Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Geschichten über das Abschiednehmen – aber so bunt wie das Leben! Im Hauptberuf ist Oliver Fleischer Schauspieler und einem breiten Publikum aus Film, Fernsehen und Theater bekannt. Was bisher kaum jemand wusste: Seit zehn Jahren arbeitetet er auch als Leichenträger. Dabei steht er nicht im Scheinwerferlicht, sondern ist stiller Begleiter und Beobachter – und erlebt jede Menge berührende, aber auch skurrile Geschichten. In seinem Buch erfahren wir viel über die Pannen, die bei Beerdigungen passieren können. Vor allem aber lernen wir viel über das Leben! - Beruf Bestatter: Buch mit skurrilen und nachdenklichen Erzählungen über den Tod und das Leben - Der Knigge für Sargträger: Aufeinander achten, synchron verbeugen, Aufgaben in Ruhe erledigen - Aus dem Leben eines Bestatters: Die Tücken von Kunstrollrasen, Katafalkwagen und Co - Das letzte Geleit: Trauerzeremonien und ihre Bedeutung - Erkenntnisse eines Bestattungshelfers: Nach dem Tod geht das Leben weiter Von der Trauerfeier bis zum Grab: Interessante Einblicke in das Bestattungswesen Am Ende eines Lebens steht die Beerdigung. Die meisten von uns kennen dieses Ereignis vor allem als Teil der Trauergesellschaft. Wer schon einmal einen nahen Angehörigen verloren hat, weiß auch, was im Vorfeld einer Bestattung zu organisieren ist, bis hin zum Leichenschmaus. Doch wie der Trauerzug von der Kapelle bis zum Grab abläuft, darüber machen sich die wenigsten Gedanken. Mit seinem Buch schließt Oliver Fleischer diese Lücke und gibt uns Einblick in seine teils heiteren, teils nachdenklichen Erlebnisse als Sargträger. Diese Friedhofsgeschichten machen Laune! Lassen Sie sich von diesem klugen Buch zum Lachen und Nachdenken verführen und feiern Sie mit dem Autor das Leben!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 256
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Oliver Fleischer
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Klimaneutrale Produktion.
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier.
© 2024 Bonifatius GmbH Druck | Buch | Verlag, Paderborn
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden, denn es ist urheberrechtlich geschützt.
Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München, werkstattmuenchen.com
Coverfoto: © Oliver Betke
Umschlagfotos innen: © Stefan Finger/laif
Illustrationsfoto Cover und innen: © Freepik.com/user19622617
Satz: Bonifatius GmbH, Paderborn
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
eISBN 978-3-98790-921-4
Weitere Informationen zum Verlag:
www.bonifatius-verlag.de
Du kannst dir nicht aussuchen, wie du stirbst. Oder wann.
Du kannst nur entscheiden, wie du lebst.
Jetzt.
Joan Baez
Einleitung
1. Meine erste Beerdigung
2. Highland Cathedral
3. Das letzte Geleit
4. Der Sturz ins Grab
5. Sonne, Wind und Regen
6. „Der Oma hätte das gefallen“
7. Neu dabei und altgedient
8. Von Seilen und Sargversenkern
9. Ein Engel geht auf Reisen
10. Nicht Home-office, sondern Home-Funeral
11. Die Angst vor dem Unbekannten
12. Die Stimme aus dem Jenseits
13. Schunkelnd auf der Friedhofsbank
14. Wenn Blumen Lebewohl sagen sollen
15. Das Sarggesteck
16. Die Prothese
17. In der Ruhe liegt die Kraft
18. Was nicht passt, wird … auch nicht passen
19. Blaues Wunder
20. Allein in einem Einkaufsnetz
21. Der vertauschte Sarg
22. Beerdigung auf Italienisch
23. Oh Gott, es brennt
24. Vom Winde verweht
25. Gut vorbereitet?
26. Haus des ewigen Lebens
27. Der Mensch ist für den Tod geboren – und auch für das Leben
28. Prunkvoll oder schlicht, arm oder reich
29. Hut ab für diese Courage
30. Welches Eis isst Du?
Schlusswort
Was ich noch sagen möchte …
Was Sargträger für eine Beerdigung wissen sollten
Ein Wort des Dankes
Mein Name ist Oliver Fleischer, ich bin von Beruf Schauspieler und vielleicht kennt der eine oder die andere mich. Ich durfte in den letzten Jahren, durch die Hilfe meiner großartigen Agentin Wally, recht erfolgreich in verschiedenen Film- und Fernsehformaten mitspielen und auf verschiedenen Bühnen Deutschlands Theater spielen. Viele kennen mich wahrscheinlich am ehesten aus der Sat1-Serie „Danni Lowinski“, in der ich die Rolle des „Nils Polgar“ spielen durfte. Ich laufe also seit fast zwanzig Jahren im Blitzlichtgewitter über den roten Teppich – bei Filmfestivals, Fernseh- und Filmpreisen sowie Premierenfeiern. Aber ich kenne nicht nur den roten Teppich im hellen Scheinwerferglanz; was ich genauso gut kenne, ist der grüne Kunstrollrasenteppich bei Beerdigungen. Nicht, weil die Menschen um mich herum wie die Fliegen sterben, nein, weil ich seit über zehn Jahren als Sargträger arbeite.
