Der „Neue Bayerische Heimatfilm“ im 21. Jahrhundert - Elisabeth Huber - E-Book

Der „Neue Bayerische Heimatfilm“ im 21. Jahrhundert E-Book

Elisabeth Huber

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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Ethnologie / Volkskunde, Note: 1,3, Universität Augsburg, Sprache: Deutsch, Abstract: Heimatfilm: Kitsch, ‚heile-Welt‘, Schwarzwald, Folklorismus, Heide, idyllische Natur, Heimat, Trivialität, Provinz ‚Zieprack‘ , Happy End. Dies sind Assoziationen, die mit dem Wort Heimatfilm in Verbindung gebracht werden. In den 1950er Jahren entstand dieses erste genuin deutsche Genre, das durchaus grob gekürzt mit diesen Vokabeln definiert werden kann. Bis zum Ende der 1960er Jahre konnte der traditionelle Heimatfilm große kommerzielle Erfolge feiern. Doch der Beigeschmack der Trivialität blieb die Jahrzehnte hindurch an diesem Genre haften. Kein Regisseur, der als Künstler ernst genommen werden wollte, beschäftigte sich mit dieser Filmgattung. Vereinzelt wurden in den 1970er Jahren Heimatfilme produziert, die solche Begriffe, wie oben genannt, als zynisches Zitat aufnahmen und gesellschaftskritisch auftraten. Doch diese Filme blieben die Minderheit. Im Jahr 2001 schließlich kam der Film DIE SCHEINHEILIGEN in die Kinos, gefolgt von HIERANKL 2003 und 2005 GRENZEVERKEHR. Plötzlich gab es Regisseure, die sich wieder dem Thema Heimat und der Provinz zuwandten. Der „Charme des Regionalen“ hielt wieder Einzug in die bayerische Kinolandschaft und das mit Erfolg. Maßgeblich dazu beigetragen haben auch die Filme von Marcus H. Rosenmüller. Allen voran sein Erstlingswerk WER FRÜHER STIRBT IST LÄNGER TOT, der in etwa 2 Millionen Zuschauer bundesweit verzeichnen konnte. Damit haben die Regisseure Hans Steinbichler (HIERANKL), Thomas Kronthaler (DIE SCHEINHEILIGEN), Stefan Betz (GRENZVERKEHR) und Marcus H. Rosenmüller (WER FRÜHER STIRBT IST LÄNGER TOT) eine Entwicklung angestoßen, die Kritiker und Filmtheoretiker mit der „Neue Bayerische Heimatfilm“ betiteln. Die „Neuen Wilden“, wie es in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung hieß, gehen sorglos mit ihren bayerischen Wurzeln um. Heimat ist bei ihnen keine kitschig-heile Welt, aber auch nicht das ‚Schreckbild-Land‘, wie einst kritische Heimatfilme wie von Volker Schlöndorff das Bild Heimat zeichneten. Diese Arbeit geht nun der Frage nach, wie die „Neuen Bayerischen Heimatfilme“ in die Tradition der klassischen Heimatfilme eingeordnet werden können. Außerdem betrachtet die Arbeit die Filme von Marcus H. Rosenmüller genauer, um herauszufinden, was die Besonderheiten der Filme sind und warum sie dem „Neuen Bayerischen Heimatfilmen“ zugeordnet werden können.

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Inhaltsverzeichnis

 

I Einleitung

1 Das Genre Heimatfilm und seine Merkmale

1.1 Der traditionelle Heimatfilm

1.2 Der kritische Heimatfilm

2 Die Geschichte des Heimatfilms von 1918 bis 2011

2.1 Der Berg- und Volksfilm als Vorreiter des Heimatfilms

2.2 Der Heimatfilm und seine Rolle im Nationalsozialismus

2.3 Die Trümmerfilme in den Nachkriegsjahren

2.4 Die Fünfziger Jahre und der Heimatfilm-Boom

2.5 Der Jägerporno und der Touristenfilm in den 1960er und 1970er Jahren

2.6 Das „Oberhausener Manifest“ und der „kritische Heimatfilm“

2.7 Die neue Vielseitigkeit des Heimatfilms in den 1980er Jahren

2.8 Die 1990er Jahre und die Flaute der Heimatfilm-Produktionen

2.9 Das Jahr 2001 und die Geburt des „Neuen Bayerischen Heimatfilms“

II. Marcus H. Rosenmüller und sein filmisches Werk

1 Die Biographie

2 Die Filmographie

3 Die Filme: Beschreibung des Inhalts, Darstellung der vorhandenen Genremerkmale und Besonderheiten, Untersuchung der Rezensionen

