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In Deutschland spielt man Karten gemäß dem Uhrzeigersinn, in der Schweiz jedoch in der entgegengesetzten Richtung. Das heißt dann aber nicht "gegen den Uhrzeigersinn", sondern "der Ohrfeige nach". "Der Ohrfeige nach" gefiel mir abermals, wie auch "gegen die Ohrfeige"; ich verabscheue Feigheit, also das Feige, das die Ohrfeige gegen Schwächere austeilt oder sie, wo sie mutig und notwendig und nützlich ist, verweigert. In entsprechenden Situationen habe ich gegen die Verabreichung einer Ohrfeige absolut nichts einzuwenden, und außerdem ist Ohrfeige ein schönes Wort. Denn die Feige ist darin, die köstliche Frucht, die so erotisch aussieht und duftet, auf italienisch heißt sie fica, und fica heißt nicht nur Feige, sondern ist auch ein Adäquat für das, was auf deutsch "das böse Wort mit F" genannt wird, und während mir all das zu meinem Wohlgefallen durch die Rübe ramenterte, spielten wir eine Runde Scopa, immer schön der Ohrfeige nach. Wiglaf Droste ist wieder und weiter unterwegs und begegnet den Zumutungen der Welt so kundig wie neugierig und auf elegante, charmante und sprachschöpferische Weise. Er weiß, wie man sich verhält, wenn eine Frau aus besserem Hause völlig betrunken unbedingt mit einem ihr ganz fremden Mann tanzen will und zum Beweise dessen auf den Auserwählten einprügelt. Droste trifft nachts am Spätkauf eine Frau, die ihre letzten zwei Euro für Bier ausgegeben hat und die Welt nicht mehr versteht: "Dabei bin ich doch Suhrkamp-Autorin." Lustige Geschichten und sezierende Sprachglossen über Designervokabeln wie "greife", "mauve" und "taupe", über Phrasen von "Baustellen" und "Hausnummern" und Abwimmelungssätze wie "Wir kommen auf Sie zu" oder Talkshowjargon à la "dankbar und demütig" wechseln einander ab. Was passiert, wenn aus Leipzig "Hypezig" wird, das "n" aus der Sprache verschwindet und die Bahn plötzlich die "Bonusfahrtzeit" entdeckt bis zum Ende aller "gebrauchten Tage"? Wiglaf Droste weiß das, und er macht kein Geheimnis daraus.
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Wiglaf Droste
Der Ohrfeige nach
Neue Geschichten, Sprachglossen und Miniaturen
FUEGO
Über dieses Buch
Wiglaf Droste ist wieder und weiter unterwegs und begegnet den Zumutungen der Welt so kundig wie neugierig und auf elegante, charmante und sprachschöpferische Weise. Er weiß, wie man sich verhält, wenn eine Frau aus besserem Hause völlig betrunken unbedingt mit einem ihr ganz fremden Mann tanzen will und zum Beweise dessen auf den Auserwählten einprügelt.
Droste trifft nachts am Spätkauf eine Frau, die ihre letzten zwei Euro für Bier ausgegeben hat und die Welt nicht mehr versteht: »Dabei bin ich doch Suhrkamp- Autorin.« Lustige Geschichten und sezierende Sprachglossen über Designervokabeln wie »greige«, »mauve« und »taupe«, über Phrasen von »Baustellen« und »Hausnummern« und Abwimmelungssätze wie »Wir kommen auf Sie zu« oder Talkshowjargon à la »dankbar und demütig« wechseln einander ab. Was passiert, wenn aus Leipzig »Hypezig« wird, das »n« aus der Sprache verschwindet und die Bahn plötzlich die »Bonusfahrtzeit« entdeckt bis zum Ende aller »gebrauchten Tage«? Wiglaf Droste weiß das, und er macht kein Geheimnis daraus.