Ein Buch zu schreiben hielt ich – und da werden mir meine ehemaligen Deutschlehrer sicher recht geben – eigentlich für völlig abwegig. Mit einer gefühlten Lese-Rechtschreib-Schwäche hielt ich es auch nie für eine gute Idee. Aber es war auch nie eine gute Idee, Schauspieler zu werden, zumindest wenn ich auf alle Bedenken gehört hätte. Ich habe es trotzdem gemacht und bereue es nicht einen Tag, diesen beruflichen Weg eingeschlagen zu haben. Denn als Schauspieler erzähle ich Geschichten und erwecke darin die Figuren mit ihren Charakteren zum Leben. Ich liebe es, ein solcher Geschichtenerzähler zu sein. Und wer schreibt die schönsten Geschichten? Genau, das Leben! Nur gibt es einen großen Unterschied zwischen Schauspielerei und Leben: Die Geschichten, die uns im Leben passieren, sind immer real.
Eine Realität ist, dass der Tod zu unserem Leben gehört. Nicht nur das, auch wenn wir ihn oft aus unserem Leben verdrängen, er beeinflusst es. Manchmal vorhersehbar, manchmal langsam, manchmal ganz plötzlich. Wenn wir Abschied nehmen müssen, von lieben Angehörigen oder anderen geliebten Menschen, wenn wir selbst erkennen müssen, dass wir aufgrund von Krankheit keine 80 oder 90 Jahre erreichen werden, oder wenn uns die Heimtücke eines plötzlichen Todesfalls den Boden unter den Füßen wegzieht.
Ich habe gelernt, dass es gut tut, über den Tod und die letzten Dinge zu sprechen. Was passiert, wenn Menschen diese Welt verlassen und wir von ihnen Abschied nehmen. Natürlich hat es bei vielen im schauspielerischen Umfeld Verwunderung hervorgerufen, als ich erzählt habe, dass ich nebenberuflich als Sargträger auf Friedhöfen tätig bin. Und noch heute ist der erstaunte Blick mancher Schauspielkolleginnen und -kollegen unbezahlbar, wenn sie mich beispielsweise bei einem Nachtdreh fragen, was ich tagsüber gemacht habe, und ich ihnen antworte, dass ich schon drei Beerdigungen beigewohnt habe.
So erzählte ich auch bei Dreharbeiten in Bratislava meinem Freund und Kollegen Moritz bei einem Getränk von einigen Beerdigungsanekdoten, die ich in der Zwischenzeit erlebt hatte. Er hatte Tränen in den Augen, sowohl vor Lachen als auch vor Rührung. Wir verbrachten einen wunderbaren Abend, voll mit lustiger Unterhaltung, aber auch ernsthaft Nachdenklichem über den Tod und die Vergänglichkeit des Lebens. Ein paar Tage später rief er mich in Deutschland an und sagte mir, dass er einem befreundeten Journalisten von unserem Gespräch erzählt habe und dieser mich gerne interviewen würde. Durch dieses Interview wurde der Verlag auf mich aufmerksam und gab mir die Möglichkeit, ein Buch zu schreiben und noch mehr von dem zu erzählen, was ich an den Gräbern und auf den Friedhöfen erlebe.
Als Sargträger läuft die Arbeit eigentlich immer nach dem gleichen Schema ab: Wir holen den Sarg oder die Urne aus der Trauerhalle oder der Kapelle, bringen sie mit dem Trauerzug zum Grab und setzen sie bei. Zu 95 Prozent ist das Routine, da passiert nichts Besonderes. Die restlichen 5 Prozent sind die Begebenheiten, die es manchmal besonders bewegend oder besonders kurios machen.
Aber egal, ob etwas Besonderes passiert oder nicht, das Wichtigste ist, dass unsere Arbeit ein Dienst am Menschen ist. Für die Toten wie die Lebenden. Und dafür sind die Hinterbliebenen meist sehr dankbar.
Als Sargträger steht man nicht im Mittelpunkt, nicht im Scheinwerferlicht. Die wenigsten werden sich an die Gesichter von uns Sargträgern erinnern, wenn ein Angehöriger oder Freund zu Grabe getragen wird. Wir sind stille Begleiter. Und ja, ich gebe zu, auch stille Beobachter. Deshalb habe ich die Chance ergriffen, dieses Buch zu schreiben und euch daran teilhaben zu lassen. Denn durch meine langjährige Tätigkeit auf weit über 60 Friedhöfen, bei den unterschiedlichsten Religionsgemeinschaften und Kulturen, habe ich gemerkt, dass Sargtragen weit mehr ist als eine Dienstleistung. Und ich hoffe, dass die Geschichten und Erlebnisse in diesem Buch zu euch sprechen werden, wo doch am Grab oft geschwiegen wird.