3.1 Wer früher stirbt ist länger tot

3.2 Schwere Jungs

3.3 Beste Zeit

3.4 Beste Gegend

3.5 Räuber Kneissl

3.6 Die Perlmutterfarbe

III. Fazit

Anhang:

Literaturverzeichnis

Medienverzeichnis

 

I Einleitung

 

Heimatfilm: Kitsch, ‚heile-Welt‘, Schwarzwald, Folklorismus, Heide, idyllische Natur, Heimat, Trivialität, Provinz ‚Zieprack‘[1], Happy End.

 

Dies sind Assoziationen, die mit dem Wort Heimatfilm in Verbindung gebracht werden. In den 1950er Jahren entstand dieses erste genuin deutsche Genre, das durchaus grob gekürzt mit diesen Vokabeln definiert werden kann. Bis zum Ende der 1960er Jahre konnte der traditionelle Heimatfilm große kommerzielle Erfolge feiern. Doch der Beigeschmack der Trivialität blieb die Jahrzehnte hindurch an diesem Genre haften. Kein Regisseur, der als Künstler ernst genommen werden wollte, beschäftigte sich mit dieser Filmgattung. Vereinzelt wurden in den 1970er Jahren Heimatfilme produziert, die solche Begriffe, wie oben genannt, als zynisches Zitat aufnahmen und gesellschaftskritisch auftraten. Doch diese Filme blieben die Minderheit.

 

Im Jahr 2001 schließlich kam der Film DIE SCHEINHEILIGEN in die Kinos, gefolgt von HIERANKL 2003 und 2005 GRENZEVERKEHR. Plötzlich gab es Regisseure, die sich wieder dem Thema Heimat und der Provinz zuwandten. Der „Charme des Regionalen“[2] hielt wieder Einzug in die bayerische Kinolandschaft und das mit Erfolg. Maßgeblich dazu beigetragen haben auch die Filme von Marcus H. Rosenmüller. Allen voran sein Erstlingswerk WER FRÜHER STIRBT IST LÄNGER TOT, der in etwa 2 Millionen Zuschauer bundesweit verzeichnen konnte. Damit haben die Regisseure Hans Steinbichler (HIERANKL), Thomas Kronthaler (DIE SCHEINHEILIGEN), Stefan Betz (GRENZVERKEHR) und Marcus H. Rosenmüller (WER FRÜHER STIRBT IST LÄNGER TOT) eine Entwicklung angestoßen, die Kritiker und Filmtheoretiker mit der „Neue Bayerische Heimatfilm“ betiteln. Die „Neuen Wilden“, wie es in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung hieß, gehen sorglos mit ihren bayerischen Wurzeln um.[3] Heimat ist bei ihnen keine kitschig-heile Welt, aber auch nicht das ‚Schreckbild-Land‘, wie einst kritische Heimatfilme wie von Volker Schlöndorff das Bild Heimat zeichneten.

 

Diese Arbeit geht nun der Frage nach, wie die „Neuen Bayerischen Heimatfilme“ in die Tradition der klassischen Heimatfilme eingeordnet werden können. Außerdem betrachtet die Arbeit die Filme von Marcus H. Rosenmüller genauer, um herauszufinden, was die Besonderheiten der Filme sind und warum sie dem „Neuen Bayerischen Heimatfilmen“ zugeordnet werden können.

 

Dazu definiert die Verfasserin zuerst das Genre Heimatfilm und ermittelt die Merkmale des traditionellen und kritischen Heimatfilms. Schließlich wendet sie sich der Geschichte des Heimatfilms zu. Hier geht sie chronologisch vor und beginnt bei den Bergfilmen der 1920er Jahre, wendet sich dann den Heimatfilmen der 1930er und 1940er zu und deren Rolle im Nationalsozialismus. Schließlich geht sie auf die kurze Zeit der Trümmerfilme der unmittelbaren Nachkriegsjahre ein, um zum Jahrzehnt der großen Heimatfilm-Erfolge, der 1950er Jahre, zu kommen. Dann beschäftigt sich die Arbeit mit den kritischen Heimatfilmen der 1960er und 1970er und den Heimatfilmen der 1980er und 1990er. Zuletzt gibt sie einen Überblick über die Produktionen ab 2001, die dem „Neuen Bayerischen Heimatfilm“ zugeordnet werden.