»Wir kommen auf Sie zu«, sagt oder schreibt der Vorgesetzte dem ihm Untergeordneten; das klingt warm- und offenherzig, sogar herzlich und familiär: »Wir kommen auf Sie zu.« Die Hand ist ausgestreckt, die Arme sind weit geöffnet, ein freundliches Lächeln heißt den Angesprochenen Willkommen. »Wir kommen auf Sie zu«, ist das nicht so richtig menschlich und dufte?
Nicht ganz. »Wir kommen auf Sie zu« heißt eben nicht, dass jemand kommen und etwas geben oder bringen wird, frohe Botschaft, Gemeinschaft oder vielleicht sogar Geld. »Wir kommen auf Sie zu« heißt vor allem eins: »Bitte belästigen Sie uns nicht. Falls – und wir betonen: falls – es zu einer weiteren Begegnung kommen sollte, dann bestimmen wir den Zeitpunkt. Sie machen bitte gar nichts, Sie verfallen in Schockstarre und warten gefälligst ab. Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an – möglicherweise, aber diese Entscheidung liegt, wie alles andere auch, ganz allein bei uns. Sie haben hier gar nichts zu melden, also bleiben Sie uns vom Hals und verhalten Sie sich ruhig. Und jetzt aber raus bitte.«
Rhetorisch lebt der deutsche Mensch im 21. Jahrhundert in der entgegenkommendsten aller Welten. Wenn er naiv wie Candide den Wörtern glaubt, kann er sich über die Freundlichkeit seiner Mitmenschen nicht nur wundern, er kann sich an ihr regelrecht begeistern. Niemand sagt etwas Böses oder Verletzendes, alle sind so respektvoll und höflich im Umgang; wie kommt es nur, dass er trotzdem mittellos auf der Straße liegt? Die Menschen sprachen doch so gut und geradezu ehrerbietig, an ihnen kann es also nicht liegen.
Es gibt keine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz mehr, und falls doch, kümmert sich eine Beschwerdestelle darum, die den Schurken – oder auch die Schurkin, schließlich herrscht Gleichberechtigung – maßregeln wird. Niemand darf wegen seiner Hautfarbe, seiner Herkunft, seiner Religionszugehörigkeit oder seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden; kommt das dennoch vor, so kann er sich auf dem Klageweg Recht verschaffen. Besser geht es nicht, oder?
Nur ist da eben dieses »Wir kommen auf Sie zu«, will sagen: Wir haben die Macht, und du hast sie aber nicht. Dieses so familial formulierte und großzügig klingende Diktum regelt die Verhältnisse sehr nüchtern und kühl: Du hältst dich zur Verfügung, und wir bestimmen, wie mit dir verfahren wird, und wenn du das nicht verstehst und von »Mitbestimmung« redest, dann erklären wir dir das sogar ganz geduldig: Du bestimmst ja mit, indem du unsere Entscheidung über dich mitträgst. Einer trage des anderen Last, also du unsere. Capito?
»Wir kommen auf Sie zu«: Böse Zungen könnten von blankem Hohn reden und von »einseifen«, aber diese Wörter sind viel zu klar und deutlich, also negativ, und negativ ist verboten. Man muss positiv denken; wo soll das Positive sonst herkommen? Wenn Sie es also wagen sollten, negativ zu denken, dann kommen wir auf Sie zu, aber so richtig.
Ich bekam eine Elektropost von einer Schweizer Redakteurin, die in der Schweiz allerdings Redaktorin heißt; die Schweiz wird solange nicht Mitglied der EU werden, bis aus Redaktorinnen und Redaktoren Redakteurinnen und Redakteure geworden sind. Redaktor klingt immer ein wenig nach Atomreaktor, und man wartet darauf, dass der Redaktor hochgeht, was er aber nicht tut, denn der Schweizer Redaktor ist die Ruhe selbst.
Redaktor mit o statt Redakteur mit eu gefällt mir gut, man könnte das ausbauen: Aus Leuten wird Loten, der Leumund wird zum Lomund und klingt fast schon wie das schottische Loch Lomond, der Teufel muss als Tofel seine Werke verrichten, und wer scheu war, ist nun scho (und, so verlangt es das Erste Galaktische Kalauergesetz, must go on).