Was ich dort an den Gräbern und auf den Friedhöfen erlebe, sind für mich Lebensweisheiten, die mir im Angesicht des Todes etwas über das Leben verraten. Und sie verändern meinen Blick auf das Leben wie auf den Tod. Ich habe Tränen gelacht und geweint. Und ich habe gespürt, dass Gott ganz nah ist und doch manchmal so fern scheint. Aber oft habe ich erkannt: Das Leben geht weiter, auch wenn man meint, es gäbe keine Hoffnung mehr. Viele der Einsichten waren für mich Hilfen, Dinge im Leben besser einordnen zu können.
Alle, die wissen möchten, warum ich hier und da gelacht und geweint habe, welche Fallstricke bei Urnen- und Sargbestattungen lauern können und wie ich aus dem Grab wieder herausfand, in das ich einmal hineingefallen bin, wünsche ich viel Freude und gute Gedanken beim Lesen dieses Buches – über das Leben wie über den Tod. Vielleicht hilft es auch, auf „den letzten Gang“ eines geliebten Menschen – auch wenn er von uns Sargträgern gerollt bzw. getragen wird – ein wenig besser vorbereitet zu sein und spendet ein wenig Hoffnung und Trost.
Viel Spaß beim Leben!
Oliver Fleischer
PS: Wer wissen möchte, wie die Arbeit eines Sargträgers aussieht – wie und was er zu tun hat –, erfährt auf den letzten Seiten des Buches mehr darüber. Dort findet sich eine Art „Knigge für Sargträger“, den ich in meiner Zeit als eine Art Vorarbeiter für circa 50 Sargträger, in Absprache mit meinem damaligen Arbeitgeber und unter Berücksichtigung der Wünsche der örtlichen Bestatter, geschrieben habe.
Angefangen hat alles vor circa zehn Jahren durch eine Zeitungsannonce und die Nachfrage meiner damaligen Schwiegermutter Vroni. In Haan, östlich von Düsseldorf, wurden Sargträger gesucht und sie fragte mich einfach, ob ich nicht Zeit und Lust hätte, dort auszuhelfen. Warum nicht?, dachte ich. Durch meinen Beruf als freischaffender Schauspieler habe ich schließlich genug Freiräume, die es mir ermöglichen, hier und da mal einzuspringen oder was Neues auszuprobieren. Zugegeben, auch ein wenig von Neugier getrieben meldete ich mich beim örtlichen Friedhofsgärtner.
Zu diesem Zeitpunkt kümmerten sich in Haan und Erkrath, zwei Städten des Kreises Mettmann, zwei Friedhofsgärtner neben der Aufsicht und Pflege der Friedhöfe auch um die Bereitstellung der Sargträger. Und so wurde mir bereits am Telefon klar: Auch hier herrscht gravierender Fachkräftemangel. Nicht nur Sargträger wurden und werden weiterhin gesucht, sondern auch Verantwortliche in Bestattungsdienstleistungen und auf kommunaler Ebene.
In dem sehr netten Gespräch mit einem der beiden Friedhofsgärtner informierte mich dieser, wie händeringend nach Nachwuchs im Bereich der Sargträger in der Umgebung gesucht werde. Die Wegbegleitung zur letzten Ruhestätte sei früher für viele ein Ehrenamt gewesen, im wahrsten Sinne des Wortes. Meist war diese ehrenvolle Aufgabe, die Einfühlsamkeit und würdevolles Auftreten voraussetzt, von Rentnern gegen ein kleines Handgeld übernommen worden. Doch die seien kaum mehr zu finden, sagte der Friedhofsgärtner.
Wir unterhielten uns eine Weile und am Ende stellte er mir die alles entscheidende Frage, ob ich denn im Besitz eines schwarzen Anzugs, eines weißen Hemdes, einer schwarzen Krawatte und schwarzer Schuhe sei. Als ich ihm die Frage mit Ja beantwortete, hatte ich mein Vorstellungsgespräch bestanden. Und sofort bekam ich meinen ersten Einsatz, es sollte gleich morgen losgehen.
Am nächsten Tag fuhr ich also in Schwarz gekleidet und mit etwas mulmigem Gefühl zum Friedhof. Ich war tatsächlich aufgeregt und versuchte, mir mein Lampenfieber nicht anmerken zu lassen. Mit Lampenfieber umzugehen, daran gewöhnt man sich ja als Schauspieler. Auf der Bühne zu stehen, ist kein Problem für mich. Das kenne ich schließlich. Doch hier war alles neu für mich. Der Gedanke, einen Sarg zu tragen beziehungsweise den darin liegenden Menschen zu beerdigen, machte mich etwas nervös. Und ganz ehrlich, so eine Beerdigung lässt sich ja auch nicht proben. Man kann schlecht hingehen und die Angehörigen fragen, ob man den Sarg nicht zwei-, dreimal absenken könne, ehe es zum eigentlichen Begräbnis kommt. Oder einen Bestatter bitten, ob er nicht zufällig einen Auszubildenden dafür abstellen könne, sich für eine Probe-Beerdigung zur Verfügung zu stellen. Wer begibt sich schon freiwillig bei lebendigem Leib in einen Sarg oder ein Grab?
