bloß nicht ein, dass ich keine Rücksicht auf deine Sehnsucht nehmen kann, wenn ich sie erst gesehen habe, sagte sie einmal.
Jetzt, an diesem letzten Sonntag im April, stehe ich hier auf der Treppe, vor dem Haus, in dem ich wohne, in dem wir wohnen, stehe hier mit meinem Schlüsselbund und soll die Tür aufschließen, die ebenfalls abgeschliffen werden muss, wie die Wände und die Fenster. Ich kann hinter der Tür den Hund auf dem Boden scharren hören, und ich höre auch sein leises Fiepen. Ich murmele beruhigend, während ich aufschließe, und dann begrüßen wir einander; der Hund überschwänglich, ich beherrscht. Ich stehe auf dem Hof und sehe ihn begeistert auf dem Grundstück herumtollen, die Abstecher, die er zwischen den Bäumen unternimmt, sind begrenzt, weil ich die ganze Zeit auf ihn einrede.
Wir wohnen jetzt seit sieben Monaten hier. Das ist nicht schlecht. Die meisten von uns scheuen anfangs vor Veränderungen wohl ein wenig zurück, aber nach und nach sehen wir das dann anders. Ragne kommt aus einem kleinen Ort, der noch einsamer ist, glaube ich, als dieser hier, und auch wenn sie natürlich nicht dorthin zurück will, ist es doch oft so, dass Leute, die ländlich und in der Natur aufgewachsen sind, auch als Erwachsene so wohnen möchten. Mehr als die, die ihr Leben in der Stadt verbracht haben. Das ist ja auch nicht weiter verwunderlich.
Es gibt nicht viel, was mir hier fehlt. Vielleicht die Cafés, und die Kinos. Meine Freundin Margrete ruft aus der Stadt an und fragt, ob mir das alles fehlt, und ich sage, ja, manchmal. Aber Margrete geht selber fast nie ins Kino, sagt sie, wenn sie sich das genauer überlegt. Hier im Ort gibt es auch Cafés und ein Kino, aber ich gehe nicht sehr oft hin, es ist wohl eher die Gewohnheit, sie in der Nähe zu haben, überlege ich mir. Ab und zu, wenn wir Samstagvormittag ins Café gehen, fühle ich mich ziemlich rastlos. Als ob ich keinen Sinn mehr darin finden könnte. Kaffee haben wir doch auch zu Hause. Trotzdem machen wir diesen Ausflug ziemlich regelmäßig, so wie wir auch alle paar Wochen im Hotel essen.
Ich bestelle in der Regel Kabeljau, Ragne nimmt ein Steak. Wir essen hier viel mehr Fisch als früher, aber wenn wir ausgehen, zieht Ragne doch Fleisch vor.
Wir halten Ausschau nach einem Boot, denn im Sommer wäre es schön eins zu haben.
Natürlich ist es hier auch einsam. Das liegt auf der Hand, wo das Haus doch so abgelegen ist und außerdem im Wald steht. Aber ich glaube, Ragne gefällt es so. Es ist ruhig, und es riecht so gut nach Bäumen und Moos. Obwohl wir noch nicht so lange hier wohnen, kann ich meinem Körper ansehen, dass er gesünder ist, ich merke es auch, wenn ich mit dem Hund spazieren gehe, ich bin kräftiger und kann länger laufen.
Wir reden hier weniger, glaube ich. Das ist mir recht. Mir gefällt es so. Wir gehen mehr und reden weniger.
Der regelmäßige Regen hat wieder eingesetzt, als ich mit Frigg in den Wald gehe. Er keucht, und sein heißer Atem wird zu dünnen Dampfstreifen, die sich vor seiner Schnauze auflösen. Er schaut mich mit seinem braunen Hundeblick an, erwartungsvoll und aufgeregt.
Eigentlich verachte ich diesen Hund, ihren Hund. Ich mache mit ihm Spaziergänge, ich füttere ihn, es kommt sogar nicht selten vor, dass ich meine Finger durch sein Fell gleiten lasse, um den Eindruck zu erwecken, dass ich ihn streichele. Die ganze Zeit aber verachte ich ihn.
Ich habe dazu natürlich überhaupt kein Recht, er ist offenbar ein außergewöhnlich schönes Exemplar seiner Rasse. Er hat auf Ausstellungen, bei denen wie bei Misswahlen nicht nur Aussehen, sondern auch Intelligenz und Bildung prämiert werden, mehrere Preise gewonnen.