Die Redaktorin bat mich um einen Text von circa 2.500 Zeichen Länge »inklusive Leerschläge«. Leerschläge gefiel mir abermals; es erinnert an die Anschläge, die man früher auf und mit der Schreibmaschine verübte. Von einer schönen Sekretärin hieß es, sie schriebe 350 Anschläge pro Minute; in meinem jugendlichen Kopf entstand ein faszinierendes Bild von Sex und Revolution: 350 Anschläge pro Minute, da kann das System dann direkt einpacken.
Leerschläge im Computer sind nicht so gut wie Anschläge auf Papier, aber immer noch weit besser als die Leerzeichen, die man sonst kennt. Das Wort Leerzeichen ist Sinnbild ellenlanger Beziehungsgespräche oder »Meetings«, also dessen, was als sogenannte »Kommunikation« gilt und aus dem, sogar noch anödender, ganze Zeitungen und Zeitschriften bestehen: aus Leerzeichen eben.
Mit den Hamburger Freunden Axel Martens und Michael Bugmann saß ich zu einer Partie Scopa zusammen, dem süditalienischen Kartenspiel in den Farben Rot, Grün, Blau und Gold, über das niemals ein »Deutsches Skatgericht«, das es ja tatsächlich gibt in Altenburg, sein Urteil fällen wird. »Wie spielen wir?«, fragte Michael, der gebürtige Schweizer, »Mit der Ohrfeige oder gegen die Ohrfeige?«
Axel und ich sahen ihn in freundlich neugierigem Nichtverstehen an. »Ach so«, sagte Michael, der seit vielen Jahren in Hamburg lebt, »die Deutschen haben ja den Uhrzeigersinn.« Er lachte. »In Deutschland spielt man Karten gemäß dem Uhrzeigersinn, in der Schweiz jedoch in der entgegengesetzten Richtung. Das heißt dann aber nicht ›gegen den Uhrzeigersinn‹, sondern ›der Ohrfeige nach‹«.
»Der Ohrfeige nach« gefiel mir abermals, wie auch »gegen die Ohrfeige«; ich verabscheue Feigheit, also das Feige, das die Ohrfeige gegen Schwächere austeilt oder sie, wo sie mutig und notwendig und nützlich ist, verweigert. In entsprechenden Situationen habe ich gegen die Verabreichung einer Ohrfeige absolut nichts einzuwenden, und außerdem ist Ohrfeige ein schönes Wort. Denn die Feige ist darin, die köstliche Frucht, die so erotisch aussieht und duftet, auf italienisch heißt sie fica, und fica heißt nicht nur Feige, sondern ist auch ein Adäquat für das, was auf deutsch »das böse Wort mit F« genannt wird, und während mir all das zu meinem Wohlgefallen durch die Rübe ramenterte, spielten wir eine Runde Scopa, immer schön der Ohrfeige nach.
»Eine Sinfonie in Greige-Tönen« wird in einer Zeitschrift für Lebensdesign versprochen. Greige? Was ist das?
Die Mischung aus grau und beige, erklärt mir die Freundin, die mit innenarchitektonischem Firlefanz besser vertraut ist als ich es je sein werde oder möchte. Du kannst aber auch in mauve wohnen oder in taupe, sagt sie und lacht.
»Das klingt jetzt ein bisschen sehr schwul, oder?«, frage ich sie und zitiere Egon Friedells Diktum: »Ich verstehe nicht, wie man homosexuell sein kann. Das Normale ist doch schon unangenehm genug«, aber das gildet selbstverständlich nicht in einer Welt und einer Sprache, die nichts sein will als ihre eigene Fassade.
Es geht noch besser, sagt die Freundin: Die Firma Hermès, die man aber niemals profan eine Firma nennen dürfe, weil sie ja eine Marke sei, ein »brand«, bietet eine »Bibliothèque-Tapete« an, zwei Euro für einen Zentimeter, und für Bibliothèque mit e accent grave und que ist das doch quasi geschenkt.