Der Unterschied war offensichtlich: Auf der Bühne und dem roten Teppich, da bin ich zu Hause. Da fühle ich mich wohl und kann mit der Situation umgehen. Im besten Fall hat man das Theaterstück und die Rolle gut vorbereitet und gemeinsam mit den anderen Schauspielern geprobt. Aber als ich daran dachte, gleich zwischen einem Erdhaufen und grünem Kunstrasen vor einem mehrere Meter tiefen Abgrund zu stehen, mit einem Seil in der Hand und alle Blicke auf mich gerichtet, fühlte ich mich etwas unwohl.
War ich bereit für die bevorstehende Beisetzung? Nein, irgendwie nicht. Wusste ich, was auf mich zukommt? Ich ahnte es. Fühlte ich mich gut vorbereitet? Welche Vorbereitung? Und auf einmal kam mir noch eine andere Frage in den Sinn, und ich ärgerte mich über mich selbst, dass ich sie nicht schon beim Vorstellungsgespräch gestellt hatte: Sehe ich den Toten?
Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt erst ein einziges Mal einen Toten aufgebahrt gesehen, nämlich meinen Opa in der Trauerhalle in Bottrop. Und damals ließ mich der Anblick fluchtartig die Trauerhalle verlassen.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, dass man bei Beerdigungen nur in den seltensten Fällen einen Verstorbenen sieht. Die Mehrheit der Hinterbliebenen entscheidet sich für eine Aufbahrung des geschlossenen Sargs. Man blickt in der Trauerhalle dann nur auf den Sarg oder die Urne. Die Tradition des offenen Aufbahrens, bei der zum Abschiednehmen der Verstorbene ein letztes Mal im Sarg zu sehen ist, wird hierzulande nur noch selten gepflegt; häufig kommt sie noch bei griechisch-orthodoxen Beerdigungen vor.
Doch trotz aller Zweifel und Befürchtungen überwogen meine natürliche Neugier, meine Zusage und die Gedanken daran, dass der Verstorbene an diesem Tag beerdigt werden musste und ich gebraucht wurde.
Mit einem mulmigen Gefühl kam ich schließlich auf dem Friedhof an und wurde dort gleich von zwei älteren Kollegen in Empfang genommen. Bitte nicht wundern, dass ich immer wieder von „älteren Kollegen“ schreibe, aber der Altersdurchschnitt in der Branche der Sargträger ist ziemlich hoch und so sind meist ältere Kollegen an meiner Seite.
Sie erklärten mir, wie das Ganze gleich vonstattengehen sollte, wie ich mich zu verhalten habe und wie eine Beerdigung für einen Sargträger abläuft. Natürlich wird man anfangs noch ein wenig von den erfahrenen Trägern beäugt, aber ich wurde als „Greenhorn“ sehr nett aufgenommen. Mir wurde gesagt, dass ich den Sarg an den Griffen in der Mitte tragen soll, da man als Neuling auf dieser Position am wenigsten falsch machen könne. Ich solle mir auch überhaupt keine Sorgen machen, sagten die neuen Kollegen, und einfach genau das Gleiche machen, was mein Gegenüber mache. Und weiter erklärten sie, dass ich, sobald der Sarg am Grab angehoben ist, mit der rechten Hand am Balken ziehen, dann schnell nach dem Seil greifen und zusammen mit den anderen den Sarg mit ins Grab führen soll.
Nach dieser kurzen Einweisung warteten wir Sargträger gemeinsam vor der Trauerhalle. Da stellte ich nun endlich die Frage, die mir schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte: Inwieweit haben wir Kontakt zu dem Verstorbenen, sehen wir den Toten? Mit einem milden Lächeln verneinten die Kollegen meine Frage und erklärten mir, dass nur noch in den wenigsten Fällen eine Verabschiedung des Verstorbenen am offenen Sarg stattfinden würde. Das Einzige, was man von dem verstorbenen Menschen zu sehen bekomme, sei meist ein Foto, das als großes Bild auf dem Sarg oder einer Staffelei stehe.
Anschließend unterhielten wir uns noch ein wenig darüber, wer man ist und was man sonst beruflich so macht. Meine neuen Kollegen waren sehr erstaunt, als ich ihnen erzählte, dass ich als Schauspieler den Dienst des Sargträgers antreten wollte. So kam gleich die Frage auf, ob ich das denn vorbereitend für eine Rolle mache. Und falls nicht, sollte ich wissen, dass man auf jeden Fall die ein oder andere filmreife Situation erlebe und manches passiere, das nur das Leben schreiben kann. Ich bin ehrlich, damals dachte ich, das sind die typischen Übertreibungen älterer Herren, um sich ein wenig wichtig zu machen, aber sie sollten recht behalten.