 

Der zweite Teil der Arbeit behandelt die Filme von Marcus H. Rosenmüller. Hier wird zuerst der Regisseur vorgestellt und seine Filmographie. Im Anschluß daran werden die sechs Filme von ihm, die bis Juli 2011 im Kino zu sehen waren, genauer betrachtet. Die Verfasserin beschreibt zunächst Allgemeines zu den Filmen, wie Darsteller, Drehorte oder die Filmidee. Dann fasst sie den Inhalt der Filme zusammen. Schließlich untersucht sie die Filme auf Merkmale, die sie mit den Heimatfilmen gemeinsam haben und versucht Besonderheiten, die den Film auszeichnen, herauszufinden. Zudem betrachtet sie Rezensionen von Filmkritikern, um zu ermitteln, welchem Genre sie die Filme von Rosenmüller zuordnen und welche neue Stilrichtung sie an den Filmen entdecken.

 

Um die Charakteristika der Heimatfilme festzustellen verwendet die Arbeit vor allem die Untersuchung von Willi Höfig von 1973. Dieser hat fast 300 Heimatfilme, die in der Zeit von 1949 bis 1960 in den Kinos kamen, untersucht und typische Komponenten herausgefunden. Die kritischen Heimatfilme analysierte Daniel Alexander Schacht in seinem Buch „Fluchtpunkt Provinz“ von 1991.

 

Für die Geschichte des Heimatfilms verwendet die Verfasserin das Werk der Projektgruppe „Deutscher Heimatfilm“ unter der Leitung von Wolfgang Kaschuba aus dem Jahre 1989. Hier wurde erstmals in einem Buch die komplette Geschichte des Heimatfilms dargestellt. Die meisten Veröffentlichung zu diesem Thema behandeln nur ein Jahrzehnt und geben keinen Überblick über die ganze Historie des Genres.

 

Zu Marcus H. Rosenmüller sind noch keine Werke veröffentlicht worden. Daher zieht die Verfasserin Kritiken und Artikel aus Filmmagazinen und den einschlägigen Tageszeitungen heran. Sie stützt sich dabei auf die Filmzeitschrift epd Film und film-dienst, die beide die führenden religiösen Zeitschriften für Filmkritik in Deutschland sind. Dabei wird epd Film von dem evangelischen Gemeinschaftswerk publiziert und film-dienst von dem Deutsche Zeitung Christ und Welt Verlag. Des weiteren verwendet die Verfasserin Kritiken aus dem Onlineauftritt der Süddeutschen Zeitung, der Zeitung Die Welt und dem Online-Filmmagazin schnitt.de. Zudem benutzt die Verfasserin Pressehefte der Verleih-Firmen Constantin Film und Movienet für Informationen zu Dreharbeiten und Darstellern der Filme von Marcus H. Rosenmüller.

 

Diese Arbeit über den „Neuen Bayerischen Heimatfilm“ untersucht die Filme von Marcus H. Rosenmüller nicht analytisch, sondern nur beschreibend. Vielmehr versucht die Autorin eine kleine Filmgeschichte über den Heimatfilm zu verfassen und dabei die neuesten Entwicklungen um den Heimatfilm und die Filme von Marcus H. Rosenmüller mit einzubeziehen.

 

1 Das Genre Heimatfilm und seine Merkmale

 

1.1 Der traditionelle Heimatfilm

 

Als traditioneller oder auch klassischer Heimatfilm werden diejenigen Filme bezeichnet, die am Ende der 1940er Jahre bis Mitte der 1960er Jahre in den deutschen Kinos zu sehen waren. Hans Deppe läutete mit seinem Film SCHARZWALDMÄDEL von 1950, dem ersten farbigen Nachkriegsfilm in Deutschland, die Blütezeit der Heimatfilme ein.