Da hat sie Recht, und es gibt ja auch genügend Bücher, deren auf Tapete gedruckte Rücken in jedem Fall bessere Figur machen als sie selber. Und reicht es nicht, über Bücher zu sprechen und zu urteilen, wenn sie uns ihre Rücken gezeigt haben? Name des Autors und Titel, den Namen des möglichst berühmten Verlags nicht zu vergessen, mehr braucht es nicht, oder?
Denken Sie an Suhrkamp: eine Verlegerin in greige, die Bücher mauve oder taupe, das langt dicke für drei Jahre Feuilleton und für eine Generation Literaturwissenschaft. Bei einer »Langen Nacht der Literatur« traf ich diverse Schriftsteller, jüngere Männer Anfang bis Mitte dreißig, die allesamt vom selben Literaturdesigner betreut wurden, der ihnen samt und sonders nicht nur den identischen Bart Marke »verwegen für Angepasste« aufgeschwatzt oder verpasst hatte, sondern auch den gleichen nachtblauen Körperdunst, und alle sprachen sie ausschließlich darüber, wie man welchen Preis ergattern könne und welchen Juror man dafür kennen müsse.
Das passt so gut zur Bibliothèque-Tapete von Hermès wie die bei Suhrkamp erschienene Anthologie »Berlin bei Nacht«; der Verlag haut die nach Bierreklame klingende 264-seitige Sammlung zum Kampfpreis von 7 Euro 99 raus und präsentiert Autor_innen, die mit sexuell aber sowas von korrektem Unterstrich auf den Strich gehen oder die »sich eine Berliner Nacht zusammenbasteln« wollen, obwohl man Nächte nicht »basteln« kann, aber woher soll ein Literaturfunktionär das wissen? Immerhin: Bernd Cailloux ist mit einem schönen Text vertreten, und Freund Bittermann beschreibt trefflich kreuzbergspezifische Formen der Idiotie und des Elends.
Allein deshalb gehörte das Buch in die »Spätis« genannten Spätkaufläden. »Berlin bei Nacht«, zwei Billigpils dazu, macht ’nen Zehner, so ginge es doch, und in den Medienradauladen Suhrkamp könnte ein wenig Ruhe einkehren.
Auf dem Weg von einem Abend mit Freunden wurde ich von einem Nachbarn gestoppt, der draußen auf einer Bank vor einem Spätkauf saß und ein Glas klare Flüssigkeit mit Eis trank, die er mir als Gin Tonic vorstellte; ich möge ihm bitte Gesellschaft leisten, er werde mir auch so etwas Erfrischendes besorgen. Ich wollte ins Bett, doch der Nachbar ist ein liebenswürdiger Mann, und wenn er ein bisschen getrunken hat, beherrscht er alle Künste der charmanten Überredung. Also gut, auf ein Glas.
Eine Frau verließ den Spätkauf, sie trug zwei Flaschen Billigbier; der Nachbar, der sie offenbar kannte, lud auch sie zu einem Gin Tonic ein, und sie war dabei. Der späte Abend war mild, wir plauderten sutsche, die Frau verabschiedete sich und bedankte sich überschwänglich für das Getränk. »Ich habe meine letzten zwei Euro für das Bier hier ausgegeben«, stieß sie plötzlich hervor. »Und dabei bin ich Suhrkamp-Autorin.« Sie ging, sichtlich angezählt.
Schlagartig wurde mir klar, wie und warum das alles so ist mit der deutschen Hochkultur in mauve und in greige; allein die Bibliothèque-Tapete überzeugte nicht ganz.
Buchrücken alleine reichen eben doch nicht. Die Freundin nahm mein neuestes Buch, das ich ihr gerade schenken wollte, las nur die Widmung, die einer anderen Frau galt als ihr, ließ das Buch zu Boden fallen und konstatierte: »Dein schlechtestes Buch. So miserabel hast du noch nie geschrieben.«
Angesichts dieser leider sehr souveränen und lustigen Reaktion wäre ich gerne schlagartig ertaupet, aber wenn man den Schischi einmal braucht, ist er naturgemäß nicht vorhanden. Soviel zum Gin des Lebens.