Wir standen noch eine Weile zusammen, unterhielten uns und die Zeit verging wie im Fluge. Der Gedanke an die bevorstehende Beerdigung war erst einmal weit weg und auch meine anfängliche Nervosität legte sich. Ich glaube, mich zum Plaudern zu bringen, war ein gekonnter Trick der alten Hasen, um mir die Nervosität zu nehmen, was auch gut funktionierte.
Als dann nach einem kurzen Blick auf die Uhr die Ansage eines Trägers kam, dass es bald losgehen würde, machten wir uns zurecht und brachten uns in Position. Ein letztes Mal wurde der Sitz des Anzugkragens und des Hemdes kontrolliert, die weißen Handschuhe wurden angezogen und langsam kehrte nun meine Nervosität zurück. Jetzt sollte es losgehen, meine erste Beerdigung als Sargträger.
Fertig gekleidet warteten wir gemeinsam in Position und ich bekam mit, wie die Blicke der anderen Träger zu einer Lampe in der Trauerhalle wanderten. Einer von ihnen erklärte mir im Flüsterton, sobald diese leuchte, sei das unser Zeichen, die Trauerhalle zu betreten. Dieses Signal für die Sargträger ist von Friedhof zu Friedhof verschieden. Manchmal gibt der Bestatter ein Zeichen, andernorts ist ein Träger-Kollege mit in der Halle oder es leuchtet – wie in diesem Fall – ein optisches Signal auf.
Während wir mit Blick auf diese Ampel weiter warteten, dachte ich kurz an meine Einweisung zurück: Mach das, was dein Gegenüber macht, mit der rechten Hand den Balken ziehen, Seil nehmen, ins Grab lassen … so sollte das Ganze funktionieren. Dass es klappen würde, hoffte ich inständig, denn ich wollte bei meiner ersten Beerdigung auf keinen Fall etwas falsch machen. Und während ich noch in diesen Gedanken versunken war, sprang plötzlich das Licht der Lampe an und es ging los.
Wir betraten den Raum durch die Seitentüren der Trauerhalle, gingen ruhigen Schrittes rechts und links am Sarg vorbei, ich blieb in der Mitte des Sarges stehen und wir verbeugten uns. Dann hob ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Sarg an.
Ich war gespannt, welches Gewicht mich erwartete. Wir Träger sind manchmal sehr überrascht über das Gewicht eines Sarges, weil nicht nur das Gewicht des Leichnams eine Rolle spielt, sondern eben auch das des Sarges. Es gibt Beerdigungen, da sieht man das Foto einer zierlichen älteren Dame und wundert sich, wie schwer der gesamte Sarg ist. Je nach Sargmodell kann das Gewicht nämlich variieren und zwischen 35 und 100 Kilogramm liegen, wobei eine Sonderausstattung diese Werte noch übersteigt. Es gibt tatsächlich Beerdigungen, da werden wir vom Bestatter vorgewarnt und auf das größere Gewicht hingewiesen. Dass so mancher Kollege angesichts eines schwergewichtigen Sarges schon geäußert hat, dass manchmal eine Urnenbestattung eine gute Alternative sei, soll keineswegs pietätlos sein – vor allem nicht, wenn man mitbekommt, wie 70-Jährige statt Serien-Kiefer einen massiven Eichensarg mit Vollausstattung tragen, mal ganz abgesehen vom Gewicht des Leichnams.
Aber im Fall meiner ersten Beerdigung gab es keine böse Überraschung. Wir konnten den Sarg mit ein wenig gemeinsamer Kraftanstrengung problemlos aus der Trauerhalle auf den Katafalkwagen tragen. Meine erste Hürde war genommen. Nun ging es im Trauerzug zum Grab.
Ich erinnere mich noch, dass ich auf dem Weg dorthin Probleme hatte, dem Kollegen vor mir nicht von hinten in die Hacken zu treten. Wir waren, besser gesagt ich war noch nicht im Gleichschritt mit den anderen Trägern. Das gemeinsame stolperfreie Laufen, so dicht beieinander, war für mich eine Herausforderung. Zweimal musste ich mich bei ihm leise entschuldigen, weil ich ihn unterwegs leicht ins Straucheln gebracht hatte.
Am Grab hielten wir mit dem Katafalkwagen, hoben den Sarg an und stellten ihn auf die Balken über der Grabstätte. Wenn man den Sarg auf die Grabstätte trägt, um ihn auf die Balken zu stellen, ist es wichtig zu beachten, ihn mit relativ ausgestrecktem Arm raufzutragen, um dem gegenüberliegenden Kollegen genug Spielraum auf den Trittbrettern zu geben. Denn je näher ich den Sarg mit den Armen am Körper trage, desto länger muss sich der Kollege auf der anderen Seite strecken, da er sonst mit ins Grab gezogen würde. Kollegiales Miteinander ist hier wichtig, ein Sargziehen über der Grabstätte will schließlich keiner sehen.
Dann gab uns der Pfarrer das Zeichen. Wir hoben den Sarg hoch, zogen die Balken, schnappten uns das Seil und ließen den Sarg ins Grab hinab. Danach verbeugten wir uns und verließen mit dem Katafalk die Grabstätte.