 

Die Grundlage für die Themen und die Inszenierungen bildeten das Volksschauspiel und die Heimatliteratur des 19. Jahrhunderts. „Das Volkstheater neigt zur Vermengung von Scherz und Ernst; der Ernst wird in die Rührseligkeit, die Sentimentalität umgebogen, der Scherz erscheint als Burleske.“[4] Diese Darstellungsweise der Sentimentalität, der Komik und der Emotionalität benutzte auch der Heimatfilm als Element. „Die vereinfachten, topischen Verhaltens- und Seinsmuster des Bauerntheaters werden im HF [Heimatfilm, Anm. d. V.] nicht dargestellt, sondern gelebt.“[5] Das Happy End gehört zum Volksschauspiel und ebenso zum Heimatfilm. Der Held des Films führt die Handlung am Ende durch das ‚Schicksal‘ zum Happy End. „Diese passive Grundhaltung bei durchgängiger Annahme einer ‚höheren Gerechtigkeit‘ ließ sich als Weltansicht bei allen herangezogenen Formen der Volksunterhaltung ermitteln.“[6]

 

Das Happy End im Heimatfilm bedeutet die Wiederherstellung der alten, guten Ordnung und das Zurückführen des Geschehens zu seinem Ausgangspunkt.[7]

 

Willi Höfig hat in seiner Studie über den Heimatfilm fast 300 Filme im Zeitraum von 1949 bis 1960 untersucht. Dabei hat er verschiedene Merkmale herausgefunden, die zum Charakteristikum eines traditionellen Heimatfilms gehören. Diese kommen in den analysierten Heimatfilmen in verschiedenen Varianten und Ausprägungen, jedoch mit ähnlicher Struktur, immer wieder vor. Es sind bestimmte Milieugruppen, Landschaftsmilieus und Personen die sich in der Heimatfilmwelt in immer ähnlichen Wertesystemen und Geschehnissen bewegen.

 

1.1.1 Das Milieu

 

Bei der Untersuchung der Filme auf die vorkommenden Milieuarten sind Höfig vier verschiedene Gruppen aufgefallen.[8]

 

In der ersten Milieugruppe spielt der Film im Gebirge oder im Hochgebirge, im Bergsteiger- oder Wintersportmilieu. Die Orte des Geschehens sind meist Skihütten, Berghotels oder Dorfgasthöfe.[9] Filme die sich in idyllischer Waldlandschaft abspielen zählen auch zu der ersten Milieugruppe. Hier sind die Orte der Filmhandlung meist das Forsthaus, Sennhütten, Schlösser, Dorfgasthöfe oder der Festplatz des Dorfes.[10]

 

In der zweiten Gruppe spielen die Filme meist in der norddeutschen Tiefebene. Hier bildet das vorkommende Milieu das Moor, der Wald oder die Heide. Orte der Handlung sind der Gutshof, das Pfarrhaus, seltener das Schloß. Oft wird als kontrastierendes Element das städtische Milieu dem ländlichen Milieu entgegengesetzt. Pferderennen und Pferdezucht spielen ebenfalls häufig eine Rolle in Filmen, die im Norden Deutschlands spielen.[11]

 

In der dritten Gruppe ist das Milieu geographisch nicht eindeutig fixierbar. Meist spielt die Handlung in Gebieten, die sich fernab der Zivilisation befinden. In diese nicht definierbaren Regionen ziehen sich die Filmpersonen zurück. Die Filme sind oft mit komischen Elementen versehen, sodass sie sich als ‚Heimatschwank‘ oder ‚Dorfposse‘ bezeichnen lassen können.[12]

 

Die vierte Gruppe stellt die geschlossene Welt des bäuerlichen Milieus dar. In diese Welt dringt der Städter ein. Diese ‚Eindringlinge‘ sind Urlauber und Gäste, die eine solche Umgebung als ‚exotisch‘ empfinden. Somit bildet sich ein weiteres Milieu heraus: das Ferienmilieu. Orte der Handlung sind die reizvolle Landschaft, Ferienpensionen, Hotels und Campingplätze. Diese Filme haben einen großen Musikanteil aufzuweisen, weshalb sie auch „Operettenfilme“ genannt werden.[13]

 

1.1.2 Die Natur

 