An dem Hund ist nichts auszusetzen, den Prämien zufolge besitzt er einen hohen Hunde-IQ und vermutlich einen vergleichbar hohen Hunde-EQ, denn mir gegenüber verhält er sich immer beispielhaft. Ragne ist ziemlich stolz darauf, glaube ich. Er hat sich ungewöhnlich gut angepasst, sagt sie. Ich habe begriffen, dass das zu den Dingen gehört, die mehr über die Besitzerin aussagen als über den Hund.
Darauf weist sie mich jetzt nicht mehr so häufig hin, und wenn sie ein seltenes Mal Komplimente für den selten hohen Grad der Anpassung des Hundes an mich kassiert, dann geschieht das ziemlich scherzhaft. Trotzdem weiß ich, dass dieses Thema für sie von großer Bedeutung ist, denn in anderen Zusammenhängen, wenn sie zum Beispiel fremde Hunde ansieht, wiederholt sie das mit der Verantwortung der Besitzerin mit fast schockierender Heftigkeit. Manchmal kann ich sie in solchen Momenten nicht ansehen. In der Wut, die sie über Menschen mit unerzogenen Hunden äußert, liegt eine Leidenschaft, die mich erschüttert. Ihre Gewaltsamkeit erschüttert mich. Diese fast unkontrollierte Gewaltsamkeit.
Sie liebt den Hund. Ein Tier. Sie liebt ihn aufrichtig und intensiv, und ich habe gelernt, mit dieser unbestreitbaren Tatsache umzugehen. Es wäre vermutlich nicht gerade schwer, dafür eine Erklärung zu finden, aber dieses Vergehen wäre mir doch unangenehm. Es erinnert mich an Nikolas’ Untersuchung von Bücherregalen; Nacktheit, entlarvt durch ein Buch, einen Hund. Ich kann mir natürlich eine Erklärung aus den Fingern saugen, habe es auch schon getan, und vielleicht hört sie sich glaubwürdig und sogar umfassend an, aber dadurch wird die Sache nicht weniger geschmacklos.
Es hat etwas mit Mängeln zu tun. Mit ihrer Kindheit.
Es ist vorgekommen, dass sie mich gerührt haben. Wenn ich sie in ihrem Lieblingssessel gesehen habe – ihrem und des Hundes –, ihr Nacken sich über die erhobene Schnauze des Hundes beugte und es vielleicht Abend war und ihre Wangen gerötet waren, weil wir Wein getrunken und im Kamin ein Feuer gemacht hatten, wenn ich dann den Atem des Hundes und ihre kleinen Geräusche hörte, ihre Worte, ihr Zungenschnalzen, dann war ich manchmal bezaubert von ihnen. Zumindest von ihr. Ich habe daran gedacht, dass sie so leben sollte, mit dieser Ruhe, diesen Atemzügen und dieser gleichmäßigen, fast leidenschaftslosen Wärme.
Sie sagt, dass sie das tut. Dass ich es ihr ermögliche.
Das gehört zu den Dingen, die mich empören. Nicht, dass sie es sagt, sondern, dass sie es so empfindet. Ich finde es nicht richtig. Es wäre mir lieber, sie hätte gelogen, als sie das gesagt hat, aber das glaube ich nicht. Ich glaube, sie meint es so, und das ist entsetzlich. Zwei lebende Wesen liebt sie, mich und den Hund, und ich wünschte, dieses Wissen bliebe mir erspart.
Seit wir hergezogen sind, habe ich die meisten Ehefrauenaufgaben übernommen, vor allem, weil ich keine so festen Arbeitszeiten habe wie sie. Ihr gefällt das. Zum gedeckten Tisch nach Hause zu kommen, zum frisch geputzten Boden. Ich bin ungewöhnlich häuslich geworden, fast schon pedantisch. Ich koche richtige Mahlzeiten, kaufe für das Wochenende Wein, zünde Kerzen an. Solche Dinge übernehme ich. Paardinge.
Viele meiner Habseligkeiten liegen noch in meiner Wohnung in der Stadt, es lohnt sich offenbar, möbliert zu vermieten, deshalb gehört fast alles hier im Haus ihr, und ich behandele es mit Respekt, auch wenn nichts von Wert ist, für sie hat es nicht einmal sentimentalen Wert. Wenn ich frage, wo sie irgendeinen Gegenstand gekauft hat, hat sie das in der Regel vergessen.