Baustellen gibt es jede Menge, Autofahrer wissen das und fluchen oder stöhnen, je nach Situation und Temperament, wenn die Stadt schon wieder an jeder dritten Ecke aufgerissen und zur nahezu unpassierbaren Ganzjahresbaustelle wird oder sie baustellenbedingt stundenlang im Stau stehen müssen. An Baustellen jedenfalls herrscht nicht der geringste Mangel im Land, übel beleumundet sind sie auch, und doch scheint es darüberhinaus einen großen rhetorischen Bedarf an Baustellen zu geben.
Ob es an dem Film »Das Leben ist eine Baustelle« liegt, dass alle Welt ständig von Baustellen redet, die mit dem Straßenverkehr nicht das Geringste zu tun haben? Er habe gerade »viel zu viele Baustellen« behauptet einer und meint damit seine Arbeit, seine Familie und seine, auch ein sehr schönes Wort, »Kreditlinie«. Wer Frau und Geliebte zu bedienen hat, ist auf mindestens zwei »Baustellen« beschäftigt, aber das ist schon wieder »eine ganz andere Baustelle«.
Von der ästhetischen wie substantiellen Unangemessenheit des Wortes »Baustelle« abgesehen könnte man ganz plebejisch einwenden, dass all diejenigen, die permanent von »Baustellen« reden, niemals auf einer Baustelle gearbeitet haben – wie ja auch all die wichtigen Menschen, die sich einen Termin erst »freischaufeln« müssen, noch nie im Leben eine Schaufel respektive eine Schippe oder Schüppe in der Hand gehalten haben. Das ist ja auch überhaupt nicht Pflicht, aber rhetorische Klassenzugehörigkeitsaneignung möge bitte unterbleiben; es handelt sich um sprachsoziologischen Diebstahl, und der ist ungehörig.
Manche Baustellen haben auch Hausnummern. Bei Vertrags- oder Honorarverhandlungen hört man häufig den Satz »Sagen Sie doch mal eine Hausnummer.« So versucht derjenige, der eine Arbeit gemacht haben will, dem Arbeitenden die Last des ersten Angebots aufzudrücken: »Sagen Sie doch mal eine Hausnummer.« Diesen schwarzen Peter kann man zurückspielen, indem man eine veritable Hausnummer nennt: 73 oder 19 oder 128 b, dann ist der andere dran und kann seine Hausnummer aufsagen, oder er sagt wissend oder wissend sein simulierend: »Aaah, die Abteilung...!« und versucht, den anderen »ins Boot zu holen«.
Auch berühmte Künstler werden als »eine ganz schöne Hausnummer« bezeichnet, und wenn die Frau, die »eine ganz andere Baustelle« ist, auch noch als »ziemliche Hausnummer« firmiert und durchgeht, ist die Baustellenhausnummer perfekt. Soviel Wortarbeit macht hungrig, und so wird das Thema dann »abgefrühstückt«, und zwar so lange, bis es »auserzählt« ist »am Ende des Tages«, was aber nicht abends bedeutet, sondern bloß unterm also auf dem Strich, oder, in der Analarithmetik des Bundeskanzlers a.D. Helmut Kohl gesprochen: »Wichtig ist, was hinten rauskommt.«
Das ist zwar eine ganz andere Baustelle, aber eben auch eine ziemliche Hausnummer.
Wenn die Bahn an genau dem Tag, an dem ihre jüngste Preiserhöhung in Kraft tritt, für die Strecke von Mannheim nach Essen 105 Minuten länger benötigt als angekündigt, ist das ein Ausdruck von gesteigertem Selbstbewusstsein und prosperierendem Geschäftssinn. Zermürbte Reisende sind die leichtere Beute; spiel sie kaputt und dann plündere sie aus, so macht man das als organisierter Wegelagerer.