Die Landschaft im Heimatfilm dient zunächst nur als Folie, vor dessen Hintergrund sich das Geschehen des Films abspielt. Die Landschaft kann aber auch mit der Handlung verbunden sein, wenn es zum Beispiel um den Erhalt eines bäuerlichen Anwesens geht und um den Schutz des Erbes. Zu finden ist diese Situation in dem Film WEIßES GOLD[14]. Hier kämpft ein alter Bauer um seinen Hof, der durch einen Stausee geflutet werden soll. Erbauer des Staudammes ist sein Sohn, der Ingenieur geworden ist. Hier gewinnt die Landschaft kein Eigenleben, sondern ist zunächst nur Hintergrund des Geschehens. Das heißt, die Entscheidungen die im Film getroffen werden, fallen aufgrund von Dialogen unter den Menschen und Diskussionen, nicht aufgrund einer besonderen Naturverbundenheit. Die Natur nimmt keinen Einfluss auf die Emotionalität des Bauern, die Schönheit der Landschaft kümmert ihn nicht. Rein rationale Gründe lassen ihn um seinen Hof und seinen Erben kämpfen.[15] Doch wird das Landschaftsmilieu durch den Kampf darum als Eigenwert erkannt.

 

Diese Eigenwertigkeit der Landschaft wird besonders dann von den Filmpersonen erkannt, wenn es der ‚Fremde‘ gegenübergestellt wird. Wie im Film EINMAL NOCH DIE HEIMAT SEH‘N[16]. Hier ist Michael vor der Polizei nach Afrika geflüchtet. Ohne rational nachvollziehbaren Grund möchte er nach Hause. Der Entschluss in die Heimat zurückzukehren, und besonders in die heimische Landschaft, ist pure Emotion.[17]

 

Im Lauf der Heimatfilm-Entwicklung wird das Landschaftsmilieu zum Schauwert. Und zwar dann, wenn der touristische Aspekt hinzu kommt. Wie in dem Film EVA ERBT DAS PARADIES[18]. Die Landschaft wird hier von anderen Filmpersonen, also nicht den Einheimischen, als Ferienaufenthalt erlebt, und somit die Ästhetik des Ortes genossen.

 

Die Natur kann auch Auslöser von Handlungen und von einem Geschehen sein. Somit wird die Filmperson passiv, das Landschaftsmilieu aktiv. Das Eingreifen der Natur in den Handlungsraum der Menschen wird gewertet als ‚Schicksal‘ und die Landschaft wird zum handelnden Objekt. So im Film DER EDELWEIßKÖNIG[19]. Hier wird ein Flüchtling in eine Schlucht getrieben, in der er sich vor den Verfolgern verstecken kann. Die Schlucht ist dem Flüchtling verbunden und den Verfolgern feindlich. Denn diese sagen, „die Schlucht hat noch nie einen hergegeben!“.[20] So wird die Natur und die Landschaft anthropomorphisiert. Das bedeutet, die Natur bekommt menschliche Züge und Eigenschaften, und kann somit menschlich handeln. Auslöser für eine Handlung wird die Natur auch in dem Film ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB.[21] Hier wird ein Mädchen in einem Moor vergewaltigt. Sie erinnert sich durch die Moorlandschaft an die alte Legende vom Heidegrab. In dieser Legende ging im 30jährigen Krieg im Moor ein Mädchen und ihr Vergewaltiger unter. Zu diesem Heidegrab lockt das geschändete Mädchen nun ihren Peiniger, um sich und ihn im Moor zu versenken. Doch nach einer dramatischen Szene kann sie von ihrem Geliebten gerettet werden.[22]

 

Willi Höfig hat zudem noch drei Naturmilieus in seiner Untersuchung definiert, die in dieser Weise häufig in den Heimatfilmen vorkommen: Das Heidemilieu, das Gebirgsmilieu und das ‚Silberwald‘-Milieu.[23]

 

Die Heidefilme[24] spielen meist in der Lüneburger Heide. Hier wird die Landschaft und die Natur dem städtischen Leben entgegengesetzt. [25] In den Heidefilmen wird oft Musik eingesetzt. Hierbei singen Filmpersonen sentimentale Lieder immer dann, wenn ein Bild der Landschaft allein zu wenig Emotionen bei den Zuschauern auslöst.[26]

 