Einen Kerzenleuchter hat sie auf einem Flohmarkt erstanden, das weiß sie noch, und sie lacht laut darüber.
Über ihren Hund sagt sie, er sei glücklich, wenn er seinen Platz in der Hierarchie kennt, auch wenn dieser Platz ganz unten ist. Ragne ist oben, dann komme ich, dann er. Wenn er versucht aus diesem System auszubrechen, muss dieser Versuch niedergeschlagen werden, freundlich und bestimmt, und im Notfall nicht einmal freundlich, im Notfall brutal.
Es ist möglich, dass ich ihn deshalb verachte, auch wenn ich das nicht glaube. Ich glaube, ich verachte ihn, weil er meine Heuchelei akzeptiert, weil er mir Achtung erweist, obwohl ich ihn verachte.
Ich verhalte mich ihm gegenüber kindisch. »Ach, wie hässlich du bist«, sage ich mit liebevoller Stimme, und er wedelt begeistert mit dem Schwanz. Ragne lacht.
Sie ist sehr energisch, wenn sie ihn zurechtweist, ich sehe ihr dann voller Interesse zu, wenn sie ihm gegenüber die Stimme hebt oder ihn mit großer Kraft auf den Boden drückt. Der Hund wimmert und hat Angst vor ihr. Schon bald darauf kann sie ihn umarmen, ihn hochheben, sich von ihm das Gesicht lecken lassen. So soll es sein. Er ist glücklich. Er kann nicht anders als ab und zu die Grenzen des Systems herauszufordern, und immer muss auf diese Herausforderung sofort reagiert werden. Es kommt nicht oft vor, aber Ragne staucht ihn jedes Mal zusammen, verbal oder physisch. Sie ist schnell und hart, reagiert sozusagen automatisch, glaube ich. Sie weiß mit hundertprozentiger Sicherheit, was nötig ist, um den Hund glücklich zu machen.
Das ist er. Das ist offenbar seinem Fell anzusehen, denn es ist dick und glänzt. Er kennt keine Verwirrung. Er schläft zu ihren Füßen, wenn sie in der Wärme des Ofens vor dem Fernseher sitzt. Sie kann den Hund atmen hören, sie hört meine Geräusche aus der Küche.
Ich glaube, sie fühlt sich hier geborgen. Sie schläft nachts gut, das tun wir beide. Ich kann mich nicht mehr an meine Träume erinnern. Ragne weiß ihre meistens noch, und es kommt vor, dass sie mir die Handlung erzählt, auf trockene, sachliche Weise, auch wenn die Träume bisweilen äußerst brutal wirken. Ich versuche nicht, durch ihre Träume mehr über sie herauszufinden, und sie deutet auch nicht an, dass das möglich oder interessant sein könnte. Ich durchsuche ihr Bücherregal nicht nach versteckten Spuren, und ihre Träume auch nicht. Wir setzen nicht voraus, dass die Nächte die Zerrbilder der Tage sind, Kammern für Entdeckungen von umwälzender Wirkung. Die Brutalität von Ragnes Träumen wird in der Ruhe aufgelöst, die sich morgens findet, in ihrer trockenen Nacherzählung. Dazu ist keinerlei Engagement vonnöten.
Ich weiß eigentlich nicht, was sie von mir will. Vielleicht soll ich einfach hier sein. Ziemlich sicher würde sie mich vermissen, wenn ich eines Tages nicht mehr hier wäre, aber sie würde nicht sterben oder auf irgendeine dramatische Weise verfallen, wenn ich verschwände. So ist das nicht.
Wenn ich nicht hier wäre, hätte sie den Hund und ihre Arbeit, und nach einiger Zeit würde sie eine andere finden, eine dunkelhaarige oder blonde Frau mit eigener Wohnung, mit einer Hütte, die sie am Wochenende mit dem Hund besuchen könnten, oder vielleicht einem Segelboot. Sie hätten eine gute Beziehung, würden nebeneinander durch den Wald gehen, wenn der Weg breit genug wäre, oder hintereinander, der Hund vorneweg, dann Ragne mit der Leine und zum Schluss die Dunkelhaarige oder Blonde mit der Thermoskanne im Rucksack.