Unschön und störend aber ist es, wenn dieses marktstrategische Verkaufskonzept nicht stringent umgesetzt wird, sondern einzelne Mitarbeiter sich den Reisenden quasi zu Füßen werfen und von »Verspätung« sprechen, für die sie um »Entschuldigung« bitten. Das führt nur zu Verdruss; man wird so ungern verhöhnt.
Es gibt keine Verspätung bei der Bahn; es ist der Bahn vielmehr gelungen, 105 Zusatzminuten herauszufahren! Das ist groß und der Größe des Unternehmens angemessen. Wenn man die Lebenszeit von Menschen schon willentlich zerdrischt und zermahlt, soll man das offensiv und vor allem positiv vertreten. Das Wort »Verspätung« entspringt altem, negativem Denken; es wird ersetzt durch »Bonus-Fahrtzeit«, oder, noch besser, durch »kostenlose Bonus-Fahrtzeit«. Die gibt es bei der Bahn geschenkt, und das sollte die Bahn auch sagen. Oder können die da jetzt nicht mal mehr Marketing?
Es war das klassische gefundene Fressen für die rotstiftaktive Sorte Mensch in Deutschland. Aus der Staatskanzlei der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Dreyer ging im Herbst 2013 ein Brief an Bundeskanzlerin Merkel, der reichlich Fehler in Orthographie, Grammatik und Interpunktion aufwies. Dass die Öffentlichkeit davon erfuhr, muss mit einer sehr großzügigen Interpretation des Briefgeheimnisses zu tun haben. Irgendjemand beim Absender in Mainz oder beim Empfänger in Berlin spielte der Springerpresse eine Kopie vulgo Ablichtung des Schriftstücks zu. Es gibt Entlassungsgesuche, die man nicht ignorieren soll.
Unter dem Briefkopf der »Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz« findet sich Frau Dreyers Bitte an Frau Merkel, »zeitnah ein Spitzengespräch mit Vertretern der Länder und den Datenschutzbeauftragten von Bund und Länder zu führen«. Hier fehlt eindeutig ein »n«, und dieser Buchstabe scheint bei der Autorin oder dem Autor des Briefs, den die Ministerpräsidentin später unterschrieb, überhaupt in sehr schlechtem Ansehen zu stehen. Auch in der Formulierung »die amerikanische und britische Geheimdienste« fehlt das »n«, und das sogar gleich zweimal.
Singular und Plural sind ebenfalls eher eine Angelegenheit von Glück oder Willkür. Wo »Informationen verunsichert«, da versickern der Kopf, und für ihre Kommasetzung haben sich die Deutschen schon lange eine dem Salz- und dem Pfefferstreuer nicht unähnliche Interpunktionsbüchse angeschafft, aus der sie die Kommata munter aufs Papier und in ihre Rechner streuen.
Dieses Gerät wird auch in Mainz zur Anwendung gebracht; in dem Satzbeginn »Wir, als diejenigen die in diesem Land Verantwortung tragen ...« das Komma nach »wir« zu setzen statt nach »diejenigen«, gibt dem »Wir« geradezu dröhnende Bedeutung. Ob die rheinland-pfälzische Sozialdemokratie noch ganz fest an die parteieigene Propaganda »Das Wir entscheidet« glaubt oder, in ihrer Sprache, glauben?
Die Lieblingsbeschäftigung der Verfasserin oder des Verfassers aber bleibt das Verschwindenlassen des Buchstaben »n«: Die »Grundrechte unserer Bürger und Bürgerinne« werden angemahnt; das Recht auf ein »n« zählt anscheinend aber nicht dazu, nicht in Mainz jedenfalls, das ab sofort »Maiz« heißen sollte. Das wäre ur kosequet.