Ohne Probleme, ohne besondere Vorkommnisse verlief meine erste Beisetzung als Sargträger. Man sagte mir, dass ich alles vernünftig gemacht hätte und dass man sich freuen würde, wenn ich Teil des Teams werde. Zufrieden mit meiner Arbeit verließ ich den Friedhof und ahnte noch nicht, wie dieser Dienst, diese Nebentätigkeit mich und mein Leben verändern würde.
Es war ein grauer und trister Novembermorgen, die Blätter fielen von den Bäumen. Auf dem Friedhof herrschte eine düstere Atmosphäre, die Stille wurde nur durch den Klang des Regens unterbrochen. Die Sonne zeigte sich gar nicht, der Morgen war nass, kalt und neblig. Die Natur bereitete sich auf den Winter vor.
Es gibt einen Ausspruch, der bezieht sich direkt auf diese Jahreszeit: „Wenn die Blätter fallen, gehen auch die Leute.“ Da ist meiner Erfahrung nach etwas Wahres dran. Im Winter wird mehr gestorben. Die Sterbezahlen in den Monaten Dezember bis März verzeichnen jährlich Höchststände, das wissen nicht nur die Bestatter, sondern bestätigt auch das Statistische Bundesamt.1 Vermutlich verhält sich das so aufgrund der in dieser Jahreszeit verstärkt auftretenden Infektionskrankheiten und Viruserkrankungen, zudem ist der Körper durch Kälte und weniger Licht anfälliger. Die höchste Sterberate wird allerdings jährlich im Februar vermeldet, nicht im November. Vielleicht aber schlägt einem der November deswegen so aufs Gemüt, weil er mit seinem regnerischen und kalten Wetter sowie der Dunkelheit quasi als ein Vorbote dieser Sterbezeit empfunden wird.
In schwarzen Mänteln und den Kopf bedeckt mit unseren schwarzen Hüten standen wir eng beieinander und warteten auf das Ende der Trauerfeier. Viel wurde an diesem Morgen nicht miteinander gesprochen. Jeder von uns sehnte sich danach, nur ja wieder schnell ins geschützte Warme zurückkehren zu können, und wartete darauf, die Arbeit erledigen zu können. Die ganze Szenerie erinnerte an die Filmsequenz aus einem Agentenfilm.
Draußen vor der Trauerhalle war eine Lampe angebracht. Als diese aufleuchtete, wussten wir Bescheid, dass die Trauerandacht zu Ende ist und wir mit unserer Arbeit beginnen konnten. Unser Ablauf war routiniert: Der Katafalkwagen wurde auf seine Position geschoben und ein letztes Mal musterte man sich, ob Mantel, Hut und Handschuhe richtig sitzen.
Ich möchte kurz erklären, was ein Katafalkwagen ist: Dieser Wagen ist ein meist schwarzer Rollwagen, auf den der Sarg gestellt wird, teilweise mit Griffen zum Schieben beziehungsweise Ziehen des Wagens. Oft ist die Stahlrohrkonstruktion des Sargwagens mit einem schwarzen Tuch behangen und dient zum Transport des Sarges zur Grabstelle.
Nachdem wir unsere innere Checkliste schnell abgearbeitet hatten, öffnete ich die Tür zur Trauerhalle. Wir trugen den Sarg hinaus, positionierten ihn auf dem Katafalkwagen, stellten uns vor der Tür der Trauerhalle neben dem Sarg auf und warteten auf die Trauergesellschaft. Die Menschen verließen langsam die Halle, die Ersten öffneten ihre Schirme gegen den Regen und andere schlossen ihre Mantelkrägen gegen die Kälte.
„Nun wollen wir in aller Stille den Toten auf seinem letzten Weg begleiten.“ Mit diesen Worten des Geistlichen setzte sich der Trauerzug in Bewegung. Langsamen Schrittes zogen wir Richtung Grabstätte. Da es Trauergäste gab, die mit ihren Rollatoren unterwegs waren, drehte ich mich gelegentlich nach ihnen um, um unser Tempo dem der Trauergesellschaft anzupassen. Sonst könnte es einem nämlich tatsächlich passieren, dass man die Trauergesellschaft abhängt und mit etwas Vorsprung am Grab ankommt. Was natürlich niemand möchte und auch nicht im Sinne eines gemeinsamen Trauerzuges ist.