Ragne würde mich ihr gegenüber erwähnen. Es ging nicht, würde sie sagen, es hat ein Jahr gedauert, oder zwei oder fünf, und dann ging es nicht mehr. Und der Dunkelhaarigen oder Blonden käme das bekannt vor, und auch sie hätte eine gehabt, die einmal da war und dann gegangen ist, oder die sie gebeten hat, zu gehen, obwohl eigentlich, würde sie sagen, wir ja beide wussten, dass es nicht ging.
Wir würden ab und zu telefonieren, und das wäre seltsam, aber nicht so seltsam, nicht unüberwindlich seltsam. Vielleicht würde Ragne einmal weinen, wenn sie und die Dunkelhaarige oder Blonde zu viel Wein getrunken hätten und es sich dann einfach so ergäbe. Aber vermutlich nicht. Sie hat nie geweint, wenn sie mir von ihren Exis erzählt hat. So nennt sie die, Exis.
Sie hatte viel mehr Beziehungen als ich, und ehrlich gesagt gehört es zu den Dingen, die mir an ihr wirklich gefallen, dass sie darauf stolz ist. Dass sie mehr Erfahrung hat als ich, wie sie sagt. Sie ist wohl ähnlich wie dann, wenn sie sich über den Hund beugt, ihr ein wenig triumphierendes Lächeln, mit dem sie auf ihre überlegene Erfahrung pocht, hat etwas Bezauberndes.
Sie mag hübsche Mädchen. In ihrem Fotoalbum hat sie Bilder ihrer meisten Exis, neben den Bildern des Hundes, ihrer selbst mit dem Hund, ihrer selbst und dem Hund und der letzten Exi, die nicht von langer Dauer war.
Sie sind hübsch. Dunkelhaarig oder blond, mit netten, ziemlich modernen Kleidern, niemals auf irgendeine Weise exaltiert. Sie sehen sympathisch aus. Es gibt jetzt auch Bilder von mir, im Wald mit dem Hund, hinter einer Tasse Kaffee in einem Straßencafé, wo ich mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne schaue, auf einem Felsen, den Arm um sie gelegt. Es scheint ein schöner Tag zu sein, über uns ein hoher Herbsthimmel, wir tragen Pullover und Turnschuhe.
Auch ihr Vater ist in der Albensammlung vertreten, natürlich. In einem kleinen dünnen mit schwarzen Seiten, von denen mehrere leer sind, es ist das einzige Album, abgesehen von dem, mit den Bildern von mir, das sie noch nicht vollgeklebt hat. Es gehört in eine Zeit, als Kamera und Film noch vorsichtig behandelt wurden, die Anzahl der Fotos ist bescheiden, so wie auch ihre Größe, sie sind so winzig, diese Schwarzweißbilder, die Menschen darauf sind bloße Andeutungen. Ihre Kleider, das Haus, vor dem sie stehen, das Auto, an das sie sich steif und abwartend anlehnen, das alles ist viel deutlicher zu sehen als ihre Gesichter.
Auf einem Bild hält Ivar einen Rechen in der Hand, er hat sich die Hemdsärmel hochgekrempelt, Ragnes Mutter steht ein Stück hinter ihm, die Kamera hat sie eingefangen, als sie gerade die Augen zukneift. Sie scheint im Stehen zu schlafen, der Schlaf einer Halbdebilen.
Aber es gibt auch ein Studioporträt von ihm, eine gedämpfte, retuschierte Nahaufnahme eines Neunzehnjährigen mit feucht gekämmter und vielleicht doch ein wenig kühner Frisur. Er hat Ragnes stumpfe Nase, oder sie seine, und außerdem den gleichen Mund mit der etwas schweren Unterlippe, die seinem Gesicht sogar dann etwas Schmollendes gibt, wenn er lächelt. Ein steifes Studiolächeln. Aber mit Augen, die direkt in die Kamera schauen. Die sie vielleicht herausfordern. Er hat noch keine Tochter, dieser junge Mann.
Sie findet, dass ich meinen Namen in meine Bücher im Regal schreiben soll. Sie hat das mit ihren gemacht, also kann es ohnehin keine Verwechslungen geben, aber trotzdem. Das ist praktisch. Wenn kein Name in den Büchern steht, vergessen die anderen, sie zurückzugeben, wenn sie sie ausgeliehen haben, sagt sie. Sie hat damit bittere Erfahrungen gemacht. Eine Exi hat noch immer zwei Bücher von ihr. Die Titel weiß sie genau.