Auf achfrage bei der rheilad-pfälzische Staatskazlei hieß es später, Regierugssprecheri Moika Fuhr fide de Brief »iakzeptabel«. Durch ei »Büroversehe« sei die ukorrigierte Fassug des Briefes verschickt worde. »Es tut us leid, dass diese fehlerhafte Fassug des Briefes a die Budeskazleri gesedet wurde«, erklärte Fuhr. »Der Büroleiter useres Hauses hat sich dafür im Büro der Budeskazleri etschuldigt.
Die Regierugssprecheri bat um achsicht: »atürlich ist ei fehlerhafter Brief – wie er aus der Staatskazlei a die Budeskazleri verschickt wurde – icht akzeptabel.« Aber »wo Mesche arbeite, passiere leider auch Fehler.«
Ud aus Fehler – aders ka ma sie icht ee – lere wir.
Nachdem ich einer französischen Kollegin mit dem Vornamen Lysange eine Elektropost geschickt hatte, bekam ich digitale Antwort. Es sei ja alles sehr schön, was ich schreibe, aber warum ich sie denn Lasagne nenne?
Lasagne? Niemals, nicht einmal im Scherz, hätte oder hatte ich Lysange Lasagne genannt, da war ich mir sicher. Ich sah noch einmal in meine Mail an sie, und tatsächlich: Lasagne, so stand es da. Sogleich schrieb ich zurück, bat um Entschuldigung und las meine neue Nachricht an sie, bevor ich sie auf den Weg brachte, vorsichtshalber noch einmal durch. Und wieder lautete meine Anrede: Liebe Lasagne..., aber diesmal konnte ich das noch korrigieren, eigenständig und per Hand.
Wenn ich dem automatischen Korrekturprogramm, das Lysange nicht von Lasagne unterscheiden kann, nicht in den Arm falle, wird Kommunikation zur reinen Glücksache. Ob er schon von dem Cava – dem spanischen Champagner, der aus weinanbaugebietsjuristischen Gründen aber nicht Champagner genannt werden darf –, den ich ihm zum Geburtstag geschickt hatte, probiert habe, wollte ich von einem Freund wissen. Mein digitaler Brief an ihn erkundigte sich allerdings zunächst nach Lava, die klatschkalt sicher besonders köstlich ist, und dann nach Java, der Insel beziehungsweise dem gleichnamigen Kaffee.
Nach einem gemeinsamen Auftritt mit dem formidablen Jazzpianisten Uli Gumpert wollte ich mich bei ihm für den schönen Abend bedanken; ohne mein umsichtiges nochmaliges Durchlesen hätte sich Uli Gumpert der Anrede »Uli Gummiert« ausgesetzt gesehen, sie wahrscheinlich recht despektierlich gefunden und mich für nun vollendet wahnsinnig gehalten.
Micha wird zu Mich verfälscht, aus Rayk wird zuverlässig ein Rank, aus dem Vornamen Rahel macht die automatische Korrektur eine Rahe, an die man Freibeuter zu hängen pflegte, aus der ligurischen Stadt Imperia, als wäre sie ein Protzhotel oder ein Ismus, Imperial, und aus dem immer eindeutigen stets ein verwirrendes stehst.
Während die permanente Benutzung des Taschenrechners dazu führt, dass die Fähigkeiten, im Kopf zu addieren, subtrahieren, dividieren und multiplizieren, entweder gar nicht erst entwickelt werden oder aber verkümmern, hat die Verwendung eines automatischen Korrekturprogramms immerhin eine unterhaltsame und eine sportliche Seite.
Man erlebt viele Überraschungen und bekommt Wörter und Begriffe geschenkt, die man sich selbst nicht hätte ausdenken können oder wollen: Tante Taten – gemeint war der französische Apfelkuchen namens Tarte Tatin – und Lavoir viere, das aus dem guten alten savoir vivre generiert wurde. Lavoir viere? Ja, so steht es geschrieben: Alle viere sollst du gründlich waschen / Goethen, Brecht und Hacks und Thomasbraschen.