Es sei aber an dieser Stelle erwähnt, dass ich in meinen Jahren als Sargträger mehrere Beerdigungen erlebt habe, bei denen der Trauerzug länger dauerte als die eigentliche Trauerfeier. Gerade auf größeren Friedhöfen mit langen Wegstrecken und auf Friedhöfen in Hanglage kann ein Zug schon mal etwas länger dauern, insbesondere wenn die Gesellschaft etwas betagter ist. In solchen Fällen muss man dann, um den Trauerzug zusammenzuhalten und gemeinsam am Grab zu erscheinen, schon mal zwei, drei, vier Pausen einlegen, obwohl die gesamte Wegstrecke relativ kurz ist. Sonst wäre die Beerdigung vorbei, ehe die letzten Trauergäste angekommen sind. Aber zurück zum Erlebten …
Der Wind blies uns den Regen heftig ins Gesicht, und mit gesenkten Köpfen näherten wir uns langsam der Grabstätte. Kurz vor der letzten Kurve durchbrach dann allerdings urplötzlich ein schrilles Getöse die Stille. Ein Laut, der durch Mark und Bein ging, ließ alle Anwesenden zusammenzucken. Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Ein Ton, und die Tierfreunde mögen mir verzeihen, so schrill und schief, als würde man auf einen Sack voller Katzen einschlagen und gleichzeitig dazu die kaputte Alarmanlage eines Autos ertönen lassen. Und ehe ich dafür einen Shitstorm kassiere: Natürlich kenne ich es nicht aus eigener Erfahrung, wie es ist, neben einem Auto mit kaputter Alarmanlage auf einen Sack voller Katzen einzuschlagen, aber wenn es ein Bild gibt, das irgendwie den Charakter dieses Lauts widerspiegelt, wäre dieses ein sehr stimmiges.
Das Ganze erinnerte nun nur noch mehr an eine Szene aus einem alten Schwarz-Weiß-Film à la Edgar Wallace, in dem plötzlich ein gellender Schrei ertönt, alle zusammenzucken und mit weit aufgerissenen Augen innehalten. Doch nachdem nun alle Trauergäste im regnerischen Morgennebel aufgeschreckt und aus ihren Gedanken sowie ihrer Trauer herausgerissen worden waren, erklang eine „Melodie“, die von da an die weiteren Schritte des Trauerzugs begleiten sollte. Doch die Blicke, die nun untereinander ausgetauscht wurden, zeugten von Entsetzen und Fassungslosigkeit. In der Kurve konnte ich förmlich die Gedanken über den Köpfen der Trauernden lesen: Was passiert hier? Was ist das? Das kann doch jetzt nicht wahr sein, oder?
Unbeirrt wie routiniert setzten wir den Trauerzug fort und kamen nach einer weiteren Abbiegung bei der Grabstätte an. Und dort erblickten wir im Morgennebel den Verursacher der grauslich schönen „Melodie“: Am Grab stand, in stolzer Haltung und im schottischen Kilt, ein Dudelsackspieler und blies voller Inbrunst, krumm und schief, seinen Dudelsack. Ohne eine Miene zu verziehen, blies er sein Stück zu Ende, bis wir vollends am Grab angekommen waren. Und ich fragte mich angesichts der vielen schiefen Töne: War der Mann etwa taub? Warum spielte er ein Instrument weiter, das offensichtlich verstimmt war oder nicht richtig funktionierte? Doch er zog seinen Auftritt durch und für ihn gab es, einmal angefangen, kein Halten mehr.
Erstaunt über die dargebotene Kunst blickten sich alle Umstehenden fassungslos an, was er mit einem stolzen Nicken erwiderte. Wir Sargträger stellten anschließend den Sarg ordnungsgemäß auf die Balken über dem Grab ab, ohne Blickkontakt untereinander, was auch besser war aus Sorge vor einer Lachexplosion. Als der Sarg dann platziert war, sah ich, wie auch die anwesende Geistlichkeit damit zu kämpfen hatte, Haltung zu bewahren und mit der Zeremonie weiterzumachen. Über die Jahre kennt man sich ja, und wir merkten sehr schnell, wie unglaublich schwer es der Geistlichkeit fiel, ruhig zu bleiben. Doch kurz darauf fanden alle wieder zur Routine zurück und die Trauerzeremonie konnte am Grab ihren Lauf nehmen.
Nachdem die letzten Worte gesprochen waren, hoben wir den Sarg an den Seilen an, um ihn ablassen zu können. Und in diesem Moment ertönte der Klassiker aller Dudelsacklieder: „Highland Cathedral“ – interpretiert auf eine ganz eigene, an diesem Tag sehr besondere Art und Weise.
Für mich als Schauspieler war es tatsächlich sehr beeindruckend zu erleben, wie man so voller Stolz und Überzeugung einen so wunderbar grässlich schiefen Auftritt hinlegen konnte. Der Mann im Kilt ließ sich rein gar nichts anmerken und strahlte aus: „Das, was ich hier mache, muss genau so sein.“
Wir ließen also den Sarg ab und dann passierte das, was nicht hätte passieren dürfen: Der Blick meines Gegenübers traf mich und ich sah, wie ihm Tränen über sein aus Anstrengung leicht verzerrtes Gesicht liefen. Ich war verwirrt und die verschiedensten Gedanken gingen mir durch den Kopf: Kannte er den Verstorben? – Nein, das hätte er sicher beim Foto in der Trauerhalle erwähnt. Ist er von der Musik so berührt? – Nein, definitiv nicht. Oder doch? Und dann sah ich nur ein großes und lautes „Bitte nicht!“ in seinem Gesicht. Mein Kollege riss sich förmlich zusammen, nicht lauthals über die Situation lachen zu müssen. Und dieses Unterdrücken ließ ihn körperlich erzittern, sein Gesicht zusammenkneifen und weinen. Ich erkannte also, dass sein Gesicht, das mir im ersten Moment vorkam wie ein vor Trauer und Schmerz weinendes, eher ein von der Absurdität der Situation geplagtes war, welches das Lachen unterdrückte.