Die Filme, die im Gebirgsmilieu spielen, haben im Unterschied zu den Heidefilmen keinen einheitlichen Charakter. Die Gebirgswelt erscheint entweder als Spielraum des Films, indem die Abgeschiedenheit der Personen (Bauern) und des Ortes (Gebirgsmilieu) von der übrigen Umgebung betont wird.[27] Oder „als gefährliches Terrain bei Verfolgungen, Schmuggel und Wilddieberei“.[28] In dem Film DIE ALM AN DER GRENZE[29]tritt das Bergmilieu in dieser zweiten Erscheinungsform auf.[30] Das Gebirgsmilieu wird hier zu einem gefährlichen Ort der die Menschen bedrohen kann. Im Film kommen gefährliche Klettereien am Fels und Schmuggel auf unwegsamen und versteckten Wegen vor, die nur der Held bewältigen kann. Die Verknüpfung von der Gebirgslandschaft mit dem Geschehen in diesem Film hat den Zweck Charaktereigenschaften der Filmpersonen zu verdeutlichen und herauszustellen.[31]

 

Das ‚Silberwald‘-Milieu findet sich in der Silberwald Serie wieder.[32] DER FÖRSTER VOM SILBERWALD verbindet dokumentarische Natur- und Wildaufnahmen mit einer dürftigen Spielhandlung. Er wurde zum Vorbild weiterer Silberwald-Streifen und beeinflusste den Heimatfilm maßgeblich. Die Natur und die schöne Landschaft müssen in diesem Film von dem Förster vor einem Wilderer beschützt werden. Denn der Mensch kann die Natur nur genießen, indem er sich ihr unterordnet und nicht in sie eingreift. Mit den vielen Landschafts- und Wildaufnahmen bevorzugt diese Filmreihe das Milieu gegenüber den Personen. Zwei Grundsätze der Heimatfim-Dramaturgie werden dadurch besonders deutlich: Das Milieu greift als ‚Zufall‘ in das Geschehen der Menschen ein, und diese binden sich emotional an die Natur und an die Landschaft.[33]

 

Allen Heimatfilmen ist gemeinsam, dass die Darstellung von Natur und Landschaft einem Film pathetische, dramatische und sentimentale Akzente verleihen. Hier ist die Landschaft der Träger von Stimmungen, um dem Zuschauer das Geschehen näher zu bringen. Die Natur und ihre Darstellung ist somit der Indikator der Emotionen im Film.[34]

 

1.1.3 Die Personen

 

Die Bewohner der heimischen Umgebung in den Heimatfilmen sind zum Großteil Bauern und Großbauern, Adelige und Offiziere. Schloßherren, Gutsbesitzer, Mägde und Knechte. Pfarrer, Priesterschüler, Mönche, Nonnen, Wilderer und Schmuggler treten außerdem häufig im heimischen Milieu auf. An dritter Stelle stehen Dienstboten, Jäger, Förster, Zöllner und Polizisten. Vereinzelt kommen in den Filmen auch Sägewerksbesitzer, Mühlenbesitzer und Glockengießer vor.[35]

 

Personen, die das Milieu von Stadt und Land in ihren Berufen oder nur in ihren Persönlichkeiten verbinden treten folgendermaßen auf: als Künstler, als Wirte, Hoteliers und Bierbrauer. Ebenso als Feriengäste, Urlauber und Reisegesellschaften aus der Stadt, die in die ländliche Region kommen. Als Arzt, Lehrer und Kindergärtnerin, die ihren Beruf in der Stadt erlernt haben und diesen in der Provinz ausüben.[36]

 

Personen, die außerhalb des heimatlichen Umgebung stehen und auch keine Verbindung zu ihr aufweisen können kommen in den Filmen auf folgende Art vor: als Ingenieur[37], Fabrikant oder Techniker. Auch als Schauspieler, Schriftsteller, Jurist, Gerichtsvollzieher, Richter und auch als Detektiv. Außerdem kommen Personen vor, die unabhängig vom Milieu nur durch ihre dramaturgische Funktion bestimmt werden.[38] Diese Personen mit dieser Funktion sind: Heimkehrer, die zuvor freiwillig ausgewandert sind oder dazu gezwungen wurden. Uneheliche Kinder, wiedergefundene Geschwister, Flüchtlinge, Waisen und alleinerziehende Mütter. Zusätzlich treten Heiratsschwindler, Mitgiftjäger und Hochstapler aller Art auf. Des öfteren tritt auch ein reicher Amerikaner oder eine reiche Amerikanerin auf, die meist ihre finanziellen Mittel einsetzen um die Handlung voranzutreiben.