Die Zumutungen und Übergriffigkeiten der elektronischen Welt sind eine Herausforderung, immer wieder zu reflektieren und durchzusetzen, was zu sagen man sich entschließen will, statt zum Sklaven eines digital vorgegebenen absurden Regelwerks zu werden. Autokorrektur ist ein anderes Wort für elektronischen Autismus, gegen den es aber ein Mittel gibt: die menschliche Autonomie. Solange Menschen analog hergestellt werden, soll mir nicht bange sein.
Wenn eine sich »Korrekturprogramm« nennende Terrororganisation, gegen die beide RAFs, also die Royal Air Force wie auch die Rote Armee Fraktion, und, um den schönen Schrecken zu vervollkommnen, dazu ebenfalls die von beiden gern genommene, vulgo also »eingeworfene« Alkaida Seltzer als ein »gemütliches Beisammensein« von allerlei schon in den Siebzigerjahren »Seniorengruppen« genanntes, fideles Trüppchen älterer, recht bummellustig und unzerstörbar rüstig zu Busreisen aller Art aufgelegtes Völkchen aufschimmern, von dem ein »Pfundskerl«, was ein Zwielicht- wie Zwillingsdeutschwort von »Erschießungskommando« ist, also ein Synonym für Richard von Weizsäcker, wegen mangelnder revolutionärer Kompetenz oder auch Kontinenz in der warum auch immer sonst, aus dem nicht allzu ungewöhnlichen Wort »wegen« aus derjenigen Art schierer Willkür, die nur existiert, weil »Willkür«, warum auch immer?, stets »schier« zu sein hat, das Verb oder auch Tuwort »bergen« macht, was mir, dem alten Arbeitersamariter, und ich bekenne es, von mir also von der Welt aus mitunter angespiene, oder, nicht allzu unguten guten Menschen, und diesen Satz sollen mir ungerührte Rühreier wie, um exemplarisch noch kurz, aber akademisch bescheiden, auszuholen, Dietmar Dreht am Rad und Jürgen Droht und Verbrecher versuchen in Berlin einen Teppich zu verlegen, erst einmal nachmachen, denn vormachen können sie ihn mir nicht, was sie freuen könnte, wenn sie denn wüssten, wie das geht, sich freuen, und weil auch der außerhalb jedweden derridaiden Quarks ein Satz, um ein Satz zu sein und zu werden – sein und werden, darüber ließe sich mancherlei piekfeines Feuilleton zusammenerbrechen, das machen wir dann im nächsten Lehrjahr, aber jetzt ist, wie man so sagt, wenn man es so sagt, »gut für heute« – also nicht für die »guten Leute«-Leute, über die schon Brecht ... doch nein, es reicht mir oder reimt sich gern auf mich beziehungsweise rächt sich.
Man kennt, wenn man ihn kennt oder das zumindest sich erwünscht, den Nominativ und auch den Akkusativ, der erfreulich wenig mit den Akku-Schraubern gemein hat, den die »Ich-bin-ja-nicht-blöd!«-vulgo-»Yippieh-ja-ja!«-Sager als Kopfersatz bei sich tragen, wenn auch noch nicht als die Rollkoffer, die sie längst schon sind, daran arbeiten sie noch globalnational, also »arbeiten« in dem Sinn, den solche Leute oder ihre Presseabteilungen eben für Arbeit nicht nur ausgeben, sondern auch tatsächlich halten. Muss man auch erstmal können oder sogar, auch ein Wort für Solchemolche, »erlernen«.
Dann gibt es noch den Flachwietiv, so hats der Medienprengel oder -sprengel ganz besonders gerne, und obendrauf oder auch untendrunter, ist in dem Fall tatsächlich so egal wie Jacke wie Hose, auch noch das Dativ und dem Genitiv, weil jemand damit Geld verdienen muss, dass deutsche Deutschlehrer über sowas lachen. Was die dann auch zuverlässig tun, denn alleine dazu sind sie da, selbstverständlich abgesehen von dem, was sie »Freizeitgestaltung« nennen, also Frau und Kinder, Singular ist Plural und sosowieso egal, öftermal ist öftermal.