Als mir das klar wurde, und das war mein Schicksal, kündigte sich in mir eine Lacheruption an. Wie Lava in einem Vulkan bahnte sich das Lachen seinen Weg durch meinen Körper und meinen Geist. Ich versuchte es unterdrücken, aber je mehr ich es unterdrückte, desto stärker wurde es. Dann kam der kurze Moment, in dem ich dachte: Jetzt reiß dich mal zusammen, du bist hier auf einer Beerdigung und du lässt gerade einen Sarg ab! Die in mir brodelnde Lachlava schien eingedämmt zu sein, und ich hatte das Gefühl, die Situation wieder unter Kontrolle zu haben.
Ich denke, jeder von uns kennt solch eine Situation, zum Beispiel aus der Schule oder dem Beruf. Manchmal gibt es sie auch in der „Tagesschau“ zu sehen: Man darf nicht lachen, muss aber, und dann reicht eine Geste, ein Geräusch oder ein Versprecher und schon bahnt sich das Lachen seinen Weg und man steckt im Lachanfall fest.
Ich jedenfalls hatte die Rechnung ohne den Dudelsackmeister gemacht, und plötzlich durchdrang ein gellend schiefer Ton mein Reiß-dich-zusammen-Mantra. Dazu noch ein Blick nach vorne zu meinem Kollegen, der immer noch vor unterdrücktem Lachen bebte, und schon war mein innerer Lachvulkan wieder kurz vor der Explosion. Meine Schultern und mein Oberkörper fingen an zu zittern, ich kniff mein Gesicht zusammen und die ersten Tränen kullerten über meine Wangen.
Was sonst nur wenige Sekunden dauert, den Sarg ins Grab abzulassen, dauerte dieses Mal eine gefühlte Ewigkeit. Zentimeter für Zentimeter erreichte der Sarg sein Ziel, während in mir ein nicht aufhören wollendes Gefühlsbeben tobte. Als der Sarg endlich den rettenden Erdboden erreicht hatte, ließen wir die Seile los, verbeugten uns und verließen die Grabstelle. Mein Blick war dabei tief gesenkt, ich wollte zu niemandem Blickkontakt aufnehmen, aus Angst, die Beherrschung zu verlieren. Der Dudelsackspieler untermalte derweil mit seiner Musik weiter die Szenerie. Am liebsten hätte man ihm sagen wollen, nein, ihn anschreien wollen: Jetzt hör doch mal auf!
Mit gesenktem Blick griffen wir uns den Katafalk und gingen zurück Richtung Trauerhalle. Wir alle schwiegen. Man spürte förmlich die innere Anspannung aller Beteiligten. In sicherer Entfernung angekommen, brach das Lachen dann aus uns allen heraus und wir hatten Tränen in den Augen. Als wir so beieinanderstanden und uns über das Erlebte austauschten, sahen wir den Beerdigungspfarrer auf uns zukommen, der aussah, als hätte er den Leibhaftigen gesehen. Mit großen Augen und kopfschüttelnd stand er vor uns und sagte nur: „Was war das denn?“ Und sofort brach auch bei ihm ein herzhaftes Lachen aus.
Nachdem er sich etwas gefangen hatte, schilderte er, dass er auch während der Zeremonie stark mit sich kämpfen musste, nicht loszulachen über die Absurdität der dargebotenen Musik. Er habe vergeblich versucht, dem „Schotten“ ein Zeichen zu geben, dass es reichen würde an musikalischen Ergüssen. Doch dieser verstand ihn nicht, sondern beantwortete seine Geste mit einem Kopfnicken und machte stolz weiter.
Kurze Zeit später erschien auch die ältere Witwe, eingehakt am Arm ihres Sohnes, bei uns und bedankte sich für die geleistete Arbeit. Außerdem erkundigte sie sich, ob es uns denn nun wieder etwas besser ginge, da wir ja emotional so ergriffen waren, dass wir weinen mussten. Das meinte sie ganz ernst, ohne jegliche Anspielung auf das musikalisch Erlebte. Vielmehr war sie so gerührt von unserer „Anteilnahme“, dass sie sich einfach noch einmal dafür bedanken wollte. Der Sohn streichelte dabei die Hand der Mutter und konnte sich ein leichtes Grinsen gegenüber uns nicht verkneifen.
Und dann ließ uns die Witwe noch wissen, dass die Beerdigung genau so schön verlaufen sei, wie ihr Mann es gewollt hätte, und dass die Musik auf Wunsch des Verstorbenen gespielt worden sei. Sie selbst habe mit Dudelsackmusik wenig anfangen können und ihr Sohn unterstrich ihre Aussage mit den Worten: „Papa hatte halt einen speziellen Musikgeschmack.“ Dann verabschiedeten wir uns voneinander.