 

Der Held im Heimatfilm ist passiv. Der ‚Bösewicht‘ dagegen ist der aktive Teil. Sein Handeln richtet sich in 80% der Fälle gegen den Helden.[39] Der ‚Bösewicht‘ ist böse, weil er sich von der Tradition entfremdet hat. Weil er den Verlockungen der Stadt, der Fremde oder der Moderne nicht widerstehen konnte, wird er zum Irregeleiteten. Doch als „verlorener Sohn“ kehrt er am Ende wieder in die Gemeinschaft und in die Heimat zurück.[40] So wird die Katharsis zu einem zentralen Thema des Heimatfilms. Der ‚Bösewicht‘, bzw. der Irregeleitete, empfindet seine Abkehr von der Tradition und seinen Versuch im traditionsentbundenen Umfeld zu leben als einen Fehler und als schmerzlich. So kehrt er zurück als Geläuteter.

 

Der Held ist meist der Repräsentant der Gesetze und auch „der Vertreter der natürlichen Ordnung der Dinge.“[41] Da er aber passiv ist, ist er auf Zufälle als ‚Helfer‘ angewiesen, die die alte Ordnung wiederherstellen, ist diese einmal durch den Bösewicht gestört. Solche Zufälle können Unfälle, plötzliche Krankheiten oder Naturkatastrophen sein. Obwohl diese Zufälle negativ sind, wirken sie sich positiv auf den Helden und das Geschehen aus.[42] Rein positive Ereignisse die als ‚Helfer‘ gewertet werden sind unerwartete Erfolge[43]. Diese können eine plötzliche Rettung aus Bergnot sein oder das unerwartete Wiederfinden einer vermissten Person. Je nachdem es der Handlung des Films dienlich ist, tauchen rational nicht erklärbare Zufälle auf, die dem Helden dabei helfen die Ordnung der Heimatfilmwelt zu wahren. „Der unerwartete Erfolg ist ein Teil des Helden und Ausdruck seiner Übereinstimmung mit dem HF-System [Heimatfilm-System, Anm. d. V. ]: Weil er Repräsentant der heimischen Welt ist, müssen ihm alle Dinge zum Besten dienen.“[44]

 

1.1.4 Das Wertesystem

 

Das Wertesystem der Heimatfilme ist geprägt von Gegensätzen. Der Gegensatz von Stadt und Land ist in den meisten Heimatfilmen das Thema des Geschehens. Hier wird überwiegend das Landleben bzw. das bäuerliche Leben positiver gewertet als das Stadtleben. In MENSCHEN IN GOTTES HAND[45]hadert ein Jungbauer mit seinem Leben auf dem Land, der schweren körperlichen Arbeit und seiner unglücklichen Ehe. Hier ist die attraktive Freundin aus der Großstadt seiner unliebsamen Ehefrau entgegengesetzt. Andererseits steht der kriminelle Schwarzmarkt in der Stadt der unmittelbaren Nachkriegszeit im Gegensatz zu der moralischen Sauberkeit der Dorfbewohner auf dem Land.[46] Höfig schreibt zu diesem Gegensatzpaar Stadt und Land folgendes: „Städtisches und ländliches Milieu sind nicht einander entgegengesetzt dargestellt, sondern der Antagonismus zwischen ihnen wird gedanklich vorausgesetzt. Beide gehören derselben Welt an, die ihren Gegensatz gleichzeitig verfestigt und aufhebt.“[47]

 

Der Antagonismus von Tradition und Fortschritt kommt ebenfalls im Heimatfilm vor. In WEIßES GOLD bedeutet der Staudamm Fortschritt, doch der Bauer, dessen Hof überflutet werden soll, will natürlich an der Tradition festhalten. Bedeutet doch Fortschritt für ihn das Ende seiner Existenz. In diesem Film jedoch wird für dieses Problem, das durch den Gegensatz von Tradition und Fortschritt ausgelöst wird, eine Kompromißlösung gefunden. Der Staudamm wird gebaut, doch der Hof kann erhalten bleiben.[48]